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Blätter für Heimatkunde 51 (1977)

Aus dem Grazer Musikleben des Biedermeier

Von Otfried Hafner

Dem Thema scheint der Anreiz des unbegangenen Arbeitsgebietes zu mangeln. Man weiß, daß es schon in den Biedermeiertagen in Graz eine rege Musikpflege gab, daß selbst Schubert diese Stadt mit seinem Besuch beehrte. Die Kultur des Biedermeier vermeint man überhaupt wohl zu kennen. Und doch ist seltsamerweise kaum eine kulturelle Phase so wenig durchleuchtet worden wie diese.

Auch Graz macht in dieser Beziehung keine Ausnahme. Gerade diese Stadt, die auf eine besonders reiche kulturelle Vergangenheit zurückblik-ken kann, hat bisher recht wenig zu deren Erforschung beigetragen. Das wirft natürlich seine Schatten auch auf die Musikgeschichte, als deren bescheidener Baustein dieser Beitrag aufzufassen ist.

Als Ausgangspunkt bietet sich — nicht eben augenfällig — das Palais Saurau in der Sporgasse an. Die Geschichte des Lebens in diesem Hause ist bisher unerforscht. Folglich sind dessen Beziehungen zur Musik uner-örtert geblieben. Man weiß von einem Besuch Gustav Mahlers im Jahr 19071 und vom Salon der Gräfin Lamberg in diesem Hause.2 Am 22. Juli 1819 verstirbt im Palast Saurau der Weltpriester Josef Robert Suppan, dessen Werke für Klavier von einem Verlag vom Range Artarias in Wien veröffentlicht wurden.3

Das letztgenannte Jahr eröffnet überhaupt ein weiteres Blickfeld. So

1 A. K a p p e r , Das Haus Zum roten Krebsen in der Sackstraße zu Graz. Ein Bei­trag zur Grazer Stadtgeschichte (1935/36), S. 6.

Gräfin S a l b u r g , Erinnerungen einer Respektlosen, 1. Bd., Leipzig 1927, S. 120. 1R10 y e r T a ^ ,6 ^ t eU i g^ -Uä t t e r zu Nro. 117 der Grätzer Zeitung v. 24. Juli AT i T .V e r s o " a l a k t Suppan im Diözesanarchiv Graz. - W . S u p p a n , Steirisches Musiklexikon, Graz 1962-1966, S. 596 f.

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hat 1819 unter großer Anteilnahme eines gläubigen Volkes der aus dem Kreis um den heiligen Klemens Maria Hofbauer bekannte Dichter Zacha-rias Werner in der Wallfahrtskirche Maria Trost Predigten gehalten.4

Zu seiner Gefolgschaft zählt der aus dem Kreis um Erzherzog Johann be­kannte Schriftsteller Ignaz Kollmann, dessen deutsche Fassung von Rossi­nis Oper „Der Barbier von Sevilla"' im selben Jahr seine Erstaufführung im Grazer Theater erlebte, ein kulturelles Ereignis, das von ver­schiedenen Aspekten — etwa dem der Völkerverständigung — noch nicht genügend gewürdigt worden ist.5 Jm Sommer 1819 versuchte der akade­mische Maler Isidor Neugaß durch Inserate auf sich aufmerksam zu ma­chen.6 Er verabsäumte bei dieser Gelegenheit, darauf hinzuweisen, daß er Porträts von Haydn und Beethoven geschaffen hatte.7 — Im Oktober 1819 findet die Eheschließung des Tondichters Heinrich Eduard von Lan-noy statt. Kein Geringerer als Erzherzog Johann steht ihm als Trauzeuge zur Seite.8 In diesem Jahr hat der Erzherzog auch das Protektorat über den Musikverein für Steiermark übernommen.9

Auf den ersten Blick scheint das Jahr der Gründung des Musikvereines mit 1815 früh zu liegen, zumal der für Wien nur drei Jahre vorher ent­stand. Dem Betrachter jedoch, der um das rege musikalische Leben der Klassik weiß, müssen diese Termine reichlich spät scheinen. 1807 werden in Wien adelige Liebhaberkonzerte ins Leben gerufen. Ihr Initiator. Jo­hann Baptist Häring, ist durch seinen Vater Franz Anton Häring. des hei­ligen römischen Reichs und der Erblande Ritter, Landmann im Herzog­tum Steiermark, diesem Land verbunden. Dessen 1752 in Graz geborene Tochter Katharina war vermählt mit dem Wiener Großhändler Ignaz von Schwab, der auch in Graz als Besitzer einer Indiennefabrik aufscheint.10

Ein weiterer Industrieller sei an dieser Stelle genannt, Bernhard Edler von Tschoffen, der am 25. Jänner 1802 in Graz verstorben ist. Seine Frau Bar­bara war in Wien durch ihr ausgezeichnetes Klavierspiel bekannt. Johann Friedrich Reichardt, als Komponist und Musikschriftsteller bekannt ge­worden, berichtet, durch Frau von Henikstein bei ihr eingeführt worden zu sein.11 Auch der Name Henikstein steht hier nicht isoliert, hat doch in diese begüterte jüdische Bankiersfamilie Josef von Hammer-Purgstall, ein großer Sohn unserer Heimat, eingeheiratet.

4 A. S c h l o s s a r , Der Dichter Zacharias Werner vor 100 Jahren in Maria Trost, in: Tagespost, Graz, 1919, Nr. 305, n immt unbegründet an. Werner sei durch Schnellers Vermittlung nach Graz gekommen. In Anbetracht ihrer entgegengesetzten Charaktere ist diese Annahme abzulehnen.

s O. J a n d a , Der Übersetzer von Rossinis Barbier, in: Tagespost, Graz v. 2. April 1937.

• Steyermärkische Intelligenzblätter der Grätzer Zeitung v. 1. Juli 1819. 7 Vgl. dazu Beethoven-Studien von Th. F r i m m e l , 1. Bd., München—Leipzig

1905, S. 53 f. 8 W. S u p p a n . Heinrich Eduard Josef von Lannoy (1787-1853). Leben und Wer­

ke, Graz 1960, S. 14. 9 F . B i s c h o f f, Chronik des Steiermärkischen Musikvereines, Graz 1890, S. 29 f. 10 K. P i c h 1 e r , Denkwürdigkeiten aus meinem Leben . . ., hgg. von E. K. Blümml,

1. Bd., München 1914, S. 455 ff., 463 f., 658 f. 11 J. F. R e i c h a r d t , Vertraute Briefe geschrieben auf einer Reise nach Wien . . .,

hgg. von G. Gugitz, 1. Bd., München 1915, S. 270.

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Die mittelbaren und unmittelbaren Kontakte der Kulturkreise von Wien und Graz dieser Zeit werden in noch hervorragenderer Weise bestä­tigt durch den Grafen Moritz von Fries. Fries, der als einer der bedeutend­sten Kunstkenner und Mäzene seiner Epoche galt, ließ auch steirischen Belangen seine Sorge angedeihen. An den Anfängen des Musikvereines für Steiermark nahm er fördernden Anteil.12 Vor allem aber hat er dem Grazer Musikleben des Biedermeier einen seiner wesentlichen Repräsen­tanten gegeben: Anselm Hüttenbrenner. Dieser hatte zwar schon — ehe er als Zwanzigjähriger dem Grafen Fries auf seinem Schloß in Deutsch­landsberg vorgestellt wurde — in Graz musikalische Ausbildung durch Matthäus Gell erhalten, aber der Anschluß an die große musikalische Welt in Wien wurde Hüttenbrenner erst durch Fries ermöglicht, woran er sich noch am Abend seines Lebens dankbar erinnerte.13

Ziel vorliegender Abhandlung ist, Künstler, die wie schemenhafte Ge­stalten in der Literatur auftauchen, zu dokumentieren, hingegen die Meister, Gestalter der Kulturszene, nur in großen Zügen und zu Detail­problemen heranzuziehen. — Wie wenig weiß man etwa über den bereits genannten Lehrer Hüttenbrenners, Matthäus Gell. Gell muß über beacht­liche musikpädagogische Talente verfügt haben, da er 1798 in Neumarkt trotz zahlreicher anderer Bewerber als Musiklehrer angestellt wurde.14

Auch als Komponist trat er hervor, wie eine Notiz in einem Lyrikband aus dem Jahr 1809 beweist.15 Nicht lange war ihm sein Wirkungsbereich als Domorganist in Graz beschieden. Am 28. Jänner 1811 verstarb Gell, nur vierzig Jahre alt, im Kälbernen Viertel zu Graz.16 Kein Geringerer als Ju­lius Franz Schneller, eine der Schlüsselfiguren des geistigen und kulturel­len Lebens der Biedermeiertage in Graz, schreibt in seinen Grabschriften über den Musikmeister Gell:

Nie in der Seele ein Falsch, wie im Tonsatz niemahls ein Mißlaut Hat er durch Beyspiel gezeigt, hat er durch Worte gelehrt.11

Das Schaffen Anselm Hüttenbrenners, vielfältig und umfangreich, ist von den mannigfaltigen musikalischen Strömungen des 19. Jahrhunderts nicht unbeeinflußt geblieben. Zur Charakteristik seines Werkes seien eini­ge Sätze Hellmut Federhofers angeführt: Seine Klaviersonate op. 10 (1823), deren Seitenthema im ersten Satz auffallend der gleichzeitig ent­standenen Arie des Adolar im 3. Akt der Euryanthe ähnelt, vor allem aber seine Oper Lenore, in der deutsche Liedmelodik über italienische Kantabi-litat triumphiert, zeigen starke Beziehungen zu Weber. Zu Beginn des 2. Aktes weist das Chorlied der Spinnerinnen „flink, treib das Rädchen" mit der in gegensätzlicher Stimmung verharrenden Lenore auf den Flie-

12 F . B i s c h o f f , a. a. O., S. 18. 13 O. E. D e u t s c h , Anselm Hüttenbrenners Erinnerungen an Schubert, in : Jahr­

buch der Grillparzer-Gesellschaft 16/1906, S. 143. 14 Steirisches Musiklexikon, a. a. O., S. 173, 269. 15 I . v. C h o r i n s k y , Wehimanns-Lieder, Graz 1809, S. 8. 16 Steyermärkische Intelligenzblätter zu Nro. 17 der Grätzer Zeitung v. 29. Jänner

1811. 17 Der Aufmerksame, Graz 1815, Nr. 99.

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genden Holländer Wagners voraus. Um so auffallender ist es, daß Hütten­brenner als Opernkomponist die eingeschlagene Laufbahn verlassen hat. Sein letztes Bühnenwerk, ödip zu Colonos, hat dem Stil nach mit keiner Oper Ähnlichkeit als mit der Vestalin von Spontini.ls

Richard Wagner hat nie in Graz geweilt. Und doch ist sein Werk und seine Persönlichkeit eng mit der Steiermark verbunden. Man pflegt die österreichische Erstaufführung des Tannhäuser 1854 an den Beginn dieser Beziehungen zu setzen. Aber der eben zitierte Hinweis auf Hütten­brenner als „Vorläufer" Wagners deutet doch auf dessen Verflechtungen mit dem steirischen Kulturgeschehen hin, die einige Zeit vor der Tann­häuser-Erstaufführung basieren. So findet 1815 in Graz eine Aufführung von Spontinis Vestalin statt mit Wilhelmine Fischer und Josef August Röckel in den Hauptrollen.19 Unmittelbar vorher war in Graz Röckeis Sohn August zur Welt gekommen, der bekanntlich im Leben Wagners eine nicht unwesentliche Rolle spielt.20 Besonders bemerkenswert scheint die Mitwirkung des jungen Tenors Josef Alois Tichatschek in Hütten­brenners Lenore. In den Jahren nach 1840 rückt er zu den führenden Vor­kämpfern der Kunst Richard Wagners auf und singt 1845 in der Tann­häuser-Uraufführung in Dresden die Titelrolle.21 Der Tannhäuser scheint überhaupt eine Art Schicksalsoper der steirischen Kulturgeschichte zu sein. In einem Nachruf für Robert Stolz wurde behauptet, sein Vater habe die österreichische Erstaufführung des Tannhäuser in Graz dirigiert. Das ist ein interessanter Irrtum. Es wurde nämlich die Wiener Erstaufführung 1857 vom Dirigenten Eduard Stolz, der jedoch mit dem Vater von Robert Stolz nicht identisch ist, geleitet. Dennoch gab es in Wien schon vor Graz einen Tannhäuser, und zwar von Franz von Suppe auf ein Libretto von Heinrich von Levitschnigg (1852).22 In einem literarischen Jahrbuch, das Nachlaßgedichte von Levitschnigg brachte, wird erwähnt, daß sie von einer Verwandten des Dichters, Frau Magdalena Hysel, zur Verfügung gestellt wurden.23

Die Nennung dieses Namens weist auf einen wichtigen Gestalter des Grazer Musiklebens im Biedermeier, auf Franz Eduard Hysel, der mit­unter in der einschlägigen Literatur etwas zu panegyrisch behandelt

18 H . F e d e r h o f e r , Artikel Hüttenbrenner, in: Die Musik in Geschichte und Ge­genwart ( = MGG), 6. Bd., Kassel-Basel 1957, Sp. 849.

19 Der Aufmerksame, Graz 1815, Nr. 4. 20 R. S i e t z , Artikel Röckel, MGG 11, 604 f. 21 H . F e d e r h o f e r , Artikel Tichatscheck, MGG 13, 392. — D. G l a w i s c h -

n i g , Anselm Hüttenbrenner 1794-1868. Sein musikalisches Schaffen, Graz 1969, S. 39. 22 A. W i t e s c h n i k , Musik aus Wien. Die Geschichte einer Wcltbezauberung,

Wien 1955, S. 267. - Ders., Wiener Opernkunst. Von den Anfängen bis zu Karajan, Wien 1959, S. 125 f., 288.

23 Die Dioskuren. Literarisches Jahrbuch des Ersten allgemeinen Beamtenvereines der ö.-u. Monarchie, 13. Jg., Wien 1884, S. 208.

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wird.24 Neueste Forschungen haben auch die Legende vom steirischen Prinzen, der keine Gelegenheit verabsäumt habe, Hysel auszuzeichnen, widerlegt.25 Trotzdem darf man Hysels Bedeutung nicht unterschätzen. Intensive Forschungstätigkeit könnte zu seinen bereits gewürdigten Wir­kungsbereichen für das Musiktheater, für die Musikerziehung noch uner­schlossene Betätigungsfelder nachweisen, wie dies unlängst Wolfgang Suppan in bezug auf Hysels Beiträge zur Folklore getan hat.26

Hysels eigenes kompositorisches Schaffen ist vergessen und vielfach ver­schollen. Er teilt dieses Los mit seinem Zeitgenossen Heinrich Eduard von Lannoy, der als Komponist der ersten steirischen Oper bekannt geworden ist. Dieses Werk mit dem Titel „Der Schreckenstein" schrieb auch als erstes steirische Kostüme für die Darsteller vor.27 Roderich von Mojsiso-vics, nicht nur als musikalisch Schaffender, sondern auch als dilettieren-der Musikschriftsteller tätig, hat in einem Aufsatz diese Oper als pseudo-stcirisch abgetan.28 Immerhin wußte er zu berichten, daß der Schrecken­stein im Text auch Teufelstein genannt werde, und ob es einen solchen in der Steiermark gebe, entziehe sich seiner Kenntnis. Dem Bewanderten in der steirischen Landeskunde ist wenigstens unter diesem Namen jener bizarr geformte Felsen in der Waldheimat ein Begriff, von dessen sagen­hafter Überlieferung Peter Rosegger bereits in seinem ersten Buch Mittei­lung macht.29 Es ist nicht Aufgabe dieses Aufsatzes, über die Anfänge der steirischen Sagenüberlieferung zu handeln. Aber ein Name ist in diesem Zusammenhang zu nennen, der des Schriftstellers und Mitarbeiters Erz­herzog Johanns, Ignaz Kollmann. Wie man seinem durch Jahrzehnte von ihm geleiteten Volksblatt „Der Aufmerksame" entnehmen kann, war ihm das Sagengut der Steiermark aus allen Teilen des Landes wohlvertraut. Es ist durchaus denkbar, daß Kollmann die Sage vom Teufelstein kannte und Lannoy zum Opernstoff anregte. Die Zusammenarbeit beider Künstler war auch sonst rege. Als Lannoy in Graz Fuß faßte, schloß er sich dem Kreis um Kollmann an, er war Mitarbeiter des „Aufmerksamen" und ver-

R. B a r a v a l l e , Franz Eduard Hysel, Ein Alt-Grazer Musiker, in: Aus dem Mu­sikleben des Steirerlandes. Graz 1924, S. 70 -78 . - H . F e d e r h o f e r , Artikel Hysel, MGG 6, 1030 ff. - Die Vorrangstellung Hysels noch bei A. W e i n m a n n , Ein Bei­spiel zur Mozartpflege in der Steiennark, in: Mitteilungen der Internationalen Stiftung Mozarteum, 23/1975, Heft 3/4, S. 8 -12. - Ders., Etwas zu: Beethoven und die Steier­mark, m: Mitteilungen des Steirischen Tonkünstlerbundes ( = MStTb) 64/1975, S. 6 ff. - Z u r Einordnung Hysels vgl. jetzt O. H a f n e r , Unbekannte Berichte über frühe Mozartpflege in der Steiermark, MStTb 63/1975, S. 1-9. - Ders., Franz Deyerkauf, Initiator des ältesten Mozart-Denkmals der Welt, in : Mitteilungen der Internationalen Stiftung Mozarteum, 24/1976, Heft 1/2, S. 13.

^ 2 ,LE i . n (ö K o n „ t r o v e r s e zwischen Erzherzog Johann und Franz Eduard Hysel, MStTb 61/1974, S. 14 f.

*• W. S u p p a n , Folklore im Grazer Konzertleben des Biedermeier, in : Historisches Jahrbuch der Stadt Graz 5/6 (1973), S. 130, 132. riQO-^'QBoo.r a v a ] 1 e ' F ü l l r e r durch die Ausstellung 100 Jahre Grazer Schauspielhaus

28 R. v. M o j s i s o v i c s , Die älteste steirische Oper, in: Aus dem Musikleben des Steirerlandes, Graz 1924, S. 83-87.

29 P. K. R o s e g g e r , Zither und Hackbrett. Gedichte in obersteirischer Mundart, Graz-Leipzig 1870, S. 130-135.

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tonte Texte Kollmanns.30 Ein bemerkenswertes Detail sei hier am Rande eingefügt. Eine 1817 entstandene Oper Lannoys, „Die Morlaken", beruhte auf einem Libretto des in Graz wirkenden Professors der italienischen Sprache Giuseppe Rossi. Dieser hatte fünf Jahre zuvor keinem Geringeren als Rossini das Textbuch zu seiner Oper Tancred geliefert.31 Sicherlich war das enge Zusammenwirken von Rossini über Rossi zu Lannoy letztlich von Einfluß auf Kollmann und seine Übersetzung des Barbiers von Sevilla, der ersten im deutschen Sprachgebiet.

Ein dreisprachiges Gedicht an die in Graz wirkende Sängerin Wilhel­mine Fischer kann ebenfalls als Zeugnis dieser Künstlergemeinschaft her­angezogen werden. Der französische Teil stammt von Lannoy, der italie­nische von Rossi, die deutsche Fassung wurde auch hier von Kollmann bei­gestellt.32

Kollmanns Leistungen für die Künste haben keine entsprechende Wür­digung erfahren. Aber die künftige Kulturgeschichtsschreibung der Steier­mark, die bisher nur spärlich und sporadisch erfolgt ist, wird diesen her­vorragenden Gestalter der Kulturszene des 19. Jahrhunderts nicht umge­hen können, auch wenn dies so mancher engstirnige Geist geglaubt hat. Den Horizont Kollmanns umreißt mit bemerkenswerten Worten Her­mann von Schmeidel, dessen gewichtige Ausführungen leider nicht in das Bewußtsein der Landeskunde gedrungen sind: Besonders schöne Herzens­töne klingen seit 1812 in den Kunstmitteilungen der „Grazer Zeitung" und ihres literarischen Beiblattes „Der Aufmerksame". Der dortige Re­dakteur Ignaz Kollmann hat am Kunstleben regsten Anteil genommen und wir gehen wohl nicht fehl, wenn wir in ihm den Verfasser der ersten Musikvereinssatzung vermuten. Er genoß das Vertrauen des größten steirischen Kunstförderers, des Erzherzogs Johann. Die Kulturpolitik sei­ner Publizistik nimmt viel von dem voraus, was das Schrifttum der näch­sten Generation vor allem durch die musikpolitischen Arbeiten Richard Wagners und Wilhelm Heinrich Riehls für das öffentliche Kulturleben fordert. Nur vereinigt dieser Österreicher Kollmann die beiden Ufer des Denkens über Musik durch die Brücken, die das geistige Wien der Kon­greßzeit über den Strom der künstlerischen Entwicklung schlägt. Viele der musikalischen und musikorganisatorischen Bestrebungen der Stei­ermark seit dem Bestehen ihres Musikvereines verwirklichten im voraus oder gleichzeitig die Wünsche, mit denen R. Wagner und W. H. Riehl die kulturelle Fürsorge des Königs von Bayern lenkten.33

Die Grazer Kulturgeschichte unserer Epoche kann auf mehrere Persön­lichkeiten blicken, deren Kapazität auf mittelbare oder unmittelbare Weise mit den großen Meistern in Berührung kommt. Zu ihnen gehört die

30 W. S u p p a n , H. E. v. Lannoy, a. a. O., S. 12, 82. _ 31 Steirisches Musiklexikon, a. a. O., S. 482. - F . L i p p m a n n , Artikel Rossini,

MGG 11, 955 f. 32 Der Aufmerksame, Graz 1816, Nr. 136. . _ 33 H . V. S c h m e i d e l , Anteil der Steiermark an der deutschen Musik, m: Das

Joanneum, 3. Rd., Musik im Ostalpenraum, Graz 1940, S. 45.

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Grazer Pianistin Marie Pachler-Koschak, deren Kontakte zu Beethoven und Schubert schon mehrmals geschildert wurden.34 Weit weniger weiß man um die Pianistin Ernestine Perthaler aus Graz. In einem Konzert, das sie 1828 in Leipzig gab, trat die neunjährige Clara Wieck erstmals öffentlich auf.35 Im selben Jahr erscheint der Hauptmann Johann Per­thaler (Graz) als Subskribent von Nissens Mozart-Biographie.36 1825 bot der Grazer Musikverlag Kraeer und Deyerkauf eine Sammlung von Wal­zern unter dem Titel „Musikalisches Füllhorn" von 24 in Graz lebenden Tonkünstlern an, unter denen sich eine Charlotte Perthaler befand.37

Gerade solche Inserate sind für die Kulturgeschichtsforschung eine sehr wichtige, für den Grazer Raum noch ganz unausgeschöpfte Quelle. Jene 24 Komponisten — auch einige Damen befinden sich darunter — sind selbst der einschlägigen musikwissenschaftlichen Literatur der Steiermark zumeist unbekannt. Einige von ihnen — etwa die Gräfin Szapary oder Vertreter der Familie von Glaunach — gehören ungefähr gleichzeitig als ausübende Mitglieder dem Musikverein für Steiermark an, ebenso der In­strumentenmacher Michael Wierer.38 Zu den spärlichen Angaben über ihn in der bisherigen Literatur39 sei ein Inserat gefügt, das in Gemein­schaft mit einem zweiten einen nicht uninteressanten Einblick in den Musikalienhandel und Musikbetrieb von Graz im Biedermeier gewährt: Ein Fortepiano ist auszuleihen. Da dasselbe von dem berühmten Wierer nach der neuen Art bis in das hohe C verfertiget und vorzüglich gut ist: so wünschet man dasselbe um einen höheren Preis an ein besonders sichers Ort zu vermiethen; man hat sich dießfalls im Mariahilferkloster im ersten Stock rückwärts in der ersten Knabenklasse . . . zu erkundigen. Wenige Wochen später sieht dieses Inserat etwas anders aus. Vom berühmten Wierer ist nicht mehr die Rede. Nur noch, daß am vorbenannten Ort ein sehr gutes Fortepiano bis ins hohe C jedoch keinem Hacker gegen billigen Monatszins zu vergeben sei.40

Eher Anspruch auf das Attribut „berühmt" hatte Wierers Kollege und Zeitgenosse Karl Schell, Erbauer der Orgel in der Barmherzigenkirche zu Graz. Ein Bericht über die Einweihungsfeierlichkeit dieser Orgel kommt auch auf Schell zu sprechen und weist Arbeiten von ihm außerhalb der Steiermark nach, was für sein Ansehen jenseits der Grenzen des Landes zeugt: Der Künstler, der sie mit Talent und liberalem Fleiße verfertigte, ist Herr Johann (sie) Schehl, ein braver empfehlungswürdiger Mann, der

34 Literaturverzeichnis in: Steirisches Musiklexikon, a. a. O., S. 420. 35 B. L i t z m a n n , Clara Schumann. Ein Künstlerleben, 1. Bd., Leipzig 51912,

S. 14. 38 G. N. N i s s e n , Biographie W. A. Mozarts . . ., Leipzig 1828, S. XLII. "^Steyermärkische Intelligenzblättcr zu Nro. 168 der Grätzer Zeitung v. 22. Oktober

1825. 38 Der Aufmerksame, Graz 1825, Nr. 31, 32. 39 Vgl. die Angaben zu Wierer, Schell und Krainz bei H . F e d e r h o f e r , Beiträge

zur Geschichte des Orgelbaues in der Steiermark, in: Aus Archiv und Chronik, Blätter für Seckauer Diözesangeschichte, 4/1951, S. 46 f.

40 Steyermärkische Intelligenzblätter zu Nro. 19 und 39 der Grätzer Zeitung v. 1. Februar u. 9. März 1811.

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sich in Oesterreich und in Steyermark sowohl durch neuen Bau, als durch schwierige Reparaturen der beschädigten und Vervollkommnung der mangelhaften Orgeln kunstgerecht als Mann seines Faches bewährt hat. Die k.k. akademische Kirche in W. Neustadt, jene von Baden, Großenzers-dorf, Rein und mehrere geben ihm das ernpfehlendste Zeugniß.41 1825 bietet er an zwey neue Fortepiano mit 6 Octaven, durchaus dreysaitig, ganz nach der neuesten Art, das eine mit Flöten und blasende Fagott-Tö­ne, die durch Treten des Blasebalges hervorgebracht werden, zwey neue Kirchen-Orgeln mit 8 und 9 Register, eine alte mit 10 Register, alle drey mit Pedal, ein Positiv mit 3 Register, und eine Dreh-Orgel mit drey Regi­ster in einem politirten Cammodkasten, sind beym Unterzeichneten um die billigsten Preise zu verkaufen. Carl Schehl, Orgel- und Instrumenten­macher in der Jakominigasse Nr. 114 im eigenen Hause.42

In dessen unmittelbarer Umgebung lebte der dritte bedeutende Erzeu­ger von Instrumenten im Grazer Biedermeier, Matthias Krainz, wohl identisch mit dem Herrn Kränz aus Graz, der 1831 die Orgel für die Pfarrkirche in Turrach lieferte.43 Auch von ihm gibt eine „Nachricht" Kunde, die das Wissen über ihn in wünschenswerter Weise bereichert: Nachricht. Dem Unterzeichneten ist nunmehr von der hohen k. k. Länder­stelle, nebst der schon früher erteilten Konzession zum Orgelbau, Ver­fertigung der Fortepianos und Tasteninstrumente, auch die Bewilligung zur Verfertigung der Guitarren genädigst ertheilt worden. — Indem der­selbe nunmehr diese hohe Bewilligung, seine in Italien erlernte Kunst ungehindert ausüben zu dürfen, zur allgemeinen Kenntniß bringt, danket er zugleich für die ihm bisher gewährte Unterstützung mit der Versiche­rung, daß er sich derselben durch schnelle Bedienung, Wohlfeilhe.it, Neu­heit und Reinheit seiner Kunstprodukte, immer würdiger zu machen thätigst bestreben wird; und zeiget zugleich an, daß er nebst den gewöhn­lichen Guitaren von verschiedenen Preisen Tongehalt und ganz neuen Verzierungs-Formen, auch die allgemein beliebten Guitares Doubles oder Doppelguitaren verfertige. Mathias Kreinz, Instrumentenmacher, der-mahl wohnhaft am Jakominiplatz im Hause des Maurermeisters Bene­dikt Withalm Nro. 72.u

Bei Letztgenanntem haben wir es offenbar mit dem Vater des bekann­ten Grazer Biedermeierarchitekten Benedikt Josef Withalm, der das Stadtbild von Graz mit einem kuriosen Gebäude, dem „Coliseum", berei­cherte, zu tun.45 Nach einer langwierigen Krankheit sprach er dem Arzt

41 Der Aufmerksame, Graz 1818, Nr. 47. „ . „ 42 Steyermärkisches Intelligenzblatt zur Grätzer Zeitung 36, v. 25. Mai 1885. 43 I. W o i s e t s c h l ä g e r - M a y e r . Die Kunstdenkmäler des Gerichtsbezirkes

Murau ( = österreichische Kunsttopographie Bd. XXXV), Wien 1964, S. 146. 44 Steyermärkische Intelligenzblätter zu Nro. 43 der Grätzer Zeitung v. 16. März

1811. 45 Vgl. F. P o p e l k a , Die Bürgerschaft der Stadt Graz von 1720 bis 1819 . . . . ( -

Veröffentl. d. Wiener Hofkammerarchivs V, hgg. von J. Kallbrunner), Baden bei Wien 1941, S. 121, wo zwei Träger des Namens Benedikt Witthalm als Maurer und Baumei­ster genannt sind. - Vgl. auch A. S c h 1 o s s a r, Josef Benedikt Withalms „Coliseum in Alt-Graz, in: Grazer Schreibkalcnder für 1925, S. 169-178.

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Ignaz Werle öffentlich Dank aus.46 Wie die meisten Persönlichkeiten von Graz im 19. Jahrhundert ist Werle unerforscht. Und doch darf sein Name gerade in einer Darstellung des musikalischen Geschehens nicht uner­wähnt bleiben. Er war Zeuge der Trauung zwischen dem Advokaten Karl Pachler und der Pianistin Marie Pachler-Koschak im März 1816.47 Ge­meinsam mit dem ihr eng verbundenen Historiker Julius Franz Schneller trat Werle als Rezitator im Rahmen musikalischer Akademien auf.48 Er gehörte dem ersten permanenten Ausschuß der Steiermärkischen Spar­kasse an und manifestiert damit die engen Bindungen, die dieses Institut seit je zur Musik halte.49

Ebenso wie Werle stammte Josef von Varena aus Marburg, der in Graz seine zweite Heimat fand. Hier vermochte er sich, der als Advokat wie manche andere bedeutsame Persönlichkeit des kulturellen Lebens haupt­beruflich dem Rechtswesen zugewandt war, in die Gesellschaft zu inte­grieren. 1801 finden wir Varena neben dem bedeutenden Grazer Frei­maurer Franz von Rosenthal als Trauzeugen des Buchhändlers und Verle­gers Alois Tusch in Graz, 1833 bei der Hochzeit des Grenzwachkommis­särs Jobst. Auch hier steht neben Varena in der Person des Lorenz von Vest, einem Vertrauten Erzherzog Johanns, ein prominenter Trauzeuge zur Seite.50 Es wird daraus ersichtlich, daß die Durchsuchung von Matri­ken nach Zeugen und Paten als lohnendes Feld zur Erforschung der Per­sonengeschichte beschritten werden kann, gerade weil es an authentischen Zeugnissen über Persönlichkeiten der Grazer Biedermeierzeit mangelt.

Varenas Name wird vor allem im Zusammenhang mit Beethoven ge­nannt, da er in Gemeinschaft mit Julius Franz Schneller um die Einfüh­rung der Werke des Meislers in Graz besorgt war. Schnellers vielfältige Tätigkeit, als mitreißender Vortragender, brillanter Gesellschafter, als schwungvoller historischer Schriftsteller wie formvollendeter Poet ebenso aktiv wie auch als Förderer großer und kleiner Talente, mochte Harald Kaufmann als der „interessanteste Kopf des vormärzlichen Graz" schei­nen.51 Die Detailforschung vermag Kaufmanns Buch in manchem zu er­gänzen und auch seine Wertung etwa über Schneller nicht unbedingt zu teilen.52 Gerade für ein so „ruhendes" Thema wie die Grazer Kultur­geschichte des Biedermeier wird sie sich als fruchtbar erweisen.

48 Steyermärkisches Intelligenzblatt Nr. 181 zur Grätzer Zeitung 1827, 11, 12. 47 Stadtpfarre Hl. Blut Graz, Trauungsbuch XIX, 1813-1828, fol. 91. 48 J. Schnellers hinterlassene Werke. Aus Auftrag und zum Besten seiner Familie,

hgg. von E. Münch, Leipzig-Stuttgart 1834, 3. Bd., S. 37. 49 W. K a i s e r f e l d - II. P o s c h a c h e r , Die Steiermärkische Sparkasse

1825-1925, Graz 1925, S. 4 f. - Zu Werle vgl. noch J. C. H ( o f r i c h t e r ) , Lebens­bilder aus der Vergangenheit. Als Beitrag zu einem Ehrenspiegcl der Steiermark, beson­ders der Stadt Marburg, Graz-Marburg 1863, S. 22 -25 .

50 L. S c h i v i z von S c h i v i z h o f f e n , Der Adel in den Matriken der Stadt Graz, Graz 1909, S. 243, 336.

51 H . K a u f m a n n , Eine bürgerliche Musikgesellschaft. 150 Jahre Musikverein für Steiermark, Graz 1965, S. 14.

52 H . F e d e r h o f e r , Musikleben in der Steiermark, in: Die S te ie rmark/Land-Leute-Leistung, Graz 21971, S. 645.

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