1
Der Anspruch andie gymnasiale Bildung
aus universitärer Sicht
Prof. Dr. Hans Weder, Rektor
2
Anforderung an das Gymnasium
Ein gutes Gymnasium bereitet die Jugendlichen auf ein erfolgreiches Studium an der Universität vor.
These
Kernkompetenz und zentrale Aufgabe des Gymnasiums aus der Sicht der Universität
bedeutet nicht, dass man mit der Matura nichts anderes machen kann
3
Maturität – ernst genommen Vorteile für die Universität I
• sorgfältige und individuelle Beurteilung der Hochschulreife im Rahmen eines mindestens vierjährigen Beobachtungszeitraums
• alle anderen Selektionsvorgänge weisen keine so hohe Adäquatheit auf
• klare und formelle Regelung des Universitätszugangs (bedingt bessere Akkreditierungsprozesse, damit die Anforderungen vergleichbarer werden)
• Qualitätssicherung in den Gymnasien• entlastet die Studieneingangsphase von
Selektions-leistungen und schafft Raum für Einführung in universitätsspezifische wissenschaftliche Arbeit
4
Maturität – ernst genommen Vorteile für die Universität II
• Konzentration der Universität auf die fachspezifische Selektion der Studierenden (Assessment-Jahr, Zwischenprüfungen)
• klare Abgrenzung des Gymnasiums von den übrigen Schulen der Sekundarstufe II
Einspruch gegen das Märchen des fehlenden Praxisbezuges: Lebensbezug des wissen-schaftlichen Denkens ist der Praxisbezug (sowohl am Gymnasium als auch an der Uni-versität)
5
Bildung• aufzeigen, worum es geht (z.B. in der
Physik)• nicht in erster Linie Ausbildung• nicht extensives Anhäufen von Wissens-
inhalten, sondern exemplarisches Verstehen
Universität:• Bildung als Problematisierung und
Weiterentwicklung von Wissen• nicht: Training intellektueller Finger-
fertigkeiten
Ansprüche an die gymnasiale Bildung I
6
Ansprüche an die gymnasiale Bildung II
Allgemeinbildung• Verstehensgrundlage legen für die
wissenschaftlichen Inhalte• Kanon kaum definierbar, stellt sich aber
ein (bestimmte Literatur erweist sich als Bildungsgut)
• Vergangenheit und Gegenwart erschliessen, um in die Zukunft gehen zu können (enzyklopädisch und exemplarisch)
7
Ansprüche an die gymnasiale Bildung III
Allgemeinbildung (wichtige Inhalte)
Geschichte, kulturelle Dimensionen, Kunst, Musik
Literatur und Sprachen Naturwissenschaften, Technik,
Informationstechnologie ethische Reflexion
8
Ansprüche an die gymnasiale Bildung IV
Allgemeinbildung (universitäre Bedeutung)
Universität:• Spezialisierung in einem Fach• angewiesen auf Kommunikation unter
den verschiedenen Disziplinen• Grundlegung interdisziplinären
Interesses
Vorbereitung auf die Wissenschaft ist kein Gegensatz zur Allgemeinbildung
9
Ansprüche an die gymnasiale Bildung V
Muttersprache• höchste Qualität im Umgang mit der
Schriftsprache• Beeinflussung der Denk- und Wahrneh-
mungsfähigkeit durch die Sprachbe-herrschung
Universität:• präzise Beschreibung von
Sachverhalten• Schwierigkeiten im Studium sind
häufig Sprachschwierigkeiten• betrifft alle Fächer gleichermassen
10
Ansprüche an die gymnasiale Bildung VI
Englisch• gute Beherrschung der lingua franca• Historische Entwicklung: Griechisch –
Latein – Englisch
Universität:• weltweite Vernetzung der Forschung• alle Wissenschaften publizieren
zunehmend in Englisch• Graduierten-Studium bereits teilweise
auf EnglischProblematik: Kulturelle Vielfalt Europas?
11
Ansprüche an die gymnasiale Bildung VII
Informatikmittel• Erfahrung und Kenntnisse im Umgang
mit Informatikmitteln• Grundkenntnisse in Informatik
Universität:• Computer spielt in sämtlichen
Wissen-schaften eine entscheidende Rolle
• Informatisierung der Organisationsvor-gänge schreitet stetig voran
12
Schnittstelle Gymnasium-Universität
Probleme• drastische Veränderung der
Lernumgebung für die angehenden Studierenden (meist Wegfall der im Gymnasium möglichen intensiven Betreuung)
• wachsende Bedeutung der gymnasialen Leistung im Interesse der Chancengleichheit (Kinder aus nicht-akademischen Eltern-häusern bedürfen dieser Vorbereitung vermehrt)
13
Ein gutes Gymnasium ...
bereitet die Studienwahl sorgfältig vor:• Erkundung der Neigungen auf ganz
unterschiedlichen Gebieten• unvoreingenommene Beurteilung
der Begabung
Universität:Begabung und Neigung als Voraus-setzung für ein erfolgreiches Studium
14
Ein gutes Gymnasium ...
bereitet die Selbstorientierung der Studierenden vor:• eigenständige
Informationsbeschaffung• Bewertung der Zuverlässigkeit und
Plausibilität• Arbeitsorganisation und -planung
ohne äussere Vorgaben
denkbar wäre:• Seminarstil für Oberklassen
exemplarisch einführen• Vorlesungsstil exemplarisch einüben
15
Ein gutes Gymnasium ...
bereitet die Eigenmotivation der Studierenden vor
Universität:• es werden keine
Verfahrensanweisungen und Vorschriften gemacht
• die Vorbereitung wird einfach vorausge-setzt und ist aus eigenen Motiven zu leisten
16
Ein gutes Gymnasium ...
bereitet die Verarbeitung von wissenschaftlichen Texten vor:• Lektüre eines Aufsatzes, Rezeption• Einübung in kritische Reflexion des
Gelesenen• evtl. Zusammenfassen von Aufsätzen
systematisch erlernen und einüben
Universität:• rationelle und kritische Rezeption von
wissenschaftlichen Veröffentlichungen
• gilt auch für "Laborwissenschaften"
17
Ein gutes Gymnasium ...
bereitet die Selbstorganisation der studen-tischen Arbeit und Zusammenarbeit vor, z.B. durch Initiierung nicht-strukturierter Arbeits-prozesse
Universität:• Verhältnisse verlangen es, dass auf
die Selbststeuerung studentischer Arbeit und studentischer Gruppen abgestellt werden kann
• Eigenständige Informationsbeurteilung
18
Ein gutes Gymnasium ...
übt das wissenschaftliche Denken und Arbeiten ein:• Argumentationskultur (etwa bei der
Textinterpretation)• Kritik und Metakritik einer Aussage
(Logik, Ideologiekritik usw.) klares Bekenntnis zur Intellektualität
( Intellektualismus) Überwindung des Kopf-Bauch-Klischees
Universität:• muss an dieser Aufgabe weiterarbeiten• im Gegenzug zur Sprechanlassmethode
19
Ein gutes Gymnasium ...
• ersetzt nicht Pädagogik und Didaktik• diese ersetzen aber auch nicht die
Wissenschaftsorientierung• Pflege der Weiterbildung• Wissenschaftliches Selbstverständnis Universität: PD als Gymnasiallehrer
... achtet auf die Wissenschaftsorientierung der Lehrerschaft
20
Ein gutes Gymnasium ...
übt persönliche Qualitäten für ein Universitätsstudium ein:
• Durchhaltevermögen• Ehrlichkeit• Verantwortung gegenüber der Sache der
Wissenschaft und dem Leben• Leistungsbereitschaft, Freude an der
Anstrengung• Neugier
Universität:• persönliche Verpflichtung auf
Wahrhaftigkeit• ethische Verantwortung der
Wissenschaftler• ausserordentliche Leistungsfähigkeit
21
Ein gutes Gymnasium ...
Widersteht der Kultur der Mittelmässigkeit
• Mut zur Elitebildung heisst nicht Vernach-lässigung oder gar Verachtung der weniger Begabten oder Leistungsfähigen
• Mentalitätsproblem der Schweiz?
Profilbildung:• Höhere Anforderungen• Vielfältigere Angebote• Eindeutiges wissenschaftliches Selbst-
verständnis
22
Anforderungen an das Gymnasium
Ein Gymnasium ist immer so gut wie seine Lehrerinnen und Lehrer, welche ihre hohe Bildung, ihre Wissenschaftlichkeit und ihre Originalität in der Schule zum Zuge bringen.
Die Suche nach ausserordentlichen Lehrerinnen und Lehrern sowie die Pflege einer guten, kompetitiven Atmosphäre im Schulhaus werden zu entscheidenden Aktivitäten der Schulleitungen.
Summa
23
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.