Ballspiele im historischen Kontext
Institut für Sport und SportwissenschaftenZur Theorie und Praxis der Spiele
Literatur• Mendner, S. (1956). Das Ballspiel im Leben der Völker.
Münster: Aschendorff• Stiehler, G., Konzag, I. & Konzag, G. (Ltg.
Autorenkollektiv) (1988). Sportspiele. Theorie und Methodik der Sportspiele. Berlin: Sportverlag (Kap 1 Geschichte der Sportspiele)
• Krüger, M. (1987). Muß das Spiel vor dem Sport gerettet werden? Zur Instrumentalisierung des Spiels in der Geschichte des Sports. In Sportunterricht 36, 326-335
• Mathys, F.K. (1983). Die Ballspiele. Eine Kulturgeschichte. Dortmund: Herrenberg
Gliederung• Einleitung1. Ballarten2. Urformen3. Ritual und Kult4. Älteste Befunde5. Ballspiele der Naturvölker6. Ballspiele in der Antike7. Ballspiele im Abendland8. Versportung der Spiele9. Entwicklung in Deutschland10. Geburt der Sportspiele• Zusammenfassung und Ausblick
Welches Interesse besteht an einem historischen Exkurs?
Die heutige Erscheinungsform unserer Ballspielemuss in einem größerensozialen und historischen Zusammenhangbetrachtet werden, um die zeitabhängigeBedingtheit der heutigen Ausprägungsformbesser verstehen zu können.
Welches Interesse besteht an einem historischen Exkurs?
Der Körper ist nicht nur ein biologischesOrgansystem, sondern ist ein durch und durchsoziales Gebilde,das historischen Veränderungen unterliegt.
Zusammenfassung• Das belegbare Alter der Ballspiele ist
menschheitsgeschichtlich im Vergleich zu anderen Körperübungen jünger
• Bewegungsspiele weisen wie der Tanz eine besonders starke Tendenz mit religiös-kultischem Ritual auf
• Die Entstehung der Spielweisen wurde primär durch die Form des Ball bestimmt
• Die Entwicklung der verschiedenen Spielformen haben sich sowohl unabhängig als auch in wechselseitiger Beeinflussung vollzogen
Zusammenfassung• Viele Spielformen lassen sich auf zwei Urformen
zurückführen: „Spielen mit dem Ball“ und „Kampf um den Ball“
• Zunächst Spiele mit der Hand, später mit Schlaggeräten
• Viele Quellen sind nur verweisende, nicht im Original vorliegende; diese mangelhafte Überlieferung versagt uns einen tieferen Einblick
• Ziel ist nicht eine sportkulturtheoretische Antiquitätensammlung, sondern Spielentwicklung aus dem biographischen Bezug heraus zu begreifen
Was bezeichnen wir als Spiel?
Eine Tätigkeit mit den Merkmalen• lustbetont• von äußeren Zwecken frei• ungezwungen• von der Phantasie geleitet• biologisch bedingt• soziale, kulturelle, pädagogische Bedeutung.
Bewegungskulturen sind immer Ausdruck der sie umgebenden Gesellschaft und von den entsprechenden Werten und Normen gekennzeichnet.
Die historische Spielforschung beschäftigt sich mit den historischen Spielformen auch in anderen Kulturen, deren Entwicklung und Veränderung im Laufe der Zeit und deren Zusammenhang mit bestimmten kulturellen Grundmustern.
Das Spielen um seiner selbst willen ist primär, dagegen sekundär die Entwicklung zu Magie, Kult und Symbolik.
Gliederung• Einleitung
1. Ballarten2. Urformen3. Ritual und Kult4. Älteste Befunde5. Ballspiele der Naturvölker6. Ballspiele in der Antike7. Ballspiele im Abendland8. Versportung der Spiele9. Entwicklung in Deutschland10. Geburt der Sportspiele• Zusammenfassung und Ausblick
Ball• Spiel- und Sportgerät• Form: kugel-, eiförmig• Größe: 2cm-2m Ø• Art: ausgestopft,
aufgeblasen, genäht, geflochten, massiv
• Material: Leder, Gummi/Kautschuk, Kork, Holz, Innereien, Federn, Bananen, Bambus/Schilf, Haar, Elfenbein, Kunststoff
Urformen der Ballspiele
A Idealistische Sicht
Der Ursprung liege inMythos, Religion, Kult,Aberglaube verborgen.
B Materialistische Sicht
Der Ursprung ist verwurzeltin der Entwicklung dermenschlichen Existenz-bedingungen wieNahrungserwerb, Formen des Zusammenlebens u.a.
So könnte es angefangen haben:
Rundliche Gegenstände sind dank ihrer geringenBerührung mit der Unterlage sehr labil. Wind und Stoßsetzen sie in Bewegung und weckt Verwunderung undNeugier aus. Diese neugier-bezogene Betätigung istnoch primitiv und beruht auf der reinen Freude an dernoch tückischen Bewegung. Das spielerischeExperimentieren im Kleinen ist womöglich das Abbilddes großen Strebens und Werdens der Menschheit.
Symbolkraft des Balles• Spiegelbild der
himmlischen Gestirne• Ohne Rückkehr
(=Aufgang) der Sonne gebe es kein Leben, Wachstum
• Symbol des Glückes, der Fruchtbarkeit
• Der Mensch versucht diese Kraft zu erhalten
Älteste Befunde
Pyramidentext aus der Zeit um 2500 v. Chr.:
„Richte das Schiffstau, fahre über die misk`t (unbekannter Teil des Himmels), schlage den Ball auf der Wiese des Hapj“
(Mendner, 1956, S. 44)
Älteste Befunde
Abbildungen auf den Grabreliefs von Beni Hassan –Ägypten-ca. 1900 v. Chr.
Älteste Befunde
Abbildungen auf den Grabreliefs von Beni Hassan –Ägypten-ca. 1900 v. Chr.
Älteste Befunde
Cu-Ju (Ball stoßen)Altchinesischer FußballspielerRelief Han-Dynastie 206 v.Chr. – 220 n.Chr.
Älteste Befunde
Kemari
ca. 88 n. Chr. Japan
Gliederung• Einleitung1. Ballarten2. Urformen3. Ritual und Kult4. Älteste Befunde
5. Ballspiele der Naturvölker6. Ballspiele in der Antike7. Ballspiele im Abendland8. Versportung der Spiele9. Entwicklung in Deutschland10. Geburt der Sportspiele• Zusammenfassung und Ausblick
Ballspiele der NaturvölkerMEXIKO(Rarajipari)
Ballspiele der Naturvölker
1-2 SchlaggeräteHolz- oder LederballEisrakettFläche: 110m - über 2kmTeilnehmer: 40 – 1000
Nordamerikanischer Schlagball-Menomini in Wisconsin-
Ballspiele der Naturvölker
• Volksfest mit vielen Zeremonien
• Sieg: 100 Tore• Lacrosse
Nordamerikanischer Schlagball-Tscokata-
Ballspiele der Naturvölker
• Brasilien/Bolivien• 4 – 12 Spieler• Gummiball• Größe: 9 – 11 cm• Hochball
Südamerikanisches Kopfball-Paressi-Kabischi-
Ballspiele in der Antike
GRIECHEN• Agonaler Charakter (Homer: „Immer der beste
zu sein und die anderen zu überragen“)• Ästhetischer Charakter (tänzerische
Ballvorführungen; Jonglieren, • Hohe Beliebtheit und hohe Anerkennung
(Ehrenbürger, Statuen)
Ballspiele in der Antike
SPIELARTEN• dadatim ludere „gebenderweise spielen“ =
Passen (Fußball)• expulsim ludere „schlagenderweise spielen“ =
Schlagen, Stoßen, Prellen (Tennis, Schlagball)• raptim ludere „raffenderweise spielen“ = Mann
gegen Mann-Taktik
Ballspiele in der Antike
Ballbalance(Grabrelief in Piräus)
Vielfältiges Jonglieren
Ballspiele in der Antike
RÖMER• Ideal der Körperbildung: Wehrertüchtigung• Spiel als Selbstzweck wird zunächst eher
abgelehnt• Ballspiele fanden Akzeptanz als Mittel zur
Förderung der Gesundheitspflege • Der üppige Lebensstil in der Spätzeit macht
Ballspiele als Mittel für Unterhaltung populär
Ballspiele in der Antike
Reiterballspiele (ephedrismos) als Fangspiele
Ballspiele in der Antike
Mosaik(Villa Armerina Sizilien 400 n. Chr.)
Schlagspiele:
Trigon
Ballspiele in Europa
Fresken im SchlossRunkelstein beiBozen (14. Jhdt.)
Ballspiele in Europa
P. Bruegel d.J.„St. Georgskirmes“
Ballspiele in Europa
Pallone
Kupferstich (Ende 16. Jhdt.)
Ballspiele in Europa
Pallone
Kupferstich M. Merian (1593-1650)
Ballspiele in Europa
Soule
Ballspiele in Europa
Jeu de paume
Ballspiele in Europa
Jeu de paume
Tennis
Spielraum-Anpassung,womöglich aber auch
Premiere
( Innenhöfe/Außenanlagen von Schlössern/Landhäusern )
Ballhaus - Entwicklung
Ballhaus in Coburg(1632)
Gliederung• Einleitung1. Ballarten2. Urformen3. Ritual und Kult4. Älteste Befunde5. Ballspiele der Naturvölker6. Ballspiele in der Antike7. Ballspiele im Abendland
8. Versportung der Spiele9. Entwicklung in Deutschland10. Geburt der Sportspiele• Zusammenfassung und Ausblick
Versportung der Spiele
Zunächst Privileg für wenige
Versportung der Spiele
Beginnender Abbau der Standesgrenzen:* offene Wettkämpfe* Patronisierter Sport
Sport ein Instrument der sozialen Differenzierung und Diskriminierung??
Versportung der SpieleGENTLEMAN-Sport• Spiel zwei Funktionen
* Zusammengehörigkeitsgefühl* Abgrenzung von den Arbeitern
• Domestizierung des „barbarischen Volks-Spiel“ Fußball
• Geburtsstunde von fair-play und teamwork
Versportung der SpieleMETROPOLITAN-Sport
• Unterschiede zum G-S* Professionals* Zuschauerspektakel
• Finanzierung durch Fabrikbesitzer (z.B. Westham United)
• Abgrenzung des G-S vom M-S:1866 Amateurregel
„Wer Sport nicht spielerisch betreibt, treibt eigentlich keinen Sport“ (Krüger, 1987, S. 329)
Kurzformel des Amateurismus
Entwicklung in DeutschlandRousseau
Natürliche Erziehung:Spiele unterliegen keinem Zweck, sondern sind eine Quelle ursprünglicher Erfahrung
PhilanthropenSpiele wieder vermehrt nach Nützlichkeitsaspekten betrachtet: Instrument für Gesundheit, Übung, Abhärtung, Erholung, Charakter-bildung
Entwicklung in DeutschlandGutsMuths 1796
Spiele zur Übung und Erholung des Geistes. Für die Jugend, ihre Erzieher und alle Freunde unschuldiger Jugendfreuden“
Jean Paul (Romantik)Entfaltende Erziehung: Die wichtigste Aufgabe der Erziehung sei es, die Individualität des Menschen, sein „freitätiges Ich“ hervorzubringen. Jede Erziehung solle sich in freudiger Grundstimmung vollziehen. „Spiele, d.h. Tätigkeit, nicht Genüsse erhalten Kinder heiter“
Entwicklung in DeutschlandTurnspiele
Turnen kein Selbstzweck, sondern solidarische Vereinigung des dt. Volkes im Kampf für die Freiheit
Nach der Turnsperre bleibt in der preuß. Schule von einem romantisch-idealistischen Spielverständnis nicht viel übrig
Entwicklung in Deutschland• Renaissance des Spieles„...Kraft und Geschicklichkeit zu betätigen und sich
des Kampfes zu erfreuen, der mit jedem rechten Spiel verbunden ist. Es giebt schwerlich ein Mittel, welches wie dieses so sehr im stande ist, die geistige Ermüdung zu beheben, Leib und Seele zu erfrischen und zu neuer Arbeit fähig und freudig zu machen“
(Goßlerscher Spielerlass 1882)
Geburtsstunden• Erste Regelausgaben1852 Hockey1862 Fußball1874 Tennis1876 Wasserball1891 Basketball1892 Handball1895 Volleyball
• Erste Verbandsgründung1863 Fußball1871 Rugby1886 Hockey1891 Basketball1895 Volleyball
Geburtsstunden• Internationale
Föderationen1904 FIFA1913 ITF1924 FIH1926 ITTF1928 IHF1932 FIBA1947 FIVB
• Erste Turniere / Meisterschaften
1869 Wasserball1872 Federball1877 Tennis1880 Eishockey1907 Tischtennis
Geburt: Basketball
viele Vorläufer
Geburt: Basketball
Springfield College
Geburt: Basketball
Geburt: Basketball
Zusammenfassung• Das belegbare Alter der Ballspiele ist
menschheitsgeschichtlich im Vergleich zu anderen Körperübungen jünger
• Bewegungsspiele weisen wie der Tanz eine besonders starke Tendenz mit religiös-kultischem Ritual auf
• Die Entstehung der Spielweisen wurde primär durch die Form des Ball bestimmt
• Die Entwicklung der verschiedenen Spielformen haben sich sowohl unabhängig als auch in wechselseitiger Beeinflussung vollzogen
Zusammenfassung• Viele Spielformen lassen sich auf zwei Urformen
zurückführen: „Spielen mit dem Ball“ und „Kampf um den Ball“
• Zunächst Spiele mit der Hand, später mit Schlaggeräten
• Viele Quellen sind nur verweisende, nicht im Original vorliegende; diese mangelhafte Überlieferung versagt uns einen tieferen Einblick
• Ziel ist nicht eine sportkulturtheoretische Antiquitätensammlung, sondern Spielentwicklung aus dem biographischen Bezug heraus zu begreifen
ZIELSCHUSS-, WURF-, GRENZSPIELE
RÜCKSCHLAGSPIELE
SCHLAGBALLSPIELEmit Spielgerät
Ausblick• Was man selbst als Spiel ansieht, muss es in den
Augen der anderen noch lange nicht sein!
• Spiel bezeichnet nicht nur beobachtbare Tätigkeit, sondern auch eine spezifische Einstellung zu dieser Tätigkeit, nicht losgelöst vom gesellschaftspolitischem Kontext
Ausblick
• Zwei Pole prägen das Verständnis von Spiel
subjektives Empfinden gesellschaftliche Bedeutung
• Sport hat in der heutigen Zeit das Spiel „vergewaltigt“ – das Spiel für spielfremde Zwecke in Anspruch genommen?!?
AusblickDrohen die Erscheinungsweisen(hartes-arbeitsähnliches Hochleistungstraining, hoheVernormung mit eigener Gerichtsbarkeit, Zwänge undPflichten, Betrügereien, Macht des Geldes, gewichtigeFunktionäre, Kommerzialisierung um jeden Preis..) das spielerische Element des Sports, seine Kreativität,Spontaneität, seine innovative Kraft, seine Freiheitund Zwanglosigkeit zu verdecken??
AusblickSpiel und Sport müssen für vieles „missbraucht“
werden, aber ist dies dann auch zugleich Nicht-Spiel? Spiele sind nicht nur reines privates, zweckfreies Vergnügen, sondern Teil unserer Kultur.
Spiel ist da gut aufgehoben, wo es außerhalb der Motivlage Beruf, Geld, Ruhm, Karriere, Geltungsstreben erscheint!
Kann oder soll die Schule als Behüter des Eigenwertes des Spieles auftreten?
Gesellschaftlicher Zusammenhang von Kinderspielen
• Nachahmungs- und DarstellungsspieleModelllernen
• Fang- und Laufspiele, z.T. SchlagballspieleJagd
• StaffelspieleNachrichtenübermittlung
• GeländespieleKriegstaktik