Das Standortsystem der höherwertigen unternehmensorientierten Dienstleistungen 13
3 Die Entwicklung der höherwertigen unternehmensorientiertenDienstleistungen (HuDl)
In diesem Kapitel wird die gestiegene Bedeutung der HuDl aus dem sozio-ökonomischen
Strukturwandel abgeleitet und - daran anknüpfend - deren quantitative und qualitative
Entwicklung behandelt. Daher steht zunächst der Strukturwandel unter theoretischer Per-
spektive im Mittelpunkt, um dann in einem zweiten Schritt besonders die HuDl betreffenden
Gesichtspunkte zu betrachten.
Es ist nicht das Ziel dieses Abschnitts, die behandelten Entwicklungen in ihrer ganzen Tiefe
zu erfassen, da dies den Rahmen der Arbeit sprengen würde. Vielmehr sollen die für den
Bereich der HuDl relevanten Prozesse im Überblick dargestellt werden, um so den Hinter-
grund und den Interpretationsrahmen für die empirische Analyse der Auswirkungen der
HuDl auf das Städtesystem in Nordrhein-Westfalen zu bilden.
3.1 Der sozio-ökonomische Strukturwandel in theoretischer Perspektive
Eine Grundtendenz in der Geschichte wirtschaftlicher Tätigkeit ist die zunehmende
funktionsräumliche Arbeitsteilung mit wachsender Spezialisierung. Um spezielle Tätigkeiten
in einen Sinnzusammenhang zu bringen, ist Koordination und Verständigung notwendig.
Die Wurzeln der Tertiärisierung reichen weit zurück. GAD (1985/68) veranschlagt den
Beginn dieses Jahrhunderts als Ausgangspunkt dieser Entwicklung.
Im großen Stil wird die Expansion des Dienstleistungssektors jedoch erst seit den 50er Jah-
ren in den USA bzw. in den 60er Jahren in West-Europa zunehmend sichtbar
(DANIELS/MOULAERT 1991). Damit eng verflochten ist ein beschleunigter gesellschaftlich-
wirtschaftlicher Strukturwandel, der zur Erklärung der wirtschaftlichen, sozialen und politi-
schen Krise der hochentwickelten westlichen Industriestaaten herangezogen wird; dieser ge-
sellschaftlich-wirtschaftliche Strukturwandel ist also ein relativ junges Phänomen. In den
folgenden Abschnitten wird zunächst der theoretische Analyserahmen gespannt, um dann
davon ausgehend die Wirkungen dieses Strukturwandels auf die HuDl bzw. die Rückkopp-
lungseffekte der HuDl auf diesen Wandel deutlich zu machen.
Das zentrale Charakteristikum der HuDl ist die Information bzw. das Wissen. Als Inputfak-
toren für ökonomische Prozesse gewinnen diese beiden Aspekte immer weiter an Bedeu-
tung. Nicht Arbeit, Boden oder Kapital sind heute die vorrangig bestimmenden Produkti-
onsfaktoren, sondern entscheidend ist zunehmend der Faktor Wissen (COFFEY/SHEARMUR
Die Entwicklung der Dienstleistungen 14
1997: 405). Diese These verdeutlicht die Abkehr von der neoklassischen Annahme der
vollständigen Information aller auf dem Markt operierenden Akteure (ELLGER 1996: 89).
Die Nachfrage nach HuDl drückt das Streben der einzelnen Unternehmen nach Informati-
onsvorsprung aus, das nur mit einer Hilfskonstruktion (technisches und organisatorisches
Wissen als Produktionsfaktor) in das neoklassische Modell zu integrieren ist. Es werden da-
her im folgenden nicht-neoklassische Ansätze zur Erklärung der HuDl-Expansion vorge-
stellt, die - im Gegensatz zu neoklassischen Theorien - das Wissen und die Information als
zentrale Faktoren begreifen und sie nicht als randliche Störgrößen ausblenden.
3.1.1 Erklärungsansätze für den Strukturwandel
In der Diskussion um die theoretische Erfassung des sozioökonomischen Strukturwandels
werden im wesentlichen drei nicht-neoklassische Ansätze diskutiert4 (die neoklassische
Sektorentheorie FOURASTIÉS wurde bereits in Kap. 2.2.1 behandelt):
1) Theorie der langen Wellen,
2) Theorie der flexiblen Spezialisierung sowie die
3) Regulationstheorie.
3.1.1.1 Theorie der langen Wellen
Die auf KONDRATIEV zurückgehende Theorie der langen Wellen geht von einer quasi na-
türlichen, vorgegebenen Entwicklung der Wirtschaft in Zyklen mit einer Dauer von je etwa
50 Jahren und jeweils charakteristischen, zugrundeliegenden Basisinnovationen bzw. Indu-
strien aus. Diese Basisinnovationen müssen zueinander komplementär sein und sich ergän-
zen, wobei der Innovationsbegriff hier nicht auf Produkte beschränkt ist, sondern auch Pro-
zesse und Organisationsformen umfassen kann. Das sozio-politische Umfeld sollte hierzu
komplementär sein, hat aber eine vergleichsweise untergeordnete Bedeutung (AMIN 1994,
DICKEN 1992).
Läuft eine Welle aus, so geraten Regionen mit einer von den führenden Industrien der alten
Welle dominierten Wirtschaftsstruktur unter erheblichen Anpassungsdruck mit deutlichen
Krisensymptomen. Nach der Wellentheorie befinden wir uns gegenwärtig am Ende der
4 Zum folgenden vgl. AMIN (1994).
Das Standortsystem der höherwertigen unternehmensorientierten Dienstleistungen 15
vierten Welle mit den Basisindustrien im Bereich der Petro-Chemie, der Elektrotechnik und
der Kunststoffe (vgl. Abb. 2).
Die Theorie der langen Wellen betrachtet zwar nicht explizit die HuDl; es ist aber offen-
sichtlich, daß es ohne Forschung und Entwicklung (FuE), ohne technische Beratung und
verbesserte Managementmethoden nicht zu Basisinnovationen kommen kann.
Aufgrund des häufig kritisierten Technik-Determinismus’ der Wellentheorie, der eine un-
ausweichliche und vorgegebene Entwicklung suggeriert, sowie der isolierten Betrachtung
der Ökonomie unter weitgehendem Ausschluß des sozio-politischen Umfeldes erweisen sich
die langen Wellen als unzureichend, den gegenwärtigen Strukturwandel in seiner Komplexi-
tät zu erfassen.
Abb. 2: Lange Wellen ökonomischer Aktivität und zugrundeliegende Basis-Technologien. Quelle: nach
DICKEN (1992: 99)
Besonders die Fokussierung auf die Mikroelektronik und neue Technologien als Basisinno-
vationen der fünften Welle unterschätzt systematisch die Produktivitätsfortschritte, die
durch neue Produktionskonzepte und Managementstrategien (world-wide-sourcing, Flexi-
bilisierung der Arbeitszeiten, just-in-time), erreicht wurden (KRÄTKE 1991: 253). Eine
strikte Qualitätskontrolle sowie Arbeitsüberwachung auf der Basis einfacher Technologien
Dampfmaschine Baumwoll- Textilien Eisen
Eisenbahn Eisen und Stahl
Elektrotechnik Chemie Automobile
Elektronik Kunststoffe Petrochemie
1800 1900 1850 1950
erste Kontratiev zweite Kontratiev dritte Kontratiev vierte Kontratiev
?
Neue Basis-Technologien
IndexökonomischerAktivität
2000
Die Entwicklung der Dienstleistungen 16
hat bereits vor dem Zeitalter der Mikroelektronik eine weitreichende Fehlerfreiheit und
damit gestiegene Produktivität ermöglicht. Durch Mechatronik konnte lediglich die ohnehin
bereits hohe Redundanz in der Qualitätskontrolle weiter gesteigert werden (ELAM 1994:
48).
Zieht man die Theorie der langen Wellen zur Erklärung des HuDl-Wachstums heran, so
müßte sich zudem eine zyklische Entwicklung der Dienstleistungen mit enger Kopplung an
die Wellen ergeben. Es ist jedoch eine wellenübergreifende, sowohl quantitative als auch
qualitative Expansion der HuDl zu beobachten, so daß die Theorie insgesamt nur wenig zur
Durchdringung des Problemfeldes beitragen kann.
3.1.1.2 Die flexible Spezialisierung
Die Theorie der flexiblen Spezialisierung (PIORE/SABEL 1984) lehnt, im Gegensatz zu den
langen Wellen, generelle strukturelle Tendenzen ab und basiert auf der Unterscheidung von
Massenproduktion und flexibler Spezialisierung. Die Massenproduktion ist durch Einsatz
spezialisierter Maschinen und gering qualifizierter Arbeitskräfte charakterisiert, während die
flexible Spezialisierung hochqualifizierte Beschäftigte erfordert, die an Kundenwünsche an-
gepaßte Spezialprodukte in Kleinserien herstellen. Beide Paradigmen existieren nach
PIORE/SABEL parallel. An bestimmten Zeitpunkten, den sog. industrial divides, kann es in
Abhängigkeit von bestimmten Entscheidungen bzw. historischen Rahmenbedingungen zur
Dominanz entweder der Massenproduktion oder der flexiblen Spezialisierung kommen. Es
wird jedoch nicht klar, welche Bedingungen zu einem Paradigmenwechsel führen können
(AMIN 1994: 14).
PIORE/SABEL identifizieren im gegenwärtigen Strukturwandel eine industrial divide, die den
Übergang von der Massenproduktion zur flexiblen Spezialisierung markiert. Anhand der
Beispiele Baden-Württembergs und des Dritten Italien wird gezeigt, daß sich Regionen mit
einem die Massenproduktion überlebenden, handwerklichen Kern in den 80er Jahren im
wirtschaftlichen Aufwind befanden.
Zwar ergibt sich durch die antizipierte flexible Spezialisierung eine wachsende Bedeutung
der HuDl (ohne die neue Produktions- und Vertriebstechniken nicht entwickelt und einge-
setzt werden können), die Theorie der flexiblen Spezialisierung muß dennoch, vor allem
wegen des konstruierten Dualismus zwischen Massenproduktion und spezialisierter Klein-
serienfertigung, der die reale Vielschichtigkeit wirtschaftlicher Tätigkeit nicht wiedergibt,
kritisiert werden.
Das Standortsystem der höherwertigen unternehmensorientierten Dienstleistungen 17
Die Protagonisten fordistischer Massenproduktion bleiben nach wie vor mächtig, indem sie
zur Aufrechterhaltung der Massenproduktion Flexibilisierungs- und Spezialisierungsstrate-
gien entwickeln, um die Engstellen des Fordismus zu überwinden. Auch wird die Zukunft
der flexiblen Spezialisierung mit ihrer Fixierung auf kleine und mittlere Unternehmen zu op-
timistisch gesehen, da in der globalisierten Wirtschaft große Unternehmen durch hohen
Kapitaleinsatz wesentlich leichter bestehen können als kleine, die eher von Marktzutritts-
barrieren betroffen sind.
3.1.1.3 Die Regulationstheorie5
Vor dem Hintergrund einer allgemeinen Krise mit stagnierendem Wirtschaftswachstum, sin-
kenden Reallöhnen, Kürzungen der staatlichen Sozialleistungen, Massenarbeitslosigkeit und
Deindustrialisierung6, ergänzt durch Probleme der Umweltzerstörung, Staatsverschuldung
und sozialer Konflikte, die vor allem in alten Industrieregionen zutage treten, haben sich
traditionelle Theorieansätze (z.B. lange Wellen) zur Erklärung dieser Probleme als un-
brauchbar erwiesen. BATHELT (1994: 64) gibt als Grund den ungerechtfertigten Technik-
Determinismus sowie die Vernachlässigung des wirtschaftlichen, politischen und gesell-
schaftlichen Handlungsrahmens an.
Die Regulationstheorie betrachtet nicht die Selbstorganisation kapitalistischer Gesellschaf-
ten im Sinne einer allgemeinen, neoklassischen Gleichgewichtstheorie, sondern versucht,
unter besonderer Berücksichtigung der institutionellen Vorgaben, zum tieferen Verständnis
sozio-ökonomischer Prozesse beizutragen:
„In seinem ökonomietheoretischen Kern - unabhängig von der pragmatischen Ausgestaltung durcheinzelne seiner Vertreter - beansprucht der Regulationsansatz den Status einer Alternative zur neo-klassischen Gleichgewichtstheorie. Werden dort Entwicklungsprobleme des Kapitalismus als durch‘externe Störvariablen’ verursachtes Scheitern von Akkumulations- und Verteilungsprozessen er-klärt, so will die Regulationstheorie (a) über den Nachweis des endogenen Charakters von Akkumu-lationsblockaden den funktionalen Stellenwert ökonomischer Krisen für Systemanpassungsprozessezeigen (‘kleine’, zyklische Krisen) und (b) zugleich demonstrieren, daß die Adaptionsfähigkeit einesgegebenen politisch-ökonomischen Systems Grenzen aufweist (‘große’ Krisen eines
5 Einen einheitlichen regulationstheoretischen Ansatz gibt es strenggenommen nicht (BATHELT 1994, GÖRG
1994(a)). Nachfolgend werden daher gemeinsame Grundannahmen der verschiedenen regulationstheore-tischen Ansätze dargestellt.
6 In der Diskussion um Ursachen, Ausmaß und Folgen dieser Krise wird immer von Deindustrialisierunggesprochen. Dieser Begriff ist jedoch irreführend, da der sekundäre Sektor nicht verschwindet, sondern sichlediglich umstrukturiert. Man spricht besser von einer „Tertiärisierung der Produktion“ (MARTINELLI
1991(a)). Deindustrialisierung hat sich aber bereits im festen Begriffsinstrumentarium etabliert.
Die Entwicklung der Dienstleistungen 18
‘Akkumulationsregimes’), die nur durch neue Gesellschaftsprojekte - seien sie kapitalistischen odernicht-kapitalistischen Typs - überwunden werden können.“ (HÜBNER/MAHNKOPF 1988: 12)
Darüber hinaus wird versucht, den Dualismus zwischen struktur- und akteurszentrierter
Perspektive aufzuheben (GÖRG 1994(a): 17), d.h. Individuen und System stehen sich nicht
mehr gegenüber, wie etwa in der Theorie der langen Wellen, sondern bedingen sich gegen-
seitig.
Die Entwicklung wird durch eine Abfolge stabiler Phasen (Formationen) und Entwicklungs-
krisen (Formationskrisen) gekennzeichnet. Eine stabile Formation zeichnet sich über einen
längeren Zeitraum durch Konsistenz zwischen Gesellschaft und Wirtschaft aus: Vorherr-
schende Technologien, Produktionsstrukturen, Konsummuster und Koordinationsmecha-
nismen sind aufeinander abgestimmt und angewiesen; Akkumulationsregime (vgl. Kap.
3.1.1.3.1) und Regulationsweise (vgl. Kap. 3.1.1.3.2) sind komplementär.
Gerät diese Abstimmung aus bestimmten Gründen, seien es gesellschaftliche Umbrüche und
Wertewandel, technologische Innovationen, Mißverhältnis von Angebot und Nachfrage
oder politische Veränderungen, aus dem Gleichgewicht, kommt es zu einer Krise (AMIN
1994, BENKO/DUNFORD 1991, DUNFORD 1990, HIRSCH 1990, HÜBNER/MAHNKOPF 1988,
HÜBNER 1990, OSSENBRÜGGE 1992, WOOD 1994).
Nach der Regulationstheorie ist gegenwärtig die Fordistische Formation in die Krise gera-
ten. Der Fordismus als dominante Entwicklungsrichtung westlicher Staaten nach dem
zweiten Weltkrieg läßt sich durch folgende Merkmale beschreiben (WOOD 1994: 10):
- Massenproduktion am Fließband (fordistisches Prinzip) mit stark segmentiertem Ar-
beitsablauf (tayloristisches Prinzip),
- Massenkonsum,
- gesellschaftlicher Strukturwandel und
- zentral-korporatistische, keynesianische Politik, die durch Umverteilung den Massen-
konsum ermöglicht und damit gleichzeitig das ökonomische System stützt.
Diese Merkmale sind stark generalisierend, da der Fordismus in diesem Archetypus nie in
dem Maße Realität, sondern eher Zielvorstellung und Leitbild war (JESSOP 1992: 27). Gro-
ße Firmen wie General Motors differenzierten bereits sehr früh ihre Produktion (ELAM
1994) und begegneten so den Grenzen der fordistischen Massenproduktion.
Trotz der zentralen Rolle, die der Krisenbegriff in der Regulationstheorie einnimmt, bleibt er
schemenhaft und defizitär (GÖRG 1994(c)). Es lassen sich jedoch vier die Krise des Fordis-
mus verursachende Tendenzen feststellen (ELAM 1994: 64):
Das Standortsystem der höherwertigen unternehmensorientierten Dienstleistungen 19
1) Die wachsende Arbeitsteilung (Taylorisierung) innerhalb der Unternehmen wurde
zunehmend kontraproduktiv. Die gestiegene Kapitalintensität konnte nicht mehr durch
eine wachsende Produktivität aufgefangen werden (productivity slow-down).
2) Die unter Ausnutzung immer größerer Skaleneffekte ständig ausgeweitete und
globalisierte Produktion bzw. Marktdurchdringung intensivierte den Wettbewerb und
erschwerte das Management.
3) Durch die im Verhältnis zur gesamtwirtschaftlichen Leistung stark gestiegenen So-
zialausgaben wurde die Inflation angeheizt (stagflation).
4) Die Konsummuster verschoben sich in Richtung einer differenzierteren Nachfrage.
Es ist umstritten, ob die Krise nur durch eine neue Formation, den Post-Fordismus, über-
wunden werden kann (AGLIETTA 1979) oder ob sich die fordistische Formation durch
Transformation stabilisiert (FUCHS 1993: 146).
KRÄTKE (1990) unterscheidet hier den Post-Fordismus (a) vom Neo-Fordismus (b):
(a) Der Post-Fordismus zeichnet sich durch eine verstärkte Partizipation der Arbeit-
nehmer am Produktionsprozeß sowie einer Aufwertung komplexer Qualifikation und
flexibler Spezialfertigung aus.
(b) Im Neo-Fordismus werden die Arbeitsverhältnisse flexibilisiert sowie der Produk-
tionsapparat weiter vertikal aufgespalten und in Billiglohngebiete verlagert.
Der Post-Fordismus zeichnet sich lediglich in Konturen ab, allgemeine Prognosen lassen
sich nicht abgeben, da die Regulationstheorie durch ihren historisch-empirisch selektiven
Zugang eine Übertragung von Fallstudien auf andere Staaten nicht erlaubt. JESSOP (1992:
28) sieht den Post-Fordismus gegenwärtig auf den Arbeitsprozeß und die Regulationsweise
beschränkt und erkennt nur wenige Hinweise auf grundlegende Änderungen im Akkumula-
tionsregime.
Die Übertragung des Fordismus-Konzepts auf die Bundesrepublik kann nicht ohne weiteres
erfolgen, da hier die hohen Löhne (mit tariflichem Schutz vor Lohnsenkungen) und die rela-
tiv hohe Beschäftigungssicherheit den Weg zur klassischen fordistischen Rationalisierung
versperren und der Zwang, trotz der teuren, fixen Belegschaft ökonomisch erfolgreich zu
sein, zu einem Flexi-Fordismus geführt haben (MAHNKOPF 1988: 104f). Dennoch sind eini-
ge grundsätzliche, für den Wandel vom Fordismus zum Post-Fordismus typische Verände-
rungen auch in Deutschland zu erwarten:
Die Entwicklung der Dienstleistungen 20
1) die Ausbreitung post-tayloristischer Produktions- und Organisationsformen auf der
Basis neuer Informations- und Kommunikationstechnologien und somit eine neue Di-
mension der Massenproduktion,
2) die Industrialisierung des Dienstleistungssektors, der mit der Polarisierung zwischen
stagnierenden Städten und einigen großen Metropolen verbunden ist,
3) einen hierauf aufbauenden neuen Schub der Kapitalisierung,
4) die Abkopplung von Produktivität und Masseneinkommen,
5) die Individualisierung und Pluralisierung der Lebensstile (ESSER/HIRSCH (1994: 77).
Die zentralen Begriffe der Regulationstheorie werden in den folgenden Abschnitten näher
beleuchtet.
3.1.1.3.1 Die Regulationsweise
Da die Regulationstheorie die Entwicklung des Kapitalismus nicht im Sinne der neoklassi-
schen Gleichgewichtstheorie betrachtet, die von einer kybernetischen Selbststeuerung (oder
Selbstregulierung) über den Markt ausgeht und durch die Annahme einer logischen Zeit die
Probleme und Strukturen der Realität (historische Zeit) ausklammert, ist ein exaktes Ver-
ständnis von Regulation und der sich daraus ergebenden Regulationsweise unerläßlich.
Die einfache Übersetzung des französischen Begriffes régulation kann zu Mißverständnis-
sen führen, da durch das englische regulation und das deutsche Regulation die begriffliche
Trennschärfe abnimmt (HÜBNER 1990). LIPIETZ definiert Regulationsweise folgenderma-
ßen:
Die Regulationsweise umfaßt „... die Gesamtheit institutioneller Formen, Netze und expliziter oderimpliziter Normen, die die Vereinbarkeit von Verhaltensweisen im Rahmen eines Akkumulations-regimes sichern, und zwar sowohl entsprechend dem Zustand der gesellschaftlichen Verhältnisse alsauch über deren konfliktuelle Eigenschaften hinaus.“ (LIPIETZ 1985, zitiert aus: HÜBNER 1988: 34,siehe hierzu auch: LIPIETZ 1986, 1992)
Regulation bezeichnet damit weder die bereits angesprochene neoklassische Selbststeue-
rung noch eine intentionale Intervention ausschließlich von oben. Gemeint sind vielmehr die
von historisch einmaligen Formen der institutionellen Gegebenheiten abhängenden Normen,
Gewohnheiten, Gesetze und regulierenden Netze, die gewährleisten, daß die individuellen
Handlungen das Akkumulationsregime stützen und reproduzieren (HÜBNER 1988: 54,
OSSENBRÜGGE 1992).
Das Standortsystem der höherwertigen unternehmensorientierten Dienstleistungen 21
3.1.1.3.2 Das Akkumulationsregime
Die zweite Hauptkategorie der Regulationstheorie bildet das Akkumulationsregime, das
nach LIPIETZ definiert wird als
„... ein Modus systematischer Verteilung und Reallokation des gesellschaftlichen Produkts, der übereine längere Periode hinweg ein bestimmtes Entsprechungsverhältnis zwischen den Veränderungender Produktionsbedingungen (dem Volumen des eingesetzten Kapitals, der Distribution zwischenden Branchen und den Produktionsnormen) und den Veränderungen in den Bedingungen des End-verbrauchs (Konsumnormen der Lohnabhängigen und anderer sozialen Klassen, Kollektivausgabenusw.) herstellt.“ (LIPIETZ 1985, zitiert aus HÜBNER 1988: 33f, siehe hierzu auch LIPIETZ 1986, 1992)
Anders ausgedrückt, umfaßt das Akkumulationsregime somit makroökonomische Normen,
die die Organisation der Produktion und des Arbeitsprozesses aufrechterhalten, die Art der
Austauschvorgänge innerhalb der Unternehmen und der allgemeinen Managementprinzipien
und Konsummuster steuern und somit einen kohärenten Prozeß der Kapitalakkumulation
ermöglichen.
3.1.2 Zusammenfassende Bewertung: Die Tragfähigkeit der verschiedenen An-sätze
Obwohl die Theorien der langen Wellen und der flexiblen Spezialisierung zunächst schein-
bar zur Erklärung des HuDl-Wachstums beitragen können (Bedeutung der HuDl in Innova-
tionsprozessen), so sind beide Ansätze doch insgesamt nicht ausreichend tragfähig. Die
Theorie der langen Wellen erweist sich vor allem wegen ihres Technik-Determinismus und
der daraus resultierenden weitgehenden Ausklammerung des sozialen und politischen Um-
feldes als wenig fruchtbar, während die flexible Spezialisierung vor allem wegen des kon-
struierten Dualismus zwischen großindustrieller Massenproduktion und kleinbetrieblicher
Spezialisierung kritisiert werden muß.
Gerade große Unternehmen verfügen über ausreichend Kapital und Information, um moder-
ne und flexible Technologien im Produktionsprozeß einzusetzen, sie haben darüber hinaus
ein hochqualifiziertes und spezialisiertes Management. Kleine und mittlere Unternehmen
sind dagegen i. d. R. durch eine begrenzte Kapital- und Informationsverfügbarkeit gekenn-
zeichnet, die sich hemmend auf Investitions- und Innovationstätigkeiten auswirken können
und so eher zur Benachteiligung gegenüber großen Unternehmen führen.
Nach der kritischen Bewertung der drei Ansätze erweist sich die Regulationstheorie als der
tragfähigste Ansatz, den sozio-ökonomischen Strukturwandel, und hier besonders die zu-
nehmende Bedeutung der HuDl, zu erklären. Die nichtlineare Perspektive der Regulation-
stheorie bietet einen Zugang, der breit genug angelegt ist, den sozio-ökonomischen Struk-
Die Entwicklung der Dienstleistungen 22
turwandel in ganzheitlicher, nicht-deterministischer Weise zu erklären. Die Dominanz der
Mikroelektronik (lange Wellen) oder der flexiblen Spezialisierung können so vermieden
werden.
Im Konzept des Formationswechsels vom Fordismus zum Post-Fordismus werden über den
gestiegenen HuDl-Bedarf durch den technischen Innovationsdruck hinaus weitere, für die
Zielsetzung dieser Arbeit relevante Phänomene berücksichtigt. Gestiegener HuDl-Bedarf
wird über die technische Dimension hinaus in gleichem Maße auch durch veränderte Ma-
nagement-, Absatz- und Vertriebsprinzipien erklärbar.
In räumlicher Perspektive ist der Formationswechsel der Regulationstheorie zufolge durch
Polarisierungstendenzen zwischen und innerhalb der Städte und Regionen charakterisiert. In
der Überwindung der Krise des Formationswechsels sind nur einige privilegierte Räume
erfolgreich, während andere, besonders die altindustrialisierten Regionen, erstarren und nur
geringe Entwicklungsperspektiven haben.
Trotz ihrer theoretischen Defizite, wie eines wenig ausgearbeiteten Institutionenbegriffes
(siehe hierzu GÖRG 1994 (b)) und eines defizitären Verständnisses von Krisen (siehe hierzu
GÖRG 1994(c)), trägt die Regulationstheorie besonders im Hinblick auf die Zielsetzung die-
ser Arbeit wesentlich zur Erklärung der
- Expansion der HuDl,
- Umstrukturierungen innerhalb der HuDl sowie
- den Veränderungen im Städtesystem bei.
Die Regulationstheorie kann jedoch nicht zur Ableitung konkreter Fragestellungen genutzt
werden, sondern steht als sinnstiftender Interpretationsrahmen im Hintergrund der empiri-
schen Untersuchung.
Trotz der offensichtlichen Bedeutung haben sich nur wenige Autoren (hier vor allem
COFFEY/BAILLY (1992)) speziell mit der Rolle der HuDl in ökonomischen Anpassungspro-
zessen unter regulationstheoretischer Perspektive befaßt. Die Mehrzahl der Arbeiten be-
schäftigt sich mit den Auswirkungen des Formationswechsels auf das produzierende Ge-
werbe. Es wird hier eine gewisse Industrie-Lastigkeit in der Theoriebildung deutlich, die
sich aus der Persistenz marxistischen Denkens und der daraus resultierenden Überbewer-
tung der Produktion ableiten läßt.
Das Standortsystem der höherwertigen unternehmensorientierten Dienstleistungen 23
3.2 Ökonomische Anpassungsprozesse im Formationswechsel
3.2.1 Allgemeine Gesichtspunkte
In der Umbruchphase vom Fordismus zum noch nicht eindeutig zu charakterisierenden
Post-Fordismus7 nehmen die HuDl-Unternehmen in ihrer Funktion als Anbieter von FuE,
Beratungsdienstleistungen, Management usw. eine Schlüsselstellung (allerdings nur für den
wirtschaftlichen Strukturwandel8) ein. In einer unsicheren und sich wandelnden Umwelt
steigt der Bedarf nach HuDl infolge des Innovationsdrucks an (BATHELT 1994, SJÖHOLT
1994). Dienstleistungen werden zu einem wesentlichen Merkmal der Leistungserstellung
(OCHEL 1987) und sind zunehmend mit der Sachgüterproduktion vernetzt (BAILLY 1990:
200). WALKER (1985) bezeichnet diesen ganzen Bereich auch als indirect production la-
bour, der die Wertschöpfung eines Unternehmens erheblich erhöht.
Vier Ebenen charakterisieren diesen Strukturwandel (CUADRADO ROURA 1990: 197ff):
1) Die Art der Produkte ändert sich: Was wird produziert?
2) Der Markt ändert sich: Für wen wird produziert?
3) Die Standorte ändern sich: Wo wird produziert?
4) Der Produktionsprozeß ändert sich: Wie wird produziert?
Hierin sind nur die Unternehmen in der Anpassung und Überwindung der Wirtschaftskrise
erfolgreich, die die fordistische Dequalifizierung der Arbeiter überwunden haben und durch
verstärkten Einsatz von HuDl ihre Wettbewerbsposition verbessern konnten.
Für Frankreich stellt BOYER (1992: 56) hierzu fest:
„Erstens fanden kleine und mittelgroße Betriebe mit großem technischen Wissen und ausreichendqualifizierten Arbeitern erfolgreich Zugang zu neuen ausländischen Märkten, die die inländischenersetzten. Zweitens konnten unter den großen Firmen nur diejenigen den Abbau von Arbeitsplätzenbegrenzen, welche die mit dem Fordismus verbundene Dequalifizierung von Arbeitern gemildertoder aufgegeben haben. Demgegenüber hat sich eine große Mehrheit von Betrieben, die ihrenbisherigen tayloristischen Strategien weiterhin gefolgt sind, ernste Schwierigkeiten zugezogen.“
7 BOYER (1992) spricht deshalb auch nur von einem „neuen Modell“ und vermeidet den Ausdruck „Post-Fordismus“.8 Das gesellschaftlich-soziale System und die politischen Steuerungsmechanismen werden dagegen nur in-direkt von dem wirtschaftlichen Strukturwandel, so z.B. durch soziale Spaltungsprozesse, Massen- undLangzeitarbeitslosigkeit und die sich hieraus ergebenden neuen politischen Aktions- und Reaktionsformenbeeinflußt.
Die Entwicklung der Dienstleistungen 24
BOYER (57ff) diagnostiziert in diesem ökonomischen Anpassungsprozeß zwölf neue Ma-
nagementprinzipien, von denen die für die HuDl relevanten im folgenden aufgeführt und
kommentiert werden.
- Die umfassende Optimierung der Produktionsabläufe erfolgt durch Abbau von Un-
terauslastung der Anlagen unter Anwendung von Konzepten wie der just-in-time Pro-
duktion und Flexibilisierung. Es sollen so die für den Fordismus typischen großen Lager
und die starke Standardisierung abgebaut werden, die beide Störungen des Produktions-
prozesses ausgleichen sollten. Heute dagegen werden die Arbeit, die Halbprodukte und
die Anlagen als jeweils individuell zu optimieren angesehen.
- Forschung, Entwicklung und Produktionsorganisation werden vollständig integriert.
Die fordistische Reihenfolge: Entwicklung - Produktion - Marketing wird aufgebrochen,
um zu lange und unflexible Entwicklungszeiten abzukürzen, die zudem möglicherweise
zu nicht marktgerechten Entwicklungen führen. Kürzere Entwicklungszeiten durch Inte-
gration der drei Schritte führen zu schnellerer Kostendeckung und Flexibilität und somit
zu einer gegenüber der alten Methode wesentlich gesteigerten Produktivität.
- Die Marktnachfrage wird in den Produktionskomplex einbezogen. Nicht länger werden
starre Großserien für die Lager produziert. Die Internationalisierung der Märkte führte
zu größerem Angebot, auf das sich das Volumen der Nachfrage aufteilt. Die Produktion
wird auf die Nachfrage hin ausgebaut und flexibilisiert.
- Größere Dezentralisierung der Produktionsentscheidungen und kleinere Werksanlagen
begegnen der unsicheren und schwankenden Nachfrage.
- Vernetzung und Joint-ventures reduzieren die durch die starke vertikale Integration
anfallenden hohen Fixkosten. Unternehmensfunktionen werden zunehmend externalisiert
und zugekauft (outsourcing).
- Die Arbeitsteilung innerhalb einer Firma wird durch Abbau von Hierarchien und der
Verkleinerung der mittleren Führungsebene reduziert. Der Wert der allgemeinen Bildung
und Ausbildung steigt, die Arbeit wird durch Computerisierung anspruchsvoller, der
Anteil gering qualifizierter Arbeit geht ständig zurück.
Mit diesen neuen Managementprinzipien läßt sich das Wachstum der HuDl auf mehreren
Ebenen erklären. Durch die technische Flexibilisierung der Produktion steigt der Bedarf an
FuE, technischen Beratungs- und Wartungsdienstleistungen an. Die Integration von Ent-
wicklung, Produktion und Absatz erhöht die Bedeutung von Beratung und Planung, die
gestiegenen Qualifikationen die Bedeutung der betrieblichen Aus- und Weiterbildung.
Das Standortsystem der höherwertigen unternehmensorientierten Dienstleistungen 25
Schließlich wird durch outsourcing im Zuge einer organisatorischen Flexibilisierung, d.h.
vor allem durch den Zukauf von HuDl, ein Wachstum angeregt.
Eine einheitliche Umsetzung dieser neuen Strategien ist jedoch nicht zu erwarten:
„Ein gegebenes Set von Institutionen, von unterschiedlichen Strategieentscheidungen in bedeut-samen historischen Phasen (beispielsweise der Zwischenkriegszeit) und die lange Trägheit von kul-turellen und sozialen Werten befördern gewöhnlich eine ganz unterschiedliche Umsetzung dergleichen allgemeinen Prinzipien. Dies war im Fordismus der Fall. Es gibt keinen Grund, warum einesolch starke nationale Vorliebe mit den neuen Managementstilen verschwinden sollte.“ (BOYER
1992: 94)
Auch PERRY (1992: 14) und KLOOSTERMAN (1996: 468) weisen darauf hin, daß nationale
Kontexte von entscheidender Bedeutung sind und die Übertragung sowie die Generalisie-
rung von Prozessen im Formationswechsel von einem Staat auf einen anderen daher nicht
möglich ist.
Die sich hieraus ergebende Rolle der HuDl im Formationswechsel wird im folgenden einge-
hender dargestellt.
3.2.2 Flexibilisierungstendenzen
Obwohl es bisher kaum empirisch abgesicherte Erkenntnisse über den Wandel der
Produktionsstruktur gibt, wird trotzdem vermutet, daß flexible Strukturen in Zukunft eine
wichtige Rolle spielen werden (BATHELT 1995, STERNBERG 1995). Bevor es zu
umwälzenden Umstrukturierungen kommt, werden die festgefügten fordistischen Strukturen
zunächst mit einer neuen Logik (KEIL 1992: 273) überdeckt, so daß die Entwicklung noch
stark von der alten Maske geprägt wird.
Die erwartete Flexibilisierung der gesamten Ökonomie betrifft die HuDl in einem doppelten
Sinne. Zum einen steigt deren Bedeutung in einer flexibilisierten ökonomischen Umwelt an,
zum anderen unterliegen sie selbst der Flexibilisierung. Beide Aspekte werden im folgenden
eingehender beleuchtet, zunächst sind jedoch die verschiedenen Ebenen der Flexibilisierung
aufzuzeigen.
Flexibilisierungsansätze lassen sich auf vier Ebenen feststellen:
- Es findet durch den Einsatz computergesteuerter Maschinen eine technische Flexibili-
sierung statt,
- die Arbeit wird flexibilisiert,
Die Entwicklung der Dienstleistungen 26
- Unternehmen flexibilisieren sich durch vertikale Desintegration und
- die Internationalisierung nimmt zu.
Die Flexibilisierungstendenzen verursachen das Wachstum der HuDl, gleichzeitig ermöglicht
deren Ausdifferenzierung und Innovationskraft erst das rasche Vordringen der flexiblen
Produktion (COFFEY/BAILLY 1992). Räumlich führt die Flexibilisierung zur Herausbildung
neuer industrial spaces sowie zur Restrukturierung bestehender Industrieagglomerationen.
3.2.2.1 Technische Flexibilisierung
Die technische Flexibilisierung durch den Einsatz computergesteuerter Maschinen ermög-
licht die wirtschaftliche Produktion auch kleinerer Serien sowie die Anpassung an die sich
immer schneller ändernden Marktbedingungen (JESSOP 1992). Durch die Abkopplung des
Lebenszyklus der Maschinen vom Lebenszyklus der Produkte (DUNFORD 1990) wird eine
höhere Wertschöpfung angestrebt.
Der Einsatz flexibler Technologien ist jedoch nicht risikolos. Aus der langen, von bestimm-
ten Produktlinien unabhängigen Lebensdauer der flexiblen Maschinen ergibt sich ein hohes
Investitionsrisiko, da man sich bei der Erstanschaffung auf eine bestimmte Konfiguration
und somit eine bestimmte Entwicklungslinie festlegt. Weil die Kosten für software-updates
etc. sehr hoch sind, ist nicht sichergestellt, ob diese Maschinen insgesamt günstiger sind als
fordistische Ein-Zweck-Anlagen, die nach Ende eines Produktionszyklus einfach ausge-
tauscht werden (BATHELT 1995: 197f).
Gerade der hohe Kapitaleinsatz und die sich dadurch ergebenden Marktzutrittsbarrieren füh-
ren nicht nur zur Flexibilisierung kleiner und mittlerer Unternehmen, sondern vor allem zur
Flexibilisierung von Großkonzernen, die sich damit den geänderten Rahmenbedingungen
anpassen.
HuDl nehmen in der Umsetzung der technischen Flexibilisierung eine zentrale Stellung ein.
Technisch hochwertige Anlagen können nur durch intensive FuE-Arbeit entwickelt und im-
plementiert werden. Wenn auch die Bedienung solcher Anlagen durch lernfähige Maschinen
und einfache Programmierung immer leichter wird, so ist doch zur Instandhaltung nach wie
vor eine hohe Qualifikation der Beschäftigten erforderlich, so daß der Wert betrieblicher
und außerbetrieblicher Ausbildung steigt.
Das Standortsystem der höherwertigen unternehmensorientierten Dienstleistungen 27
3.2.2.2 Flexibilisierung der Arbeit
Die Arbeit unterliegt einer doppelten Anpassung: sie wird sowohl numerisch als auch funk-
tional flexibilisiert (PERRY 1992).
Die numerische Flexibilisierung umfaßt die Lockerung der tarif- und arbeitsrechtlichen Be-
stimmungen, den Ausbau der Teilzeit-, Heim- und freien Mitarbeit mit befristeten Verträgen
und variabler Gestaltung der täglichen und wöchentlichen Arbeitszeit bis hin zur Lebensar-
beitszeit.
Als wesentliches Kennzeichen der numerischen Flexibilisierung der Arbeit ist daher die Re-
duzierung der Kernbelegschaft bei gleichzeitigem Aufbau einer flexibel verfügbaren Ar-
beitskraftreserve zu sehen. Es bildet sich ein dualer Arbeitsmarkt von Kern- und Peripherbe-
schäftigten heraus (PERRY 1992: 4).
Die Koordinierung und Kontrolle der flexiblen Arbeitsverhältnisse und die sich hieraus er-
gebende quantitative Anpassung der Belegschaft an Konjunkturzyklen hebt die Bedeutung
des Managements und somit auch der HuDl.
Die funktionale Flexibilisierung versucht, durch Aufhebung der strikten tayloristischen Ar-
beitsorganisation mit den bekannten Schwächen (stark zergliederter Arbeitsablauf, Motiva-
tionsverluste, Anpassung an maschinenbestimmte Arbeitsintervalle) die Überwindung der
sozialen Grenzen (Demotivation, Streiks, Absentismus und sinkende Arbeitsleistung) der
fordistischen Wachstumsstruktur und eine größere Produktivität zu ermöglichen (BATHELT
1995: 181f, ILLERIS 1991).
Es wird angenommen, daß so dem zu verzeichnenden fordistischen productivity slow-down
durch die Reduzierung der tayloristischen Zersplitterung des Arbeitsablaufs begegnet wer-
den kann. Die Mechanisierung stößt nämlich dann an ihre Grenzen, wenn die Kapitalintensi-
tät der Produktion nicht mehr durch steigende Produktivität aufgefangen werden kann
(LÄPPLE 1986: 913). Die Aufhebung der strikten tayloristischen Arbeitsteilung und die sich
hierdurch ergebende vielseitigere Qualifikation der Beschäftigten läßt den Bedarf an be-
trieblicher und außerbetrieblicher Aus- und Weiterbildung, und damit nach Dienstleistungen,
steigen.
3.2.2.3 Die Externalisierung von Unternehmensfunktionen
3.2.2.3.1 Allgemeine Überlegungen zur Externalisierung
Die Entwicklung der Dienstleistungen 28
Bei der Erklärung der Externalisierung von Unternehmensfunktionen nimmt der transakti-
onskostentheoretische Ansatz (WILLIAMSON 1975, 1985) eine zentrale Stellung ein.
Ökonomische Organisationen sind danach Ausdruck der Bemühungen um minimale Trans-
aktionskosten, die bei der Koordination ökonomischer Handlungen, ob innerhalb eines Un-
ternehmens oder zwischen mehreren Unternehmen, anfallen (STAUDACHER 1991: 72ff). Die
Höhe der Transaktionskosten bestimmt sich aus der
(1) Ressourcenspezifität: spezifische Ressourcen haben nur einen beschränkten Ein-
satzbereich; mit sinkender Ressourcenspezifität steigt die Flexibilität des Einsatzes.
(2) Unsicherheit: bei unspezifischen Ressourcen ist die Unsicherheit nur gering, da sie
vielseitig einsetzbar sind. Die hohe Unsicherheit bei spezifischen Ressourcen läßt das In-
teresse an Kontinuität wachsen.
(3) Tauschfrequenz: eine hohe Tauschfrequenz verursacht aufgrund der starken Ka-
pazitätsausschöpfung nur geringe Kosten, mit abnehmender Tauschfrequenz dagegen
steigen die Kosten (GRABHER 1988).
Der sozio-ökonomische Strukturwandel verursacht Informationsdefizite, die hohe externe
Transaktionskosten, aber auch hohe interne Kosten verursachen. Sind die internen Transak-
tionskosten höher als die externen, kommt es zur Externalisierung von Unternehmensfunk-
tionen. Externalisiert werden i. d. R. Funktionen, die abgrenzbar und definierbar sind und
deren Tauschfrequenz in Grenzen absehbar ist (STRAMBACH 1993: 44).
WIELAND (1995: 20ff) entwickelt zur Konkretisierung der Schwelle zur Externalisierung
von Unternehmensfunktionen das SMITH-STIGLER-COASE-Paradigma. Die drei auf SMITH,
STIGLER und COASE zurückgehenden Grundaussagen dieses Paradigmas sind:
SMITH: Die Größe des Marktes bestimmt das Ausmaß der Arbeitsteilung. Ein kleiner
Markt erlaubt keine Spezialisierung.
STIGLER: STIGLER überträgt SMITH'S Aussagen auf unternehmensinterne Entwicklungen.
Mit der Unternehmensgröße wächst die Wahrscheinlichkeit der Abspaltung von Un-
ternehmensteilen, da die internen Managementkosten zur Verwaltung dieser Spezialbe-
triebe ab einer bestimmten Größe zu sehr steigen.
COASE: Auch Marktbeziehungen haben ihre Kosten, eine Externalisierung wird erst
rentabel, wenn die internen Managementkosten höher sind als die externen Transaktions-
kosten.
Das Standortsystem der höherwertigen unternehmensorientierten Dienstleistungen 29
Der Grundgedanke des SMITH-STIGLER-COASE-Paradigmas ist demnach, daß Größenvortei-
le bei einer Unternehmensfunktion dazu führen, daß ein Teil des Outputs für den Markt
produziert wird. Das Verhältnis von internen zu externen Transaktionskosten entscheidet
dann darüber, ob die Produktion in einem selbständigen Unternehmen erfolgt bzw. zuge-
kauft wird. Ein Unternehmen ist dann optimal integriert, wenn beide Kostenarten sich die
Waage halten. (WIELAND 1995: 22f).
Die Externalisierung von Unternehmensfunktionen wird intensiv unter der Netzwerkhypo-
these diskutiert (GRABHER 1988, HELLGREN/STJERNBERG 1987, JOHANNISSON 1987,
JOHANSON/MATTSON 1987, DE JONG/MACHIELSE/DE RUIJTER 1992, STRAMBACH 1993,
WINCKLER ANDERSEN ET AL. 1990).
Netzwerke haben zwar eine starke metaphorische Kraft, sind aber schwierig zu erfassen und
zu bearbeiten. Es ist schwer zu trennen, ob in der Netzwerkdiskussion beobachtbare Phä-
nomene oder empfohlene Entwicklungslinien behandelt oder gemeint sind (MAYÈRE/VINOT
1993: 77). Die inhaltliche Bedeutung von Netzwerk ist daher ständig zu hinterfragen.
Netzwerke9 können das Ergebnis von Bemühungen um minimale Transaktionskosten sein,
indem sie eine Zwischenstellung zwischen hierarchischen (unternehmensinternen) und preis-
determinierten (marktgesteuerten) Beziehungen einnehmen. Sie sind diesen beiden Reinfor-
men überlegen, da sie (a) stabil und dauerhaft sind und (b) gegenüber hierarchischen Bezie-
hungen eine weitaus größere Redundanz aufweisen und insgesamt eher kooperativ als kom-
petitiv sind (STRAMBACH 1993). Netzwerke ermöglichen kleinen Unternehmen, in Branchen
mit hohen Marktzutrittsbarrieren (Skalenertrags-Zutrittsbarrieren, Absolutkosten-
Zutrittsbarrieren, Produktdifferenzierungs-Zutrittsbarrieren) Fuß zu fassen. Nicht mehr das
Modell des autarken Großunternehmens wird angestrebt, sondern die Nutzung der Vorteile
vieler kleiner Unternehmen auf dem sich weiter differenzierenden Markt steht im Vorder-
grund (GRABHER 1988).
Eine besondere Ausprägung von Netzwerken sind die kreativen Milieus. Beim kreativen
Milieu tritt die Art der Beziehung zwischen regionalen Institutionen in den Vordergrund.
Nicht die bloße Koexistenz von Unternehmen und Forschungseinrichtungen, sondern erst
eine Vernetzung und damit verbundene Synergieeffekte schaffen das entscheidende innova-
tionsfördernde Umfeld. Die Erfassung eines kreativen Milieus ist allerdings mit gewissen
Problemen behaftet (siehe hierzu FROMHOLD-EISEBITH 1995).
9 Je nach Definition darf man nur bei Beziehungen zwischen gleichberechtigten und unabhängigen Partnernvon Netzwerk sprechen (vgl. hierzu POWELL 1990). Da der Begriff sich aber auch zur Bezeichnung vondurch bestimmte Abhängigkeitsverhältnisse charakterisierte Beziehungen durchgesetzt hat, wird er auchhier verwendet.
Die Entwicklung der Dienstleistungen 30
Ob Netzwerke tatsächlich ein zukünftiger Schlüsselfaktor für die Beschäftigung, Wert-
schöpfung und Wettbewerbsfähigkeit sind (WINCKLER ANDERSEN ET AL. 1990), muß be-
zweifelt werden, denn die postulierte Redundanz in Netzwerkbeziehungen wird durch die
zunehmende Dominierung der Zulieferer durch ihre Abnehmer ersetzt (BREMM/DANIELZYK
1993: 25).
Zudem können die langen, dezentralen Kommunikationswege in Netzwerken in Zeiten ra-
schen Wandels ungünstiger und teurer sein als kurze, hierarchische. Die Flexibilität kann in
Hierarchien trotz der möglicherweise sub-optimalen Entscheidungen aufgrund der kurzen
Informationswege größer sein, da schneller auf Veränderungen reagiert werden kann. Der
Befehl ersetzt die Diskussion.
Gegen das Eingehen von Netzwerkbeziehungen spricht zudem, daß strategisch bedeutsame
Informationen vertraulich behandelt werden müssen. Dies kann intern besser gewährleistet
werden als in Vertragsbeziehungen. Hinzu kommen Überzeugungsprobleme: Die Markt-
partner müssen von neuen Produkten, Verfahren oder Technologien erst überzeugt werden,
die internen Barrieren sind hier bedeutend niedriger, und es kann somit schneller und flexi-
bler gehandelt werden (WIELAND 1995).
Netzwerke sind gegenüber hierarchischen Beziehungen also nicht grundsätzlich im Vorteil.
Es muß zudem angemerkt werden, daß Netzwerkbeziehungen unabhängig von räumlicher
Nähe oder Ballung bestimmter Firmen sind. Es hat sich in einer Reihe von Untersuchungen
herausgestellt (u.a. HAUFF 1995), daß räumliche Nähe verschiedener Firmen eines Produk-
tionssektors weder zu horizontalen noch zu vertikalen Netzwerkbeziehungen in nennens-
wertem Umfang geführt hat.
Auf der anderen Seite vertritt GRABHER (1994) die These, daß gerade die verschwenderi-
sche Vielfalt redundanter Entwicklungslinien durch ihre Offenheit zum Erreichen der ange-
strebten Ziele beitragen kann:
„Durch die Tolerierung unterschiedlicher (nicht-optimaler) Entwicklungspfade erhöht der Verzicht[auf Maximaleffizienz und Optimalität] die Varianz von Entwicklungsoptionen und erweitert damitsozusagen den genetischen Pool für die Entwicklung neuer Lösungen. In diesem Sinne wirdEntwicklung nicht durch einen von Knappheit oktroyierten (geradlinigen) >one best way<vorangetrieben als vielmehr durch eine >verschwenderische< Produktion von (kurvenreichen)Entwicklungspfaden, die Optionen offenhalten.“ (GRABHER 1994: 13)
GRABHER geht von endogenen Blockierungen aus, die durch eine einseitige Anpassung von
Regionen an bestimmte Entwicklungspfade, beispielsweise im Ruhrgebiet, bedingt sind und
dadurch die regionale Anpassungsfähigkeit wesentlich einschränkten.
Das Standortsystem der höherwertigen unternehmensorientierten Dienstleistungen 31
„Regionale Anpassungsfähigkeit hängt ganz entscheidend von der Verfügbarkeit von überschüssigenund ungebundenen Ressourcen ab, die für eine Vielzahl vorher nicht bestimmbarer Zwecke ein-setzbar sind.“ (GRABHER 1994: 16)
Zwar bezieht sich GRABHER auf die regionale Anpassungsfähigkeit, doch sind Regionen
keine unabhängigen, festgefügten Gebilde, sondern bestimmen sich aus inhaltlichen Größen
wie Wirtschafts- und Sozialstruktur, Bevölkerungsdichte etc. Demnach ist mit der hier an-
gesprochenen regionalen Anpassungsfähigkeit im Kern die Anpassungsfähigkeit der Unter-
nehmen zu verstehen, die durch redundante unternehmerische Entwicklungslinien, wie sie
etwa für Netzwerkbeziehungen typisch sind, erhöht wird. Im Zuge immer kürzer werdender
Lebensspannen von Produktlinien, Herstellungs- und Vertriebsverfahren erlangt eben diese
Vielfalt optionaler Entwicklungspfade steigende Bedeutung und ist gerade unter dieser Per-
spektive hierarchischen, eindimensionalen Strukturen überlegen.
Aufgrund der vorangegangenen Überlegungen kann die Effizienz von Netzwerken also nicht
abschließend beurteilt werden. Dennoch kann der Netzwerkansatz grundsätzlich zum Ver-
ständnis der steigenden Bedeutung der HuDl in modernen Ökonomien beitragen.
3.2.2.3.2 Die Externalisierung von HuDl
Zwei Prozesse im Umstrukturierungsprozeß der Wirtschaft bestimmen die Expansion der
HuDl: Funktionales und sektorales Wachstum. Dabei werden die Externalisierung von
Diensten im Zuge einer vertikalen Desintegration (unbundling), also einer reinen Verschie-
bung von innen nach außen, und die Externalisierung von Diensten infolge eines steigenden
Bedarfs an Dienstleistungen (contracting out) unterschieden (O'FARRELL/
MOFFAT/HITCHENS 1993). Untersuchungen in Südost-England haben gezeigt, daß für den
jeweiligen Betrieb wesentliche Dienstleistungsfunktionen eher intern verrichtet werden,
während hochspezialisierte und selten nachgefragte bzw. auf einem schwankenden Bedarf
basierende Dienste aus Kostengründen externalisiert werden.
Auch OCHEL/WEGENER (1987) identifizieren potentielle Kostenersparnisse, eine bessere
Qualität, eine größere Flexibilität und die zunehmende Komplexität und Spezialisierung von
HuDl als Motive für die Externalisierung. Beispielsweise werden Werbung, Graphik-Design
und Marktforschung eher vergeben, während FuE, Produkt-Design, Produkt-Planung und
Qualitätskontrolle eher intern verrichtet werden. Wesentlich ist auch die Qualität des con-
tracting-out, die bedeutsamer ist als die reine Anzahl der vergebenen Funktionen. Zudem
variiert der Grad an Externalisierung mit dem Standort. STANBACK ET AL. (1981) vermuten,
daß sub-contracting in starkem Maße an hochzentrale, urbane Standorte gebunden ist.
Die Entwicklung der Dienstleistungen 32
Der Prozeß der internen Diensterstellung wird in diesem Zusammenhang häufig übersehen,
da er statistisch nicht so einfach zu beobachten ist wie das contracting-out. TORDOIR (1994)
stellt hierzu fest, daß nur ein geringer Teil dieser Dienste in einer Arzt-Patient-Beziehung,
d.h. ein Laie sucht professionelle Hilfe, erbracht wird. Die Nachfrage nach extern angebote-
nen HuDl geht normalerweise von intern erbrachten Dienstleistungen aus, die zur Bewälti-
gung bestimmter Probleme externe Dienste in Anspruch nehmen. Eine scharfe Trennung
zwischen internen und externen Diensten ist somit nicht möglich, da die externen von den
internen geführt oder überwacht werden.
„In most cases, an inside professional acts as the manager of an outside professional, temporarilyworking on the client's premises. Thus, the use of external services follows from the development ofinternal professional functions: without internal professional capacity, no rational governance ofservice inputs can take place.“ (TORDOIR 1994: 325)
Auch HANSEN (1990) bemerkt, daß nicht nur die Externalisierung (wie noch von RAJAN
(1986) postuliert) von Dienstleistungen zum Wachstum des Sektors beigetragen hat, son-
dern daß eine allgemeine Expansion der HuDl hier von Bedeutung ist. Diese Expansion ist
der Schlüssel zur Beurteilung der zunehmenden Arbeitsteilung, in der es nicht mehr um die
Frage große vs. kleine Unternehmen geht, sondern in der sich wirtschaftliche Aktivitäten
zunehmend und sektorübergreifend vernetzen.
Die Nutzung von externen HuDl hängt wesentlich von der Firmengröße und dem Firmensta-
tus ab: Große Unternehmen nutzen externe HuDl eher als kleine. Zweigbetriebe10 verrichten
HuDl eher intern als extern, selbständige Firmen nutzen eher lokal angebotene HuDl als
große Unternehmen. Die meisten HuDl werden regional erbracht und gekauft, es sind aber
auch hiervon abweichende Strömungen zu erkennen (ILLERIS 1991).
Externalisierung und Internalisierung bilden somit keine Dichotomie, sondern stellen zwei
voneinander abhängige, sich in steter Veränderung befindende Elemente der Entwicklung
von der Industriegesellschaft zur Netzwerk-Wirtschaft (VAN DINTEREN ET AL. 1994) dar. In
dieser Netzwerk-Wirtschaft werden immer weniger Unternehmen dem Typ Ein Produkt, Ein
Produktionsstandort entsprechen, und immer mehr werden sowohl in ihrer Produktions- als
auch Standortstruktur differenziert sein. Sie bilden kleine Marktsysteme, haben einen varia-
blen Input-Mix und können so ihre Transaktionskosten minimieren (COFFEY/BAILLY 1992).
Insbesondere diese Entwicklung steigert den Bedarf an Dienstleistungen (MARTINELLI
1991(a)).
10 POTTER (1995) vermutet, daß durch die Spezialisierung der Unternehmen auch die Nutzung von HuDleine gestiegene Bedeutung für Zweigbetriebe erlangt und diese eine größere strategische Bedeutungbekommen.
Das Standortsystem der höherwertigen unternehmensorientierten Dienstleistungen 33
Gleichzeitig zur äußeren Flexibilisierung halten fordistische Produktionsprinzipien
(Taylorisierung des Produktionsprozesses) in Dienstleistungsunternehmen Einzug. Neben
einer Expansion der HuDl infolge des wachsenden Bedarfs nach Dienstleistungs-Input in der
flexiblen Produktion unterliegen sie auch selbst Externalisierungs- und Flexibilisierungspro-
zessen, da die Nachfrage immer spezifischer und enger wird.
Ein Merkmal dieser Anpassung innerhalb der HuDl ist die Auslagerung von bestimmten
Funktionen in back offices. Zunächst waren nur standardisierte Routinefunktionen hiervon
betroffen, gegenwärtig werden jedoch bereits auch schon hochqualifizierte Tätigkeiten,
z. B. Software-Programmierung, externalisiert und in Billiglohnländer verlagert.
3.2.2.4 Die Internationalisierung der Ökonomie
Ein Hauptmerkmal der ökonomischen Entwicklung seit dem Zweiten Weltkrieg ist die In-
ternationalisierung der Wirtschaft. Sie kann zunächst als Antwort auf die Krise der Produk-
tion gesehen werden, wirkt aber inzwischen selbst als eigenständiger Faktor gestaltend auf
den Kapitalismus ein (STORPER/SCOTT 1986). Sachgüterproduktion und Dienstleistungen,
insbesondere HuDl, unterliegen in zwei Bereichen der Internationalisierung: Sowohl der
Handel mit Sachgütern und Dienstleistungen, als auch Direktinvestitionen auf ausländischen
Märkten bilden die zentralen Komponenten des Globalisierungsprozesses. Märkte sind nicht
länger geschlossene, nationalstaatliche Systeme, sondern werden zusehends offener und
damit auch sensibler für global ablaufende Prozesse.
Von besonderem Interesse für diese Arbeit ist die Internationalisierung im HuDl-Bereich,
die sich auf zwei Ebenen ausdrückt. Erstens werden HuDl, wie auch Sachgüter, zunehmend
weltweit gehandelt, und zweitens werden in Form von Auslandsdirektinvestitionen neue
Märkte auch im HuDl-Bereich erschlossen.
Der internationale Handel mit Dienstleistungen ist allerdings sehr schwer zu quantifizieren,
da zum einen der firmen- bzw. konzern-interne Handel nicht erfaßt wird und zum anderen
die statistische Gliederung sehr grob ist und im wesentlichen nur Transportdienstleistungen
vom ganzen Rest unterscheidet (DANIELS 1993).
Der andere Bereich der Internationalisierung sind die Auslandsdirektinvestitionen. Häufig
reicht der Handel von HuDl nicht aus, da Bedarf an direkter Präsenz besteht (DANIELS
1993: 89ff). So hat sich z.B. die Struktur des Bestandes an ausländischen Direktinvestitio-
nen zugunsten des Anteils des Dienstleistungssektors zwischen 1970 und 1990 von 31% auf
50% erhöht (vgl. UNCTAD 1995: 10). Geprägt wurde diese Entwicklung besonders durch
den Bereich der Finanzdienstleistungen und der Handelsniederlassungen (DANIELS 1993:
90f)
Die Entwicklung der Dienstleistungen 34
Der Transfer von Kapital und Know-how ermöglicht die flexible Nutzung von Standortvor-
teilen in der Produktion und die Neuerschließung von Märkten im globalen Maßstab. Die
Globalisierung darf jedoch nicht überbewertet werden. Die terms-of-trade der führenden
Nationen (Japan, USA und die westeuropäischen Staaten) haben sich seit den 60er Jahren
(bis auf einen leichten Anstieg von Im- und Exporten) kaum geändert (BUDD 1995: 345).
Im Rahmen der Internationalisierung ist für diese Arbeit die zunehmende Verselbständigung
des HuDl-Sektors, insbesondere des FIRE-Sektors (Finance, Insurance, Real Estate), zu
einem von den der Produktion direkt vor- bzw. nachgelagerten Dienstleistungen
abgekoppelten, eigenständigen Wachstumsmotor von grundlegender Bedeutung. Die
Bevorzugung bzw. Gefährdung bestimmter Standorte durch diesen Sektor mit seinen
Internationalisierungstendenzen und den sich daraus ergebenden Verschiebungen im
Städtesystem bilden eine wesentliche Determinante in der Entstehung räumlicher
Disparitäten.
Begünstigt wird die Internationalisierung vor allem durch die Verbesserungen im Bereich
der Telekommunikation, der Beschleunigung des Personentransports sowie der Deregulie-
rung nationaler Dienstleistungsmärkte (DANIELS 1993: 26ff).
Der These von der Globalisierung der Märkte stellt JOHNSON (1991) die der Regionalisie-
rung entgegen. Geht man von einer allgemeinen Globalisierung aus, müßten sich auf der
ganzen Welt ähnliche Entwicklungen abspielen, in der Tat profitieren aber nur bestimmte
Regionen von diesen (insbesondere in Asien und Europa), während andere (Afrika, Latein-
amerika) nur sehr begrenzte Wachstumstendenzen zeigen.
3.2.3 Die Netzwerk-Wirtschaft
Als ein Grundpfeiler des Strukturwandels wird von vielen Autoren die wachsende Arbeits-
teilung innerhalb der Wirtschaft, d.h. in der Sachgüterproduktion, aber auch zwischen Sach-
güterproduktion und HuDl, gesehen (BÖRDLEIN 1992, BRAKE/BREMM 1993, BRITTON
1990, DICKEN 1992, ILLERIS 1991, HANSEN 1990, MARTINELLI 1991(a), QUINN 1988, VAN
DINTEREN ET AL. 1994).
Abgelöst von diesem Ansatz wird die überkommene Annahme, daß eine reine Verschiebung
wirtschaftlicher Aktivitäten vom sekundären zum tertiären bzw. quartären Sektor erfolge
und damit die Dienstleistungs- an die Stelle der Industriegesellschaft trete (BELL 1973).
Beziehungen zwischen Unternehmen bedürfen jedoch nicht in jedem Fall der räumlichen
Nähe; funktionale Bindungen sind auch über größere Distanzen möglich.
Das Standortsystem der höherwertigen unternehmensorientierten Dienstleistungen 35
Der Begriff Deindustrialisierung ist demzufolge irreführend, da ein genereller Schrump-
fungsprozeß der Industrie unterstellt wird. Hiervon betroffen sind jedoch vor allem unflexi-
ble, alte und reife Industrien. Es findet eine Umstrukturierung statt, bei der diese Industrien
aufgrund ihrer Strukturprobleme von flexiblen Unternehmen mit entsprechenden Wettbe-
werbsvorteilen abgelöst werden. Die enge Verbindung und gegenseitige Abhängigkeit von
HuDl und Industrie lassen ein Verschwinden der Industrie ohne gleichzeitige negative
Auswirkungen auf die HuDl gar nicht zu. Deindustrialisierung ist also nur als Abbau alter
Industrien zu verstehen.
Unternehmen tauschen ständig Informationen mit der Umwelt aus. Wenn sich die Umwelt
ändert, muß sich das Unternehmen anpassen. Je schneller die Veränderungen ablaufen, um
so komplexer ist dieser Anpassungsprozeß. Erbracht wird diese Anpassung von den
Dienstleistungen und hier vor allem von den HuDl (u.a. Unternehmensführung, Marketing,
Controlling, Rechtsberatung, EDV-Einsatz, FuE), die somit für die Innovations- und An-
passungsfähigkeit eines Unternehmens von zentraler Bedeutung sind (NOLL 1988,
O'FARRELL/HITCHENS/MOFFAT 1995). Im Zuge der Flexibilisierung und der damit verbun-
denen angepaßten Produktion im Post-Fordismus ist als übergeordnete Funktion der HuDl
zusätzlich zu den Genannten das customizing, d.h. die Anpassung der Produkte an die je-
weiligen Wünsche und Anforderungen der Kunden, zu betrachten (MARTINELLI 1991(b)).
Die sich hieraus ergebende Vernetzung von Produktion und HuDl, die, abhängig von den
anfallenden Transaktionskosten, sowohl unternehmensintern als auch unter Einbeziehung
externer Dienstleistungsanbieter erfolgen kann, ermöglicht starke Produktivitätszuwächse
sowie steigende Einkommen (HANSEN 1990). ILLERIS (1991) schreibt so auch das wirt-
schaftliche Scheitern der Staaten Ost-Europas dem fehlenden Dienstleistungssektor zu.
Unter den besonderen Bedingungen sozialistischer Wirtschaftsweise in der industriellen
Phase wirkte der nur schwach ausgebildete Dienstleistungssektor wenig limitierend, doch in
der Phase der Umstrukturierung und den damit verbundenen gestiegenen Anforderungen an
Produktivität und Wettbewerbsfähigkeit tritt das Fehlen der HuDl deutlich zutage.
In diesem Prozeß der wachsenden Arbeitsteilung haben sich bestimmte Teile der HuDl, vor
allem in großen Unternehmen und Konzernen im Bereich der Finanzdienstleistungen, ver-
selbständigt und sich zu einem eigenen Investitionsbereich entwickelt (BRITTON 1990: 543).
Ein großer Teil des HuDl-Wachstums ist heute hierauf zurückzuführen.
Die überkommene Basic-Nonbasic Argumentation, nach der Dienstleistungen im wesentli-
chen der abgeleiteten Nachfrage zugeordnet sind, wird somit abgelöst (BUCK 1988). GUILE
(1988: 1) stellt hier fest:
„Service Industries are core economic functions in any economy and are the dominant economic ac-tivity in industrialized nations, accounting for the majority of both jobs and national output.“
Die Entwicklung der Dienstleistungen 36
Den HuDl, die eine strategische Position für die Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen
einnehmen, kommt somit eine zentrale Rolle zu. Ein reiner Input-Output-Vergleich
(Sachgüterproduktion-HuDl) ist allerdings nicht möglich, da hier die für die Wettbewerbs-
fähigkeit und Produktivität der Unternehmen angesprochenen strategischen Funktionen der
Dienste unberücksichtigt bleiben. Stattdessen betrachtet man heute beide Bereiche als ver-
netzt und komplementär, beide bedingen sich gegenseitig und können nicht voneinander
losgelöst betrachtet werden. Ähnlich beurteilen BADE (1986), COFFEY (1992), SCHAMP
(1995), STRAMBACH (1993, 1994) und WOOD (1986) die Bedeutung von wissensintensiven
Firmen, deren direkter Einfluß auf den Arbeitsmarkt, vor allem wegen der geringen Größe
vieler dieser Firmen, als niedrig angesehen wird. Viel wichtiger seien die indirekten Einflüs-
se, die durch die Stärkung der Marktposition von Unternehmen im produzierenden Bereich
ausgingen:
„...many service activities play a strategic role in facilitating the operationalisation of the flexiblemanufacturing concept, which places heavy demands on the firm's ability to co-ordinate and to man-age the flow of production.“ (COFFEY 1992: 139)
„Manufacturing inputs include more than raw materials, parts and components and labour: as wehave seen, services play an important and expanding role in the production of goods. The forwardand backward linkages of a manufacturing enterprise involve not just the transport of physical ob-jects, but also the communication of information, expertise and technical ability.“ (COFFEY/BAILLY
1992: 862)
Somit erweist sich die Unterscheidung Sachgüter vs. Dienstleistungen als nicht länger halt-
bar, da beide Bereiche eng miteinander verknüpft sind (sog. packages). Der Dienstlei-
stungsanteil in Sachgütern steigt ständig weiter an, die Trennung der beiden Bereiche kann
nicht mehr aufrechterhalten werden (BAILLY 1990, BRITTON 1990, COFFEY/BAILLY 1990,
CORIAT/PETIT 1991, DANIELS 1991, O'FARRELL/HITCHENS 1990, SCHAMP 1995). Die Pro-
duktion von Sachgütern benötigt zum Funktionieren Dienstleistungen und umgekehrt (siehe
hierzu auch DICKEN 1992: 352ff). Die Beziehung des produzierenden Gewerbes zu den
Dienstleistungen muß daher als ein symbiotisches Verhältnis angesehen werden, in dem kein
Bereich als entweder dominierend oder unproduktiv betrachtet werden darf.
Es muß jedoch angemerkt werden, daß die Nutzer von HuDl heute allenfalls einen geringen
Überblick darüber haben, inwieweit die Inanspruchnahme von HuDl ihr Geschäftsergebnis
tatsächlich beeinflußt. In der Regel sind die Effekte der HuDl nahezu unbekannt. Die Zeit-
spanne zwischen Entwicklung und Markteinführung eines Produktes erschwert die Ab-
schätzung der Bedeutung von HuDl, so daß deren Effizienz bei der Produktentwicklung nur
schwer zu ermitteln ist (O'FARRELL/MOFFAT 1995).
Die traditionelle Neoklassik mit ihrem Marktmodell erweist sich daher bei näherer Betrach-
tung für die Erklärung der Expansion des Dienstleistungssektors, und hier vor allem der
HuDl, als ungeeignet. Die Annahme einfacher Input-Output Beziehungen wird der komple-
Das Standortsystem der höherwertigen unternehmensorientierten Dienstleistungen 37
xen Realität der HuDl nicht gerecht. Die Produktion von Wissen und Information erfolgt
über eine Vielzahl von Ein- und Ausgängen, bei denen der Kunde zum Co-Produzenten und
der Produzent von Dienstleistungen zum Co-Kunden wird (DANIELS/MOULAERT 1991,
MOULAERT/MARTINELLI /DJELLAL 1991).
Je höherwertiger die Funktion der Dienstleistungen ist, um so mehr verwischen die Grenzen
zwischen Anbietern und Abnehmern. Die Rollen sind nicht mehr einfach zu bestimmen und
festzulegen. Ein reines Verhalten als Kunde oder Anbieter, wie in der Neoklassik üblicher-
weise unterstellt, existiert nicht mehr. Die HuDl bilden ein hochkomplexes, vernetztes Ge-
füge untereinander und mit anderen Wirtschaftszweigen.
3.2.4 Zusammenfassung
Wie gezeigt, erfolgt im Strukturwandel nicht eine reine Verschiebung wirtschaftlicher Ak-
tivitäten vom sekundären zum tertiären Sektor, sondern den Formationswechsel charakteri-
siert besonders eine qualitative Änderung und zunehmende Vernetzung in der Wirtschaft:
Zusammenfassend läßt sich vor allem folgender Ursachenkomplex für die gestiegene Bedeu-
tung und das explosionsartige Wachstum der HuDl ausmachen:
1) Globalisierung von Sachgüterproduktion und HuDl,
2) Ausdifferenzierung der Märkte,
3) verschärfter Wettbewerb,
4) technologischer Wandel,
5) organisatorischer Wandel.
6) Selbstverstärkungseffekte: Zur Bewältigung des zunehmenden Informationsflusses
werden selbst wieder HuDl benötigt. (ILLERIS 1989: 55f)
3.3 Die Bedeutung der HuDl für die Regionalentwicklung und -politik
Die in den vorangegangenen Abschnitten skizzierte grundlegende Bedeutung der HuDl im
wirtschaftlichen Strukturwandel läßt sie als einen entscheidenden Faktor in der Regional-
entwicklung erscheinen. Regionalentwicklung ist hier in einem doppelten Sinne zu verste-
hen. Das empirische Verständnis umfaßt die beobachtbaren Auswirkungen, die HuDl auf die
Die Entwicklung der Dienstleistungen 38
- vor allem ökonomische - Regionalentwicklung haben. Das normative Verständnis bezieht
sich dagegen auf die regionalpolitische Bedeutung der HuDl.
Im folgenden wird, aufbauend auf dem im Verhältnis zur Entwicklung der haushaltsorien-
tierten Dienstleistungen überdurchschnittlichen Anstieg der HuDl und deren strategischer
Bedeutung für die Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen die ökonomische Bedeutung der
HuDl abgeleitet. Daraus ergeben sich dann regionalpolitische Schlußfolgerungen.
Nach dem Wachstumseinbruch Mitte der 1970er Jahre und dem daraus resultierenden so-
zio-ökonomischen Strukturwandel läßt sich eine zunehmende Fokussierung des öffentlichen
Bewußtseins auf den Dienstleistungssektor als Hoffnungsträger für die zukünftige Siche-
rung und Stabilisierung der Beschäftigung erkennen: Produktivitätsfortschritte schaffen
Einkommenssteigerungen, die den Konsum einkommenselastischer Produkte, wie z. B. der
Dienstleistungen, ermöglichen.
Der Dienstleistungsbedarf der privaten Haushalte wird jedoch zunehmend durch do-it your-
self einerseits und menschliche Arbeitskraft ersetzende Konsumgüter (z. B. Küchenmaschi-
nen) andererseits gedeckt. Impulse für den Dienstleistungssektor blieben als Folge dieser
Substitutionseffekte durch Bedarfsdeckungsalternativen daher hinter den Erwartungen zu-
rück. Obendrein waren die Produktivitätsfortschritte im Dienstleistungssektor größer als
erwartet, während FOURASTIÉ noch von nur geringen Fortschritten ausging (HEINZE 1987),
so daß auch aus diesem Grund die Beschäftigungsentwicklung hinter den Erwartungen zu-
rückblieb.
Im Gegensatz zu den in Kap. 2.2 referierten klassischen Ansätzen ist inzwischen herrschen-
de Meinung, daß das Wachstum des Dienstleistungssektors nicht ausschließlich mit dem
steigenden Konsum der Haushalte zu begründen ist. Vielmehr überwiegt die Auffassung,
daß es wesentlich von den unternehmensorientierten Dienstleistungen, und hier besonders
von den höherwertigen unternehmensorientierten Dienstleistungen (HuDl), getragen wird
(ALBACH 1989, HANSEN 1990, MARTINELLI 1991(a), VAN DINTEREN ET AL. 1994).
Dieses Wachstum ergibt sich aus zwei unterschiedlichen Prozessen:
(1) Erstens wachsen HuDl und Sachgüterproduktion in symbiotischer Beziehung immer
näher zusammen, d.h. der Dienstleistungsanteil in der Produktion von Sachgütern nimmt
zu.
(2) Zweitens ist die zunehmende Verselbständigung bestimmter Teile der HuDl, vor al-
lem des sog. FIRE-Sektors (Finance, Insurance, Real-Estate) festzustellen.
Das Standortsystem der höherwertigen unternehmensorientierten Dienstleistungen 39
(1) Aus der strategischen Bedeutung, die den HuDl für die Wettbewerbsfähigkeit von Un-
ternehmen zugewiesen wird, läßt sich die verlockende regionalpolitische Schlußfolgerung
ziehen, daß die HuDl ein geeignetes und wirksames Instrument politischer Steuerung zur
Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur sein könnten. Vor allem eine positive Be-
schäftigungsentwicklung wird von einer verstärkten Ansiedlung von HuDl erwartet, die sich
nicht nur quantitativ, sondern vor allem auch qualitativ auswirkt. HuDl-Berufe sind typi-
scherweise höherwertig und gut bezahlt, während haushaltsorientierte Dienstleistungsberufe
häufig sozial wenig abgesichert und schlecht bezahlt sind (sog. mac-jobs).
In einer Reihe von Arbeiten hat BADE (1986, 1987) zeigen können, daß nicht die sektorale
Struktur der Industrie Aussagen über die zukünftige Entwicklung der regionalen Wirtschaft
erlaubt, sondern daß überwiegend die HuDl hier von Bedeutung sind. Mit Hilfe von Shift-
Analysen konnte kein Zusammenhang zwischen sektoraler Wirtschaftsstruktur und zukünf-
tiger Entwicklung festgestellt werden.
Regionen, bei denen aufgrund ihrer Struktur eher mit unterdurchschnittlichen Zuwachsraten
zu rechnen war (z.B. Rhein-Main), zeichneten sich durch eine überdurchschnittlich positive
Entwicklung aus, während auf der anderen Seite Regionen (z.B. Ruhrgebiet) noch weiter
hinter den Erwartungen zurückblieben, als ihre ohnehin schon ungünstige Wirtschaftsstruk-
tur dies erwarten ließ. Das gleiche Bild ergab sich bei einer funktionalen Betrachtung der
regionalen Wirtschaftsstruktur. Erst unter besonderer Einbeziehung von HuDl, auf deren
strategische Bedeutung für die Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen bereits hingewiesen
wurde, konnten die jeweiligen Entwicklungen erklärt werden (BADE 1986: 710).
HuDl haben somit eine wesentliche Bedeutung für die regionale Beschäftigungsentwicklung
und sind überproportional an die Gesamtentwicklung gekoppelt: Ein starkes, allgemeines
Wachstum korreliert mit einem noch stärkeren HuDl-Wachstum, während auf der anderen
Seite Schrumpfungsprozesse sich verstärkt auf die HuDl auswirken
(BADE/MIDDELMANN /SCHÜLER 1990: 37).
Wenn die Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen von ihrem Einsatz an HuDl abhängt und
durch die damit gestiegene Nachfrage gleichzeitig auch die Expansion der HuDl erklärt
wird, kann die regionalpolitische Schlußfolgerung nur sein, nicht allein HuDl anzusiedeln,
sondern ein komplexes Wirtschaftsgefüge zu stimulieren, das einen fruchtbaren Boden für
die nachhaltige Entwicklung einer aktiven HuDl-Szene ermöglicht (HATZFELD/SCHRÖER
1993, MARTINELLI 1991(a)).
(2) Für die Regionalentwicklung in breiter Perspektive, sowohl in heuristischem als auch in
normativ-planerischem Verständnis, erweist sich die Abkopplung bestimmter HuDl-
Bereiche vom regionalen bzw. nationalen Wirtschaftsgeschehen als sehr problematisch. Die
Die Entwicklung der Dienstleistungen 40
Standorte dieser HuDl-Unternehmen konzentrieren sich deutlich auf die Knoten im globalen
Städtenetz (Global Cities) und führen dadurch zu einer Polarisierung zwischen den hiervon
profitierenden Standorten, im Gegensatz zu den von dieser Entwicklung abgehängten Städ-
ten.
Neben dieser zwischenstädtischen Polarisierung werden innerhalb der Global Cities zuneh-
mende innerstädtische soziale und baulich-räumliche Spaltungstendenzen deutlich. Die so-
ziale Kluft zwischen HuDl-Standorten und übrigem Stadtgebiet wird immer tiefer, da nur
ein kleiner Teil der Bevölkerung von der positiven Entwicklung profitiert. Parallel zu den
sozialen Prozessen findet die Gentrifizierung bevorzugter Stadtviertel, insbesondere der Ci-
ty, bei gleichzeitigem Verfall der von der Entwicklung abgekoppelten Gebiete statt.
Besondere Bedeutung erlangen die HuDl für die Regionalentwicklung unter regulations-
theoretischer Perspektive. Die bisher vorherrschenden Unterschiede zwischen Kern und Pe-
ripherie basieren auf den bekannten Standortanforderungen der Großunternehmen im for-
distischen Produktionsablauf. Nach dem Ende dieser Formation entstehen neue regionale
Disparitäten, bei deren Überwindung zwei Faktoren von zentraler Bedeutung sind:
(1) Erstens können der notwendige Informationsaustausch, die firmenübergreifende Zu-
sammenarbeit und die gestiegenen Qualifikationsanforderungen an die Arbeitnehmer nur
durch den Einsatz von HuDl bewältigt werden,
(2) zweitens sind nur Regionen bei der Überwindung der Krise erfolgreich, in denen die
Kosten der ökonomischen Anpassungsprozesse nicht allein dem Markt aufgebürdet, son-
dern vom Staat aufgefangen werden (STORPER/SCOTT 1992: 12ff). Ein ungeregelter Markt
kann die notwendigen Anpassungen nicht erreichen, da die kurz- und mittelfristigen Aus-
wirkungen der Anpassungen vor allem auf dem Arbeitsmarkt zu erheblichen sozialen Pro-
blemen führen, die öffentlichen Handlungsbedarf verursachen.