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ASPEKTE DER MEGALOPSYCHIA BEI ARISTOTELES (EN 43)

Nachdem Aristoteles im zweiten Buch der NikomachischenEthik die die ethische Tugend (ρετ) kennzeichnenden Eigen-schaften umschrieben und ihre Definition naumlher bestimmt hat be-faszligt er sich von Buch 3 Kapitel 6 an bis zum Ende des 5 Buches mitdem Auffaumlchern verschiedener einzelner Tugenden die zur Erhel-lung seiner Tugendlehre dienen Diese beziehen sich grundsaumltzlichauf andere Menschen sie sind also strikt soziale Tugenden so z Bdie Tapferkeit (νδρεα) die Groszligzuumlgigkeit (λευθεριτης bezie-hungsweise μεγαλοπρπεια) die Gerechtigkeit (δικαιοσνη) dieMilde (πρατης) etc1 Die Megalopsychia besitzt innerhalb dieserReihe von Tugenden in vielerlei Hinsicht einen Sonderstatus 1) Siebildet in erster Linie einen Bezug zu ihrem Traumlger selbst nicht zu an-deren sie ist also eine eher sbquoindividuellelsquo Tugend 2) Sie ist nicht eineganz konkrete einzelne Tugend nach der man direkt streben kannwie das z B bei der Tapferkeit der Fall ist 3) Sie wird in EN von Ari-stoteles ndash mit Ausnahme der Gerechtigkeit ndash am ausfuumlhrlichsten vonallen Tugenden dargestellt 4) Sie wurde in der Forschung am haumlu-figsten stiefmuumltterlich behandelt beziehungsweise miszligverstanden

Viele Interpreten haben die Megalopsychia nicht wirklichernst nehmen wollen oder einfach unterbewertet beziehungsweiseals etwas hinsichtlich der Ethik Beilaumlufiges betrachtet2 Manche sahen in ihr eine versteckte Ironie des Aristoteles und humorvolle

1) Einen besonderen Fall bildet die bdquoreziprokeldquo Tugend der Freundschaft(φιλα) Siehe dazu M Liatsi Philia bei Aristoteles Ethische Tugend oder aumluszligeresGut in J Althoff (Hrsg) Philosophie und Dichtung im antiken GriechenlandStuttgart 2007 121ndash130

2) Vgl z B F Dirlmeier Nikomachische Ethik (= Aristoteles Werke in deut-scher Uumlbersetzung begruumlndet v E Grumach hrsg v H Flashar Bd 6) 10 gegen uumlberder 6 durchgesehene unveraumlnderte Auflage Berlin 1999 (1956) 370 ff der jedochmehrere treffliche Bemerkungen beziehungsweise Erlaumluterungen an einzelnen Stellenvon Buch 43 macht Vgl auch U Wolf Aristotelesrsquo sbquoNikomachische Ethiklsquo Darm-stadt 2002 89 f die sehr skeptisch gegenuumlber der Megalopsychia bleibt da sie den Ein-druck hat daszlig bdquodie Empfehlung der Taumltigkeit gemaumlszlig dieser arete mehr den Vorstel-lungen damaliger Buumlrger gehobener Abstammung entnommen ist und weniger derphilosophischen Konzeption der Realisierung des kalon in ethischen Taumltigkeitenldquo

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Wendungen oder karikaturistische Zuumlge des Megalopsychos3 An-dere glaubten voller Abneigung eine egoistische eigentlich unmo-ralische unangenehme Charaktereigenschaft die mit Hochnaumlsig-keit und Arroganz zusammenfaumlllt erkannt zu haben4 Wieder an-dere versuchten scharfsinnig zu zeigen daszlig der Megalopsychos alsein Vertreter des βος θεωρητικς zu verstehen sei (z B Sokrates)5waumlhrend andere im Gegenteil fuumlr die Identitaumlt mit einem Vertreterdes βος πολιτικς argumentiert haben6 Manche Interpreten sahenin ihm eine Art Kompromiszlig zwischen einem Vertreter der vita activa und einem solchen der vita contemplativa7

Zweck der vorliegenden Arbeit ist nicht allerlei Kritik zu revidieren und insofern die Megalopsychia zu rehabilitieren Dasist zum Teil bereits mit Erfolg geschehen8 Inzwischen liegen kla-re einsichtsvolle Interpretationen vor die eine neue Deutung desTextes vorschlagen9 oder auch neue Gesichtspunkte im Rahmender Diskussion in Erwaumlgung ziehen wie z B den Aspekt der Aumlhn-lichkeit des Aristotelischen Megalopsychos mit dem PlatonischenPhilosophos und deren systematische Bedeutung10

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3) So z B J Burnet The Ethics of Aristotle London 1900 ad loc VglH H Joachim Aristotle The Nicomachean Ethics Oxford 1951 125

4) Vgl z B bereits J A Stewart Notes on the Nicomachean Ethics of Ari-stotle Vol I Oxford 1892 335 Zuletzt aber auch D Bostock Aristotlersquos EthicsOxford 2000 50 Hierzu siehe ausfuumlhrlich W F R Hardie bdquoMagnanimityldquo in Ari-stotlersquos Ethics Phronesis 23 1978 63ndash79 bes 65ndash67

5) R-A Gauthier Magnanimiteacute Lrsquoideacuteal de la grandeur dans la philosophiepaienne et dans la theacuteologie chreacutetienne Paris 1951 bes 114 ff Vgl R-A Gauthier J Y Jolif LrsquoEacutethique agrave Nicomaque Introduction traduction et commentaire Lou-vain Paris 21970 Bd II 272ndash298

6) Vgl Hardie (wie Anm 4) bes 70ndash737) Vgl L Arnhart Statesmanship as Magnanimity Classical Christian and

Modern Polity 16 1983 263ndash283 bes 267 bdquoAristotelian magnanimity has two faces one political and one philosophicldquo A Tessitore Reading Aristotlersquos EthicsVirtue Rhetoric and Political Philosophy New York 1996 28ndash35 bes 33 fuumlhrtdiesbezuumlglich vorsichtig aus daszlig bdquothere is merit although unequal in both of theseviews and Aristotlersquos account is deliberately open endedldquo

8) Vgl H J Curzer Aristotlersquos Much Maligned Megalopsychos Austral-asian Journal of Philosophy 69 1991 131ndash151

9) Vgl z B die philosophische Einfuumlhrung von S Broadie in S Broadie C Rowe Aristotle Nicomachean Ethics Oxford 2002 29ndash32 Vgl zuletzt die ein-fuumlhlsame Deutung von M Pakaluk The Meaning of Aristotelian Magnanimity Ox-ford Studies in Ancient Philosophy 26 2004 241ndash275 der die Megalopsychia alsbdquoan attitude of aspirationldquo interpretiert

10) Vgl E Schuumltrumpf Magnanimity Μεγαλοψυχα and the System of Ari-stotlersquos Nicomachean Ethics Archiv fuumlr Geschichte der Philosophie 71 1989 10ndash22

Es ist hier auch nicht unsere Absicht alle relevanten Passagenwie z B Buch 43 erneut zu interpretieren und einzelne Stellendie einer weiteren Erlaumluterung beduumlrfen ausfuumlhrlich zu behandelnUnsere einzige Intention ist anhand des uns uumlberlieferten Textesden wesentlichen Sinn der Megalopsychia zu erhellen und ihreFunktion im Gesamtkonzept der Aristotelischen Ethik angemes-sen zu bestimmen

I

Die Megalopsychia ist gemaumlszlig der Aristotelischen Tugendleh-re die Mesotes also die richtige Mitte zwischen den Extremen desZuviel (περβολ) der χαυντης und des Zuwenig (λλειψις) derMikropsychia11 Χα$νος (dummstolz) ist derjenige der sich selbsthoher Dinge fuumlr wert haumllt ohne es aber wirklich zu sein (1123b8 f δamp μεγλων (αυτ)ν ξι+ν νξιος ν χα$νος) Mikropsychos(kleingesinnt) ist dagegen der der sich selbst geringerer Dinge fuumlrwert haumllt als ihm in Wirklichkeit zukommen (1123b9 f δ- λατ-τνων [scil (αυτ)ν ξι+ν] 0ξιος μικρψυχος) Das richtige Maszlig vertritt nun der Megalopsychos der sich hoher Dinge fuumlrwert haumllt und auf den das auch wirklich zutrifft (1123b2 δοκε1 δ2μεγαλψυχος ε3ναι μεγλων ατ)ν ξι+ν 0ξιος 4ν) Dies scheintdie allgemein guumlltige Meinung zu sein (δοκε1) die auch Aristotelesaxiomatisch annimmt

Folgen wir nun der Aristotelischen Argumentation Zur Me-galo-psychia gehoumlrt wie schon der Name sagt das groszlige Formatbeziehungsweise das Groszlige (1123b6 ν μεγθει γ5ρ 6 μεγαλο-ψυχα vgl 1123a34 f) Davon wird ausgegangen Megalopsychosist wer nach dem Groszligen strebt das Groszlige verlangt und bean-sprucht vorausgesetzt daszlig er es auch verdient (vgl 1123b15 f)Mehr noch Der Megalopsychos erachtet das Groszlige fuumlr ange -messen und fordert nicht nur das Groszlige sondern das Groumlszligte(1123b16 ξιο1 [ ] κα7 μλιστα τ+ν μεγστων) Das tut er bdquonach

45Aspekte der Megalopsychia bei Aristoteles (EN 43)

11) Wir beschraumlnken uns hier auf die Aristotelische Behandlung der Mega-lopsychia im Rahmen der Nikomachischen Ethik Zu einem Vergleich des Megalo -psychia-Konzepts zwischen der Nikomachischen Ethik (43) und der EudemischenEthik (35) siehe D A Rees lsquoMagnanimityrsquo in the Eudemian and NicomacheanEthics in P Moraux D Harlfinger (Hrsgg) Untersuchungen zur EudemischenEthik Akten des 5 Symposium Aristotelicum Berlin 1971 231ndash243

Verdienstldquo (1123b14 κατ- ξαν) Als seine zweite Praumlmisse dientdie allgemein akzeptierte und weit verbreitete Auffassung daszlig die ξα in Hinsicht auf die aumluszligeren Guumlter12 ausgesprochen wird(1123b17 6 δ- ξα λγεται πρ)ς τ5 κτ)ς γαθ) Da das Groumlszligteunter den aumluszligeren Guumltern die Ehre (6 τιμ) ist (1123b20 f μγι-στον γ5ρ δ2 το$το τ+ν κτ)ς γαθ+ν) ist es folgerichtig die Ehreund zwar die groszlige Ehre wonach der Megalopsychos verlangt unddie er fuumlr sich in Anspruch nimmt13

Die Ehre sei ndash ihrer Bestimmung entsprechend ndash das Gut dasdie Menschen den Goumlttern zusprechen das Gut das am meistendie Maumlchtigen begehren und das Gut das die Belohnung und denPreis der besten Taten darstellt (vgl 1123b18 ff) In diesem einenSatz laumlszligt Aristoteles die auszligerordentliche Bedeutung der Ehre imganzen antiken griechischen Bewuszligtsein widerspiegeln von Ho-mer14 bis zu seiner Zeit Selbst Macht und Reichtum wie Aristote-les feststellt sind um der Ehre willen erstrebenswert (1124a17 f α8γ5ρ δυναστε1αι κα7 πλο$τος δι5 τ2ν τιμν στιν α8ρετ) Hinge-gen ist die Ehre wie er an anderer Stelle ausfuumlhrt um ihrer selbstwillen begehrenswert wie auch ferner natuumlrlich um der Eudaimo-nia willen Denn sie ist ein unentbehrlicher Bestandteil der Eudai-monia (1097b2ndash5)

Die Argumentation des Aristoteles wird fortgefuumlhrt Wenn esgilt daszlig der Megalopsychos der groumlszligten Dinge (τ+ν μεγστων)wuumlrdig ist und wenn nur dem bdquoBestenldquo die bdquogroumlszligten Dingeldquo ge-buumlhren dann muszlig der Megalopsychos der bdquoBesteldquo (0ριστος) sein(vgl 1123b27 f) Die Logik ist klar Nur der Beste verdient das Beste nur dem Groumlszligten eignet das Groumlszligte Und jetzt kommt diefuumlr Aristoteles ganz wichtige Gleichsetzung Der 0ριστος ist derγαθς Der 0ξιος τ+ν μεγστων kann nur der γαθς sein Wenn

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12) Die Guumlter (γαθ) werden nach Aristoteles der Platonischen Aufteilungfolgend in die koumlrperlichen die seelischen und die sogenannten sbquoaumluszligerenlsquo eingeteilt(vgl 1098b12 ff) Zu diesen letzteren gehoumlrt die gute Abstammung (ε9γνεια) derReichtum (πλο$τος) die politische Macht (πολιτικ2 δναμις) beziehungsweise dersoziale Status die Freunde (φλοι) die guten Kinder (ε9τεκνα) und die Ehre (τιμ)

13) Siehe bereits 1107b21 ff wo im Rahmen der Darstellung einer Tugen-den-Liste ausgefuumlhrt wird daszlig es bei der Megalopsychia περ7 δamp τιμ2ν κα7 τιμανgeht und zwar περ7 τιμ2ν μεγλην

14) Vgl z B A W H Adkins lsquoHonourrsquo and lsquoPunishmentrsquo in the HomericPoems BICS 7 1960 23ndash32 ders Homeric Values and Homeric Society JHS 911971 1ndash14 D L Cairns Aidos The Psychology and Ethics of Honour and Shamein Ancient Greek Literature Oxford 1993

jemand also ein richtiger wahrer also in Wirklichkeit (ς ληθ+ς)Megalopsychos sein will dann muszlig er ein γαθς sein (vgl1123b29) Das bedeutet konkret fuumlr Aristoteles Nur der Traumlger aller Tugenden kann uumlber die Megalopsychia verfuumlgen Denn ohnediese Bedingung bliebe die Megalopsychia keine echte Tugend und wuumlrde dann unter Umstaumlnden ganz laumlcherlich wirken (vgl1123b33 f) Der schlechte Mensch (φα$λος) verdient nach Aristo-teles nicht Ehre geschweige denn die groumlszligte Ehre Denn die Ehresei wie er treffend formuliert der Preis der Tugend und sie kommenur den guten Menschen zu (1123b35 f τς ρετς γ5ρ ltθλον 6τιμ κα7 πονμεται το1ς γαθο1ς) Wir stellen dabei fest daszlig dieinneren ethisch-moralischen Werte (Inhalt der Tugend) in Bezie-hung gesetzt werden zu einem aumluszligeren Gut naumlmlich der Ehre Dasheiszligt Die seelischen Guumlter finden ihre Anerkennung und Bestaumlti-gung in Form eines aumluszligeren Gutes Die Relation ist dabei propor-tional je groumlszliger die inneren Werte desto groumlszliger auch die ihnen zukommende aumluszligere Belohnung Wer diese Proportion diese Ver-haumlltnismaumlszligigkeit nicht einhaumllt (z B der Mikropsychos oder derχα$νος) ist wenn nicht κακς beziehungsweise κακοποις so dochauf jeden Fall 6μαρτημνος (vgl 1125a18 f) Uumlberfluumlssig zu sagendaszlig die christliche Tugend der humilitas hier nicht im Spiel ist Viel-mehr wird diese unter dem Namen der Mikropsychia als ein feh-lerhaftes Extrem als eine Unzulaumlnglichkeit (λλειψις) getadelt

Der Megalopsychos nimmt nur groszlige Ehre an und empfaumlngtsie nur von bedeutenden Menschen (π) τ+ν σπουδαων) nicht vonirgendwelchen (παρ5 τ+ν τυχντων) und nicht wegen unwichtigerAngelegenheiten (1124a6ndash10)15 Seine Haltung selbst der Ehre ge-genuumlber geschweige denn gegenuumlber dem Reichtum und der politi-schen Macht die ja wegen der Ehre erstrebt werden und gegenuumlberallen moumlglichen angenehmen Ereignissen und Erfolgen oder un-gluumlcklichen Ereignissen und Miszligerfolgen ist angemessen und laumlszligtihn weder maszliglos erfreut noch maszliglos traurig sein (1124a13 ff)

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15) Siehe auch 1095b22 ff wo ausgefuumlhrt wird daszlig die edlen und aktivenMenschen (ο8 δamp χαρεντες κα7 πρακτικο) sich fuumlr die Ehre als Endziel in ihrem Leben entscheiden beziehungsweise fuumlr die politische Lebensform (βος πολιτικς)Diese Menschen suchen von den φρνιμοι geehrt zu werden und zwar von denendie sie kennen und aufgrund der Tugend (1095b28 f ζητο$σι γο$ν π) τ+νφρονμων τιμσθαι κα7 παρ- ος γινAσκονται κα7 π- ρετB) Die φρνιμοι fun-gieren also hier als Synonym fuumlr die σπουδα1οι beziehungsweise auch fuumlr die γα-θο und auf jeden Fall als Gegensatz zu den τυχντες

Das bedeutet nicht daszlig die aumluszligeren Guumlter (vornehme Ab-stammung Macht Reichtum) fuumlr die Realisation der Megalopsy-chia bei Aristoteles ohne Belang sind Im Gegenteil die guumlnstigenUmstaumlnde (ε9τυχματα) tragen offensichtlich zu der Megalopsy-chia bei (συμβλλεσθαι) und die Uumlberlegenheit (περοχ) dieman durch die Gunst der aumluszligeren Umstaumlnde erlangt foumlrdert dieseHaltung da sie von vornherein Anlaszlig zur Ehre in Aussicht stellt(vgl 1124a20ndash24) Wichtigste Voraussetzung ist daszlig man γαθςist und zusauml tz l i ch uumlber die aumluszligeren Guumlter verfuumlgt Denn ohneTugend ist es nicht leicht die gluumlcklichen Umstaumlnde beziehungs-weise die aumluszligeren Guumlter maszligvoll und angemessen (μμελ+ς) zuverwalten (1124a30 f) Aristoteles beweist hier erneut seinen reali-stischen pragmatischen Sinn fuumlr das menschliche Leben Er ist keinmoralischer Rigorist Auch die aumluszligeren Guumlter sind von Bedeutungdenn sie bringen ihrem Besitzer Ansehen vereinfachen sein Werkund den Aufweis seiner Tugenden und berechtigen ihn noch mehrAnspruch auf Ehre zu haben beziehungsweise noch mehr Ehre zuverdienen (vgl 1124a25 f C δ- 0μφω [scil ρετ2 κα7 τ5 κτ)ςγαθ] πρχει μλλον ξιο$ται τιμς)

Diese Ausfuumlhrungen des Aristoteles uumlber die Megalopsychiahaben wie wir feststellen koumlnnen ihr Pendant in seinen Aus-fuumlhrungen uumlber die Eudaimonia (vgl bes 1099a31ndashb8) Denn auchdie Eudaimonia diese ρστη νργεια ψυχς κατ- ρετ2ν τελεαν(vgl 1099a29 f 1102a5 f) bedarf zusaumltzlich (προσδε1ται) der aumluszlige-ren Guumlter wie Aristoteles sagt da es nicht leicht ist wenn nicht sogar unmoumlglich das Gute ohne Hilfsmittel zu tun Vieles laumlszligt sichdoch nur mit Hilfe von Freunden von Wohlstand und von politi-scher Macht erreichen wie Aristoteles richtig beobachtet Und einMensch der haumlszliglich ist eine niedrige Abstammung oder schlechteKinder und schlechte Freunde oder gar keine hat und allein im Leben steht kann nur schwer bdquogluumlcklichldquo heiszligen (1099b3 ο9 πνυγ5ρ ε9δαιμονικς) Es scheint also so zu sein daszlig man im Lebenauch eine solche ε9ημερα auch solche guumlnstigen aumluszligeren Umstaumlnde zusaumltzlich braucht16 Das ist auch der Grund weshalbmanche Menschen den bdquogluumlcklichen Zufallldquo (ε9τυχα) mit der Eudaimonia verwechseln und dabei denken daszlig diese beiden iden-tisch sind Die Hauptvoraussetzung jedoch fuumlr Aristoteles wenn

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16) Vgl auch 1098b26 Dτεροι δamp κα7 τ2ν κτ)ς ε9ετηραν συμπαραλαμ-βνουσιν

er von Eudaimonia redet ist das Handeln gemaumlszlig der Tugend(1100b10 κριαι δ- εEσ7ν α8 κατ- ρετ2ν νργειαι τς ε9δαι-μονας) Alles andere ist sekundaumlr Das heiszligt Der ε9δαιμονικς istder ς ληθ+ς γαθς (vgl 1100b21)

Die Analogie zwischen dem Aristotelischen Konzept der Eudaimonia und jenem der Megalopsychia ist wie es den Anscheinhat evident So wie das wesentliche Merkmal der Eudaimonia dieρετ2 τελεα ist und die aumluszligeren Guumlter nur κατ5 συμβεβηκς fungieren so aumlhnlich verhaumllt es sich im Fall der Megalopsychia dadie παντελ2ς ρετ (vgl 1124a828 f) beziehungsweise die καλο-καγαθα17 (1124a4) die conditio sine qua non der Megalopsychiaist und ihre Substanz bildet und die aumluszligeren Guumlter bloszlige wennauch unentbehrliche συμβεβηκτα sind Der Megalopsychos muszligalso ε9δαμων par excellence sein und der ε9δαμων muszlig natuumlrlichauch Megalopsychos sein So schwer es ist wirklich ε9δαμων alsowirklich γαθς zu sein genauso schwer ist es ein ς ληθ+ςMegalopsychos zu sein Denn der wirkliche Megalopsychos muszligwirklich γαθς sein18 Die altbewaumlhrten aumluszligeren Guumlter werden inbeiden Faumlllen zwar anerkannt und beruumlcksichtigt aber sie fungie-ren als sekundaumlre Elemente waumlhrend sie bis zur Zeit des Aristo -teles im oumlffentlichen Bewuszligtsein den wesentlichen Inhalt der bei-den Begriffe (Eudaimonia ndash Megalopsychia) bestimmten19 Diesgeschah im Fall der Megalopsychia indirekt mittelbar insofern dieaumluszligeren Guumlter den Begriffen 0ξιος ξα die Grundbestandteileder Definition der Megalopsychia sind eine konkrete eben auf siebezogene Bedeutung verliehen Bei Aristoteles gewinnen ja die Be-griffe 0ξιος ξα einen neuen ethischen Inhalt

Es ist nun unangebracht und nur ein Miszligverstaumlndnis der Ari-stotelischen Gedanken zur Megalopsychia zu behaupten daszlig dieseTugend mit der philosophischen Konzeption des Aristoteles in ethi-

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17) Vgl EE 815 1248b8ndash1249a17 wo ausgefuumlhrt wird daszlig die Kalokaga-thia ρετ2 τλειος στιν

18) Vgl 1123b29 τ)ν ς ληθ+ς 0ρα μεγαλψυχον δε1 γαθ)ν ε3ναι Vglauch 1124a3 f δι5 το$το χαλεπ)ν τB ληθεF μεγαλψυχον ε3ναι ο9 γ5ρ ον τε0νευ καλοκαγαθας Siehe ferner 1124a25 κατ- λθειαν δ- γαθ)ς μνος τιμητς

19) Zur gelaumlufigen Identifikation der Eudaimonia mit aumluszligeren Guumltern vglz B 1095a20 ff Zur Megalopsychia siehe 1124a26ndash28 ο8 δ- 0νευ ρετς τ5 τοια$ταγαθ5 χοντες [ ] οHτε Iρθ+ς μεγαλψυχοι λγονται Diese Formulierung impli-ziert deutlich daszlig es allgemein uumlblich war die Besitzer von aumluszligeren Guumltern als Me-galopsychoi zu bezeichnen auch wenn sie uumlber keine Tugend im AristotelischenSinne verfuumlgten

cis wenig zu tun habe beziehungsweise daszlig sie bdquoperipheral toethicsldquo20 sei oder daszlig sie in Wirklichheit gar keine Tugend sei DerMegalopsychos erscheint wie ein sbquoSupermanlsquo wie eine quasi mythi-sche Gestalt wie ein Held im vollen Sinne des Wortes21 Das wurdehaumlufig moniert Gegen diesen Einwand naumlmlich daszlig der Aristoteli-sche Megalopsychos eine uumlbertriebene utopische Figur darstellt diein der Realitaumlt gar nicht existiert haben kann laumlszligt sich erwidern daszligjedes Ideal ndash und der Megalopsychos bildet ja tatsaumlchlich ein solchesIdeal ein sbquoAumluszligersteslsquo ndash unrealistische Charakteristika aufweistAuch der ε9δαμων βος ist ein Ideal wonach man strebt und stre-ben soll Das bedeutet nicht daszlig man es vollstaumlndig erreichen kannMan versucht jedoch sich ihm immer mehr anzunaumlhern was derSinn eines jeden Ideals ist dauerhaft zur Verwirklichung diesessbquoAumluszligerstenlsquo beziehungsweise dieses idealen 0κρον22 zu motivieren

Daszlig die vornehme Abstammung daszlig Reichtum oder politi-sche Macht kurzum die traditionellen archaischen Werte nichtmehr genuumlgen um die Haltung (Dξις) der Megalopsychia zu recht-fertigen sondern man nur solange man das γαθν beziehungs-weise das ethische καλν realisiert uumlber die Megalopsychia wirk-lich verfuumlgen kann wird durch die Aristotelischen Ausfuumlhrungendeutlich Es wird auch deutlich daszlig die Megalopsychia das richti-ge Verhaumlltnis des γαθς der Ehre gegenuumlber konstituiert die vonseinen Tugenden her stammt

II

Eine der beruumlhmtesten und am meisten miszliginterpretiertenTextpassagen im Buch 43 der Nikomachischen Ethik ist die Stellewo die Megalopsychia als eine Art bdquoSchmuck der Tugendenldquo be-stimmt wird da sie sie bdquogroumlszligerldquo macht und ohne sie nicht zustan-de kommt (1124a1ndash3 οικε μampν οJν 6 μεγαλοψυχα οον κσμος τις

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20) Pakaluk (wie Anm 9) 24321) Vgl W K C Guthrie A History of Greek Philosophy vol 6 Aristotle ndash

an Encounter Oxford 1981 369 der ihn als bdquothe perfect gentlemanldquo bezeichnet22) Der Megalopsychos ist 0κρος hinsichtlich seiner Groumlszlige (1123b13 f) be-

ziehungsweise seines Wertes der bei Aristoteles wie wir sahen anhand der Tugendbemessen wird Er hat also den houmlchsten Wert und verdient beziehungsweise ver-langt fuumlr sich das Entsprechende Auch die Eudaimonia wird als τ) κρτατον τ+νπρακτ+ν γαθ+ν charakterisiert (1095a16 f) also als das houmlchste Gut wonach manstreben kann

ε3ναι τ+ν ρετ+ν μεζους γ5ρ α9τ5ς ποιε1 κα7 ο9 γνεται 0νευκενων)

Soviel hat sich bereits ergeben Die wahrhafte Megalopsychiasetzt die anderen ethischen Tugenden voraus und enthaumllt sie in ei-nem bestimmten Sinne Andernfalls handelt es sich dabei gar nichtum eine echte Tugend sondern um eine Dξις die man zwar sbquoMega-lopsychialsquo nennen mag was aber unzutreffend ist (vgl 1124a27 f)Wenn daher Leute die Haltung des Megalopsychos nachahmenohne γαθο zu sein erscheinen sie laumlcherlich (1123b33 f) oderhochmuumltig und arrogant (1124a29 ff) Das sind die Vielen (1124b6ο8 πολλο) die ohnehin nicht wahrhafte γαθο beziehungsweisenicht wahrhafte Megalopsychoi sein koumlnnen Denn das ist zugege-benermaszligen schwierig (χαλεπν 1124a3)

Aber in welchem Sinn ist die Megalopsychia wie ein Schmuckfuumlr die Tugenden Warum wird von Aristoteles diese Metapher gebraucht Die Antwort kommt gleich danach im Text weil dieMegalopsychia sie groumlszliger macht Wenn man die Stelle woumlrtlichuumlbersetzt versteht man sie kaum Wieso bdquoverleiht (die Megalopsy-chia) einer jeden (Tugend) die groumlszligere Formldquo23 Wieso bdquomacht essie groumlszligerldquo24 oder bdquoerweitert sieldquo25 Sie wuumlrde deswegen nicht wieein κσμος fuumlr die Tugenden funktionieren Eine Halskette die einSchmuck fuumlr den Hals ist macht ihn nicht groumlszliger aber sie laumlszligt ihn besser zum Vorschein kommen Durch sie zeichnet sich derHals besser aus Auch eine Krone laumlszligt einen Koumlnig nicht groumlszliger erscheinen aber sie unterstreicht sein Koumlnigsein sie druumlckt seineEigenschaft besser aus Die Krone macht den echten Koumlnig nichtaus denn er muszlig uumlber die entsprechenden Qualitaumlten und Faumlhig-keiten bereits verfuumlgen Er muszlig aber auch wie ein Koumlnig erschei-nen Jemand der kein wirklicher Koumlnig ist und trotzdem auf einerKrone besteht kann leicht laumlcherlich wirken Aumlhnliches gilt fuumlr dieMegalopsychia Sie bringt die Tugenden besser zur Geltung machtsie besser sichtbar Denn wenn man sie hat muszlig man sie auch zei-gen sie hervorheben insofern sie groumlszliger machen den anderen dieGroumlszlige offenbaren und man wird dafuumlr mit dem wichtigsten aumluszlige-ren Gut der Ehre gepriesen werden Die Megalopsychia kroumlnt die

51Aspekte der Megalopsychia bei Aristoteles (EN 43)

23) Dirlmeier (wie Anm 2) 8124) W D Ross Nicomachean Ethics revised by J O Urmson in J Barnes

(Hrsg) The Complete Works of Aristotle Princeton 1984 ad loc25) Broadie Rowe (wie Anm 9) 148

τελεα ρετ die eigentlich ohne die Megalopsychia gar nicht τε-λεα im strengen Sinne des Wortes sein kann Das bedeutet Ohnedie Tugend der Megalopsychia kann man die Eudaimonia nichtwirklich erreichen Wenn man diese Relation verstanden hat wirdman auch leichter einsehen daszlig diese von manchen Interpretenfalsch eingeschaumltzte Tugend sogar von zentraler Bedeutung fuumlr dasethische System des Aristoteles ist Kein Wunder daszlig Aristotelessie so ausfuumlhrlich behandelt

III

Die wahrhaftige Megalopsychia verlangt und verdient wie wirbereits ausgefuumlhrt haben die groumlszligte Ehre da sie eben dem wahr-haften γαθς zukommt Der wichtigste groumlszligte Wert also fuumlr Ari-stoteles die Tugend und zwar die vollkommene Tugend wird mitdem wichtigsten groumlszligten aumluszligeren Gut der Ehre belohnt Es ist zubeachten Die inneren Werte suchen ihr Aumlquivalent (wenigstensannaumlhernd) in den aumluszligeren Werten Mit anderen Worten Die seeli-schen inneren Guumlter (ψυχικ5 γαθ) werden an den aumluszligeren Guuml-tern bemessen und vor allem eben an der Ehre Warum suchen nunalle Menschen danach Wenn man genauer die Bedeutung diesesStrebens nach Ehre analysiert zu welchem ja der Megalopsychoseine ganz spezifische Beziehung hat wird man erneut feststellenkoumlnnen wie nah das Eudaimonia-Konzept dem Megalopsychia-Konzept steht beziehungsweise wie fest und substantiell integriertdiese Tugend im ethischen System des Aristoteles ist

Unter Ehre ist im wesentlichen das Ansehen der Ruhm dieAnerkennung zu verstehen Die Ehre ist ein unentbehrlicher Be-standteil der Eudaimonia Sie darf zwar nicht mit der Eudaimoniaidentifiziert werden wie viele Menschen das tun wenn sie sich fuumlrden βος πολιτικς entscheiden und faumllschlicherweise glauben dieτιμ sei das Ziel dieser Lebensform (vgl 1095b22 f) Die Ehre istein bedeutendes Mittel zu dem Endzweck der Eudaimonia dasauch fuumlr sich wuumlnschenswert und erstrebenswert ist26 obwohl sie

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26) Siehe 1097b2ndash5 τιμ2 δamp κα7 6δον2ν κα7 νο$ν κα7 πσαν ρετ2ν α8ρομε-θα μampν δι- α9τ [ ] α8ρομεθα δamp κα7 τς ε9δαιμονας χριν δι5 τοτων πο-λαμβνοντες ε9δαιμονσειν Vgl 1096a7ndash9 δι) μλλον τ5 πρτερον λεχθντατλη [scil 6δον τιμ] τις Kν πολβοι δι- ατ5 γ5ρ γαπται

nach Aristoteles kein vollstaumlndiges Gut (τλειον γαθν) ist (vgl1097a33 f) Sie gilt als das groumlszligte Gut weil sie das ist was man denGoumlttern zuteilt (vgl 1123b18 μγιστον δamp [scil γαθν] το$τ- Kνθεημεν L το1ς θεο1ς πονμομεν) Denn die Goumltter sind uns imHinblick auf alle Guumlter uumlberlegen (1158b36 πλε1στον γ5ρ οMτοι[scil ο8 θεο] πσι το1ς γαθο1ς περχουσιν) und wie die allge-meine Meinung lautet bdquoaus den Menschen werden Goumltter27 infol-ge des houmlchsten Grades der Tugendldquo (1145a23 f καθπερ φασνξ νθρAπων γνονται θεο7 δι- ρετς περβολν) Die Ansichtdaszlig die Goumltter mehr Tugend und mehr Ehre als die Menschen haben war in der Zeit des Aristoteles keineswegs unbekannt son-dern sie entsprach einem traditionellen Gemeingut28 Menschenund Goumltter wurden analog behandelt Sie verfuumlgten beide uumlber die-selben Eigenschaften und Merkmale Die Unterschiede zwischenihnen waren nur graduelle und nicht kategoriale Unterschiede29

Das Leben der Goumltter war also eine ins Ideale uumlbersetzte Vor-stellung vom Leben der Menschen Insofern verwundert es nichtwenn Aristoteles bei seinen Ausfuumlhrungen uumlber die EudaimoniaVergleiche zwischen Mensch und Gott beziehungsweise zwischender menschlichen und der goumlttlichen Eudaimonia zieht die natuumlr-lich groumlszliger als die menschliche ist30 aber nicht eine voumlllig andere31

Das bedeutet daszlig der Mensch wenn er nach Eudaimonia strebt inWirklichkeit danach strebt ein Leben zu fuumlhren das bis zu einemgewissen Grad dem goumlttlichen Leben das ein voumlllig seliges Lebenist nahe kommt32 Das goumlttliche Leben vertritt das Ganze das Absolute eben das Ideale (vgl 1178b8 f τοNς θεοNς μλισταε9δαμονας) Fuumlr den Menschen liegt das beste Leben darin daszlig er

53Aspekte der Megalopsychia bei Aristoteles (EN 43)

27) Die Rede ist hier von der Heroisierung hoch verdienter Menschen die zuden Halbgoumlttern gezaumlhlt wurden wie z B Herakles

28) Vgl z B Homer Ilias 1497 f στρεπτο7 δ τε κα7 θεο7 α9το τ+ν περκα7 μεζων ρετ2 τιμ τε βη τε

29) Zu dieser Thematik vgl J M Redfield Nature and Culture in The IliadThe Tragedy of Hector Chicago 1975 A W H Adkins Homeric Gods and the Values of Homeric Society JHS 92 1972 1 Vgl auch H Lloyd-Jones The Justiceof Zeus California 1971 175

30) Vgl z B 1178b8 f τοNς θεοNς γ5ρ μλιστα πειλφαμεν μακαρους κα7ε9δαμονας ε3ναι

31) Vgl hierzu auch R Kraut Aristotle on the Human Good Princeton1991 273

32) Vgl 1178b25ndash27 το1ς μampν γ5ρ θεο1ς Pπας βος μακριος το1ς δ-νθρAποις φ- Qσον μοωμ τι τς τοιατης νεργεας πρχει

einen Anteil ndash nach Moumlglichkeit einen groszligen ndash an dem goumlttlichenLebensmodus hat33 Da die Menschen die groumlszligten Ehrungen denGoumlttern darbieten ruumlckt ein Mensch in die Naumlhe der Goumltter undlebt sozusagen ein goumltteraumlhnliches Leben wenn er sehr groszlige Ehreempfaumlngt34 Die Voraussetzung dafuumlr ist daszlig man wirklich γαθςist denn κατ- λθειαν δ- γαθ)ς μνος τιμητς (1124a25) Da-her muszlig ein Mensch Megalopsychos sein wenn er den Wunschhat den Goumlttern irgendwie aumlhnlich zu sein

Nach Aristoteles sollte der Mensch sich nicht nur mit denmenschlichen beziehungsweise sterblichen Angelegenheiten befas-sen sondern soweit es ihm moumlglich ist sich unsterblich machen(φ- Qσον νδχεται θανατζειν) und alles tun um ein solches Leben zu haben das gemaumlszlig dem in sich Houmlchsten beziehungs weiseBesten gefuumlhrt wird (vgl 1177b31ndash34) Das Verlangen nach ver-dienter groszliger Ehre d h die Megalopsychia ist also gemaumlszlig denobigen Ausfuumlhrungen eine Form des Strebens nach Unsterblich-keit

IV

Die Megalopsychia erscheint auf den ersten Blick als einehoch individuelle Tugend da sie eben eine Selbst-Einschaumltzungeine Selbst-Erkenntnis eine Selbst-Bewertung ein Selbst-Bewuszligt-sein kurzum eine bestimmte Art der Selbst-Beziehung konsti -tuiert Gleichzeitig ist sie wie wir zeigen wollen eine bestimmteForm von Gerechtigkeit eine Gerechtigkeit gegenuumlber sich selbst

Die Gerechtigkeit ist die Tugend der angemessenen Vertei-lung im weitesten Sinne mithin eine soziale Tugend Sie bildet deswegen ein sogenanntes bdquofremdes Gutldquo (1130a3 f λλτριονγαθ)ν δοκε1 ε3ναι 6 δικαιοσνη vgl 1134b5 f) ein Gut das sichvor allem auf andere bezieht und als Maszligstab fuumlr ein geregeltes Zusammenleben dient

54 Mar i a L ia t s i

33) Da der Gott also nach Aristoteles durch seine θεωρητικ2 νργεια gekennzeichnet wird (1178b21 f) muszlig die vorzuumlglichste Lebensform beziehungs-weise die vollkommene Eudaimonia (6 τελεα ε9δαιμονα) eine Art θεωρητικ2νργεια sein (1178b7 f) Daher hierarchisiert er den βος θεωρητικς als die houmlchst-moumlgliche Lebensform

34) Zu dieser Einstellung vgl bereits Homer Ilias 9155 οR κ ( δωτνSσιθε)ν Tς τιμσουσι Auch Odyssee 11484 τομεν 3σα θεο1σιν

Gerechtigkeit kann nach Aristoteles verschiedene Bedeutun-gen haben35 und entsprechend wird sie in zwei groszlige Kategorieneingeteilt in die bdquoallgemeineldquo (καθ- Qλον) und in die bdquopartikulareldquo(κατ5 μρος) Gerechtigkeit (vgl 1130b6ndash29) Die zweite wird wiederum in zwei Subkategorien unterteilt in das διανεμητικ)νδκαιον (bdquoausteilendeldquo oder bdquodistributive Gerechtigkeitldquo) und indas διορθωτικ)ν δκαιον (bdquokorrektive Gerechtigkeitldquo) (1130b31ndash1131a1 τ) ν τα1ς διανομα1ς τιμς χρημτων τ+ν 0λλων Qσαμεριστ5 το1ς κοινωνο$σι τς πολιτεας und τ) ν το1ς συναλ-λγμασι διορθωτικν) Es gibt nach Aristoteles auch eine dritteArt von Gerechtigkeit τ) ν τα1ς κοινωναις τα1ς λλακτικα1ς[scil δκαιον] (1132b31 f) die den Tausch von Waren betrifft dieman bdquoausgleichende Gerechtigkeitldquo nennen kann

Hier wollen wir uns auf die bdquoausteilende Gerechtigkeitldquo be-schraumlnken Maszligstab und normatives Leitprinzip fuumlr diese also fuumlrdas διανεμητικ)ν δκαιον ist jedem κατ- ξαν also jedem nachseinem Wert und nicht jedem das Gleiche (1131a25ndash27 τ) γ5ρδκαιον ν τα1ς νομα1ς μολογο$σι πντες κατ- ξαν τιν5 δε1νε3ναι τ2ν μντοι ξαν ο9 τ2ν α9τ2ν λγουσι πντες) Das Verhaumllt-nis von Guumltern und Wert bei der Person A muszlig dem Verhaumlltnis vonGuumltern und Wert bei der Person B entsprechen und zwar in Ab-haumlngigkeit des jeweiligen Wertes (ξα) von A und B Das διανε-μητικ)ν δκαιον wird richtig angewendet wenn bei der Verteilungder Guumlter eine solche Analogie d h Proportionalitaumlt (die soge-nannte γεωμετρικ2 ναλογα 1131b12 f) besteht die keinem mehroder weniger gibt als er tatsaumlchlich verdient Denn das Gerechte istetwas Analoges also Proportionales (1131a29 στιν 0ρα τ) δκαι-ον νλογν τι)36 und liegt in der Mitte zwischen dem δικε1ν (Unrecht tun) und dem δικε1σθαι (Unrecht leiden) Beide diese

55Aspekte der Megalopsychia bei Aristoteles (EN 43)

35) Zu dem Gerechtigkeitsbegriff bei Aristoteles vgl z B W F R HardieAristotlersquos Ethical Theory Oxford 1968 21980 189ndash198 T H Irwin AristotlersquosFirst Principles Oxford 1988 427ndash429 G Bien Gerechtigkeit bei Aristoteles inO Houmlffe (Hrsg) Aristoteles Die Nikomachische Ethik Berlin 1995 135ndash164M Pakaluk Aristotlersquos Nicomachean Ethics Cambridge 2005 181ndash205

36) Zu einer impliziten Anwendung des διανεμητικ)ν δκαιον bei der Ari-stotelischen Behandlung der Philia siehe 1165a14ndash18 Qτι μampν οJν ο9 τα9τ5 πσινποδοτον ο9δamp τU πατρ7 πντα καθπερ ο9δamp τU Δι7 θεται ο9κ 0δηλον πε7 δ-Dτερα γονε$σι κα7 δελφο1ς κα7 (ταροις κα7 ε9εργταις (κστοις τ5 οEκε1α κα7 τ5Wρμττοντα πονεμητον Vgl auch 1165a30ndash32 κα7 συγγενσι δamp κα7 φυλταις κα7πολταις κα7 το1ς λοιπο1ς Pπασιν ε7 πειρατον τ) οEκε1ον πονμειν

Extreme sind Formen der Ungerechtigkeit (δικα)37 Wer sich zuviel vom Guten aneignet ohne es wirklich zu verdienen der tut Un-recht waumlhrend derjenige der zu wenig davon bekommt obwohl eres verdienen wuumlrde Unrecht leidet Der Gerechte (δκαιος) verteiltob er selber involviert ist oder nicht das proportional Gleiche (δια-νεμητικ)ς το$ Xσου το$ κατ- ναλογαν vgl 1134a3ndash6)38

Es wird deutlich auch wenn Aristoteles keine Ausfuumlhrungendaruumlber macht daszlig die Megalopsychia eine spezifische Art desδιανεμητικ)ν δκαιον konstituiert Sie liegt wie bereits ausgefuumlhrtin der richtigen Mitte zwischen der χαυντης (einen zu hohen Anspruch haben der dem objektiven Wert der Person nicht ent-spricht) und der Mikropsychia (zu niedrige Anspruumlche trotz hohen Wertes haben) Die χαυντης bildet also eine Form desδικε1ν und die Mikropsychia eine Form des δικε1σθαι Die da-zwischen liegende δικαιοπραγα ist die Tugend der MegalopsychiaDaher sollte es nicht verwundern und nicht als arrogant erschei-nen daszlig der Megalopsychos sich nicht allzu sehr uumlber die Ehrun-gen die ihm erwiesen werden freut Denn er denkt ja daszlig er sieverdient beziehungsweise daszlig es gerecht ist daszlig er sie empfaumlngtUnd so wie die Gerechtigkeit gemaumlszlig Aristoteles eine τελεα ρετist (1129b25 f) so muszlig man auch die vollkommene Tugend besit-zen wie verlangt um Megalopsychos sein zu koumlnnen (1124a28 f)Nur mit dem Unterschied daszlig die Megalopsychia unmittelbar we-der die Beziehung der Buumlrger untereinander also das Verhaumlltniszwischen verschiedenen Individuen regelt noch die Haltung derGesellschaft als Institution ihren Mitgliedern gegenuumlber betrifftsondern urspruumlnglich das Verhaumlltnis d h die Lebenshaltung desIndividuums zu sich selbst bestimmt Wenn jedoch eine so ver-standene urspruumlnglich personale Gerechtigkeit in der Form dersbquoegoistischenlsquo Megalopsychia spaumlter auch bei mehreren Individuen

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37) Vgl 1133b30ndash34 6 δικαιοπραγα μσον στ7 το$ δικε1ν κα7 δι-κε1σθαι τ) μampν γ5ρ πλον χειν τ) δ- λαττν στιν 6 δamp δικαιοσνη μεστης τςστιν ο9 τ)ν α9τ)ν δamp τρπον τα1ς 0λλαις ρετα1ς λλ- Qτι μσου στν 6 δ- δικατ+ν 0κρων

38) Das Prinzip der bdquoausteilenden Gerechtigkeitldquo existiert im wesentlichenlaumlngst wenn auch nicht als Terminus technicus und wird zur Anwendung gebrachtin der griechischen Gesellschaft so z B bereits in der Ilias bei dem δκη-BegriffVgl dazu E A Havelock The Greek Concept of Justice from its Shadow in Homerto its Substance in Plato Harvard 1978 Vgl auch Platon Politeia 1 332c1ndash2 Σι-μωνδης [ ] διενοε1το μampν γρ ς φανεται Qτι το$τ- εXη δκαιον τ) προσκον(κστ[ ποδιδναι

beziehungsweise Buumlrgern erfolgen wuumlrde dann wuumlrde man ja auchvon einem perfekt gerechten sittlich idealen Staat sprechen koumln-nen Es wird deutlich daszlig die viel miszligachtete beziehungsweise ver-achtete Megalopsychia in Wirklichkeit eng verbunden ist mit derhochgepriesenen Kardinaltugend der Gerechtigkeit

V

In Anal Post 213 97b15 ff fuumlhrt Aristoteles bei seinem Ver-such die Definition des Begriffes der Megalopsychia zu formulie-ren unter anderem zwei Beispiele aus der Homerischen Welt an denAchilleus und den Aias Denn beide haben nach Aristoteles etwasgemeinsam Sie ertragen es nicht daszlig ihre Ehre beleidigt und be-schaumldigt wird (97b19 τ) μ2 νχεσθαι βριζμενοι) Es ist natuumlr-lich kein Zufall daszlig Aristoteles diese wohlbekannten Helden alscharakteristische Paradigmen fuumlr die Megalopsychia verwendetWenn es um Ehre geht geschweige denn wenn es um verletzte Ehregeht dann sind Achilleus und Aias in der griechischen TraditionBeispiele par excellence Der eine droht voller Wut das gesamtegriechische Heer in die Vernichtung zu fuumlhren weil Agamemnondurch das Wegnehmen der Briseis seine Ehre herabgesetzt be-ziehungsweise seinen Status nicht angemessen anerkannt hat Derandere entscheidet und versucht die Atriden Agamemnon undMenelaos zu toumlten weil sie ihm die Waffen des Achilleus nicht ge-geben d h ebenfalls seine Ehre verletzt und seinen hohen Wertnicht entsprechend respektiert haben Als er sein Ziel verfehlt toumlteter sich selbst Warum tauchen sie nicht in den ethischen Schriften desAristoteles im Kontext der Megalopsychia-Besprechung auf

Achilleus und Aias sind charakterisiert durch eine bdquoradikaleIndividualitaumltldquo39 und durch ein extremes Verhalten ein Uumlbertrei-ben Es mag sein daszlig diese Helden durch ein monomanischesmaszligloses Verhalten ihre heroische Identitaumlt bewahren beziehungs-weise dem ethischen Kodex und Wertesystem ihrer Zeit entspre-chen Sonst erschiene ihr Leben wohl nicht mehr sbquogutlsquo und nichtmehr lebenswert40 Sonst wuumlrden sie sich selbst verlieren sich

57Aspekte der Megalopsychia bei Aristoteles (EN 43)

39) H Weinstock Sophokles Wuppertal 31948 6040) Vgl z B Sophokles Aias 479ndash480 λλ- καλ+ς ζν καλ+ς τε-

θνηκναι τ)ν ε9γεν χρ

selbst und ihr Wertebewuszligtsein aufgeben Es mag auch sein daszligsie in ihrem Sinne genau das Richtige tun selbst wenn dies ego-istisch und maszliglos erscheint da sie sich ja durch ihre Taten prak-tisch gegen die Gemeinschaft richten Das waumlre ein anderes ThemaSicher ist jedoch Das Uumlbertriebene Exaltierte ihres Verhaltenswaumlre im Rahmen des Aristotelischen Wertesystems tadelnswertBeide Helden verfuumlgen uumlber die Homerische Tugend und sindzwar γαθο und 0ριστοι41 aufgrund der Werte ihre r Zeit42 abersie sind nicht ς ληθ+ς γαθο also nicht γαθο im Aristo-telischen Sinne Achilleusrsquo und Aiasrsquo Handlungen beziehen sichvor allem auf ihre persoumlnliche Ehre beziehungsweise auf ihr per-soumlnliches Interesse nicht auf das Gemeinwohl Aber genau diesesdas angemessene Verhalten im Hinblick auf die Gemeinschaft unddie Teilnahme daran sind bei Aristoteles notwendige Vorausset-zungen des γαθς43

Auch die Phronesis diese zentrale dianoetische Tugend dienach Aristoteles immer jede ethische Tugend begleiten soll um wie eine Lampe den richtig gewaumlhlten Weg zu beleuchten44 ist beidiesen Helden in eklatanter Weise abwesend Und es steht auszligerZweifel γαθς zu sein ohne uumlber Phronesis zu verfuumlgen ist nachAristoteles nicht moumlglich Es gilt aber auch das Umgekehrte45 Die-se Helden sind nicht bdquounbeherrschtldquo (κρατε1ς) im AristotelischenSinne46 freilich auch nicht bdquobeherrschtldquo (γκρατε1ς) aber sie sindauch nicht bdquoschlechtldquo (φα$λοι ndash κλαστοι) Sie stehen auszligerhalbdieser ethischen Kategorien des Aristoteles und sind von daher ge-sehen ein Anachronismus

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41) Vgl z B Ilias 2768ndash770 νδρ+ν αJ μγ- 0ριστος ην ΤελαμAνιος ΑXας ^φρ- _χιλεNς μνιεν γ5ρ πολN φρτατος `εν Rπποι θ- οa φορεσκον μνοναΠηλεωνα

42) Vgl hierzu auch Broadie Rowe (wie Anm 9) 2943) Vgl 1163b6ndash8 ο9 γ5ρ τιμται μηδampν γαθ)ν τU κοινU πορζων τ)

κοιν)ν γ5ρ δδοται τU τ) κοιν)ν ε9εργετο$ντι 6 τιμ2 δamp κοινν44) Vgl 1144a6ndash9 τ) ργον ποτελε1ται κατ5 τ2ν φρνησιν κα7 τ2ν cθικ2ν

ρετν 6 μampν γ5ρ ρετ2 τ)ν σκοπ)ν ποιε1 Iρθν 6 δamp φρνησις τ5 πρ)ς το$τον45) Vgl 1144b31 f ο9χ ον τε γαθ)ν ε3ναι κυρως 0νευ φρονσεως ο9δamp

φρνιμον 0νευ τς cθικς ρετς46) sbquoUnbeherrschtlsquo bei Aristoteles ist derjenige der wohl weiszlig was richtig

ist dem es aber nicht gelingt seine πθη durch seine Vernunft zu kontrollieren be-ziehungsweise zu beherrschen Das heiszligt es besteht ein Konflikt zwischen seinenTrieben und Wuumlnschen einerseits und seiner Vernunft andererseits die am Schluszligdoch der sbquoVerliererlsquo ist Vgl 1111b13 f κα7 κρατ2ς πιθυμ+ν μampν πρττει προ-αιρομενος δ- ο9 1112a15 f 6 γ5ρ προαρεσις μετ5 λγου κα7 διανοας

Es wird nun klar warum Achilleus und Aias nicht Megalo -psychoi im streng ethischen beziehungsweise moralischen Sinnedes Aristotelischen Wertekanons sind Denn sie besitzen nicht alleanderen ethischen Tugenden Im ethischen Kontext der Aristoteli-schen Ausfuumlhrungen wuumlrden sie wenn sie vorkaumlmen als Gegen-Beispiele fungieren muumlssen d h sie haumltten eine antiparadigmati-sche Funktion Sie wuumlrden zitiert werden als solche die eben nichtwahrhaft Megalopsychoi sind

Man koumlnnte also nicht ohne Skepsis dem Achilleus und demAias diejenigen Eigenschaften zuschreiben die Aristoteles demMegalopsychos in der Nikomachischen Ethik zuschreibt47 undebensowenig umgekehrt versuchen den Megalopsychos der Niko-machischen Ethik mit diesen heroischen Figuren zu identifizieren

Schluszligbemerkung

Aristoteles orientiert sich bei seiner Behandlung der ethischenTugend der Megalopsychia in der Nikomachischen Ethik nur bis zu einem gewissen Grad an der Meinung der Vielen Er korrigiertdie oberflaumlchliche allgemein verbreitete Ansicht daszlig die Ehre dasEndziel des politischen Lebens ist aber er nimmt sie als das groumlszlig-te der aumluszligeren Guumlter an Er akzeptiert daszlig der 0ριστος sich be-rechtigterweise gemaumlszlig seiner ξα der groumlszligten Ehre fuumlr wert haumlltaber er gibt der ξα und somit auch den Begriffen der Tugend unddes γαθς beziehungsweise des 0ριστος einen neuen ethischenInhalt Megalopsychos ist und kann nur der ς ληθ+ς γαθςsein Megalopsychia ist eine zutiefst griechische Tugend und re-praumlsentativ fuumlr die gesamte antike griechische Denkweise Diechristlich gepraumlgte Mentalitaumlt kann sie nur schwer begreifen undnoch schwerer akzeptieren Anders das bei den Griechen verbrei-tete Denken Wenn man der Beste ist muszlig man sich dessen auchbewuszligt sein muszlig man es vor allem zeigen und sich entsprechendverhalten Die Megalopsychia ist insoweit auch eine Form desSelbstbewuszligtseins und der Selbsterkenntnis Daher erscheint esnatuumlrlich und gerecht das Beste und werthaltigste Gut naumlmlich dieEhre fuumlr sich in Anspruch zu nehmen wenn die Voraussetzungen

59Aspekte der Megalopsychia bei Aristoteles (EN 43)

47) So wie z B O Hellmann Aristoteles und Achilleus Der poetische Heldaus der Sicht des Philosophen in Althoff (wie Anm 1) 27ndash41 bes 35ndash38

dafuumlr die Aristoteles alle ausdruumlcklich benennt bei einem Men-schen gegeben sind Nur auf diese Weise nur wenn man Megalo -psychos ist kann man wirklich und vollkommen ε9δαμων wer-den Bescheidenheit waumlre hier also fehl am Platz und wuumlrde derPflicht die der Mensch gegenuumlber sich selbst hat widersprechenund damit auch der Selbstverwirklichung die Aristoteles sbquoEudai-monialsquo nennt48

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48) Aristoteles formuliert mit diesem Gedanken eine Auffassung und nimmtmit diesem Punkt seiner Ethik eine Lehre vorweg die erst im Zuge der europaumlischenAufklaumlrung naumlmlich von Kant zu einer grundlegenden Bestimmung der Moral-philosophie gemacht worden ist naumlmlich daszlig der Mensch nicht nur Pflichten gegenandere sondern auch Pflichten gegen sich selbst hat und daszlig er auch in diesem Sinne das heiszligt durch Verletzung derselben schuldig werden kann gegenuumlber undan sich selbst Aristoteles hat mit seinem Begriff des Megalopsychos und der Me-galopsychia diese Unterscheidung Kants auf geniale Weise vorweggenommen VglImmanuel Kant Metaphysik der Sitten Zweiter Teil Metaphysische Anfangsgruumln-de der Tugendlehre I Ethische Elementarlehre 1 Teil Von den Pflichten gegen sichselbst 261ndash302 2 Teil Von den Tugendpflichten gegen andere 303ndash337 Hrsg vonKarl Vorlaumlnder Philosophische Bibliothek Bd 42 Hamburg 1922

Wendungen oder karikaturistische Zuumlge des Megalopsychos3 An-dere glaubten voller Abneigung eine egoistische eigentlich unmo-ralische unangenehme Charaktereigenschaft die mit Hochnaumlsig-keit und Arroganz zusammenfaumlllt erkannt zu haben4 Wieder an-dere versuchten scharfsinnig zu zeigen daszlig der Megalopsychos alsein Vertreter des βος θεωρητικς zu verstehen sei (z B Sokrates)5waumlhrend andere im Gegenteil fuumlr die Identitaumlt mit einem Vertreterdes βος πολιτικς argumentiert haben6 Manche Interpreten sahenin ihm eine Art Kompromiszlig zwischen einem Vertreter der vita activa und einem solchen der vita contemplativa7

Zweck der vorliegenden Arbeit ist nicht allerlei Kritik zu revidieren und insofern die Megalopsychia zu rehabilitieren Dasist zum Teil bereits mit Erfolg geschehen8 Inzwischen liegen kla-re einsichtsvolle Interpretationen vor die eine neue Deutung desTextes vorschlagen9 oder auch neue Gesichtspunkte im Rahmender Diskussion in Erwaumlgung ziehen wie z B den Aspekt der Aumlhn-lichkeit des Aristotelischen Megalopsychos mit dem PlatonischenPhilosophos und deren systematische Bedeutung10

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3) So z B J Burnet The Ethics of Aristotle London 1900 ad loc VglH H Joachim Aristotle The Nicomachean Ethics Oxford 1951 125

4) Vgl z B bereits J A Stewart Notes on the Nicomachean Ethics of Ari-stotle Vol I Oxford 1892 335 Zuletzt aber auch D Bostock Aristotlersquos EthicsOxford 2000 50 Hierzu siehe ausfuumlhrlich W F R Hardie bdquoMagnanimityldquo in Ari-stotlersquos Ethics Phronesis 23 1978 63ndash79 bes 65ndash67

5) R-A Gauthier Magnanimiteacute Lrsquoideacuteal de la grandeur dans la philosophiepaienne et dans la theacuteologie chreacutetienne Paris 1951 bes 114 ff Vgl R-A Gauthier J Y Jolif LrsquoEacutethique agrave Nicomaque Introduction traduction et commentaire Lou-vain Paris 21970 Bd II 272ndash298

6) Vgl Hardie (wie Anm 4) bes 70ndash737) Vgl L Arnhart Statesmanship as Magnanimity Classical Christian and

Modern Polity 16 1983 263ndash283 bes 267 bdquoAristotelian magnanimity has two faces one political and one philosophicldquo A Tessitore Reading Aristotlersquos EthicsVirtue Rhetoric and Political Philosophy New York 1996 28ndash35 bes 33 fuumlhrtdiesbezuumlglich vorsichtig aus daszlig bdquothere is merit although unequal in both of theseviews and Aristotlersquos account is deliberately open endedldquo

8) Vgl H J Curzer Aristotlersquos Much Maligned Megalopsychos Austral-asian Journal of Philosophy 69 1991 131ndash151

9) Vgl z B die philosophische Einfuumlhrung von S Broadie in S Broadie C Rowe Aristotle Nicomachean Ethics Oxford 2002 29ndash32 Vgl zuletzt die ein-fuumlhlsame Deutung von M Pakaluk The Meaning of Aristotelian Magnanimity Ox-ford Studies in Ancient Philosophy 26 2004 241ndash275 der die Megalopsychia alsbdquoan attitude of aspirationldquo interpretiert

10) Vgl E Schuumltrumpf Magnanimity Μεγαλοψυχα and the System of Ari-stotlersquos Nicomachean Ethics Archiv fuumlr Geschichte der Philosophie 71 1989 10ndash22

Es ist hier auch nicht unsere Absicht alle relevanten Passagenwie z B Buch 43 erneut zu interpretieren und einzelne Stellendie einer weiteren Erlaumluterung beduumlrfen ausfuumlhrlich zu behandelnUnsere einzige Intention ist anhand des uns uumlberlieferten Textesden wesentlichen Sinn der Megalopsychia zu erhellen und ihreFunktion im Gesamtkonzept der Aristotelischen Ethik angemes-sen zu bestimmen

I

Die Megalopsychia ist gemaumlszlig der Aristotelischen Tugendleh-re die Mesotes also die richtige Mitte zwischen den Extremen desZuviel (περβολ) der χαυντης und des Zuwenig (λλειψις) derMikropsychia11 Χα$νος (dummstolz) ist derjenige der sich selbsthoher Dinge fuumlr wert haumllt ohne es aber wirklich zu sein (1123b8 f δamp μεγλων (αυτ)ν ξι+ν νξιος ν χα$νος) Mikropsychos(kleingesinnt) ist dagegen der der sich selbst geringerer Dinge fuumlrwert haumllt als ihm in Wirklichkeit zukommen (1123b9 f δ- λατ-τνων [scil (αυτ)ν ξι+ν] 0ξιος μικρψυχος) Das richtige Maszlig vertritt nun der Megalopsychos der sich hoher Dinge fuumlrwert haumllt und auf den das auch wirklich zutrifft (1123b2 δοκε1 δ2μεγαλψυχος ε3ναι μεγλων ατ)ν ξι+ν 0ξιος 4ν) Dies scheintdie allgemein guumlltige Meinung zu sein (δοκε1) die auch Aristotelesaxiomatisch annimmt

Folgen wir nun der Aristotelischen Argumentation Zur Me-galo-psychia gehoumlrt wie schon der Name sagt das groszlige Formatbeziehungsweise das Groszlige (1123b6 ν μεγθει γ5ρ 6 μεγαλο-ψυχα vgl 1123a34 f) Davon wird ausgegangen Megalopsychosist wer nach dem Groszligen strebt das Groszlige verlangt und bean-sprucht vorausgesetzt daszlig er es auch verdient (vgl 1123b15 f)Mehr noch Der Megalopsychos erachtet das Groszlige fuumlr ange -messen und fordert nicht nur das Groszlige sondern das Groumlszligte(1123b16 ξιο1 [ ] κα7 μλιστα τ+ν μεγστων) Das tut er bdquonach

45Aspekte der Megalopsychia bei Aristoteles (EN 43)

11) Wir beschraumlnken uns hier auf die Aristotelische Behandlung der Mega-lopsychia im Rahmen der Nikomachischen Ethik Zu einem Vergleich des Megalo -psychia-Konzepts zwischen der Nikomachischen Ethik (43) und der EudemischenEthik (35) siehe D A Rees lsquoMagnanimityrsquo in the Eudemian and NicomacheanEthics in P Moraux D Harlfinger (Hrsgg) Untersuchungen zur EudemischenEthik Akten des 5 Symposium Aristotelicum Berlin 1971 231ndash243

Verdienstldquo (1123b14 κατ- ξαν) Als seine zweite Praumlmisse dientdie allgemein akzeptierte und weit verbreitete Auffassung daszlig die ξα in Hinsicht auf die aumluszligeren Guumlter12 ausgesprochen wird(1123b17 6 δ- ξα λγεται πρ)ς τ5 κτ)ς γαθ) Da das Groumlszligteunter den aumluszligeren Guumltern die Ehre (6 τιμ) ist (1123b20 f μγι-στον γ5ρ δ2 το$το τ+ν κτ)ς γαθ+ν) ist es folgerichtig die Ehreund zwar die groszlige Ehre wonach der Megalopsychos verlangt unddie er fuumlr sich in Anspruch nimmt13

Die Ehre sei ndash ihrer Bestimmung entsprechend ndash das Gut dasdie Menschen den Goumlttern zusprechen das Gut das am meistendie Maumlchtigen begehren und das Gut das die Belohnung und denPreis der besten Taten darstellt (vgl 1123b18 ff) In diesem einenSatz laumlszligt Aristoteles die auszligerordentliche Bedeutung der Ehre imganzen antiken griechischen Bewuszligtsein widerspiegeln von Ho-mer14 bis zu seiner Zeit Selbst Macht und Reichtum wie Aristote-les feststellt sind um der Ehre willen erstrebenswert (1124a17 f α8γ5ρ δυναστε1αι κα7 πλο$τος δι5 τ2ν τιμν στιν α8ρετ) Hinge-gen ist die Ehre wie er an anderer Stelle ausfuumlhrt um ihrer selbstwillen begehrenswert wie auch ferner natuumlrlich um der Eudaimo-nia willen Denn sie ist ein unentbehrlicher Bestandteil der Eudai-monia (1097b2ndash5)

Die Argumentation des Aristoteles wird fortgefuumlhrt Wenn esgilt daszlig der Megalopsychos der groumlszligten Dinge (τ+ν μεγστων)wuumlrdig ist und wenn nur dem bdquoBestenldquo die bdquogroumlszligten Dingeldquo ge-buumlhren dann muszlig der Megalopsychos der bdquoBesteldquo (0ριστος) sein(vgl 1123b27 f) Die Logik ist klar Nur der Beste verdient das Beste nur dem Groumlszligten eignet das Groumlszligte Und jetzt kommt diefuumlr Aristoteles ganz wichtige Gleichsetzung Der 0ριστος ist derγαθς Der 0ξιος τ+ν μεγστων kann nur der γαθς sein Wenn

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12) Die Guumlter (γαθ) werden nach Aristoteles der Platonischen Aufteilungfolgend in die koumlrperlichen die seelischen und die sogenannten sbquoaumluszligerenlsquo eingeteilt(vgl 1098b12 ff) Zu diesen letzteren gehoumlrt die gute Abstammung (ε9γνεια) derReichtum (πλο$τος) die politische Macht (πολιτικ2 δναμις) beziehungsweise dersoziale Status die Freunde (φλοι) die guten Kinder (ε9τεκνα) und die Ehre (τιμ)

13) Siehe bereits 1107b21 ff wo im Rahmen der Darstellung einer Tugen-den-Liste ausgefuumlhrt wird daszlig es bei der Megalopsychia περ7 δamp τιμ2ν κα7 τιμανgeht und zwar περ7 τιμ2ν μεγλην

14) Vgl z B A W H Adkins lsquoHonourrsquo and lsquoPunishmentrsquo in the HomericPoems BICS 7 1960 23ndash32 ders Homeric Values and Homeric Society JHS 911971 1ndash14 D L Cairns Aidos The Psychology and Ethics of Honour and Shamein Ancient Greek Literature Oxford 1993

jemand also ein richtiger wahrer also in Wirklichkeit (ς ληθ+ς)Megalopsychos sein will dann muszlig er ein γαθς sein (vgl1123b29) Das bedeutet konkret fuumlr Aristoteles Nur der Traumlger aller Tugenden kann uumlber die Megalopsychia verfuumlgen Denn ohnediese Bedingung bliebe die Megalopsychia keine echte Tugend und wuumlrde dann unter Umstaumlnden ganz laumlcherlich wirken (vgl1123b33 f) Der schlechte Mensch (φα$λος) verdient nach Aristo-teles nicht Ehre geschweige denn die groumlszligte Ehre Denn die Ehresei wie er treffend formuliert der Preis der Tugend und sie kommenur den guten Menschen zu (1123b35 f τς ρετς γ5ρ ltθλον 6τιμ κα7 πονμεται το1ς γαθο1ς) Wir stellen dabei fest daszlig dieinneren ethisch-moralischen Werte (Inhalt der Tugend) in Bezie-hung gesetzt werden zu einem aumluszligeren Gut naumlmlich der Ehre Dasheiszligt Die seelischen Guumlter finden ihre Anerkennung und Bestaumlti-gung in Form eines aumluszligeren Gutes Die Relation ist dabei propor-tional je groumlszliger die inneren Werte desto groumlszliger auch die ihnen zukommende aumluszligere Belohnung Wer diese Proportion diese Ver-haumlltnismaumlszligigkeit nicht einhaumllt (z B der Mikropsychos oder derχα$νος) ist wenn nicht κακς beziehungsweise κακοποις so dochauf jeden Fall 6μαρτημνος (vgl 1125a18 f) Uumlberfluumlssig zu sagendaszlig die christliche Tugend der humilitas hier nicht im Spiel ist Viel-mehr wird diese unter dem Namen der Mikropsychia als ein feh-lerhaftes Extrem als eine Unzulaumlnglichkeit (λλειψις) getadelt

Der Megalopsychos nimmt nur groszlige Ehre an und empfaumlngtsie nur von bedeutenden Menschen (π) τ+ν σπουδαων) nicht vonirgendwelchen (παρ5 τ+ν τυχντων) und nicht wegen unwichtigerAngelegenheiten (1124a6ndash10)15 Seine Haltung selbst der Ehre ge-genuumlber geschweige denn gegenuumlber dem Reichtum und der politi-schen Macht die ja wegen der Ehre erstrebt werden und gegenuumlberallen moumlglichen angenehmen Ereignissen und Erfolgen oder un-gluumlcklichen Ereignissen und Miszligerfolgen ist angemessen und laumlszligtihn weder maszliglos erfreut noch maszliglos traurig sein (1124a13 ff)

47Aspekte der Megalopsychia bei Aristoteles (EN 43)

15) Siehe auch 1095b22 ff wo ausgefuumlhrt wird daszlig die edlen und aktivenMenschen (ο8 δamp χαρεντες κα7 πρακτικο) sich fuumlr die Ehre als Endziel in ihrem Leben entscheiden beziehungsweise fuumlr die politische Lebensform (βος πολιτικς)Diese Menschen suchen von den φρνιμοι geehrt zu werden und zwar von denendie sie kennen und aufgrund der Tugend (1095b28 f ζητο$σι γο$ν π) τ+νφρονμων τιμσθαι κα7 παρ- ος γινAσκονται κα7 π- ρετB) Die φρνιμοι fun-gieren also hier als Synonym fuumlr die σπουδα1οι beziehungsweise auch fuumlr die γα-θο und auf jeden Fall als Gegensatz zu den τυχντες

Das bedeutet nicht daszlig die aumluszligeren Guumlter (vornehme Ab-stammung Macht Reichtum) fuumlr die Realisation der Megalopsy-chia bei Aristoteles ohne Belang sind Im Gegenteil die guumlnstigenUmstaumlnde (ε9τυχματα) tragen offensichtlich zu der Megalopsy-chia bei (συμβλλεσθαι) und die Uumlberlegenheit (περοχ) dieman durch die Gunst der aumluszligeren Umstaumlnde erlangt foumlrdert dieseHaltung da sie von vornherein Anlaszlig zur Ehre in Aussicht stellt(vgl 1124a20ndash24) Wichtigste Voraussetzung ist daszlig man γαθςist und zusauml tz l i ch uumlber die aumluszligeren Guumlter verfuumlgt Denn ohneTugend ist es nicht leicht die gluumlcklichen Umstaumlnde beziehungs-weise die aumluszligeren Guumlter maszligvoll und angemessen (μμελ+ς) zuverwalten (1124a30 f) Aristoteles beweist hier erneut seinen reali-stischen pragmatischen Sinn fuumlr das menschliche Leben Er ist keinmoralischer Rigorist Auch die aumluszligeren Guumlter sind von Bedeutungdenn sie bringen ihrem Besitzer Ansehen vereinfachen sein Werkund den Aufweis seiner Tugenden und berechtigen ihn noch mehrAnspruch auf Ehre zu haben beziehungsweise noch mehr Ehre zuverdienen (vgl 1124a25 f C δ- 0μφω [scil ρετ2 κα7 τ5 κτ)ςγαθ] πρχει μλλον ξιο$ται τιμς)

Diese Ausfuumlhrungen des Aristoteles uumlber die Megalopsychiahaben wie wir feststellen koumlnnen ihr Pendant in seinen Aus-fuumlhrungen uumlber die Eudaimonia (vgl bes 1099a31ndashb8) Denn auchdie Eudaimonia diese ρστη νργεια ψυχς κατ- ρετ2ν τελεαν(vgl 1099a29 f 1102a5 f) bedarf zusaumltzlich (προσδε1ται) der aumluszlige-ren Guumlter wie Aristoteles sagt da es nicht leicht ist wenn nicht sogar unmoumlglich das Gute ohne Hilfsmittel zu tun Vieles laumlszligt sichdoch nur mit Hilfe von Freunden von Wohlstand und von politi-scher Macht erreichen wie Aristoteles richtig beobachtet Und einMensch der haumlszliglich ist eine niedrige Abstammung oder schlechteKinder und schlechte Freunde oder gar keine hat und allein im Leben steht kann nur schwer bdquogluumlcklichldquo heiszligen (1099b3 ο9 πνυγ5ρ ε9δαιμονικς) Es scheint also so zu sein daszlig man im Lebenauch eine solche ε9ημερα auch solche guumlnstigen aumluszligeren Umstaumlnde zusaumltzlich braucht16 Das ist auch der Grund weshalbmanche Menschen den bdquogluumlcklichen Zufallldquo (ε9τυχα) mit der Eudaimonia verwechseln und dabei denken daszlig diese beiden iden-tisch sind Die Hauptvoraussetzung jedoch fuumlr Aristoteles wenn

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16) Vgl auch 1098b26 Dτεροι δamp κα7 τ2ν κτ)ς ε9ετηραν συμπαραλαμ-βνουσιν

er von Eudaimonia redet ist das Handeln gemaumlszlig der Tugend(1100b10 κριαι δ- εEσ7ν α8 κατ- ρετ2ν νργειαι τς ε9δαι-μονας) Alles andere ist sekundaumlr Das heiszligt Der ε9δαιμονικς istder ς ληθ+ς γαθς (vgl 1100b21)

Die Analogie zwischen dem Aristotelischen Konzept der Eudaimonia und jenem der Megalopsychia ist wie es den Anscheinhat evident So wie das wesentliche Merkmal der Eudaimonia dieρετ2 τελεα ist und die aumluszligeren Guumlter nur κατ5 συμβεβηκς fungieren so aumlhnlich verhaumllt es sich im Fall der Megalopsychia dadie παντελ2ς ρετ (vgl 1124a828 f) beziehungsweise die καλο-καγαθα17 (1124a4) die conditio sine qua non der Megalopsychiaist und ihre Substanz bildet und die aumluszligeren Guumlter bloszlige wennauch unentbehrliche συμβεβηκτα sind Der Megalopsychos muszligalso ε9δαμων par excellence sein und der ε9δαμων muszlig natuumlrlichauch Megalopsychos sein So schwer es ist wirklich ε9δαμων alsowirklich γαθς zu sein genauso schwer ist es ein ς ληθ+ςMegalopsychos zu sein Denn der wirkliche Megalopsychos muszligwirklich γαθς sein18 Die altbewaumlhrten aumluszligeren Guumlter werden inbeiden Faumlllen zwar anerkannt und beruumlcksichtigt aber sie fungie-ren als sekundaumlre Elemente waumlhrend sie bis zur Zeit des Aristo -teles im oumlffentlichen Bewuszligtsein den wesentlichen Inhalt der bei-den Begriffe (Eudaimonia ndash Megalopsychia) bestimmten19 Diesgeschah im Fall der Megalopsychia indirekt mittelbar insofern dieaumluszligeren Guumlter den Begriffen 0ξιος ξα die Grundbestandteileder Definition der Megalopsychia sind eine konkrete eben auf siebezogene Bedeutung verliehen Bei Aristoteles gewinnen ja die Be-griffe 0ξιος ξα einen neuen ethischen Inhalt

Es ist nun unangebracht und nur ein Miszligverstaumlndnis der Ari-stotelischen Gedanken zur Megalopsychia zu behaupten daszlig dieseTugend mit der philosophischen Konzeption des Aristoteles in ethi-

49Aspekte der Megalopsychia bei Aristoteles (EN 43)

17) Vgl EE 815 1248b8ndash1249a17 wo ausgefuumlhrt wird daszlig die Kalokaga-thia ρετ2 τλειος στιν

18) Vgl 1123b29 τ)ν ς ληθ+ς 0ρα μεγαλψυχον δε1 γαθ)ν ε3ναι Vglauch 1124a3 f δι5 το$το χαλεπ)ν τB ληθεF μεγαλψυχον ε3ναι ο9 γ5ρ ον τε0νευ καλοκαγαθας Siehe ferner 1124a25 κατ- λθειαν δ- γαθ)ς μνος τιμητς

19) Zur gelaumlufigen Identifikation der Eudaimonia mit aumluszligeren Guumltern vglz B 1095a20 ff Zur Megalopsychia siehe 1124a26ndash28 ο8 δ- 0νευ ρετς τ5 τοια$ταγαθ5 χοντες [ ] οHτε Iρθ+ς μεγαλψυχοι λγονται Diese Formulierung impli-ziert deutlich daszlig es allgemein uumlblich war die Besitzer von aumluszligeren Guumltern als Me-galopsychoi zu bezeichnen auch wenn sie uumlber keine Tugend im AristotelischenSinne verfuumlgten

cis wenig zu tun habe beziehungsweise daszlig sie bdquoperipheral toethicsldquo20 sei oder daszlig sie in Wirklichheit gar keine Tugend sei DerMegalopsychos erscheint wie ein sbquoSupermanlsquo wie eine quasi mythi-sche Gestalt wie ein Held im vollen Sinne des Wortes21 Das wurdehaumlufig moniert Gegen diesen Einwand naumlmlich daszlig der Aristoteli-sche Megalopsychos eine uumlbertriebene utopische Figur darstellt diein der Realitaumlt gar nicht existiert haben kann laumlszligt sich erwidern daszligjedes Ideal ndash und der Megalopsychos bildet ja tatsaumlchlich ein solchesIdeal ein sbquoAumluszligersteslsquo ndash unrealistische Charakteristika aufweistAuch der ε9δαμων βος ist ein Ideal wonach man strebt und stre-ben soll Das bedeutet nicht daszlig man es vollstaumlndig erreichen kannMan versucht jedoch sich ihm immer mehr anzunaumlhern was derSinn eines jeden Ideals ist dauerhaft zur Verwirklichung diesessbquoAumluszligerstenlsquo beziehungsweise dieses idealen 0κρον22 zu motivieren

Daszlig die vornehme Abstammung daszlig Reichtum oder politi-sche Macht kurzum die traditionellen archaischen Werte nichtmehr genuumlgen um die Haltung (Dξις) der Megalopsychia zu recht-fertigen sondern man nur solange man das γαθν beziehungs-weise das ethische καλν realisiert uumlber die Megalopsychia wirk-lich verfuumlgen kann wird durch die Aristotelischen Ausfuumlhrungendeutlich Es wird auch deutlich daszlig die Megalopsychia das richti-ge Verhaumlltnis des γαθς der Ehre gegenuumlber konstituiert die vonseinen Tugenden her stammt

II

Eine der beruumlhmtesten und am meisten miszliginterpretiertenTextpassagen im Buch 43 der Nikomachischen Ethik ist die Stellewo die Megalopsychia als eine Art bdquoSchmuck der Tugendenldquo be-stimmt wird da sie sie bdquogroumlszligerldquo macht und ohne sie nicht zustan-de kommt (1124a1ndash3 οικε μampν οJν 6 μεγαλοψυχα οον κσμος τις

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20) Pakaluk (wie Anm 9) 24321) Vgl W K C Guthrie A History of Greek Philosophy vol 6 Aristotle ndash

an Encounter Oxford 1981 369 der ihn als bdquothe perfect gentlemanldquo bezeichnet22) Der Megalopsychos ist 0κρος hinsichtlich seiner Groumlszlige (1123b13 f) be-

ziehungsweise seines Wertes der bei Aristoteles wie wir sahen anhand der Tugendbemessen wird Er hat also den houmlchsten Wert und verdient beziehungsweise ver-langt fuumlr sich das Entsprechende Auch die Eudaimonia wird als τ) κρτατον τ+νπρακτ+ν γαθ+ν charakterisiert (1095a16 f) also als das houmlchste Gut wonach manstreben kann

ε3ναι τ+ν ρετ+ν μεζους γ5ρ α9τ5ς ποιε1 κα7 ο9 γνεται 0νευκενων)

Soviel hat sich bereits ergeben Die wahrhafte Megalopsychiasetzt die anderen ethischen Tugenden voraus und enthaumllt sie in ei-nem bestimmten Sinne Andernfalls handelt es sich dabei gar nichtum eine echte Tugend sondern um eine Dξις die man zwar sbquoMega-lopsychialsquo nennen mag was aber unzutreffend ist (vgl 1124a27 f)Wenn daher Leute die Haltung des Megalopsychos nachahmenohne γαθο zu sein erscheinen sie laumlcherlich (1123b33 f) oderhochmuumltig und arrogant (1124a29 ff) Das sind die Vielen (1124b6ο8 πολλο) die ohnehin nicht wahrhafte γαθο beziehungsweisenicht wahrhafte Megalopsychoi sein koumlnnen Denn das ist zugege-benermaszligen schwierig (χαλεπν 1124a3)

Aber in welchem Sinn ist die Megalopsychia wie ein Schmuckfuumlr die Tugenden Warum wird von Aristoteles diese Metapher gebraucht Die Antwort kommt gleich danach im Text weil dieMegalopsychia sie groumlszliger macht Wenn man die Stelle woumlrtlichuumlbersetzt versteht man sie kaum Wieso bdquoverleiht (die Megalopsy-chia) einer jeden (Tugend) die groumlszligere Formldquo23 Wieso bdquomacht essie groumlszligerldquo24 oder bdquoerweitert sieldquo25 Sie wuumlrde deswegen nicht wieein κσμος fuumlr die Tugenden funktionieren Eine Halskette die einSchmuck fuumlr den Hals ist macht ihn nicht groumlszliger aber sie laumlszligt ihn besser zum Vorschein kommen Durch sie zeichnet sich derHals besser aus Auch eine Krone laumlszligt einen Koumlnig nicht groumlszliger erscheinen aber sie unterstreicht sein Koumlnigsein sie druumlckt seineEigenschaft besser aus Die Krone macht den echten Koumlnig nichtaus denn er muszlig uumlber die entsprechenden Qualitaumlten und Faumlhig-keiten bereits verfuumlgen Er muszlig aber auch wie ein Koumlnig erschei-nen Jemand der kein wirklicher Koumlnig ist und trotzdem auf einerKrone besteht kann leicht laumlcherlich wirken Aumlhnliches gilt fuumlr dieMegalopsychia Sie bringt die Tugenden besser zur Geltung machtsie besser sichtbar Denn wenn man sie hat muszlig man sie auch zei-gen sie hervorheben insofern sie groumlszliger machen den anderen dieGroumlszlige offenbaren und man wird dafuumlr mit dem wichtigsten aumluszlige-ren Gut der Ehre gepriesen werden Die Megalopsychia kroumlnt die

51Aspekte der Megalopsychia bei Aristoteles (EN 43)

23) Dirlmeier (wie Anm 2) 8124) W D Ross Nicomachean Ethics revised by J O Urmson in J Barnes

(Hrsg) The Complete Works of Aristotle Princeton 1984 ad loc25) Broadie Rowe (wie Anm 9) 148

τελεα ρετ die eigentlich ohne die Megalopsychia gar nicht τε-λεα im strengen Sinne des Wortes sein kann Das bedeutet Ohnedie Tugend der Megalopsychia kann man die Eudaimonia nichtwirklich erreichen Wenn man diese Relation verstanden hat wirdman auch leichter einsehen daszlig diese von manchen Interpretenfalsch eingeschaumltzte Tugend sogar von zentraler Bedeutung fuumlr dasethische System des Aristoteles ist Kein Wunder daszlig Aristotelessie so ausfuumlhrlich behandelt

III

Die wahrhaftige Megalopsychia verlangt und verdient wie wirbereits ausgefuumlhrt haben die groumlszligte Ehre da sie eben dem wahr-haften γαθς zukommt Der wichtigste groumlszligte Wert also fuumlr Ari-stoteles die Tugend und zwar die vollkommene Tugend wird mitdem wichtigsten groumlszligten aumluszligeren Gut der Ehre belohnt Es ist zubeachten Die inneren Werte suchen ihr Aumlquivalent (wenigstensannaumlhernd) in den aumluszligeren Werten Mit anderen Worten Die seeli-schen inneren Guumlter (ψυχικ5 γαθ) werden an den aumluszligeren Guuml-tern bemessen und vor allem eben an der Ehre Warum suchen nunalle Menschen danach Wenn man genauer die Bedeutung diesesStrebens nach Ehre analysiert zu welchem ja der Megalopsychoseine ganz spezifische Beziehung hat wird man erneut feststellenkoumlnnen wie nah das Eudaimonia-Konzept dem Megalopsychia-Konzept steht beziehungsweise wie fest und substantiell integriertdiese Tugend im ethischen System des Aristoteles ist

Unter Ehre ist im wesentlichen das Ansehen der Ruhm dieAnerkennung zu verstehen Die Ehre ist ein unentbehrlicher Be-standteil der Eudaimonia Sie darf zwar nicht mit der Eudaimoniaidentifiziert werden wie viele Menschen das tun wenn sie sich fuumlrden βος πολιτικς entscheiden und faumllschlicherweise glauben dieτιμ sei das Ziel dieser Lebensform (vgl 1095b22 f) Die Ehre istein bedeutendes Mittel zu dem Endzweck der Eudaimonia dasauch fuumlr sich wuumlnschenswert und erstrebenswert ist26 obwohl sie

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26) Siehe 1097b2ndash5 τιμ2 δamp κα7 6δον2ν κα7 νο$ν κα7 πσαν ρετ2ν α8ρομε-θα μampν δι- α9τ [ ] α8ρομεθα δamp κα7 τς ε9δαιμονας χριν δι5 τοτων πο-λαμβνοντες ε9δαιμονσειν Vgl 1096a7ndash9 δι) μλλον τ5 πρτερον λεχθντατλη [scil 6δον τιμ] τις Kν πολβοι δι- ατ5 γ5ρ γαπται

nach Aristoteles kein vollstaumlndiges Gut (τλειον γαθν) ist (vgl1097a33 f) Sie gilt als das groumlszligte Gut weil sie das ist was man denGoumlttern zuteilt (vgl 1123b18 μγιστον δamp [scil γαθν] το$τ- Kνθεημεν L το1ς θεο1ς πονμομεν) Denn die Goumltter sind uns imHinblick auf alle Guumlter uumlberlegen (1158b36 πλε1στον γ5ρ οMτοι[scil ο8 θεο] πσι το1ς γαθο1ς περχουσιν) und wie die allge-meine Meinung lautet bdquoaus den Menschen werden Goumltter27 infol-ge des houmlchsten Grades der Tugendldquo (1145a23 f καθπερ φασνξ νθρAπων γνονται θεο7 δι- ρετς περβολν) Die Ansichtdaszlig die Goumltter mehr Tugend und mehr Ehre als die Menschen haben war in der Zeit des Aristoteles keineswegs unbekannt son-dern sie entsprach einem traditionellen Gemeingut28 Menschenund Goumltter wurden analog behandelt Sie verfuumlgten beide uumlber die-selben Eigenschaften und Merkmale Die Unterschiede zwischenihnen waren nur graduelle und nicht kategoriale Unterschiede29

Das Leben der Goumltter war also eine ins Ideale uumlbersetzte Vor-stellung vom Leben der Menschen Insofern verwundert es nichtwenn Aristoteles bei seinen Ausfuumlhrungen uumlber die EudaimoniaVergleiche zwischen Mensch und Gott beziehungsweise zwischender menschlichen und der goumlttlichen Eudaimonia zieht die natuumlr-lich groumlszliger als die menschliche ist30 aber nicht eine voumlllig andere31

Das bedeutet daszlig der Mensch wenn er nach Eudaimonia strebt inWirklichkeit danach strebt ein Leben zu fuumlhren das bis zu einemgewissen Grad dem goumlttlichen Leben das ein voumlllig seliges Lebenist nahe kommt32 Das goumlttliche Leben vertritt das Ganze das Absolute eben das Ideale (vgl 1178b8 f τοNς θεοNς μλισταε9δαμονας) Fuumlr den Menschen liegt das beste Leben darin daszlig er

53Aspekte der Megalopsychia bei Aristoteles (EN 43)

27) Die Rede ist hier von der Heroisierung hoch verdienter Menschen die zuden Halbgoumlttern gezaumlhlt wurden wie z B Herakles

28) Vgl z B Homer Ilias 1497 f στρεπτο7 δ τε κα7 θεο7 α9το τ+ν περκα7 μεζων ρετ2 τιμ τε βη τε

29) Zu dieser Thematik vgl J M Redfield Nature and Culture in The IliadThe Tragedy of Hector Chicago 1975 A W H Adkins Homeric Gods and the Values of Homeric Society JHS 92 1972 1 Vgl auch H Lloyd-Jones The Justiceof Zeus California 1971 175

30) Vgl z B 1178b8 f τοNς θεοNς γ5ρ μλιστα πειλφαμεν μακαρους κα7ε9δαμονας ε3ναι

31) Vgl hierzu auch R Kraut Aristotle on the Human Good Princeton1991 273

32) Vgl 1178b25ndash27 το1ς μampν γ5ρ θεο1ς Pπας βος μακριος το1ς δ-νθρAποις φ- Qσον μοωμ τι τς τοιατης νεργεας πρχει

einen Anteil ndash nach Moumlglichkeit einen groszligen ndash an dem goumlttlichenLebensmodus hat33 Da die Menschen die groumlszligten Ehrungen denGoumlttern darbieten ruumlckt ein Mensch in die Naumlhe der Goumltter undlebt sozusagen ein goumltteraumlhnliches Leben wenn er sehr groszlige Ehreempfaumlngt34 Die Voraussetzung dafuumlr ist daszlig man wirklich γαθςist denn κατ- λθειαν δ- γαθ)ς μνος τιμητς (1124a25) Da-her muszlig ein Mensch Megalopsychos sein wenn er den Wunschhat den Goumlttern irgendwie aumlhnlich zu sein

Nach Aristoteles sollte der Mensch sich nicht nur mit denmenschlichen beziehungsweise sterblichen Angelegenheiten befas-sen sondern soweit es ihm moumlglich ist sich unsterblich machen(φ- Qσον νδχεται θανατζειν) und alles tun um ein solches Leben zu haben das gemaumlszlig dem in sich Houmlchsten beziehungs weiseBesten gefuumlhrt wird (vgl 1177b31ndash34) Das Verlangen nach ver-dienter groszliger Ehre d h die Megalopsychia ist also gemaumlszlig denobigen Ausfuumlhrungen eine Form des Strebens nach Unsterblich-keit

IV

Die Megalopsychia erscheint auf den ersten Blick als einehoch individuelle Tugend da sie eben eine Selbst-Einschaumltzungeine Selbst-Erkenntnis eine Selbst-Bewertung ein Selbst-Bewuszligt-sein kurzum eine bestimmte Art der Selbst-Beziehung konsti -tuiert Gleichzeitig ist sie wie wir zeigen wollen eine bestimmteForm von Gerechtigkeit eine Gerechtigkeit gegenuumlber sich selbst

Die Gerechtigkeit ist die Tugend der angemessenen Vertei-lung im weitesten Sinne mithin eine soziale Tugend Sie bildet deswegen ein sogenanntes bdquofremdes Gutldquo (1130a3 f λλτριονγαθ)ν δοκε1 ε3ναι 6 δικαιοσνη vgl 1134b5 f) ein Gut das sichvor allem auf andere bezieht und als Maszligstab fuumlr ein geregeltes Zusammenleben dient

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33) Da der Gott also nach Aristoteles durch seine θεωρητικ2 νργεια gekennzeichnet wird (1178b21 f) muszlig die vorzuumlglichste Lebensform beziehungs-weise die vollkommene Eudaimonia (6 τελεα ε9δαιμονα) eine Art θεωρητικ2νργεια sein (1178b7 f) Daher hierarchisiert er den βος θεωρητικς als die houmlchst-moumlgliche Lebensform

34) Zu dieser Einstellung vgl bereits Homer Ilias 9155 οR κ ( δωτνSσιθε)ν Tς τιμσουσι Auch Odyssee 11484 τομεν 3σα θεο1σιν

Gerechtigkeit kann nach Aristoteles verschiedene Bedeutun-gen haben35 und entsprechend wird sie in zwei groszlige Kategorieneingeteilt in die bdquoallgemeineldquo (καθ- Qλον) und in die bdquopartikulareldquo(κατ5 μρος) Gerechtigkeit (vgl 1130b6ndash29) Die zweite wird wiederum in zwei Subkategorien unterteilt in das διανεμητικ)νδκαιον (bdquoausteilendeldquo oder bdquodistributive Gerechtigkeitldquo) und indas διορθωτικ)ν δκαιον (bdquokorrektive Gerechtigkeitldquo) (1130b31ndash1131a1 τ) ν τα1ς διανομα1ς τιμς χρημτων τ+ν 0λλων Qσαμεριστ5 το1ς κοινωνο$σι τς πολιτεας und τ) ν το1ς συναλ-λγμασι διορθωτικν) Es gibt nach Aristoteles auch eine dritteArt von Gerechtigkeit τ) ν τα1ς κοινωναις τα1ς λλακτικα1ς[scil δκαιον] (1132b31 f) die den Tausch von Waren betrifft dieman bdquoausgleichende Gerechtigkeitldquo nennen kann

Hier wollen wir uns auf die bdquoausteilende Gerechtigkeitldquo be-schraumlnken Maszligstab und normatives Leitprinzip fuumlr diese also fuumlrdas διανεμητικ)ν δκαιον ist jedem κατ- ξαν also jedem nachseinem Wert und nicht jedem das Gleiche (1131a25ndash27 τ) γ5ρδκαιον ν τα1ς νομα1ς μολογο$σι πντες κατ- ξαν τιν5 δε1νε3ναι τ2ν μντοι ξαν ο9 τ2ν α9τ2ν λγουσι πντες) Das Verhaumllt-nis von Guumltern und Wert bei der Person A muszlig dem Verhaumlltnis vonGuumltern und Wert bei der Person B entsprechen und zwar in Ab-haumlngigkeit des jeweiligen Wertes (ξα) von A und B Das διανε-μητικ)ν δκαιον wird richtig angewendet wenn bei der Verteilungder Guumlter eine solche Analogie d h Proportionalitaumlt (die soge-nannte γεωμετρικ2 ναλογα 1131b12 f) besteht die keinem mehroder weniger gibt als er tatsaumlchlich verdient Denn das Gerechte istetwas Analoges also Proportionales (1131a29 στιν 0ρα τ) δκαι-ον νλογν τι)36 und liegt in der Mitte zwischen dem δικε1ν (Unrecht tun) und dem δικε1σθαι (Unrecht leiden) Beide diese

55Aspekte der Megalopsychia bei Aristoteles (EN 43)

35) Zu dem Gerechtigkeitsbegriff bei Aristoteles vgl z B W F R HardieAristotlersquos Ethical Theory Oxford 1968 21980 189ndash198 T H Irwin AristotlersquosFirst Principles Oxford 1988 427ndash429 G Bien Gerechtigkeit bei Aristoteles inO Houmlffe (Hrsg) Aristoteles Die Nikomachische Ethik Berlin 1995 135ndash164M Pakaluk Aristotlersquos Nicomachean Ethics Cambridge 2005 181ndash205

36) Zu einer impliziten Anwendung des διανεμητικ)ν δκαιον bei der Ari-stotelischen Behandlung der Philia siehe 1165a14ndash18 Qτι μampν οJν ο9 τα9τ5 πσινποδοτον ο9δamp τU πατρ7 πντα καθπερ ο9δamp τU Δι7 θεται ο9κ 0δηλον πε7 δ-Dτερα γονε$σι κα7 δελφο1ς κα7 (ταροις κα7 ε9εργταις (κστοις τ5 οEκε1α κα7 τ5Wρμττοντα πονεμητον Vgl auch 1165a30ndash32 κα7 συγγενσι δamp κα7 φυλταις κα7πολταις κα7 το1ς λοιπο1ς Pπασιν ε7 πειρατον τ) οEκε1ον πονμειν

Extreme sind Formen der Ungerechtigkeit (δικα)37 Wer sich zuviel vom Guten aneignet ohne es wirklich zu verdienen der tut Un-recht waumlhrend derjenige der zu wenig davon bekommt obwohl eres verdienen wuumlrde Unrecht leidet Der Gerechte (δκαιος) verteiltob er selber involviert ist oder nicht das proportional Gleiche (δια-νεμητικ)ς το$ Xσου το$ κατ- ναλογαν vgl 1134a3ndash6)38

Es wird deutlich auch wenn Aristoteles keine Ausfuumlhrungendaruumlber macht daszlig die Megalopsychia eine spezifische Art desδιανεμητικ)ν δκαιον konstituiert Sie liegt wie bereits ausgefuumlhrtin der richtigen Mitte zwischen der χαυντης (einen zu hohen Anspruch haben der dem objektiven Wert der Person nicht ent-spricht) und der Mikropsychia (zu niedrige Anspruumlche trotz hohen Wertes haben) Die χαυντης bildet also eine Form desδικε1ν und die Mikropsychia eine Form des δικε1σθαι Die da-zwischen liegende δικαιοπραγα ist die Tugend der MegalopsychiaDaher sollte es nicht verwundern und nicht als arrogant erschei-nen daszlig der Megalopsychos sich nicht allzu sehr uumlber die Ehrun-gen die ihm erwiesen werden freut Denn er denkt ja daszlig er sieverdient beziehungsweise daszlig es gerecht ist daszlig er sie empfaumlngtUnd so wie die Gerechtigkeit gemaumlszlig Aristoteles eine τελεα ρετist (1129b25 f) so muszlig man auch die vollkommene Tugend besit-zen wie verlangt um Megalopsychos sein zu koumlnnen (1124a28 f)Nur mit dem Unterschied daszlig die Megalopsychia unmittelbar we-der die Beziehung der Buumlrger untereinander also das Verhaumlltniszwischen verschiedenen Individuen regelt noch die Haltung derGesellschaft als Institution ihren Mitgliedern gegenuumlber betrifftsondern urspruumlnglich das Verhaumlltnis d h die Lebenshaltung desIndividuums zu sich selbst bestimmt Wenn jedoch eine so ver-standene urspruumlnglich personale Gerechtigkeit in der Form dersbquoegoistischenlsquo Megalopsychia spaumlter auch bei mehreren Individuen

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37) Vgl 1133b30ndash34 6 δικαιοπραγα μσον στ7 το$ δικε1ν κα7 δι-κε1σθαι τ) μampν γ5ρ πλον χειν τ) δ- λαττν στιν 6 δamp δικαιοσνη μεστης τςστιν ο9 τ)ν α9τ)ν δamp τρπον τα1ς 0λλαις ρετα1ς λλ- Qτι μσου στν 6 δ- δικατ+ν 0κρων

38) Das Prinzip der bdquoausteilenden Gerechtigkeitldquo existiert im wesentlichenlaumlngst wenn auch nicht als Terminus technicus und wird zur Anwendung gebrachtin der griechischen Gesellschaft so z B bereits in der Ilias bei dem δκη-BegriffVgl dazu E A Havelock The Greek Concept of Justice from its Shadow in Homerto its Substance in Plato Harvard 1978 Vgl auch Platon Politeia 1 332c1ndash2 Σι-μωνδης [ ] διενοε1το μampν γρ ς φανεται Qτι το$τ- εXη δκαιον τ) προσκον(κστ[ ποδιδναι

beziehungsweise Buumlrgern erfolgen wuumlrde dann wuumlrde man ja auchvon einem perfekt gerechten sittlich idealen Staat sprechen koumln-nen Es wird deutlich daszlig die viel miszligachtete beziehungsweise ver-achtete Megalopsychia in Wirklichkeit eng verbunden ist mit derhochgepriesenen Kardinaltugend der Gerechtigkeit

V

In Anal Post 213 97b15 ff fuumlhrt Aristoteles bei seinem Ver-such die Definition des Begriffes der Megalopsychia zu formulie-ren unter anderem zwei Beispiele aus der Homerischen Welt an denAchilleus und den Aias Denn beide haben nach Aristoteles etwasgemeinsam Sie ertragen es nicht daszlig ihre Ehre beleidigt und be-schaumldigt wird (97b19 τ) μ2 νχεσθαι βριζμενοι) Es ist natuumlr-lich kein Zufall daszlig Aristoteles diese wohlbekannten Helden alscharakteristische Paradigmen fuumlr die Megalopsychia verwendetWenn es um Ehre geht geschweige denn wenn es um verletzte Ehregeht dann sind Achilleus und Aias in der griechischen TraditionBeispiele par excellence Der eine droht voller Wut das gesamtegriechische Heer in die Vernichtung zu fuumlhren weil Agamemnondurch das Wegnehmen der Briseis seine Ehre herabgesetzt be-ziehungsweise seinen Status nicht angemessen anerkannt hat Derandere entscheidet und versucht die Atriden Agamemnon undMenelaos zu toumlten weil sie ihm die Waffen des Achilleus nicht ge-geben d h ebenfalls seine Ehre verletzt und seinen hohen Wertnicht entsprechend respektiert haben Als er sein Ziel verfehlt toumlteter sich selbst Warum tauchen sie nicht in den ethischen Schriften desAristoteles im Kontext der Megalopsychia-Besprechung auf

Achilleus und Aias sind charakterisiert durch eine bdquoradikaleIndividualitaumltldquo39 und durch ein extremes Verhalten ein Uumlbertrei-ben Es mag sein daszlig diese Helden durch ein monomanischesmaszligloses Verhalten ihre heroische Identitaumlt bewahren beziehungs-weise dem ethischen Kodex und Wertesystem ihrer Zeit entspre-chen Sonst erschiene ihr Leben wohl nicht mehr sbquogutlsquo und nichtmehr lebenswert40 Sonst wuumlrden sie sich selbst verlieren sich

57Aspekte der Megalopsychia bei Aristoteles (EN 43)

39) H Weinstock Sophokles Wuppertal 31948 6040) Vgl z B Sophokles Aias 479ndash480 λλ- καλ+ς ζν καλ+ς τε-

θνηκναι τ)ν ε9γεν χρ

selbst und ihr Wertebewuszligtsein aufgeben Es mag auch sein daszligsie in ihrem Sinne genau das Richtige tun selbst wenn dies ego-istisch und maszliglos erscheint da sie sich ja durch ihre Taten prak-tisch gegen die Gemeinschaft richten Das waumlre ein anderes ThemaSicher ist jedoch Das Uumlbertriebene Exaltierte ihres Verhaltenswaumlre im Rahmen des Aristotelischen Wertesystems tadelnswertBeide Helden verfuumlgen uumlber die Homerische Tugend und sindzwar γαθο und 0ριστοι41 aufgrund der Werte ihre r Zeit42 abersie sind nicht ς ληθ+ς γαθο also nicht γαθο im Aristo-telischen Sinne Achilleusrsquo und Aiasrsquo Handlungen beziehen sichvor allem auf ihre persoumlnliche Ehre beziehungsweise auf ihr per-soumlnliches Interesse nicht auf das Gemeinwohl Aber genau diesesdas angemessene Verhalten im Hinblick auf die Gemeinschaft unddie Teilnahme daran sind bei Aristoteles notwendige Vorausset-zungen des γαθς43

Auch die Phronesis diese zentrale dianoetische Tugend dienach Aristoteles immer jede ethische Tugend begleiten soll um wie eine Lampe den richtig gewaumlhlten Weg zu beleuchten44 ist beidiesen Helden in eklatanter Weise abwesend Und es steht auszligerZweifel γαθς zu sein ohne uumlber Phronesis zu verfuumlgen ist nachAristoteles nicht moumlglich Es gilt aber auch das Umgekehrte45 Die-se Helden sind nicht bdquounbeherrschtldquo (κρατε1ς) im AristotelischenSinne46 freilich auch nicht bdquobeherrschtldquo (γκρατε1ς) aber sie sindauch nicht bdquoschlechtldquo (φα$λοι ndash κλαστοι) Sie stehen auszligerhalbdieser ethischen Kategorien des Aristoteles und sind von daher ge-sehen ein Anachronismus

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41) Vgl z B Ilias 2768ndash770 νδρ+ν αJ μγ- 0ριστος ην ΤελαμAνιος ΑXας ^φρ- _χιλεNς μνιεν γ5ρ πολN φρτατος `εν Rπποι θ- οa φορεσκον μνοναΠηλεωνα

42) Vgl hierzu auch Broadie Rowe (wie Anm 9) 2943) Vgl 1163b6ndash8 ο9 γ5ρ τιμται μηδampν γαθ)ν τU κοινU πορζων τ)

κοιν)ν γ5ρ δδοται τU τ) κοιν)ν ε9εργετο$ντι 6 τιμ2 δamp κοινν44) Vgl 1144a6ndash9 τ) ργον ποτελε1ται κατ5 τ2ν φρνησιν κα7 τ2ν cθικ2ν

ρετν 6 μampν γ5ρ ρετ2 τ)ν σκοπ)ν ποιε1 Iρθν 6 δamp φρνησις τ5 πρ)ς το$τον45) Vgl 1144b31 f ο9χ ον τε γαθ)ν ε3ναι κυρως 0νευ φρονσεως ο9δamp

φρνιμον 0νευ τς cθικς ρετς46) sbquoUnbeherrschtlsquo bei Aristoteles ist derjenige der wohl weiszlig was richtig

ist dem es aber nicht gelingt seine πθη durch seine Vernunft zu kontrollieren be-ziehungsweise zu beherrschen Das heiszligt es besteht ein Konflikt zwischen seinenTrieben und Wuumlnschen einerseits und seiner Vernunft andererseits die am Schluszligdoch der sbquoVerliererlsquo ist Vgl 1111b13 f κα7 κρατ2ς πιθυμ+ν μampν πρττει προ-αιρομενος δ- ο9 1112a15 f 6 γ5ρ προαρεσις μετ5 λγου κα7 διανοας

Es wird nun klar warum Achilleus und Aias nicht Megalo -psychoi im streng ethischen beziehungsweise moralischen Sinnedes Aristotelischen Wertekanons sind Denn sie besitzen nicht alleanderen ethischen Tugenden Im ethischen Kontext der Aristoteli-schen Ausfuumlhrungen wuumlrden sie wenn sie vorkaumlmen als Gegen-Beispiele fungieren muumlssen d h sie haumltten eine antiparadigmati-sche Funktion Sie wuumlrden zitiert werden als solche die eben nichtwahrhaft Megalopsychoi sind

Man koumlnnte also nicht ohne Skepsis dem Achilleus und demAias diejenigen Eigenschaften zuschreiben die Aristoteles demMegalopsychos in der Nikomachischen Ethik zuschreibt47 undebensowenig umgekehrt versuchen den Megalopsychos der Niko-machischen Ethik mit diesen heroischen Figuren zu identifizieren

Schluszligbemerkung

Aristoteles orientiert sich bei seiner Behandlung der ethischenTugend der Megalopsychia in der Nikomachischen Ethik nur bis zu einem gewissen Grad an der Meinung der Vielen Er korrigiertdie oberflaumlchliche allgemein verbreitete Ansicht daszlig die Ehre dasEndziel des politischen Lebens ist aber er nimmt sie als das groumlszlig-te der aumluszligeren Guumlter an Er akzeptiert daszlig der 0ριστος sich be-rechtigterweise gemaumlszlig seiner ξα der groumlszligten Ehre fuumlr wert haumlltaber er gibt der ξα und somit auch den Begriffen der Tugend unddes γαθς beziehungsweise des 0ριστος einen neuen ethischenInhalt Megalopsychos ist und kann nur der ς ληθ+ς γαθςsein Megalopsychia ist eine zutiefst griechische Tugend und re-praumlsentativ fuumlr die gesamte antike griechische Denkweise Diechristlich gepraumlgte Mentalitaumlt kann sie nur schwer begreifen undnoch schwerer akzeptieren Anders das bei den Griechen verbrei-tete Denken Wenn man der Beste ist muszlig man sich dessen auchbewuszligt sein muszlig man es vor allem zeigen und sich entsprechendverhalten Die Megalopsychia ist insoweit auch eine Form desSelbstbewuszligtseins und der Selbsterkenntnis Daher erscheint esnatuumlrlich und gerecht das Beste und werthaltigste Gut naumlmlich dieEhre fuumlr sich in Anspruch zu nehmen wenn die Voraussetzungen

59Aspekte der Megalopsychia bei Aristoteles (EN 43)

47) So wie z B O Hellmann Aristoteles und Achilleus Der poetische Heldaus der Sicht des Philosophen in Althoff (wie Anm 1) 27ndash41 bes 35ndash38

dafuumlr die Aristoteles alle ausdruumlcklich benennt bei einem Men-schen gegeben sind Nur auf diese Weise nur wenn man Megalo -psychos ist kann man wirklich und vollkommen ε9δαμων wer-den Bescheidenheit waumlre hier also fehl am Platz und wuumlrde derPflicht die der Mensch gegenuumlber sich selbst hat widersprechenund damit auch der Selbstverwirklichung die Aristoteles sbquoEudai-monialsquo nennt48

Ioannina Mar i a L ia t s i

60 Mar i a L ia t s i

48) Aristoteles formuliert mit diesem Gedanken eine Auffassung und nimmtmit diesem Punkt seiner Ethik eine Lehre vorweg die erst im Zuge der europaumlischenAufklaumlrung naumlmlich von Kant zu einer grundlegenden Bestimmung der Moral-philosophie gemacht worden ist naumlmlich daszlig der Mensch nicht nur Pflichten gegenandere sondern auch Pflichten gegen sich selbst hat und daszlig er auch in diesem Sinne das heiszligt durch Verletzung derselben schuldig werden kann gegenuumlber undan sich selbst Aristoteles hat mit seinem Begriff des Megalopsychos und der Me-galopsychia diese Unterscheidung Kants auf geniale Weise vorweggenommen VglImmanuel Kant Metaphysik der Sitten Zweiter Teil Metaphysische Anfangsgruumln-de der Tugendlehre I Ethische Elementarlehre 1 Teil Von den Pflichten gegen sichselbst 261ndash302 2 Teil Von den Tugendpflichten gegen andere 303ndash337 Hrsg vonKarl Vorlaumlnder Philosophische Bibliothek Bd 42 Hamburg 1922

Es ist hier auch nicht unsere Absicht alle relevanten Passagenwie z B Buch 43 erneut zu interpretieren und einzelne Stellendie einer weiteren Erlaumluterung beduumlrfen ausfuumlhrlich zu behandelnUnsere einzige Intention ist anhand des uns uumlberlieferten Textesden wesentlichen Sinn der Megalopsychia zu erhellen und ihreFunktion im Gesamtkonzept der Aristotelischen Ethik angemes-sen zu bestimmen

I

Die Megalopsychia ist gemaumlszlig der Aristotelischen Tugendleh-re die Mesotes also die richtige Mitte zwischen den Extremen desZuviel (περβολ) der χαυντης und des Zuwenig (λλειψις) derMikropsychia11 Χα$νος (dummstolz) ist derjenige der sich selbsthoher Dinge fuumlr wert haumllt ohne es aber wirklich zu sein (1123b8 f δamp μεγλων (αυτ)ν ξι+ν νξιος ν χα$νος) Mikropsychos(kleingesinnt) ist dagegen der der sich selbst geringerer Dinge fuumlrwert haumllt als ihm in Wirklichkeit zukommen (1123b9 f δ- λατ-τνων [scil (αυτ)ν ξι+ν] 0ξιος μικρψυχος) Das richtige Maszlig vertritt nun der Megalopsychos der sich hoher Dinge fuumlrwert haumllt und auf den das auch wirklich zutrifft (1123b2 δοκε1 δ2μεγαλψυχος ε3ναι μεγλων ατ)ν ξι+ν 0ξιος 4ν) Dies scheintdie allgemein guumlltige Meinung zu sein (δοκε1) die auch Aristotelesaxiomatisch annimmt

Folgen wir nun der Aristotelischen Argumentation Zur Me-galo-psychia gehoumlrt wie schon der Name sagt das groszlige Formatbeziehungsweise das Groszlige (1123b6 ν μεγθει γ5ρ 6 μεγαλο-ψυχα vgl 1123a34 f) Davon wird ausgegangen Megalopsychosist wer nach dem Groszligen strebt das Groszlige verlangt und bean-sprucht vorausgesetzt daszlig er es auch verdient (vgl 1123b15 f)Mehr noch Der Megalopsychos erachtet das Groszlige fuumlr ange -messen und fordert nicht nur das Groszlige sondern das Groumlszligte(1123b16 ξιο1 [ ] κα7 μλιστα τ+ν μεγστων) Das tut er bdquonach

45Aspekte der Megalopsychia bei Aristoteles (EN 43)

11) Wir beschraumlnken uns hier auf die Aristotelische Behandlung der Mega-lopsychia im Rahmen der Nikomachischen Ethik Zu einem Vergleich des Megalo -psychia-Konzepts zwischen der Nikomachischen Ethik (43) und der EudemischenEthik (35) siehe D A Rees lsquoMagnanimityrsquo in the Eudemian and NicomacheanEthics in P Moraux D Harlfinger (Hrsgg) Untersuchungen zur EudemischenEthik Akten des 5 Symposium Aristotelicum Berlin 1971 231ndash243

Verdienstldquo (1123b14 κατ- ξαν) Als seine zweite Praumlmisse dientdie allgemein akzeptierte und weit verbreitete Auffassung daszlig die ξα in Hinsicht auf die aumluszligeren Guumlter12 ausgesprochen wird(1123b17 6 δ- ξα λγεται πρ)ς τ5 κτ)ς γαθ) Da das Groumlszligteunter den aumluszligeren Guumltern die Ehre (6 τιμ) ist (1123b20 f μγι-στον γ5ρ δ2 το$το τ+ν κτ)ς γαθ+ν) ist es folgerichtig die Ehreund zwar die groszlige Ehre wonach der Megalopsychos verlangt unddie er fuumlr sich in Anspruch nimmt13

Die Ehre sei ndash ihrer Bestimmung entsprechend ndash das Gut dasdie Menschen den Goumlttern zusprechen das Gut das am meistendie Maumlchtigen begehren und das Gut das die Belohnung und denPreis der besten Taten darstellt (vgl 1123b18 ff) In diesem einenSatz laumlszligt Aristoteles die auszligerordentliche Bedeutung der Ehre imganzen antiken griechischen Bewuszligtsein widerspiegeln von Ho-mer14 bis zu seiner Zeit Selbst Macht und Reichtum wie Aristote-les feststellt sind um der Ehre willen erstrebenswert (1124a17 f α8γ5ρ δυναστε1αι κα7 πλο$τος δι5 τ2ν τιμν στιν α8ρετ) Hinge-gen ist die Ehre wie er an anderer Stelle ausfuumlhrt um ihrer selbstwillen begehrenswert wie auch ferner natuumlrlich um der Eudaimo-nia willen Denn sie ist ein unentbehrlicher Bestandteil der Eudai-monia (1097b2ndash5)

Die Argumentation des Aristoteles wird fortgefuumlhrt Wenn esgilt daszlig der Megalopsychos der groumlszligten Dinge (τ+ν μεγστων)wuumlrdig ist und wenn nur dem bdquoBestenldquo die bdquogroumlszligten Dingeldquo ge-buumlhren dann muszlig der Megalopsychos der bdquoBesteldquo (0ριστος) sein(vgl 1123b27 f) Die Logik ist klar Nur der Beste verdient das Beste nur dem Groumlszligten eignet das Groumlszligte Und jetzt kommt diefuumlr Aristoteles ganz wichtige Gleichsetzung Der 0ριστος ist derγαθς Der 0ξιος τ+ν μεγστων kann nur der γαθς sein Wenn

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12) Die Guumlter (γαθ) werden nach Aristoteles der Platonischen Aufteilungfolgend in die koumlrperlichen die seelischen und die sogenannten sbquoaumluszligerenlsquo eingeteilt(vgl 1098b12 ff) Zu diesen letzteren gehoumlrt die gute Abstammung (ε9γνεια) derReichtum (πλο$τος) die politische Macht (πολιτικ2 δναμις) beziehungsweise dersoziale Status die Freunde (φλοι) die guten Kinder (ε9τεκνα) und die Ehre (τιμ)

13) Siehe bereits 1107b21 ff wo im Rahmen der Darstellung einer Tugen-den-Liste ausgefuumlhrt wird daszlig es bei der Megalopsychia περ7 δamp τιμ2ν κα7 τιμανgeht und zwar περ7 τιμ2ν μεγλην

14) Vgl z B A W H Adkins lsquoHonourrsquo and lsquoPunishmentrsquo in the HomericPoems BICS 7 1960 23ndash32 ders Homeric Values and Homeric Society JHS 911971 1ndash14 D L Cairns Aidos The Psychology and Ethics of Honour and Shamein Ancient Greek Literature Oxford 1993

jemand also ein richtiger wahrer also in Wirklichkeit (ς ληθ+ς)Megalopsychos sein will dann muszlig er ein γαθς sein (vgl1123b29) Das bedeutet konkret fuumlr Aristoteles Nur der Traumlger aller Tugenden kann uumlber die Megalopsychia verfuumlgen Denn ohnediese Bedingung bliebe die Megalopsychia keine echte Tugend und wuumlrde dann unter Umstaumlnden ganz laumlcherlich wirken (vgl1123b33 f) Der schlechte Mensch (φα$λος) verdient nach Aristo-teles nicht Ehre geschweige denn die groumlszligte Ehre Denn die Ehresei wie er treffend formuliert der Preis der Tugend und sie kommenur den guten Menschen zu (1123b35 f τς ρετς γ5ρ ltθλον 6τιμ κα7 πονμεται το1ς γαθο1ς) Wir stellen dabei fest daszlig dieinneren ethisch-moralischen Werte (Inhalt der Tugend) in Bezie-hung gesetzt werden zu einem aumluszligeren Gut naumlmlich der Ehre Dasheiszligt Die seelischen Guumlter finden ihre Anerkennung und Bestaumlti-gung in Form eines aumluszligeren Gutes Die Relation ist dabei propor-tional je groumlszliger die inneren Werte desto groumlszliger auch die ihnen zukommende aumluszligere Belohnung Wer diese Proportion diese Ver-haumlltnismaumlszligigkeit nicht einhaumllt (z B der Mikropsychos oder derχα$νος) ist wenn nicht κακς beziehungsweise κακοποις so dochauf jeden Fall 6μαρτημνος (vgl 1125a18 f) Uumlberfluumlssig zu sagendaszlig die christliche Tugend der humilitas hier nicht im Spiel ist Viel-mehr wird diese unter dem Namen der Mikropsychia als ein feh-lerhaftes Extrem als eine Unzulaumlnglichkeit (λλειψις) getadelt

Der Megalopsychos nimmt nur groszlige Ehre an und empfaumlngtsie nur von bedeutenden Menschen (π) τ+ν σπουδαων) nicht vonirgendwelchen (παρ5 τ+ν τυχντων) und nicht wegen unwichtigerAngelegenheiten (1124a6ndash10)15 Seine Haltung selbst der Ehre ge-genuumlber geschweige denn gegenuumlber dem Reichtum und der politi-schen Macht die ja wegen der Ehre erstrebt werden und gegenuumlberallen moumlglichen angenehmen Ereignissen und Erfolgen oder un-gluumlcklichen Ereignissen und Miszligerfolgen ist angemessen und laumlszligtihn weder maszliglos erfreut noch maszliglos traurig sein (1124a13 ff)

47Aspekte der Megalopsychia bei Aristoteles (EN 43)

15) Siehe auch 1095b22 ff wo ausgefuumlhrt wird daszlig die edlen und aktivenMenschen (ο8 δamp χαρεντες κα7 πρακτικο) sich fuumlr die Ehre als Endziel in ihrem Leben entscheiden beziehungsweise fuumlr die politische Lebensform (βος πολιτικς)Diese Menschen suchen von den φρνιμοι geehrt zu werden und zwar von denendie sie kennen und aufgrund der Tugend (1095b28 f ζητο$σι γο$ν π) τ+νφρονμων τιμσθαι κα7 παρ- ος γινAσκονται κα7 π- ρετB) Die φρνιμοι fun-gieren also hier als Synonym fuumlr die σπουδα1οι beziehungsweise auch fuumlr die γα-θο und auf jeden Fall als Gegensatz zu den τυχντες

Das bedeutet nicht daszlig die aumluszligeren Guumlter (vornehme Ab-stammung Macht Reichtum) fuumlr die Realisation der Megalopsy-chia bei Aristoteles ohne Belang sind Im Gegenteil die guumlnstigenUmstaumlnde (ε9τυχματα) tragen offensichtlich zu der Megalopsy-chia bei (συμβλλεσθαι) und die Uumlberlegenheit (περοχ) dieman durch die Gunst der aumluszligeren Umstaumlnde erlangt foumlrdert dieseHaltung da sie von vornherein Anlaszlig zur Ehre in Aussicht stellt(vgl 1124a20ndash24) Wichtigste Voraussetzung ist daszlig man γαθςist und zusauml tz l i ch uumlber die aumluszligeren Guumlter verfuumlgt Denn ohneTugend ist es nicht leicht die gluumlcklichen Umstaumlnde beziehungs-weise die aumluszligeren Guumlter maszligvoll und angemessen (μμελ+ς) zuverwalten (1124a30 f) Aristoteles beweist hier erneut seinen reali-stischen pragmatischen Sinn fuumlr das menschliche Leben Er ist keinmoralischer Rigorist Auch die aumluszligeren Guumlter sind von Bedeutungdenn sie bringen ihrem Besitzer Ansehen vereinfachen sein Werkund den Aufweis seiner Tugenden und berechtigen ihn noch mehrAnspruch auf Ehre zu haben beziehungsweise noch mehr Ehre zuverdienen (vgl 1124a25 f C δ- 0μφω [scil ρετ2 κα7 τ5 κτ)ςγαθ] πρχει μλλον ξιο$ται τιμς)

Diese Ausfuumlhrungen des Aristoteles uumlber die Megalopsychiahaben wie wir feststellen koumlnnen ihr Pendant in seinen Aus-fuumlhrungen uumlber die Eudaimonia (vgl bes 1099a31ndashb8) Denn auchdie Eudaimonia diese ρστη νργεια ψυχς κατ- ρετ2ν τελεαν(vgl 1099a29 f 1102a5 f) bedarf zusaumltzlich (προσδε1ται) der aumluszlige-ren Guumlter wie Aristoteles sagt da es nicht leicht ist wenn nicht sogar unmoumlglich das Gute ohne Hilfsmittel zu tun Vieles laumlszligt sichdoch nur mit Hilfe von Freunden von Wohlstand und von politi-scher Macht erreichen wie Aristoteles richtig beobachtet Und einMensch der haumlszliglich ist eine niedrige Abstammung oder schlechteKinder und schlechte Freunde oder gar keine hat und allein im Leben steht kann nur schwer bdquogluumlcklichldquo heiszligen (1099b3 ο9 πνυγ5ρ ε9δαιμονικς) Es scheint also so zu sein daszlig man im Lebenauch eine solche ε9ημερα auch solche guumlnstigen aumluszligeren Umstaumlnde zusaumltzlich braucht16 Das ist auch der Grund weshalbmanche Menschen den bdquogluumlcklichen Zufallldquo (ε9τυχα) mit der Eudaimonia verwechseln und dabei denken daszlig diese beiden iden-tisch sind Die Hauptvoraussetzung jedoch fuumlr Aristoteles wenn

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16) Vgl auch 1098b26 Dτεροι δamp κα7 τ2ν κτ)ς ε9ετηραν συμπαραλαμ-βνουσιν

er von Eudaimonia redet ist das Handeln gemaumlszlig der Tugend(1100b10 κριαι δ- εEσ7ν α8 κατ- ρετ2ν νργειαι τς ε9δαι-μονας) Alles andere ist sekundaumlr Das heiszligt Der ε9δαιμονικς istder ς ληθ+ς γαθς (vgl 1100b21)

Die Analogie zwischen dem Aristotelischen Konzept der Eudaimonia und jenem der Megalopsychia ist wie es den Anscheinhat evident So wie das wesentliche Merkmal der Eudaimonia dieρετ2 τελεα ist und die aumluszligeren Guumlter nur κατ5 συμβεβηκς fungieren so aumlhnlich verhaumllt es sich im Fall der Megalopsychia dadie παντελ2ς ρετ (vgl 1124a828 f) beziehungsweise die καλο-καγαθα17 (1124a4) die conditio sine qua non der Megalopsychiaist und ihre Substanz bildet und die aumluszligeren Guumlter bloszlige wennauch unentbehrliche συμβεβηκτα sind Der Megalopsychos muszligalso ε9δαμων par excellence sein und der ε9δαμων muszlig natuumlrlichauch Megalopsychos sein So schwer es ist wirklich ε9δαμων alsowirklich γαθς zu sein genauso schwer ist es ein ς ληθ+ςMegalopsychos zu sein Denn der wirkliche Megalopsychos muszligwirklich γαθς sein18 Die altbewaumlhrten aumluszligeren Guumlter werden inbeiden Faumlllen zwar anerkannt und beruumlcksichtigt aber sie fungie-ren als sekundaumlre Elemente waumlhrend sie bis zur Zeit des Aristo -teles im oumlffentlichen Bewuszligtsein den wesentlichen Inhalt der bei-den Begriffe (Eudaimonia ndash Megalopsychia) bestimmten19 Diesgeschah im Fall der Megalopsychia indirekt mittelbar insofern dieaumluszligeren Guumlter den Begriffen 0ξιος ξα die Grundbestandteileder Definition der Megalopsychia sind eine konkrete eben auf siebezogene Bedeutung verliehen Bei Aristoteles gewinnen ja die Be-griffe 0ξιος ξα einen neuen ethischen Inhalt

Es ist nun unangebracht und nur ein Miszligverstaumlndnis der Ari-stotelischen Gedanken zur Megalopsychia zu behaupten daszlig dieseTugend mit der philosophischen Konzeption des Aristoteles in ethi-

49Aspekte der Megalopsychia bei Aristoteles (EN 43)

17) Vgl EE 815 1248b8ndash1249a17 wo ausgefuumlhrt wird daszlig die Kalokaga-thia ρετ2 τλειος στιν

18) Vgl 1123b29 τ)ν ς ληθ+ς 0ρα μεγαλψυχον δε1 γαθ)ν ε3ναι Vglauch 1124a3 f δι5 το$το χαλεπ)ν τB ληθεF μεγαλψυχον ε3ναι ο9 γ5ρ ον τε0νευ καλοκαγαθας Siehe ferner 1124a25 κατ- λθειαν δ- γαθ)ς μνος τιμητς

19) Zur gelaumlufigen Identifikation der Eudaimonia mit aumluszligeren Guumltern vglz B 1095a20 ff Zur Megalopsychia siehe 1124a26ndash28 ο8 δ- 0νευ ρετς τ5 τοια$ταγαθ5 χοντες [ ] οHτε Iρθ+ς μεγαλψυχοι λγονται Diese Formulierung impli-ziert deutlich daszlig es allgemein uumlblich war die Besitzer von aumluszligeren Guumltern als Me-galopsychoi zu bezeichnen auch wenn sie uumlber keine Tugend im AristotelischenSinne verfuumlgten

cis wenig zu tun habe beziehungsweise daszlig sie bdquoperipheral toethicsldquo20 sei oder daszlig sie in Wirklichheit gar keine Tugend sei DerMegalopsychos erscheint wie ein sbquoSupermanlsquo wie eine quasi mythi-sche Gestalt wie ein Held im vollen Sinne des Wortes21 Das wurdehaumlufig moniert Gegen diesen Einwand naumlmlich daszlig der Aristoteli-sche Megalopsychos eine uumlbertriebene utopische Figur darstellt diein der Realitaumlt gar nicht existiert haben kann laumlszligt sich erwidern daszligjedes Ideal ndash und der Megalopsychos bildet ja tatsaumlchlich ein solchesIdeal ein sbquoAumluszligersteslsquo ndash unrealistische Charakteristika aufweistAuch der ε9δαμων βος ist ein Ideal wonach man strebt und stre-ben soll Das bedeutet nicht daszlig man es vollstaumlndig erreichen kannMan versucht jedoch sich ihm immer mehr anzunaumlhern was derSinn eines jeden Ideals ist dauerhaft zur Verwirklichung diesessbquoAumluszligerstenlsquo beziehungsweise dieses idealen 0κρον22 zu motivieren

Daszlig die vornehme Abstammung daszlig Reichtum oder politi-sche Macht kurzum die traditionellen archaischen Werte nichtmehr genuumlgen um die Haltung (Dξις) der Megalopsychia zu recht-fertigen sondern man nur solange man das γαθν beziehungs-weise das ethische καλν realisiert uumlber die Megalopsychia wirk-lich verfuumlgen kann wird durch die Aristotelischen Ausfuumlhrungendeutlich Es wird auch deutlich daszlig die Megalopsychia das richti-ge Verhaumlltnis des γαθς der Ehre gegenuumlber konstituiert die vonseinen Tugenden her stammt

II

Eine der beruumlhmtesten und am meisten miszliginterpretiertenTextpassagen im Buch 43 der Nikomachischen Ethik ist die Stellewo die Megalopsychia als eine Art bdquoSchmuck der Tugendenldquo be-stimmt wird da sie sie bdquogroumlszligerldquo macht und ohne sie nicht zustan-de kommt (1124a1ndash3 οικε μampν οJν 6 μεγαλοψυχα οον κσμος τις

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20) Pakaluk (wie Anm 9) 24321) Vgl W K C Guthrie A History of Greek Philosophy vol 6 Aristotle ndash

an Encounter Oxford 1981 369 der ihn als bdquothe perfect gentlemanldquo bezeichnet22) Der Megalopsychos ist 0κρος hinsichtlich seiner Groumlszlige (1123b13 f) be-

ziehungsweise seines Wertes der bei Aristoteles wie wir sahen anhand der Tugendbemessen wird Er hat also den houmlchsten Wert und verdient beziehungsweise ver-langt fuumlr sich das Entsprechende Auch die Eudaimonia wird als τ) κρτατον τ+νπρακτ+ν γαθ+ν charakterisiert (1095a16 f) also als das houmlchste Gut wonach manstreben kann

ε3ναι τ+ν ρετ+ν μεζους γ5ρ α9τ5ς ποιε1 κα7 ο9 γνεται 0νευκενων)

Soviel hat sich bereits ergeben Die wahrhafte Megalopsychiasetzt die anderen ethischen Tugenden voraus und enthaumllt sie in ei-nem bestimmten Sinne Andernfalls handelt es sich dabei gar nichtum eine echte Tugend sondern um eine Dξις die man zwar sbquoMega-lopsychialsquo nennen mag was aber unzutreffend ist (vgl 1124a27 f)Wenn daher Leute die Haltung des Megalopsychos nachahmenohne γαθο zu sein erscheinen sie laumlcherlich (1123b33 f) oderhochmuumltig und arrogant (1124a29 ff) Das sind die Vielen (1124b6ο8 πολλο) die ohnehin nicht wahrhafte γαθο beziehungsweisenicht wahrhafte Megalopsychoi sein koumlnnen Denn das ist zugege-benermaszligen schwierig (χαλεπν 1124a3)

Aber in welchem Sinn ist die Megalopsychia wie ein Schmuckfuumlr die Tugenden Warum wird von Aristoteles diese Metapher gebraucht Die Antwort kommt gleich danach im Text weil dieMegalopsychia sie groumlszliger macht Wenn man die Stelle woumlrtlichuumlbersetzt versteht man sie kaum Wieso bdquoverleiht (die Megalopsy-chia) einer jeden (Tugend) die groumlszligere Formldquo23 Wieso bdquomacht essie groumlszligerldquo24 oder bdquoerweitert sieldquo25 Sie wuumlrde deswegen nicht wieein κσμος fuumlr die Tugenden funktionieren Eine Halskette die einSchmuck fuumlr den Hals ist macht ihn nicht groumlszliger aber sie laumlszligt ihn besser zum Vorschein kommen Durch sie zeichnet sich derHals besser aus Auch eine Krone laumlszligt einen Koumlnig nicht groumlszliger erscheinen aber sie unterstreicht sein Koumlnigsein sie druumlckt seineEigenschaft besser aus Die Krone macht den echten Koumlnig nichtaus denn er muszlig uumlber die entsprechenden Qualitaumlten und Faumlhig-keiten bereits verfuumlgen Er muszlig aber auch wie ein Koumlnig erschei-nen Jemand der kein wirklicher Koumlnig ist und trotzdem auf einerKrone besteht kann leicht laumlcherlich wirken Aumlhnliches gilt fuumlr dieMegalopsychia Sie bringt die Tugenden besser zur Geltung machtsie besser sichtbar Denn wenn man sie hat muszlig man sie auch zei-gen sie hervorheben insofern sie groumlszliger machen den anderen dieGroumlszlige offenbaren und man wird dafuumlr mit dem wichtigsten aumluszlige-ren Gut der Ehre gepriesen werden Die Megalopsychia kroumlnt die

51Aspekte der Megalopsychia bei Aristoteles (EN 43)

23) Dirlmeier (wie Anm 2) 8124) W D Ross Nicomachean Ethics revised by J O Urmson in J Barnes

(Hrsg) The Complete Works of Aristotle Princeton 1984 ad loc25) Broadie Rowe (wie Anm 9) 148

τελεα ρετ die eigentlich ohne die Megalopsychia gar nicht τε-λεα im strengen Sinne des Wortes sein kann Das bedeutet Ohnedie Tugend der Megalopsychia kann man die Eudaimonia nichtwirklich erreichen Wenn man diese Relation verstanden hat wirdman auch leichter einsehen daszlig diese von manchen Interpretenfalsch eingeschaumltzte Tugend sogar von zentraler Bedeutung fuumlr dasethische System des Aristoteles ist Kein Wunder daszlig Aristotelessie so ausfuumlhrlich behandelt

III

Die wahrhaftige Megalopsychia verlangt und verdient wie wirbereits ausgefuumlhrt haben die groumlszligte Ehre da sie eben dem wahr-haften γαθς zukommt Der wichtigste groumlszligte Wert also fuumlr Ari-stoteles die Tugend und zwar die vollkommene Tugend wird mitdem wichtigsten groumlszligten aumluszligeren Gut der Ehre belohnt Es ist zubeachten Die inneren Werte suchen ihr Aumlquivalent (wenigstensannaumlhernd) in den aumluszligeren Werten Mit anderen Worten Die seeli-schen inneren Guumlter (ψυχικ5 γαθ) werden an den aumluszligeren Guuml-tern bemessen und vor allem eben an der Ehre Warum suchen nunalle Menschen danach Wenn man genauer die Bedeutung diesesStrebens nach Ehre analysiert zu welchem ja der Megalopsychoseine ganz spezifische Beziehung hat wird man erneut feststellenkoumlnnen wie nah das Eudaimonia-Konzept dem Megalopsychia-Konzept steht beziehungsweise wie fest und substantiell integriertdiese Tugend im ethischen System des Aristoteles ist

Unter Ehre ist im wesentlichen das Ansehen der Ruhm dieAnerkennung zu verstehen Die Ehre ist ein unentbehrlicher Be-standteil der Eudaimonia Sie darf zwar nicht mit der Eudaimoniaidentifiziert werden wie viele Menschen das tun wenn sie sich fuumlrden βος πολιτικς entscheiden und faumllschlicherweise glauben dieτιμ sei das Ziel dieser Lebensform (vgl 1095b22 f) Die Ehre istein bedeutendes Mittel zu dem Endzweck der Eudaimonia dasauch fuumlr sich wuumlnschenswert und erstrebenswert ist26 obwohl sie

52 Mar i a L ia t s i

26) Siehe 1097b2ndash5 τιμ2 δamp κα7 6δον2ν κα7 νο$ν κα7 πσαν ρετ2ν α8ρομε-θα μampν δι- α9τ [ ] α8ρομεθα δamp κα7 τς ε9δαιμονας χριν δι5 τοτων πο-λαμβνοντες ε9δαιμονσειν Vgl 1096a7ndash9 δι) μλλον τ5 πρτερον λεχθντατλη [scil 6δον τιμ] τις Kν πολβοι δι- ατ5 γ5ρ γαπται

nach Aristoteles kein vollstaumlndiges Gut (τλειον γαθν) ist (vgl1097a33 f) Sie gilt als das groumlszligte Gut weil sie das ist was man denGoumlttern zuteilt (vgl 1123b18 μγιστον δamp [scil γαθν] το$τ- Kνθεημεν L το1ς θεο1ς πονμομεν) Denn die Goumltter sind uns imHinblick auf alle Guumlter uumlberlegen (1158b36 πλε1στον γ5ρ οMτοι[scil ο8 θεο] πσι το1ς γαθο1ς περχουσιν) und wie die allge-meine Meinung lautet bdquoaus den Menschen werden Goumltter27 infol-ge des houmlchsten Grades der Tugendldquo (1145a23 f καθπερ φασνξ νθρAπων γνονται θεο7 δι- ρετς περβολν) Die Ansichtdaszlig die Goumltter mehr Tugend und mehr Ehre als die Menschen haben war in der Zeit des Aristoteles keineswegs unbekannt son-dern sie entsprach einem traditionellen Gemeingut28 Menschenund Goumltter wurden analog behandelt Sie verfuumlgten beide uumlber die-selben Eigenschaften und Merkmale Die Unterschiede zwischenihnen waren nur graduelle und nicht kategoriale Unterschiede29

Das Leben der Goumltter war also eine ins Ideale uumlbersetzte Vor-stellung vom Leben der Menschen Insofern verwundert es nichtwenn Aristoteles bei seinen Ausfuumlhrungen uumlber die EudaimoniaVergleiche zwischen Mensch und Gott beziehungsweise zwischender menschlichen und der goumlttlichen Eudaimonia zieht die natuumlr-lich groumlszliger als die menschliche ist30 aber nicht eine voumlllig andere31

Das bedeutet daszlig der Mensch wenn er nach Eudaimonia strebt inWirklichkeit danach strebt ein Leben zu fuumlhren das bis zu einemgewissen Grad dem goumlttlichen Leben das ein voumlllig seliges Lebenist nahe kommt32 Das goumlttliche Leben vertritt das Ganze das Absolute eben das Ideale (vgl 1178b8 f τοNς θεοNς μλισταε9δαμονας) Fuumlr den Menschen liegt das beste Leben darin daszlig er

53Aspekte der Megalopsychia bei Aristoteles (EN 43)

27) Die Rede ist hier von der Heroisierung hoch verdienter Menschen die zuden Halbgoumlttern gezaumlhlt wurden wie z B Herakles

28) Vgl z B Homer Ilias 1497 f στρεπτο7 δ τε κα7 θεο7 α9το τ+ν περκα7 μεζων ρετ2 τιμ τε βη τε

29) Zu dieser Thematik vgl J M Redfield Nature and Culture in The IliadThe Tragedy of Hector Chicago 1975 A W H Adkins Homeric Gods and the Values of Homeric Society JHS 92 1972 1 Vgl auch H Lloyd-Jones The Justiceof Zeus California 1971 175

30) Vgl z B 1178b8 f τοNς θεοNς γ5ρ μλιστα πειλφαμεν μακαρους κα7ε9δαμονας ε3ναι

31) Vgl hierzu auch R Kraut Aristotle on the Human Good Princeton1991 273

32) Vgl 1178b25ndash27 το1ς μampν γ5ρ θεο1ς Pπας βος μακριος το1ς δ-νθρAποις φ- Qσον μοωμ τι τς τοιατης νεργεας πρχει

einen Anteil ndash nach Moumlglichkeit einen groszligen ndash an dem goumlttlichenLebensmodus hat33 Da die Menschen die groumlszligten Ehrungen denGoumlttern darbieten ruumlckt ein Mensch in die Naumlhe der Goumltter undlebt sozusagen ein goumltteraumlhnliches Leben wenn er sehr groszlige Ehreempfaumlngt34 Die Voraussetzung dafuumlr ist daszlig man wirklich γαθςist denn κατ- λθειαν δ- γαθ)ς μνος τιμητς (1124a25) Da-her muszlig ein Mensch Megalopsychos sein wenn er den Wunschhat den Goumlttern irgendwie aumlhnlich zu sein

Nach Aristoteles sollte der Mensch sich nicht nur mit denmenschlichen beziehungsweise sterblichen Angelegenheiten befas-sen sondern soweit es ihm moumlglich ist sich unsterblich machen(φ- Qσον νδχεται θανατζειν) und alles tun um ein solches Leben zu haben das gemaumlszlig dem in sich Houmlchsten beziehungs weiseBesten gefuumlhrt wird (vgl 1177b31ndash34) Das Verlangen nach ver-dienter groszliger Ehre d h die Megalopsychia ist also gemaumlszlig denobigen Ausfuumlhrungen eine Form des Strebens nach Unsterblich-keit

IV

Die Megalopsychia erscheint auf den ersten Blick als einehoch individuelle Tugend da sie eben eine Selbst-Einschaumltzungeine Selbst-Erkenntnis eine Selbst-Bewertung ein Selbst-Bewuszligt-sein kurzum eine bestimmte Art der Selbst-Beziehung konsti -tuiert Gleichzeitig ist sie wie wir zeigen wollen eine bestimmteForm von Gerechtigkeit eine Gerechtigkeit gegenuumlber sich selbst

Die Gerechtigkeit ist die Tugend der angemessenen Vertei-lung im weitesten Sinne mithin eine soziale Tugend Sie bildet deswegen ein sogenanntes bdquofremdes Gutldquo (1130a3 f λλτριονγαθ)ν δοκε1 ε3ναι 6 δικαιοσνη vgl 1134b5 f) ein Gut das sichvor allem auf andere bezieht und als Maszligstab fuumlr ein geregeltes Zusammenleben dient

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33) Da der Gott also nach Aristoteles durch seine θεωρητικ2 νργεια gekennzeichnet wird (1178b21 f) muszlig die vorzuumlglichste Lebensform beziehungs-weise die vollkommene Eudaimonia (6 τελεα ε9δαιμονα) eine Art θεωρητικ2νργεια sein (1178b7 f) Daher hierarchisiert er den βος θεωρητικς als die houmlchst-moumlgliche Lebensform

34) Zu dieser Einstellung vgl bereits Homer Ilias 9155 οR κ ( δωτνSσιθε)ν Tς τιμσουσι Auch Odyssee 11484 τομεν 3σα θεο1σιν

Gerechtigkeit kann nach Aristoteles verschiedene Bedeutun-gen haben35 und entsprechend wird sie in zwei groszlige Kategorieneingeteilt in die bdquoallgemeineldquo (καθ- Qλον) und in die bdquopartikulareldquo(κατ5 μρος) Gerechtigkeit (vgl 1130b6ndash29) Die zweite wird wiederum in zwei Subkategorien unterteilt in das διανεμητικ)νδκαιον (bdquoausteilendeldquo oder bdquodistributive Gerechtigkeitldquo) und indas διορθωτικ)ν δκαιον (bdquokorrektive Gerechtigkeitldquo) (1130b31ndash1131a1 τ) ν τα1ς διανομα1ς τιμς χρημτων τ+ν 0λλων Qσαμεριστ5 το1ς κοινωνο$σι τς πολιτεας und τ) ν το1ς συναλ-λγμασι διορθωτικν) Es gibt nach Aristoteles auch eine dritteArt von Gerechtigkeit τ) ν τα1ς κοινωναις τα1ς λλακτικα1ς[scil δκαιον] (1132b31 f) die den Tausch von Waren betrifft dieman bdquoausgleichende Gerechtigkeitldquo nennen kann

Hier wollen wir uns auf die bdquoausteilende Gerechtigkeitldquo be-schraumlnken Maszligstab und normatives Leitprinzip fuumlr diese also fuumlrdas διανεμητικ)ν δκαιον ist jedem κατ- ξαν also jedem nachseinem Wert und nicht jedem das Gleiche (1131a25ndash27 τ) γ5ρδκαιον ν τα1ς νομα1ς μολογο$σι πντες κατ- ξαν τιν5 δε1νε3ναι τ2ν μντοι ξαν ο9 τ2ν α9τ2ν λγουσι πντες) Das Verhaumllt-nis von Guumltern und Wert bei der Person A muszlig dem Verhaumlltnis vonGuumltern und Wert bei der Person B entsprechen und zwar in Ab-haumlngigkeit des jeweiligen Wertes (ξα) von A und B Das διανε-μητικ)ν δκαιον wird richtig angewendet wenn bei der Verteilungder Guumlter eine solche Analogie d h Proportionalitaumlt (die soge-nannte γεωμετρικ2 ναλογα 1131b12 f) besteht die keinem mehroder weniger gibt als er tatsaumlchlich verdient Denn das Gerechte istetwas Analoges also Proportionales (1131a29 στιν 0ρα τ) δκαι-ον νλογν τι)36 und liegt in der Mitte zwischen dem δικε1ν (Unrecht tun) und dem δικε1σθαι (Unrecht leiden) Beide diese

55Aspekte der Megalopsychia bei Aristoteles (EN 43)

35) Zu dem Gerechtigkeitsbegriff bei Aristoteles vgl z B W F R HardieAristotlersquos Ethical Theory Oxford 1968 21980 189ndash198 T H Irwin AristotlersquosFirst Principles Oxford 1988 427ndash429 G Bien Gerechtigkeit bei Aristoteles inO Houmlffe (Hrsg) Aristoteles Die Nikomachische Ethik Berlin 1995 135ndash164M Pakaluk Aristotlersquos Nicomachean Ethics Cambridge 2005 181ndash205

36) Zu einer impliziten Anwendung des διανεμητικ)ν δκαιον bei der Ari-stotelischen Behandlung der Philia siehe 1165a14ndash18 Qτι μampν οJν ο9 τα9τ5 πσινποδοτον ο9δamp τU πατρ7 πντα καθπερ ο9δamp τU Δι7 θεται ο9κ 0δηλον πε7 δ-Dτερα γονε$σι κα7 δελφο1ς κα7 (ταροις κα7 ε9εργταις (κστοις τ5 οEκε1α κα7 τ5Wρμττοντα πονεμητον Vgl auch 1165a30ndash32 κα7 συγγενσι δamp κα7 φυλταις κα7πολταις κα7 το1ς λοιπο1ς Pπασιν ε7 πειρατον τ) οEκε1ον πονμειν

Extreme sind Formen der Ungerechtigkeit (δικα)37 Wer sich zuviel vom Guten aneignet ohne es wirklich zu verdienen der tut Un-recht waumlhrend derjenige der zu wenig davon bekommt obwohl eres verdienen wuumlrde Unrecht leidet Der Gerechte (δκαιος) verteiltob er selber involviert ist oder nicht das proportional Gleiche (δια-νεμητικ)ς το$ Xσου το$ κατ- ναλογαν vgl 1134a3ndash6)38

Es wird deutlich auch wenn Aristoteles keine Ausfuumlhrungendaruumlber macht daszlig die Megalopsychia eine spezifische Art desδιανεμητικ)ν δκαιον konstituiert Sie liegt wie bereits ausgefuumlhrtin der richtigen Mitte zwischen der χαυντης (einen zu hohen Anspruch haben der dem objektiven Wert der Person nicht ent-spricht) und der Mikropsychia (zu niedrige Anspruumlche trotz hohen Wertes haben) Die χαυντης bildet also eine Form desδικε1ν und die Mikropsychia eine Form des δικε1σθαι Die da-zwischen liegende δικαιοπραγα ist die Tugend der MegalopsychiaDaher sollte es nicht verwundern und nicht als arrogant erschei-nen daszlig der Megalopsychos sich nicht allzu sehr uumlber die Ehrun-gen die ihm erwiesen werden freut Denn er denkt ja daszlig er sieverdient beziehungsweise daszlig es gerecht ist daszlig er sie empfaumlngtUnd so wie die Gerechtigkeit gemaumlszlig Aristoteles eine τελεα ρετist (1129b25 f) so muszlig man auch die vollkommene Tugend besit-zen wie verlangt um Megalopsychos sein zu koumlnnen (1124a28 f)Nur mit dem Unterschied daszlig die Megalopsychia unmittelbar we-der die Beziehung der Buumlrger untereinander also das Verhaumlltniszwischen verschiedenen Individuen regelt noch die Haltung derGesellschaft als Institution ihren Mitgliedern gegenuumlber betrifftsondern urspruumlnglich das Verhaumlltnis d h die Lebenshaltung desIndividuums zu sich selbst bestimmt Wenn jedoch eine so ver-standene urspruumlnglich personale Gerechtigkeit in der Form dersbquoegoistischenlsquo Megalopsychia spaumlter auch bei mehreren Individuen

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37) Vgl 1133b30ndash34 6 δικαιοπραγα μσον στ7 το$ δικε1ν κα7 δι-κε1σθαι τ) μampν γ5ρ πλον χειν τ) δ- λαττν στιν 6 δamp δικαιοσνη μεστης τςστιν ο9 τ)ν α9τ)ν δamp τρπον τα1ς 0λλαις ρετα1ς λλ- Qτι μσου στν 6 δ- δικατ+ν 0κρων

38) Das Prinzip der bdquoausteilenden Gerechtigkeitldquo existiert im wesentlichenlaumlngst wenn auch nicht als Terminus technicus und wird zur Anwendung gebrachtin der griechischen Gesellschaft so z B bereits in der Ilias bei dem δκη-BegriffVgl dazu E A Havelock The Greek Concept of Justice from its Shadow in Homerto its Substance in Plato Harvard 1978 Vgl auch Platon Politeia 1 332c1ndash2 Σι-μωνδης [ ] διενοε1το μampν γρ ς φανεται Qτι το$τ- εXη δκαιον τ) προσκον(κστ[ ποδιδναι

beziehungsweise Buumlrgern erfolgen wuumlrde dann wuumlrde man ja auchvon einem perfekt gerechten sittlich idealen Staat sprechen koumln-nen Es wird deutlich daszlig die viel miszligachtete beziehungsweise ver-achtete Megalopsychia in Wirklichkeit eng verbunden ist mit derhochgepriesenen Kardinaltugend der Gerechtigkeit

V

In Anal Post 213 97b15 ff fuumlhrt Aristoteles bei seinem Ver-such die Definition des Begriffes der Megalopsychia zu formulie-ren unter anderem zwei Beispiele aus der Homerischen Welt an denAchilleus und den Aias Denn beide haben nach Aristoteles etwasgemeinsam Sie ertragen es nicht daszlig ihre Ehre beleidigt und be-schaumldigt wird (97b19 τ) μ2 νχεσθαι βριζμενοι) Es ist natuumlr-lich kein Zufall daszlig Aristoteles diese wohlbekannten Helden alscharakteristische Paradigmen fuumlr die Megalopsychia verwendetWenn es um Ehre geht geschweige denn wenn es um verletzte Ehregeht dann sind Achilleus und Aias in der griechischen TraditionBeispiele par excellence Der eine droht voller Wut das gesamtegriechische Heer in die Vernichtung zu fuumlhren weil Agamemnondurch das Wegnehmen der Briseis seine Ehre herabgesetzt be-ziehungsweise seinen Status nicht angemessen anerkannt hat Derandere entscheidet und versucht die Atriden Agamemnon undMenelaos zu toumlten weil sie ihm die Waffen des Achilleus nicht ge-geben d h ebenfalls seine Ehre verletzt und seinen hohen Wertnicht entsprechend respektiert haben Als er sein Ziel verfehlt toumlteter sich selbst Warum tauchen sie nicht in den ethischen Schriften desAristoteles im Kontext der Megalopsychia-Besprechung auf

Achilleus und Aias sind charakterisiert durch eine bdquoradikaleIndividualitaumltldquo39 und durch ein extremes Verhalten ein Uumlbertrei-ben Es mag sein daszlig diese Helden durch ein monomanischesmaszligloses Verhalten ihre heroische Identitaumlt bewahren beziehungs-weise dem ethischen Kodex und Wertesystem ihrer Zeit entspre-chen Sonst erschiene ihr Leben wohl nicht mehr sbquogutlsquo und nichtmehr lebenswert40 Sonst wuumlrden sie sich selbst verlieren sich

57Aspekte der Megalopsychia bei Aristoteles (EN 43)

39) H Weinstock Sophokles Wuppertal 31948 6040) Vgl z B Sophokles Aias 479ndash480 λλ- καλ+ς ζν καλ+ς τε-

θνηκναι τ)ν ε9γεν χρ

selbst und ihr Wertebewuszligtsein aufgeben Es mag auch sein daszligsie in ihrem Sinne genau das Richtige tun selbst wenn dies ego-istisch und maszliglos erscheint da sie sich ja durch ihre Taten prak-tisch gegen die Gemeinschaft richten Das waumlre ein anderes ThemaSicher ist jedoch Das Uumlbertriebene Exaltierte ihres Verhaltenswaumlre im Rahmen des Aristotelischen Wertesystems tadelnswertBeide Helden verfuumlgen uumlber die Homerische Tugend und sindzwar γαθο und 0ριστοι41 aufgrund der Werte ihre r Zeit42 abersie sind nicht ς ληθ+ς γαθο also nicht γαθο im Aristo-telischen Sinne Achilleusrsquo und Aiasrsquo Handlungen beziehen sichvor allem auf ihre persoumlnliche Ehre beziehungsweise auf ihr per-soumlnliches Interesse nicht auf das Gemeinwohl Aber genau diesesdas angemessene Verhalten im Hinblick auf die Gemeinschaft unddie Teilnahme daran sind bei Aristoteles notwendige Vorausset-zungen des γαθς43

Auch die Phronesis diese zentrale dianoetische Tugend dienach Aristoteles immer jede ethische Tugend begleiten soll um wie eine Lampe den richtig gewaumlhlten Weg zu beleuchten44 ist beidiesen Helden in eklatanter Weise abwesend Und es steht auszligerZweifel γαθς zu sein ohne uumlber Phronesis zu verfuumlgen ist nachAristoteles nicht moumlglich Es gilt aber auch das Umgekehrte45 Die-se Helden sind nicht bdquounbeherrschtldquo (κρατε1ς) im AristotelischenSinne46 freilich auch nicht bdquobeherrschtldquo (γκρατε1ς) aber sie sindauch nicht bdquoschlechtldquo (φα$λοι ndash κλαστοι) Sie stehen auszligerhalbdieser ethischen Kategorien des Aristoteles und sind von daher ge-sehen ein Anachronismus

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41) Vgl z B Ilias 2768ndash770 νδρ+ν αJ μγ- 0ριστος ην ΤελαμAνιος ΑXας ^φρ- _χιλεNς μνιεν γ5ρ πολN φρτατος `εν Rπποι θ- οa φορεσκον μνοναΠηλεωνα

42) Vgl hierzu auch Broadie Rowe (wie Anm 9) 2943) Vgl 1163b6ndash8 ο9 γ5ρ τιμται μηδampν γαθ)ν τU κοινU πορζων τ)

κοιν)ν γ5ρ δδοται τU τ) κοιν)ν ε9εργετο$ντι 6 τιμ2 δamp κοινν44) Vgl 1144a6ndash9 τ) ργον ποτελε1ται κατ5 τ2ν φρνησιν κα7 τ2ν cθικ2ν

ρετν 6 μampν γ5ρ ρετ2 τ)ν σκοπ)ν ποιε1 Iρθν 6 δamp φρνησις τ5 πρ)ς το$τον45) Vgl 1144b31 f ο9χ ον τε γαθ)ν ε3ναι κυρως 0νευ φρονσεως ο9δamp

φρνιμον 0νευ τς cθικς ρετς46) sbquoUnbeherrschtlsquo bei Aristoteles ist derjenige der wohl weiszlig was richtig

ist dem es aber nicht gelingt seine πθη durch seine Vernunft zu kontrollieren be-ziehungsweise zu beherrschen Das heiszligt es besteht ein Konflikt zwischen seinenTrieben und Wuumlnschen einerseits und seiner Vernunft andererseits die am Schluszligdoch der sbquoVerliererlsquo ist Vgl 1111b13 f κα7 κρατ2ς πιθυμ+ν μampν πρττει προ-αιρομενος δ- ο9 1112a15 f 6 γ5ρ προαρεσις μετ5 λγου κα7 διανοας

Es wird nun klar warum Achilleus und Aias nicht Megalo -psychoi im streng ethischen beziehungsweise moralischen Sinnedes Aristotelischen Wertekanons sind Denn sie besitzen nicht alleanderen ethischen Tugenden Im ethischen Kontext der Aristoteli-schen Ausfuumlhrungen wuumlrden sie wenn sie vorkaumlmen als Gegen-Beispiele fungieren muumlssen d h sie haumltten eine antiparadigmati-sche Funktion Sie wuumlrden zitiert werden als solche die eben nichtwahrhaft Megalopsychoi sind

Man koumlnnte also nicht ohne Skepsis dem Achilleus und demAias diejenigen Eigenschaften zuschreiben die Aristoteles demMegalopsychos in der Nikomachischen Ethik zuschreibt47 undebensowenig umgekehrt versuchen den Megalopsychos der Niko-machischen Ethik mit diesen heroischen Figuren zu identifizieren

Schluszligbemerkung

Aristoteles orientiert sich bei seiner Behandlung der ethischenTugend der Megalopsychia in der Nikomachischen Ethik nur bis zu einem gewissen Grad an der Meinung der Vielen Er korrigiertdie oberflaumlchliche allgemein verbreitete Ansicht daszlig die Ehre dasEndziel des politischen Lebens ist aber er nimmt sie als das groumlszlig-te der aumluszligeren Guumlter an Er akzeptiert daszlig der 0ριστος sich be-rechtigterweise gemaumlszlig seiner ξα der groumlszligten Ehre fuumlr wert haumlltaber er gibt der ξα und somit auch den Begriffen der Tugend unddes γαθς beziehungsweise des 0ριστος einen neuen ethischenInhalt Megalopsychos ist und kann nur der ς ληθ+ς γαθςsein Megalopsychia ist eine zutiefst griechische Tugend und re-praumlsentativ fuumlr die gesamte antike griechische Denkweise Diechristlich gepraumlgte Mentalitaumlt kann sie nur schwer begreifen undnoch schwerer akzeptieren Anders das bei den Griechen verbrei-tete Denken Wenn man der Beste ist muszlig man sich dessen auchbewuszligt sein muszlig man es vor allem zeigen und sich entsprechendverhalten Die Megalopsychia ist insoweit auch eine Form desSelbstbewuszligtseins und der Selbsterkenntnis Daher erscheint esnatuumlrlich und gerecht das Beste und werthaltigste Gut naumlmlich dieEhre fuumlr sich in Anspruch zu nehmen wenn die Voraussetzungen

59Aspekte der Megalopsychia bei Aristoteles (EN 43)

47) So wie z B O Hellmann Aristoteles und Achilleus Der poetische Heldaus der Sicht des Philosophen in Althoff (wie Anm 1) 27ndash41 bes 35ndash38

dafuumlr die Aristoteles alle ausdruumlcklich benennt bei einem Men-schen gegeben sind Nur auf diese Weise nur wenn man Megalo -psychos ist kann man wirklich und vollkommen ε9δαμων wer-den Bescheidenheit waumlre hier also fehl am Platz und wuumlrde derPflicht die der Mensch gegenuumlber sich selbst hat widersprechenund damit auch der Selbstverwirklichung die Aristoteles sbquoEudai-monialsquo nennt48

Ioannina Mar i a L ia t s i

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48) Aristoteles formuliert mit diesem Gedanken eine Auffassung und nimmtmit diesem Punkt seiner Ethik eine Lehre vorweg die erst im Zuge der europaumlischenAufklaumlrung naumlmlich von Kant zu einer grundlegenden Bestimmung der Moral-philosophie gemacht worden ist naumlmlich daszlig der Mensch nicht nur Pflichten gegenandere sondern auch Pflichten gegen sich selbst hat und daszlig er auch in diesem Sinne das heiszligt durch Verletzung derselben schuldig werden kann gegenuumlber undan sich selbst Aristoteles hat mit seinem Begriff des Megalopsychos und der Me-galopsychia diese Unterscheidung Kants auf geniale Weise vorweggenommen VglImmanuel Kant Metaphysik der Sitten Zweiter Teil Metaphysische Anfangsgruumln-de der Tugendlehre I Ethische Elementarlehre 1 Teil Von den Pflichten gegen sichselbst 261ndash302 2 Teil Von den Tugendpflichten gegen andere 303ndash337 Hrsg vonKarl Vorlaumlnder Philosophische Bibliothek Bd 42 Hamburg 1922

Verdienstldquo (1123b14 κατ- ξαν) Als seine zweite Praumlmisse dientdie allgemein akzeptierte und weit verbreitete Auffassung daszlig die ξα in Hinsicht auf die aumluszligeren Guumlter12 ausgesprochen wird(1123b17 6 δ- ξα λγεται πρ)ς τ5 κτ)ς γαθ) Da das Groumlszligteunter den aumluszligeren Guumltern die Ehre (6 τιμ) ist (1123b20 f μγι-στον γ5ρ δ2 το$το τ+ν κτ)ς γαθ+ν) ist es folgerichtig die Ehreund zwar die groszlige Ehre wonach der Megalopsychos verlangt unddie er fuumlr sich in Anspruch nimmt13

Die Ehre sei ndash ihrer Bestimmung entsprechend ndash das Gut dasdie Menschen den Goumlttern zusprechen das Gut das am meistendie Maumlchtigen begehren und das Gut das die Belohnung und denPreis der besten Taten darstellt (vgl 1123b18 ff) In diesem einenSatz laumlszligt Aristoteles die auszligerordentliche Bedeutung der Ehre imganzen antiken griechischen Bewuszligtsein widerspiegeln von Ho-mer14 bis zu seiner Zeit Selbst Macht und Reichtum wie Aristote-les feststellt sind um der Ehre willen erstrebenswert (1124a17 f α8γ5ρ δυναστε1αι κα7 πλο$τος δι5 τ2ν τιμν στιν α8ρετ) Hinge-gen ist die Ehre wie er an anderer Stelle ausfuumlhrt um ihrer selbstwillen begehrenswert wie auch ferner natuumlrlich um der Eudaimo-nia willen Denn sie ist ein unentbehrlicher Bestandteil der Eudai-monia (1097b2ndash5)

Die Argumentation des Aristoteles wird fortgefuumlhrt Wenn esgilt daszlig der Megalopsychos der groumlszligten Dinge (τ+ν μεγστων)wuumlrdig ist und wenn nur dem bdquoBestenldquo die bdquogroumlszligten Dingeldquo ge-buumlhren dann muszlig der Megalopsychos der bdquoBesteldquo (0ριστος) sein(vgl 1123b27 f) Die Logik ist klar Nur der Beste verdient das Beste nur dem Groumlszligten eignet das Groumlszligte Und jetzt kommt diefuumlr Aristoteles ganz wichtige Gleichsetzung Der 0ριστος ist derγαθς Der 0ξιος τ+ν μεγστων kann nur der γαθς sein Wenn

46 Mar i a L ia t s i

12) Die Guumlter (γαθ) werden nach Aristoteles der Platonischen Aufteilungfolgend in die koumlrperlichen die seelischen und die sogenannten sbquoaumluszligerenlsquo eingeteilt(vgl 1098b12 ff) Zu diesen letzteren gehoumlrt die gute Abstammung (ε9γνεια) derReichtum (πλο$τος) die politische Macht (πολιτικ2 δναμις) beziehungsweise dersoziale Status die Freunde (φλοι) die guten Kinder (ε9τεκνα) und die Ehre (τιμ)

13) Siehe bereits 1107b21 ff wo im Rahmen der Darstellung einer Tugen-den-Liste ausgefuumlhrt wird daszlig es bei der Megalopsychia περ7 δamp τιμ2ν κα7 τιμανgeht und zwar περ7 τιμ2ν μεγλην

14) Vgl z B A W H Adkins lsquoHonourrsquo and lsquoPunishmentrsquo in the HomericPoems BICS 7 1960 23ndash32 ders Homeric Values and Homeric Society JHS 911971 1ndash14 D L Cairns Aidos The Psychology and Ethics of Honour and Shamein Ancient Greek Literature Oxford 1993

jemand also ein richtiger wahrer also in Wirklichkeit (ς ληθ+ς)Megalopsychos sein will dann muszlig er ein γαθς sein (vgl1123b29) Das bedeutet konkret fuumlr Aristoteles Nur der Traumlger aller Tugenden kann uumlber die Megalopsychia verfuumlgen Denn ohnediese Bedingung bliebe die Megalopsychia keine echte Tugend und wuumlrde dann unter Umstaumlnden ganz laumlcherlich wirken (vgl1123b33 f) Der schlechte Mensch (φα$λος) verdient nach Aristo-teles nicht Ehre geschweige denn die groumlszligte Ehre Denn die Ehresei wie er treffend formuliert der Preis der Tugend und sie kommenur den guten Menschen zu (1123b35 f τς ρετς γ5ρ ltθλον 6τιμ κα7 πονμεται το1ς γαθο1ς) Wir stellen dabei fest daszlig dieinneren ethisch-moralischen Werte (Inhalt der Tugend) in Bezie-hung gesetzt werden zu einem aumluszligeren Gut naumlmlich der Ehre Dasheiszligt Die seelischen Guumlter finden ihre Anerkennung und Bestaumlti-gung in Form eines aumluszligeren Gutes Die Relation ist dabei propor-tional je groumlszliger die inneren Werte desto groumlszliger auch die ihnen zukommende aumluszligere Belohnung Wer diese Proportion diese Ver-haumlltnismaumlszligigkeit nicht einhaumllt (z B der Mikropsychos oder derχα$νος) ist wenn nicht κακς beziehungsweise κακοποις so dochauf jeden Fall 6μαρτημνος (vgl 1125a18 f) Uumlberfluumlssig zu sagendaszlig die christliche Tugend der humilitas hier nicht im Spiel ist Viel-mehr wird diese unter dem Namen der Mikropsychia als ein feh-lerhaftes Extrem als eine Unzulaumlnglichkeit (λλειψις) getadelt

Der Megalopsychos nimmt nur groszlige Ehre an und empfaumlngtsie nur von bedeutenden Menschen (π) τ+ν σπουδαων) nicht vonirgendwelchen (παρ5 τ+ν τυχντων) und nicht wegen unwichtigerAngelegenheiten (1124a6ndash10)15 Seine Haltung selbst der Ehre ge-genuumlber geschweige denn gegenuumlber dem Reichtum und der politi-schen Macht die ja wegen der Ehre erstrebt werden und gegenuumlberallen moumlglichen angenehmen Ereignissen und Erfolgen oder un-gluumlcklichen Ereignissen und Miszligerfolgen ist angemessen und laumlszligtihn weder maszliglos erfreut noch maszliglos traurig sein (1124a13 ff)

47Aspekte der Megalopsychia bei Aristoteles (EN 43)

15) Siehe auch 1095b22 ff wo ausgefuumlhrt wird daszlig die edlen und aktivenMenschen (ο8 δamp χαρεντες κα7 πρακτικο) sich fuumlr die Ehre als Endziel in ihrem Leben entscheiden beziehungsweise fuumlr die politische Lebensform (βος πολιτικς)Diese Menschen suchen von den φρνιμοι geehrt zu werden und zwar von denendie sie kennen und aufgrund der Tugend (1095b28 f ζητο$σι γο$ν π) τ+νφρονμων τιμσθαι κα7 παρ- ος γινAσκονται κα7 π- ρετB) Die φρνιμοι fun-gieren also hier als Synonym fuumlr die σπουδα1οι beziehungsweise auch fuumlr die γα-θο und auf jeden Fall als Gegensatz zu den τυχντες

Das bedeutet nicht daszlig die aumluszligeren Guumlter (vornehme Ab-stammung Macht Reichtum) fuumlr die Realisation der Megalopsy-chia bei Aristoteles ohne Belang sind Im Gegenteil die guumlnstigenUmstaumlnde (ε9τυχματα) tragen offensichtlich zu der Megalopsy-chia bei (συμβλλεσθαι) und die Uumlberlegenheit (περοχ) dieman durch die Gunst der aumluszligeren Umstaumlnde erlangt foumlrdert dieseHaltung da sie von vornherein Anlaszlig zur Ehre in Aussicht stellt(vgl 1124a20ndash24) Wichtigste Voraussetzung ist daszlig man γαθςist und zusauml tz l i ch uumlber die aumluszligeren Guumlter verfuumlgt Denn ohneTugend ist es nicht leicht die gluumlcklichen Umstaumlnde beziehungs-weise die aumluszligeren Guumlter maszligvoll und angemessen (μμελ+ς) zuverwalten (1124a30 f) Aristoteles beweist hier erneut seinen reali-stischen pragmatischen Sinn fuumlr das menschliche Leben Er ist keinmoralischer Rigorist Auch die aumluszligeren Guumlter sind von Bedeutungdenn sie bringen ihrem Besitzer Ansehen vereinfachen sein Werkund den Aufweis seiner Tugenden und berechtigen ihn noch mehrAnspruch auf Ehre zu haben beziehungsweise noch mehr Ehre zuverdienen (vgl 1124a25 f C δ- 0μφω [scil ρετ2 κα7 τ5 κτ)ςγαθ] πρχει μλλον ξιο$ται τιμς)

Diese Ausfuumlhrungen des Aristoteles uumlber die Megalopsychiahaben wie wir feststellen koumlnnen ihr Pendant in seinen Aus-fuumlhrungen uumlber die Eudaimonia (vgl bes 1099a31ndashb8) Denn auchdie Eudaimonia diese ρστη νργεια ψυχς κατ- ρετ2ν τελεαν(vgl 1099a29 f 1102a5 f) bedarf zusaumltzlich (προσδε1ται) der aumluszlige-ren Guumlter wie Aristoteles sagt da es nicht leicht ist wenn nicht sogar unmoumlglich das Gute ohne Hilfsmittel zu tun Vieles laumlszligt sichdoch nur mit Hilfe von Freunden von Wohlstand und von politi-scher Macht erreichen wie Aristoteles richtig beobachtet Und einMensch der haumlszliglich ist eine niedrige Abstammung oder schlechteKinder und schlechte Freunde oder gar keine hat und allein im Leben steht kann nur schwer bdquogluumlcklichldquo heiszligen (1099b3 ο9 πνυγ5ρ ε9δαιμονικς) Es scheint also so zu sein daszlig man im Lebenauch eine solche ε9ημερα auch solche guumlnstigen aumluszligeren Umstaumlnde zusaumltzlich braucht16 Das ist auch der Grund weshalbmanche Menschen den bdquogluumlcklichen Zufallldquo (ε9τυχα) mit der Eudaimonia verwechseln und dabei denken daszlig diese beiden iden-tisch sind Die Hauptvoraussetzung jedoch fuumlr Aristoteles wenn

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16) Vgl auch 1098b26 Dτεροι δamp κα7 τ2ν κτ)ς ε9ετηραν συμπαραλαμ-βνουσιν

er von Eudaimonia redet ist das Handeln gemaumlszlig der Tugend(1100b10 κριαι δ- εEσ7ν α8 κατ- ρετ2ν νργειαι τς ε9δαι-μονας) Alles andere ist sekundaumlr Das heiszligt Der ε9δαιμονικς istder ς ληθ+ς γαθς (vgl 1100b21)

Die Analogie zwischen dem Aristotelischen Konzept der Eudaimonia und jenem der Megalopsychia ist wie es den Anscheinhat evident So wie das wesentliche Merkmal der Eudaimonia dieρετ2 τελεα ist und die aumluszligeren Guumlter nur κατ5 συμβεβηκς fungieren so aumlhnlich verhaumllt es sich im Fall der Megalopsychia dadie παντελ2ς ρετ (vgl 1124a828 f) beziehungsweise die καλο-καγαθα17 (1124a4) die conditio sine qua non der Megalopsychiaist und ihre Substanz bildet und die aumluszligeren Guumlter bloszlige wennauch unentbehrliche συμβεβηκτα sind Der Megalopsychos muszligalso ε9δαμων par excellence sein und der ε9δαμων muszlig natuumlrlichauch Megalopsychos sein So schwer es ist wirklich ε9δαμων alsowirklich γαθς zu sein genauso schwer ist es ein ς ληθ+ςMegalopsychos zu sein Denn der wirkliche Megalopsychos muszligwirklich γαθς sein18 Die altbewaumlhrten aumluszligeren Guumlter werden inbeiden Faumlllen zwar anerkannt und beruumlcksichtigt aber sie fungie-ren als sekundaumlre Elemente waumlhrend sie bis zur Zeit des Aristo -teles im oumlffentlichen Bewuszligtsein den wesentlichen Inhalt der bei-den Begriffe (Eudaimonia ndash Megalopsychia) bestimmten19 Diesgeschah im Fall der Megalopsychia indirekt mittelbar insofern dieaumluszligeren Guumlter den Begriffen 0ξιος ξα die Grundbestandteileder Definition der Megalopsychia sind eine konkrete eben auf siebezogene Bedeutung verliehen Bei Aristoteles gewinnen ja die Be-griffe 0ξιος ξα einen neuen ethischen Inhalt

Es ist nun unangebracht und nur ein Miszligverstaumlndnis der Ari-stotelischen Gedanken zur Megalopsychia zu behaupten daszlig dieseTugend mit der philosophischen Konzeption des Aristoteles in ethi-

49Aspekte der Megalopsychia bei Aristoteles (EN 43)

17) Vgl EE 815 1248b8ndash1249a17 wo ausgefuumlhrt wird daszlig die Kalokaga-thia ρετ2 τλειος στιν

18) Vgl 1123b29 τ)ν ς ληθ+ς 0ρα μεγαλψυχον δε1 γαθ)ν ε3ναι Vglauch 1124a3 f δι5 το$το χαλεπ)ν τB ληθεF μεγαλψυχον ε3ναι ο9 γ5ρ ον τε0νευ καλοκαγαθας Siehe ferner 1124a25 κατ- λθειαν δ- γαθ)ς μνος τιμητς

19) Zur gelaumlufigen Identifikation der Eudaimonia mit aumluszligeren Guumltern vglz B 1095a20 ff Zur Megalopsychia siehe 1124a26ndash28 ο8 δ- 0νευ ρετς τ5 τοια$ταγαθ5 χοντες [ ] οHτε Iρθ+ς μεγαλψυχοι λγονται Diese Formulierung impli-ziert deutlich daszlig es allgemein uumlblich war die Besitzer von aumluszligeren Guumltern als Me-galopsychoi zu bezeichnen auch wenn sie uumlber keine Tugend im AristotelischenSinne verfuumlgten

cis wenig zu tun habe beziehungsweise daszlig sie bdquoperipheral toethicsldquo20 sei oder daszlig sie in Wirklichheit gar keine Tugend sei DerMegalopsychos erscheint wie ein sbquoSupermanlsquo wie eine quasi mythi-sche Gestalt wie ein Held im vollen Sinne des Wortes21 Das wurdehaumlufig moniert Gegen diesen Einwand naumlmlich daszlig der Aristoteli-sche Megalopsychos eine uumlbertriebene utopische Figur darstellt diein der Realitaumlt gar nicht existiert haben kann laumlszligt sich erwidern daszligjedes Ideal ndash und der Megalopsychos bildet ja tatsaumlchlich ein solchesIdeal ein sbquoAumluszligersteslsquo ndash unrealistische Charakteristika aufweistAuch der ε9δαμων βος ist ein Ideal wonach man strebt und stre-ben soll Das bedeutet nicht daszlig man es vollstaumlndig erreichen kannMan versucht jedoch sich ihm immer mehr anzunaumlhern was derSinn eines jeden Ideals ist dauerhaft zur Verwirklichung diesessbquoAumluszligerstenlsquo beziehungsweise dieses idealen 0κρον22 zu motivieren

Daszlig die vornehme Abstammung daszlig Reichtum oder politi-sche Macht kurzum die traditionellen archaischen Werte nichtmehr genuumlgen um die Haltung (Dξις) der Megalopsychia zu recht-fertigen sondern man nur solange man das γαθν beziehungs-weise das ethische καλν realisiert uumlber die Megalopsychia wirk-lich verfuumlgen kann wird durch die Aristotelischen Ausfuumlhrungendeutlich Es wird auch deutlich daszlig die Megalopsychia das richti-ge Verhaumlltnis des γαθς der Ehre gegenuumlber konstituiert die vonseinen Tugenden her stammt

II

Eine der beruumlhmtesten und am meisten miszliginterpretiertenTextpassagen im Buch 43 der Nikomachischen Ethik ist die Stellewo die Megalopsychia als eine Art bdquoSchmuck der Tugendenldquo be-stimmt wird da sie sie bdquogroumlszligerldquo macht und ohne sie nicht zustan-de kommt (1124a1ndash3 οικε μampν οJν 6 μεγαλοψυχα οον κσμος τις

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20) Pakaluk (wie Anm 9) 24321) Vgl W K C Guthrie A History of Greek Philosophy vol 6 Aristotle ndash

an Encounter Oxford 1981 369 der ihn als bdquothe perfect gentlemanldquo bezeichnet22) Der Megalopsychos ist 0κρος hinsichtlich seiner Groumlszlige (1123b13 f) be-

ziehungsweise seines Wertes der bei Aristoteles wie wir sahen anhand der Tugendbemessen wird Er hat also den houmlchsten Wert und verdient beziehungsweise ver-langt fuumlr sich das Entsprechende Auch die Eudaimonia wird als τ) κρτατον τ+νπρακτ+ν γαθ+ν charakterisiert (1095a16 f) also als das houmlchste Gut wonach manstreben kann

ε3ναι τ+ν ρετ+ν μεζους γ5ρ α9τ5ς ποιε1 κα7 ο9 γνεται 0νευκενων)

Soviel hat sich bereits ergeben Die wahrhafte Megalopsychiasetzt die anderen ethischen Tugenden voraus und enthaumllt sie in ei-nem bestimmten Sinne Andernfalls handelt es sich dabei gar nichtum eine echte Tugend sondern um eine Dξις die man zwar sbquoMega-lopsychialsquo nennen mag was aber unzutreffend ist (vgl 1124a27 f)Wenn daher Leute die Haltung des Megalopsychos nachahmenohne γαθο zu sein erscheinen sie laumlcherlich (1123b33 f) oderhochmuumltig und arrogant (1124a29 ff) Das sind die Vielen (1124b6ο8 πολλο) die ohnehin nicht wahrhafte γαθο beziehungsweisenicht wahrhafte Megalopsychoi sein koumlnnen Denn das ist zugege-benermaszligen schwierig (χαλεπν 1124a3)

Aber in welchem Sinn ist die Megalopsychia wie ein Schmuckfuumlr die Tugenden Warum wird von Aristoteles diese Metapher gebraucht Die Antwort kommt gleich danach im Text weil dieMegalopsychia sie groumlszliger macht Wenn man die Stelle woumlrtlichuumlbersetzt versteht man sie kaum Wieso bdquoverleiht (die Megalopsy-chia) einer jeden (Tugend) die groumlszligere Formldquo23 Wieso bdquomacht essie groumlszligerldquo24 oder bdquoerweitert sieldquo25 Sie wuumlrde deswegen nicht wieein κσμος fuumlr die Tugenden funktionieren Eine Halskette die einSchmuck fuumlr den Hals ist macht ihn nicht groumlszliger aber sie laumlszligt ihn besser zum Vorschein kommen Durch sie zeichnet sich derHals besser aus Auch eine Krone laumlszligt einen Koumlnig nicht groumlszliger erscheinen aber sie unterstreicht sein Koumlnigsein sie druumlckt seineEigenschaft besser aus Die Krone macht den echten Koumlnig nichtaus denn er muszlig uumlber die entsprechenden Qualitaumlten und Faumlhig-keiten bereits verfuumlgen Er muszlig aber auch wie ein Koumlnig erschei-nen Jemand der kein wirklicher Koumlnig ist und trotzdem auf einerKrone besteht kann leicht laumlcherlich wirken Aumlhnliches gilt fuumlr dieMegalopsychia Sie bringt die Tugenden besser zur Geltung machtsie besser sichtbar Denn wenn man sie hat muszlig man sie auch zei-gen sie hervorheben insofern sie groumlszliger machen den anderen dieGroumlszlige offenbaren und man wird dafuumlr mit dem wichtigsten aumluszlige-ren Gut der Ehre gepriesen werden Die Megalopsychia kroumlnt die

51Aspekte der Megalopsychia bei Aristoteles (EN 43)

23) Dirlmeier (wie Anm 2) 8124) W D Ross Nicomachean Ethics revised by J O Urmson in J Barnes

(Hrsg) The Complete Works of Aristotle Princeton 1984 ad loc25) Broadie Rowe (wie Anm 9) 148

τελεα ρετ die eigentlich ohne die Megalopsychia gar nicht τε-λεα im strengen Sinne des Wortes sein kann Das bedeutet Ohnedie Tugend der Megalopsychia kann man die Eudaimonia nichtwirklich erreichen Wenn man diese Relation verstanden hat wirdman auch leichter einsehen daszlig diese von manchen Interpretenfalsch eingeschaumltzte Tugend sogar von zentraler Bedeutung fuumlr dasethische System des Aristoteles ist Kein Wunder daszlig Aristotelessie so ausfuumlhrlich behandelt

III

Die wahrhaftige Megalopsychia verlangt und verdient wie wirbereits ausgefuumlhrt haben die groumlszligte Ehre da sie eben dem wahr-haften γαθς zukommt Der wichtigste groumlszligte Wert also fuumlr Ari-stoteles die Tugend und zwar die vollkommene Tugend wird mitdem wichtigsten groumlszligten aumluszligeren Gut der Ehre belohnt Es ist zubeachten Die inneren Werte suchen ihr Aumlquivalent (wenigstensannaumlhernd) in den aumluszligeren Werten Mit anderen Worten Die seeli-schen inneren Guumlter (ψυχικ5 γαθ) werden an den aumluszligeren Guuml-tern bemessen und vor allem eben an der Ehre Warum suchen nunalle Menschen danach Wenn man genauer die Bedeutung diesesStrebens nach Ehre analysiert zu welchem ja der Megalopsychoseine ganz spezifische Beziehung hat wird man erneut feststellenkoumlnnen wie nah das Eudaimonia-Konzept dem Megalopsychia-Konzept steht beziehungsweise wie fest und substantiell integriertdiese Tugend im ethischen System des Aristoteles ist

Unter Ehre ist im wesentlichen das Ansehen der Ruhm dieAnerkennung zu verstehen Die Ehre ist ein unentbehrlicher Be-standteil der Eudaimonia Sie darf zwar nicht mit der Eudaimoniaidentifiziert werden wie viele Menschen das tun wenn sie sich fuumlrden βος πολιτικς entscheiden und faumllschlicherweise glauben dieτιμ sei das Ziel dieser Lebensform (vgl 1095b22 f) Die Ehre istein bedeutendes Mittel zu dem Endzweck der Eudaimonia dasauch fuumlr sich wuumlnschenswert und erstrebenswert ist26 obwohl sie

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26) Siehe 1097b2ndash5 τιμ2 δamp κα7 6δον2ν κα7 νο$ν κα7 πσαν ρετ2ν α8ρομε-θα μampν δι- α9τ [ ] α8ρομεθα δamp κα7 τς ε9δαιμονας χριν δι5 τοτων πο-λαμβνοντες ε9δαιμονσειν Vgl 1096a7ndash9 δι) μλλον τ5 πρτερον λεχθντατλη [scil 6δον τιμ] τις Kν πολβοι δι- ατ5 γ5ρ γαπται

nach Aristoteles kein vollstaumlndiges Gut (τλειον γαθν) ist (vgl1097a33 f) Sie gilt als das groumlszligte Gut weil sie das ist was man denGoumlttern zuteilt (vgl 1123b18 μγιστον δamp [scil γαθν] το$τ- Kνθεημεν L το1ς θεο1ς πονμομεν) Denn die Goumltter sind uns imHinblick auf alle Guumlter uumlberlegen (1158b36 πλε1στον γ5ρ οMτοι[scil ο8 θεο] πσι το1ς γαθο1ς περχουσιν) und wie die allge-meine Meinung lautet bdquoaus den Menschen werden Goumltter27 infol-ge des houmlchsten Grades der Tugendldquo (1145a23 f καθπερ φασνξ νθρAπων γνονται θεο7 δι- ρετς περβολν) Die Ansichtdaszlig die Goumltter mehr Tugend und mehr Ehre als die Menschen haben war in der Zeit des Aristoteles keineswegs unbekannt son-dern sie entsprach einem traditionellen Gemeingut28 Menschenund Goumltter wurden analog behandelt Sie verfuumlgten beide uumlber die-selben Eigenschaften und Merkmale Die Unterschiede zwischenihnen waren nur graduelle und nicht kategoriale Unterschiede29

Das Leben der Goumltter war also eine ins Ideale uumlbersetzte Vor-stellung vom Leben der Menschen Insofern verwundert es nichtwenn Aristoteles bei seinen Ausfuumlhrungen uumlber die EudaimoniaVergleiche zwischen Mensch und Gott beziehungsweise zwischender menschlichen und der goumlttlichen Eudaimonia zieht die natuumlr-lich groumlszliger als die menschliche ist30 aber nicht eine voumlllig andere31

Das bedeutet daszlig der Mensch wenn er nach Eudaimonia strebt inWirklichkeit danach strebt ein Leben zu fuumlhren das bis zu einemgewissen Grad dem goumlttlichen Leben das ein voumlllig seliges Lebenist nahe kommt32 Das goumlttliche Leben vertritt das Ganze das Absolute eben das Ideale (vgl 1178b8 f τοNς θεοNς μλισταε9δαμονας) Fuumlr den Menschen liegt das beste Leben darin daszlig er

53Aspekte der Megalopsychia bei Aristoteles (EN 43)

27) Die Rede ist hier von der Heroisierung hoch verdienter Menschen die zuden Halbgoumlttern gezaumlhlt wurden wie z B Herakles

28) Vgl z B Homer Ilias 1497 f στρεπτο7 δ τε κα7 θεο7 α9το τ+ν περκα7 μεζων ρετ2 τιμ τε βη τε

29) Zu dieser Thematik vgl J M Redfield Nature and Culture in The IliadThe Tragedy of Hector Chicago 1975 A W H Adkins Homeric Gods and the Values of Homeric Society JHS 92 1972 1 Vgl auch H Lloyd-Jones The Justiceof Zeus California 1971 175

30) Vgl z B 1178b8 f τοNς θεοNς γ5ρ μλιστα πειλφαμεν μακαρους κα7ε9δαμονας ε3ναι

31) Vgl hierzu auch R Kraut Aristotle on the Human Good Princeton1991 273

32) Vgl 1178b25ndash27 το1ς μampν γ5ρ θεο1ς Pπας βος μακριος το1ς δ-νθρAποις φ- Qσον μοωμ τι τς τοιατης νεργεας πρχει

einen Anteil ndash nach Moumlglichkeit einen groszligen ndash an dem goumlttlichenLebensmodus hat33 Da die Menschen die groumlszligten Ehrungen denGoumlttern darbieten ruumlckt ein Mensch in die Naumlhe der Goumltter undlebt sozusagen ein goumltteraumlhnliches Leben wenn er sehr groszlige Ehreempfaumlngt34 Die Voraussetzung dafuumlr ist daszlig man wirklich γαθςist denn κατ- λθειαν δ- γαθ)ς μνος τιμητς (1124a25) Da-her muszlig ein Mensch Megalopsychos sein wenn er den Wunschhat den Goumlttern irgendwie aumlhnlich zu sein

Nach Aristoteles sollte der Mensch sich nicht nur mit denmenschlichen beziehungsweise sterblichen Angelegenheiten befas-sen sondern soweit es ihm moumlglich ist sich unsterblich machen(φ- Qσον νδχεται θανατζειν) und alles tun um ein solches Leben zu haben das gemaumlszlig dem in sich Houmlchsten beziehungs weiseBesten gefuumlhrt wird (vgl 1177b31ndash34) Das Verlangen nach ver-dienter groszliger Ehre d h die Megalopsychia ist also gemaumlszlig denobigen Ausfuumlhrungen eine Form des Strebens nach Unsterblich-keit

IV

Die Megalopsychia erscheint auf den ersten Blick als einehoch individuelle Tugend da sie eben eine Selbst-Einschaumltzungeine Selbst-Erkenntnis eine Selbst-Bewertung ein Selbst-Bewuszligt-sein kurzum eine bestimmte Art der Selbst-Beziehung konsti -tuiert Gleichzeitig ist sie wie wir zeigen wollen eine bestimmteForm von Gerechtigkeit eine Gerechtigkeit gegenuumlber sich selbst

Die Gerechtigkeit ist die Tugend der angemessenen Vertei-lung im weitesten Sinne mithin eine soziale Tugend Sie bildet deswegen ein sogenanntes bdquofremdes Gutldquo (1130a3 f λλτριονγαθ)ν δοκε1 ε3ναι 6 δικαιοσνη vgl 1134b5 f) ein Gut das sichvor allem auf andere bezieht und als Maszligstab fuumlr ein geregeltes Zusammenleben dient

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33) Da der Gott also nach Aristoteles durch seine θεωρητικ2 νργεια gekennzeichnet wird (1178b21 f) muszlig die vorzuumlglichste Lebensform beziehungs-weise die vollkommene Eudaimonia (6 τελεα ε9δαιμονα) eine Art θεωρητικ2νργεια sein (1178b7 f) Daher hierarchisiert er den βος θεωρητικς als die houmlchst-moumlgliche Lebensform

34) Zu dieser Einstellung vgl bereits Homer Ilias 9155 οR κ ( δωτνSσιθε)ν Tς τιμσουσι Auch Odyssee 11484 τομεν 3σα θεο1σιν

Gerechtigkeit kann nach Aristoteles verschiedene Bedeutun-gen haben35 und entsprechend wird sie in zwei groszlige Kategorieneingeteilt in die bdquoallgemeineldquo (καθ- Qλον) und in die bdquopartikulareldquo(κατ5 μρος) Gerechtigkeit (vgl 1130b6ndash29) Die zweite wird wiederum in zwei Subkategorien unterteilt in das διανεμητικ)νδκαιον (bdquoausteilendeldquo oder bdquodistributive Gerechtigkeitldquo) und indas διορθωτικ)ν δκαιον (bdquokorrektive Gerechtigkeitldquo) (1130b31ndash1131a1 τ) ν τα1ς διανομα1ς τιμς χρημτων τ+ν 0λλων Qσαμεριστ5 το1ς κοινωνο$σι τς πολιτεας und τ) ν το1ς συναλ-λγμασι διορθωτικν) Es gibt nach Aristoteles auch eine dritteArt von Gerechtigkeit τ) ν τα1ς κοινωναις τα1ς λλακτικα1ς[scil δκαιον] (1132b31 f) die den Tausch von Waren betrifft dieman bdquoausgleichende Gerechtigkeitldquo nennen kann

Hier wollen wir uns auf die bdquoausteilende Gerechtigkeitldquo be-schraumlnken Maszligstab und normatives Leitprinzip fuumlr diese also fuumlrdas διανεμητικ)ν δκαιον ist jedem κατ- ξαν also jedem nachseinem Wert und nicht jedem das Gleiche (1131a25ndash27 τ) γ5ρδκαιον ν τα1ς νομα1ς μολογο$σι πντες κατ- ξαν τιν5 δε1νε3ναι τ2ν μντοι ξαν ο9 τ2ν α9τ2ν λγουσι πντες) Das Verhaumllt-nis von Guumltern und Wert bei der Person A muszlig dem Verhaumlltnis vonGuumltern und Wert bei der Person B entsprechen und zwar in Ab-haumlngigkeit des jeweiligen Wertes (ξα) von A und B Das διανε-μητικ)ν δκαιον wird richtig angewendet wenn bei der Verteilungder Guumlter eine solche Analogie d h Proportionalitaumlt (die soge-nannte γεωμετρικ2 ναλογα 1131b12 f) besteht die keinem mehroder weniger gibt als er tatsaumlchlich verdient Denn das Gerechte istetwas Analoges also Proportionales (1131a29 στιν 0ρα τ) δκαι-ον νλογν τι)36 und liegt in der Mitte zwischen dem δικε1ν (Unrecht tun) und dem δικε1σθαι (Unrecht leiden) Beide diese

55Aspekte der Megalopsychia bei Aristoteles (EN 43)

35) Zu dem Gerechtigkeitsbegriff bei Aristoteles vgl z B W F R HardieAristotlersquos Ethical Theory Oxford 1968 21980 189ndash198 T H Irwin AristotlersquosFirst Principles Oxford 1988 427ndash429 G Bien Gerechtigkeit bei Aristoteles inO Houmlffe (Hrsg) Aristoteles Die Nikomachische Ethik Berlin 1995 135ndash164M Pakaluk Aristotlersquos Nicomachean Ethics Cambridge 2005 181ndash205

36) Zu einer impliziten Anwendung des διανεμητικ)ν δκαιον bei der Ari-stotelischen Behandlung der Philia siehe 1165a14ndash18 Qτι μampν οJν ο9 τα9τ5 πσινποδοτον ο9δamp τU πατρ7 πντα καθπερ ο9δamp τU Δι7 θεται ο9κ 0δηλον πε7 δ-Dτερα γονε$σι κα7 δελφο1ς κα7 (ταροις κα7 ε9εργταις (κστοις τ5 οEκε1α κα7 τ5Wρμττοντα πονεμητον Vgl auch 1165a30ndash32 κα7 συγγενσι δamp κα7 φυλταις κα7πολταις κα7 το1ς λοιπο1ς Pπασιν ε7 πειρατον τ) οEκε1ον πονμειν

Extreme sind Formen der Ungerechtigkeit (δικα)37 Wer sich zuviel vom Guten aneignet ohne es wirklich zu verdienen der tut Un-recht waumlhrend derjenige der zu wenig davon bekommt obwohl eres verdienen wuumlrde Unrecht leidet Der Gerechte (δκαιος) verteiltob er selber involviert ist oder nicht das proportional Gleiche (δια-νεμητικ)ς το$ Xσου το$ κατ- ναλογαν vgl 1134a3ndash6)38

Es wird deutlich auch wenn Aristoteles keine Ausfuumlhrungendaruumlber macht daszlig die Megalopsychia eine spezifische Art desδιανεμητικ)ν δκαιον konstituiert Sie liegt wie bereits ausgefuumlhrtin der richtigen Mitte zwischen der χαυντης (einen zu hohen Anspruch haben der dem objektiven Wert der Person nicht ent-spricht) und der Mikropsychia (zu niedrige Anspruumlche trotz hohen Wertes haben) Die χαυντης bildet also eine Form desδικε1ν und die Mikropsychia eine Form des δικε1σθαι Die da-zwischen liegende δικαιοπραγα ist die Tugend der MegalopsychiaDaher sollte es nicht verwundern und nicht als arrogant erschei-nen daszlig der Megalopsychos sich nicht allzu sehr uumlber die Ehrun-gen die ihm erwiesen werden freut Denn er denkt ja daszlig er sieverdient beziehungsweise daszlig es gerecht ist daszlig er sie empfaumlngtUnd so wie die Gerechtigkeit gemaumlszlig Aristoteles eine τελεα ρετist (1129b25 f) so muszlig man auch die vollkommene Tugend besit-zen wie verlangt um Megalopsychos sein zu koumlnnen (1124a28 f)Nur mit dem Unterschied daszlig die Megalopsychia unmittelbar we-der die Beziehung der Buumlrger untereinander also das Verhaumlltniszwischen verschiedenen Individuen regelt noch die Haltung derGesellschaft als Institution ihren Mitgliedern gegenuumlber betrifftsondern urspruumlnglich das Verhaumlltnis d h die Lebenshaltung desIndividuums zu sich selbst bestimmt Wenn jedoch eine so ver-standene urspruumlnglich personale Gerechtigkeit in der Form dersbquoegoistischenlsquo Megalopsychia spaumlter auch bei mehreren Individuen

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37) Vgl 1133b30ndash34 6 δικαιοπραγα μσον στ7 το$ δικε1ν κα7 δι-κε1σθαι τ) μampν γ5ρ πλον χειν τ) δ- λαττν στιν 6 δamp δικαιοσνη μεστης τςστιν ο9 τ)ν α9τ)ν δamp τρπον τα1ς 0λλαις ρετα1ς λλ- Qτι μσου στν 6 δ- δικατ+ν 0κρων

38) Das Prinzip der bdquoausteilenden Gerechtigkeitldquo existiert im wesentlichenlaumlngst wenn auch nicht als Terminus technicus und wird zur Anwendung gebrachtin der griechischen Gesellschaft so z B bereits in der Ilias bei dem δκη-BegriffVgl dazu E A Havelock The Greek Concept of Justice from its Shadow in Homerto its Substance in Plato Harvard 1978 Vgl auch Platon Politeia 1 332c1ndash2 Σι-μωνδης [ ] διενοε1το μampν γρ ς φανεται Qτι το$τ- εXη δκαιον τ) προσκον(κστ[ ποδιδναι

beziehungsweise Buumlrgern erfolgen wuumlrde dann wuumlrde man ja auchvon einem perfekt gerechten sittlich idealen Staat sprechen koumln-nen Es wird deutlich daszlig die viel miszligachtete beziehungsweise ver-achtete Megalopsychia in Wirklichkeit eng verbunden ist mit derhochgepriesenen Kardinaltugend der Gerechtigkeit

V

In Anal Post 213 97b15 ff fuumlhrt Aristoteles bei seinem Ver-such die Definition des Begriffes der Megalopsychia zu formulie-ren unter anderem zwei Beispiele aus der Homerischen Welt an denAchilleus und den Aias Denn beide haben nach Aristoteles etwasgemeinsam Sie ertragen es nicht daszlig ihre Ehre beleidigt und be-schaumldigt wird (97b19 τ) μ2 νχεσθαι βριζμενοι) Es ist natuumlr-lich kein Zufall daszlig Aristoteles diese wohlbekannten Helden alscharakteristische Paradigmen fuumlr die Megalopsychia verwendetWenn es um Ehre geht geschweige denn wenn es um verletzte Ehregeht dann sind Achilleus und Aias in der griechischen TraditionBeispiele par excellence Der eine droht voller Wut das gesamtegriechische Heer in die Vernichtung zu fuumlhren weil Agamemnondurch das Wegnehmen der Briseis seine Ehre herabgesetzt be-ziehungsweise seinen Status nicht angemessen anerkannt hat Derandere entscheidet und versucht die Atriden Agamemnon undMenelaos zu toumlten weil sie ihm die Waffen des Achilleus nicht ge-geben d h ebenfalls seine Ehre verletzt und seinen hohen Wertnicht entsprechend respektiert haben Als er sein Ziel verfehlt toumlteter sich selbst Warum tauchen sie nicht in den ethischen Schriften desAristoteles im Kontext der Megalopsychia-Besprechung auf

Achilleus und Aias sind charakterisiert durch eine bdquoradikaleIndividualitaumltldquo39 und durch ein extremes Verhalten ein Uumlbertrei-ben Es mag sein daszlig diese Helden durch ein monomanischesmaszligloses Verhalten ihre heroische Identitaumlt bewahren beziehungs-weise dem ethischen Kodex und Wertesystem ihrer Zeit entspre-chen Sonst erschiene ihr Leben wohl nicht mehr sbquogutlsquo und nichtmehr lebenswert40 Sonst wuumlrden sie sich selbst verlieren sich

57Aspekte der Megalopsychia bei Aristoteles (EN 43)

39) H Weinstock Sophokles Wuppertal 31948 6040) Vgl z B Sophokles Aias 479ndash480 λλ- καλ+ς ζν καλ+ς τε-

θνηκναι τ)ν ε9γεν χρ

selbst und ihr Wertebewuszligtsein aufgeben Es mag auch sein daszligsie in ihrem Sinne genau das Richtige tun selbst wenn dies ego-istisch und maszliglos erscheint da sie sich ja durch ihre Taten prak-tisch gegen die Gemeinschaft richten Das waumlre ein anderes ThemaSicher ist jedoch Das Uumlbertriebene Exaltierte ihres Verhaltenswaumlre im Rahmen des Aristotelischen Wertesystems tadelnswertBeide Helden verfuumlgen uumlber die Homerische Tugend und sindzwar γαθο und 0ριστοι41 aufgrund der Werte ihre r Zeit42 abersie sind nicht ς ληθ+ς γαθο also nicht γαθο im Aristo-telischen Sinne Achilleusrsquo und Aiasrsquo Handlungen beziehen sichvor allem auf ihre persoumlnliche Ehre beziehungsweise auf ihr per-soumlnliches Interesse nicht auf das Gemeinwohl Aber genau diesesdas angemessene Verhalten im Hinblick auf die Gemeinschaft unddie Teilnahme daran sind bei Aristoteles notwendige Vorausset-zungen des γαθς43

Auch die Phronesis diese zentrale dianoetische Tugend dienach Aristoteles immer jede ethische Tugend begleiten soll um wie eine Lampe den richtig gewaumlhlten Weg zu beleuchten44 ist beidiesen Helden in eklatanter Weise abwesend Und es steht auszligerZweifel γαθς zu sein ohne uumlber Phronesis zu verfuumlgen ist nachAristoteles nicht moumlglich Es gilt aber auch das Umgekehrte45 Die-se Helden sind nicht bdquounbeherrschtldquo (κρατε1ς) im AristotelischenSinne46 freilich auch nicht bdquobeherrschtldquo (γκρατε1ς) aber sie sindauch nicht bdquoschlechtldquo (φα$λοι ndash κλαστοι) Sie stehen auszligerhalbdieser ethischen Kategorien des Aristoteles und sind von daher ge-sehen ein Anachronismus

58 Mar i a L ia t s i

41) Vgl z B Ilias 2768ndash770 νδρ+ν αJ μγ- 0ριστος ην ΤελαμAνιος ΑXας ^φρ- _χιλεNς μνιεν γ5ρ πολN φρτατος `εν Rπποι θ- οa φορεσκον μνοναΠηλεωνα

42) Vgl hierzu auch Broadie Rowe (wie Anm 9) 2943) Vgl 1163b6ndash8 ο9 γ5ρ τιμται μηδampν γαθ)ν τU κοινU πορζων τ)

κοιν)ν γ5ρ δδοται τU τ) κοιν)ν ε9εργετο$ντι 6 τιμ2 δamp κοινν44) Vgl 1144a6ndash9 τ) ργον ποτελε1ται κατ5 τ2ν φρνησιν κα7 τ2ν cθικ2ν

ρετν 6 μampν γ5ρ ρετ2 τ)ν σκοπ)ν ποιε1 Iρθν 6 δamp φρνησις τ5 πρ)ς το$τον45) Vgl 1144b31 f ο9χ ον τε γαθ)ν ε3ναι κυρως 0νευ φρονσεως ο9δamp

φρνιμον 0νευ τς cθικς ρετς46) sbquoUnbeherrschtlsquo bei Aristoteles ist derjenige der wohl weiszlig was richtig

ist dem es aber nicht gelingt seine πθη durch seine Vernunft zu kontrollieren be-ziehungsweise zu beherrschen Das heiszligt es besteht ein Konflikt zwischen seinenTrieben und Wuumlnschen einerseits und seiner Vernunft andererseits die am Schluszligdoch der sbquoVerliererlsquo ist Vgl 1111b13 f κα7 κρατ2ς πιθυμ+ν μampν πρττει προ-αιρομενος δ- ο9 1112a15 f 6 γ5ρ προαρεσις μετ5 λγου κα7 διανοας

Es wird nun klar warum Achilleus und Aias nicht Megalo -psychoi im streng ethischen beziehungsweise moralischen Sinnedes Aristotelischen Wertekanons sind Denn sie besitzen nicht alleanderen ethischen Tugenden Im ethischen Kontext der Aristoteli-schen Ausfuumlhrungen wuumlrden sie wenn sie vorkaumlmen als Gegen-Beispiele fungieren muumlssen d h sie haumltten eine antiparadigmati-sche Funktion Sie wuumlrden zitiert werden als solche die eben nichtwahrhaft Megalopsychoi sind

Man koumlnnte also nicht ohne Skepsis dem Achilleus und demAias diejenigen Eigenschaften zuschreiben die Aristoteles demMegalopsychos in der Nikomachischen Ethik zuschreibt47 undebensowenig umgekehrt versuchen den Megalopsychos der Niko-machischen Ethik mit diesen heroischen Figuren zu identifizieren

Schluszligbemerkung

Aristoteles orientiert sich bei seiner Behandlung der ethischenTugend der Megalopsychia in der Nikomachischen Ethik nur bis zu einem gewissen Grad an der Meinung der Vielen Er korrigiertdie oberflaumlchliche allgemein verbreitete Ansicht daszlig die Ehre dasEndziel des politischen Lebens ist aber er nimmt sie als das groumlszlig-te der aumluszligeren Guumlter an Er akzeptiert daszlig der 0ριστος sich be-rechtigterweise gemaumlszlig seiner ξα der groumlszligten Ehre fuumlr wert haumlltaber er gibt der ξα und somit auch den Begriffen der Tugend unddes γαθς beziehungsweise des 0ριστος einen neuen ethischenInhalt Megalopsychos ist und kann nur der ς ληθ+ς γαθςsein Megalopsychia ist eine zutiefst griechische Tugend und re-praumlsentativ fuumlr die gesamte antike griechische Denkweise Diechristlich gepraumlgte Mentalitaumlt kann sie nur schwer begreifen undnoch schwerer akzeptieren Anders das bei den Griechen verbrei-tete Denken Wenn man der Beste ist muszlig man sich dessen auchbewuszligt sein muszlig man es vor allem zeigen und sich entsprechendverhalten Die Megalopsychia ist insoweit auch eine Form desSelbstbewuszligtseins und der Selbsterkenntnis Daher erscheint esnatuumlrlich und gerecht das Beste und werthaltigste Gut naumlmlich dieEhre fuumlr sich in Anspruch zu nehmen wenn die Voraussetzungen

59Aspekte der Megalopsychia bei Aristoteles (EN 43)

47) So wie z B O Hellmann Aristoteles und Achilleus Der poetische Heldaus der Sicht des Philosophen in Althoff (wie Anm 1) 27ndash41 bes 35ndash38

dafuumlr die Aristoteles alle ausdruumlcklich benennt bei einem Men-schen gegeben sind Nur auf diese Weise nur wenn man Megalo -psychos ist kann man wirklich und vollkommen ε9δαμων wer-den Bescheidenheit waumlre hier also fehl am Platz und wuumlrde derPflicht die der Mensch gegenuumlber sich selbst hat widersprechenund damit auch der Selbstverwirklichung die Aristoteles sbquoEudai-monialsquo nennt48

Ioannina Mar i a L ia t s i

60 Mar i a L ia t s i

48) Aristoteles formuliert mit diesem Gedanken eine Auffassung und nimmtmit diesem Punkt seiner Ethik eine Lehre vorweg die erst im Zuge der europaumlischenAufklaumlrung naumlmlich von Kant zu einer grundlegenden Bestimmung der Moral-philosophie gemacht worden ist naumlmlich daszlig der Mensch nicht nur Pflichten gegenandere sondern auch Pflichten gegen sich selbst hat und daszlig er auch in diesem Sinne das heiszligt durch Verletzung derselben schuldig werden kann gegenuumlber undan sich selbst Aristoteles hat mit seinem Begriff des Megalopsychos und der Me-galopsychia diese Unterscheidung Kants auf geniale Weise vorweggenommen VglImmanuel Kant Metaphysik der Sitten Zweiter Teil Metaphysische Anfangsgruumln-de der Tugendlehre I Ethische Elementarlehre 1 Teil Von den Pflichten gegen sichselbst 261ndash302 2 Teil Von den Tugendpflichten gegen andere 303ndash337 Hrsg vonKarl Vorlaumlnder Philosophische Bibliothek Bd 42 Hamburg 1922

jemand also ein richtiger wahrer also in Wirklichkeit (ς ληθ+ς)Megalopsychos sein will dann muszlig er ein γαθς sein (vgl1123b29) Das bedeutet konkret fuumlr Aristoteles Nur der Traumlger aller Tugenden kann uumlber die Megalopsychia verfuumlgen Denn ohnediese Bedingung bliebe die Megalopsychia keine echte Tugend und wuumlrde dann unter Umstaumlnden ganz laumlcherlich wirken (vgl1123b33 f) Der schlechte Mensch (φα$λος) verdient nach Aristo-teles nicht Ehre geschweige denn die groumlszligte Ehre Denn die Ehresei wie er treffend formuliert der Preis der Tugend und sie kommenur den guten Menschen zu (1123b35 f τς ρετς γ5ρ ltθλον 6τιμ κα7 πονμεται το1ς γαθο1ς) Wir stellen dabei fest daszlig dieinneren ethisch-moralischen Werte (Inhalt der Tugend) in Bezie-hung gesetzt werden zu einem aumluszligeren Gut naumlmlich der Ehre Dasheiszligt Die seelischen Guumlter finden ihre Anerkennung und Bestaumlti-gung in Form eines aumluszligeren Gutes Die Relation ist dabei propor-tional je groumlszliger die inneren Werte desto groumlszliger auch die ihnen zukommende aumluszligere Belohnung Wer diese Proportion diese Ver-haumlltnismaumlszligigkeit nicht einhaumllt (z B der Mikropsychos oder derχα$νος) ist wenn nicht κακς beziehungsweise κακοποις so dochauf jeden Fall 6μαρτημνος (vgl 1125a18 f) Uumlberfluumlssig zu sagendaszlig die christliche Tugend der humilitas hier nicht im Spiel ist Viel-mehr wird diese unter dem Namen der Mikropsychia als ein feh-lerhaftes Extrem als eine Unzulaumlnglichkeit (λλειψις) getadelt

Der Megalopsychos nimmt nur groszlige Ehre an und empfaumlngtsie nur von bedeutenden Menschen (π) τ+ν σπουδαων) nicht vonirgendwelchen (παρ5 τ+ν τυχντων) und nicht wegen unwichtigerAngelegenheiten (1124a6ndash10)15 Seine Haltung selbst der Ehre ge-genuumlber geschweige denn gegenuumlber dem Reichtum und der politi-schen Macht die ja wegen der Ehre erstrebt werden und gegenuumlberallen moumlglichen angenehmen Ereignissen und Erfolgen oder un-gluumlcklichen Ereignissen und Miszligerfolgen ist angemessen und laumlszligtihn weder maszliglos erfreut noch maszliglos traurig sein (1124a13 ff)

47Aspekte der Megalopsychia bei Aristoteles (EN 43)

15) Siehe auch 1095b22 ff wo ausgefuumlhrt wird daszlig die edlen und aktivenMenschen (ο8 δamp χαρεντες κα7 πρακτικο) sich fuumlr die Ehre als Endziel in ihrem Leben entscheiden beziehungsweise fuumlr die politische Lebensform (βος πολιτικς)Diese Menschen suchen von den φρνιμοι geehrt zu werden und zwar von denendie sie kennen und aufgrund der Tugend (1095b28 f ζητο$σι γο$ν π) τ+νφρονμων τιμσθαι κα7 παρ- ος γινAσκονται κα7 π- ρετB) Die φρνιμοι fun-gieren also hier als Synonym fuumlr die σπουδα1οι beziehungsweise auch fuumlr die γα-θο und auf jeden Fall als Gegensatz zu den τυχντες

Das bedeutet nicht daszlig die aumluszligeren Guumlter (vornehme Ab-stammung Macht Reichtum) fuumlr die Realisation der Megalopsy-chia bei Aristoteles ohne Belang sind Im Gegenteil die guumlnstigenUmstaumlnde (ε9τυχματα) tragen offensichtlich zu der Megalopsy-chia bei (συμβλλεσθαι) und die Uumlberlegenheit (περοχ) dieman durch die Gunst der aumluszligeren Umstaumlnde erlangt foumlrdert dieseHaltung da sie von vornherein Anlaszlig zur Ehre in Aussicht stellt(vgl 1124a20ndash24) Wichtigste Voraussetzung ist daszlig man γαθςist und zusauml tz l i ch uumlber die aumluszligeren Guumlter verfuumlgt Denn ohneTugend ist es nicht leicht die gluumlcklichen Umstaumlnde beziehungs-weise die aumluszligeren Guumlter maszligvoll und angemessen (μμελ+ς) zuverwalten (1124a30 f) Aristoteles beweist hier erneut seinen reali-stischen pragmatischen Sinn fuumlr das menschliche Leben Er ist keinmoralischer Rigorist Auch die aumluszligeren Guumlter sind von Bedeutungdenn sie bringen ihrem Besitzer Ansehen vereinfachen sein Werkund den Aufweis seiner Tugenden und berechtigen ihn noch mehrAnspruch auf Ehre zu haben beziehungsweise noch mehr Ehre zuverdienen (vgl 1124a25 f C δ- 0μφω [scil ρετ2 κα7 τ5 κτ)ςγαθ] πρχει μλλον ξιο$ται τιμς)

Diese Ausfuumlhrungen des Aristoteles uumlber die Megalopsychiahaben wie wir feststellen koumlnnen ihr Pendant in seinen Aus-fuumlhrungen uumlber die Eudaimonia (vgl bes 1099a31ndashb8) Denn auchdie Eudaimonia diese ρστη νργεια ψυχς κατ- ρετ2ν τελεαν(vgl 1099a29 f 1102a5 f) bedarf zusaumltzlich (προσδε1ται) der aumluszlige-ren Guumlter wie Aristoteles sagt da es nicht leicht ist wenn nicht sogar unmoumlglich das Gute ohne Hilfsmittel zu tun Vieles laumlszligt sichdoch nur mit Hilfe von Freunden von Wohlstand und von politi-scher Macht erreichen wie Aristoteles richtig beobachtet Und einMensch der haumlszliglich ist eine niedrige Abstammung oder schlechteKinder und schlechte Freunde oder gar keine hat und allein im Leben steht kann nur schwer bdquogluumlcklichldquo heiszligen (1099b3 ο9 πνυγ5ρ ε9δαιμονικς) Es scheint also so zu sein daszlig man im Lebenauch eine solche ε9ημερα auch solche guumlnstigen aumluszligeren Umstaumlnde zusaumltzlich braucht16 Das ist auch der Grund weshalbmanche Menschen den bdquogluumlcklichen Zufallldquo (ε9τυχα) mit der Eudaimonia verwechseln und dabei denken daszlig diese beiden iden-tisch sind Die Hauptvoraussetzung jedoch fuumlr Aristoteles wenn

48 Mar i a L ia t s i

16) Vgl auch 1098b26 Dτεροι δamp κα7 τ2ν κτ)ς ε9ετηραν συμπαραλαμ-βνουσιν

er von Eudaimonia redet ist das Handeln gemaumlszlig der Tugend(1100b10 κριαι δ- εEσ7ν α8 κατ- ρετ2ν νργειαι τς ε9δαι-μονας) Alles andere ist sekundaumlr Das heiszligt Der ε9δαιμονικς istder ς ληθ+ς γαθς (vgl 1100b21)

Die Analogie zwischen dem Aristotelischen Konzept der Eudaimonia und jenem der Megalopsychia ist wie es den Anscheinhat evident So wie das wesentliche Merkmal der Eudaimonia dieρετ2 τελεα ist und die aumluszligeren Guumlter nur κατ5 συμβεβηκς fungieren so aumlhnlich verhaumllt es sich im Fall der Megalopsychia dadie παντελ2ς ρετ (vgl 1124a828 f) beziehungsweise die καλο-καγαθα17 (1124a4) die conditio sine qua non der Megalopsychiaist und ihre Substanz bildet und die aumluszligeren Guumlter bloszlige wennauch unentbehrliche συμβεβηκτα sind Der Megalopsychos muszligalso ε9δαμων par excellence sein und der ε9δαμων muszlig natuumlrlichauch Megalopsychos sein So schwer es ist wirklich ε9δαμων alsowirklich γαθς zu sein genauso schwer ist es ein ς ληθ+ςMegalopsychos zu sein Denn der wirkliche Megalopsychos muszligwirklich γαθς sein18 Die altbewaumlhrten aumluszligeren Guumlter werden inbeiden Faumlllen zwar anerkannt und beruumlcksichtigt aber sie fungie-ren als sekundaumlre Elemente waumlhrend sie bis zur Zeit des Aristo -teles im oumlffentlichen Bewuszligtsein den wesentlichen Inhalt der bei-den Begriffe (Eudaimonia ndash Megalopsychia) bestimmten19 Diesgeschah im Fall der Megalopsychia indirekt mittelbar insofern dieaumluszligeren Guumlter den Begriffen 0ξιος ξα die Grundbestandteileder Definition der Megalopsychia sind eine konkrete eben auf siebezogene Bedeutung verliehen Bei Aristoteles gewinnen ja die Be-griffe 0ξιος ξα einen neuen ethischen Inhalt

Es ist nun unangebracht und nur ein Miszligverstaumlndnis der Ari-stotelischen Gedanken zur Megalopsychia zu behaupten daszlig dieseTugend mit der philosophischen Konzeption des Aristoteles in ethi-

49Aspekte der Megalopsychia bei Aristoteles (EN 43)

17) Vgl EE 815 1248b8ndash1249a17 wo ausgefuumlhrt wird daszlig die Kalokaga-thia ρετ2 τλειος στιν

18) Vgl 1123b29 τ)ν ς ληθ+ς 0ρα μεγαλψυχον δε1 γαθ)ν ε3ναι Vglauch 1124a3 f δι5 το$το χαλεπ)ν τB ληθεF μεγαλψυχον ε3ναι ο9 γ5ρ ον τε0νευ καλοκαγαθας Siehe ferner 1124a25 κατ- λθειαν δ- γαθ)ς μνος τιμητς

19) Zur gelaumlufigen Identifikation der Eudaimonia mit aumluszligeren Guumltern vglz B 1095a20 ff Zur Megalopsychia siehe 1124a26ndash28 ο8 δ- 0νευ ρετς τ5 τοια$ταγαθ5 χοντες [ ] οHτε Iρθ+ς μεγαλψυχοι λγονται Diese Formulierung impli-ziert deutlich daszlig es allgemein uumlblich war die Besitzer von aumluszligeren Guumltern als Me-galopsychoi zu bezeichnen auch wenn sie uumlber keine Tugend im AristotelischenSinne verfuumlgten

cis wenig zu tun habe beziehungsweise daszlig sie bdquoperipheral toethicsldquo20 sei oder daszlig sie in Wirklichheit gar keine Tugend sei DerMegalopsychos erscheint wie ein sbquoSupermanlsquo wie eine quasi mythi-sche Gestalt wie ein Held im vollen Sinne des Wortes21 Das wurdehaumlufig moniert Gegen diesen Einwand naumlmlich daszlig der Aristoteli-sche Megalopsychos eine uumlbertriebene utopische Figur darstellt diein der Realitaumlt gar nicht existiert haben kann laumlszligt sich erwidern daszligjedes Ideal ndash und der Megalopsychos bildet ja tatsaumlchlich ein solchesIdeal ein sbquoAumluszligersteslsquo ndash unrealistische Charakteristika aufweistAuch der ε9δαμων βος ist ein Ideal wonach man strebt und stre-ben soll Das bedeutet nicht daszlig man es vollstaumlndig erreichen kannMan versucht jedoch sich ihm immer mehr anzunaumlhern was derSinn eines jeden Ideals ist dauerhaft zur Verwirklichung diesessbquoAumluszligerstenlsquo beziehungsweise dieses idealen 0κρον22 zu motivieren

Daszlig die vornehme Abstammung daszlig Reichtum oder politi-sche Macht kurzum die traditionellen archaischen Werte nichtmehr genuumlgen um die Haltung (Dξις) der Megalopsychia zu recht-fertigen sondern man nur solange man das γαθν beziehungs-weise das ethische καλν realisiert uumlber die Megalopsychia wirk-lich verfuumlgen kann wird durch die Aristotelischen Ausfuumlhrungendeutlich Es wird auch deutlich daszlig die Megalopsychia das richti-ge Verhaumlltnis des γαθς der Ehre gegenuumlber konstituiert die vonseinen Tugenden her stammt

II

Eine der beruumlhmtesten und am meisten miszliginterpretiertenTextpassagen im Buch 43 der Nikomachischen Ethik ist die Stellewo die Megalopsychia als eine Art bdquoSchmuck der Tugendenldquo be-stimmt wird da sie sie bdquogroumlszligerldquo macht und ohne sie nicht zustan-de kommt (1124a1ndash3 οικε μampν οJν 6 μεγαλοψυχα οον κσμος τις

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20) Pakaluk (wie Anm 9) 24321) Vgl W K C Guthrie A History of Greek Philosophy vol 6 Aristotle ndash

an Encounter Oxford 1981 369 der ihn als bdquothe perfect gentlemanldquo bezeichnet22) Der Megalopsychos ist 0κρος hinsichtlich seiner Groumlszlige (1123b13 f) be-

ziehungsweise seines Wertes der bei Aristoteles wie wir sahen anhand der Tugendbemessen wird Er hat also den houmlchsten Wert und verdient beziehungsweise ver-langt fuumlr sich das Entsprechende Auch die Eudaimonia wird als τ) κρτατον τ+νπρακτ+ν γαθ+ν charakterisiert (1095a16 f) also als das houmlchste Gut wonach manstreben kann

ε3ναι τ+ν ρετ+ν μεζους γ5ρ α9τ5ς ποιε1 κα7 ο9 γνεται 0νευκενων)

Soviel hat sich bereits ergeben Die wahrhafte Megalopsychiasetzt die anderen ethischen Tugenden voraus und enthaumllt sie in ei-nem bestimmten Sinne Andernfalls handelt es sich dabei gar nichtum eine echte Tugend sondern um eine Dξις die man zwar sbquoMega-lopsychialsquo nennen mag was aber unzutreffend ist (vgl 1124a27 f)Wenn daher Leute die Haltung des Megalopsychos nachahmenohne γαθο zu sein erscheinen sie laumlcherlich (1123b33 f) oderhochmuumltig und arrogant (1124a29 ff) Das sind die Vielen (1124b6ο8 πολλο) die ohnehin nicht wahrhafte γαθο beziehungsweisenicht wahrhafte Megalopsychoi sein koumlnnen Denn das ist zugege-benermaszligen schwierig (χαλεπν 1124a3)

Aber in welchem Sinn ist die Megalopsychia wie ein Schmuckfuumlr die Tugenden Warum wird von Aristoteles diese Metapher gebraucht Die Antwort kommt gleich danach im Text weil dieMegalopsychia sie groumlszliger macht Wenn man die Stelle woumlrtlichuumlbersetzt versteht man sie kaum Wieso bdquoverleiht (die Megalopsy-chia) einer jeden (Tugend) die groumlszligere Formldquo23 Wieso bdquomacht essie groumlszligerldquo24 oder bdquoerweitert sieldquo25 Sie wuumlrde deswegen nicht wieein κσμος fuumlr die Tugenden funktionieren Eine Halskette die einSchmuck fuumlr den Hals ist macht ihn nicht groumlszliger aber sie laumlszligt ihn besser zum Vorschein kommen Durch sie zeichnet sich derHals besser aus Auch eine Krone laumlszligt einen Koumlnig nicht groumlszliger erscheinen aber sie unterstreicht sein Koumlnigsein sie druumlckt seineEigenschaft besser aus Die Krone macht den echten Koumlnig nichtaus denn er muszlig uumlber die entsprechenden Qualitaumlten und Faumlhig-keiten bereits verfuumlgen Er muszlig aber auch wie ein Koumlnig erschei-nen Jemand der kein wirklicher Koumlnig ist und trotzdem auf einerKrone besteht kann leicht laumlcherlich wirken Aumlhnliches gilt fuumlr dieMegalopsychia Sie bringt die Tugenden besser zur Geltung machtsie besser sichtbar Denn wenn man sie hat muszlig man sie auch zei-gen sie hervorheben insofern sie groumlszliger machen den anderen dieGroumlszlige offenbaren und man wird dafuumlr mit dem wichtigsten aumluszlige-ren Gut der Ehre gepriesen werden Die Megalopsychia kroumlnt die

51Aspekte der Megalopsychia bei Aristoteles (EN 43)

23) Dirlmeier (wie Anm 2) 8124) W D Ross Nicomachean Ethics revised by J O Urmson in J Barnes

(Hrsg) The Complete Works of Aristotle Princeton 1984 ad loc25) Broadie Rowe (wie Anm 9) 148

τελεα ρετ die eigentlich ohne die Megalopsychia gar nicht τε-λεα im strengen Sinne des Wortes sein kann Das bedeutet Ohnedie Tugend der Megalopsychia kann man die Eudaimonia nichtwirklich erreichen Wenn man diese Relation verstanden hat wirdman auch leichter einsehen daszlig diese von manchen Interpretenfalsch eingeschaumltzte Tugend sogar von zentraler Bedeutung fuumlr dasethische System des Aristoteles ist Kein Wunder daszlig Aristotelessie so ausfuumlhrlich behandelt

III

Die wahrhaftige Megalopsychia verlangt und verdient wie wirbereits ausgefuumlhrt haben die groumlszligte Ehre da sie eben dem wahr-haften γαθς zukommt Der wichtigste groumlszligte Wert also fuumlr Ari-stoteles die Tugend und zwar die vollkommene Tugend wird mitdem wichtigsten groumlszligten aumluszligeren Gut der Ehre belohnt Es ist zubeachten Die inneren Werte suchen ihr Aumlquivalent (wenigstensannaumlhernd) in den aumluszligeren Werten Mit anderen Worten Die seeli-schen inneren Guumlter (ψυχικ5 γαθ) werden an den aumluszligeren Guuml-tern bemessen und vor allem eben an der Ehre Warum suchen nunalle Menschen danach Wenn man genauer die Bedeutung diesesStrebens nach Ehre analysiert zu welchem ja der Megalopsychoseine ganz spezifische Beziehung hat wird man erneut feststellenkoumlnnen wie nah das Eudaimonia-Konzept dem Megalopsychia-Konzept steht beziehungsweise wie fest und substantiell integriertdiese Tugend im ethischen System des Aristoteles ist

Unter Ehre ist im wesentlichen das Ansehen der Ruhm dieAnerkennung zu verstehen Die Ehre ist ein unentbehrlicher Be-standteil der Eudaimonia Sie darf zwar nicht mit der Eudaimoniaidentifiziert werden wie viele Menschen das tun wenn sie sich fuumlrden βος πολιτικς entscheiden und faumllschlicherweise glauben dieτιμ sei das Ziel dieser Lebensform (vgl 1095b22 f) Die Ehre istein bedeutendes Mittel zu dem Endzweck der Eudaimonia dasauch fuumlr sich wuumlnschenswert und erstrebenswert ist26 obwohl sie

52 Mar i a L ia t s i

26) Siehe 1097b2ndash5 τιμ2 δamp κα7 6δον2ν κα7 νο$ν κα7 πσαν ρετ2ν α8ρομε-θα μampν δι- α9τ [ ] α8ρομεθα δamp κα7 τς ε9δαιμονας χριν δι5 τοτων πο-λαμβνοντες ε9δαιμονσειν Vgl 1096a7ndash9 δι) μλλον τ5 πρτερον λεχθντατλη [scil 6δον τιμ] τις Kν πολβοι δι- ατ5 γ5ρ γαπται

nach Aristoteles kein vollstaumlndiges Gut (τλειον γαθν) ist (vgl1097a33 f) Sie gilt als das groumlszligte Gut weil sie das ist was man denGoumlttern zuteilt (vgl 1123b18 μγιστον δamp [scil γαθν] το$τ- Kνθεημεν L το1ς θεο1ς πονμομεν) Denn die Goumltter sind uns imHinblick auf alle Guumlter uumlberlegen (1158b36 πλε1στον γ5ρ οMτοι[scil ο8 θεο] πσι το1ς γαθο1ς περχουσιν) und wie die allge-meine Meinung lautet bdquoaus den Menschen werden Goumltter27 infol-ge des houmlchsten Grades der Tugendldquo (1145a23 f καθπερ φασνξ νθρAπων γνονται θεο7 δι- ρετς περβολν) Die Ansichtdaszlig die Goumltter mehr Tugend und mehr Ehre als die Menschen haben war in der Zeit des Aristoteles keineswegs unbekannt son-dern sie entsprach einem traditionellen Gemeingut28 Menschenund Goumltter wurden analog behandelt Sie verfuumlgten beide uumlber die-selben Eigenschaften und Merkmale Die Unterschiede zwischenihnen waren nur graduelle und nicht kategoriale Unterschiede29

Das Leben der Goumltter war also eine ins Ideale uumlbersetzte Vor-stellung vom Leben der Menschen Insofern verwundert es nichtwenn Aristoteles bei seinen Ausfuumlhrungen uumlber die EudaimoniaVergleiche zwischen Mensch und Gott beziehungsweise zwischender menschlichen und der goumlttlichen Eudaimonia zieht die natuumlr-lich groumlszliger als die menschliche ist30 aber nicht eine voumlllig andere31

Das bedeutet daszlig der Mensch wenn er nach Eudaimonia strebt inWirklichkeit danach strebt ein Leben zu fuumlhren das bis zu einemgewissen Grad dem goumlttlichen Leben das ein voumlllig seliges Lebenist nahe kommt32 Das goumlttliche Leben vertritt das Ganze das Absolute eben das Ideale (vgl 1178b8 f τοNς θεοNς μλισταε9δαμονας) Fuumlr den Menschen liegt das beste Leben darin daszlig er

53Aspekte der Megalopsychia bei Aristoteles (EN 43)

27) Die Rede ist hier von der Heroisierung hoch verdienter Menschen die zuden Halbgoumlttern gezaumlhlt wurden wie z B Herakles

28) Vgl z B Homer Ilias 1497 f στρεπτο7 δ τε κα7 θεο7 α9το τ+ν περκα7 μεζων ρετ2 τιμ τε βη τε

29) Zu dieser Thematik vgl J M Redfield Nature and Culture in The IliadThe Tragedy of Hector Chicago 1975 A W H Adkins Homeric Gods and the Values of Homeric Society JHS 92 1972 1 Vgl auch H Lloyd-Jones The Justiceof Zeus California 1971 175

30) Vgl z B 1178b8 f τοNς θεοNς γ5ρ μλιστα πειλφαμεν μακαρους κα7ε9δαμονας ε3ναι

31) Vgl hierzu auch R Kraut Aristotle on the Human Good Princeton1991 273

32) Vgl 1178b25ndash27 το1ς μampν γ5ρ θεο1ς Pπας βος μακριος το1ς δ-νθρAποις φ- Qσον μοωμ τι τς τοιατης νεργεας πρχει

einen Anteil ndash nach Moumlglichkeit einen groszligen ndash an dem goumlttlichenLebensmodus hat33 Da die Menschen die groumlszligten Ehrungen denGoumlttern darbieten ruumlckt ein Mensch in die Naumlhe der Goumltter undlebt sozusagen ein goumltteraumlhnliches Leben wenn er sehr groszlige Ehreempfaumlngt34 Die Voraussetzung dafuumlr ist daszlig man wirklich γαθςist denn κατ- λθειαν δ- γαθ)ς μνος τιμητς (1124a25) Da-her muszlig ein Mensch Megalopsychos sein wenn er den Wunschhat den Goumlttern irgendwie aumlhnlich zu sein

Nach Aristoteles sollte der Mensch sich nicht nur mit denmenschlichen beziehungsweise sterblichen Angelegenheiten befas-sen sondern soweit es ihm moumlglich ist sich unsterblich machen(φ- Qσον νδχεται θανατζειν) und alles tun um ein solches Leben zu haben das gemaumlszlig dem in sich Houmlchsten beziehungs weiseBesten gefuumlhrt wird (vgl 1177b31ndash34) Das Verlangen nach ver-dienter groszliger Ehre d h die Megalopsychia ist also gemaumlszlig denobigen Ausfuumlhrungen eine Form des Strebens nach Unsterblich-keit

IV

Die Megalopsychia erscheint auf den ersten Blick als einehoch individuelle Tugend da sie eben eine Selbst-Einschaumltzungeine Selbst-Erkenntnis eine Selbst-Bewertung ein Selbst-Bewuszligt-sein kurzum eine bestimmte Art der Selbst-Beziehung konsti -tuiert Gleichzeitig ist sie wie wir zeigen wollen eine bestimmteForm von Gerechtigkeit eine Gerechtigkeit gegenuumlber sich selbst

Die Gerechtigkeit ist die Tugend der angemessenen Vertei-lung im weitesten Sinne mithin eine soziale Tugend Sie bildet deswegen ein sogenanntes bdquofremdes Gutldquo (1130a3 f λλτριονγαθ)ν δοκε1 ε3ναι 6 δικαιοσνη vgl 1134b5 f) ein Gut das sichvor allem auf andere bezieht und als Maszligstab fuumlr ein geregeltes Zusammenleben dient

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33) Da der Gott also nach Aristoteles durch seine θεωρητικ2 νργεια gekennzeichnet wird (1178b21 f) muszlig die vorzuumlglichste Lebensform beziehungs-weise die vollkommene Eudaimonia (6 τελεα ε9δαιμονα) eine Art θεωρητικ2νργεια sein (1178b7 f) Daher hierarchisiert er den βος θεωρητικς als die houmlchst-moumlgliche Lebensform

34) Zu dieser Einstellung vgl bereits Homer Ilias 9155 οR κ ( δωτνSσιθε)ν Tς τιμσουσι Auch Odyssee 11484 τομεν 3σα θεο1σιν

Gerechtigkeit kann nach Aristoteles verschiedene Bedeutun-gen haben35 und entsprechend wird sie in zwei groszlige Kategorieneingeteilt in die bdquoallgemeineldquo (καθ- Qλον) und in die bdquopartikulareldquo(κατ5 μρος) Gerechtigkeit (vgl 1130b6ndash29) Die zweite wird wiederum in zwei Subkategorien unterteilt in das διανεμητικ)νδκαιον (bdquoausteilendeldquo oder bdquodistributive Gerechtigkeitldquo) und indas διορθωτικ)ν δκαιον (bdquokorrektive Gerechtigkeitldquo) (1130b31ndash1131a1 τ) ν τα1ς διανομα1ς τιμς χρημτων τ+ν 0λλων Qσαμεριστ5 το1ς κοινωνο$σι τς πολιτεας und τ) ν το1ς συναλ-λγμασι διορθωτικν) Es gibt nach Aristoteles auch eine dritteArt von Gerechtigkeit τ) ν τα1ς κοινωναις τα1ς λλακτικα1ς[scil δκαιον] (1132b31 f) die den Tausch von Waren betrifft dieman bdquoausgleichende Gerechtigkeitldquo nennen kann

Hier wollen wir uns auf die bdquoausteilende Gerechtigkeitldquo be-schraumlnken Maszligstab und normatives Leitprinzip fuumlr diese also fuumlrdas διανεμητικ)ν δκαιον ist jedem κατ- ξαν also jedem nachseinem Wert und nicht jedem das Gleiche (1131a25ndash27 τ) γ5ρδκαιον ν τα1ς νομα1ς μολογο$σι πντες κατ- ξαν τιν5 δε1νε3ναι τ2ν μντοι ξαν ο9 τ2ν α9τ2ν λγουσι πντες) Das Verhaumllt-nis von Guumltern und Wert bei der Person A muszlig dem Verhaumlltnis vonGuumltern und Wert bei der Person B entsprechen und zwar in Ab-haumlngigkeit des jeweiligen Wertes (ξα) von A und B Das διανε-μητικ)ν δκαιον wird richtig angewendet wenn bei der Verteilungder Guumlter eine solche Analogie d h Proportionalitaumlt (die soge-nannte γεωμετρικ2 ναλογα 1131b12 f) besteht die keinem mehroder weniger gibt als er tatsaumlchlich verdient Denn das Gerechte istetwas Analoges also Proportionales (1131a29 στιν 0ρα τ) δκαι-ον νλογν τι)36 und liegt in der Mitte zwischen dem δικε1ν (Unrecht tun) und dem δικε1σθαι (Unrecht leiden) Beide diese

55Aspekte der Megalopsychia bei Aristoteles (EN 43)

35) Zu dem Gerechtigkeitsbegriff bei Aristoteles vgl z B W F R HardieAristotlersquos Ethical Theory Oxford 1968 21980 189ndash198 T H Irwin AristotlersquosFirst Principles Oxford 1988 427ndash429 G Bien Gerechtigkeit bei Aristoteles inO Houmlffe (Hrsg) Aristoteles Die Nikomachische Ethik Berlin 1995 135ndash164M Pakaluk Aristotlersquos Nicomachean Ethics Cambridge 2005 181ndash205

36) Zu einer impliziten Anwendung des διανεμητικ)ν δκαιον bei der Ari-stotelischen Behandlung der Philia siehe 1165a14ndash18 Qτι μampν οJν ο9 τα9τ5 πσινποδοτον ο9δamp τU πατρ7 πντα καθπερ ο9δamp τU Δι7 θεται ο9κ 0δηλον πε7 δ-Dτερα γονε$σι κα7 δελφο1ς κα7 (ταροις κα7 ε9εργταις (κστοις τ5 οEκε1α κα7 τ5Wρμττοντα πονεμητον Vgl auch 1165a30ndash32 κα7 συγγενσι δamp κα7 φυλταις κα7πολταις κα7 το1ς λοιπο1ς Pπασιν ε7 πειρατον τ) οEκε1ον πονμειν

Extreme sind Formen der Ungerechtigkeit (δικα)37 Wer sich zuviel vom Guten aneignet ohne es wirklich zu verdienen der tut Un-recht waumlhrend derjenige der zu wenig davon bekommt obwohl eres verdienen wuumlrde Unrecht leidet Der Gerechte (δκαιος) verteiltob er selber involviert ist oder nicht das proportional Gleiche (δια-νεμητικ)ς το$ Xσου το$ κατ- ναλογαν vgl 1134a3ndash6)38

Es wird deutlich auch wenn Aristoteles keine Ausfuumlhrungendaruumlber macht daszlig die Megalopsychia eine spezifische Art desδιανεμητικ)ν δκαιον konstituiert Sie liegt wie bereits ausgefuumlhrtin der richtigen Mitte zwischen der χαυντης (einen zu hohen Anspruch haben der dem objektiven Wert der Person nicht ent-spricht) und der Mikropsychia (zu niedrige Anspruumlche trotz hohen Wertes haben) Die χαυντης bildet also eine Form desδικε1ν und die Mikropsychia eine Form des δικε1σθαι Die da-zwischen liegende δικαιοπραγα ist die Tugend der MegalopsychiaDaher sollte es nicht verwundern und nicht als arrogant erschei-nen daszlig der Megalopsychos sich nicht allzu sehr uumlber die Ehrun-gen die ihm erwiesen werden freut Denn er denkt ja daszlig er sieverdient beziehungsweise daszlig es gerecht ist daszlig er sie empfaumlngtUnd so wie die Gerechtigkeit gemaumlszlig Aristoteles eine τελεα ρετist (1129b25 f) so muszlig man auch die vollkommene Tugend besit-zen wie verlangt um Megalopsychos sein zu koumlnnen (1124a28 f)Nur mit dem Unterschied daszlig die Megalopsychia unmittelbar we-der die Beziehung der Buumlrger untereinander also das Verhaumlltniszwischen verschiedenen Individuen regelt noch die Haltung derGesellschaft als Institution ihren Mitgliedern gegenuumlber betrifftsondern urspruumlnglich das Verhaumlltnis d h die Lebenshaltung desIndividuums zu sich selbst bestimmt Wenn jedoch eine so ver-standene urspruumlnglich personale Gerechtigkeit in der Form dersbquoegoistischenlsquo Megalopsychia spaumlter auch bei mehreren Individuen

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37) Vgl 1133b30ndash34 6 δικαιοπραγα μσον στ7 το$ δικε1ν κα7 δι-κε1σθαι τ) μampν γ5ρ πλον χειν τ) δ- λαττν στιν 6 δamp δικαιοσνη μεστης τςστιν ο9 τ)ν α9τ)ν δamp τρπον τα1ς 0λλαις ρετα1ς λλ- Qτι μσου στν 6 δ- δικατ+ν 0κρων

38) Das Prinzip der bdquoausteilenden Gerechtigkeitldquo existiert im wesentlichenlaumlngst wenn auch nicht als Terminus technicus und wird zur Anwendung gebrachtin der griechischen Gesellschaft so z B bereits in der Ilias bei dem δκη-BegriffVgl dazu E A Havelock The Greek Concept of Justice from its Shadow in Homerto its Substance in Plato Harvard 1978 Vgl auch Platon Politeia 1 332c1ndash2 Σι-μωνδης [ ] διενοε1το μampν γρ ς φανεται Qτι το$τ- εXη δκαιον τ) προσκον(κστ[ ποδιδναι

beziehungsweise Buumlrgern erfolgen wuumlrde dann wuumlrde man ja auchvon einem perfekt gerechten sittlich idealen Staat sprechen koumln-nen Es wird deutlich daszlig die viel miszligachtete beziehungsweise ver-achtete Megalopsychia in Wirklichkeit eng verbunden ist mit derhochgepriesenen Kardinaltugend der Gerechtigkeit

V

In Anal Post 213 97b15 ff fuumlhrt Aristoteles bei seinem Ver-such die Definition des Begriffes der Megalopsychia zu formulie-ren unter anderem zwei Beispiele aus der Homerischen Welt an denAchilleus und den Aias Denn beide haben nach Aristoteles etwasgemeinsam Sie ertragen es nicht daszlig ihre Ehre beleidigt und be-schaumldigt wird (97b19 τ) μ2 νχεσθαι βριζμενοι) Es ist natuumlr-lich kein Zufall daszlig Aristoteles diese wohlbekannten Helden alscharakteristische Paradigmen fuumlr die Megalopsychia verwendetWenn es um Ehre geht geschweige denn wenn es um verletzte Ehregeht dann sind Achilleus und Aias in der griechischen TraditionBeispiele par excellence Der eine droht voller Wut das gesamtegriechische Heer in die Vernichtung zu fuumlhren weil Agamemnondurch das Wegnehmen der Briseis seine Ehre herabgesetzt be-ziehungsweise seinen Status nicht angemessen anerkannt hat Derandere entscheidet und versucht die Atriden Agamemnon undMenelaos zu toumlten weil sie ihm die Waffen des Achilleus nicht ge-geben d h ebenfalls seine Ehre verletzt und seinen hohen Wertnicht entsprechend respektiert haben Als er sein Ziel verfehlt toumlteter sich selbst Warum tauchen sie nicht in den ethischen Schriften desAristoteles im Kontext der Megalopsychia-Besprechung auf

Achilleus und Aias sind charakterisiert durch eine bdquoradikaleIndividualitaumltldquo39 und durch ein extremes Verhalten ein Uumlbertrei-ben Es mag sein daszlig diese Helden durch ein monomanischesmaszligloses Verhalten ihre heroische Identitaumlt bewahren beziehungs-weise dem ethischen Kodex und Wertesystem ihrer Zeit entspre-chen Sonst erschiene ihr Leben wohl nicht mehr sbquogutlsquo und nichtmehr lebenswert40 Sonst wuumlrden sie sich selbst verlieren sich

57Aspekte der Megalopsychia bei Aristoteles (EN 43)

39) H Weinstock Sophokles Wuppertal 31948 6040) Vgl z B Sophokles Aias 479ndash480 λλ- καλ+ς ζν καλ+ς τε-

θνηκναι τ)ν ε9γεν χρ

selbst und ihr Wertebewuszligtsein aufgeben Es mag auch sein daszligsie in ihrem Sinne genau das Richtige tun selbst wenn dies ego-istisch und maszliglos erscheint da sie sich ja durch ihre Taten prak-tisch gegen die Gemeinschaft richten Das waumlre ein anderes ThemaSicher ist jedoch Das Uumlbertriebene Exaltierte ihres Verhaltenswaumlre im Rahmen des Aristotelischen Wertesystems tadelnswertBeide Helden verfuumlgen uumlber die Homerische Tugend und sindzwar γαθο und 0ριστοι41 aufgrund der Werte ihre r Zeit42 abersie sind nicht ς ληθ+ς γαθο also nicht γαθο im Aristo-telischen Sinne Achilleusrsquo und Aiasrsquo Handlungen beziehen sichvor allem auf ihre persoumlnliche Ehre beziehungsweise auf ihr per-soumlnliches Interesse nicht auf das Gemeinwohl Aber genau diesesdas angemessene Verhalten im Hinblick auf die Gemeinschaft unddie Teilnahme daran sind bei Aristoteles notwendige Vorausset-zungen des γαθς43

Auch die Phronesis diese zentrale dianoetische Tugend dienach Aristoteles immer jede ethische Tugend begleiten soll um wie eine Lampe den richtig gewaumlhlten Weg zu beleuchten44 ist beidiesen Helden in eklatanter Weise abwesend Und es steht auszligerZweifel γαθς zu sein ohne uumlber Phronesis zu verfuumlgen ist nachAristoteles nicht moumlglich Es gilt aber auch das Umgekehrte45 Die-se Helden sind nicht bdquounbeherrschtldquo (κρατε1ς) im AristotelischenSinne46 freilich auch nicht bdquobeherrschtldquo (γκρατε1ς) aber sie sindauch nicht bdquoschlechtldquo (φα$λοι ndash κλαστοι) Sie stehen auszligerhalbdieser ethischen Kategorien des Aristoteles und sind von daher ge-sehen ein Anachronismus

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41) Vgl z B Ilias 2768ndash770 νδρ+ν αJ μγ- 0ριστος ην ΤελαμAνιος ΑXας ^φρ- _χιλεNς μνιεν γ5ρ πολN φρτατος `εν Rπποι θ- οa φορεσκον μνοναΠηλεωνα

42) Vgl hierzu auch Broadie Rowe (wie Anm 9) 2943) Vgl 1163b6ndash8 ο9 γ5ρ τιμται μηδampν γαθ)ν τU κοινU πορζων τ)

κοιν)ν γ5ρ δδοται τU τ) κοιν)ν ε9εργετο$ντι 6 τιμ2 δamp κοινν44) Vgl 1144a6ndash9 τ) ργον ποτελε1ται κατ5 τ2ν φρνησιν κα7 τ2ν cθικ2ν

ρετν 6 μampν γ5ρ ρετ2 τ)ν σκοπ)ν ποιε1 Iρθν 6 δamp φρνησις τ5 πρ)ς το$τον45) Vgl 1144b31 f ο9χ ον τε γαθ)ν ε3ναι κυρως 0νευ φρονσεως ο9δamp

φρνιμον 0νευ τς cθικς ρετς46) sbquoUnbeherrschtlsquo bei Aristoteles ist derjenige der wohl weiszlig was richtig

ist dem es aber nicht gelingt seine πθη durch seine Vernunft zu kontrollieren be-ziehungsweise zu beherrschen Das heiszligt es besteht ein Konflikt zwischen seinenTrieben und Wuumlnschen einerseits und seiner Vernunft andererseits die am Schluszligdoch der sbquoVerliererlsquo ist Vgl 1111b13 f κα7 κρατ2ς πιθυμ+ν μampν πρττει προ-αιρομενος δ- ο9 1112a15 f 6 γ5ρ προαρεσις μετ5 λγου κα7 διανοας

Es wird nun klar warum Achilleus und Aias nicht Megalo -psychoi im streng ethischen beziehungsweise moralischen Sinnedes Aristotelischen Wertekanons sind Denn sie besitzen nicht alleanderen ethischen Tugenden Im ethischen Kontext der Aristoteli-schen Ausfuumlhrungen wuumlrden sie wenn sie vorkaumlmen als Gegen-Beispiele fungieren muumlssen d h sie haumltten eine antiparadigmati-sche Funktion Sie wuumlrden zitiert werden als solche die eben nichtwahrhaft Megalopsychoi sind

Man koumlnnte also nicht ohne Skepsis dem Achilleus und demAias diejenigen Eigenschaften zuschreiben die Aristoteles demMegalopsychos in der Nikomachischen Ethik zuschreibt47 undebensowenig umgekehrt versuchen den Megalopsychos der Niko-machischen Ethik mit diesen heroischen Figuren zu identifizieren

Schluszligbemerkung

Aristoteles orientiert sich bei seiner Behandlung der ethischenTugend der Megalopsychia in der Nikomachischen Ethik nur bis zu einem gewissen Grad an der Meinung der Vielen Er korrigiertdie oberflaumlchliche allgemein verbreitete Ansicht daszlig die Ehre dasEndziel des politischen Lebens ist aber er nimmt sie als das groumlszlig-te der aumluszligeren Guumlter an Er akzeptiert daszlig der 0ριστος sich be-rechtigterweise gemaumlszlig seiner ξα der groumlszligten Ehre fuumlr wert haumlltaber er gibt der ξα und somit auch den Begriffen der Tugend unddes γαθς beziehungsweise des 0ριστος einen neuen ethischenInhalt Megalopsychos ist und kann nur der ς ληθ+ς γαθςsein Megalopsychia ist eine zutiefst griechische Tugend und re-praumlsentativ fuumlr die gesamte antike griechische Denkweise Diechristlich gepraumlgte Mentalitaumlt kann sie nur schwer begreifen undnoch schwerer akzeptieren Anders das bei den Griechen verbrei-tete Denken Wenn man der Beste ist muszlig man sich dessen auchbewuszligt sein muszlig man es vor allem zeigen und sich entsprechendverhalten Die Megalopsychia ist insoweit auch eine Form desSelbstbewuszligtseins und der Selbsterkenntnis Daher erscheint esnatuumlrlich und gerecht das Beste und werthaltigste Gut naumlmlich dieEhre fuumlr sich in Anspruch zu nehmen wenn die Voraussetzungen

59Aspekte der Megalopsychia bei Aristoteles (EN 43)

47) So wie z B O Hellmann Aristoteles und Achilleus Der poetische Heldaus der Sicht des Philosophen in Althoff (wie Anm 1) 27ndash41 bes 35ndash38

dafuumlr die Aristoteles alle ausdruumlcklich benennt bei einem Men-schen gegeben sind Nur auf diese Weise nur wenn man Megalo -psychos ist kann man wirklich und vollkommen ε9δαμων wer-den Bescheidenheit waumlre hier also fehl am Platz und wuumlrde derPflicht die der Mensch gegenuumlber sich selbst hat widersprechenund damit auch der Selbstverwirklichung die Aristoteles sbquoEudai-monialsquo nennt48

Ioannina Mar i a L ia t s i

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48) Aristoteles formuliert mit diesem Gedanken eine Auffassung und nimmtmit diesem Punkt seiner Ethik eine Lehre vorweg die erst im Zuge der europaumlischenAufklaumlrung naumlmlich von Kant zu einer grundlegenden Bestimmung der Moral-philosophie gemacht worden ist naumlmlich daszlig der Mensch nicht nur Pflichten gegenandere sondern auch Pflichten gegen sich selbst hat und daszlig er auch in diesem Sinne das heiszligt durch Verletzung derselben schuldig werden kann gegenuumlber undan sich selbst Aristoteles hat mit seinem Begriff des Megalopsychos und der Me-galopsychia diese Unterscheidung Kants auf geniale Weise vorweggenommen VglImmanuel Kant Metaphysik der Sitten Zweiter Teil Metaphysische Anfangsgruumln-de der Tugendlehre I Ethische Elementarlehre 1 Teil Von den Pflichten gegen sichselbst 261ndash302 2 Teil Von den Tugendpflichten gegen andere 303ndash337 Hrsg vonKarl Vorlaumlnder Philosophische Bibliothek Bd 42 Hamburg 1922

Das bedeutet nicht daszlig die aumluszligeren Guumlter (vornehme Ab-stammung Macht Reichtum) fuumlr die Realisation der Megalopsy-chia bei Aristoteles ohne Belang sind Im Gegenteil die guumlnstigenUmstaumlnde (ε9τυχματα) tragen offensichtlich zu der Megalopsy-chia bei (συμβλλεσθαι) und die Uumlberlegenheit (περοχ) dieman durch die Gunst der aumluszligeren Umstaumlnde erlangt foumlrdert dieseHaltung da sie von vornherein Anlaszlig zur Ehre in Aussicht stellt(vgl 1124a20ndash24) Wichtigste Voraussetzung ist daszlig man γαθςist und zusauml tz l i ch uumlber die aumluszligeren Guumlter verfuumlgt Denn ohneTugend ist es nicht leicht die gluumlcklichen Umstaumlnde beziehungs-weise die aumluszligeren Guumlter maszligvoll und angemessen (μμελ+ς) zuverwalten (1124a30 f) Aristoteles beweist hier erneut seinen reali-stischen pragmatischen Sinn fuumlr das menschliche Leben Er ist keinmoralischer Rigorist Auch die aumluszligeren Guumlter sind von Bedeutungdenn sie bringen ihrem Besitzer Ansehen vereinfachen sein Werkund den Aufweis seiner Tugenden und berechtigen ihn noch mehrAnspruch auf Ehre zu haben beziehungsweise noch mehr Ehre zuverdienen (vgl 1124a25 f C δ- 0μφω [scil ρετ2 κα7 τ5 κτ)ςγαθ] πρχει μλλον ξιο$ται τιμς)

Diese Ausfuumlhrungen des Aristoteles uumlber die Megalopsychiahaben wie wir feststellen koumlnnen ihr Pendant in seinen Aus-fuumlhrungen uumlber die Eudaimonia (vgl bes 1099a31ndashb8) Denn auchdie Eudaimonia diese ρστη νργεια ψυχς κατ- ρετ2ν τελεαν(vgl 1099a29 f 1102a5 f) bedarf zusaumltzlich (προσδε1ται) der aumluszlige-ren Guumlter wie Aristoteles sagt da es nicht leicht ist wenn nicht sogar unmoumlglich das Gute ohne Hilfsmittel zu tun Vieles laumlszligt sichdoch nur mit Hilfe von Freunden von Wohlstand und von politi-scher Macht erreichen wie Aristoteles richtig beobachtet Und einMensch der haumlszliglich ist eine niedrige Abstammung oder schlechteKinder und schlechte Freunde oder gar keine hat und allein im Leben steht kann nur schwer bdquogluumlcklichldquo heiszligen (1099b3 ο9 πνυγ5ρ ε9δαιμονικς) Es scheint also so zu sein daszlig man im Lebenauch eine solche ε9ημερα auch solche guumlnstigen aumluszligeren Umstaumlnde zusaumltzlich braucht16 Das ist auch der Grund weshalbmanche Menschen den bdquogluumlcklichen Zufallldquo (ε9τυχα) mit der Eudaimonia verwechseln und dabei denken daszlig diese beiden iden-tisch sind Die Hauptvoraussetzung jedoch fuumlr Aristoteles wenn

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16) Vgl auch 1098b26 Dτεροι δamp κα7 τ2ν κτ)ς ε9ετηραν συμπαραλαμ-βνουσιν

er von Eudaimonia redet ist das Handeln gemaumlszlig der Tugend(1100b10 κριαι δ- εEσ7ν α8 κατ- ρετ2ν νργειαι τς ε9δαι-μονας) Alles andere ist sekundaumlr Das heiszligt Der ε9δαιμονικς istder ς ληθ+ς γαθς (vgl 1100b21)

Die Analogie zwischen dem Aristotelischen Konzept der Eudaimonia und jenem der Megalopsychia ist wie es den Anscheinhat evident So wie das wesentliche Merkmal der Eudaimonia dieρετ2 τελεα ist und die aumluszligeren Guumlter nur κατ5 συμβεβηκς fungieren so aumlhnlich verhaumllt es sich im Fall der Megalopsychia dadie παντελ2ς ρετ (vgl 1124a828 f) beziehungsweise die καλο-καγαθα17 (1124a4) die conditio sine qua non der Megalopsychiaist und ihre Substanz bildet und die aumluszligeren Guumlter bloszlige wennauch unentbehrliche συμβεβηκτα sind Der Megalopsychos muszligalso ε9δαμων par excellence sein und der ε9δαμων muszlig natuumlrlichauch Megalopsychos sein So schwer es ist wirklich ε9δαμων alsowirklich γαθς zu sein genauso schwer ist es ein ς ληθ+ςMegalopsychos zu sein Denn der wirkliche Megalopsychos muszligwirklich γαθς sein18 Die altbewaumlhrten aumluszligeren Guumlter werden inbeiden Faumlllen zwar anerkannt und beruumlcksichtigt aber sie fungie-ren als sekundaumlre Elemente waumlhrend sie bis zur Zeit des Aristo -teles im oumlffentlichen Bewuszligtsein den wesentlichen Inhalt der bei-den Begriffe (Eudaimonia ndash Megalopsychia) bestimmten19 Diesgeschah im Fall der Megalopsychia indirekt mittelbar insofern dieaumluszligeren Guumlter den Begriffen 0ξιος ξα die Grundbestandteileder Definition der Megalopsychia sind eine konkrete eben auf siebezogene Bedeutung verliehen Bei Aristoteles gewinnen ja die Be-griffe 0ξιος ξα einen neuen ethischen Inhalt

Es ist nun unangebracht und nur ein Miszligverstaumlndnis der Ari-stotelischen Gedanken zur Megalopsychia zu behaupten daszlig dieseTugend mit der philosophischen Konzeption des Aristoteles in ethi-

49Aspekte der Megalopsychia bei Aristoteles (EN 43)

17) Vgl EE 815 1248b8ndash1249a17 wo ausgefuumlhrt wird daszlig die Kalokaga-thia ρετ2 τλειος στιν

18) Vgl 1123b29 τ)ν ς ληθ+ς 0ρα μεγαλψυχον δε1 γαθ)ν ε3ναι Vglauch 1124a3 f δι5 το$το χαλεπ)ν τB ληθεF μεγαλψυχον ε3ναι ο9 γ5ρ ον τε0νευ καλοκαγαθας Siehe ferner 1124a25 κατ- λθειαν δ- γαθ)ς μνος τιμητς

19) Zur gelaumlufigen Identifikation der Eudaimonia mit aumluszligeren Guumltern vglz B 1095a20 ff Zur Megalopsychia siehe 1124a26ndash28 ο8 δ- 0νευ ρετς τ5 τοια$ταγαθ5 χοντες [ ] οHτε Iρθ+ς μεγαλψυχοι λγονται Diese Formulierung impli-ziert deutlich daszlig es allgemein uumlblich war die Besitzer von aumluszligeren Guumltern als Me-galopsychoi zu bezeichnen auch wenn sie uumlber keine Tugend im AristotelischenSinne verfuumlgten

cis wenig zu tun habe beziehungsweise daszlig sie bdquoperipheral toethicsldquo20 sei oder daszlig sie in Wirklichheit gar keine Tugend sei DerMegalopsychos erscheint wie ein sbquoSupermanlsquo wie eine quasi mythi-sche Gestalt wie ein Held im vollen Sinne des Wortes21 Das wurdehaumlufig moniert Gegen diesen Einwand naumlmlich daszlig der Aristoteli-sche Megalopsychos eine uumlbertriebene utopische Figur darstellt diein der Realitaumlt gar nicht existiert haben kann laumlszligt sich erwidern daszligjedes Ideal ndash und der Megalopsychos bildet ja tatsaumlchlich ein solchesIdeal ein sbquoAumluszligersteslsquo ndash unrealistische Charakteristika aufweistAuch der ε9δαμων βος ist ein Ideal wonach man strebt und stre-ben soll Das bedeutet nicht daszlig man es vollstaumlndig erreichen kannMan versucht jedoch sich ihm immer mehr anzunaumlhern was derSinn eines jeden Ideals ist dauerhaft zur Verwirklichung diesessbquoAumluszligerstenlsquo beziehungsweise dieses idealen 0κρον22 zu motivieren

Daszlig die vornehme Abstammung daszlig Reichtum oder politi-sche Macht kurzum die traditionellen archaischen Werte nichtmehr genuumlgen um die Haltung (Dξις) der Megalopsychia zu recht-fertigen sondern man nur solange man das γαθν beziehungs-weise das ethische καλν realisiert uumlber die Megalopsychia wirk-lich verfuumlgen kann wird durch die Aristotelischen Ausfuumlhrungendeutlich Es wird auch deutlich daszlig die Megalopsychia das richti-ge Verhaumlltnis des γαθς der Ehre gegenuumlber konstituiert die vonseinen Tugenden her stammt

II

Eine der beruumlhmtesten und am meisten miszliginterpretiertenTextpassagen im Buch 43 der Nikomachischen Ethik ist die Stellewo die Megalopsychia als eine Art bdquoSchmuck der Tugendenldquo be-stimmt wird da sie sie bdquogroumlszligerldquo macht und ohne sie nicht zustan-de kommt (1124a1ndash3 οικε μampν οJν 6 μεγαλοψυχα οον κσμος τις

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20) Pakaluk (wie Anm 9) 24321) Vgl W K C Guthrie A History of Greek Philosophy vol 6 Aristotle ndash

an Encounter Oxford 1981 369 der ihn als bdquothe perfect gentlemanldquo bezeichnet22) Der Megalopsychos ist 0κρος hinsichtlich seiner Groumlszlige (1123b13 f) be-

ziehungsweise seines Wertes der bei Aristoteles wie wir sahen anhand der Tugendbemessen wird Er hat also den houmlchsten Wert und verdient beziehungsweise ver-langt fuumlr sich das Entsprechende Auch die Eudaimonia wird als τ) κρτατον τ+νπρακτ+ν γαθ+ν charakterisiert (1095a16 f) also als das houmlchste Gut wonach manstreben kann

ε3ναι τ+ν ρετ+ν μεζους γ5ρ α9τ5ς ποιε1 κα7 ο9 γνεται 0νευκενων)

Soviel hat sich bereits ergeben Die wahrhafte Megalopsychiasetzt die anderen ethischen Tugenden voraus und enthaumllt sie in ei-nem bestimmten Sinne Andernfalls handelt es sich dabei gar nichtum eine echte Tugend sondern um eine Dξις die man zwar sbquoMega-lopsychialsquo nennen mag was aber unzutreffend ist (vgl 1124a27 f)Wenn daher Leute die Haltung des Megalopsychos nachahmenohne γαθο zu sein erscheinen sie laumlcherlich (1123b33 f) oderhochmuumltig und arrogant (1124a29 ff) Das sind die Vielen (1124b6ο8 πολλο) die ohnehin nicht wahrhafte γαθο beziehungsweisenicht wahrhafte Megalopsychoi sein koumlnnen Denn das ist zugege-benermaszligen schwierig (χαλεπν 1124a3)

Aber in welchem Sinn ist die Megalopsychia wie ein Schmuckfuumlr die Tugenden Warum wird von Aristoteles diese Metapher gebraucht Die Antwort kommt gleich danach im Text weil dieMegalopsychia sie groumlszliger macht Wenn man die Stelle woumlrtlichuumlbersetzt versteht man sie kaum Wieso bdquoverleiht (die Megalopsy-chia) einer jeden (Tugend) die groumlszligere Formldquo23 Wieso bdquomacht essie groumlszligerldquo24 oder bdquoerweitert sieldquo25 Sie wuumlrde deswegen nicht wieein κσμος fuumlr die Tugenden funktionieren Eine Halskette die einSchmuck fuumlr den Hals ist macht ihn nicht groumlszliger aber sie laumlszligt ihn besser zum Vorschein kommen Durch sie zeichnet sich derHals besser aus Auch eine Krone laumlszligt einen Koumlnig nicht groumlszliger erscheinen aber sie unterstreicht sein Koumlnigsein sie druumlckt seineEigenschaft besser aus Die Krone macht den echten Koumlnig nichtaus denn er muszlig uumlber die entsprechenden Qualitaumlten und Faumlhig-keiten bereits verfuumlgen Er muszlig aber auch wie ein Koumlnig erschei-nen Jemand der kein wirklicher Koumlnig ist und trotzdem auf einerKrone besteht kann leicht laumlcherlich wirken Aumlhnliches gilt fuumlr dieMegalopsychia Sie bringt die Tugenden besser zur Geltung machtsie besser sichtbar Denn wenn man sie hat muszlig man sie auch zei-gen sie hervorheben insofern sie groumlszliger machen den anderen dieGroumlszlige offenbaren und man wird dafuumlr mit dem wichtigsten aumluszlige-ren Gut der Ehre gepriesen werden Die Megalopsychia kroumlnt die

51Aspekte der Megalopsychia bei Aristoteles (EN 43)

23) Dirlmeier (wie Anm 2) 8124) W D Ross Nicomachean Ethics revised by J O Urmson in J Barnes

(Hrsg) The Complete Works of Aristotle Princeton 1984 ad loc25) Broadie Rowe (wie Anm 9) 148

τελεα ρετ die eigentlich ohne die Megalopsychia gar nicht τε-λεα im strengen Sinne des Wortes sein kann Das bedeutet Ohnedie Tugend der Megalopsychia kann man die Eudaimonia nichtwirklich erreichen Wenn man diese Relation verstanden hat wirdman auch leichter einsehen daszlig diese von manchen Interpretenfalsch eingeschaumltzte Tugend sogar von zentraler Bedeutung fuumlr dasethische System des Aristoteles ist Kein Wunder daszlig Aristotelessie so ausfuumlhrlich behandelt

III

Die wahrhaftige Megalopsychia verlangt und verdient wie wirbereits ausgefuumlhrt haben die groumlszligte Ehre da sie eben dem wahr-haften γαθς zukommt Der wichtigste groumlszligte Wert also fuumlr Ari-stoteles die Tugend und zwar die vollkommene Tugend wird mitdem wichtigsten groumlszligten aumluszligeren Gut der Ehre belohnt Es ist zubeachten Die inneren Werte suchen ihr Aumlquivalent (wenigstensannaumlhernd) in den aumluszligeren Werten Mit anderen Worten Die seeli-schen inneren Guumlter (ψυχικ5 γαθ) werden an den aumluszligeren Guuml-tern bemessen und vor allem eben an der Ehre Warum suchen nunalle Menschen danach Wenn man genauer die Bedeutung diesesStrebens nach Ehre analysiert zu welchem ja der Megalopsychoseine ganz spezifische Beziehung hat wird man erneut feststellenkoumlnnen wie nah das Eudaimonia-Konzept dem Megalopsychia-Konzept steht beziehungsweise wie fest und substantiell integriertdiese Tugend im ethischen System des Aristoteles ist

Unter Ehre ist im wesentlichen das Ansehen der Ruhm dieAnerkennung zu verstehen Die Ehre ist ein unentbehrlicher Be-standteil der Eudaimonia Sie darf zwar nicht mit der Eudaimoniaidentifiziert werden wie viele Menschen das tun wenn sie sich fuumlrden βος πολιτικς entscheiden und faumllschlicherweise glauben dieτιμ sei das Ziel dieser Lebensform (vgl 1095b22 f) Die Ehre istein bedeutendes Mittel zu dem Endzweck der Eudaimonia dasauch fuumlr sich wuumlnschenswert und erstrebenswert ist26 obwohl sie

52 Mar i a L ia t s i

26) Siehe 1097b2ndash5 τιμ2 δamp κα7 6δον2ν κα7 νο$ν κα7 πσαν ρετ2ν α8ρομε-θα μampν δι- α9τ [ ] α8ρομεθα δamp κα7 τς ε9δαιμονας χριν δι5 τοτων πο-λαμβνοντες ε9δαιμονσειν Vgl 1096a7ndash9 δι) μλλον τ5 πρτερον λεχθντατλη [scil 6δον τιμ] τις Kν πολβοι δι- ατ5 γ5ρ γαπται

nach Aristoteles kein vollstaumlndiges Gut (τλειον γαθν) ist (vgl1097a33 f) Sie gilt als das groumlszligte Gut weil sie das ist was man denGoumlttern zuteilt (vgl 1123b18 μγιστον δamp [scil γαθν] το$τ- Kνθεημεν L το1ς θεο1ς πονμομεν) Denn die Goumltter sind uns imHinblick auf alle Guumlter uumlberlegen (1158b36 πλε1στον γ5ρ οMτοι[scil ο8 θεο] πσι το1ς γαθο1ς περχουσιν) und wie die allge-meine Meinung lautet bdquoaus den Menschen werden Goumltter27 infol-ge des houmlchsten Grades der Tugendldquo (1145a23 f καθπερ φασνξ νθρAπων γνονται θεο7 δι- ρετς περβολν) Die Ansichtdaszlig die Goumltter mehr Tugend und mehr Ehre als die Menschen haben war in der Zeit des Aristoteles keineswegs unbekannt son-dern sie entsprach einem traditionellen Gemeingut28 Menschenund Goumltter wurden analog behandelt Sie verfuumlgten beide uumlber die-selben Eigenschaften und Merkmale Die Unterschiede zwischenihnen waren nur graduelle und nicht kategoriale Unterschiede29

Das Leben der Goumltter war also eine ins Ideale uumlbersetzte Vor-stellung vom Leben der Menschen Insofern verwundert es nichtwenn Aristoteles bei seinen Ausfuumlhrungen uumlber die EudaimoniaVergleiche zwischen Mensch und Gott beziehungsweise zwischender menschlichen und der goumlttlichen Eudaimonia zieht die natuumlr-lich groumlszliger als die menschliche ist30 aber nicht eine voumlllig andere31

Das bedeutet daszlig der Mensch wenn er nach Eudaimonia strebt inWirklichkeit danach strebt ein Leben zu fuumlhren das bis zu einemgewissen Grad dem goumlttlichen Leben das ein voumlllig seliges Lebenist nahe kommt32 Das goumlttliche Leben vertritt das Ganze das Absolute eben das Ideale (vgl 1178b8 f τοNς θεοNς μλισταε9δαμονας) Fuumlr den Menschen liegt das beste Leben darin daszlig er

53Aspekte der Megalopsychia bei Aristoteles (EN 43)

27) Die Rede ist hier von der Heroisierung hoch verdienter Menschen die zuden Halbgoumlttern gezaumlhlt wurden wie z B Herakles

28) Vgl z B Homer Ilias 1497 f στρεπτο7 δ τε κα7 θεο7 α9το τ+ν περκα7 μεζων ρετ2 τιμ τε βη τε

29) Zu dieser Thematik vgl J M Redfield Nature and Culture in The IliadThe Tragedy of Hector Chicago 1975 A W H Adkins Homeric Gods and the Values of Homeric Society JHS 92 1972 1 Vgl auch H Lloyd-Jones The Justiceof Zeus California 1971 175

30) Vgl z B 1178b8 f τοNς θεοNς γ5ρ μλιστα πειλφαμεν μακαρους κα7ε9δαμονας ε3ναι

31) Vgl hierzu auch R Kraut Aristotle on the Human Good Princeton1991 273

32) Vgl 1178b25ndash27 το1ς μampν γ5ρ θεο1ς Pπας βος μακριος το1ς δ-νθρAποις φ- Qσον μοωμ τι τς τοιατης νεργεας πρχει

einen Anteil ndash nach Moumlglichkeit einen groszligen ndash an dem goumlttlichenLebensmodus hat33 Da die Menschen die groumlszligten Ehrungen denGoumlttern darbieten ruumlckt ein Mensch in die Naumlhe der Goumltter undlebt sozusagen ein goumltteraumlhnliches Leben wenn er sehr groszlige Ehreempfaumlngt34 Die Voraussetzung dafuumlr ist daszlig man wirklich γαθςist denn κατ- λθειαν δ- γαθ)ς μνος τιμητς (1124a25) Da-her muszlig ein Mensch Megalopsychos sein wenn er den Wunschhat den Goumlttern irgendwie aumlhnlich zu sein

Nach Aristoteles sollte der Mensch sich nicht nur mit denmenschlichen beziehungsweise sterblichen Angelegenheiten befas-sen sondern soweit es ihm moumlglich ist sich unsterblich machen(φ- Qσον νδχεται θανατζειν) und alles tun um ein solches Leben zu haben das gemaumlszlig dem in sich Houmlchsten beziehungs weiseBesten gefuumlhrt wird (vgl 1177b31ndash34) Das Verlangen nach ver-dienter groszliger Ehre d h die Megalopsychia ist also gemaumlszlig denobigen Ausfuumlhrungen eine Form des Strebens nach Unsterblich-keit

IV

Die Megalopsychia erscheint auf den ersten Blick als einehoch individuelle Tugend da sie eben eine Selbst-Einschaumltzungeine Selbst-Erkenntnis eine Selbst-Bewertung ein Selbst-Bewuszligt-sein kurzum eine bestimmte Art der Selbst-Beziehung konsti -tuiert Gleichzeitig ist sie wie wir zeigen wollen eine bestimmteForm von Gerechtigkeit eine Gerechtigkeit gegenuumlber sich selbst

Die Gerechtigkeit ist die Tugend der angemessenen Vertei-lung im weitesten Sinne mithin eine soziale Tugend Sie bildet deswegen ein sogenanntes bdquofremdes Gutldquo (1130a3 f λλτριονγαθ)ν δοκε1 ε3ναι 6 δικαιοσνη vgl 1134b5 f) ein Gut das sichvor allem auf andere bezieht und als Maszligstab fuumlr ein geregeltes Zusammenleben dient

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33) Da der Gott also nach Aristoteles durch seine θεωρητικ2 νργεια gekennzeichnet wird (1178b21 f) muszlig die vorzuumlglichste Lebensform beziehungs-weise die vollkommene Eudaimonia (6 τελεα ε9δαιμονα) eine Art θεωρητικ2νργεια sein (1178b7 f) Daher hierarchisiert er den βος θεωρητικς als die houmlchst-moumlgliche Lebensform

34) Zu dieser Einstellung vgl bereits Homer Ilias 9155 οR κ ( δωτνSσιθε)ν Tς τιμσουσι Auch Odyssee 11484 τομεν 3σα θεο1σιν

Gerechtigkeit kann nach Aristoteles verschiedene Bedeutun-gen haben35 und entsprechend wird sie in zwei groszlige Kategorieneingeteilt in die bdquoallgemeineldquo (καθ- Qλον) und in die bdquopartikulareldquo(κατ5 μρος) Gerechtigkeit (vgl 1130b6ndash29) Die zweite wird wiederum in zwei Subkategorien unterteilt in das διανεμητικ)νδκαιον (bdquoausteilendeldquo oder bdquodistributive Gerechtigkeitldquo) und indas διορθωτικ)ν δκαιον (bdquokorrektive Gerechtigkeitldquo) (1130b31ndash1131a1 τ) ν τα1ς διανομα1ς τιμς χρημτων τ+ν 0λλων Qσαμεριστ5 το1ς κοινωνο$σι τς πολιτεας und τ) ν το1ς συναλ-λγμασι διορθωτικν) Es gibt nach Aristoteles auch eine dritteArt von Gerechtigkeit τ) ν τα1ς κοινωναις τα1ς λλακτικα1ς[scil δκαιον] (1132b31 f) die den Tausch von Waren betrifft dieman bdquoausgleichende Gerechtigkeitldquo nennen kann

Hier wollen wir uns auf die bdquoausteilende Gerechtigkeitldquo be-schraumlnken Maszligstab und normatives Leitprinzip fuumlr diese also fuumlrdas διανεμητικ)ν δκαιον ist jedem κατ- ξαν also jedem nachseinem Wert und nicht jedem das Gleiche (1131a25ndash27 τ) γ5ρδκαιον ν τα1ς νομα1ς μολογο$σι πντες κατ- ξαν τιν5 δε1νε3ναι τ2ν μντοι ξαν ο9 τ2ν α9τ2ν λγουσι πντες) Das Verhaumllt-nis von Guumltern und Wert bei der Person A muszlig dem Verhaumlltnis vonGuumltern und Wert bei der Person B entsprechen und zwar in Ab-haumlngigkeit des jeweiligen Wertes (ξα) von A und B Das διανε-μητικ)ν δκαιον wird richtig angewendet wenn bei der Verteilungder Guumlter eine solche Analogie d h Proportionalitaumlt (die soge-nannte γεωμετρικ2 ναλογα 1131b12 f) besteht die keinem mehroder weniger gibt als er tatsaumlchlich verdient Denn das Gerechte istetwas Analoges also Proportionales (1131a29 στιν 0ρα τ) δκαι-ον νλογν τι)36 und liegt in der Mitte zwischen dem δικε1ν (Unrecht tun) und dem δικε1σθαι (Unrecht leiden) Beide diese

55Aspekte der Megalopsychia bei Aristoteles (EN 43)

35) Zu dem Gerechtigkeitsbegriff bei Aristoteles vgl z B W F R HardieAristotlersquos Ethical Theory Oxford 1968 21980 189ndash198 T H Irwin AristotlersquosFirst Principles Oxford 1988 427ndash429 G Bien Gerechtigkeit bei Aristoteles inO Houmlffe (Hrsg) Aristoteles Die Nikomachische Ethik Berlin 1995 135ndash164M Pakaluk Aristotlersquos Nicomachean Ethics Cambridge 2005 181ndash205

36) Zu einer impliziten Anwendung des διανεμητικ)ν δκαιον bei der Ari-stotelischen Behandlung der Philia siehe 1165a14ndash18 Qτι μampν οJν ο9 τα9τ5 πσινποδοτον ο9δamp τU πατρ7 πντα καθπερ ο9δamp τU Δι7 θεται ο9κ 0δηλον πε7 δ-Dτερα γονε$σι κα7 δελφο1ς κα7 (ταροις κα7 ε9εργταις (κστοις τ5 οEκε1α κα7 τ5Wρμττοντα πονεμητον Vgl auch 1165a30ndash32 κα7 συγγενσι δamp κα7 φυλταις κα7πολταις κα7 το1ς λοιπο1ς Pπασιν ε7 πειρατον τ) οEκε1ον πονμειν

Extreme sind Formen der Ungerechtigkeit (δικα)37 Wer sich zuviel vom Guten aneignet ohne es wirklich zu verdienen der tut Un-recht waumlhrend derjenige der zu wenig davon bekommt obwohl eres verdienen wuumlrde Unrecht leidet Der Gerechte (δκαιος) verteiltob er selber involviert ist oder nicht das proportional Gleiche (δια-νεμητικ)ς το$ Xσου το$ κατ- ναλογαν vgl 1134a3ndash6)38

Es wird deutlich auch wenn Aristoteles keine Ausfuumlhrungendaruumlber macht daszlig die Megalopsychia eine spezifische Art desδιανεμητικ)ν δκαιον konstituiert Sie liegt wie bereits ausgefuumlhrtin der richtigen Mitte zwischen der χαυντης (einen zu hohen Anspruch haben der dem objektiven Wert der Person nicht ent-spricht) und der Mikropsychia (zu niedrige Anspruumlche trotz hohen Wertes haben) Die χαυντης bildet also eine Form desδικε1ν und die Mikropsychia eine Form des δικε1σθαι Die da-zwischen liegende δικαιοπραγα ist die Tugend der MegalopsychiaDaher sollte es nicht verwundern und nicht als arrogant erschei-nen daszlig der Megalopsychos sich nicht allzu sehr uumlber die Ehrun-gen die ihm erwiesen werden freut Denn er denkt ja daszlig er sieverdient beziehungsweise daszlig es gerecht ist daszlig er sie empfaumlngtUnd so wie die Gerechtigkeit gemaumlszlig Aristoteles eine τελεα ρετist (1129b25 f) so muszlig man auch die vollkommene Tugend besit-zen wie verlangt um Megalopsychos sein zu koumlnnen (1124a28 f)Nur mit dem Unterschied daszlig die Megalopsychia unmittelbar we-der die Beziehung der Buumlrger untereinander also das Verhaumlltniszwischen verschiedenen Individuen regelt noch die Haltung derGesellschaft als Institution ihren Mitgliedern gegenuumlber betrifftsondern urspruumlnglich das Verhaumlltnis d h die Lebenshaltung desIndividuums zu sich selbst bestimmt Wenn jedoch eine so ver-standene urspruumlnglich personale Gerechtigkeit in der Form dersbquoegoistischenlsquo Megalopsychia spaumlter auch bei mehreren Individuen

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37) Vgl 1133b30ndash34 6 δικαιοπραγα μσον στ7 το$ δικε1ν κα7 δι-κε1σθαι τ) μampν γ5ρ πλον χειν τ) δ- λαττν στιν 6 δamp δικαιοσνη μεστης τςστιν ο9 τ)ν α9τ)ν δamp τρπον τα1ς 0λλαις ρετα1ς λλ- Qτι μσου στν 6 δ- δικατ+ν 0κρων

38) Das Prinzip der bdquoausteilenden Gerechtigkeitldquo existiert im wesentlichenlaumlngst wenn auch nicht als Terminus technicus und wird zur Anwendung gebrachtin der griechischen Gesellschaft so z B bereits in der Ilias bei dem δκη-BegriffVgl dazu E A Havelock The Greek Concept of Justice from its Shadow in Homerto its Substance in Plato Harvard 1978 Vgl auch Platon Politeia 1 332c1ndash2 Σι-μωνδης [ ] διενοε1το μampν γρ ς φανεται Qτι το$τ- εXη δκαιον τ) προσκον(κστ[ ποδιδναι

beziehungsweise Buumlrgern erfolgen wuumlrde dann wuumlrde man ja auchvon einem perfekt gerechten sittlich idealen Staat sprechen koumln-nen Es wird deutlich daszlig die viel miszligachtete beziehungsweise ver-achtete Megalopsychia in Wirklichkeit eng verbunden ist mit derhochgepriesenen Kardinaltugend der Gerechtigkeit

V

In Anal Post 213 97b15 ff fuumlhrt Aristoteles bei seinem Ver-such die Definition des Begriffes der Megalopsychia zu formulie-ren unter anderem zwei Beispiele aus der Homerischen Welt an denAchilleus und den Aias Denn beide haben nach Aristoteles etwasgemeinsam Sie ertragen es nicht daszlig ihre Ehre beleidigt und be-schaumldigt wird (97b19 τ) μ2 νχεσθαι βριζμενοι) Es ist natuumlr-lich kein Zufall daszlig Aristoteles diese wohlbekannten Helden alscharakteristische Paradigmen fuumlr die Megalopsychia verwendetWenn es um Ehre geht geschweige denn wenn es um verletzte Ehregeht dann sind Achilleus und Aias in der griechischen TraditionBeispiele par excellence Der eine droht voller Wut das gesamtegriechische Heer in die Vernichtung zu fuumlhren weil Agamemnondurch das Wegnehmen der Briseis seine Ehre herabgesetzt be-ziehungsweise seinen Status nicht angemessen anerkannt hat Derandere entscheidet und versucht die Atriden Agamemnon undMenelaos zu toumlten weil sie ihm die Waffen des Achilleus nicht ge-geben d h ebenfalls seine Ehre verletzt und seinen hohen Wertnicht entsprechend respektiert haben Als er sein Ziel verfehlt toumlteter sich selbst Warum tauchen sie nicht in den ethischen Schriften desAristoteles im Kontext der Megalopsychia-Besprechung auf

Achilleus und Aias sind charakterisiert durch eine bdquoradikaleIndividualitaumltldquo39 und durch ein extremes Verhalten ein Uumlbertrei-ben Es mag sein daszlig diese Helden durch ein monomanischesmaszligloses Verhalten ihre heroische Identitaumlt bewahren beziehungs-weise dem ethischen Kodex und Wertesystem ihrer Zeit entspre-chen Sonst erschiene ihr Leben wohl nicht mehr sbquogutlsquo und nichtmehr lebenswert40 Sonst wuumlrden sie sich selbst verlieren sich

57Aspekte der Megalopsychia bei Aristoteles (EN 43)

39) H Weinstock Sophokles Wuppertal 31948 6040) Vgl z B Sophokles Aias 479ndash480 λλ- καλ+ς ζν καλ+ς τε-

θνηκναι τ)ν ε9γεν χρ

selbst und ihr Wertebewuszligtsein aufgeben Es mag auch sein daszligsie in ihrem Sinne genau das Richtige tun selbst wenn dies ego-istisch und maszliglos erscheint da sie sich ja durch ihre Taten prak-tisch gegen die Gemeinschaft richten Das waumlre ein anderes ThemaSicher ist jedoch Das Uumlbertriebene Exaltierte ihres Verhaltenswaumlre im Rahmen des Aristotelischen Wertesystems tadelnswertBeide Helden verfuumlgen uumlber die Homerische Tugend und sindzwar γαθο und 0ριστοι41 aufgrund der Werte ihre r Zeit42 abersie sind nicht ς ληθ+ς γαθο also nicht γαθο im Aristo-telischen Sinne Achilleusrsquo und Aiasrsquo Handlungen beziehen sichvor allem auf ihre persoumlnliche Ehre beziehungsweise auf ihr per-soumlnliches Interesse nicht auf das Gemeinwohl Aber genau diesesdas angemessene Verhalten im Hinblick auf die Gemeinschaft unddie Teilnahme daran sind bei Aristoteles notwendige Vorausset-zungen des γαθς43

Auch die Phronesis diese zentrale dianoetische Tugend dienach Aristoteles immer jede ethische Tugend begleiten soll um wie eine Lampe den richtig gewaumlhlten Weg zu beleuchten44 ist beidiesen Helden in eklatanter Weise abwesend Und es steht auszligerZweifel γαθς zu sein ohne uumlber Phronesis zu verfuumlgen ist nachAristoteles nicht moumlglich Es gilt aber auch das Umgekehrte45 Die-se Helden sind nicht bdquounbeherrschtldquo (κρατε1ς) im AristotelischenSinne46 freilich auch nicht bdquobeherrschtldquo (γκρατε1ς) aber sie sindauch nicht bdquoschlechtldquo (φα$λοι ndash κλαστοι) Sie stehen auszligerhalbdieser ethischen Kategorien des Aristoteles und sind von daher ge-sehen ein Anachronismus

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41) Vgl z B Ilias 2768ndash770 νδρ+ν αJ μγ- 0ριστος ην ΤελαμAνιος ΑXας ^φρ- _χιλεNς μνιεν γ5ρ πολN φρτατος `εν Rπποι θ- οa φορεσκον μνοναΠηλεωνα

42) Vgl hierzu auch Broadie Rowe (wie Anm 9) 2943) Vgl 1163b6ndash8 ο9 γ5ρ τιμται μηδampν γαθ)ν τU κοινU πορζων τ)

κοιν)ν γ5ρ δδοται τU τ) κοιν)ν ε9εργετο$ντι 6 τιμ2 δamp κοινν44) Vgl 1144a6ndash9 τ) ργον ποτελε1ται κατ5 τ2ν φρνησιν κα7 τ2ν cθικ2ν

ρετν 6 μampν γ5ρ ρετ2 τ)ν σκοπ)ν ποιε1 Iρθν 6 δamp φρνησις τ5 πρ)ς το$τον45) Vgl 1144b31 f ο9χ ον τε γαθ)ν ε3ναι κυρως 0νευ φρονσεως ο9δamp

φρνιμον 0νευ τς cθικς ρετς46) sbquoUnbeherrschtlsquo bei Aristoteles ist derjenige der wohl weiszlig was richtig

ist dem es aber nicht gelingt seine πθη durch seine Vernunft zu kontrollieren be-ziehungsweise zu beherrschen Das heiszligt es besteht ein Konflikt zwischen seinenTrieben und Wuumlnschen einerseits und seiner Vernunft andererseits die am Schluszligdoch der sbquoVerliererlsquo ist Vgl 1111b13 f κα7 κρατ2ς πιθυμ+ν μampν πρττει προ-αιρομενος δ- ο9 1112a15 f 6 γ5ρ προαρεσις μετ5 λγου κα7 διανοας

Es wird nun klar warum Achilleus und Aias nicht Megalo -psychoi im streng ethischen beziehungsweise moralischen Sinnedes Aristotelischen Wertekanons sind Denn sie besitzen nicht alleanderen ethischen Tugenden Im ethischen Kontext der Aristoteli-schen Ausfuumlhrungen wuumlrden sie wenn sie vorkaumlmen als Gegen-Beispiele fungieren muumlssen d h sie haumltten eine antiparadigmati-sche Funktion Sie wuumlrden zitiert werden als solche die eben nichtwahrhaft Megalopsychoi sind

Man koumlnnte also nicht ohne Skepsis dem Achilleus und demAias diejenigen Eigenschaften zuschreiben die Aristoteles demMegalopsychos in der Nikomachischen Ethik zuschreibt47 undebensowenig umgekehrt versuchen den Megalopsychos der Niko-machischen Ethik mit diesen heroischen Figuren zu identifizieren

Schluszligbemerkung

Aristoteles orientiert sich bei seiner Behandlung der ethischenTugend der Megalopsychia in der Nikomachischen Ethik nur bis zu einem gewissen Grad an der Meinung der Vielen Er korrigiertdie oberflaumlchliche allgemein verbreitete Ansicht daszlig die Ehre dasEndziel des politischen Lebens ist aber er nimmt sie als das groumlszlig-te der aumluszligeren Guumlter an Er akzeptiert daszlig der 0ριστος sich be-rechtigterweise gemaumlszlig seiner ξα der groumlszligten Ehre fuumlr wert haumlltaber er gibt der ξα und somit auch den Begriffen der Tugend unddes γαθς beziehungsweise des 0ριστος einen neuen ethischenInhalt Megalopsychos ist und kann nur der ς ληθ+ς γαθςsein Megalopsychia ist eine zutiefst griechische Tugend und re-praumlsentativ fuumlr die gesamte antike griechische Denkweise Diechristlich gepraumlgte Mentalitaumlt kann sie nur schwer begreifen undnoch schwerer akzeptieren Anders das bei den Griechen verbrei-tete Denken Wenn man der Beste ist muszlig man sich dessen auchbewuszligt sein muszlig man es vor allem zeigen und sich entsprechendverhalten Die Megalopsychia ist insoweit auch eine Form desSelbstbewuszligtseins und der Selbsterkenntnis Daher erscheint esnatuumlrlich und gerecht das Beste und werthaltigste Gut naumlmlich dieEhre fuumlr sich in Anspruch zu nehmen wenn die Voraussetzungen

59Aspekte der Megalopsychia bei Aristoteles (EN 43)

47) So wie z B O Hellmann Aristoteles und Achilleus Der poetische Heldaus der Sicht des Philosophen in Althoff (wie Anm 1) 27ndash41 bes 35ndash38

dafuumlr die Aristoteles alle ausdruumlcklich benennt bei einem Men-schen gegeben sind Nur auf diese Weise nur wenn man Megalo -psychos ist kann man wirklich und vollkommen ε9δαμων wer-den Bescheidenheit waumlre hier also fehl am Platz und wuumlrde derPflicht die der Mensch gegenuumlber sich selbst hat widersprechenund damit auch der Selbstverwirklichung die Aristoteles sbquoEudai-monialsquo nennt48

Ioannina Mar i a L ia t s i

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48) Aristoteles formuliert mit diesem Gedanken eine Auffassung und nimmtmit diesem Punkt seiner Ethik eine Lehre vorweg die erst im Zuge der europaumlischenAufklaumlrung naumlmlich von Kant zu einer grundlegenden Bestimmung der Moral-philosophie gemacht worden ist naumlmlich daszlig der Mensch nicht nur Pflichten gegenandere sondern auch Pflichten gegen sich selbst hat und daszlig er auch in diesem Sinne das heiszligt durch Verletzung derselben schuldig werden kann gegenuumlber undan sich selbst Aristoteles hat mit seinem Begriff des Megalopsychos und der Me-galopsychia diese Unterscheidung Kants auf geniale Weise vorweggenommen VglImmanuel Kant Metaphysik der Sitten Zweiter Teil Metaphysische Anfangsgruumln-de der Tugendlehre I Ethische Elementarlehre 1 Teil Von den Pflichten gegen sichselbst 261ndash302 2 Teil Von den Tugendpflichten gegen andere 303ndash337 Hrsg vonKarl Vorlaumlnder Philosophische Bibliothek Bd 42 Hamburg 1922

er von Eudaimonia redet ist das Handeln gemaumlszlig der Tugend(1100b10 κριαι δ- εEσ7ν α8 κατ- ρετ2ν νργειαι τς ε9δαι-μονας) Alles andere ist sekundaumlr Das heiszligt Der ε9δαιμονικς istder ς ληθ+ς γαθς (vgl 1100b21)

Die Analogie zwischen dem Aristotelischen Konzept der Eudaimonia und jenem der Megalopsychia ist wie es den Anscheinhat evident So wie das wesentliche Merkmal der Eudaimonia dieρετ2 τελεα ist und die aumluszligeren Guumlter nur κατ5 συμβεβηκς fungieren so aumlhnlich verhaumllt es sich im Fall der Megalopsychia dadie παντελ2ς ρετ (vgl 1124a828 f) beziehungsweise die καλο-καγαθα17 (1124a4) die conditio sine qua non der Megalopsychiaist und ihre Substanz bildet und die aumluszligeren Guumlter bloszlige wennauch unentbehrliche συμβεβηκτα sind Der Megalopsychos muszligalso ε9δαμων par excellence sein und der ε9δαμων muszlig natuumlrlichauch Megalopsychos sein So schwer es ist wirklich ε9δαμων alsowirklich γαθς zu sein genauso schwer ist es ein ς ληθ+ςMegalopsychos zu sein Denn der wirkliche Megalopsychos muszligwirklich γαθς sein18 Die altbewaumlhrten aumluszligeren Guumlter werden inbeiden Faumlllen zwar anerkannt und beruumlcksichtigt aber sie fungie-ren als sekundaumlre Elemente waumlhrend sie bis zur Zeit des Aristo -teles im oumlffentlichen Bewuszligtsein den wesentlichen Inhalt der bei-den Begriffe (Eudaimonia ndash Megalopsychia) bestimmten19 Diesgeschah im Fall der Megalopsychia indirekt mittelbar insofern dieaumluszligeren Guumlter den Begriffen 0ξιος ξα die Grundbestandteileder Definition der Megalopsychia sind eine konkrete eben auf siebezogene Bedeutung verliehen Bei Aristoteles gewinnen ja die Be-griffe 0ξιος ξα einen neuen ethischen Inhalt

Es ist nun unangebracht und nur ein Miszligverstaumlndnis der Ari-stotelischen Gedanken zur Megalopsychia zu behaupten daszlig dieseTugend mit der philosophischen Konzeption des Aristoteles in ethi-

49Aspekte der Megalopsychia bei Aristoteles (EN 43)

17) Vgl EE 815 1248b8ndash1249a17 wo ausgefuumlhrt wird daszlig die Kalokaga-thia ρετ2 τλειος στιν

18) Vgl 1123b29 τ)ν ς ληθ+ς 0ρα μεγαλψυχον δε1 γαθ)ν ε3ναι Vglauch 1124a3 f δι5 το$το χαλεπ)ν τB ληθεF μεγαλψυχον ε3ναι ο9 γ5ρ ον τε0νευ καλοκαγαθας Siehe ferner 1124a25 κατ- λθειαν δ- γαθ)ς μνος τιμητς

19) Zur gelaumlufigen Identifikation der Eudaimonia mit aumluszligeren Guumltern vglz B 1095a20 ff Zur Megalopsychia siehe 1124a26ndash28 ο8 δ- 0νευ ρετς τ5 τοια$ταγαθ5 χοντες [ ] οHτε Iρθ+ς μεγαλψυχοι λγονται Diese Formulierung impli-ziert deutlich daszlig es allgemein uumlblich war die Besitzer von aumluszligeren Guumltern als Me-galopsychoi zu bezeichnen auch wenn sie uumlber keine Tugend im AristotelischenSinne verfuumlgten

cis wenig zu tun habe beziehungsweise daszlig sie bdquoperipheral toethicsldquo20 sei oder daszlig sie in Wirklichheit gar keine Tugend sei DerMegalopsychos erscheint wie ein sbquoSupermanlsquo wie eine quasi mythi-sche Gestalt wie ein Held im vollen Sinne des Wortes21 Das wurdehaumlufig moniert Gegen diesen Einwand naumlmlich daszlig der Aristoteli-sche Megalopsychos eine uumlbertriebene utopische Figur darstellt diein der Realitaumlt gar nicht existiert haben kann laumlszligt sich erwidern daszligjedes Ideal ndash und der Megalopsychos bildet ja tatsaumlchlich ein solchesIdeal ein sbquoAumluszligersteslsquo ndash unrealistische Charakteristika aufweistAuch der ε9δαμων βος ist ein Ideal wonach man strebt und stre-ben soll Das bedeutet nicht daszlig man es vollstaumlndig erreichen kannMan versucht jedoch sich ihm immer mehr anzunaumlhern was derSinn eines jeden Ideals ist dauerhaft zur Verwirklichung diesessbquoAumluszligerstenlsquo beziehungsweise dieses idealen 0κρον22 zu motivieren

Daszlig die vornehme Abstammung daszlig Reichtum oder politi-sche Macht kurzum die traditionellen archaischen Werte nichtmehr genuumlgen um die Haltung (Dξις) der Megalopsychia zu recht-fertigen sondern man nur solange man das γαθν beziehungs-weise das ethische καλν realisiert uumlber die Megalopsychia wirk-lich verfuumlgen kann wird durch die Aristotelischen Ausfuumlhrungendeutlich Es wird auch deutlich daszlig die Megalopsychia das richti-ge Verhaumlltnis des γαθς der Ehre gegenuumlber konstituiert die vonseinen Tugenden her stammt

II

Eine der beruumlhmtesten und am meisten miszliginterpretiertenTextpassagen im Buch 43 der Nikomachischen Ethik ist die Stellewo die Megalopsychia als eine Art bdquoSchmuck der Tugendenldquo be-stimmt wird da sie sie bdquogroumlszligerldquo macht und ohne sie nicht zustan-de kommt (1124a1ndash3 οικε μampν οJν 6 μεγαλοψυχα οον κσμος τις

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20) Pakaluk (wie Anm 9) 24321) Vgl W K C Guthrie A History of Greek Philosophy vol 6 Aristotle ndash

an Encounter Oxford 1981 369 der ihn als bdquothe perfect gentlemanldquo bezeichnet22) Der Megalopsychos ist 0κρος hinsichtlich seiner Groumlszlige (1123b13 f) be-

ziehungsweise seines Wertes der bei Aristoteles wie wir sahen anhand der Tugendbemessen wird Er hat also den houmlchsten Wert und verdient beziehungsweise ver-langt fuumlr sich das Entsprechende Auch die Eudaimonia wird als τ) κρτατον τ+νπρακτ+ν γαθ+ν charakterisiert (1095a16 f) also als das houmlchste Gut wonach manstreben kann

ε3ναι τ+ν ρετ+ν μεζους γ5ρ α9τ5ς ποιε1 κα7 ο9 γνεται 0νευκενων)

Soviel hat sich bereits ergeben Die wahrhafte Megalopsychiasetzt die anderen ethischen Tugenden voraus und enthaumllt sie in ei-nem bestimmten Sinne Andernfalls handelt es sich dabei gar nichtum eine echte Tugend sondern um eine Dξις die man zwar sbquoMega-lopsychialsquo nennen mag was aber unzutreffend ist (vgl 1124a27 f)Wenn daher Leute die Haltung des Megalopsychos nachahmenohne γαθο zu sein erscheinen sie laumlcherlich (1123b33 f) oderhochmuumltig und arrogant (1124a29 ff) Das sind die Vielen (1124b6ο8 πολλο) die ohnehin nicht wahrhafte γαθο beziehungsweisenicht wahrhafte Megalopsychoi sein koumlnnen Denn das ist zugege-benermaszligen schwierig (χαλεπν 1124a3)

Aber in welchem Sinn ist die Megalopsychia wie ein Schmuckfuumlr die Tugenden Warum wird von Aristoteles diese Metapher gebraucht Die Antwort kommt gleich danach im Text weil dieMegalopsychia sie groumlszliger macht Wenn man die Stelle woumlrtlichuumlbersetzt versteht man sie kaum Wieso bdquoverleiht (die Megalopsy-chia) einer jeden (Tugend) die groumlszligere Formldquo23 Wieso bdquomacht essie groumlszligerldquo24 oder bdquoerweitert sieldquo25 Sie wuumlrde deswegen nicht wieein κσμος fuumlr die Tugenden funktionieren Eine Halskette die einSchmuck fuumlr den Hals ist macht ihn nicht groumlszliger aber sie laumlszligt ihn besser zum Vorschein kommen Durch sie zeichnet sich derHals besser aus Auch eine Krone laumlszligt einen Koumlnig nicht groumlszliger erscheinen aber sie unterstreicht sein Koumlnigsein sie druumlckt seineEigenschaft besser aus Die Krone macht den echten Koumlnig nichtaus denn er muszlig uumlber die entsprechenden Qualitaumlten und Faumlhig-keiten bereits verfuumlgen Er muszlig aber auch wie ein Koumlnig erschei-nen Jemand der kein wirklicher Koumlnig ist und trotzdem auf einerKrone besteht kann leicht laumlcherlich wirken Aumlhnliches gilt fuumlr dieMegalopsychia Sie bringt die Tugenden besser zur Geltung machtsie besser sichtbar Denn wenn man sie hat muszlig man sie auch zei-gen sie hervorheben insofern sie groumlszliger machen den anderen dieGroumlszlige offenbaren und man wird dafuumlr mit dem wichtigsten aumluszlige-ren Gut der Ehre gepriesen werden Die Megalopsychia kroumlnt die

51Aspekte der Megalopsychia bei Aristoteles (EN 43)

23) Dirlmeier (wie Anm 2) 8124) W D Ross Nicomachean Ethics revised by J O Urmson in J Barnes

(Hrsg) The Complete Works of Aristotle Princeton 1984 ad loc25) Broadie Rowe (wie Anm 9) 148

τελεα ρετ die eigentlich ohne die Megalopsychia gar nicht τε-λεα im strengen Sinne des Wortes sein kann Das bedeutet Ohnedie Tugend der Megalopsychia kann man die Eudaimonia nichtwirklich erreichen Wenn man diese Relation verstanden hat wirdman auch leichter einsehen daszlig diese von manchen Interpretenfalsch eingeschaumltzte Tugend sogar von zentraler Bedeutung fuumlr dasethische System des Aristoteles ist Kein Wunder daszlig Aristotelessie so ausfuumlhrlich behandelt

III

Die wahrhaftige Megalopsychia verlangt und verdient wie wirbereits ausgefuumlhrt haben die groumlszligte Ehre da sie eben dem wahr-haften γαθς zukommt Der wichtigste groumlszligte Wert also fuumlr Ari-stoteles die Tugend und zwar die vollkommene Tugend wird mitdem wichtigsten groumlszligten aumluszligeren Gut der Ehre belohnt Es ist zubeachten Die inneren Werte suchen ihr Aumlquivalent (wenigstensannaumlhernd) in den aumluszligeren Werten Mit anderen Worten Die seeli-schen inneren Guumlter (ψυχικ5 γαθ) werden an den aumluszligeren Guuml-tern bemessen und vor allem eben an der Ehre Warum suchen nunalle Menschen danach Wenn man genauer die Bedeutung diesesStrebens nach Ehre analysiert zu welchem ja der Megalopsychoseine ganz spezifische Beziehung hat wird man erneut feststellenkoumlnnen wie nah das Eudaimonia-Konzept dem Megalopsychia-Konzept steht beziehungsweise wie fest und substantiell integriertdiese Tugend im ethischen System des Aristoteles ist

Unter Ehre ist im wesentlichen das Ansehen der Ruhm dieAnerkennung zu verstehen Die Ehre ist ein unentbehrlicher Be-standteil der Eudaimonia Sie darf zwar nicht mit der Eudaimoniaidentifiziert werden wie viele Menschen das tun wenn sie sich fuumlrden βος πολιτικς entscheiden und faumllschlicherweise glauben dieτιμ sei das Ziel dieser Lebensform (vgl 1095b22 f) Die Ehre istein bedeutendes Mittel zu dem Endzweck der Eudaimonia dasauch fuumlr sich wuumlnschenswert und erstrebenswert ist26 obwohl sie

52 Mar i a L ia t s i

26) Siehe 1097b2ndash5 τιμ2 δamp κα7 6δον2ν κα7 νο$ν κα7 πσαν ρετ2ν α8ρομε-θα μampν δι- α9τ [ ] α8ρομεθα δamp κα7 τς ε9δαιμονας χριν δι5 τοτων πο-λαμβνοντες ε9δαιμονσειν Vgl 1096a7ndash9 δι) μλλον τ5 πρτερον λεχθντατλη [scil 6δον τιμ] τις Kν πολβοι δι- ατ5 γ5ρ γαπται

nach Aristoteles kein vollstaumlndiges Gut (τλειον γαθν) ist (vgl1097a33 f) Sie gilt als das groumlszligte Gut weil sie das ist was man denGoumlttern zuteilt (vgl 1123b18 μγιστον δamp [scil γαθν] το$τ- Kνθεημεν L το1ς θεο1ς πονμομεν) Denn die Goumltter sind uns imHinblick auf alle Guumlter uumlberlegen (1158b36 πλε1στον γ5ρ οMτοι[scil ο8 θεο] πσι το1ς γαθο1ς περχουσιν) und wie die allge-meine Meinung lautet bdquoaus den Menschen werden Goumltter27 infol-ge des houmlchsten Grades der Tugendldquo (1145a23 f καθπερ φασνξ νθρAπων γνονται θεο7 δι- ρετς περβολν) Die Ansichtdaszlig die Goumltter mehr Tugend und mehr Ehre als die Menschen haben war in der Zeit des Aristoteles keineswegs unbekannt son-dern sie entsprach einem traditionellen Gemeingut28 Menschenund Goumltter wurden analog behandelt Sie verfuumlgten beide uumlber die-selben Eigenschaften und Merkmale Die Unterschiede zwischenihnen waren nur graduelle und nicht kategoriale Unterschiede29

Das Leben der Goumltter war also eine ins Ideale uumlbersetzte Vor-stellung vom Leben der Menschen Insofern verwundert es nichtwenn Aristoteles bei seinen Ausfuumlhrungen uumlber die EudaimoniaVergleiche zwischen Mensch und Gott beziehungsweise zwischender menschlichen und der goumlttlichen Eudaimonia zieht die natuumlr-lich groumlszliger als die menschliche ist30 aber nicht eine voumlllig andere31

Das bedeutet daszlig der Mensch wenn er nach Eudaimonia strebt inWirklichkeit danach strebt ein Leben zu fuumlhren das bis zu einemgewissen Grad dem goumlttlichen Leben das ein voumlllig seliges Lebenist nahe kommt32 Das goumlttliche Leben vertritt das Ganze das Absolute eben das Ideale (vgl 1178b8 f τοNς θεοNς μλισταε9δαμονας) Fuumlr den Menschen liegt das beste Leben darin daszlig er

53Aspekte der Megalopsychia bei Aristoteles (EN 43)

27) Die Rede ist hier von der Heroisierung hoch verdienter Menschen die zuden Halbgoumlttern gezaumlhlt wurden wie z B Herakles

28) Vgl z B Homer Ilias 1497 f στρεπτο7 δ τε κα7 θεο7 α9το τ+ν περκα7 μεζων ρετ2 τιμ τε βη τε

29) Zu dieser Thematik vgl J M Redfield Nature and Culture in The IliadThe Tragedy of Hector Chicago 1975 A W H Adkins Homeric Gods and the Values of Homeric Society JHS 92 1972 1 Vgl auch H Lloyd-Jones The Justiceof Zeus California 1971 175

30) Vgl z B 1178b8 f τοNς θεοNς γ5ρ μλιστα πειλφαμεν μακαρους κα7ε9δαμονας ε3ναι

31) Vgl hierzu auch R Kraut Aristotle on the Human Good Princeton1991 273

32) Vgl 1178b25ndash27 το1ς μampν γ5ρ θεο1ς Pπας βος μακριος το1ς δ-νθρAποις φ- Qσον μοωμ τι τς τοιατης νεργεας πρχει

einen Anteil ndash nach Moumlglichkeit einen groszligen ndash an dem goumlttlichenLebensmodus hat33 Da die Menschen die groumlszligten Ehrungen denGoumlttern darbieten ruumlckt ein Mensch in die Naumlhe der Goumltter undlebt sozusagen ein goumltteraumlhnliches Leben wenn er sehr groszlige Ehreempfaumlngt34 Die Voraussetzung dafuumlr ist daszlig man wirklich γαθςist denn κατ- λθειαν δ- γαθ)ς μνος τιμητς (1124a25) Da-her muszlig ein Mensch Megalopsychos sein wenn er den Wunschhat den Goumlttern irgendwie aumlhnlich zu sein

Nach Aristoteles sollte der Mensch sich nicht nur mit denmenschlichen beziehungsweise sterblichen Angelegenheiten befas-sen sondern soweit es ihm moumlglich ist sich unsterblich machen(φ- Qσον νδχεται θανατζειν) und alles tun um ein solches Leben zu haben das gemaumlszlig dem in sich Houmlchsten beziehungs weiseBesten gefuumlhrt wird (vgl 1177b31ndash34) Das Verlangen nach ver-dienter groszliger Ehre d h die Megalopsychia ist also gemaumlszlig denobigen Ausfuumlhrungen eine Form des Strebens nach Unsterblich-keit

IV

Die Megalopsychia erscheint auf den ersten Blick als einehoch individuelle Tugend da sie eben eine Selbst-Einschaumltzungeine Selbst-Erkenntnis eine Selbst-Bewertung ein Selbst-Bewuszligt-sein kurzum eine bestimmte Art der Selbst-Beziehung konsti -tuiert Gleichzeitig ist sie wie wir zeigen wollen eine bestimmteForm von Gerechtigkeit eine Gerechtigkeit gegenuumlber sich selbst

Die Gerechtigkeit ist die Tugend der angemessenen Vertei-lung im weitesten Sinne mithin eine soziale Tugend Sie bildet deswegen ein sogenanntes bdquofremdes Gutldquo (1130a3 f λλτριονγαθ)ν δοκε1 ε3ναι 6 δικαιοσνη vgl 1134b5 f) ein Gut das sichvor allem auf andere bezieht und als Maszligstab fuumlr ein geregeltes Zusammenleben dient

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33) Da der Gott also nach Aristoteles durch seine θεωρητικ2 νργεια gekennzeichnet wird (1178b21 f) muszlig die vorzuumlglichste Lebensform beziehungs-weise die vollkommene Eudaimonia (6 τελεα ε9δαιμονα) eine Art θεωρητικ2νργεια sein (1178b7 f) Daher hierarchisiert er den βος θεωρητικς als die houmlchst-moumlgliche Lebensform

34) Zu dieser Einstellung vgl bereits Homer Ilias 9155 οR κ ( δωτνSσιθε)ν Tς τιμσουσι Auch Odyssee 11484 τομεν 3σα θεο1σιν

Gerechtigkeit kann nach Aristoteles verschiedene Bedeutun-gen haben35 und entsprechend wird sie in zwei groszlige Kategorieneingeteilt in die bdquoallgemeineldquo (καθ- Qλον) und in die bdquopartikulareldquo(κατ5 μρος) Gerechtigkeit (vgl 1130b6ndash29) Die zweite wird wiederum in zwei Subkategorien unterteilt in das διανεμητικ)νδκαιον (bdquoausteilendeldquo oder bdquodistributive Gerechtigkeitldquo) und indas διορθωτικ)ν δκαιον (bdquokorrektive Gerechtigkeitldquo) (1130b31ndash1131a1 τ) ν τα1ς διανομα1ς τιμς χρημτων τ+ν 0λλων Qσαμεριστ5 το1ς κοινωνο$σι τς πολιτεας und τ) ν το1ς συναλ-λγμασι διορθωτικν) Es gibt nach Aristoteles auch eine dritteArt von Gerechtigkeit τ) ν τα1ς κοινωναις τα1ς λλακτικα1ς[scil δκαιον] (1132b31 f) die den Tausch von Waren betrifft dieman bdquoausgleichende Gerechtigkeitldquo nennen kann

Hier wollen wir uns auf die bdquoausteilende Gerechtigkeitldquo be-schraumlnken Maszligstab und normatives Leitprinzip fuumlr diese also fuumlrdas διανεμητικ)ν δκαιον ist jedem κατ- ξαν also jedem nachseinem Wert und nicht jedem das Gleiche (1131a25ndash27 τ) γ5ρδκαιον ν τα1ς νομα1ς μολογο$σι πντες κατ- ξαν τιν5 δε1νε3ναι τ2ν μντοι ξαν ο9 τ2ν α9τ2ν λγουσι πντες) Das Verhaumllt-nis von Guumltern und Wert bei der Person A muszlig dem Verhaumlltnis vonGuumltern und Wert bei der Person B entsprechen und zwar in Ab-haumlngigkeit des jeweiligen Wertes (ξα) von A und B Das διανε-μητικ)ν δκαιον wird richtig angewendet wenn bei der Verteilungder Guumlter eine solche Analogie d h Proportionalitaumlt (die soge-nannte γεωμετρικ2 ναλογα 1131b12 f) besteht die keinem mehroder weniger gibt als er tatsaumlchlich verdient Denn das Gerechte istetwas Analoges also Proportionales (1131a29 στιν 0ρα τ) δκαι-ον νλογν τι)36 und liegt in der Mitte zwischen dem δικε1ν (Unrecht tun) und dem δικε1σθαι (Unrecht leiden) Beide diese

55Aspekte der Megalopsychia bei Aristoteles (EN 43)

35) Zu dem Gerechtigkeitsbegriff bei Aristoteles vgl z B W F R HardieAristotlersquos Ethical Theory Oxford 1968 21980 189ndash198 T H Irwin AristotlersquosFirst Principles Oxford 1988 427ndash429 G Bien Gerechtigkeit bei Aristoteles inO Houmlffe (Hrsg) Aristoteles Die Nikomachische Ethik Berlin 1995 135ndash164M Pakaluk Aristotlersquos Nicomachean Ethics Cambridge 2005 181ndash205

36) Zu einer impliziten Anwendung des διανεμητικ)ν δκαιον bei der Ari-stotelischen Behandlung der Philia siehe 1165a14ndash18 Qτι μampν οJν ο9 τα9τ5 πσινποδοτον ο9δamp τU πατρ7 πντα καθπερ ο9δamp τU Δι7 θεται ο9κ 0δηλον πε7 δ-Dτερα γονε$σι κα7 δελφο1ς κα7 (ταροις κα7 ε9εργταις (κστοις τ5 οEκε1α κα7 τ5Wρμττοντα πονεμητον Vgl auch 1165a30ndash32 κα7 συγγενσι δamp κα7 φυλταις κα7πολταις κα7 το1ς λοιπο1ς Pπασιν ε7 πειρατον τ) οEκε1ον πονμειν

Extreme sind Formen der Ungerechtigkeit (δικα)37 Wer sich zuviel vom Guten aneignet ohne es wirklich zu verdienen der tut Un-recht waumlhrend derjenige der zu wenig davon bekommt obwohl eres verdienen wuumlrde Unrecht leidet Der Gerechte (δκαιος) verteiltob er selber involviert ist oder nicht das proportional Gleiche (δια-νεμητικ)ς το$ Xσου το$ κατ- ναλογαν vgl 1134a3ndash6)38

Es wird deutlich auch wenn Aristoteles keine Ausfuumlhrungendaruumlber macht daszlig die Megalopsychia eine spezifische Art desδιανεμητικ)ν δκαιον konstituiert Sie liegt wie bereits ausgefuumlhrtin der richtigen Mitte zwischen der χαυντης (einen zu hohen Anspruch haben der dem objektiven Wert der Person nicht ent-spricht) und der Mikropsychia (zu niedrige Anspruumlche trotz hohen Wertes haben) Die χαυντης bildet also eine Form desδικε1ν und die Mikropsychia eine Form des δικε1σθαι Die da-zwischen liegende δικαιοπραγα ist die Tugend der MegalopsychiaDaher sollte es nicht verwundern und nicht als arrogant erschei-nen daszlig der Megalopsychos sich nicht allzu sehr uumlber die Ehrun-gen die ihm erwiesen werden freut Denn er denkt ja daszlig er sieverdient beziehungsweise daszlig es gerecht ist daszlig er sie empfaumlngtUnd so wie die Gerechtigkeit gemaumlszlig Aristoteles eine τελεα ρετist (1129b25 f) so muszlig man auch die vollkommene Tugend besit-zen wie verlangt um Megalopsychos sein zu koumlnnen (1124a28 f)Nur mit dem Unterschied daszlig die Megalopsychia unmittelbar we-der die Beziehung der Buumlrger untereinander also das Verhaumlltniszwischen verschiedenen Individuen regelt noch die Haltung derGesellschaft als Institution ihren Mitgliedern gegenuumlber betrifftsondern urspruumlnglich das Verhaumlltnis d h die Lebenshaltung desIndividuums zu sich selbst bestimmt Wenn jedoch eine so ver-standene urspruumlnglich personale Gerechtigkeit in der Form dersbquoegoistischenlsquo Megalopsychia spaumlter auch bei mehreren Individuen

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37) Vgl 1133b30ndash34 6 δικαιοπραγα μσον στ7 το$ δικε1ν κα7 δι-κε1σθαι τ) μampν γ5ρ πλον χειν τ) δ- λαττν στιν 6 δamp δικαιοσνη μεστης τςστιν ο9 τ)ν α9τ)ν δamp τρπον τα1ς 0λλαις ρετα1ς λλ- Qτι μσου στν 6 δ- δικατ+ν 0κρων

38) Das Prinzip der bdquoausteilenden Gerechtigkeitldquo existiert im wesentlichenlaumlngst wenn auch nicht als Terminus technicus und wird zur Anwendung gebrachtin der griechischen Gesellschaft so z B bereits in der Ilias bei dem δκη-BegriffVgl dazu E A Havelock The Greek Concept of Justice from its Shadow in Homerto its Substance in Plato Harvard 1978 Vgl auch Platon Politeia 1 332c1ndash2 Σι-μωνδης [ ] διενοε1το μampν γρ ς φανεται Qτι το$τ- εXη δκαιον τ) προσκον(κστ[ ποδιδναι

beziehungsweise Buumlrgern erfolgen wuumlrde dann wuumlrde man ja auchvon einem perfekt gerechten sittlich idealen Staat sprechen koumln-nen Es wird deutlich daszlig die viel miszligachtete beziehungsweise ver-achtete Megalopsychia in Wirklichkeit eng verbunden ist mit derhochgepriesenen Kardinaltugend der Gerechtigkeit

V

In Anal Post 213 97b15 ff fuumlhrt Aristoteles bei seinem Ver-such die Definition des Begriffes der Megalopsychia zu formulie-ren unter anderem zwei Beispiele aus der Homerischen Welt an denAchilleus und den Aias Denn beide haben nach Aristoteles etwasgemeinsam Sie ertragen es nicht daszlig ihre Ehre beleidigt und be-schaumldigt wird (97b19 τ) μ2 νχεσθαι βριζμενοι) Es ist natuumlr-lich kein Zufall daszlig Aristoteles diese wohlbekannten Helden alscharakteristische Paradigmen fuumlr die Megalopsychia verwendetWenn es um Ehre geht geschweige denn wenn es um verletzte Ehregeht dann sind Achilleus und Aias in der griechischen TraditionBeispiele par excellence Der eine droht voller Wut das gesamtegriechische Heer in die Vernichtung zu fuumlhren weil Agamemnondurch das Wegnehmen der Briseis seine Ehre herabgesetzt be-ziehungsweise seinen Status nicht angemessen anerkannt hat Derandere entscheidet und versucht die Atriden Agamemnon undMenelaos zu toumlten weil sie ihm die Waffen des Achilleus nicht ge-geben d h ebenfalls seine Ehre verletzt und seinen hohen Wertnicht entsprechend respektiert haben Als er sein Ziel verfehlt toumlteter sich selbst Warum tauchen sie nicht in den ethischen Schriften desAristoteles im Kontext der Megalopsychia-Besprechung auf

Achilleus und Aias sind charakterisiert durch eine bdquoradikaleIndividualitaumltldquo39 und durch ein extremes Verhalten ein Uumlbertrei-ben Es mag sein daszlig diese Helden durch ein monomanischesmaszligloses Verhalten ihre heroische Identitaumlt bewahren beziehungs-weise dem ethischen Kodex und Wertesystem ihrer Zeit entspre-chen Sonst erschiene ihr Leben wohl nicht mehr sbquogutlsquo und nichtmehr lebenswert40 Sonst wuumlrden sie sich selbst verlieren sich

57Aspekte der Megalopsychia bei Aristoteles (EN 43)

39) H Weinstock Sophokles Wuppertal 31948 6040) Vgl z B Sophokles Aias 479ndash480 λλ- καλ+ς ζν καλ+ς τε-

θνηκναι τ)ν ε9γεν χρ

selbst und ihr Wertebewuszligtsein aufgeben Es mag auch sein daszligsie in ihrem Sinne genau das Richtige tun selbst wenn dies ego-istisch und maszliglos erscheint da sie sich ja durch ihre Taten prak-tisch gegen die Gemeinschaft richten Das waumlre ein anderes ThemaSicher ist jedoch Das Uumlbertriebene Exaltierte ihres Verhaltenswaumlre im Rahmen des Aristotelischen Wertesystems tadelnswertBeide Helden verfuumlgen uumlber die Homerische Tugend und sindzwar γαθο und 0ριστοι41 aufgrund der Werte ihre r Zeit42 abersie sind nicht ς ληθ+ς γαθο also nicht γαθο im Aristo-telischen Sinne Achilleusrsquo und Aiasrsquo Handlungen beziehen sichvor allem auf ihre persoumlnliche Ehre beziehungsweise auf ihr per-soumlnliches Interesse nicht auf das Gemeinwohl Aber genau diesesdas angemessene Verhalten im Hinblick auf die Gemeinschaft unddie Teilnahme daran sind bei Aristoteles notwendige Vorausset-zungen des γαθς43

Auch die Phronesis diese zentrale dianoetische Tugend dienach Aristoteles immer jede ethische Tugend begleiten soll um wie eine Lampe den richtig gewaumlhlten Weg zu beleuchten44 ist beidiesen Helden in eklatanter Weise abwesend Und es steht auszligerZweifel γαθς zu sein ohne uumlber Phronesis zu verfuumlgen ist nachAristoteles nicht moumlglich Es gilt aber auch das Umgekehrte45 Die-se Helden sind nicht bdquounbeherrschtldquo (κρατε1ς) im AristotelischenSinne46 freilich auch nicht bdquobeherrschtldquo (γκρατε1ς) aber sie sindauch nicht bdquoschlechtldquo (φα$λοι ndash κλαστοι) Sie stehen auszligerhalbdieser ethischen Kategorien des Aristoteles und sind von daher ge-sehen ein Anachronismus

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41) Vgl z B Ilias 2768ndash770 νδρ+ν αJ μγ- 0ριστος ην ΤελαμAνιος ΑXας ^φρ- _χιλεNς μνιεν γ5ρ πολN φρτατος `εν Rπποι θ- οa φορεσκον μνοναΠηλεωνα

42) Vgl hierzu auch Broadie Rowe (wie Anm 9) 2943) Vgl 1163b6ndash8 ο9 γ5ρ τιμται μηδampν γαθ)ν τU κοινU πορζων τ)

κοιν)ν γ5ρ δδοται τU τ) κοιν)ν ε9εργετο$ντι 6 τιμ2 δamp κοινν44) Vgl 1144a6ndash9 τ) ργον ποτελε1ται κατ5 τ2ν φρνησιν κα7 τ2ν cθικ2ν

ρετν 6 μampν γ5ρ ρετ2 τ)ν σκοπ)ν ποιε1 Iρθν 6 δamp φρνησις τ5 πρ)ς το$τον45) Vgl 1144b31 f ο9χ ον τε γαθ)ν ε3ναι κυρως 0νευ φρονσεως ο9δamp

φρνιμον 0νευ τς cθικς ρετς46) sbquoUnbeherrschtlsquo bei Aristoteles ist derjenige der wohl weiszlig was richtig

ist dem es aber nicht gelingt seine πθη durch seine Vernunft zu kontrollieren be-ziehungsweise zu beherrschen Das heiszligt es besteht ein Konflikt zwischen seinenTrieben und Wuumlnschen einerseits und seiner Vernunft andererseits die am Schluszligdoch der sbquoVerliererlsquo ist Vgl 1111b13 f κα7 κρατ2ς πιθυμ+ν μampν πρττει προ-αιρομενος δ- ο9 1112a15 f 6 γ5ρ προαρεσις μετ5 λγου κα7 διανοας

Es wird nun klar warum Achilleus und Aias nicht Megalo -psychoi im streng ethischen beziehungsweise moralischen Sinnedes Aristotelischen Wertekanons sind Denn sie besitzen nicht alleanderen ethischen Tugenden Im ethischen Kontext der Aristoteli-schen Ausfuumlhrungen wuumlrden sie wenn sie vorkaumlmen als Gegen-Beispiele fungieren muumlssen d h sie haumltten eine antiparadigmati-sche Funktion Sie wuumlrden zitiert werden als solche die eben nichtwahrhaft Megalopsychoi sind

Man koumlnnte also nicht ohne Skepsis dem Achilleus und demAias diejenigen Eigenschaften zuschreiben die Aristoteles demMegalopsychos in der Nikomachischen Ethik zuschreibt47 undebensowenig umgekehrt versuchen den Megalopsychos der Niko-machischen Ethik mit diesen heroischen Figuren zu identifizieren

Schluszligbemerkung

Aristoteles orientiert sich bei seiner Behandlung der ethischenTugend der Megalopsychia in der Nikomachischen Ethik nur bis zu einem gewissen Grad an der Meinung der Vielen Er korrigiertdie oberflaumlchliche allgemein verbreitete Ansicht daszlig die Ehre dasEndziel des politischen Lebens ist aber er nimmt sie als das groumlszlig-te der aumluszligeren Guumlter an Er akzeptiert daszlig der 0ριστος sich be-rechtigterweise gemaumlszlig seiner ξα der groumlszligten Ehre fuumlr wert haumlltaber er gibt der ξα und somit auch den Begriffen der Tugend unddes γαθς beziehungsweise des 0ριστος einen neuen ethischenInhalt Megalopsychos ist und kann nur der ς ληθ+ς γαθςsein Megalopsychia ist eine zutiefst griechische Tugend und re-praumlsentativ fuumlr die gesamte antike griechische Denkweise Diechristlich gepraumlgte Mentalitaumlt kann sie nur schwer begreifen undnoch schwerer akzeptieren Anders das bei den Griechen verbrei-tete Denken Wenn man der Beste ist muszlig man sich dessen auchbewuszligt sein muszlig man es vor allem zeigen und sich entsprechendverhalten Die Megalopsychia ist insoweit auch eine Form desSelbstbewuszligtseins und der Selbsterkenntnis Daher erscheint esnatuumlrlich und gerecht das Beste und werthaltigste Gut naumlmlich dieEhre fuumlr sich in Anspruch zu nehmen wenn die Voraussetzungen

59Aspekte der Megalopsychia bei Aristoteles (EN 43)

47) So wie z B O Hellmann Aristoteles und Achilleus Der poetische Heldaus der Sicht des Philosophen in Althoff (wie Anm 1) 27ndash41 bes 35ndash38

dafuumlr die Aristoteles alle ausdruumlcklich benennt bei einem Men-schen gegeben sind Nur auf diese Weise nur wenn man Megalo -psychos ist kann man wirklich und vollkommen ε9δαμων wer-den Bescheidenheit waumlre hier also fehl am Platz und wuumlrde derPflicht die der Mensch gegenuumlber sich selbst hat widersprechenund damit auch der Selbstverwirklichung die Aristoteles sbquoEudai-monialsquo nennt48

Ioannina Mar i a L ia t s i

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48) Aristoteles formuliert mit diesem Gedanken eine Auffassung und nimmtmit diesem Punkt seiner Ethik eine Lehre vorweg die erst im Zuge der europaumlischenAufklaumlrung naumlmlich von Kant zu einer grundlegenden Bestimmung der Moral-philosophie gemacht worden ist naumlmlich daszlig der Mensch nicht nur Pflichten gegenandere sondern auch Pflichten gegen sich selbst hat und daszlig er auch in diesem Sinne das heiszligt durch Verletzung derselben schuldig werden kann gegenuumlber undan sich selbst Aristoteles hat mit seinem Begriff des Megalopsychos und der Me-galopsychia diese Unterscheidung Kants auf geniale Weise vorweggenommen VglImmanuel Kant Metaphysik der Sitten Zweiter Teil Metaphysische Anfangsgruumln-de der Tugendlehre I Ethische Elementarlehre 1 Teil Von den Pflichten gegen sichselbst 261ndash302 2 Teil Von den Tugendpflichten gegen andere 303ndash337 Hrsg vonKarl Vorlaumlnder Philosophische Bibliothek Bd 42 Hamburg 1922

cis wenig zu tun habe beziehungsweise daszlig sie bdquoperipheral toethicsldquo20 sei oder daszlig sie in Wirklichheit gar keine Tugend sei DerMegalopsychos erscheint wie ein sbquoSupermanlsquo wie eine quasi mythi-sche Gestalt wie ein Held im vollen Sinne des Wortes21 Das wurdehaumlufig moniert Gegen diesen Einwand naumlmlich daszlig der Aristoteli-sche Megalopsychos eine uumlbertriebene utopische Figur darstellt diein der Realitaumlt gar nicht existiert haben kann laumlszligt sich erwidern daszligjedes Ideal ndash und der Megalopsychos bildet ja tatsaumlchlich ein solchesIdeal ein sbquoAumluszligersteslsquo ndash unrealistische Charakteristika aufweistAuch der ε9δαμων βος ist ein Ideal wonach man strebt und stre-ben soll Das bedeutet nicht daszlig man es vollstaumlndig erreichen kannMan versucht jedoch sich ihm immer mehr anzunaumlhern was derSinn eines jeden Ideals ist dauerhaft zur Verwirklichung diesessbquoAumluszligerstenlsquo beziehungsweise dieses idealen 0κρον22 zu motivieren

Daszlig die vornehme Abstammung daszlig Reichtum oder politi-sche Macht kurzum die traditionellen archaischen Werte nichtmehr genuumlgen um die Haltung (Dξις) der Megalopsychia zu recht-fertigen sondern man nur solange man das γαθν beziehungs-weise das ethische καλν realisiert uumlber die Megalopsychia wirk-lich verfuumlgen kann wird durch die Aristotelischen Ausfuumlhrungendeutlich Es wird auch deutlich daszlig die Megalopsychia das richti-ge Verhaumlltnis des γαθς der Ehre gegenuumlber konstituiert die vonseinen Tugenden her stammt

II

Eine der beruumlhmtesten und am meisten miszliginterpretiertenTextpassagen im Buch 43 der Nikomachischen Ethik ist die Stellewo die Megalopsychia als eine Art bdquoSchmuck der Tugendenldquo be-stimmt wird da sie sie bdquogroumlszligerldquo macht und ohne sie nicht zustan-de kommt (1124a1ndash3 οικε μampν οJν 6 μεγαλοψυχα οον κσμος τις

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20) Pakaluk (wie Anm 9) 24321) Vgl W K C Guthrie A History of Greek Philosophy vol 6 Aristotle ndash

an Encounter Oxford 1981 369 der ihn als bdquothe perfect gentlemanldquo bezeichnet22) Der Megalopsychos ist 0κρος hinsichtlich seiner Groumlszlige (1123b13 f) be-

ziehungsweise seines Wertes der bei Aristoteles wie wir sahen anhand der Tugendbemessen wird Er hat also den houmlchsten Wert und verdient beziehungsweise ver-langt fuumlr sich das Entsprechende Auch die Eudaimonia wird als τ) κρτατον τ+νπρακτ+ν γαθ+ν charakterisiert (1095a16 f) also als das houmlchste Gut wonach manstreben kann

ε3ναι τ+ν ρετ+ν μεζους γ5ρ α9τ5ς ποιε1 κα7 ο9 γνεται 0νευκενων)

Soviel hat sich bereits ergeben Die wahrhafte Megalopsychiasetzt die anderen ethischen Tugenden voraus und enthaumllt sie in ei-nem bestimmten Sinne Andernfalls handelt es sich dabei gar nichtum eine echte Tugend sondern um eine Dξις die man zwar sbquoMega-lopsychialsquo nennen mag was aber unzutreffend ist (vgl 1124a27 f)Wenn daher Leute die Haltung des Megalopsychos nachahmenohne γαθο zu sein erscheinen sie laumlcherlich (1123b33 f) oderhochmuumltig und arrogant (1124a29 ff) Das sind die Vielen (1124b6ο8 πολλο) die ohnehin nicht wahrhafte γαθο beziehungsweisenicht wahrhafte Megalopsychoi sein koumlnnen Denn das ist zugege-benermaszligen schwierig (χαλεπν 1124a3)

Aber in welchem Sinn ist die Megalopsychia wie ein Schmuckfuumlr die Tugenden Warum wird von Aristoteles diese Metapher gebraucht Die Antwort kommt gleich danach im Text weil dieMegalopsychia sie groumlszliger macht Wenn man die Stelle woumlrtlichuumlbersetzt versteht man sie kaum Wieso bdquoverleiht (die Megalopsy-chia) einer jeden (Tugend) die groumlszligere Formldquo23 Wieso bdquomacht essie groumlszligerldquo24 oder bdquoerweitert sieldquo25 Sie wuumlrde deswegen nicht wieein κσμος fuumlr die Tugenden funktionieren Eine Halskette die einSchmuck fuumlr den Hals ist macht ihn nicht groumlszliger aber sie laumlszligt ihn besser zum Vorschein kommen Durch sie zeichnet sich derHals besser aus Auch eine Krone laumlszligt einen Koumlnig nicht groumlszliger erscheinen aber sie unterstreicht sein Koumlnigsein sie druumlckt seineEigenschaft besser aus Die Krone macht den echten Koumlnig nichtaus denn er muszlig uumlber die entsprechenden Qualitaumlten und Faumlhig-keiten bereits verfuumlgen Er muszlig aber auch wie ein Koumlnig erschei-nen Jemand der kein wirklicher Koumlnig ist und trotzdem auf einerKrone besteht kann leicht laumlcherlich wirken Aumlhnliches gilt fuumlr dieMegalopsychia Sie bringt die Tugenden besser zur Geltung machtsie besser sichtbar Denn wenn man sie hat muszlig man sie auch zei-gen sie hervorheben insofern sie groumlszliger machen den anderen dieGroumlszlige offenbaren und man wird dafuumlr mit dem wichtigsten aumluszlige-ren Gut der Ehre gepriesen werden Die Megalopsychia kroumlnt die

51Aspekte der Megalopsychia bei Aristoteles (EN 43)

23) Dirlmeier (wie Anm 2) 8124) W D Ross Nicomachean Ethics revised by J O Urmson in J Barnes

(Hrsg) The Complete Works of Aristotle Princeton 1984 ad loc25) Broadie Rowe (wie Anm 9) 148

τελεα ρετ die eigentlich ohne die Megalopsychia gar nicht τε-λεα im strengen Sinne des Wortes sein kann Das bedeutet Ohnedie Tugend der Megalopsychia kann man die Eudaimonia nichtwirklich erreichen Wenn man diese Relation verstanden hat wirdman auch leichter einsehen daszlig diese von manchen Interpretenfalsch eingeschaumltzte Tugend sogar von zentraler Bedeutung fuumlr dasethische System des Aristoteles ist Kein Wunder daszlig Aristotelessie so ausfuumlhrlich behandelt

III

Die wahrhaftige Megalopsychia verlangt und verdient wie wirbereits ausgefuumlhrt haben die groumlszligte Ehre da sie eben dem wahr-haften γαθς zukommt Der wichtigste groumlszligte Wert also fuumlr Ari-stoteles die Tugend und zwar die vollkommene Tugend wird mitdem wichtigsten groumlszligten aumluszligeren Gut der Ehre belohnt Es ist zubeachten Die inneren Werte suchen ihr Aumlquivalent (wenigstensannaumlhernd) in den aumluszligeren Werten Mit anderen Worten Die seeli-schen inneren Guumlter (ψυχικ5 γαθ) werden an den aumluszligeren Guuml-tern bemessen und vor allem eben an der Ehre Warum suchen nunalle Menschen danach Wenn man genauer die Bedeutung diesesStrebens nach Ehre analysiert zu welchem ja der Megalopsychoseine ganz spezifische Beziehung hat wird man erneut feststellenkoumlnnen wie nah das Eudaimonia-Konzept dem Megalopsychia-Konzept steht beziehungsweise wie fest und substantiell integriertdiese Tugend im ethischen System des Aristoteles ist

Unter Ehre ist im wesentlichen das Ansehen der Ruhm dieAnerkennung zu verstehen Die Ehre ist ein unentbehrlicher Be-standteil der Eudaimonia Sie darf zwar nicht mit der Eudaimoniaidentifiziert werden wie viele Menschen das tun wenn sie sich fuumlrden βος πολιτικς entscheiden und faumllschlicherweise glauben dieτιμ sei das Ziel dieser Lebensform (vgl 1095b22 f) Die Ehre istein bedeutendes Mittel zu dem Endzweck der Eudaimonia dasauch fuumlr sich wuumlnschenswert und erstrebenswert ist26 obwohl sie

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26) Siehe 1097b2ndash5 τιμ2 δamp κα7 6δον2ν κα7 νο$ν κα7 πσαν ρετ2ν α8ρομε-θα μampν δι- α9τ [ ] α8ρομεθα δamp κα7 τς ε9δαιμονας χριν δι5 τοτων πο-λαμβνοντες ε9δαιμονσειν Vgl 1096a7ndash9 δι) μλλον τ5 πρτερον λεχθντατλη [scil 6δον τιμ] τις Kν πολβοι δι- ατ5 γ5ρ γαπται

nach Aristoteles kein vollstaumlndiges Gut (τλειον γαθν) ist (vgl1097a33 f) Sie gilt als das groumlszligte Gut weil sie das ist was man denGoumlttern zuteilt (vgl 1123b18 μγιστον δamp [scil γαθν] το$τ- Kνθεημεν L το1ς θεο1ς πονμομεν) Denn die Goumltter sind uns imHinblick auf alle Guumlter uumlberlegen (1158b36 πλε1στον γ5ρ οMτοι[scil ο8 θεο] πσι το1ς γαθο1ς περχουσιν) und wie die allge-meine Meinung lautet bdquoaus den Menschen werden Goumltter27 infol-ge des houmlchsten Grades der Tugendldquo (1145a23 f καθπερ φασνξ νθρAπων γνονται θεο7 δι- ρετς περβολν) Die Ansichtdaszlig die Goumltter mehr Tugend und mehr Ehre als die Menschen haben war in der Zeit des Aristoteles keineswegs unbekannt son-dern sie entsprach einem traditionellen Gemeingut28 Menschenund Goumltter wurden analog behandelt Sie verfuumlgten beide uumlber die-selben Eigenschaften und Merkmale Die Unterschiede zwischenihnen waren nur graduelle und nicht kategoriale Unterschiede29

Das Leben der Goumltter war also eine ins Ideale uumlbersetzte Vor-stellung vom Leben der Menschen Insofern verwundert es nichtwenn Aristoteles bei seinen Ausfuumlhrungen uumlber die EudaimoniaVergleiche zwischen Mensch und Gott beziehungsweise zwischender menschlichen und der goumlttlichen Eudaimonia zieht die natuumlr-lich groumlszliger als die menschliche ist30 aber nicht eine voumlllig andere31

Das bedeutet daszlig der Mensch wenn er nach Eudaimonia strebt inWirklichkeit danach strebt ein Leben zu fuumlhren das bis zu einemgewissen Grad dem goumlttlichen Leben das ein voumlllig seliges Lebenist nahe kommt32 Das goumlttliche Leben vertritt das Ganze das Absolute eben das Ideale (vgl 1178b8 f τοNς θεοNς μλισταε9δαμονας) Fuumlr den Menschen liegt das beste Leben darin daszlig er

53Aspekte der Megalopsychia bei Aristoteles (EN 43)

27) Die Rede ist hier von der Heroisierung hoch verdienter Menschen die zuden Halbgoumlttern gezaumlhlt wurden wie z B Herakles

28) Vgl z B Homer Ilias 1497 f στρεπτο7 δ τε κα7 θεο7 α9το τ+ν περκα7 μεζων ρετ2 τιμ τε βη τε

29) Zu dieser Thematik vgl J M Redfield Nature and Culture in The IliadThe Tragedy of Hector Chicago 1975 A W H Adkins Homeric Gods and the Values of Homeric Society JHS 92 1972 1 Vgl auch H Lloyd-Jones The Justiceof Zeus California 1971 175

30) Vgl z B 1178b8 f τοNς θεοNς γ5ρ μλιστα πειλφαμεν μακαρους κα7ε9δαμονας ε3ναι

31) Vgl hierzu auch R Kraut Aristotle on the Human Good Princeton1991 273

32) Vgl 1178b25ndash27 το1ς μampν γ5ρ θεο1ς Pπας βος μακριος το1ς δ-νθρAποις φ- Qσον μοωμ τι τς τοιατης νεργεας πρχει

einen Anteil ndash nach Moumlglichkeit einen groszligen ndash an dem goumlttlichenLebensmodus hat33 Da die Menschen die groumlszligten Ehrungen denGoumlttern darbieten ruumlckt ein Mensch in die Naumlhe der Goumltter undlebt sozusagen ein goumltteraumlhnliches Leben wenn er sehr groszlige Ehreempfaumlngt34 Die Voraussetzung dafuumlr ist daszlig man wirklich γαθςist denn κατ- λθειαν δ- γαθ)ς μνος τιμητς (1124a25) Da-her muszlig ein Mensch Megalopsychos sein wenn er den Wunschhat den Goumlttern irgendwie aumlhnlich zu sein

Nach Aristoteles sollte der Mensch sich nicht nur mit denmenschlichen beziehungsweise sterblichen Angelegenheiten befas-sen sondern soweit es ihm moumlglich ist sich unsterblich machen(φ- Qσον νδχεται θανατζειν) und alles tun um ein solches Leben zu haben das gemaumlszlig dem in sich Houmlchsten beziehungs weiseBesten gefuumlhrt wird (vgl 1177b31ndash34) Das Verlangen nach ver-dienter groszliger Ehre d h die Megalopsychia ist also gemaumlszlig denobigen Ausfuumlhrungen eine Form des Strebens nach Unsterblich-keit

IV

Die Megalopsychia erscheint auf den ersten Blick als einehoch individuelle Tugend da sie eben eine Selbst-Einschaumltzungeine Selbst-Erkenntnis eine Selbst-Bewertung ein Selbst-Bewuszligt-sein kurzum eine bestimmte Art der Selbst-Beziehung konsti -tuiert Gleichzeitig ist sie wie wir zeigen wollen eine bestimmteForm von Gerechtigkeit eine Gerechtigkeit gegenuumlber sich selbst

Die Gerechtigkeit ist die Tugend der angemessenen Vertei-lung im weitesten Sinne mithin eine soziale Tugend Sie bildet deswegen ein sogenanntes bdquofremdes Gutldquo (1130a3 f λλτριονγαθ)ν δοκε1 ε3ναι 6 δικαιοσνη vgl 1134b5 f) ein Gut das sichvor allem auf andere bezieht und als Maszligstab fuumlr ein geregeltes Zusammenleben dient

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33) Da der Gott also nach Aristoteles durch seine θεωρητικ2 νργεια gekennzeichnet wird (1178b21 f) muszlig die vorzuumlglichste Lebensform beziehungs-weise die vollkommene Eudaimonia (6 τελεα ε9δαιμονα) eine Art θεωρητικ2νργεια sein (1178b7 f) Daher hierarchisiert er den βος θεωρητικς als die houmlchst-moumlgliche Lebensform

34) Zu dieser Einstellung vgl bereits Homer Ilias 9155 οR κ ( δωτνSσιθε)ν Tς τιμσουσι Auch Odyssee 11484 τομεν 3σα θεο1σιν

Gerechtigkeit kann nach Aristoteles verschiedene Bedeutun-gen haben35 und entsprechend wird sie in zwei groszlige Kategorieneingeteilt in die bdquoallgemeineldquo (καθ- Qλον) und in die bdquopartikulareldquo(κατ5 μρος) Gerechtigkeit (vgl 1130b6ndash29) Die zweite wird wiederum in zwei Subkategorien unterteilt in das διανεμητικ)νδκαιον (bdquoausteilendeldquo oder bdquodistributive Gerechtigkeitldquo) und indas διορθωτικ)ν δκαιον (bdquokorrektive Gerechtigkeitldquo) (1130b31ndash1131a1 τ) ν τα1ς διανομα1ς τιμς χρημτων τ+ν 0λλων Qσαμεριστ5 το1ς κοινωνο$σι τς πολιτεας und τ) ν το1ς συναλ-λγμασι διορθωτικν) Es gibt nach Aristoteles auch eine dritteArt von Gerechtigkeit τ) ν τα1ς κοινωναις τα1ς λλακτικα1ς[scil δκαιον] (1132b31 f) die den Tausch von Waren betrifft dieman bdquoausgleichende Gerechtigkeitldquo nennen kann

Hier wollen wir uns auf die bdquoausteilende Gerechtigkeitldquo be-schraumlnken Maszligstab und normatives Leitprinzip fuumlr diese also fuumlrdas διανεμητικ)ν δκαιον ist jedem κατ- ξαν also jedem nachseinem Wert und nicht jedem das Gleiche (1131a25ndash27 τ) γ5ρδκαιον ν τα1ς νομα1ς μολογο$σι πντες κατ- ξαν τιν5 δε1νε3ναι τ2ν μντοι ξαν ο9 τ2ν α9τ2ν λγουσι πντες) Das Verhaumllt-nis von Guumltern und Wert bei der Person A muszlig dem Verhaumlltnis vonGuumltern und Wert bei der Person B entsprechen und zwar in Ab-haumlngigkeit des jeweiligen Wertes (ξα) von A und B Das διανε-μητικ)ν δκαιον wird richtig angewendet wenn bei der Verteilungder Guumlter eine solche Analogie d h Proportionalitaumlt (die soge-nannte γεωμετρικ2 ναλογα 1131b12 f) besteht die keinem mehroder weniger gibt als er tatsaumlchlich verdient Denn das Gerechte istetwas Analoges also Proportionales (1131a29 στιν 0ρα τ) δκαι-ον νλογν τι)36 und liegt in der Mitte zwischen dem δικε1ν (Unrecht tun) und dem δικε1σθαι (Unrecht leiden) Beide diese

55Aspekte der Megalopsychia bei Aristoteles (EN 43)

35) Zu dem Gerechtigkeitsbegriff bei Aristoteles vgl z B W F R HardieAristotlersquos Ethical Theory Oxford 1968 21980 189ndash198 T H Irwin AristotlersquosFirst Principles Oxford 1988 427ndash429 G Bien Gerechtigkeit bei Aristoteles inO Houmlffe (Hrsg) Aristoteles Die Nikomachische Ethik Berlin 1995 135ndash164M Pakaluk Aristotlersquos Nicomachean Ethics Cambridge 2005 181ndash205

36) Zu einer impliziten Anwendung des διανεμητικ)ν δκαιον bei der Ari-stotelischen Behandlung der Philia siehe 1165a14ndash18 Qτι μampν οJν ο9 τα9τ5 πσινποδοτον ο9δamp τU πατρ7 πντα καθπερ ο9δamp τU Δι7 θεται ο9κ 0δηλον πε7 δ-Dτερα γονε$σι κα7 δελφο1ς κα7 (ταροις κα7 ε9εργταις (κστοις τ5 οEκε1α κα7 τ5Wρμττοντα πονεμητον Vgl auch 1165a30ndash32 κα7 συγγενσι δamp κα7 φυλταις κα7πολταις κα7 το1ς λοιπο1ς Pπασιν ε7 πειρατον τ) οEκε1ον πονμειν

Extreme sind Formen der Ungerechtigkeit (δικα)37 Wer sich zuviel vom Guten aneignet ohne es wirklich zu verdienen der tut Un-recht waumlhrend derjenige der zu wenig davon bekommt obwohl eres verdienen wuumlrde Unrecht leidet Der Gerechte (δκαιος) verteiltob er selber involviert ist oder nicht das proportional Gleiche (δια-νεμητικ)ς το$ Xσου το$ κατ- ναλογαν vgl 1134a3ndash6)38

Es wird deutlich auch wenn Aristoteles keine Ausfuumlhrungendaruumlber macht daszlig die Megalopsychia eine spezifische Art desδιανεμητικ)ν δκαιον konstituiert Sie liegt wie bereits ausgefuumlhrtin der richtigen Mitte zwischen der χαυντης (einen zu hohen Anspruch haben der dem objektiven Wert der Person nicht ent-spricht) und der Mikropsychia (zu niedrige Anspruumlche trotz hohen Wertes haben) Die χαυντης bildet also eine Form desδικε1ν und die Mikropsychia eine Form des δικε1σθαι Die da-zwischen liegende δικαιοπραγα ist die Tugend der MegalopsychiaDaher sollte es nicht verwundern und nicht als arrogant erschei-nen daszlig der Megalopsychos sich nicht allzu sehr uumlber die Ehrun-gen die ihm erwiesen werden freut Denn er denkt ja daszlig er sieverdient beziehungsweise daszlig es gerecht ist daszlig er sie empfaumlngtUnd so wie die Gerechtigkeit gemaumlszlig Aristoteles eine τελεα ρετist (1129b25 f) so muszlig man auch die vollkommene Tugend besit-zen wie verlangt um Megalopsychos sein zu koumlnnen (1124a28 f)Nur mit dem Unterschied daszlig die Megalopsychia unmittelbar we-der die Beziehung der Buumlrger untereinander also das Verhaumlltniszwischen verschiedenen Individuen regelt noch die Haltung derGesellschaft als Institution ihren Mitgliedern gegenuumlber betrifftsondern urspruumlnglich das Verhaumlltnis d h die Lebenshaltung desIndividuums zu sich selbst bestimmt Wenn jedoch eine so ver-standene urspruumlnglich personale Gerechtigkeit in der Form dersbquoegoistischenlsquo Megalopsychia spaumlter auch bei mehreren Individuen

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37) Vgl 1133b30ndash34 6 δικαιοπραγα μσον στ7 το$ δικε1ν κα7 δι-κε1σθαι τ) μampν γ5ρ πλον χειν τ) δ- λαττν στιν 6 δamp δικαιοσνη μεστης τςστιν ο9 τ)ν α9τ)ν δamp τρπον τα1ς 0λλαις ρετα1ς λλ- Qτι μσου στν 6 δ- δικατ+ν 0κρων

38) Das Prinzip der bdquoausteilenden Gerechtigkeitldquo existiert im wesentlichenlaumlngst wenn auch nicht als Terminus technicus und wird zur Anwendung gebrachtin der griechischen Gesellschaft so z B bereits in der Ilias bei dem δκη-BegriffVgl dazu E A Havelock The Greek Concept of Justice from its Shadow in Homerto its Substance in Plato Harvard 1978 Vgl auch Platon Politeia 1 332c1ndash2 Σι-μωνδης [ ] διενοε1το μampν γρ ς φανεται Qτι το$τ- εXη δκαιον τ) προσκον(κστ[ ποδιδναι

beziehungsweise Buumlrgern erfolgen wuumlrde dann wuumlrde man ja auchvon einem perfekt gerechten sittlich idealen Staat sprechen koumln-nen Es wird deutlich daszlig die viel miszligachtete beziehungsweise ver-achtete Megalopsychia in Wirklichkeit eng verbunden ist mit derhochgepriesenen Kardinaltugend der Gerechtigkeit

V

In Anal Post 213 97b15 ff fuumlhrt Aristoteles bei seinem Ver-such die Definition des Begriffes der Megalopsychia zu formulie-ren unter anderem zwei Beispiele aus der Homerischen Welt an denAchilleus und den Aias Denn beide haben nach Aristoteles etwasgemeinsam Sie ertragen es nicht daszlig ihre Ehre beleidigt und be-schaumldigt wird (97b19 τ) μ2 νχεσθαι βριζμενοι) Es ist natuumlr-lich kein Zufall daszlig Aristoteles diese wohlbekannten Helden alscharakteristische Paradigmen fuumlr die Megalopsychia verwendetWenn es um Ehre geht geschweige denn wenn es um verletzte Ehregeht dann sind Achilleus und Aias in der griechischen TraditionBeispiele par excellence Der eine droht voller Wut das gesamtegriechische Heer in die Vernichtung zu fuumlhren weil Agamemnondurch das Wegnehmen der Briseis seine Ehre herabgesetzt be-ziehungsweise seinen Status nicht angemessen anerkannt hat Derandere entscheidet und versucht die Atriden Agamemnon undMenelaos zu toumlten weil sie ihm die Waffen des Achilleus nicht ge-geben d h ebenfalls seine Ehre verletzt und seinen hohen Wertnicht entsprechend respektiert haben Als er sein Ziel verfehlt toumlteter sich selbst Warum tauchen sie nicht in den ethischen Schriften desAristoteles im Kontext der Megalopsychia-Besprechung auf

Achilleus und Aias sind charakterisiert durch eine bdquoradikaleIndividualitaumltldquo39 und durch ein extremes Verhalten ein Uumlbertrei-ben Es mag sein daszlig diese Helden durch ein monomanischesmaszligloses Verhalten ihre heroische Identitaumlt bewahren beziehungs-weise dem ethischen Kodex und Wertesystem ihrer Zeit entspre-chen Sonst erschiene ihr Leben wohl nicht mehr sbquogutlsquo und nichtmehr lebenswert40 Sonst wuumlrden sie sich selbst verlieren sich

57Aspekte der Megalopsychia bei Aristoteles (EN 43)

39) H Weinstock Sophokles Wuppertal 31948 6040) Vgl z B Sophokles Aias 479ndash480 λλ- καλ+ς ζν καλ+ς τε-

θνηκναι τ)ν ε9γεν χρ

selbst und ihr Wertebewuszligtsein aufgeben Es mag auch sein daszligsie in ihrem Sinne genau das Richtige tun selbst wenn dies ego-istisch und maszliglos erscheint da sie sich ja durch ihre Taten prak-tisch gegen die Gemeinschaft richten Das waumlre ein anderes ThemaSicher ist jedoch Das Uumlbertriebene Exaltierte ihres Verhaltenswaumlre im Rahmen des Aristotelischen Wertesystems tadelnswertBeide Helden verfuumlgen uumlber die Homerische Tugend und sindzwar γαθο und 0ριστοι41 aufgrund der Werte ihre r Zeit42 abersie sind nicht ς ληθ+ς γαθο also nicht γαθο im Aristo-telischen Sinne Achilleusrsquo und Aiasrsquo Handlungen beziehen sichvor allem auf ihre persoumlnliche Ehre beziehungsweise auf ihr per-soumlnliches Interesse nicht auf das Gemeinwohl Aber genau diesesdas angemessene Verhalten im Hinblick auf die Gemeinschaft unddie Teilnahme daran sind bei Aristoteles notwendige Vorausset-zungen des γαθς43

Auch die Phronesis diese zentrale dianoetische Tugend dienach Aristoteles immer jede ethische Tugend begleiten soll um wie eine Lampe den richtig gewaumlhlten Weg zu beleuchten44 ist beidiesen Helden in eklatanter Weise abwesend Und es steht auszligerZweifel γαθς zu sein ohne uumlber Phronesis zu verfuumlgen ist nachAristoteles nicht moumlglich Es gilt aber auch das Umgekehrte45 Die-se Helden sind nicht bdquounbeherrschtldquo (κρατε1ς) im AristotelischenSinne46 freilich auch nicht bdquobeherrschtldquo (γκρατε1ς) aber sie sindauch nicht bdquoschlechtldquo (φα$λοι ndash κλαστοι) Sie stehen auszligerhalbdieser ethischen Kategorien des Aristoteles und sind von daher ge-sehen ein Anachronismus

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41) Vgl z B Ilias 2768ndash770 νδρ+ν αJ μγ- 0ριστος ην ΤελαμAνιος ΑXας ^φρ- _χιλεNς μνιεν γ5ρ πολN φρτατος `εν Rπποι θ- οa φορεσκον μνοναΠηλεωνα

42) Vgl hierzu auch Broadie Rowe (wie Anm 9) 2943) Vgl 1163b6ndash8 ο9 γ5ρ τιμται μηδampν γαθ)ν τU κοινU πορζων τ)

κοιν)ν γ5ρ δδοται τU τ) κοιν)ν ε9εργετο$ντι 6 τιμ2 δamp κοινν44) Vgl 1144a6ndash9 τ) ργον ποτελε1ται κατ5 τ2ν φρνησιν κα7 τ2ν cθικ2ν

ρετν 6 μampν γ5ρ ρετ2 τ)ν σκοπ)ν ποιε1 Iρθν 6 δamp φρνησις τ5 πρ)ς το$τον45) Vgl 1144b31 f ο9χ ον τε γαθ)ν ε3ναι κυρως 0νευ φρονσεως ο9δamp

φρνιμον 0νευ τς cθικς ρετς46) sbquoUnbeherrschtlsquo bei Aristoteles ist derjenige der wohl weiszlig was richtig

ist dem es aber nicht gelingt seine πθη durch seine Vernunft zu kontrollieren be-ziehungsweise zu beherrschen Das heiszligt es besteht ein Konflikt zwischen seinenTrieben und Wuumlnschen einerseits und seiner Vernunft andererseits die am Schluszligdoch der sbquoVerliererlsquo ist Vgl 1111b13 f κα7 κρατ2ς πιθυμ+ν μampν πρττει προ-αιρομενος δ- ο9 1112a15 f 6 γ5ρ προαρεσις μετ5 λγου κα7 διανοας

Es wird nun klar warum Achilleus und Aias nicht Megalo -psychoi im streng ethischen beziehungsweise moralischen Sinnedes Aristotelischen Wertekanons sind Denn sie besitzen nicht alleanderen ethischen Tugenden Im ethischen Kontext der Aristoteli-schen Ausfuumlhrungen wuumlrden sie wenn sie vorkaumlmen als Gegen-Beispiele fungieren muumlssen d h sie haumltten eine antiparadigmati-sche Funktion Sie wuumlrden zitiert werden als solche die eben nichtwahrhaft Megalopsychoi sind

Man koumlnnte also nicht ohne Skepsis dem Achilleus und demAias diejenigen Eigenschaften zuschreiben die Aristoteles demMegalopsychos in der Nikomachischen Ethik zuschreibt47 undebensowenig umgekehrt versuchen den Megalopsychos der Niko-machischen Ethik mit diesen heroischen Figuren zu identifizieren

Schluszligbemerkung

Aristoteles orientiert sich bei seiner Behandlung der ethischenTugend der Megalopsychia in der Nikomachischen Ethik nur bis zu einem gewissen Grad an der Meinung der Vielen Er korrigiertdie oberflaumlchliche allgemein verbreitete Ansicht daszlig die Ehre dasEndziel des politischen Lebens ist aber er nimmt sie als das groumlszlig-te der aumluszligeren Guumlter an Er akzeptiert daszlig der 0ριστος sich be-rechtigterweise gemaumlszlig seiner ξα der groumlszligten Ehre fuumlr wert haumlltaber er gibt der ξα und somit auch den Begriffen der Tugend unddes γαθς beziehungsweise des 0ριστος einen neuen ethischenInhalt Megalopsychos ist und kann nur der ς ληθ+ς γαθςsein Megalopsychia ist eine zutiefst griechische Tugend und re-praumlsentativ fuumlr die gesamte antike griechische Denkweise Diechristlich gepraumlgte Mentalitaumlt kann sie nur schwer begreifen undnoch schwerer akzeptieren Anders das bei den Griechen verbrei-tete Denken Wenn man der Beste ist muszlig man sich dessen auchbewuszligt sein muszlig man es vor allem zeigen und sich entsprechendverhalten Die Megalopsychia ist insoweit auch eine Form desSelbstbewuszligtseins und der Selbsterkenntnis Daher erscheint esnatuumlrlich und gerecht das Beste und werthaltigste Gut naumlmlich dieEhre fuumlr sich in Anspruch zu nehmen wenn die Voraussetzungen

59Aspekte der Megalopsychia bei Aristoteles (EN 43)

47) So wie z B O Hellmann Aristoteles und Achilleus Der poetische Heldaus der Sicht des Philosophen in Althoff (wie Anm 1) 27ndash41 bes 35ndash38

dafuumlr die Aristoteles alle ausdruumlcklich benennt bei einem Men-schen gegeben sind Nur auf diese Weise nur wenn man Megalo -psychos ist kann man wirklich und vollkommen ε9δαμων wer-den Bescheidenheit waumlre hier also fehl am Platz und wuumlrde derPflicht die der Mensch gegenuumlber sich selbst hat widersprechenund damit auch der Selbstverwirklichung die Aristoteles sbquoEudai-monialsquo nennt48

Ioannina Mar i a L ia t s i

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48) Aristoteles formuliert mit diesem Gedanken eine Auffassung und nimmtmit diesem Punkt seiner Ethik eine Lehre vorweg die erst im Zuge der europaumlischenAufklaumlrung naumlmlich von Kant zu einer grundlegenden Bestimmung der Moral-philosophie gemacht worden ist naumlmlich daszlig der Mensch nicht nur Pflichten gegenandere sondern auch Pflichten gegen sich selbst hat und daszlig er auch in diesem Sinne das heiszligt durch Verletzung derselben schuldig werden kann gegenuumlber undan sich selbst Aristoteles hat mit seinem Begriff des Megalopsychos und der Me-galopsychia diese Unterscheidung Kants auf geniale Weise vorweggenommen VglImmanuel Kant Metaphysik der Sitten Zweiter Teil Metaphysische Anfangsgruumln-de der Tugendlehre I Ethische Elementarlehre 1 Teil Von den Pflichten gegen sichselbst 261ndash302 2 Teil Von den Tugendpflichten gegen andere 303ndash337 Hrsg vonKarl Vorlaumlnder Philosophische Bibliothek Bd 42 Hamburg 1922

ε3ναι τ+ν ρετ+ν μεζους γ5ρ α9τ5ς ποιε1 κα7 ο9 γνεται 0νευκενων)

Soviel hat sich bereits ergeben Die wahrhafte Megalopsychiasetzt die anderen ethischen Tugenden voraus und enthaumllt sie in ei-nem bestimmten Sinne Andernfalls handelt es sich dabei gar nichtum eine echte Tugend sondern um eine Dξις die man zwar sbquoMega-lopsychialsquo nennen mag was aber unzutreffend ist (vgl 1124a27 f)Wenn daher Leute die Haltung des Megalopsychos nachahmenohne γαθο zu sein erscheinen sie laumlcherlich (1123b33 f) oderhochmuumltig und arrogant (1124a29 ff) Das sind die Vielen (1124b6ο8 πολλο) die ohnehin nicht wahrhafte γαθο beziehungsweisenicht wahrhafte Megalopsychoi sein koumlnnen Denn das ist zugege-benermaszligen schwierig (χαλεπν 1124a3)

Aber in welchem Sinn ist die Megalopsychia wie ein Schmuckfuumlr die Tugenden Warum wird von Aristoteles diese Metapher gebraucht Die Antwort kommt gleich danach im Text weil dieMegalopsychia sie groumlszliger macht Wenn man die Stelle woumlrtlichuumlbersetzt versteht man sie kaum Wieso bdquoverleiht (die Megalopsy-chia) einer jeden (Tugend) die groumlszligere Formldquo23 Wieso bdquomacht essie groumlszligerldquo24 oder bdquoerweitert sieldquo25 Sie wuumlrde deswegen nicht wieein κσμος fuumlr die Tugenden funktionieren Eine Halskette die einSchmuck fuumlr den Hals ist macht ihn nicht groumlszliger aber sie laumlszligt ihn besser zum Vorschein kommen Durch sie zeichnet sich derHals besser aus Auch eine Krone laumlszligt einen Koumlnig nicht groumlszliger erscheinen aber sie unterstreicht sein Koumlnigsein sie druumlckt seineEigenschaft besser aus Die Krone macht den echten Koumlnig nichtaus denn er muszlig uumlber die entsprechenden Qualitaumlten und Faumlhig-keiten bereits verfuumlgen Er muszlig aber auch wie ein Koumlnig erschei-nen Jemand der kein wirklicher Koumlnig ist und trotzdem auf einerKrone besteht kann leicht laumlcherlich wirken Aumlhnliches gilt fuumlr dieMegalopsychia Sie bringt die Tugenden besser zur Geltung machtsie besser sichtbar Denn wenn man sie hat muszlig man sie auch zei-gen sie hervorheben insofern sie groumlszliger machen den anderen dieGroumlszlige offenbaren und man wird dafuumlr mit dem wichtigsten aumluszlige-ren Gut der Ehre gepriesen werden Die Megalopsychia kroumlnt die

51Aspekte der Megalopsychia bei Aristoteles (EN 43)

23) Dirlmeier (wie Anm 2) 8124) W D Ross Nicomachean Ethics revised by J O Urmson in J Barnes

(Hrsg) The Complete Works of Aristotle Princeton 1984 ad loc25) Broadie Rowe (wie Anm 9) 148

τελεα ρετ die eigentlich ohne die Megalopsychia gar nicht τε-λεα im strengen Sinne des Wortes sein kann Das bedeutet Ohnedie Tugend der Megalopsychia kann man die Eudaimonia nichtwirklich erreichen Wenn man diese Relation verstanden hat wirdman auch leichter einsehen daszlig diese von manchen Interpretenfalsch eingeschaumltzte Tugend sogar von zentraler Bedeutung fuumlr dasethische System des Aristoteles ist Kein Wunder daszlig Aristotelessie so ausfuumlhrlich behandelt

III

Die wahrhaftige Megalopsychia verlangt und verdient wie wirbereits ausgefuumlhrt haben die groumlszligte Ehre da sie eben dem wahr-haften γαθς zukommt Der wichtigste groumlszligte Wert also fuumlr Ari-stoteles die Tugend und zwar die vollkommene Tugend wird mitdem wichtigsten groumlszligten aumluszligeren Gut der Ehre belohnt Es ist zubeachten Die inneren Werte suchen ihr Aumlquivalent (wenigstensannaumlhernd) in den aumluszligeren Werten Mit anderen Worten Die seeli-schen inneren Guumlter (ψυχικ5 γαθ) werden an den aumluszligeren Guuml-tern bemessen und vor allem eben an der Ehre Warum suchen nunalle Menschen danach Wenn man genauer die Bedeutung diesesStrebens nach Ehre analysiert zu welchem ja der Megalopsychoseine ganz spezifische Beziehung hat wird man erneut feststellenkoumlnnen wie nah das Eudaimonia-Konzept dem Megalopsychia-Konzept steht beziehungsweise wie fest und substantiell integriertdiese Tugend im ethischen System des Aristoteles ist

Unter Ehre ist im wesentlichen das Ansehen der Ruhm dieAnerkennung zu verstehen Die Ehre ist ein unentbehrlicher Be-standteil der Eudaimonia Sie darf zwar nicht mit der Eudaimoniaidentifiziert werden wie viele Menschen das tun wenn sie sich fuumlrden βος πολιτικς entscheiden und faumllschlicherweise glauben dieτιμ sei das Ziel dieser Lebensform (vgl 1095b22 f) Die Ehre istein bedeutendes Mittel zu dem Endzweck der Eudaimonia dasauch fuumlr sich wuumlnschenswert und erstrebenswert ist26 obwohl sie

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26) Siehe 1097b2ndash5 τιμ2 δamp κα7 6δον2ν κα7 νο$ν κα7 πσαν ρετ2ν α8ρομε-θα μampν δι- α9τ [ ] α8ρομεθα δamp κα7 τς ε9δαιμονας χριν δι5 τοτων πο-λαμβνοντες ε9δαιμονσειν Vgl 1096a7ndash9 δι) μλλον τ5 πρτερον λεχθντατλη [scil 6δον τιμ] τις Kν πολβοι δι- ατ5 γ5ρ γαπται

nach Aristoteles kein vollstaumlndiges Gut (τλειον γαθν) ist (vgl1097a33 f) Sie gilt als das groumlszligte Gut weil sie das ist was man denGoumlttern zuteilt (vgl 1123b18 μγιστον δamp [scil γαθν] το$τ- Kνθεημεν L το1ς θεο1ς πονμομεν) Denn die Goumltter sind uns imHinblick auf alle Guumlter uumlberlegen (1158b36 πλε1στον γ5ρ οMτοι[scil ο8 θεο] πσι το1ς γαθο1ς περχουσιν) und wie die allge-meine Meinung lautet bdquoaus den Menschen werden Goumltter27 infol-ge des houmlchsten Grades der Tugendldquo (1145a23 f καθπερ φασνξ νθρAπων γνονται θεο7 δι- ρετς περβολν) Die Ansichtdaszlig die Goumltter mehr Tugend und mehr Ehre als die Menschen haben war in der Zeit des Aristoteles keineswegs unbekannt son-dern sie entsprach einem traditionellen Gemeingut28 Menschenund Goumltter wurden analog behandelt Sie verfuumlgten beide uumlber die-selben Eigenschaften und Merkmale Die Unterschiede zwischenihnen waren nur graduelle und nicht kategoriale Unterschiede29

Das Leben der Goumltter war also eine ins Ideale uumlbersetzte Vor-stellung vom Leben der Menschen Insofern verwundert es nichtwenn Aristoteles bei seinen Ausfuumlhrungen uumlber die EudaimoniaVergleiche zwischen Mensch und Gott beziehungsweise zwischender menschlichen und der goumlttlichen Eudaimonia zieht die natuumlr-lich groumlszliger als die menschliche ist30 aber nicht eine voumlllig andere31

Das bedeutet daszlig der Mensch wenn er nach Eudaimonia strebt inWirklichkeit danach strebt ein Leben zu fuumlhren das bis zu einemgewissen Grad dem goumlttlichen Leben das ein voumlllig seliges Lebenist nahe kommt32 Das goumlttliche Leben vertritt das Ganze das Absolute eben das Ideale (vgl 1178b8 f τοNς θεοNς μλισταε9δαμονας) Fuumlr den Menschen liegt das beste Leben darin daszlig er

53Aspekte der Megalopsychia bei Aristoteles (EN 43)

27) Die Rede ist hier von der Heroisierung hoch verdienter Menschen die zuden Halbgoumlttern gezaumlhlt wurden wie z B Herakles

28) Vgl z B Homer Ilias 1497 f στρεπτο7 δ τε κα7 θεο7 α9το τ+ν περκα7 μεζων ρετ2 τιμ τε βη τε

29) Zu dieser Thematik vgl J M Redfield Nature and Culture in The IliadThe Tragedy of Hector Chicago 1975 A W H Adkins Homeric Gods and the Values of Homeric Society JHS 92 1972 1 Vgl auch H Lloyd-Jones The Justiceof Zeus California 1971 175

30) Vgl z B 1178b8 f τοNς θεοNς γ5ρ μλιστα πειλφαμεν μακαρους κα7ε9δαμονας ε3ναι

31) Vgl hierzu auch R Kraut Aristotle on the Human Good Princeton1991 273

32) Vgl 1178b25ndash27 το1ς μampν γ5ρ θεο1ς Pπας βος μακριος το1ς δ-νθρAποις φ- Qσον μοωμ τι τς τοιατης νεργεας πρχει

einen Anteil ndash nach Moumlglichkeit einen groszligen ndash an dem goumlttlichenLebensmodus hat33 Da die Menschen die groumlszligten Ehrungen denGoumlttern darbieten ruumlckt ein Mensch in die Naumlhe der Goumltter undlebt sozusagen ein goumltteraumlhnliches Leben wenn er sehr groszlige Ehreempfaumlngt34 Die Voraussetzung dafuumlr ist daszlig man wirklich γαθςist denn κατ- λθειαν δ- γαθ)ς μνος τιμητς (1124a25) Da-her muszlig ein Mensch Megalopsychos sein wenn er den Wunschhat den Goumlttern irgendwie aumlhnlich zu sein

Nach Aristoteles sollte der Mensch sich nicht nur mit denmenschlichen beziehungsweise sterblichen Angelegenheiten befas-sen sondern soweit es ihm moumlglich ist sich unsterblich machen(φ- Qσον νδχεται θανατζειν) und alles tun um ein solches Leben zu haben das gemaumlszlig dem in sich Houmlchsten beziehungs weiseBesten gefuumlhrt wird (vgl 1177b31ndash34) Das Verlangen nach ver-dienter groszliger Ehre d h die Megalopsychia ist also gemaumlszlig denobigen Ausfuumlhrungen eine Form des Strebens nach Unsterblich-keit

IV

Die Megalopsychia erscheint auf den ersten Blick als einehoch individuelle Tugend da sie eben eine Selbst-Einschaumltzungeine Selbst-Erkenntnis eine Selbst-Bewertung ein Selbst-Bewuszligt-sein kurzum eine bestimmte Art der Selbst-Beziehung konsti -tuiert Gleichzeitig ist sie wie wir zeigen wollen eine bestimmteForm von Gerechtigkeit eine Gerechtigkeit gegenuumlber sich selbst

Die Gerechtigkeit ist die Tugend der angemessenen Vertei-lung im weitesten Sinne mithin eine soziale Tugend Sie bildet deswegen ein sogenanntes bdquofremdes Gutldquo (1130a3 f λλτριονγαθ)ν δοκε1 ε3ναι 6 δικαιοσνη vgl 1134b5 f) ein Gut das sichvor allem auf andere bezieht und als Maszligstab fuumlr ein geregeltes Zusammenleben dient

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33) Da der Gott also nach Aristoteles durch seine θεωρητικ2 νργεια gekennzeichnet wird (1178b21 f) muszlig die vorzuumlglichste Lebensform beziehungs-weise die vollkommene Eudaimonia (6 τελεα ε9δαιμονα) eine Art θεωρητικ2νργεια sein (1178b7 f) Daher hierarchisiert er den βος θεωρητικς als die houmlchst-moumlgliche Lebensform

34) Zu dieser Einstellung vgl bereits Homer Ilias 9155 οR κ ( δωτνSσιθε)ν Tς τιμσουσι Auch Odyssee 11484 τομεν 3σα θεο1σιν

Gerechtigkeit kann nach Aristoteles verschiedene Bedeutun-gen haben35 und entsprechend wird sie in zwei groszlige Kategorieneingeteilt in die bdquoallgemeineldquo (καθ- Qλον) und in die bdquopartikulareldquo(κατ5 μρος) Gerechtigkeit (vgl 1130b6ndash29) Die zweite wird wiederum in zwei Subkategorien unterteilt in das διανεμητικ)νδκαιον (bdquoausteilendeldquo oder bdquodistributive Gerechtigkeitldquo) und indas διορθωτικ)ν δκαιον (bdquokorrektive Gerechtigkeitldquo) (1130b31ndash1131a1 τ) ν τα1ς διανομα1ς τιμς χρημτων τ+ν 0λλων Qσαμεριστ5 το1ς κοινωνο$σι τς πολιτεας und τ) ν το1ς συναλ-λγμασι διορθωτικν) Es gibt nach Aristoteles auch eine dritteArt von Gerechtigkeit τ) ν τα1ς κοινωναις τα1ς λλακτικα1ς[scil δκαιον] (1132b31 f) die den Tausch von Waren betrifft dieman bdquoausgleichende Gerechtigkeitldquo nennen kann

Hier wollen wir uns auf die bdquoausteilende Gerechtigkeitldquo be-schraumlnken Maszligstab und normatives Leitprinzip fuumlr diese also fuumlrdas διανεμητικ)ν δκαιον ist jedem κατ- ξαν also jedem nachseinem Wert und nicht jedem das Gleiche (1131a25ndash27 τ) γ5ρδκαιον ν τα1ς νομα1ς μολογο$σι πντες κατ- ξαν τιν5 δε1νε3ναι τ2ν μντοι ξαν ο9 τ2ν α9τ2ν λγουσι πντες) Das Verhaumllt-nis von Guumltern und Wert bei der Person A muszlig dem Verhaumlltnis vonGuumltern und Wert bei der Person B entsprechen und zwar in Ab-haumlngigkeit des jeweiligen Wertes (ξα) von A und B Das διανε-μητικ)ν δκαιον wird richtig angewendet wenn bei der Verteilungder Guumlter eine solche Analogie d h Proportionalitaumlt (die soge-nannte γεωμετρικ2 ναλογα 1131b12 f) besteht die keinem mehroder weniger gibt als er tatsaumlchlich verdient Denn das Gerechte istetwas Analoges also Proportionales (1131a29 στιν 0ρα τ) δκαι-ον νλογν τι)36 und liegt in der Mitte zwischen dem δικε1ν (Unrecht tun) und dem δικε1σθαι (Unrecht leiden) Beide diese

55Aspekte der Megalopsychia bei Aristoteles (EN 43)

35) Zu dem Gerechtigkeitsbegriff bei Aristoteles vgl z B W F R HardieAristotlersquos Ethical Theory Oxford 1968 21980 189ndash198 T H Irwin AristotlersquosFirst Principles Oxford 1988 427ndash429 G Bien Gerechtigkeit bei Aristoteles inO Houmlffe (Hrsg) Aristoteles Die Nikomachische Ethik Berlin 1995 135ndash164M Pakaluk Aristotlersquos Nicomachean Ethics Cambridge 2005 181ndash205

36) Zu einer impliziten Anwendung des διανεμητικ)ν δκαιον bei der Ari-stotelischen Behandlung der Philia siehe 1165a14ndash18 Qτι μampν οJν ο9 τα9τ5 πσινποδοτον ο9δamp τU πατρ7 πντα καθπερ ο9δamp τU Δι7 θεται ο9κ 0δηλον πε7 δ-Dτερα γονε$σι κα7 δελφο1ς κα7 (ταροις κα7 ε9εργταις (κστοις τ5 οEκε1α κα7 τ5Wρμττοντα πονεμητον Vgl auch 1165a30ndash32 κα7 συγγενσι δamp κα7 φυλταις κα7πολταις κα7 το1ς λοιπο1ς Pπασιν ε7 πειρατον τ) οEκε1ον πονμειν

Extreme sind Formen der Ungerechtigkeit (δικα)37 Wer sich zuviel vom Guten aneignet ohne es wirklich zu verdienen der tut Un-recht waumlhrend derjenige der zu wenig davon bekommt obwohl eres verdienen wuumlrde Unrecht leidet Der Gerechte (δκαιος) verteiltob er selber involviert ist oder nicht das proportional Gleiche (δια-νεμητικ)ς το$ Xσου το$ κατ- ναλογαν vgl 1134a3ndash6)38

Es wird deutlich auch wenn Aristoteles keine Ausfuumlhrungendaruumlber macht daszlig die Megalopsychia eine spezifische Art desδιανεμητικ)ν δκαιον konstituiert Sie liegt wie bereits ausgefuumlhrtin der richtigen Mitte zwischen der χαυντης (einen zu hohen Anspruch haben der dem objektiven Wert der Person nicht ent-spricht) und der Mikropsychia (zu niedrige Anspruumlche trotz hohen Wertes haben) Die χαυντης bildet also eine Form desδικε1ν und die Mikropsychia eine Form des δικε1σθαι Die da-zwischen liegende δικαιοπραγα ist die Tugend der MegalopsychiaDaher sollte es nicht verwundern und nicht als arrogant erschei-nen daszlig der Megalopsychos sich nicht allzu sehr uumlber die Ehrun-gen die ihm erwiesen werden freut Denn er denkt ja daszlig er sieverdient beziehungsweise daszlig es gerecht ist daszlig er sie empfaumlngtUnd so wie die Gerechtigkeit gemaumlszlig Aristoteles eine τελεα ρετist (1129b25 f) so muszlig man auch die vollkommene Tugend besit-zen wie verlangt um Megalopsychos sein zu koumlnnen (1124a28 f)Nur mit dem Unterschied daszlig die Megalopsychia unmittelbar we-der die Beziehung der Buumlrger untereinander also das Verhaumlltniszwischen verschiedenen Individuen regelt noch die Haltung derGesellschaft als Institution ihren Mitgliedern gegenuumlber betrifftsondern urspruumlnglich das Verhaumlltnis d h die Lebenshaltung desIndividuums zu sich selbst bestimmt Wenn jedoch eine so ver-standene urspruumlnglich personale Gerechtigkeit in der Form dersbquoegoistischenlsquo Megalopsychia spaumlter auch bei mehreren Individuen

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37) Vgl 1133b30ndash34 6 δικαιοπραγα μσον στ7 το$ δικε1ν κα7 δι-κε1σθαι τ) μampν γ5ρ πλον χειν τ) δ- λαττν στιν 6 δamp δικαιοσνη μεστης τςστιν ο9 τ)ν α9τ)ν δamp τρπον τα1ς 0λλαις ρετα1ς λλ- Qτι μσου στν 6 δ- δικατ+ν 0κρων

38) Das Prinzip der bdquoausteilenden Gerechtigkeitldquo existiert im wesentlichenlaumlngst wenn auch nicht als Terminus technicus und wird zur Anwendung gebrachtin der griechischen Gesellschaft so z B bereits in der Ilias bei dem δκη-BegriffVgl dazu E A Havelock The Greek Concept of Justice from its Shadow in Homerto its Substance in Plato Harvard 1978 Vgl auch Platon Politeia 1 332c1ndash2 Σι-μωνδης [ ] διενοε1το μampν γρ ς φανεται Qτι το$τ- εXη δκαιον τ) προσκον(κστ[ ποδιδναι

beziehungsweise Buumlrgern erfolgen wuumlrde dann wuumlrde man ja auchvon einem perfekt gerechten sittlich idealen Staat sprechen koumln-nen Es wird deutlich daszlig die viel miszligachtete beziehungsweise ver-achtete Megalopsychia in Wirklichkeit eng verbunden ist mit derhochgepriesenen Kardinaltugend der Gerechtigkeit

V

In Anal Post 213 97b15 ff fuumlhrt Aristoteles bei seinem Ver-such die Definition des Begriffes der Megalopsychia zu formulie-ren unter anderem zwei Beispiele aus der Homerischen Welt an denAchilleus und den Aias Denn beide haben nach Aristoteles etwasgemeinsam Sie ertragen es nicht daszlig ihre Ehre beleidigt und be-schaumldigt wird (97b19 τ) μ2 νχεσθαι βριζμενοι) Es ist natuumlr-lich kein Zufall daszlig Aristoteles diese wohlbekannten Helden alscharakteristische Paradigmen fuumlr die Megalopsychia verwendetWenn es um Ehre geht geschweige denn wenn es um verletzte Ehregeht dann sind Achilleus und Aias in der griechischen TraditionBeispiele par excellence Der eine droht voller Wut das gesamtegriechische Heer in die Vernichtung zu fuumlhren weil Agamemnondurch das Wegnehmen der Briseis seine Ehre herabgesetzt be-ziehungsweise seinen Status nicht angemessen anerkannt hat Derandere entscheidet und versucht die Atriden Agamemnon undMenelaos zu toumlten weil sie ihm die Waffen des Achilleus nicht ge-geben d h ebenfalls seine Ehre verletzt und seinen hohen Wertnicht entsprechend respektiert haben Als er sein Ziel verfehlt toumlteter sich selbst Warum tauchen sie nicht in den ethischen Schriften desAristoteles im Kontext der Megalopsychia-Besprechung auf

Achilleus und Aias sind charakterisiert durch eine bdquoradikaleIndividualitaumltldquo39 und durch ein extremes Verhalten ein Uumlbertrei-ben Es mag sein daszlig diese Helden durch ein monomanischesmaszligloses Verhalten ihre heroische Identitaumlt bewahren beziehungs-weise dem ethischen Kodex und Wertesystem ihrer Zeit entspre-chen Sonst erschiene ihr Leben wohl nicht mehr sbquogutlsquo und nichtmehr lebenswert40 Sonst wuumlrden sie sich selbst verlieren sich

57Aspekte der Megalopsychia bei Aristoteles (EN 43)

39) H Weinstock Sophokles Wuppertal 31948 6040) Vgl z B Sophokles Aias 479ndash480 λλ- καλ+ς ζν καλ+ς τε-

θνηκναι τ)ν ε9γεν χρ

selbst und ihr Wertebewuszligtsein aufgeben Es mag auch sein daszligsie in ihrem Sinne genau das Richtige tun selbst wenn dies ego-istisch und maszliglos erscheint da sie sich ja durch ihre Taten prak-tisch gegen die Gemeinschaft richten Das waumlre ein anderes ThemaSicher ist jedoch Das Uumlbertriebene Exaltierte ihres Verhaltenswaumlre im Rahmen des Aristotelischen Wertesystems tadelnswertBeide Helden verfuumlgen uumlber die Homerische Tugend und sindzwar γαθο und 0ριστοι41 aufgrund der Werte ihre r Zeit42 abersie sind nicht ς ληθ+ς γαθο also nicht γαθο im Aristo-telischen Sinne Achilleusrsquo und Aiasrsquo Handlungen beziehen sichvor allem auf ihre persoumlnliche Ehre beziehungsweise auf ihr per-soumlnliches Interesse nicht auf das Gemeinwohl Aber genau diesesdas angemessene Verhalten im Hinblick auf die Gemeinschaft unddie Teilnahme daran sind bei Aristoteles notwendige Vorausset-zungen des γαθς43

Auch die Phronesis diese zentrale dianoetische Tugend dienach Aristoteles immer jede ethische Tugend begleiten soll um wie eine Lampe den richtig gewaumlhlten Weg zu beleuchten44 ist beidiesen Helden in eklatanter Weise abwesend Und es steht auszligerZweifel γαθς zu sein ohne uumlber Phronesis zu verfuumlgen ist nachAristoteles nicht moumlglich Es gilt aber auch das Umgekehrte45 Die-se Helden sind nicht bdquounbeherrschtldquo (κρατε1ς) im AristotelischenSinne46 freilich auch nicht bdquobeherrschtldquo (γκρατε1ς) aber sie sindauch nicht bdquoschlechtldquo (φα$λοι ndash κλαστοι) Sie stehen auszligerhalbdieser ethischen Kategorien des Aristoteles und sind von daher ge-sehen ein Anachronismus

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41) Vgl z B Ilias 2768ndash770 νδρ+ν αJ μγ- 0ριστος ην ΤελαμAνιος ΑXας ^φρ- _χιλεNς μνιεν γ5ρ πολN φρτατος `εν Rπποι θ- οa φορεσκον μνοναΠηλεωνα

42) Vgl hierzu auch Broadie Rowe (wie Anm 9) 2943) Vgl 1163b6ndash8 ο9 γ5ρ τιμται μηδampν γαθ)ν τU κοινU πορζων τ)

κοιν)ν γ5ρ δδοται τU τ) κοιν)ν ε9εργετο$ντι 6 τιμ2 δamp κοινν44) Vgl 1144a6ndash9 τ) ργον ποτελε1ται κατ5 τ2ν φρνησιν κα7 τ2ν cθικ2ν

ρετν 6 μampν γ5ρ ρετ2 τ)ν σκοπ)ν ποιε1 Iρθν 6 δamp φρνησις τ5 πρ)ς το$τον45) Vgl 1144b31 f ο9χ ον τε γαθ)ν ε3ναι κυρως 0νευ φρονσεως ο9δamp

φρνιμον 0νευ τς cθικς ρετς46) sbquoUnbeherrschtlsquo bei Aristoteles ist derjenige der wohl weiszlig was richtig

ist dem es aber nicht gelingt seine πθη durch seine Vernunft zu kontrollieren be-ziehungsweise zu beherrschen Das heiszligt es besteht ein Konflikt zwischen seinenTrieben und Wuumlnschen einerseits und seiner Vernunft andererseits die am Schluszligdoch der sbquoVerliererlsquo ist Vgl 1111b13 f κα7 κρατ2ς πιθυμ+ν μampν πρττει προ-αιρομενος δ- ο9 1112a15 f 6 γ5ρ προαρεσις μετ5 λγου κα7 διανοας

Es wird nun klar warum Achilleus und Aias nicht Megalo -psychoi im streng ethischen beziehungsweise moralischen Sinnedes Aristotelischen Wertekanons sind Denn sie besitzen nicht alleanderen ethischen Tugenden Im ethischen Kontext der Aristoteli-schen Ausfuumlhrungen wuumlrden sie wenn sie vorkaumlmen als Gegen-Beispiele fungieren muumlssen d h sie haumltten eine antiparadigmati-sche Funktion Sie wuumlrden zitiert werden als solche die eben nichtwahrhaft Megalopsychoi sind

Man koumlnnte also nicht ohne Skepsis dem Achilleus und demAias diejenigen Eigenschaften zuschreiben die Aristoteles demMegalopsychos in der Nikomachischen Ethik zuschreibt47 undebensowenig umgekehrt versuchen den Megalopsychos der Niko-machischen Ethik mit diesen heroischen Figuren zu identifizieren

Schluszligbemerkung

Aristoteles orientiert sich bei seiner Behandlung der ethischenTugend der Megalopsychia in der Nikomachischen Ethik nur bis zu einem gewissen Grad an der Meinung der Vielen Er korrigiertdie oberflaumlchliche allgemein verbreitete Ansicht daszlig die Ehre dasEndziel des politischen Lebens ist aber er nimmt sie als das groumlszlig-te der aumluszligeren Guumlter an Er akzeptiert daszlig der 0ριστος sich be-rechtigterweise gemaumlszlig seiner ξα der groumlszligten Ehre fuumlr wert haumlltaber er gibt der ξα und somit auch den Begriffen der Tugend unddes γαθς beziehungsweise des 0ριστος einen neuen ethischenInhalt Megalopsychos ist und kann nur der ς ληθ+ς γαθςsein Megalopsychia ist eine zutiefst griechische Tugend und re-praumlsentativ fuumlr die gesamte antike griechische Denkweise Diechristlich gepraumlgte Mentalitaumlt kann sie nur schwer begreifen undnoch schwerer akzeptieren Anders das bei den Griechen verbrei-tete Denken Wenn man der Beste ist muszlig man sich dessen auchbewuszligt sein muszlig man es vor allem zeigen und sich entsprechendverhalten Die Megalopsychia ist insoweit auch eine Form desSelbstbewuszligtseins und der Selbsterkenntnis Daher erscheint esnatuumlrlich und gerecht das Beste und werthaltigste Gut naumlmlich dieEhre fuumlr sich in Anspruch zu nehmen wenn die Voraussetzungen

59Aspekte der Megalopsychia bei Aristoteles (EN 43)

47) So wie z B O Hellmann Aristoteles und Achilleus Der poetische Heldaus der Sicht des Philosophen in Althoff (wie Anm 1) 27ndash41 bes 35ndash38

dafuumlr die Aristoteles alle ausdruumlcklich benennt bei einem Men-schen gegeben sind Nur auf diese Weise nur wenn man Megalo -psychos ist kann man wirklich und vollkommen ε9δαμων wer-den Bescheidenheit waumlre hier also fehl am Platz und wuumlrde derPflicht die der Mensch gegenuumlber sich selbst hat widersprechenund damit auch der Selbstverwirklichung die Aristoteles sbquoEudai-monialsquo nennt48

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48) Aristoteles formuliert mit diesem Gedanken eine Auffassung und nimmtmit diesem Punkt seiner Ethik eine Lehre vorweg die erst im Zuge der europaumlischenAufklaumlrung naumlmlich von Kant zu einer grundlegenden Bestimmung der Moral-philosophie gemacht worden ist naumlmlich daszlig der Mensch nicht nur Pflichten gegenandere sondern auch Pflichten gegen sich selbst hat und daszlig er auch in diesem Sinne das heiszligt durch Verletzung derselben schuldig werden kann gegenuumlber undan sich selbst Aristoteles hat mit seinem Begriff des Megalopsychos und der Me-galopsychia diese Unterscheidung Kants auf geniale Weise vorweggenommen VglImmanuel Kant Metaphysik der Sitten Zweiter Teil Metaphysische Anfangsgruumln-de der Tugendlehre I Ethische Elementarlehre 1 Teil Von den Pflichten gegen sichselbst 261ndash302 2 Teil Von den Tugendpflichten gegen andere 303ndash337 Hrsg vonKarl Vorlaumlnder Philosophische Bibliothek Bd 42 Hamburg 1922

τελεα ρετ die eigentlich ohne die Megalopsychia gar nicht τε-λεα im strengen Sinne des Wortes sein kann Das bedeutet Ohnedie Tugend der Megalopsychia kann man die Eudaimonia nichtwirklich erreichen Wenn man diese Relation verstanden hat wirdman auch leichter einsehen daszlig diese von manchen Interpretenfalsch eingeschaumltzte Tugend sogar von zentraler Bedeutung fuumlr dasethische System des Aristoteles ist Kein Wunder daszlig Aristotelessie so ausfuumlhrlich behandelt

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Die wahrhaftige Megalopsychia verlangt und verdient wie wirbereits ausgefuumlhrt haben die groumlszligte Ehre da sie eben dem wahr-haften γαθς zukommt Der wichtigste groumlszligte Wert also fuumlr Ari-stoteles die Tugend und zwar die vollkommene Tugend wird mitdem wichtigsten groumlszligten aumluszligeren Gut der Ehre belohnt Es ist zubeachten Die inneren Werte suchen ihr Aumlquivalent (wenigstensannaumlhernd) in den aumluszligeren Werten Mit anderen Worten Die seeli-schen inneren Guumlter (ψυχικ5 γαθ) werden an den aumluszligeren Guuml-tern bemessen und vor allem eben an der Ehre Warum suchen nunalle Menschen danach Wenn man genauer die Bedeutung diesesStrebens nach Ehre analysiert zu welchem ja der Megalopsychoseine ganz spezifische Beziehung hat wird man erneut feststellenkoumlnnen wie nah das Eudaimonia-Konzept dem Megalopsychia-Konzept steht beziehungsweise wie fest und substantiell integriertdiese Tugend im ethischen System des Aristoteles ist

Unter Ehre ist im wesentlichen das Ansehen der Ruhm dieAnerkennung zu verstehen Die Ehre ist ein unentbehrlicher Be-standteil der Eudaimonia Sie darf zwar nicht mit der Eudaimoniaidentifiziert werden wie viele Menschen das tun wenn sie sich fuumlrden βος πολιτικς entscheiden und faumllschlicherweise glauben dieτιμ sei das Ziel dieser Lebensform (vgl 1095b22 f) Die Ehre istein bedeutendes Mittel zu dem Endzweck der Eudaimonia dasauch fuumlr sich wuumlnschenswert und erstrebenswert ist26 obwohl sie

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26) Siehe 1097b2ndash5 τιμ2 δamp κα7 6δον2ν κα7 νο$ν κα7 πσαν ρετ2ν α8ρομε-θα μampν δι- α9τ [ ] α8ρομεθα δamp κα7 τς ε9δαιμονας χριν δι5 τοτων πο-λαμβνοντες ε9δαιμονσειν Vgl 1096a7ndash9 δι) μλλον τ5 πρτερον λεχθντατλη [scil 6δον τιμ] τις Kν πολβοι δι- ατ5 γ5ρ γαπται

nach Aristoteles kein vollstaumlndiges Gut (τλειον γαθν) ist (vgl1097a33 f) Sie gilt als das groumlszligte Gut weil sie das ist was man denGoumlttern zuteilt (vgl 1123b18 μγιστον δamp [scil γαθν] το$τ- Kνθεημεν L το1ς θεο1ς πονμομεν) Denn die Goumltter sind uns imHinblick auf alle Guumlter uumlberlegen (1158b36 πλε1στον γ5ρ οMτοι[scil ο8 θεο] πσι το1ς γαθο1ς περχουσιν) und wie die allge-meine Meinung lautet bdquoaus den Menschen werden Goumltter27 infol-ge des houmlchsten Grades der Tugendldquo (1145a23 f καθπερ φασνξ νθρAπων γνονται θεο7 δι- ρετς περβολν) Die Ansichtdaszlig die Goumltter mehr Tugend und mehr Ehre als die Menschen haben war in der Zeit des Aristoteles keineswegs unbekannt son-dern sie entsprach einem traditionellen Gemeingut28 Menschenund Goumltter wurden analog behandelt Sie verfuumlgten beide uumlber die-selben Eigenschaften und Merkmale Die Unterschiede zwischenihnen waren nur graduelle und nicht kategoriale Unterschiede29

Das Leben der Goumltter war also eine ins Ideale uumlbersetzte Vor-stellung vom Leben der Menschen Insofern verwundert es nichtwenn Aristoteles bei seinen Ausfuumlhrungen uumlber die EudaimoniaVergleiche zwischen Mensch und Gott beziehungsweise zwischender menschlichen und der goumlttlichen Eudaimonia zieht die natuumlr-lich groumlszliger als die menschliche ist30 aber nicht eine voumlllig andere31

Das bedeutet daszlig der Mensch wenn er nach Eudaimonia strebt inWirklichkeit danach strebt ein Leben zu fuumlhren das bis zu einemgewissen Grad dem goumlttlichen Leben das ein voumlllig seliges Lebenist nahe kommt32 Das goumlttliche Leben vertritt das Ganze das Absolute eben das Ideale (vgl 1178b8 f τοNς θεοNς μλισταε9δαμονας) Fuumlr den Menschen liegt das beste Leben darin daszlig er

53Aspekte der Megalopsychia bei Aristoteles (EN 43)

27) Die Rede ist hier von der Heroisierung hoch verdienter Menschen die zuden Halbgoumlttern gezaumlhlt wurden wie z B Herakles

28) Vgl z B Homer Ilias 1497 f στρεπτο7 δ τε κα7 θεο7 α9το τ+ν περκα7 μεζων ρετ2 τιμ τε βη τε

29) Zu dieser Thematik vgl J M Redfield Nature and Culture in The IliadThe Tragedy of Hector Chicago 1975 A W H Adkins Homeric Gods and the Values of Homeric Society JHS 92 1972 1 Vgl auch H Lloyd-Jones The Justiceof Zeus California 1971 175

30) Vgl z B 1178b8 f τοNς θεοNς γ5ρ μλιστα πειλφαμεν μακαρους κα7ε9δαμονας ε3ναι

31) Vgl hierzu auch R Kraut Aristotle on the Human Good Princeton1991 273

32) Vgl 1178b25ndash27 το1ς μampν γ5ρ θεο1ς Pπας βος μακριος το1ς δ-νθρAποις φ- Qσον μοωμ τι τς τοιατης νεργεας πρχει

einen Anteil ndash nach Moumlglichkeit einen groszligen ndash an dem goumlttlichenLebensmodus hat33 Da die Menschen die groumlszligten Ehrungen denGoumlttern darbieten ruumlckt ein Mensch in die Naumlhe der Goumltter undlebt sozusagen ein goumltteraumlhnliches Leben wenn er sehr groszlige Ehreempfaumlngt34 Die Voraussetzung dafuumlr ist daszlig man wirklich γαθςist denn κατ- λθειαν δ- γαθ)ς μνος τιμητς (1124a25) Da-her muszlig ein Mensch Megalopsychos sein wenn er den Wunschhat den Goumlttern irgendwie aumlhnlich zu sein

Nach Aristoteles sollte der Mensch sich nicht nur mit denmenschlichen beziehungsweise sterblichen Angelegenheiten befas-sen sondern soweit es ihm moumlglich ist sich unsterblich machen(φ- Qσον νδχεται θανατζειν) und alles tun um ein solches Leben zu haben das gemaumlszlig dem in sich Houmlchsten beziehungs weiseBesten gefuumlhrt wird (vgl 1177b31ndash34) Das Verlangen nach ver-dienter groszliger Ehre d h die Megalopsychia ist also gemaumlszlig denobigen Ausfuumlhrungen eine Form des Strebens nach Unsterblich-keit

IV

Die Megalopsychia erscheint auf den ersten Blick als einehoch individuelle Tugend da sie eben eine Selbst-Einschaumltzungeine Selbst-Erkenntnis eine Selbst-Bewertung ein Selbst-Bewuszligt-sein kurzum eine bestimmte Art der Selbst-Beziehung konsti -tuiert Gleichzeitig ist sie wie wir zeigen wollen eine bestimmteForm von Gerechtigkeit eine Gerechtigkeit gegenuumlber sich selbst

Die Gerechtigkeit ist die Tugend der angemessenen Vertei-lung im weitesten Sinne mithin eine soziale Tugend Sie bildet deswegen ein sogenanntes bdquofremdes Gutldquo (1130a3 f λλτριονγαθ)ν δοκε1 ε3ναι 6 δικαιοσνη vgl 1134b5 f) ein Gut das sichvor allem auf andere bezieht und als Maszligstab fuumlr ein geregeltes Zusammenleben dient

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33) Da der Gott also nach Aristoteles durch seine θεωρητικ2 νργεια gekennzeichnet wird (1178b21 f) muszlig die vorzuumlglichste Lebensform beziehungs-weise die vollkommene Eudaimonia (6 τελεα ε9δαιμονα) eine Art θεωρητικ2νργεια sein (1178b7 f) Daher hierarchisiert er den βος θεωρητικς als die houmlchst-moumlgliche Lebensform

34) Zu dieser Einstellung vgl bereits Homer Ilias 9155 οR κ ( δωτνSσιθε)ν Tς τιμσουσι Auch Odyssee 11484 τομεν 3σα θεο1σιν

Gerechtigkeit kann nach Aristoteles verschiedene Bedeutun-gen haben35 und entsprechend wird sie in zwei groszlige Kategorieneingeteilt in die bdquoallgemeineldquo (καθ- Qλον) und in die bdquopartikulareldquo(κατ5 μρος) Gerechtigkeit (vgl 1130b6ndash29) Die zweite wird wiederum in zwei Subkategorien unterteilt in das διανεμητικ)νδκαιον (bdquoausteilendeldquo oder bdquodistributive Gerechtigkeitldquo) und indas διορθωτικ)ν δκαιον (bdquokorrektive Gerechtigkeitldquo) (1130b31ndash1131a1 τ) ν τα1ς διανομα1ς τιμς χρημτων τ+ν 0λλων Qσαμεριστ5 το1ς κοινωνο$σι τς πολιτεας und τ) ν το1ς συναλ-λγμασι διορθωτικν) Es gibt nach Aristoteles auch eine dritteArt von Gerechtigkeit τ) ν τα1ς κοινωναις τα1ς λλακτικα1ς[scil δκαιον] (1132b31 f) die den Tausch von Waren betrifft dieman bdquoausgleichende Gerechtigkeitldquo nennen kann

Hier wollen wir uns auf die bdquoausteilende Gerechtigkeitldquo be-schraumlnken Maszligstab und normatives Leitprinzip fuumlr diese also fuumlrdas διανεμητικ)ν δκαιον ist jedem κατ- ξαν also jedem nachseinem Wert und nicht jedem das Gleiche (1131a25ndash27 τ) γ5ρδκαιον ν τα1ς νομα1ς μολογο$σι πντες κατ- ξαν τιν5 δε1νε3ναι τ2ν μντοι ξαν ο9 τ2ν α9τ2ν λγουσι πντες) Das Verhaumllt-nis von Guumltern und Wert bei der Person A muszlig dem Verhaumlltnis vonGuumltern und Wert bei der Person B entsprechen und zwar in Ab-haumlngigkeit des jeweiligen Wertes (ξα) von A und B Das διανε-μητικ)ν δκαιον wird richtig angewendet wenn bei der Verteilungder Guumlter eine solche Analogie d h Proportionalitaumlt (die soge-nannte γεωμετρικ2 ναλογα 1131b12 f) besteht die keinem mehroder weniger gibt als er tatsaumlchlich verdient Denn das Gerechte istetwas Analoges also Proportionales (1131a29 στιν 0ρα τ) δκαι-ον νλογν τι)36 und liegt in der Mitte zwischen dem δικε1ν (Unrecht tun) und dem δικε1σθαι (Unrecht leiden) Beide diese

55Aspekte der Megalopsychia bei Aristoteles (EN 43)

35) Zu dem Gerechtigkeitsbegriff bei Aristoteles vgl z B W F R HardieAristotlersquos Ethical Theory Oxford 1968 21980 189ndash198 T H Irwin AristotlersquosFirst Principles Oxford 1988 427ndash429 G Bien Gerechtigkeit bei Aristoteles inO Houmlffe (Hrsg) Aristoteles Die Nikomachische Ethik Berlin 1995 135ndash164M Pakaluk Aristotlersquos Nicomachean Ethics Cambridge 2005 181ndash205

36) Zu einer impliziten Anwendung des διανεμητικ)ν δκαιον bei der Ari-stotelischen Behandlung der Philia siehe 1165a14ndash18 Qτι μampν οJν ο9 τα9τ5 πσινποδοτον ο9δamp τU πατρ7 πντα καθπερ ο9δamp τU Δι7 θεται ο9κ 0δηλον πε7 δ-Dτερα γονε$σι κα7 δελφο1ς κα7 (ταροις κα7 ε9εργταις (κστοις τ5 οEκε1α κα7 τ5Wρμττοντα πονεμητον Vgl auch 1165a30ndash32 κα7 συγγενσι δamp κα7 φυλταις κα7πολταις κα7 το1ς λοιπο1ς Pπασιν ε7 πειρατον τ) οEκε1ον πονμειν

Extreme sind Formen der Ungerechtigkeit (δικα)37 Wer sich zuviel vom Guten aneignet ohne es wirklich zu verdienen der tut Un-recht waumlhrend derjenige der zu wenig davon bekommt obwohl eres verdienen wuumlrde Unrecht leidet Der Gerechte (δκαιος) verteiltob er selber involviert ist oder nicht das proportional Gleiche (δια-νεμητικ)ς το$ Xσου το$ κατ- ναλογαν vgl 1134a3ndash6)38

Es wird deutlich auch wenn Aristoteles keine Ausfuumlhrungendaruumlber macht daszlig die Megalopsychia eine spezifische Art desδιανεμητικ)ν δκαιον konstituiert Sie liegt wie bereits ausgefuumlhrtin der richtigen Mitte zwischen der χαυντης (einen zu hohen Anspruch haben der dem objektiven Wert der Person nicht ent-spricht) und der Mikropsychia (zu niedrige Anspruumlche trotz hohen Wertes haben) Die χαυντης bildet also eine Form desδικε1ν und die Mikropsychia eine Form des δικε1σθαι Die da-zwischen liegende δικαιοπραγα ist die Tugend der MegalopsychiaDaher sollte es nicht verwundern und nicht als arrogant erschei-nen daszlig der Megalopsychos sich nicht allzu sehr uumlber die Ehrun-gen die ihm erwiesen werden freut Denn er denkt ja daszlig er sieverdient beziehungsweise daszlig es gerecht ist daszlig er sie empfaumlngtUnd so wie die Gerechtigkeit gemaumlszlig Aristoteles eine τελεα ρετist (1129b25 f) so muszlig man auch die vollkommene Tugend besit-zen wie verlangt um Megalopsychos sein zu koumlnnen (1124a28 f)Nur mit dem Unterschied daszlig die Megalopsychia unmittelbar we-der die Beziehung der Buumlrger untereinander also das Verhaumlltniszwischen verschiedenen Individuen regelt noch die Haltung derGesellschaft als Institution ihren Mitgliedern gegenuumlber betrifftsondern urspruumlnglich das Verhaumlltnis d h die Lebenshaltung desIndividuums zu sich selbst bestimmt Wenn jedoch eine so ver-standene urspruumlnglich personale Gerechtigkeit in der Form dersbquoegoistischenlsquo Megalopsychia spaumlter auch bei mehreren Individuen

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37) Vgl 1133b30ndash34 6 δικαιοπραγα μσον στ7 το$ δικε1ν κα7 δι-κε1σθαι τ) μampν γ5ρ πλον χειν τ) δ- λαττν στιν 6 δamp δικαιοσνη μεστης τςστιν ο9 τ)ν α9τ)ν δamp τρπον τα1ς 0λλαις ρετα1ς λλ- Qτι μσου στν 6 δ- δικατ+ν 0κρων

38) Das Prinzip der bdquoausteilenden Gerechtigkeitldquo existiert im wesentlichenlaumlngst wenn auch nicht als Terminus technicus und wird zur Anwendung gebrachtin der griechischen Gesellschaft so z B bereits in der Ilias bei dem δκη-BegriffVgl dazu E A Havelock The Greek Concept of Justice from its Shadow in Homerto its Substance in Plato Harvard 1978 Vgl auch Platon Politeia 1 332c1ndash2 Σι-μωνδης [ ] διενοε1το μampν γρ ς φανεται Qτι το$τ- εXη δκαιον τ) προσκον(κστ[ ποδιδναι

beziehungsweise Buumlrgern erfolgen wuumlrde dann wuumlrde man ja auchvon einem perfekt gerechten sittlich idealen Staat sprechen koumln-nen Es wird deutlich daszlig die viel miszligachtete beziehungsweise ver-achtete Megalopsychia in Wirklichkeit eng verbunden ist mit derhochgepriesenen Kardinaltugend der Gerechtigkeit

V

In Anal Post 213 97b15 ff fuumlhrt Aristoteles bei seinem Ver-such die Definition des Begriffes der Megalopsychia zu formulie-ren unter anderem zwei Beispiele aus der Homerischen Welt an denAchilleus und den Aias Denn beide haben nach Aristoteles etwasgemeinsam Sie ertragen es nicht daszlig ihre Ehre beleidigt und be-schaumldigt wird (97b19 τ) μ2 νχεσθαι βριζμενοι) Es ist natuumlr-lich kein Zufall daszlig Aristoteles diese wohlbekannten Helden alscharakteristische Paradigmen fuumlr die Megalopsychia verwendetWenn es um Ehre geht geschweige denn wenn es um verletzte Ehregeht dann sind Achilleus und Aias in der griechischen TraditionBeispiele par excellence Der eine droht voller Wut das gesamtegriechische Heer in die Vernichtung zu fuumlhren weil Agamemnondurch das Wegnehmen der Briseis seine Ehre herabgesetzt be-ziehungsweise seinen Status nicht angemessen anerkannt hat Derandere entscheidet und versucht die Atriden Agamemnon undMenelaos zu toumlten weil sie ihm die Waffen des Achilleus nicht ge-geben d h ebenfalls seine Ehre verletzt und seinen hohen Wertnicht entsprechend respektiert haben Als er sein Ziel verfehlt toumlteter sich selbst Warum tauchen sie nicht in den ethischen Schriften desAristoteles im Kontext der Megalopsychia-Besprechung auf

Achilleus und Aias sind charakterisiert durch eine bdquoradikaleIndividualitaumltldquo39 und durch ein extremes Verhalten ein Uumlbertrei-ben Es mag sein daszlig diese Helden durch ein monomanischesmaszligloses Verhalten ihre heroische Identitaumlt bewahren beziehungs-weise dem ethischen Kodex und Wertesystem ihrer Zeit entspre-chen Sonst erschiene ihr Leben wohl nicht mehr sbquogutlsquo und nichtmehr lebenswert40 Sonst wuumlrden sie sich selbst verlieren sich

57Aspekte der Megalopsychia bei Aristoteles (EN 43)

39) H Weinstock Sophokles Wuppertal 31948 6040) Vgl z B Sophokles Aias 479ndash480 λλ- καλ+ς ζν καλ+ς τε-

θνηκναι τ)ν ε9γεν χρ

selbst und ihr Wertebewuszligtsein aufgeben Es mag auch sein daszligsie in ihrem Sinne genau das Richtige tun selbst wenn dies ego-istisch und maszliglos erscheint da sie sich ja durch ihre Taten prak-tisch gegen die Gemeinschaft richten Das waumlre ein anderes ThemaSicher ist jedoch Das Uumlbertriebene Exaltierte ihres Verhaltenswaumlre im Rahmen des Aristotelischen Wertesystems tadelnswertBeide Helden verfuumlgen uumlber die Homerische Tugend und sindzwar γαθο und 0ριστοι41 aufgrund der Werte ihre r Zeit42 abersie sind nicht ς ληθ+ς γαθο also nicht γαθο im Aristo-telischen Sinne Achilleusrsquo und Aiasrsquo Handlungen beziehen sichvor allem auf ihre persoumlnliche Ehre beziehungsweise auf ihr per-soumlnliches Interesse nicht auf das Gemeinwohl Aber genau diesesdas angemessene Verhalten im Hinblick auf die Gemeinschaft unddie Teilnahme daran sind bei Aristoteles notwendige Vorausset-zungen des γαθς43

Auch die Phronesis diese zentrale dianoetische Tugend dienach Aristoteles immer jede ethische Tugend begleiten soll um wie eine Lampe den richtig gewaumlhlten Weg zu beleuchten44 ist beidiesen Helden in eklatanter Weise abwesend Und es steht auszligerZweifel γαθς zu sein ohne uumlber Phronesis zu verfuumlgen ist nachAristoteles nicht moumlglich Es gilt aber auch das Umgekehrte45 Die-se Helden sind nicht bdquounbeherrschtldquo (κρατε1ς) im AristotelischenSinne46 freilich auch nicht bdquobeherrschtldquo (γκρατε1ς) aber sie sindauch nicht bdquoschlechtldquo (φα$λοι ndash κλαστοι) Sie stehen auszligerhalbdieser ethischen Kategorien des Aristoteles und sind von daher ge-sehen ein Anachronismus

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41) Vgl z B Ilias 2768ndash770 νδρ+ν αJ μγ- 0ριστος ην ΤελαμAνιος ΑXας ^φρ- _χιλεNς μνιεν γ5ρ πολN φρτατος `εν Rπποι θ- οa φορεσκον μνοναΠηλεωνα

42) Vgl hierzu auch Broadie Rowe (wie Anm 9) 2943) Vgl 1163b6ndash8 ο9 γ5ρ τιμται μηδampν γαθ)ν τU κοινU πορζων τ)

κοιν)ν γ5ρ δδοται τU τ) κοιν)ν ε9εργετο$ντι 6 τιμ2 δamp κοινν44) Vgl 1144a6ndash9 τ) ργον ποτελε1ται κατ5 τ2ν φρνησιν κα7 τ2ν cθικ2ν

ρετν 6 μampν γ5ρ ρετ2 τ)ν σκοπ)ν ποιε1 Iρθν 6 δamp φρνησις τ5 πρ)ς το$τον45) Vgl 1144b31 f ο9χ ον τε γαθ)ν ε3ναι κυρως 0νευ φρονσεως ο9δamp

φρνιμον 0νευ τς cθικς ρετς46) sbquoUnbeherrschtlsquo bei Aristoteles ist derjenige der wohl weiszlig was richtig

ist dem es aber nicht gelingt seine πθη durch seine Vernunft zu kontrollieren be-ziehungsweise zu beherrschen Das heiszligt es besteht ein Konflikt zwischen seinenTrieben und Wuumlnschen einerseits und seiner Vernunft andererseits die am Schluszligdoch der sbquoVerliererlsquo ist Vgl 1111b13 f κα7 κρατ2ς πιθυμ+ν μampν πρττει προ-αιρομενος δ- ο9 1112a15 f 6 γ5ρ προαρεσις μετ5 λγου κα7 διανοας

Es wird nun klar warum Achilleus und Aias nicht Megalo -psychoi im streng ethischen beziehungsweise moralischen Sinnedes Aristotelischen Wertekanons sind Denn sie besitzen nicht alleanderen ethischen Tugenden Im ethischen Kontext der Aristoteli-schen Ausfuumlhrungen wuumlrden sie wenn sie vorkaumlmen als Gegen-Beispiele fungieren muumlssen d h sie haumltten eine antiparadigmati-sche Funktion Sie wuumlrden zitiert werden als solche die eben nichtwahrhaft Megalopsychoi sind

Man koumlnnte also nicht ohne Skepsis dem Achilleus und demAias diejenigen Eigenschaften zuschreiben die Aristoteles demMegalopsychos in der Nikomachischen Ethik zuschreibt47 undebensowenig umgekehrt versuchen den Megalopsychos der Niko-machischen Ethik mit diesen heroischen Figuren zu identifizieren

Schluszligbemerkung

Aristoteles orientiert sich bei seiner Behandlung der ethischenTugend der Megalopsychia in der Nikomachischen Ethik nur bis zu einem gewissen Grad an der Meinung der Vielen Er korrigiertdie oberflaumlchliche allgemein verbreitete Ansicht daszlig die Ehre dasEndziel des politischen Lebens ist aber er nimmt sie als das groumlszlig-te der aumluszligeren Guumlter an Er akzeptiert daszlig der 0ριστος sich be-rechtigterweise gemaumlszlig seiner ξα der groumlszligten Ehre fuumlr wert haumlltaber er gibt der ξα und somit auch den Begriffen der Tugend unddes γαθς beziehungsweise des 0ριστος einen neuen ethischenInhalt Megalopsychos ist und kann nur der ς ληθ+ς γαθςsein Megalopsychia ist eine zutiefst griechische Tugend und re-praumlsentativ fuumlr die gesamte antike griechische Denkweise Diechristlich gepraumlgte Mentalitaumlt kann sie nur schwer begreifen undnoch schwerer akzeptieren Anders das bei den Griechen verbrei-tete Denken Wenn man der Beste ist muszlig man sich dessen auchbewuszligt sein muszlig man es vor allem zeigen und sich entsprechendverhalten Die Megalopsychia ist insoweit auch eine Form desSelbstbewuszligtseins und der Selbsterkenntnis Daher erscheint esnatuumlrlich und gerecht das Beste und werthaltigste Gut naumlmlich dieEhre fuumlr sich in Anspruch zu nehmen wenn die Voraussetzungen

59Aspekte der Megalopsychia bei Aristoteles (EN 43)

47) So wie z B O Hellmann Aristoteles und Achilleus Der poetische Heldaus der Sicht des Philosophen in Althoff (wie Anm 1) 27ndash41 bes 35ndash38

dafuumlr die Aristoteles alle ausdruumlcklich benennt bei einem Men-schen gegeben sind Nur auf diese Weise nur wenn man Megalo -psychos ist kann man wirklich und vollkommen ε9δαμων wer-den Bescheidenheit waumlre hier also fehl am Platz und wuumlrde derPflicht die der Mensch gegenuumlber sich selbst hat widersprechenund damit auch der Selbstverwirklichung die Aristoteles sbquoEudai-monialsquo nennt48

Ioannina Mar i a L ia t s i

60 Mar i a L ia t s i

48) Aristoteles formuliert mit diesem Gedanken eine Auffassung und nimmtmit diesem Punkt seiner Ethik eine Lehre vorweg die erst im Zuge der europaumlischenAufklaumlrung naumlmlich von Kant zu einer grundlegenden Bestimmung der Moral-philosophie gemacht worden ist naumlmlich daszlig der Mensch nicht nur Pflichten gegenandere sondern auch Pflichten gegen sich selbst hat und daszlig er auch in diesem Sinne das heiszligt durch Verletzung derselben schuldig werden kann gegenuumlber undan sich selbst Aristoteles hat mit seinem Begriff des Megalopsychos und der Me-galopsychia diese Unterscheidung Kants auf geniale Weise vorweggenommen VglImmanuel Kant Metaphysik der Sitten Zweiter Teil Metaphysische Anfangsgruumln-de der Tugendlehre I Ethische Elementarlehre 1 Teil Von den Pflichten gegen sichselbst 261ndash302 2 Teil Von den Tugendpflichten gegen andere 303ndash337 Hrsg vonKarl Vorlaumlnder Philosophische Bibliothek Bd 42 Hamburg 1922

nach Aristoteles kein vollstaumlndiges Gut (τλειον γαθν) ist (vgl1097a33 f) Sie gilt als das groumlszligte Gut weil sie das ist was man denGoumlttern zuteilt (vgl 1123b18 μγιστον δamp [scil γαθν] το$τ- Kνθεημεν L το1ς θεο1ς πονμομεν) Denn die Goumltter sind uns imHinblick auf alle Guumlter uumlberlegen (1158b36 πλε1στον γ5ρ οMτοι[scil ο8 θεο] πσι το1ς γαθο1ς περχουσιν) und wie die allge-meine Meinung lautet bdquoaus den Menschen werden Goumltter27 infol-ge des houmlchsten Grades der Tugendldquo (1145a23 f καθπερ φασνξ νθρAπων γνονται θεο7 δι- ρετς περβολν) Die Ansichtdaszlig die Goumltter mehr Tugend und mehr Ehre als die Menschen haben war in der Zeit des Aristoteles keineswegs unbekannt son-dern sie entsprach einem traditionellen Gemeingut28 Menschenund Goumltter wurden analog behandelt Sie verfuumlgten beide uumlber die-selben Eigenschaften und Merkmale Die Unterschiede zwischenihnen waren nur graduelle und nicht kategoriale Unterschiede29

Das Leben der Goumltter war also eine ins Ideale uumlbersetzte Vor-stellung vom Leben der Menschen Insofern verwundert es nichtwenn Aristoteles bei seinen Ausfuumlhrungen uumlber die EudaimoniaVergleiche zwischen Mensch und Gott beziehungsweise zwischender menschlichen und der goumlttlichen Eudaimonia zieht die natuumlr-lich groumlszliger als die menschliche ist30 aber nicht eine voumlllig andere31

Das bedeutet daszlig der Mensch wenn er nach Eudaimonia strebt inWirklichkeit danach strebt ein Leben zu fuumlhren das bis zu einemgewissen Grad dem goumlttlichen Leben das ein voumlllig seliges Lebenist nahe kommt32 Das goumlttliche Leben vertritt das Ganze das Absolute eben das Ideale (vgl 1178b8 f τοNς θεοNς μλισταε9δαμονας) Fuumlr den Menschen liegt das beste Leben darin daszlig er

53Aspekte der Megalopsychia bei Aristoteles (EN 43)

27) Die Rede ist hier von der Heroisierung hoch verdienter Menschen die zuden Halbgoumlttern gezaumlhlt wurden wie z B Herakles

28) Vgl z B Homer Ilias 1497 f στρεπτο7 δ τε κα7 θεο7 α9το τ+ν περκα7 μεζων ρετ2 τιμ τε βη τε

29) Zu dieser Thematik vgl J M Redfield Nature and Culture in The IliadThe Tragedy of Hector Chicago 1975 A W H Adkins Homeric Gods and the Values of Homeric Society JHS 92 1972 1 Vgl auch H Lloyd-Jones The Justiceof Zeus California 1971 175

30) Vgl z B 1178b8 f τοNς θεοNς γ5ρ μλιστα πειλφαμεν μακαρους κα7ε9δαμονας ε3ναι

31) Vgl hierzu auch R Kraut Aristotle on the Human Good Princeton1991 273

32) Vgl 1178b25ndash27 το1ς μampν γ5ρ θεο1ς Pπας βος μακριος το1ς δ-νθρAποις φ- Qσον μοωμ τι τς τοιατης νεργεας πρχει

einen Anteil ndash nach Moumlglichkeit einen groszligen ndash an dem goumlttlichenLebensmodus hat33 Da die Menschen die groumlszligten Ehrungen denGoumlttern darbieten ruumlckt ein Mensch in die Naumlhe der Goumltter undlebt sozusagen ein goumltteraumlhnliches Leben wenn er sehr groszlige Ehreempfaumlngt34 Die Voraussetzung dafuumlr ist daszlig man wirklich γαθςist denn κατ- λθειαν δ- γαθ)ς μνος τιμητς (1124a25) Da-her muszlig ein Mensch Megalopsychos sein wenn er den Wunschhat den Goumlttern irgendwie aumlhnlich zu sein

Nach Aristoteles sollte der Mensch sich nicht nur mit denmenschlichen beziehungsweise sterblichen Angelegenheiten befas-sen sondern soweit es ihm moumlglich ist sich unsterblich machen(φ- Qσον νδχεται θανατζειν) und alles tun um ein solches Leben zu haben das gemaumlszlig dem in sich Houmlchsten beziehungs weiseBesten gefuumlhrt wird (vgl 1177b31ndash34) Das Verlangen nach ver-dienter groszliger Ehre d h die Megalopsychia ist also gemaumlszlig denobigen Ausfuumlhrungen eine Form des Strebens nach Unsterblich-keit

IV

Die Megalopsychia erscheint auf den ersten Blick als einehoch individuelle Tugend da sie eben eine Selbst-Einschaumltzungeine Selbst-Erkenntnis eine Selbst-Bewertung ein Selbst-Bewuszligt-sein kurzum eine bestimmte Art der Selbst-Beziehung konsti -tuiert Gleichzeitig ist sie wie wir zeigen wollen eine bestimmteForm von Gerechtigkeit eine Gerechtigkeit gegenuumlber sich selbst

Die Gerechtigkeit ist die Tugend der angemessenen Vertei-lung im weitesten Sinne mithin eine soziale Tugend Sie bildet deswegen ein sogenanntes bdquofremdes Gutldquo (1130a3 f λλτριονγαθ)ν δοκε1 ε3ναι 6 δικαιοσνη vgl 1134b5 f) ein Gut das sichvor allem auf andere bezieht und als Maszligstab fuumlr ein geregeltes Zusammenleben dient

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33) Da der Gott also nach Aristoteles durch seine θεωρητικ2 νργεια gekennzeichnet wird (1178b21 f) muszlig die vorzuumlglichste Lebensform beziehungs-weise die vollkommene Eudaimonia (6 τελεα ε9δαιμονα) eine Art θεωρητικ2νργεια sein (1178b7 f) Daher hierarchisiert er den βος θεωρητικς als die houmlchst-moumlgliche Lebensform

34) Zu dieser Einstellung vgl bereits Homer Ilias 9155 οR κ ( δωτνSσιθε)ν Tς τιμσουσι Auch Odyssee 11484 τομεν 3σα θεο1σιν

Gerechtigkeit kann nach Aristoteles verschiedene Bedeutun-gen haben35 und entsprechend wird sie in zwei groszlige Kategorieneingeteilt in die bdquoallgemeineldquo (καθ- Qλον) und in die bdquopartikulareldquo(κατ5 μρος) Gerechtigkeit (vgl 1130b6ndash29) Die zweite wird wiederum in zwei Subkategorien unterteilt in das διανεμητικ)νδκαιον (bdquoausteilendeldquo oder bdquodistributive Gerechtigkeitldquo) und indas διορθωτικ)ν δκαιον (bdquokorrektive Gerechtigkeitldquo) (1130b31ndash1131a1 τ) ν τα1ς διανομα1ς τιμς χρημτων τ+ν 0λλων Qσαμεριστ5 το1ς κοινωνο$σι τς πολιτεας und τ) ν το1ς συναλ-λγμασι διορθωτικν) Es gibt nach Aristoteles auch eine dritteArt von Gerechtigkeit τ) ν τα1ς κοινωναις τα1ς λλακτικα1ς[scil δκαιον] (1132b31 f) die den Tausch von Waren betrifft dieman bdquoausgleichende Gerechtigkeitldquo nennen kann

Hier wollen wir uns auf die bdquoausteilende Gerechtigkeitldquo be-schraumlnken Maszligstab und normatives Leitprinzip fuumlr diese also fuumlrdas διανεμητικ)ν δκαιον ist jedem κατ- ξαν also jedem nachseinem Wert und nicht jedem das Gleiche (1131a25ndash27 τ) γ5ρδκαιον ν τα1ς νομα1ς μολογο$σι πντες κατ- ξαν τιν5 δε1νε3ναι τ2ν μντοι ξαν ο9 τ2ν α9τ2ν λγουσι πντες) Das Verhaumllt-nis von Guumltern und Wert bei der Person A muszlig dem Verhaumlltnis vonGuumltern und Wert bei der Person B entsprechen und zwar in Ab-haumlngigkeit des jeweiligen Wertes (ξα) von A und B Das διανε-μητικ)ν δκαιον wird richtig angewendet wenn bei der Verteilungder Guumlter eine solche Analogie d h Proportionalitaumlt (die soge-nannte γεωμετρικ2 ναλογα 1131b12 f) besteht die keinem mehroder weniger gibt als er tatsaumlchlich verdient Denn das Gerechte istetwas Analoges also Proportionales (1131a29 στιν 0ρα τ) δκαι-ον νλογν τι)36 und liegt in der Mitte zwischen dem δικε1ν (Unrecht tun) und dem δικε1σθαι (Unrecht leiden) Beide diese

55Aspekte der Megalopsychia bei Aristoteles (EN 43)

35) Zu dem Gerechtigkeitsbegriff bei Aristoteles vgl z B W F R HardieAristotlersquos Ethical Theory Oxford 1968 21980 189ndash198 T H Irwin AristotlersquosFirst Principles Oxford 1988 427ndash429 G Bien Gerechtigkeit bei Aristoteles inO Houmlffe (Hrsg) Aristoteles Die Nikomachische Ethik Berlin 1995 135ndash164M Pakaluk Aristotlersquos Nicomachean Ethics Cambridge 2005 181ndash205

36) Zu einer impliziten Anwendung des διανεμητικ)ν δκαιον bei der Ari-stotelischen Behandlung der Philia siehe 1165a14ndash18 Qτι μampν οJν ο9 τα9τ5 πσινποδοτον ο9δamp τU πατρ7 πντα καθπερ ο9δamp τU Δι7 θεται ο9κ 0δηλον πε7 δ-Dτερα γονε$σι κα7 δελφο1ς κα7 (ταροις κα7 ε9εργταις (κστοις τ5 οEκε1α κα7 τ5Wρμττοντα πονεμητον Vgl auch 1165a30ndash32 κα7 συγγενσι δamp κα7 φυλταις κα7πολταις κα7 το1ς λοιπο1ς Pπασιν ε7 πειρατον τ) οEκε1ον πονμειν

Extreme sind Formen der Ungerechtigkeit (δικα)37 Wer sich zuviel vom Guten aneignet ohne es wirklich zu verdienen der tut Un-recht waumlhrend derjenige der zu wenig davon bekommt obwohl eres verdienen wuumlrde Unrecht leidet Der Gerechte (δκαιος) verteiltob er selber involviert ist oder nicht das proportional Gleiche (δια-νεμητικ)ς το$ Xσου το$ κατ- ναλογαν vgl 1134a3ndash6)38

Es wird deutlich auch wenn Aristoteles keine Ausfuumlhrungendaruumlber macht daszlig die Megalopsychia eine spezifische Art desδιανεμητικ)ν δκαιον konstituiert Sie liegt wie bereits ausgefuumlhrtin der richtigen Mitte zwischen der χαυντης (einen zu hohen Anspruch haben der dem objektiven Wert der Person nicht ent-spricht) und der Mikropsychia (zu niedrige Anspruumlche trotz hohen Wertes haben) Die χαυντης bildet also eine Form desδικε1ν und die Mikropsychia eine Form des δικε1σθαι Die da-zwischen liegende δικαιοπραγα ist die Tugend der MegalopsychiaDaher sollte es nicht verwundern und nicht als arrogant erschei-nen daszlig der Megalopsychos sich nicht allzu sehr uumlber die Ehrun-gen die ihm erwiesen werden freut Denn er denkt ja daszlig er sieverdient beziehungsweise daszlig es gerecht ist daszlig er sie empfaumlngtUnd so wie die Gerechtigkeit gemaumlszlig Aristoteles eine τελεα ρετist (1129b25 f) so muszlig man auch die vollkommene Tugend besit-zen wie verlangt um Megalopsychos sein zu koumlnnen (1124a28 f)Nur mit dem Unterschied daszlig die Megalopsychia unmittelbar we-der die Beziehung der Buumlrger untereinander also das Verhaumlltniszwischen verschiedenen Individuen regelt noch die Haltung derGesellschaft als Institution ihren Mitgliedern gegenuumlber betrifftsondern urspruumlnglich das Verhaumlltnis d h die Lebenshaltung desIndividuums zu sich selbst bestimmt Wenn jedoch eine so ver-standene urspruumlnglich personale Gerechtigkeit in der Form dersbquoegoistischenlsquo Megalopsychia spaumlter auch bei mehreren Individuen

56 Mar i a L ia t s i

37) Vgl 1133b30ndash34 6 δικαιοπραγα μσον στ7 το$ δικε1ν κα7 δι-κε1σθαι τ) μampν γ5ρ πλον χειν τ) δ- λαττν στιν 6 δamp δικαιοσνη μεστης τςστιν ο9 τ)ν α9τ)ν δamp τρπον τα1ς 0λλαις ρετα1ς λλ- Qτι μσου στν 6 δ- δικατ+ν 0κρων

38) Das Prinzip der bdquoausteilenden Gerechtigkeitldquo existiert im wesentlichenlaumlngst wenn auch nicht als Terminus technicus und wird zur Anwendung gebrachtin der griechischen Gesellschaft so z B bereits in der Ilias bei dem δκη-BegriffVgl dazu E A Havelock The Greek Concept of Justice from its Shadow in Homerto its Substance in Plato Harvard 1978 Vgl auch Platon Politeia 1 332c1ndash2 Σι-μωνδης [ ] διενοε1το μampν γρ ς φανεται Qτι το$τ- εXη δκαιον τ) προσκον(κστ[ ποδιδναι

beziehungsweise Buumlrgern erfolgen wuumlrde dann wuumlrde man ja auchvon einem perfekt gerechten sittlich idealen Staat sprechen koumln-nen Es wird deutlich daszlig die viel miszligachtete beziehungsweise ver-achtete Megalopsychia in Wirklichkeit eng verbunden ist mit derhochgepriesenen Kardinaltugend der Gerechtigkeit

V

In Anal Post 213 97b15 ff fuumlhrt Aristoteles bei seinem Ver-such die Definition des Begriffes der Megalopsychia zu formulie-ren unter anderem zwei Beispiele aus der Homerischen Welt an denAchilleus und den Aias Denn beide haben nach Aristoteles etwasgemeinsam Sie ertragen es nicht daszlig ihre Ehre beleidigt und be-schaumldigt wird (97b19 τ) μ2 νχεσθαι βριζμενοι) Es ist natuumlr-lich kein Zufall daszlig Aristoteles diese wohlbekannten Helden alscharakteristische Paradigmen fuumlr die Megalopsychia verwendetWenn es um Ehre geht geschweige denn wenn es um verletzte Ehregeht dann sind Achilleus und Aias in der griechischen TraditionBeispiele par excellence Der eine droht voller Wut das gesamtegriechische Heer in die Vernichtung zu fuumlhren weil Agamemnondurch das Wegnehmen der Briseis seine Ehre herabgesetzt be-ziehungsweise seinen Status nicht angemessen anerkannt hat Derandere entscheidet und versucht die Atriden Agamemnon undMenelaos zu toumlten weil sie ihm die Waffen des Achilleus nicht ge-geben d h ebenfalls seine Ehre verletzt und seinen hohen Wertnicht entsprechend respektiert haben Als er sein Ziel verfehlt toumlteter sich selbst Warum tauchen sie nicht in den ethischen Schriften desAristoteles im Kontext der Megalopsychia-Besprechung auf

Achilleus und Aias sind charakterisiert durch eine bdquoradikaleIndividualitaumltldquo39 und durch ein extremes Verhalten ein Uumlbertrei-ben Es mag sein daszlig diese Helden durch ein monomanischesmaszligloses Verhalten ihre heroische Identitaumlt bewahren beziehungs-weise dem ethischen Kodex und Wertesystem ihrer Zeit entspre-chen Sonst erschiene ihr Leben wohl nicht mehr sbquogutlsquo und nichtmehr lebenswert40 Sonst wuumlrden sie sich selbst verlieren sich

57Aspekte der Megalopsychia bei Aristoteles (EN 43)

39) H Weinstock Sophokles Wuppertal 31948 6040) Vgl z B Sophokles Aias 479ndash480 λλ- καλ+ς ζν καλ+ς τε-

θνηκναι τ)ν ε9γεν χρ

selbst und ihr Wertebewuszligtsein aufgeben Es mag auch sein daszligsie in ihrem Sinne genau das Richtige tun selbst wenn dies ego-istisch und maszliglos erscheint da sie sich ja durch ihre Taten prak-tisch gegen die Gemeinschaft richten Das waumlre ein anderes ThemaSicher ist jedoch Das Uumlbertriebene Exaltierte ihres Verhaltenswaumlre im Rahmen des Aristotelischen Wertesystems tadelnswertBeide Helden verfuumlgen uumlber die Homerische Tugend und sindzwar γαθο und 0ριστοι41 aufgrund der Werte ihre r Zeit42 abersie sind nicht ς ληθ+ς γαθο also nicht γαθο im Aristo-telischen Sinne Achilleusrsquo und Aiasrsquo Handlungen beziehen sichvor allem auf ihre persoumlnliche Ehre beziehungsweise auf ihr per-soumlnliches Interesse nicht auf das Gemeinwohl Aber genau diesesdas angemessene Verhalten im Hinblick auf die Gemeinschaft unddie Teilnahme daran sind bei Aristoteles notwendige Vorausset-zungen des γαθς43

Auch die Phronesis diese zentrale dianoetische Tugend dienach Aristoteles immer jede ethische Tugend begleiten soll um wie eine Lampe den richtig gewaumlhlten Weg zu beleuchten44 ist beidiesen Helden in eklatanter Weise abwesend Und es steht auszligerZweifel γαθς zu sein ohne uumlber Phronesis zu verfuumlgen ist nachAristoteles nicht moumlglich Es gilt aber auch das Umgekehrte45 Die-se Helden sind nicht bdquounbeherrschtldquo (κρατε1ς) im AristotelischenSinne46 freilich auch nicht bdquobeherrschtldquo (γκρατε1ς) aber sie sindauch nicht bdquoschlechtldquo (φα$λοι ndash κλαστοι) Sie stehen auszligerhalbdieser ethischen Kategorien des Aristoteles und sind von daher ge-sehen ein Anachronismus

58 Mar i a L ia t s i

41) Vgl z B Ilias 2768ndash770 νδρ+ν αJ μγ- 0ριστος ην ΤελαμAνιος ΑXας ^φρ- _χιλεNς μνιεν γ5ρ πολN φρτατος `εν Rπποι θ- οa φορεσκον μνοναΠηλεωνα

42) Vgl hierzu auch Broadie Rowe (wie Anm 9) 2943) Vgl 1163b6ndash8 ο9 γ5ρ τιμται μηδampν γαθ)ν τU κοινU πορζων τ)

κοιν)ν γ5ρ δδοται τU τ) κοιν)ν ε9εργετο$ντι 6 τιμ2 δamp κοινν44) Vgl 1144a6ndash9 τ) ργον ποτελε1ται κατ5 τ2ν φρνησιν κα7 τ2ν cθικ2ν

ρετν 6 μampν γ5ρ ρετ2 τ)ν σκοπ)ν ποιε1 Iρθν 6 δamp φρνησις τ5 πρ)ς το$τον45) Vgl 1144b31 f ο9χ ον τε γαθ)ν ε3ναι κυρως 0νευ φρονσεως ο9δamp

φρνιμον 0νευ τς cθικς ρετς46) sbquoUnbeherrschtlsquo bei Aristoteles ist derjenige der wohl weiszlig was richtig

ist dem es aber nicht gelingt seine πθη durch seine Vernunft zu kontrollieren be-ziehungsweise zu beherrschen Das heiszligt es besteht ein Konflikt zwischen seinenTrieben und Wuumlnschen einerseits und seiner Vernunft andererseits die am Schluszligdoch der sbquoVerliererlsquo ist Vgl 1111b13 f κα7 κρατ2ς πιθυμ+ν μampν πρττει προ-αιρομενος δ- ο9 1112a15 f 6 γ5ρ προαρεσις μετ5 λγου κα7 διανοας

Es wird nun klar warum Achilleus und Aias nicht Megalo -psychoi im streng ethischen beziehungsweise moralischen Sinnedes Aristotelischen Wertekanons sind Denn sie besitzen nicht alleanderen ethischen Tugenden Im ethischen Kontext der Aristoteli-schen Ausfuumlhrungen wuumlrden sie wenn sie vorkaumlmen als Gegen-Beispiele fungieren muumlssen d h sie haumltten eine antiparadigmati-sche Funktion Sie wuumlrden zitiert werden als solche die eben nichtwahrhaft Megalopsychoi sind

Man koumlnnte also nicht ohne Skepsis dem Achilleus und demAias diejenigen Eigenschaften zuschreiben die Aristoteles demMegalopsychos in der Nikomachischen Ethik zuschreibt47 undebensowenig umgekehrt versuchen den Megalopsychos der Niko-machischen Ethik mit diesen heroischen Figuren zu identifizieren

Schluszligbemerkung

Aristoteles orientiert sich bei seiner Behandlung der ethischenTugend der Megalopsychia in der Nikomachischen Ethik nur bis zu einem gewissen Grad an der Meinung der Vielen Er korrigiertdie oberflaumlchliche allgemein verbreitete Ansicht daszlig die Ehre dasEndziel des politischen Lebens ist aber er nimmt sie als das groumlszlig-te der aumluszligeren Guumlter an Er akzeptiert daszlig der 0ριστος sich be-rechtigterweise gemaumlszlig seiner ξα der groumlszligten Ehre fuumlr wert haumlltaber er gibt der ξα und somit auch den Begriffen der Tugend unddes γαθς beziehungsweise des 0ριστος einen neuen ethischenInhalt Megalopsychos ist und kann nur der ς ληθ+ς γαθςsein Megalopsychia ist eine zutiefst griechische Tugend und re-praumlsentativ fuumlr die gesamte antike griechische Denkweise Diechristlich gepraumlgte Mentalitaumlt kann sie nur schwer begreifen undnoch schwerer akzeptieren Anders das bei den Griechen verbrei-tete Denken Wenn man der Beste ist muszlig man sich dessen auchbewuszligt sein muszlig man es vor allem zeigen und sich entsprechendverhalten Die Megalopsychia ist insoweit auch eine Form desSelbstbewuszligtseins und der Selbsterkenntnis Daher erscheint esnatuumlrlich und gerecht das Beste und werthaltigste Gut naumlmlich dieEhre fuumlr sich in Anspruch zu nehmen wenn die Voraussetzungen

59Aspekte der Megalopsychia bei Aristoteles (EN 43)

47) So wie z B O Hellmann Aristoteles und Achilleus Der poetische Heldaus der Sicht des Philosophen in Althoff (wie Anm 1) 27ndash41 bes 35ndash38

dafuumlr die Aristoteles alle ausdruumlcklich benennt bei einem Men-schen gegeben sind Nur auf diese Weise nur wenn man Megalo -psychos ist kann man wirklich und vollkommen ε9δαμων wer-den Bescheidenheit waumlre hier also fehl am Platz und wuumlrde derPflicht die der Mensch gegenuumlber sich selbst hat widersprechenund damit auch der Selbstverwirklichung die Aristoteles sbquoEudai-monialsquo nennt48

Ioannina Mar i a L ia t s i

60 Mar i a L ia t s i

48) Aristoteles formuliert mit diesem Gedanken eine Auffassung und nimmtmit diesem Punkt seiner Ethik eine Lehre vorweg die erst im Zuge der europaumlischenAufklaumlrung naumlmlich von Kant zu einer grundlegenden Bestimmung der Moral-philosophie gemacht worden ist naumlmlich daszlig der Mensch nicht nur Pflichten gegenandere sondern auch Pflichten gegen sich selbst hat und daszlig er auch in diesem Sinne das heiszligt durch Verletzung derselben schuldig werden kann gegenuumlber undan sich selbst Aristoteles hat mit seinem Begriff des Megalopsychos und der Me-galopsychia diese Unterscheidung Kants auf geniale Weise vorweggenommen VglImmanuel Kant Metaphysik der Sitten Zweiter Teil Metaphysische Anfangsgruumln-de der Tugendlehre I Ethische Elementarlehre 1 Teil Von den Pflichten gegen sichselbst 261ndash302 2 Teil Von den Tugendpflichten gegen andere 303ndash337 Hrsg vonKarl Vorlaumlnder Philosophische Bibliothek Bd 42 Hamburg 1922

einen Anteil ndash nach Moumlglichkeit einen groszligen ndash an dem goumlttlichenLebensmodus hat33 Da die Menschen die groumlszligten Ehrungen denGoumlttern darbieten ruumlckt ein Mensch in die Naumlhe der Goumltter undlebt sozusagen ein goumltteraumlhnliches Leben wenn er sehr groszlige Ehreempfaumlngt34 Die Voraussetzung dafuumlr ist daszlig man wirklich γαθςist denn κατ- λθειαν δ- γαθ)ς μνος τιμητς (1124a25) Da-her muszlig ein Mensch Megalopsychos sein wenn er den Wunschhat den Goumlttern irgendwie aumlhnlich zu sein

Nach Aristoteles sollte der Mensch sich nicht nur mit denmenschlichen beziehungsweise sterblichen Angelegenheiten befas-sen sondern soweit es ihm moumlglich ist sich unsterblich machen(φ- Qσον νδχεται θανατζειν) und alles tun um ein solches Leben zu haben das gemaumlszlig dem in sich Houmlchsten beziehungs weiseBesten gefuumlhrt wird (vgl 1177b31ndash34) Das Verlangen nach ver-dienter groszliger Ehre d h die Megalopsychia ist also gemaumlszlig denobigen Ausfuumlhrungen eine Form des Strebens nach Unsterblich-keit

IV

Die Megalopsychia erscheint auf den ersten Blick als einehoch individuelle Tugend da sie eben eine Selbst-Einschaumltzungeine Selbst-Erkenntnis eine Selbst-Bewertung ein Selbst-Bewuszligt-sein kurzum eine bestimmte Art der Selbst-Beziehung konsti -tuiert Gleichzeitig ist sie wie wir zeigen wollen eine bestimmteForm von Gerechtigkeit eine Gerechtigkeit gegenuumlber sich selbst

Die Gerechtigkeit ist die Tugend der angemessenen Vertei-lung im weitesten Sinne mithin eine soziale Tugend Sie bildet deswegen ein sogenanntes bdquofremdes Gutldquo (1130a3 f λλτριονγαθ)ν δοκε1 ε3ναι 6 δικαιοσνη vgl 1134b5 f) ein Gut das sichvor allem auf andere bezieht und als Maszligstab fuumlr ein geregeltes Zusammenleben dient

54 Mar i a L ia t s i

33) Da der Gott also nach Aristoteles durch seine θεωρητικ2 νργεια gekennzeichnet wird (1178b21 f) muszlig die vorzuumlglichste Lebensform beziehungs-weise die vollkommene Eudaimonia (6 τελεα ε9δαιμονα) eine Art θεωρητικ2νργεια sein (1178b7 f) Daher hierarchisiert er den βος θεωρητικς als die houmlchst-moumlgliche Lebensform

34) Zu dieser Einstellung vgl bereits Homer Ilias 9155 οR κ ( δωτνSσιθε)ν Tς τιμσουσι Auch Odyssee 11484 τομεν 3σα θεο1σιν

Gerechtigkeit kann nach Aristoteles verschiedene Bedeutun-gen haben35 und entsprechend wird sie in zwei groszlige Kategorieneingeteilt in die bdquoallgemeineldquo (καθ- Qλον) und in die bdquopartikulareldquo(κατ5 μρος) Gerechtigkeit (vgl 1130b6ndash29) Die zweite wird wiederum in zwei Subkategorien unterteilt in das διανεμητικ)νδκαιον (bdquoausteilendeldquo oder bdquodistributive Gerechtigkeitldquo) und indas διορθωτικ)ν δκαιον (bdquokorrektive Gerechtigkeitldquo) (1130b31ndash1131a1 τ) ν τα1ς διανομα1ς τιμς χρημτων τ+ν 0λλων Qσαμεριστ5 το1ς κοινωνο$σι τς πολιτεας und τ) ν το1ς συναλ-λγμασι διορθωτικν) Es gibt nach Aristoteles auch eine dritteArt von Gerechtigkeit τ) ν τα1ς κοινωναις τα1ς λλακτικα1ς[scil δκαιον] (1132b31 f) die den Tausch von Waren betrifft dieman bdquoausgleichende Gerechtigkeitldquo nennen kann

Hier wollen wir uns auf die bdquoausteilende Gerechtigkeitldquo be-schraumlnken Maszligstab und normatives Leitprinzip fuumlr diese also fuumlrdas διανεμητικ)ν δκαιον ist jedem κατ- ξαν also jedem nachseinem Wert und nicht jedem das Gleiche (1131a25ndash27 τ) γ5ρδκαιον ν τα1ς νομα1ς μολογο$σι πντες κατ- ξαν τιν5 δε1νε3ναι τ2ν μντοι ξαν ο9 τ2ν α9τ2ν λγουσι πντες) Das Verhaumllt-nis von Guumltern und Wert bei der Person A muszlig dem Verhaumlltnis vonGuumltern und Wert bei der Person B entsprechen und zwar in Ab-haumlngigkeit des jeweiligen Wertes (ξα) von A und B Das διανε-μητικ)ν δκαιον wird richtig angewendet wenn bei der Verteilungder Guumlter eine solche Analogie d h Proportionalitaumlt (die soge-nannte γεωμετρικ2 ναλογα 1131b12 f) besteht die keinem mehroder weniger gibt als er tatsaumlchlich verdient Denn das Gerechte istetwas Analoges also Proportionales (1131a29 στιν 0ρα τ) δκαι-ον νλογν τι)36 und liegt in der Mitte zwischen dem δικε1ν (Unrecht tun) und dem δικε1σθαι (Unrecht leiden) Beide diese

55Aspekte der Megalopsychia bei Aristoteles (EN 43)

35) Zu dem Gerechtigkeitsbegriff bei Aristoteles vgl z B W F R HardieAristotlersquos Ethical Theory Oxford 1968 21980 189ndash198 T H Irwin AristotlersquosFirst Principles Oxford 1988 427ndash429 G Bien Gerechtigkeit bei Aristoteles inO Houmlffe (Hrsg) Aristoteles Die Nikomachische Ethik Berlin 1995 135ndash164M Pakaluk Aristotlersquos Nicomachean Ethics Cambridge 2005 181ndash205

36) Zu einer impliziten Anwendung des διανεμητικ)ν δκαιον bei der Ari-stotelischen Behandlung der Philia siehe 1165a14ndash18 Qτι μampν οJν ο9 τα9τ5 πσινποδοτον ο9δamp τU πατρ7 πντα καθπερ ο9δamp τU Δι7 θεται ο9κ 0δηλον πε7 δ-Dτερα γονε$σι κα7 δελφο1ς κα7 (ταροις κα7 ε9εργταις (κστοις τ5 οEκε1α κα7 τ5Wρμττοντα πονεμητον Vgl auch 1165a30ndash32 κα7 συγγενσι δamp κα7 φυλταις κα7πολταις κα7 το1ς λοιπο1ς Pπασιν ε7 πειρατον τ) οEκε1ον πονμειν

Extreme sind Formen der Ungerechtigkeit (δικα)37 Wer sich zuviel vom Guten aneignet ohne es wirklich zu verdienen der tut Un-recht waumlhrend derjenige der zu wenig davon bekommt obwohl eres verdienen wuumlrde Unrecht leidet Der Gerechte (δκαιος) verteiltob er selber involviert ist oder nicht das proportional Gleiche (δια-νεμητικ)ς το$ Xσου το$ κατ- ναλογαν vgl 1134a3ndash6)38

Es wird deutlich auch wenn Aristoteles keine Ausfuumlhrungendaruumlber macht daszlig die Megalopsychia eine spezifische Art desδιανεμητικ)ν δκαιον konstituiert Sie liegt wie bereits ausgefuumlhrtin der richtigen Mitte zwischen der χαυντης (einen zu hohen Anspruch haben der dem objektiven Wert der Person nicht ent-spricht) und der Mikropsychia (zu niedrige Anspruumlche trotz hohen Wertes haben) Die χαυντης bildet also eine Form desδικε1ν und die Mikropsychia eine Form des δικε1σθαι Die da-zwischen liegende δικαιοπραγα ist die Tugend der MegalopsychiaDaher sollte es nicht verwundern und nicht als arrogant erschei-nen daszlig der Megalopsychos sich nicht allzu sehr uumlber die Ehrun-gen die ihm erwiesen werden freut Denn er denkt ja daszlig er sieverdient beziehungsweise daszlig es gerecht ist daszlig er sie empfaumlngtUnd so wie die Gerechtigkeit gemaumlszlig Aristoteles eine τελεα ρετist (1129b25 f) so muszlig man auch die vollkommene Tugend besit-zen wie verlangt um Megalopsychos sein zu koumlnnen (1124a28 f)Nur mit dem Unterschied daszlig die Megalopsychia unmittelbar we-der die Beziehung der Buumlrger untereinander also das Verhaumlltniszwischen verschiedenen Individuen regelt noch die Haltung derGesellschaft als Institution ihren Mitgliedern gegenuumlber betrifftsondern urspruumlnglich das Verhaumlltnis d h die Lebenshaltung desIndividuums zu sich selbst bestimmt Wenn jedoch eine so ver-standene urspruumlnglich personale Gerechtigkeit in der Form dersbquoegoistischenlsquo Megalopsychia spaumlter auch bei mehreren Individuen

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37) Vgl 1133b30ndash34 6 δικαιοπραγα μσον στ7 το$ δικε1ν κα7 δι-κε1σθαι τ) μampν γ5ρ πλον χειν τ) δ- λαττν στιν 6 δamp δικαιοσνη μεστης τςστιν ο9 τ)ν α9τ)ν δamp τρπον τα1ς 0λλαις ρετα1ς λλ- Qτι μσου στν 6 δ- δικατ+ν 0κρων

38) Das Prinzip der bdquoausteilenden Gerechtigkeitldquo existiert im wesentlichenlaumlngst wenn auch nicht als Terminus technicus und wird zur Anwendung gebrachtin der griechischen Gesellschaft so z B bereits in der Ilias bei dem δκη-BegriffVgl dazu E A Havelock The Greek Concept of Justice from its Shadow in Homerto its Substance in Plato Harvard 1978 Vgl auch Platon Politeia 1 332c1ndash2 Σι-μωνδης [ ] διενοε1το μampν γρ ς φανεται Qτι το$τ- εXη δκαιον τ) προσκον(κστ[ ποδιδναι

beziehungsweise Buumlrgern erfolgen wuumlrde dann wuumlrde man ja auchvon einem perfekt gerechten sittlich idealen Staat sprechen koumln-nen Es wird deutlich daszlig die viel miszligachtete beziehungsweise ver-achtete Megalopsychia in Wirklichkeit eng verbunden ist mit derhochgepriesenen Kardinaltugend der Gerechtigkeit

V

In Anal Post 213 97b15 ff fuumlhrt Aristoteles bei seinem Ver-such die Definition des Begriffes der Megalopsychia zu formulie-ren unter anderem zwei Beispiele aus der Homerischen Welt an denAchilleus und den Aias Denn beide haben nach Aristoteles etwasgemeinsam Sie ertragen es nicht daszlig ihre Ehre beleidigt und be-schaumldigt wird (97b19 τ) μ2 νχεσθαι βριζμενοι) Es ist natuumlr-lich kein Zufall daszlig Aristoteles diese wohlbekannten Helden alscharakteristische Paradigmen fuumlr die Megalopsychia verwendetWenn es um Ehre geht geschweige denn wenn es um verletzte Ehregeht dann sind Achilleus und Aias in der griechischen TraditionBeispiele par excellence Der eine droht voller Wut das gesamtegriechische Heer in die Vernichtung zu fuumlhren weil Agamemnondurch das Wegnehmen der Briseis seine Ehre herabgesetzt be-ziehungsweise seinen Status nicht angemessen anerkannt hat Derandere entscheidet und versucht die Atriden Agamemnon undMenelaos zu toumlten weil sie ihm die Waffen des Achilleus nicht ge-geben d h ebenfalls seine Ehre verletzt und seinen hohen Wertnicht entsprechend respektiert haben Als er sein Ziel verfehlt toumlteter sich selbst Warum tauchen sie nicht in den ethischen Schriften desAristoteles im Kontext der Megalopsychia-Besprechung auf

Achilleus und Aias sind charakterisiert durch eine bdquoradikaleIndividualitaumltldquo39 und durch ein extremes Verhalten ein Uumlbertrei-ben Es mag sein daszlig diese Helden durch ein monomanischesmaszligloses Verhalten ihre heroische Identitaumlt bewahren beziehungs-weise dem ethischen Kodex und Wertesystem ihrer Zeit entspre-chen Sonst erschiene ihr Leben wohl nicht mehr sbquogutlsquo und nichtmehr lebenswert40 Sonst wuumlrden sie sich selbst verlieren sich

57Aspekte der Megalopsychia bei Aristoteles (EN 43)

39) H Weinstock Sophokles Wuppertal 31948 6040) Vgl z B Sophokles Aias 479ndash480 λλ- καλ+ς ζν καλ+ς τε-

θνηκναι τ)ν ε9γεν χρ

selbst und ihr Wertebewuszligtsein aufgeben Es mag auch sein daszligsie in ihrem Sinne genau das Richtige tun selbst wenn dies ego-istisch und maszliglos erscheint da sie sich ja durch ihre Taten prak-tisch gegen die Gemeinschaft richten Das waumlre ein anderes ThemaSicher ist jedoch Das Uumlbertriebene Exaltierte ihres Verhaltenswaumlre im Rahmen des Aristotelischen Wertesystems tadelnswertBeide Helden verfuumlgen uumlber die Homerische Tugend und sindzwar γαθο und 0ριστοι41 aufgrund der Werte ihre r Zeit42 abersie sind nicht ς ληθ+ς γαθο also nicht γαθο im Aristo-telischen Sinne Achilleusrsquo und Aiasrsquo Handlungen beziehen sichvor allem auf ihre persoumlnliche Ehre beziehungsweise auf ihr per-soumlnliches Interesse nicht auf das Gemeinwohl Aber genau diesesdas angemessene Verhalten im Hinblick auf die Gemeinschaft unddie Teilnahme daran sind bei Aristoteles notwendige Vorausset-zungen des γαθς43

Auch die Phronesis diese zentrale dianoetische Tugend dienach Aristoteles immer jede ethische Tugend begleiten soll um wie eine Lampe den richtig gewaumlhlten Weg zu beleuchten44 ist beidiesen Helden in eklatanter Weise abwesend Und es steht auszligerZweifel γαθς zu sein ohne uumlber Phronesis zu verfuumlgen ist nachAristoteles nicht moumlglich Es gilt aber auch das Umgekehrte45 Die-se Helden sind nicht bdquounbeherrschtldquo (κρατε1ς) im AristotelischenSinne46 freilich auch nicht bdquobeherrschtldquo (γκρατε1ς) aber sie sindauch nicht bdquoschlechtldquo (φα$λοι ndash κλαστοι) Sie stehen auszligerhalbdieser ethischen Kategorien des Aristoteles und sind von daher ge-sehen ein Anachronismus

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41) Vgl z B Ilias 2768ndash770 νδρ+ν αJ μγ- 0ριστος ην ΤελαμAνιος ΑXας ^φρ- _χιλεNς μνιεν γ5ρ πολN φρτατος `εν Rπποι θ- οa φορεσκον μνοναΠηλεωνα

42) Vgl hierzu auch Broadie Rowe (wie Anm 9) 2943) Vgl 1163b6ndash8 ο9 γ5ρ τιμται μηδampν γαθ)ν τU κοινU πορζων τ)

κοιν)ν γ5ρ δδοται τU τ) κοιν)ν ε9εργετο$ντι 6 τιμ2 δamp κοινν44) Vgl 1144a6ndash9 τ) ργον ποτελε1ται κατ5 τ2ν φρνησιν κα7 τ2ν cθικ2ν

ρετν 6 μampν γ5ρ ρετ2 τ)ν σκοπ)ν ποιε1 Iρθν 6 δamp φρνησις τ5 πρ)ς το$τον45) Vgl 1144b31 f ο9χ ον τε γαθ)ν ε3ναι κυρως 0νευ φρονσεως ο9δamp

φρνιμον 0νευ τς cθικς ρετς46) sbquoUnbeherrschtlsquo bei Aristoteles ist derjenige der wohl weiszlig was richtig

ist dem es aber nicht gelingt seine πθη durch seine Vernunft zu kontrollieren be-ziehungsweise zu beherrschen Das heiszligt es besteht ein Konflikt zwischen seinenTrieben und Wuumlnschen einerseits und seiner Vernunft andererseits die am Schluszligdoch der sbquoVerliererlsquo ist Vgl 1111b13 f κα7 κρατ2ς πιθυμ+ν μampν πρττει προ-αιρομενος δ- ο9 1112a15 f 6 γ5ρ προαρεσις μετ5 λγου κα7 διανοας

Es wird nun klar warum Achilleus und Aias nicht Megalo -psychoi im streng ethischen beziehungsweise moralischen Sinnedes Aristotelischen Wertekanons sind Denn sie besitzen nicht alleanderen ethischen Tugenden Im ethischen Kontext der Aristoteli-schen Ausfuumlhrungen wuumlrden sie wenn sie vorkaumlmen als Gegen-Beispiele fungieren muumlssen d h sie haumltten eine antiparadigmati-sche Funktion Sie wuumlrden zitiert werden als solche die eben nichtwahrhaft Megalopsychoi sind

Man koumlnnte also nicht ohne Skepsis dem Achilleus und demAias diejenigen Eigenschaften zuschreiben die Aristoteles demMegalopsychos in der Nikomachischen Ethik zuschreibt47 undebensowenig umgekehrt versuchen den Megalopsychos der Niko-machischen Ethik mit diesen heroischen Figuren zu identifizieren

Schluszligbemerkung

Aristoteles orientiert sich bei seiner Behandlung der ethischenTugend der Megalopsychia in der Nikomachischen Ethik nur bis zu einem gewissen Grad an der Meinung der Vielen Er korrigiertdie oberflaumlchliche allgemein verbreitete Ansicht daszlig die Ehre dasEndziel des politischen Lebens ist aber er nimmt sie als das groumlszlig-te der aumluszligeren Guumlter an Er akzeptiert daszlig der 0ριστος sich be-rechtigterweise gemaumlszlig seiner ξα der groumlszligten Ehre fuumlr wert haumlltaber er gibt der ξα und somit auch den Begriffen der Tugend unddes γαθς beziehungsweise des 0ριστος einen neuen ethischenInhalt Megalopsychos ist und kann nur der ς ληθ+ς γαθςsein Megalopsychia ist eine zutiefst griechische Tugend und re-praumlsentativ fuumlr die gesamte antike griechische Denkweise Diechristlich gepraumlgte Mentalitaumlt kann sie nur schwer begreifen undnoch schwerer akzeptieren Anders das bei den Griechen verbrei-tete Denken Wenn man der Beste ist muszlig man sich dessen auchbewuszligt sein muszlig man es vor allem zeigen und sich entsprechendverhalten Die Megalopsychia ist insoweit auch eine Form desSelbstbewuszligtseins und der Selbsterkenntnis Daher erscheint esnatuumlrlich und gerecht das Beste und werthaltigste Gut naumlmlich dieEhre fuumlr sich in Anspruch zu nehmen wenn die Voraussetzungen

59Aspekte der Megalopsychia bei Aristoteles (EN 43)

47) So wie z B O Hellmann Aristoteles und Achilleus Der poetische Heldaus der Sicht des Philosophen in Althoff (wie Anm 1) 27ndash41 bes 35ndash38

dafuumlr die Aristoteles alle ausdruumlcklich benennt bei einem Men-schen gegeben sind Nur auf diese Weise nur wenn man Megalo -psychos ist kann man wirklich und vollkommen ε9δαμων wer-den Bescheidenheit waumlre hier also fehl am Platz und wuumlrde derPflicht die der Mensch gegenuumlber sich selbst hat widersprechenund damit auch der Selbstverwirklichung die Aristoteles sbquoEudai-monialsquo nennt48

Ioannina Mar i a L ia t s i

60 Mar i a L ia t s i

48) Aristoteles formuliert mit diesem Gedanken eine Auffassung und nimmtmit diesem Punkt seiner Ethik eine Lehre vorweg die erst im Zuge der europaumlischenAufklaumlrung naumlmlich von Kant zu einer grundlegenden Bestimmung der Moral-philosophie gemacht worden ist naumlmlich daszlig der Mensch nicht nur Pflichten gegenandere sondern auch Pflichten gegen sich selbst hat und daszlig er auch in diesem Sinne das heiszligt durch Verletzung derselben schuldig werden kann gegenuumlber undan sich selbst Aristoteles hat mit seinem Begriff des Megalopsychos und der Me-galopsychia diese Unterscheidung Kants auf geniale Weise vorweggenommen VglImmanuel Kant Metaphysik der Sitten Zweiter Teil Metaphysische Anfangsgruumln-de der Tugendlehre I Ethische Elementarlehre 1 Teil Von den Pflichten gegen sichselbst 261ndash302 2 Teil Von den Tugendpflichten gegen andere 303ndash337 Hrsg vonKarl Vorlaumlnder Philosophische Bibliothek Bd 42 Hamburg 1922

Gerechtigkeit kann nach Aristoteles verschiedene Bedeutun-gen haben35 und entsprechend wird sie in zwei groszlige Kategorieneingeteilt in die bdquoallgemeineldquo (καθ- Qλον) und in die bdquopartikulareldquo(κατ5 μρος) Gerechtigkeit (vgl 1130b6ndash29) Die zweite wird wiederum in zwei Subkategorien unterteilt in das διανεμητικ)νδκαιον (bdquoausteilendeldquo oder bdquodistributive Gerechtigkeitldquo) und indas διορθωτικ)ν δκαιον (bdquokorrektive Gerechtigkeitldquo) (1130b31ndash1131a1 τ) ν τα1ς διανομα1ς τιμς χρημτων τ+ν 0λλων Qσαμεριστ5 το1ς κοινωνο$σι τς πολιτεας und τ) ν το1ς συναλ-λγμασι διορθωτικν) Es gibt nach Aristoteles auch eine dritteArt von Gerechtigkeit τ) ν τα1ς κοινωναις τα1ς λλακτικα1ς[scil δκαιον] (1132b31 f) die den Tausch von Waren betrifft dieman bdquoausgleichende Gerechtigkeitldquo nennen kann

Hier wollen wir uns auf die bdquoausteilende Gerechtigkeitldquo be-schraumlnken Maszligstab und normatives Leitprinzip fuumlr diese also fuumlrdas διανεμητικ)ν δκαιον ist jedem κατ- ξαν also jedem nachseinem Wert und nicht jedem das Gleiche (1131a25ndash27 τ) γ5ρδκαιον ν τα1ς νομα1ς μολογο$σι πντες κατ- ξαν τιν5 δε1νε3ναι τ2ν μντοι ξαν ο9 τ2ν α9τ2ν λγουσι πντες) Das Verhaumllt-nis von Guumltern und Wert bei der Person A muszlig dem Verhaumlltnis vonGuumltern und Wert bei der Person B entsprechen und zwar in Ab-haumlngigkeit des jeweiligen Wertes (ξα) von A und B Das διανε-μητικ)ν δκαιον wird richtig angewendet wenn bei der Verteilungder Guumlter eine solche Analogie d h Proportionalitaumlt (die soge-nannte γεωμετρικ2 ναλογα 1131b12 f) besteht die keinem mehroder weniger gibt als er tatsaumlchlich verdient Denn das Gerechte istetwas Analoges also Proportionales (1131a29 στιν 0ρα τ) δκαι-ον νλογν τι)36 und liegt in der Mitte zwischen dem δικε1ν (Unrecht tun) und dem δικε1σθαι (Unrecht leiden) Beide diese

55Aspekte der Megalopsychia bei Aristoteles (EN 43)

35) Zu dem Gerechtigkeitsbegriff bei Aristoteles vgl z B W F R HardieAristotlersquos Ethical Theory Oxford 1968 21980 189ndash198 T H Irwin AristotlersquosFirst Principles Oxford 1988 427ndash429 G Bien Gerechtigkeit bei Aristoteles inO Houmlffe (Hrsg) Aristoteles Die Nikomachische Ethik Berlin 1995 135ndash164M Pakaluk Aristotlersquos Nicomachean Ethics Cambridge 2005 181ndash205

36) Zu einer impliziten Anwendung des διανεμητικ)ν δκαιον bei der Ari-stotelischen Behandlung der Philia siehe 1165a14ndash18 Qτι μampν οJν ο9 τα9τ5 πσινποδοτον ο9δamp τU πατρ7 πντα καθπερ ο9δamp τU Δι7 θεται ο9κ 0δηλον πε7 δ-Dτερα γονε$σι κα7 δελφο1ς κα7 (ταροις κα7 ε9εργταις (κστοις τ5 οEκε1α κα7 τ5Wρμττοντα πονεμητον Vgl auch 1165a30ndash32 κα7 συγγενσι δamp κα7 φυλταις κα7πολταις κα7 το1ς λοιπο1ς Pπασιν ε7 πειρατον τ) οEκε1ον πονμειν

Extreme sind Formen der Ungerechtigkeit (δικα)37 Wer sich zuviel vom Guten aneignet ohne es wirklich zu verdienen der tut Un-recht waumlhrend derjenige der zu wenig davon bekommt obwohl eres verdienen wuumlrde Unrecht leidet Der Gerechte (δκαιος) verteiltob er selber involviert ist oder nicht das proportional Gleiche (δια-νεμητικ)ς το$ Xσου το$ κατ- ναλογαν vgl 1134a3ndash6)38

Es wird deutlich auch wenn Aristoteles keine Ausfuumlhrungendaruumlber macht daszlig die Megalopsychia eine spezifische Art desδιανεμητικ)ν δκαιον konstituiert Sie liegt wie bereits ausgefuumlhrtin der richtigen Mitte zwischen der χαυντης (einen zu hohen Anspruch haben der dem objektiven Wert der Person nicht ent-spricht) und der Mikropsychia (zu niedrige Anspruumlche trotz hohen Wertes haben) Die χαυντης bildet also eine Form desδικε1ν und die Mikropsychia eine Form des δικε1σθαι Die da-zwischen liegende δικαιοπραγα ist die Tugend der MegalopsychiaDaher sollte es nicht verwundern und nicht als arrogant erschei-nen daszlig der Megalopsychos sich nicht allzu sehr uumlber die Ehrun-gen die ihm erwiesen werden freut Denn er denkt ja daszlig er sieverdient beziehungsweise daszlig es gerecht ist daszlig er sie empfaumlngtUnd so wie die Gerechtigkeit gemaumlszlig Aristoteles eine τελεα ρετist (1129b25 f) so muszlig man auch die vollkommene Tugend besit-zen wie verlangt um Megalopsychos sein zu koumlnnen (1124a28 f)Nur mit dem Unterschied daszlig die Megalopsychia unmittelbar we-der die Beziehung der Buumlrger untereinander also das Verhaumlltniszwischen verschiedenen Individuen regelt noch die Haltung derGesellschaft als Institution ihren Mitgliedern gegenuumlber betrifftsondern urspruumlnglich das Verhaumlltnis d h die Lebenshaltung desIndividuums zu sich selbst bestimmt Wenn jedoch eine so ver-standene urspruumlnglich personale Gerechtigkeit in der Form dersbquoegoistischenlsquo Megalopsychia spaumlter auch bei mehreren Individuen

56 Mar i a L ia t s i

37) Vgl 1133b30ndash34 6 δικαιοπραγα μσον στ7 το$ δικε1ν κα7 δι-κε1σθαι τ) μampν γ5ρ πλον χειν τ) δ- λαττν στιν 6 δamp δικαιοσνη μεστης τςστιν ο9 τ)ν α9τ)ν δamp τρπον τα1ς 0λλαις ρετα1ς λλ- Qτι μσου στν 6 δ- δικατ+ν 0κρων

38) Das Prinzip der bdquoausteilenden Gerechtigkeitldquo existiert im wesentlichenlaumlngst wenn auch nicht als Terminus technicus und wird zur Anwendung gebrachtin der griechischen Gesellschaft so z B bereits in der Ilias bei dem δκη-BegriffVgl dazu E A Havelock The Greek Concept of Justice from its Shadow in Homerto its Substance in Plato Harvard 1978 Vgl auch Platon Politeia 1 332c1ndash2 Σι-μωνδης [ ] διενοε1το μampν γρ ς φανεται Qτι το$τ- εXη δκαιον τ) προσκον(κστ[ ποδιδναι

beziehungsweise Buumlrgern erfolgen wuumlrde dann wuumlrde man ja auchvon einem perfekt gerechten sittlich idealen Staat sprechen koumln-nen Es wird deutlich daszlig die viel miszligachtete beziehungsweise ver-achtete Megalopsychia in Wirklichkeit eng verbunden ist mit derhochgepriesenen Kardinaltugend der Gerechtigkeit

V

In Anal Post 213 97b15 ff fuumlhrt Aristoteles bei seinem Ver-such die Definition des Begriffes der Megalopsychia zu formulie-ren unter anderem zwei Beispiele aus der Homerischen Welt an denAchilleus und den Aias Denn beide haben nach Aristoteles etwasgemeinsam Sie ertragen es nicht daszlig ihre Ehre beleidigt und be-schaumldigt wird (97b19 τ) μ2 νχεσθαι βριζμενοι) Es ist natuumlr-lich kein Zufall daszlig Aristoteles diese wohlbekannten Helden alscharakteristische Paradigmen fuumlr die Megalopsychia verwendetWenn es um Ehre geht geschweige denn wenn es um verletzte Ehregeht dann sind Achilleus und Aias in der griechischen TraditionBeispiele par excellence Der eine droht voller Wut das gesamtegriechische Heer in die Vernichtung zu fuumlhren weil Agamemnondurch das Wegnehmen der Briseis seine Ehre herabgesetzt be-ziehungsweise seinen Status nicht angemessen anerkannt hat Derandere entscheidet und versucht die Atriden Agamemnon undMenelaos zu toumlten weil sie ihm die Waffen des Achilleus nicht ge-geben d h ebenfalls seine Ehre verletzt und seinen hohen Wertnicht entsprechend respektiert haben Als er sein Ziel verfehlt toumlteter sich selbst Warum tauchen sie nicht in den ethischen Schriften desAristoteles im Kontext der Megalopsychia-Besprechung auf

Achilleus und Aias sind charakterisiert durch eine bdquoradikaleIndividualitaumltldquo39 und durch ein extremes Verhalten ein Uumlbertrei-ben Es mag sein daszlig diese Helden durch ein monomanischesmaszligloses Verhalten ihre heroische Identitaumlt bewahren beziehungs-weise dem ethischen Kodex und Wertesystem ihrer Zeit entspre-chen Sonst erschiene ihr Leben wohl nicht mehr sbquogutlsquo und nichtmehr lebenswert40 Sonst wuumlrden sie sich selbst verlieren sich

57Aspekte der Megalopsychia bei Aristoteles (EN 43)

39) H Weinstock Sophokles Wuppertal 31948 6040) Vgl z B Sophokles Aias 479ndash480 λλ- καλ+ς ζν καλ+ς τε-

θνηκναι τ)ν ε9γεν χρ

selbst und ihr Wertebewuszligtsein aufgeben Es mag auch sein daszligsie in ihrem Sinne genau das Richtige tun selbst wenn dies ego-istisch und maszliglos erscheint da sie sich ja durch ihre Taten prak-tisch gegen die Gemeinschaft richten Das waumlre ein anderes ThemaSicher ist jedoch Das Uumlbertriebene Exaltierte ihres Verhaltenswaumlre im Rahmen des Aristotelischen Wertesystems tadelnswertBeide Helden verfuumlgen uumlber die Homerische Tugend und sindzwar γαθο und 0ριστοι41 aufgrund der Werte ihre r Zeit42 abersie sind nicht ς ληθ+ς γαθο also nicht γαθο im Aristo-telischen Sinne Achilleusrsquo und Aiasrsquo Handlungen beziehen sichvor allem auf ihre persoumlnliche Ehre beziehungsweise auf ihr per-soumlnliches Interesse nicht auf das Gemeinwohl Aber genau diesesdas angemessene Verhalten im Hinblick auf die Gemeinschaft unddie Teilnahme daran sind bei Aristoteles notwendige Vorausset-zungen des γαθς43

Auch die Phronesis diese zentrale dianoetische Tugend dienach Aristoteles immer jede ethische Tugend begleiten soll um wie eine Lampe den richtig gewaumlhlten Weg zu beleuchten44 ist beidiesen Helden in eklatanter Weise abwesend Und es steht auszligerZweifel γαθς zu sein ohne uumlber Phronesis zu verfuumlgen ist nachAristoteles nicht moumlglich Es gilt aber auch das Umgekehrte45 Die-se Helden sind nicht bdquounbeherrschtldquo (κρατε1ς) im AristotelischenSinne46 freilich auch nicht bdquobeherrschtldquo (γκρατε1ς) aber sie sindauch nicht bdquoschlechtldquo (φα$λοι ndash κλαστοι) Sie stehen auszligerhalbdieser ethischen Kategorien des Aristoteles und sind von daher ge-sehen ein Anachronismus

58 Mar i a L ia t s i

41) Vgl z B Ilias 2768ndash770 νδρ+ν αJ μγ- 0ριστος ην ΤελαμAνιος ΑXας ^φρ- _χιλεNς μνιεν γ5ρ πολN φρτατος `εν Rπποι θ- οa φορεσκον μνοναΠηλεωνα

42) Vgl hierzu auch Broadie Rowe (wie Anm 9) 2943) Vgl 1163b6ndash8 ο9 γ5ρ τιμται μηδampν γαθ)ν τU κοινU πορζων τ)

κοιν)ν γ5ρ δδοται τU τ) κοιν)ν ε9εργετο$ντι 6 τιμ2 δamp κοινν44) Vgl 1144a6ndash9 τ) ργον ποτελε1ται κατ5 τ2ν φρνησιν κα7 τ2ν cθικ2ν

ρετν 6 μampν γ5ρ ρετ2 τ)ν σκοπ)ν ποιε1 Iρθν 6 δamp φρνησις τ5 πρ)ς το$τον45) Vgl 1144b31 f ο9χ ον τε γαθ)ν ε3ναι κυρως 0νευ φρονσεως ο9δamp

φρνιμον 0νευ τς cθικς ρετς46) sbquoUnbeherrschtlsquo bei Aristoteles ist derjenige der wohl weiszlig was richtig

ist dem es aber nicht gelingt seine πθη durch seine Vernunft zu kontrollieren be-ziehungsweise zu beherrschen Das heiszligt es besteht ein Konflikt zwischen seinenTrieben und Wuumlnschen einerseits und seiner Vernunft andererseits die am Schluszligdoch der sbquoVerliererlsquo ist Vgl 1111b13 f κα7 κρατ2ς πιθυμ+ν μampν πρττει προ-αιρομενος δ- ο9 1112a15 f 6 γ5ρ προαρεσις μετ5 λγου κα7 διανοας

Es wird nun klar warum Achilleus und Aias nicht Megalo -psychoi im streng ethischen beziehungsweise moralischen Sinnedes Aristotelischen Wertekanons sind Denn sie besitzen nicht alleanderen ethischen Tugenden Im ethischen Kontext der Aristoteli-schen Ausfuumlhrungen wuumlrden sie wenn sie vorkaumlmen als Gegen-Beispiele fungieren muumlssen d h sie haumltten eine antiparadigmati-sche Funktion Sie wuumlrden zitiert werden als solche die eben nichtwahrhaft Megalopsychoi sind

Man koumlnnte also nicht ohne Skepsis dem Achilleus und demAias diejenigen Eigenschaften zuschreiben die Aristoteles demMegalopsychos in der Nikomachischen Ethik zuschreibt47 undebensowenig umgekehrt versuchen den Megalopsychos der Niko-machischen Ethik mit diesen heroischen Figuren zu identifizieren

Schluszligbemerkung

Aristoteles orientiert sich bei seiner Behandlung der ethischenTugend der Megalopsychia in der Nikomachischen Ethik nur bis zu einem gewissen Grad an der Meinung der Vielen Er korrigiertdie oberflaumlchliche allgemein verbreitete Ansicht daszlig die Ehre dasEndziel des politischen Lebens ist aber er nimmt sie als das groumlszlig-te der aumluszligeren Guumlter an Er akzeptiert daszlig der 0ριστος sich be-rechtigterweise gemaumlszlig seiner ξα der groumlszligten Ehre fuumlr wert haumlltaber er gibt der ξα und somit auch den Begriffen der Tugend unddes γαθς beziehungsweise des 0ριστος einen neuen ethischenInhalt Megalopsychos ist und kann nur der ς ληθ+ς γαθςsein Megalopsychia ist eine zutiefst griechische Tugend und re-praumlsentativ fuumlr die gesamte antike griechische Denkweise Diechristlich gepraumlgte Mentalitaumlt kann sie nur schwer begreifen undnoch schwerer akzeptieren Anders das bei den Griechen verbrei-tete Denken Wenn man der Beste ist muszlig man sich dessen auchbewuszligt sein muszlig man es vor allem zeigen und sich entsprechendverhalten Die Megalopsychia ist insoweit auch eine Form desSelbstbewuszligtseins und der Selbsterkenntnis Daher erscheint esnatuumlrlich und gerecht das Beste und werthaltigste Gut naumlmlich dieEhre fuumlr sich in Anspruch zu nehmen wenn die Voraussetzungen

59Aspekte der Megalopsychia bei Aristoteles (EN 43)

47) So wie z B O Hellmann Aristoteles und Achilleus Der poetische Heldaus der Sicht des Philosophen in Althoff (wie Anm 1) 27ndash41 bes 35ndash38

dafuumlr die Aristoteles alle ausdruumlcklich benennt bei einem Men-schen gegeben sind Nur auf diese Weise nur wenn man Megalo -psychos ist kann man wirklich und vollkommen ε9δαμων wer-den Bescheidenheit waumlre hier also fehl am Platz und wuumlrde derPflicht die der Mensch gegenuumlber sich selbst hat widersprechenund damit auch der Selbstverwirklichung die Aristoteles sbquoEudai-monialsquo nennt48

Ioannina Mar i a L ia t s i

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48) Aristoteles formuliert mit diesem Gedanken eine Auffassung und nimmtmit diesem Punkt seiner Ethik eine Lehre vorweg die erst im Zuge der europaumlischenAufklaumlrung naumlmlich von Kant zu einer grundlegenden Bestimmung der Moral-philosophie gemacht worden ist naumlmlich daszlig der Mensch nicht nur Pflichten gegenandere sondern auch Pflichten gegen sich selbst hat und daszlig er auch in diesem Sinne das heiszligt durch Verletzung derselben schuldig werden kann gegenuumlber undan sich selbst Aristoteles hat mit seinem Begriff des Megalopsychos und der Me-galopsychia diese Unterscheidung Kants auf geniale Weise vorweggenommen VglImmanuel Kant Metaphysik der Sitten Zweiter Teil Metaphysische Anfangsgruumln-de der Tugendlehre I Ethische Elementarlehre 1 Teil Von den Pflichten gegen sichselbst 261ndash302 2 Teil Von den Tugendpflichten gegen andere 303ndash337 Hrsg vonKarl Vorlaumlnder Philosophische Bibliothek Bd 42 Hamburg 1922

Extreme sind Formen der Ungerechtigkeit (δικα)37 Wer sich zuviel vom Guten aneignet ohne es wirklich zu verdienen der tut Un-recht waumlhrend derjenige der zu wenig davon bekommt obwohl eres verdienen wuumlrde Unrecht leidet Der Gerechte (δκαιος) verteiltob er selber involviert ist oder nicht das proportional Gleiche (δια-νεμητικ)ς το$ Xσου το$ κατ- ναλογαν vgl 1134a3ndash6)38

Es wird deutlich auch wenn Aristoteles keine Ausfuumlhrungendaruumlber macht daszlig die Megalopsychia eine spezifische Art desδιανεμητικ)ν δκαιον konstituiert Sie liegt wie bereits ausgefuumlhrtin der richtigen Mitte zwischen der χαυντης (einen zu hohen Anspruch haben der dem objektiven Wert der Person nicht ent-spricht) und der Mikropsychia (zu niedrige Anspruumlche trotz hohen Wertes haben) Die χαυντης bildet also eine Form desδικε1ν und die Mikropsychia eine Form des δικε1σθαι Die da-zwischen liegende δικαιοπραγα ist die Tugend der MegalopsychiaDaher sollte es nicht verwundern und nicht als arrogant erschei-nen daszlig der Megalopsychos sich nicht allzu sehr uumlber die Ehrun-gen die ihm erwiesen werden freut Denn er denkt ja daszlig er sieverdient beziehungsweise daszlig es gerecht ist daszlig er sie empfaumlngtUnd so wie die Gerechtigkeit gemaumlszlig Aristoteles eine τελεα ρετist (1129b25 f) so muszlig man auch die vollkommene Tugend besit-zen wie verlangt um Megalopsychos sein zu koumlnnen (1124a28 f)Nur mit dem Unterschied daszlig die Megalopsychia unmittelbar we-der die Beziehung der Buumlrger untereinander also das Verhaumlltniszwischen verschiedenen Individuen regelt noch die Haltung derGesellschaft als Institution ihren Mitgliedern gegenuumlber betrifftsondern urspruumlnglich das Verhaumlltnis d h die Lebenshaltung desIndividuums zu sich selbst bestimmt Wenn jedoch eine so ver-standene urspruumlnglich personale Gerechtigkeit in der Form dersbquoegoistischenlsquo Megalopsychia spaumlter auch bei mehreren Individuen

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37) Vgl 1133b30ndash34 6 δικαιοπραγα μσον στ7 το$ δικε1ν κα7 δι-κε1σθαι τ) μampν γ5ρ πλον χειν τ) δ- λαττν στιν 6 δamp δικαιοσνη μεστης τςστιν ο9 τ)ν α9τ)ν δamp τρπον τα1ς 0λλαις ρετα1ς λλ- Qτι μσου στν 6 δ- δικατ+ν 0κρων

38) Das Prinzip der bdquoausteilenden Gerechtigkeitldquo existiert im wesentlichenlaumlngst wenn auch nicht als Terminus technicus und wird zur Anwendung gebrachtin der griechischen Gesellschaft so z B bereits in der Ilias bei dem δκη-BegriffVgl dazu E A Havelock The Greek Concept of Justice from its Shadow in Homerto its Substance in Plato Harvard 1978 Vgl auch Platon Politeia 1 332c1ndash2 Σι-μωνδης [ ] διενοε1το μampν γρ ς φανεται Qτι το$τ- εXη δκαιον τ) προσκον(κστ[ ποδιδναι

beziehungsweise Buumlrgern erfolgen wuumlrde dann wuumlrde man ja auchvon einem perfekt gerechten sittlich idealen Staat sprechen koumln-nen Es wird deutlich daszlig die viel miszligachtete beziehungsweise ver-achtete Megalopsychia in Wirklichkeit eng verbunden ist mit derhochgepriesenen Kardinaltugend der Gerechtigkeit

V

In Anal Post 213 97b15 ff fuumlhrt Aristoteles bei seinem Ver-such die Definition des Begriffes der Megalopsychia zu formulie-ren unter anderem zwei Beispiele aus der Homerischen Welt an denAchilleus und den Aias Denn beide haben nach Aristoteles etwasgemeinsam Sie ertragen es nicht daszlig ihre Ehre beleidigt und be-schaumldigt wird (97b19 τ) μ2 νχεσθαι βριζμενοι) Es ist natuumlr-lich kein Zufall daszlig Aristoteles diese wohlbekannten Helden alscharakteristische Paradigmen fuumlr die Megalopsychia verwendetWenn es um Ehre geht geschweige denn wenn es um verletzte Ehregeht dann sind Achilleus und Aias in der griechischen TraditionBeispiele par excellence Der eine droht voller Wut das gesamtegriechische Heer in die Vernichtung zu fuumlhren weil Agamemnondurch das Wegnehmen der Briseis seine Ehre herabgesetzt be-ziehungsweise seinen Status nicht angemessen anerkannt hat Derandere entscheidet und versucht die Atriden Agamemnon undMenelaos zu toumlten weil sie ihm die Waffen des Achilleus nicht ge-geben d h ebenfalls seine Ehre verletzt und seinen hohen Wertnicht entsprechend respektiert haben Als er sein Ziel verfehlt toumlteter sich selbst Warum tauchen sie nicht in den ethischen Schriften desAristoteles im Kontext der Megalopsychia-Besprechung auf

Achilleus und Aias sind charakterisiert durch eine bdquoradikaleIndividualitaumltldquo39 und durch ein extremes Verhalten ein Uumlbertrei-ben Es mag sein daszlig diese Helden durch ein monomanischesmaszligloses Verhalten ihre heroische Identitaumlt bewahren beziehungs-weise dem ethischen Kodex und Wertesystem ihrer Zeit entspre-chen Sonst erschiene ihr Leben wohl nicht mehr sbquogutlsquo und nichtmehr lebenswert40 Sonst wuumlrden sie sich selbst verlieren sich

57Aspekte der Megalopsychia bei Aristoteles (EN 43)

39) H Weinstock Sophokles Wuppertal 31948 6040) Vgl z B Sophokles Aias 479ndash480 λλ- καλ+ς ζν καλ+ς τε-

θνηκναι τ)ν ε9γεν χρ

selbst und ihr Wertebewuszligtsein aufgeben Es mag auch sein daszligsie in ihrem Sinne genau das Richtige tun selbst wenn dies ego-istisch und maszliglos erscheint da sie sich ja durch ihre Taten prak-tisch gegen die Gemeinschaft richten Das waumlre ein anderes ThemaSicher ist jedoch Das Uumlbertriebene Exaltierte ihres Verhaltenswaumlre im Rahmen des Aristotelischen Wertesystems tadelnswertBeide Helden verfuumlgen uumlber die Homerische Tugend und sindzwar γαθο und 0ριστοι41 aufgrund der Werte ihre r Zeit42 abersie sind nicht ς ληθ+ς γαθο also nicht γαθο im Aristo-telischen Sinne Achilleusrsquo und Aiasrsquo Handlungen beziehen sichvor allem auf ihre persoumlnliche Ehre beziehungsweise auf ihr per-soumlnliches Interesse nicht auf das Gemeinwohl Aber genau diesesdas angemessene Verhalten im Hinblick auf die Gemeinschaft unddie Teilnahme daran sind bei Aristoteles notwendige Vorausset-zungen des γαθς43

Auch die Phronesis diese zentrale dianoetische Tugend dienach Aristoteles immer jede ethische Tugend begleiten soll um wie eine Lampe den richtig gewaumlhlten Weg zu beleuchten44 ist beidiesen Helden in eklatanter Weise abwesend Und es steht auszligerZweifel γαθς zu sein ohne uumlber Phronesis zu verfuumlgen ist nachAristoteles nicht moumlglich Es gilt aber auch das Umgekehrte45 Die-se Helden sind nicht bdquounbeherrschtldquo (κρατε1ς) im AristotelischenSinne46 freilich auch nicht bdquobeherrschtldquo (γκρατε1ς) aber sie sindauch nicht bdquoschlechtldquo (φα$λοι ndash κλαστοι) Sie stehen auszligerhalbdieser ethischen Kategorien des Aristoteles und sind von daher ge-sehen ein Anachronismus

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41) Vgl z B Ilias 2768ndash770 νδρ+ν αJ μγ- 0ριστος ην ΤελαμAνιος ΑXας ^φρ- _χιλεNς μνιεν γ5ρ πολN φρτατος `εν Rπποι θ- οa φορεσκον μνοναΠηλεωνα

42) Vgl hierzu auch Broadie Rowe (wie Anm 9) 2943) Vgl 1163b6ndash8 ο9 γ5ρ τιμται μηδampν γαθ)ν τU κοινU πορζων τ)

κοιν)ν γ5ρ δδοται τU τ) κοιν)ν ε9εργετο$ντι 6 τιμ2 δamp κοινν44) Vgl 1144a6ndash9 τ) ργον ποτελε1ται κατ5 τ2ν φρνησιν κα7 τ2ν cθικ2ν

ρετν 6 μampν γ5ρ ρετ2 τ)ν σκοπ)ν ποιε1 Iρθν 6 δamp φρνησις τ5 πρ)ς το$τον45) Vgl 1144b31 f ο9χ ον τε γαθ)ν ε3ναι κυρως 0νευ φρονσεως ο9δamp

φρνιμον 0νευ τς cθικς ρετς46) sbquoUnbeherrschtlsquo bei Aristoteles ist derjenige der wohl weiszlig was richtig

ist dem es aber nicht gelingt seine πθη durch seine Vernunft zu kontrollieren be-ziehungsweise zu beherrschen Das heiszligt es besteht ein Konflikt zwischen seinenTrieben und Wuumlnschen einerseits und seiner Vernunft andererseits die am Schluszligdoch der sbquoVerliererlsquo ist Vgl 1111b13 f κα7 κρατ2ς πιθυμ+ν μampν πρττει προ-αιρομενος δ- ο9 1112a15 f 6 γ5ρ προαρεσις μετ5 λγου κα7 διανοας

Es wird nun klar warum Achilleus und Aias nicht Megalo -psychoi im streng ethischen beziehungsweise moralischen Sinnedes Aristotelischen Wertekanons sind Denn sie besitzen nicht alleanderen ethischen Tugenden Im ethischen Kontext der Aristoteli-schen Ausfuumlhrungen wuumlrden sie wenn sie vorkaumlmen als Gegen-Beispiele fungieren muumlssen d h sie haumltten eine antiparadigmati-sche Funktion Sie wuumlrden zitiert werden als solche die eben nichtwahrhaft Megalopsychoi sind

Man koumlnnte also nicht ohne Skepsis dem Achilleus und demAias diejenigen Eigenschaften zuschreiben die Aristoteles demMegalopsychos in der Nikomachischen Ethik zuschreibt47 undebensowenig umgekehrt versuchen den Megalopsychos der Niko-machischen Ethik mit diesen heroischen Figuren zu identifizieren

Schluszligbemerkung

Aristoteles orientiert sich bei seiner Behandlung der ethischenTugend der Megalopsychia in der Nikomachischen Ethik nur bis zu einem gewissen Grad an der Meinung der Vielen Er korrigiertdie oberflaumlchliche allgemein verbreitete Ansicht daszlig die Ehre dasEndziel des politischen Lebens ist aber er nimmt sie als das groumlszlig-te der aumluszligeren Guumlter an Er akzeptiert daszlig der 0ριστος sich be-rechtigterweise gemaumlszlig seiner ξα der groumlszligten Ehre fuumlr wert haumlltaber er gibt der ξα und somit auch den Begriffen der Tugend unddes γαθς beziehungsweise des 0ριστος einen neuen ethischenInhalt Megalopsychos ist und kann nur der ς ληθ+ς γαθςsein Megalopsychia ist eine zutiefst griechische Tugend und re-praumlsentativ fuumlr die gesamte antike griechische Denkweise Diechristlich gepraumlgte Mentalitaumlt kann sie nur schwer begreifen undnoch schwerer akzeptieren Anders das bei den Griechen verbrei-tete Denken Wenn man der Beste ist muszlig man sich dessen auchbewuszligt sein muszlig man es vor allem zeigen und sich entsprechendverhalten Die Megalopsychia ist insoweit auch eine Form desSelbstbewuszligtseins und der Selbsterkenntnis Daher erscheint esnatuumlrlich und gerecht das Beste und werthaltigste Gut naumlmlich dieEhre fuumlr sich in Anspruch zu nehmen wenn die Voraussetzungen

59Aspekte der Megalopsychia bei Aristoteles (EN 43)

47) So wie z B O Hellmann Aristoteles und Achilleus Der poetische Heldaus der Sicht des Philosophen in Althoff (wie Anm 1) 27ndash41 bes 35ndash38

dafuumlr die Aristoteles alle ausdruumlcklich benennt bei einem Men-schen gegeben sind Nur auf diese Weise nur wenn man Megalo -psychos ist kann man wirklich und vollkommen ε9δαμων wer-den Bescheidenheit waumlre hier also fehl am Platz und wuumlrde derPflicht die der Mensch gegenuumlber sich selbst hat widersprechenund damit auch der Selbstverwirklichung die Aristoteles sbquoEudai-monialsquo nennt48

Ioannina Mar i a L ia t s i

60 Mar i a L ia t s i

48) Aristoteles formuliert mit diesem Gedanken eine Auffassung und nimmtmit diesem Punkt seiner Ethik eine Lehre vorweg die erst im Zuge der europaumlischenAufklaumlrung naumlmlich von Kant zu einer grundlegenden Bestimmung der Moral-philosophie gemacht worden ist naumlmlich daszlig der Mensch nicht nur Pflichten gegenandere sondern auch Pflichten gegen sich selbst hat und daszlig er auch in diesem Sinne das heiszligt durch Verletzung derselben schuldig werden kann gegenuumlber undan sich selbst Aristoteles hat mit seinem Begriff des Megalopsychos und der Me-galopsychia diese Unterscheidung Kants auf geniale Weise vorweggenommen VglImmanuel Kant Metaphysik der Sitten Zweiter Teil Metaphysische Anfangsgruumln-de der Tugendlehre I Ethische Elementarlehre 1 Teil Von den Pflichten gegen sichselbst 261ndash302 2 Teil Von den Tugendpflichten gegen andere 303ndash337 Hrsg vonKarl Vorlaumlnder Philosophische Bibliothek Bd 42 Hamburg 1922

beziehungsweise Buumlrgern erfolgen wuumlrde dann wuumlrde man ja auchvon einem perfekt gerechten sittlich idealen Staat sprechen koumln-nen Es wird deutlich daszlig die viel miszligachtete beziehungsweise ver-achtete Megalopsychia in Wirklichkeit eng verbunden ist mit derhochgepriesenen Kardinaltugend der Gerechtigkeit

V

In Anal Post 213 97b15 ff fuumlhrt Aristoteles bei seinem Ver-such die Definition des Begriffes der Megalopsychia zu formulie-ren unter anderem zwei Beispiele aus der Homerischen Welt an denAchilleus und den Aias Denn beide haben nach Aristoteles etwasgemeinsam Sie ertragen es nicht daszlig ihre Ehre beleidigt und be-schaumldigt wird (97b19 τ) μ2 νχεσθαι βριζμενοι) Es ist natuumlr-lich kein Zufall daszlig Aristoteles diese wohlbekannten Helden alscharakteristische Paradigmen fuumlr die Megalopsychia verwendetWenn es um Ehre geht geschweige denn wenn es um verletzte Ehregeht dann sind Achilleus und Aias in der griechischen TraditionBeispiele par excellence Der eine droht voller Wut das gesamtegriechische Heer in die Vernichtung zu fuumlhren weil Agamemnondurch das Wegnehmen der Briseis seine Ehre herabgesetzt be-ziehungsweise seinen Status nicht angemessen anerkannt hat Derandere entscheidet und versucht die Atriden Agamemnon undMenelaos zu toumlten weil sie ihm die Waffen des Achilleus nicht ge-geben d h ebenfalls seine Ehre verletzt und seinen hohen Wertnicht entsprechend respektiert haben Als er sein Ziel verfehlt toumlteter sich selbst Warum tauchen sie nicht in den ethischen Schriften desAristoteles im Kontext der Megalopsychia-Besprechung auf

Achilleus und Aias sind charakterisiert durch eine bdquoradikaleIndividualitaumltldquo39 und durch ein extremes Verhalten ein Uumlbertrei-ben Es mag sein daszlig diese Helden durch ein monomanischesmaszligloses Verhalten ihre heroische Identitaumlt bewahren beziehungs-weise dem ethischen Kodex und Wertesystem ihrer Zeit entspre-chen Sonst erschiene ihr Leben wohl nicht mehr sbquogutlsquo und nichtmehr lebenswert40 Sonst wuumlrden sie sich selbst verlieren sich

57Aspekte der Megalopsychia bei Aristoteles (EN 43)

39) H Weinstock Sophokles Wuppertal 31948 6040) Vgl z B Sophokles Aias 479ndash480 λλ- καλ+ς ζν καλ+ς τε-

θνηκναι τ)ν ε9γεν χρ

selbst und ihr Wertebewuszligtsein aufgeben Es mag auch sein daszligsie in ihrem Sinne genau das Richtige tun selbst wenn dies ego-istisch und maszliglos erscheint da sie sich ja durch ihre Taten prak-tisch gegen die Gemeinschaft richten Das waumlre ein anderes ThemaSicher ist jedoch Das Uumlbertriebene Exaltierte ihres Verhaltenswaumlre im Rahmen des Aristotelischen Wertesystems tadelnswertBeide Helden verfuumlgen uumlber die Homerische Tugend und sindzwar γαθο und 0ριστοι41 aufgrund der Werte ihre r Zeit42 abersie sind nicht ς ληθ+ς γαθο also nicht γαθο im Aristo-telischen Sinne Achilleusrsquo und Aiasrsquo Handlungen beziehen sichvor allem auf ihre persoumlnliche Ehre beziehungsweise auf ihr per-soumlnliches Interesse nicht auf das Gemeinwohl Aber genau diesesdas angemessene Verhalten im Hinblick auf die Gemeinschaft unddie Teilnahme daran sind bei Aristoteles notwendige Vorausset-zungen des γαθς43

Auch die Phronesis diese zentrale dianoetische Tugend dienach Aristoteles immer jede ethische Tugend begleiten soll um wie eine Lampe den richtig gewaumlhlten Weg zu beleuchten44 ist beidiesen Helden in eklatanter Weise abwesend Und es steht auszligerZweifel γαθς zu sein ohne uumlber Phronesis zu verfuumlgen ist nachAristoteles nicht moumlglich Es gilt aber auch das Umgekehrte45 Die-se Helden sind nicht bdquounbeherrschtldquo (κρατε1ς) im AristotelischenSinne46 freilich auch nicht bdquobeherrschtldquo (γκρατε1ς) aber sie sindauch nicht bdquoschlechtldquo (φα$λοι ndash κλαστοι) Sie stehen auszligerhalbdieser ethischen Kategorien des Aristoteles und sind von daher ge-sehen ein Anachronismus

58 Mar i a L ia t s i

41) Vgl z B Ilias 2768ndash770 νδρ+ν αJ μγ- 0ριστος ην ΤελαμAνιος ΑXας ^φρ- _χιλεNς μνιεν γ5ρ πολN φρτατος `εν Rπποι θ- οa φορεσκον μνοναΠηλεωνα

42) Vgl hierzu auch Broadie Rowe (wie Anm 9) 2943) Vgl 1163b6ndash8 ο9 γ5ρ τιμται μηδampν γαθ)ν τU κοινU πορζων τ)

κοιν)ν γ5ρ δδοται τU τ) κοιν)ν ε9εργετο$ντι 6 τιμ2 δamp κοινν44) Vgl 1144a6ndash9 τ) ργον ποτελε1ται κατ5 τ2ν φρνησιν κα7 τ2ν cθικ2ν

ρετν 6 μampν γ5ρ ρετ2 τ)ν σκοπ)ν ποιε1 Iρθν 6 δamp φρνησις τ5 πρ)ς το$τον45) Vgl 1144b31 f ο9χ ον τε γαθ)ν ε3ναι κυρως 0νευ φρονσεως ο9δamp

φρνιμον 0νευ τς cθικς ρετς46) sbquoUnbeherrschtlsquo bei Aristoteles ist derjenige der wohl weiszlig was richtig

ist dem es aber nicht gelingt seine πθη durch seine Vernunft zu kontrollieren be-ziehungsweise zu beherrschen Das heiszligt es besteht ein Konflikt zwischen seinenTrieben und Wuumlnschen einerseits und seiner Vernunft andererseits die am Schluszligdoch der sbquoVerliererlsquo ist Vgl 1111b13 f κα7 κρατ2ς πιθυμ+ν μampν πρττει προ-αιρομενος δ- ο9 1112a15 f 6 γ5ρ προαρεσις μετ5 λγου κα7 διανοας

Es wird nun klar warum Achilleus und Aias nicht Megalo -psychoi im streng ethischen beziehungsweise moralischen Sinnedes Aristotelischen Wertekanons sind Denn sie besitzen nicht alleanderen ethischen Tugenden Im ethischen Kontext der Aristoteli-schen Ausfuumlhrungen wuumlrden sie wenn sie vorkaumlmen als Gegen-Beispiele fungieren muumlssen d h sie haumltten eine antiparadigmati-sche Funktion Sie wuumlrden zitiert werden als solche die eben nichtwahrhaft Megalopsychoi sind

Man koumlnnte also nicht ohne Skepsis dem Achilleus und demAias diejenigen Eigenschaften zuschreiben die Aristoteles demMegalopsychos in der Nikomachischen Ethik zuschreibt47 undebensowenig umgekehrt versuchen den Megalopsychos der Niko-machischen Ethik mit diesen heroischen Figuren zu identifizieren

Schluszligbemerkung

Aristoteles orientiert sich bei seiner Behandlung der ethischenTugend der Megalopsychia in der Nikomachischen Ethik nur bis zu einem gewissen Grad an der Meinung der Vielen Er korrigiertdie oberflaumlchliche allgemein verbreitete Ansicht daszlig die Ehre dasEndziel des politischen Lebens ist aber er nimmt sie als das groumlszlig-te der aumluszligeren Guumlter an Er akzeptiert daszlig der 0ριστος sich be-rechtigterweise gemaumlszlig seiner ξα der groumlszligten Ehre fuumlr wert haumlltaber er gibt der ξα und somit auch den Begriffen der Tugend unddes γαθς beziehungsweise des 0ριστος einen neuen ethischenInhalt Megalopsychos ist und kann nur der ς ληθ+ς γαθςsein Megalopsychia ist eine zutiefst griechische Tugend und re-praumlsentativ fuumlr die gesamte antike griechische Denkweise Diechristlich gepraumlgte Mentalitaumlt kann sie nur schwer begreifen undnoch schwerer akzeptieren Anders das bei den Griechen verbrei-tete Denken Wenn man der Beste ist muszlig man sich dessen auchbewuszligt sein muszlig man es vor allem zeigen und sich entsprechendverhalten Die Megalopsychia ist insoweit auch eine Form desSelbstbewuszligtseins und der Selbsterkenntnis Daher erscheint esnatuumlrlich und gerecht das Beste und werthaltigste Gut naumlmlich dieEhre fuumlr sich in Anspruch zu nehmen wenn die Voraussetzungen

59Aspekte der Megalopsychia bei Aristoteles (EN 43)

47) So wie z B O Hellmann Aristoteles und Achilleus Der poetische Heldaus der Sicht des Philosophen in Althoff (wie Anm 1) 27ndash41 bes 35ndash38

dafuumlr die Aristoteles alle ausdruumlcklich benennt bei einem Men-schen gegeben sind Nur auf diese Weise nur wenn man Megalo -psychos ist kann man wirklich und vollkommen ε9δαμων wer-den Bescheidenheit waumlre hier also fehl am Platz und wuumlrde derPflicht die der Mensch gegenuumlber sich selbst hat widersprechenund damit auch der Selbstverwirklichung die Aristoteles sbquoEudai-monialsquo nennt48

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48) Aristoteles formuliert mit diesem Gedanken eine Auffassung und nimmtmit diesem Punkt seiner Ethik eine Lehre vorweg die erst im Zuge der europaumlischenAufklaumlrung naumlmlich von Kant zu einer grundlegenden Bestimmung der Moral-philosophie gemacht worden ist naumlmlich daszlig der Mensch nicht nur Pflichten gegenandere sondern auch Pflichten gegen sich selbst hat und daszlig er auch in diesem Sinne das heiszligt durch Verletzung derselben schuldig werden kann gegenuumlber undan sich selbst Aristoteles hat mit seinem Begriff des Megalopsychos und der Me-galopsychia diese Unterscheidung Kants auf geniale Weise vorweggenommen VglImmanuel Kant Metaphysik der Sitten Zweiter Teil Metaphysische Anfangsgruumln-de der Tugendlehre I Ethische Elementarlehre 1 Teil Von den Pflichten gegen sichselbst 261ndash302 2 Teil Von den Tugendpflichten gegen andere 303ndash337 Hrsg vonKarl Vorlaumlnder Philosophische Bibliothek Bd 42 Hamburg 1922

selbst und ihr Wertebewuszligtsein aufgeben Es mag auch sein daszligsie in ihrem Sinne genau das Richtige tun selbst wenn dies ego-istisch und maszliglos erscheint da sie sich ja durch ihre Taten prak-tisch gegen die Gemeinschaft richten Das waumlre ein anderes ThemaSicher ist jedoch Das Uumlbertriebene Exaltierte ihres Verhaltenswaumlre im Rahmen des Aristotelischen Wertesystems tadelnswertBeide Helden verfuumlgen uumlber die Homerische Tugend und sindzwar γαθο und 0ριστοι41 aufgrund der Werte ihre r Zeit42 abersie sind nicht ς ληθ+ς γαθο also nicht γαθο im Aristo-telischen Sinne Achilleusrsquo und Aiasrsquo Handlungen beziehen sichvor allem auf ihre persoumlnliche Ehre beziehungsweise auf ihr per-soumlnliches Interesse nicht auf das Gemeinwohl Aber genau diesesdas angemessene Verhalten im Hinblick auf die Gemeinschaft unddie Teilnahme daran sind bei Aristoteles notwendige Vorausset-zungen des γαθς43

Auch die Phronesis diese zentrale dianoetische Tugend dienach Aristoteles immer jede ethische Tugend begleiten soll um wie eine Lampe den richtig gewaumlhlten Weg zu beleuchten44 ist beidiesen Helden in eklatanter Weise abwesend Und es steht auszligerZweifel γαθς zu sein ohne uumlber Phronesis zu verfuumlgen ist nachAristoteles nicht moumlglich Es gilt aber auch das Umgekehrte45 Die-se Helden sind nicht bdquounbeherrschtldquo (κρατε1ς) im AristotelischenSinne46 freilich auch nicht bdquobeherrschtldquo (γκρατε1ς) aber sie sindauch nicht bdquoschlechtldquo (φα$λοι ndash κλαστοι) Sie stehen auszligerhalbdieser ethischen Kategorien des Aristoteles und sind von daher ge-sehen ein Anachronismus

58 Mar i a L ia t s i

41) Vgl z B Ilias 2768ndash770 νδρ+ν αJ μγ- 0ριστος ην ΤελαμAνιος ΑXας ^φρ- _χιλεNς μνιεν γ5ρ πολN φρτατος `εν Rπποι θ- οa φορεσκον μνοναΠηλεωνα

42) Vgl hierzu auch Broadie Rowe (wie Anm 9) 2943) Vgl 1163b6ndash8 ο9 γ5ρ τιμται μηδampν γαθ)ν τU κοινU πορζων τ)

κοιν)ν γ5ρ δδοται τU τ) κοιν)ν ε9εργετο$ντι 6 τιμ2 δamp κοινν44) Vgl 1144a6ndash9 τ) ργον ποτελε1ται κατ5 τ2ν φρνησιν κα7 τ2ν cθικ2ν

ρετν 6 μampν γ5ρ ρετ2 τ)ν σκοπ)ν ποιε1 Iρθν 6 δamp φρνησις τ5 πρ)ς το$τον45) Vgl 1144b31 f ο9χ ον τε γαθ)ν ε3ναι κυρως 0νευ φρονσεως ο9δamp

φρνιμον 0νευ τς cθικς ρετς46) sbquoUnbeherrschtlsquo bei Aristoteles ist derjenige der wohl weiszlig was richtig

ist dem es aber nicht gelingt seine πθη durch seine Vernunft zu kontrollieren be-ziehungsweise zu beherrschen Das heiszligt es besteht ein Konflikt zwischen seinenTrieben und Wuumlnschen einerseits und seiner Vernunft andererseits die am Schluszligdoch der sbquoVerliererlsquo ist Vgl 1111b13 f κα7 κρατ2ς πιθυμ+ν μampν πρττει προ-αιρομενος δ- ο9 1112a15 f 6 γ5ρ προαρεσις μετ5 λγου κα7 διανοας

Es wird nun klar warum Achilleus und Aias nicht Megalo -psychoi im streng ethischen beziehungsweise moralischen Sinnedes Aristotelischen Wertekanons sind Denn sie besitzen nicht alleanderen ethischen Tugenden Im ethischen Kontext der Aristoteli-schen Ausfuumlhrungen wuumlrden sie wenn sie vorkaumlmen als Gegen-Beispiele fungieren muumlssen d h sie haumltten eine antiparadigmati-sche Funktion Sie wuumlrden zitiert werden als solche die eben nichtwahrhaft Megalopsychoi sind

Man koumlnnte also nicht ohne Skepsis dem Achilleus und demAias diejenigen Eigenschaften zuschreiben die Aristoteles demMegalopsychos in der Nikomachischen Ethik zuschreibt47 undebensowenig umgekehrt versuchen den Megalopsychos der Niko-machischen Ethik mit diesen heroischen Figuren zu identifizieren

Schluszligbemerkung

Aristoteles orientiert sich bei seiner Behandlung der ethischenTugend der Megalopsychia in der Nikomachischen Ethik nur bis zu einem gewissen Grad an der Meinung der Vielen Er korrigiertdie oberflaumlchliche allgemein verbreitete Ansicht daszlig die Ehre dasEndziel des politischen Lebens ist aber er nimmt sie als das groumlszlig-te der aumluszligeren Guumlter an Er akzeptiert daszlig der 0ριστος sich be-rechtigterweise gemaumlszlig seiner ξα der groumlszligten Ehre fuumlr wert haumlltaber er gibt der ξα und somit auch den Begriffen der Tugend unddes γαθς beziehungsweise des 0ριστος einen neuen ethischenInhalt Megalopsychos ist und kann nur der ς ληθ+ς γαθςsein Megalopsychia ist eine zutiefst griechische Tugend und re-praumlsentativ fuumlr die gesamte antike griechische Denkweise Diechristlich gepraumlgte Mentalitaumlt kann sie nur schwer begreifen undnoch schwerer akzeptieren Anders das bei den Griechen verbrei-tete Denken Wenn man der Beste ist muszlig man sich dessen auchbewuszligt sein muszlig man es vor allem zeigen und sich entsprechendverhalten Die Megalopsychia ist insoweit auch eine Form desSelbstbewuszligtseins und der Selbsterkenntnis Daher erscheint esnatuumlrlich und gerecht das Beste und werthaltigste Gut naumlmlich dieEhre fuumlr sich in Anspruch zu nehmen wenn die Voraussetzungen

59Aspekte der Megalopsychia bei Aristoteles (EN 43)

47) So wie z B O Hellmann Aristoteles und Achilleus Der poetische Heldaus der Sicht des Philosophen in Althoff (wie Anm 1) 27ndash41 bes 35ndash38

dafuumlr die Aristoteles alle ausdruumlcklich benennt bei einem Men-schen gegeben sind Nur auf diese Weise nur wenn man Megalo -psychos ist kann man wirklich und vollkommen ε9δαμων wer-den Bescheidenheit waumlre hier also fehl am Platz und wuumlrde derPflicht die der Mensch gegenuumlber sich selbst hat widersprechenund damit auch der Selbstverwirklichung die Aristoteles sbquoEudai-monialsquo nennt48

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48) Aristoteles formuliert mit diesem Gedanken eine Auffassung und nimmtmit diesem Punkt seiner Ethik eine Lehre vorweg die erst im Zuge der europaumlischenAufklaumlrung naumlmlich von Kant zu einer grundlegenden Bestimmung der Moral-philosophie gemacht worden ist naumlmlich daszlig der Mensch nicht nur Pflichten gegenandere sondern auch Pflichten gegen sich selbst hat und daszlig er auch in diesem Sinne das heiszligt durch Verletzung derselben schuldig werden kann gegenuumlber undan sich selbst Aristoteles hat mit seinem Begriff des Megalopsychos und der Me-galopsychia diese Unterscheidung Kants auf geniale Weise vorweggenommen VglImmanuel Kant Metaphysik der Sitten Zweiter Teil Metaphysische Anfangsgruumln-de der Tugendlehre I Ethische Elementarlehre 1 Teil Von den Pflichten gegen sichselbst 261ndash302 2 Teil Von den Tugendpflichten gegen andere 303ndash337 Hrsg vonKarl Vorlaumlnder Philosophische Bibliothek Bd 42 Hamburg 1922

Es wird nun klar warum Achilleus und Aias nicht Megalo -psychoi im streng ethischen beziehungsweise moralischen Sinnedes Aristotelischen Wertekanons sind Denn sie besitzen nicht alleanderen ethischen Tugenden Im ethischen Kontext der Aristoteli-schen Ausfuumlhrungen wuumlrden sie wenn sie vorkaumlmen als Gegen-Beispiele fungieren muumlssen d h sie haumltten eine antiparadigmati-sche Funktion Sie wuumlrden zitiert werden als solche die eben nichtwahrhaft Megalopsychoi sind

Man koumlnnte also nicht ohne Skepsis dem Achilleus und demAias diejenigen Eigenschaften zuschreiben die Aristoteles demMegalopsychos in der Nikomachischen Ethik zuschreibt47 undebensowenig umgekehrt versuchen den Megalopsychos der Niko-machischen Ethik mit diesen heroischen Figuren zu identifizieren

Schluszligbemerkung

Aristoteles orientiert sich bei seiner Behandlung der ethischenTugend der Megalopsychia in der Nikomachischen Ethik nur bis zu einem gewissen Grad an der Meinung der Vielen Er korrigiertdie oberflaumlchliche allgemein verbreitete Ansicht daszlig die Ehre dasEndziel des politischen Lebens ist aber er nimmt sie als das groumlszlig-te der aumluszligeren Guumlter an Er akzeptiert daszlig der 0ριστος sich be-rechtigterweise gemaumlszlig seiner ξα der groumlszligten Ehre fuumlr wert haumlltaber er gibt der ξα und somit auch den Begriffen der Tugend unddes γαθς beziehungsweise des 0ριστος einen neuen ethischenInhalt Megalopsychos ist und kann nur der ς ληθ+ς γαθςsein Megalopsychia ist eine zutiefst griechische Tugend und re-praumlsentativ fuumlr die gesamte antike griechische Denkweise Diechristlich gepraumlgte Mentalitaumlt kann sie nur schwer begreifen undnoch schwerer akzeptieren Anders das bei den Griechen verbrei-tete Denken Wenn man der Beste ist muszlig man sich dessen auchbewuszligt sein muszlig man es vor allem zeigen und sich entsprechendverhalten Die Megalopsychia ist insoweit auch eine Form desSelbstbewuszligtseins und der Selbsterkenntnis Daher erscheint esnatuumlrlich und gerecht das Beste und werthaltigste Gut naumlmlich dieEhre fuumlr sich in Anspruch zu nehmen wenn die Voraussetzungen

59Aspekte der Megalopsychia bei Aristoteles (EN 43)

47) So wie z B O Hellmann Aristoteles und Achilleus Der poetische Heldaus der Sicht des Philosophen in Althoff (wie Anm 1) 27ndash41 bes 35ndash38

dafuumlr die Aristoteles alle ausdruumlcklich benennt bei einem Men-schen gegeben sind Nur auf diese Weise nur wenn man Megalo -psychos ist kann man wirklich und vollkommen ε9δαμων wer-den Bescheidenheit waumlre hier also fehl am Platz und wuumlrde derPflicht die der Mensch gegenuumlber sich selbst hat widersprechenund damit auch der Selbstverwirklichung die Aristoteles sbquoEudai-monialsquo nennt48

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48) Aristoteles formuliert mit diesem Gedanken eine Auffassung und nimmtmit diesem Punkt seiner Ethik eine Lehre vorweg die erst im Zuge der europaumlischenAufklaumlrung naumlmlich von Kant zu einer grundlegenden Bestimmung der Moral-philosophie gemacht worden ist naumlmlich daszlig der Mensch nicht nur Pflichten gegenandere sondern auch Pflichten gegen sich selbst hat und daszlig er auch in diesem Sinne das heiszligt durch Verletzung derselben schuldig werden kann gegenuumlber undan sich selbst Aristoteles hat mit seinem Begriff des Megalopsychos und der Me-galopsychia diese Unterscheidung Kants auf geniale Weise vorweggenommen VglImmanuel Kant Metaphysik der Sitten Zweiter Teil Metaphysische Anfangsgruumln-de der Tugendlehre I Ethische Elementarlehre 1 Teil Von den Pflichten gegen sichselbst 261ndash302 2 Teil Von den Tugendpflichten gegen andere 303ndash337 Hrsg vonKarl Vorlaumlnder Philosophische Bibliothek Bd 42 Hamburg 1922

dafuumlr die Aristoteles alle ausdruumlcklich benennt bei einem Men-schen gegeben sind Nur auf diese Weise nur wenn man Megalo -psychos ist kann man wirklich und vollkommen ε9δαμων wer-den Bescheidenheit waumlre hier also fehl am Platz und wuumlrde derPflicht die der Mensch gegenuumlber sich selbst hat widersprechenund damit auch der Selbstverwirklichung die Aristoteles sbquoEudai-monialsquo nennt48

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48) Aristoteles formuliert mit diesem Gedanken eine Auffassung und nimmtmit diesem Punkt seiner Ethik eine Lehre vorweg die erst im Zuge der europaumlischenAufklaumlrung naumlmlich von Kant zu einer grundlegenden Bestimmung der Moral-philosophie gemacht worden ist naumlmlich daszlig der Mensch nicht nur Pflichten gegenandere sondern auch Pflichten gegen sich selbst hat und daszlig er auch in diesem Sinne das heiszligt durch Verletzung derselben schuldig werden kann gegenuumlber undan sich selbst Aristoteles hat mit seinem Begriff des Megalopsychos und der Me-galopsychia diese Unterscheidung Kants auf geniale Weise vorweggenommen VglImmanuel Kant Metaphysik der Sitten Zweiter Teil Metaphysische Anfangsgruumln-de der Tugendlehre I Ethische Elementarlehre 1 Teil Von den Pflichten gegen sichselbst 261ndash302 2 Teil Von den Tugendpflichten gegen andere 303ndash337 Hrsg vonKarl Vorlaumlnder Philosophische Bibliothek Bd 42 Hamburg 1922


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