Begabungsgerechtigkeit zwischen Inklusion und Exklusion Gabriele Weigand [email protected]
Kongress Begabungs- und Begabtenförderung „Potenziale entdecken, fördern und realisieren“ 4.–6. September 2014 in Brugg-Windisch
Überblick
1. (Begabungs-)Gerechtigkeit in der Diskussion
2. Separation und Inklusion – Forschungsstand
3. Inklusionsforderung und soziale Benachteiligung
4. Lehrer-Schüler-Eltern-Stimmen zu Begabungsgerechtigkeit zwischen Separation und Inklusion/Integration
5. Personorientierte Begabungsförderung – eine pädagogische Antwort auf Begabungsgerechtigkeit in inklusiven Schulen der Vielfalt
Gerechtigkeit: Allen das Gleiche – oder Jedem das Seine? „Gerechtigkeit … hat ihr Wesen darin, dass
man alle Menschen gleich behandelt und keinen vor dem anderen bevorzugt. Das darf jedoch, wenn man die Unterschiedlichkeit der Anlagen und Begabungen berücksichtigt, nicht zu einer öden Gleichmacherei führen. Man wird vielmehr … die G. als die Kunst ansehen, jedem das Seine zukommen zu lassen.“
Es gilt, „den Menschen in allen Situationen
so sehr wie möglich gerecht zu werden“.
W. Weischedel: Skeptische Ethik. Frankfurt/M.:Suhrkamp 1980, S. 117. f.
Wilhelm Weischedel 1905-1975
Gerechtigkeit: Prinzip der Fairness
Grundsätze der G werden in einer fairen Ausgangssituation festgelegt.
Gleiches Recht auf gleiche Grundfreiheiten/
auf gleiche Begabungsförderung Gerecht sind die besseren Aussichten der
Begünstigten nur dann, wenn sie zur Verbesserung der Aussichten der weniger Begünstigten Mitgliedern der Gesellschaft beitragen (Differenzprinzip).
John Rawls: Theorie der Gerechtigkeit. Frankfurt/M.: Suhrkamp, 1979
John Rawls 1921-2002
„Maßnahmen der Herstellung von Bildungsgerechtigkeit müssen sich also immer rechtfertigen, nicht nur vor dem Hintergrund des Rechts Einzelner auf Teilhabe an dem gesellschaftlichen Gut Bildung, sondern auch im Hinblick darauf, ob durch die Herstellung von Bildungsgerechtigkeit neue Ungleichheiten oder soziale Risiken entstehen, die den sozialen Frieden gefährden können.“ (S. 21)
Bildungsgerechtigkeit in der Rechtfertigung
„Besondere Aufmerksamkeit ist in der Gerechtigkeitsfrage auch den Pflichten derjenigen zu widmen, in deren Interesse bildungs-gerechtigkeitsfördernde Maßnahmen ergriffen werden. Da diese von der Gesellschaft als Ganzem getragen werden, somit jeder Einzelne mit seinen Abgaben, genauer also mit Lebenszeit, dafür bezahlt, dass andere Einzelne erhöhte Bildungschancen bekommen,
Bildungsgerechtigkeit in der Rechtfertigung
muss die Gesellschaft als Ganzes von den zu fördernden Personen-gruppen einen maximalen Beitrag zum Erfolg der Bildungsmaßnahmen erwarten.“ (S. 22)
Diskursive Bestimmung von Gerechtigkeit
Gerechtigkeit:
diskursiv zu bestimmen und kontinuierlich öffentlich zu verhandeln
Chancengerechtigkeit und Teilhabegerechtigkeit
Amartya Sen *1933
Berlin: University Press, 2013 Wiesbaden: VS Verl. für Sozialwissenschaften 2008
Begabungsgerechtigkeit in der Diskussion
Begabungsgerechtigkeit in der Diskussion Zentrale Argumentationen: • „Wer hat, dem wird gegeben? Hochbegabtenförderung und Gerechtigkeit“: Forderungen
nach Chancengleichheit oder Chancengerechtigkeit keine überzeugenden Argumente zugunsten der Hochbegabtenförderung (K. Meyer/B. Streim 2013)
• Begabtenförderung und Bildungsgerechtigkeit - zwischen individuellem Anspruch und gesellschaftlichem Nutzen: “Begabte Schüler haben moralischen Anspruch auf einen ihren Lernvoraussetzungen angemessenen Unterricht“; allerdings Gebot der Fairness im Bildungssystem zu gewährleisten (J. Griesinger, 2007; 2008).
• Fair Opportunity in Education: Schwellen-Konzeption der Bildungsgerechtigkeit;
soziale Interaktion zwischen Kindern unterschiedlicher Begabung und Herkunft; Sensibilität für die Belange der Benachteiligten (E. Anderson 1999/2004/2007) .
• Educational Justice and the Gifted : Begabte Kinder benötigen eine herausfordernde Lernumgebung, diese steht letztlich allen Kindern zu (M. Merry 2008).
Überblick
1. (Begabungs-)Gerechtigkeit in der Diskussion
2. Separation und Inklusion – Forschungsstand
3. Inklusionsforderung und soziale Benachteiligung
4. Lehrer-Schüler-Eltern-Stimmen zu Begabungsgerechtigkeit zwischen Separation und Inklusion/Integration
5. Personorientierte Begabungsförderung – eine pädagogische Antwort auf Begabungsgerechtigkeit in inklusiven Schulen der Vielfalt
• Fähigkeitsgruppierungen wirken sich positiv auf die Leistungsentwicklung aus (d=0,49) (Hattie 2013).
• Förderklassen für Hochbegabte (d=30) – ebenfalls positiv (Hattie 2013; zus.f. Preckl & Vock 2013; Stumpf 2012; PULLS-Studie).
• Aufteilung in unterschiedliche Schularten (tracking) (Trautwein & al. 2009).
Trends in der Wissenschaft zur (Hoch-) Begabungsförderung: Pro Separation
Begabungsverständnis: kognitive Hochbegabung oder hohe Leistung
Fördermaßnahmen – Ziel: Umsetzung des vorhandenen Potenzials in Leistung
Fazit: Fähigkeitsgruppierungen nicht nur im Hinblick auf höhere Leistungen, sondern auch im Hinblick auf die maximale Potenzialförderung der Kinder sinnvoll.
Problematik: Begabungsverständnis / soziale Zusammensetzung der Kinder in Begabtenprogrammen
Trends in der Wissenschaft zur (Hoch-) Begabungsförderung: Pro Separation
Keine homogene Gruppe (Prenzel et al., 2013, 87; Tillman 2007, 10)
„Hochbegabte … ihren Altersgenossen ähnlicher als vermutet“ (Freund-Baier 2001, S. 166)
Maßnahmen der inneren Differenzierung und des anreichernden Unterrichts ohne Trennung von den MitschülerInnen beliebter und effektiver als separierende Unterrichtsformen
Durch den Umgang mit Verschiedenheit wird nachweislich Toleranz und Hilfsbereitschaft gefördert (Preuss-Lausitz 1998)
Spezifische Begabtenprogramme ungerecht und undemokratisch
Argumente für schulische Inklusion
Vgl. im Überblick Weigand 2014, S. 60 ff.
.
Gelingensbedingungen für schulische Inklusion
• Positive Einstellung zur Inklusion (Lehrpersonen und Schulleitung)
• Innere Differenzierung / Individuelle Entwicklungspläne • Wirksame Unterrichtsmethoden: Classroom Management,
Kooperatives Lernen, • Professionelle Unterstützung aller Beteiligten; Arbeit in
multiprofessionellen Teams • Gute finanzielle Ausstattung • Einbindung der Eltern in Integrations-/Inklusionsprozess
(Lindsay 2007; Ketterlin-Geler 2007; Jordan u.a. 2010; Werning/ Löser 2010; Lipowsky u.a. 2011; Terhart/ Klieme 2006; Stein 2007; Reh 2008; Friend u.a. 2010; Condermann 2011; Idel u.a. 2012; Werning 2012)
.
Ambivalente Argumente
Leistungsentwicklung • Die Nachteile von leistungsstarken SchülerInnen in heterogenen
Gruppen sind weniger groß als die Vorteile, die leistungsschwache Schüler in solchen Gruppen haben (Schümer 2004)
• Weder leistungsstarke noch leistungsschwache SchülerInnen profitieren von einer nach Leistung vorgenommenen homogenen Lerngruppenzusammensetzung (Hattie 2009)
Akademisches Selbstkonzept • Leistungszuwächse leistungsschwächerer Schüler sind in der
Integration höher bei gleichzeitig schlechterem akademischen Selbstkonzept (Bless 2000; Lindsay 2007)
• Leistung gilt als Prädikator für soziale Integration. Dies erscheint für Kinder mit SFB in inklusiven Settings nicht unproblematisch (Martschinke u.a. 2012);
„Um jeden Schüler/ jede Schülerin ‚begabungsgerecht‘ zu fördern, erweist sich die Gliederung des Schulsystems … als untaugliches Instrument.“ (E. Stern 2006, 12)
Inklusion oder Separation?
„Eine zeitliche Verlängerung der vierjährigen Grundschule und damit ein Aufschub schulischer Differenzierung über die 4. Jahrgangsstufe hinaus ist für die weitere Schulleistungs- und Schülerpersönlichkeits-entwicklung nicht nur abträglich…, sie bringt auch keinerlei Vorteile im Hinblick auf Schulerfolgsprognose am Ende der sechsten (gegenüber der vierten) Jahrgangsstufe.
Eher sind hiervon Nachteile besonders für die
besseren vs. die schlechteren Schüler wegen des Schereneffektes zu erwarten…“
(Heller, 2008, S. 79)
Inklusion oder Separation?
(Hoch-)Begabung als Konstrukt
(Hoch-)Begabung • nicht ein Bündel von Eigenschaften, die es zu
diagnostizieren gilt, sondern ein Konstrukt. • ein historisch variabler, von gesellschaftlichen
Verhältnissen geprägter Begriff, in den dominante Gesellschaftsbilder und Erziehungsvorstellungen einfließen
(Gallagher 1996; Borland 1997, 2004, 2010; Hoyer et al. 2013; Lovett 2013; Horvath 2014)
Überblick
1. (Begabungs-)Gerechtigkeit in der Diskussion
2. Separation und Inklusion – Forschungsstand
3. Inklusionsforderung und soziale Benachteiligung
4. Lehrer-Schüler-Eltern-Stimmen zu Begabungsgerechtigkeit zwischen Separation und Inklusion/Integration
5. Personorientierte Begabungsförderung – eine pädagogische Antwort auf Begabungsgerechtigkeit in inklusiven Schulen der Vielfalt
Begabtenförderung der letzten 35 Jahre Forderung/Perspektive: - Inklusive, personorientierte Förderung in Regelklassen; - Leistungsförderung (Separierte) Förderung: - Begabtenklassen - Akzeleration - Enrichment
Keine systematische schulische Begabtenförderung, kein gesellschaftlicher Konsens über Notwendigkeit
2013 Eckpunkte für die Förderung von leistungsstarken Schüler/innen 2009 „inclusive education system at all levels“ (UN-BRK)
2001 „PISA-Schock“
1991 KMK-Grundsatzpapier zur Begabungsförderung
1990 deutsche Wiedervereinigung
1985 Weltkonferenz für hochbegabte und talentierte Kinder
1978 Gesellschaft zur Förderung hochbegabter Kinder
Regelschul-system
Inklusives Schulsystem: Personorientierte Begabungsförderung
in Schulen der Vielfalt
Spezialschulen oder -klassen für Hochbegabte
Exklusion/ Segregation
Exklusion Separation
Sonder- schulsystem
Regelschul-system
Regelschul-system
Integration: Spezialklassen
Exklusion – Segregation/Separation – Integration – Inklusion
Verständnis von Inklusion (Tendenzen seit der Reformpädagogik):
Es liegt nicht an den Kindern, den Normen der Schule zu entsprechen, es ist Aufgabe der Schule, der Verschiedenheit der Kinder Rechnung zu tragen. (Célestin Freinet, 1896 - 1966)
Inklusive Begabungsförderung
Inklusion geht von einem ungeteilten System für alle aus und zielt auf die Überwindung von Separation in unter-schiedliche Schularten oder schulische Spezialformen. (Salamanca-Erklärung 1994; UN 2006)
Kindern aus sozial benachteiligten Familien und aus Familien mit Migrationshintergrund
Lit.: Naumann, J.; Artelt, C.; Schneider, W.; Stanat, P. (2010). Lesekompetenz von PISA 2000 bis PISA 2009, 48-49. Maaz, K.; Neumann, M., Baumert, J. (Hg.) (2014): Herkunft und Bildungserfolg von der frühen Kindheit bis ins Erwachsenenalter : Forschungsstand und Interventionsmöglichkeiten aus interdisziplinärer Perspektive. Zeitschrift für Erziehungswissenschaft. Sonderheft 24. Wiesbaden: Springer VS.
http://www.augsburger-allgemeine.de/politik/So-viele-arme-Kinder-nicht-nur-Berlin-id14623941.html
Begabungsförderung angesichts von Inklusionsanspruch und sozialer Ungleichheit
Höchster Bildungsabschluss Mutter Vater
Trends bei sozialer Zusammensetzung der Schüler/innen in Begabtenklassen und -schulen
• Hochbegabtenprogramme reproduzieren soziale Ungleichheiten. (Horvath 2014, 121)
• Problematik einer gesonderten (Hoch-) Begabungsförderung angesichts der Kenntnis ungleicher Chancen von Kindern
„gifted education without gifted children“ (Borland 2010)
Beibehalten der Begabungs- und Begabtenförderung als pädagogisches Modell, aber Aufgabe der Zuschreibung von Hochbegabung als Unterscheidungskriterium zwischen Menschen
Begabungsförderung angesichts von Inklusionsanspruch und sozialer Ungleichheit
Überblick
1. (Begabungs-)Gerechtigkeit in der Diskussion
2. Separation und Inklusion – Forschungsstand
3. Inklusionsforderung und soziale Benachteiligung
4. Lehrer-Schüler-Eltern-Stimmen zu Begabungsgerechtigkeit zwischen Separation und Inklusion/Integration
5. Personorientierte Begabungsförderung – eine pädagogische Antwort auf Begabungsgerechtigkeit in inklusiven Schulen der Vielfalt
Was sagen die Betroffenen?
Forschungsprojekt (2012-2014) Pädagogische Hochschule Karlsruhe / Johann Goethe-Universität und Sigmund-Freud-Institut Frankfurt am Main / Unterstützung: Karg-Stiftung vgl. http://www.ph-karlsruhe.de/?id=4808
Zum sozio-emotionalen Selbstverständnis hochbegabter Schülerinnen und Schüler. Bildungsverläufe in der Perspektive themenzentrierter qualitativer Interviews
Forschungsdesign
• Leitfadengestützte Interviews mit Schüler/innen aus Begabtenklassen (1. Befragung) – nach dem Übertritt (5. bzw. 7. Jahrgangsstufe); 5 Gymnasien / 3 Bundesländer (30 Interviews)
2011- 2012
• Leitfadengestützte Gruppeninterviews mit Schüler/innen aus Begabtenklassen (2. Befragung) und parallelen Regelklassen
• Leitfadengestützte Einzelinterviews mit Lehrpersonen (10 Interviews)
• Leitfadengestützte Gruppeninterviews mit Eltern • Teilnehmende Beobachtung in B-Klassen und
parallelen Regelklassen
2012-2013
• Auswertung und Publikation 2013- 2014
Auswahl bei Aufnahme
Das einzige, was relativ hart ist, ist das Auswahlverfahren, weil wir ja ungefähr 50 Prozent der Bewerber ablehnen müssen, 50 Prozent der Bewerber, die hochbegabt getestet worden sind. Und das fand ich nicht so toll, dieses Erlebnis, 40 Kinder zu unterrichten in zwei Gruppen, und danach sich zusammenzusetzen und zu sagen, den nicht und den auch nicht. Aber da können wir als Schule gar nichts dran ändern, weil wir ja nur eine solche Klasse haben dürfen, wir dürfen nicht mehr als eine Hochbegabtenklasse haben. (Frau Schulz, 655-664)
Auf dem Pausenhof geschnitten
Bei uns ist immer die Gefahr, und davor
haben alle immer Angst, dass die B-Klasse, von der jeder weiß, die Hochbegabten, vielleicht auf dem Pausenhof geschnitten wird oder so.
(Frau Schulz, Lehrerinterview,162-166).
Langweilig und unterfordert
• „Ich hab- mich immer etwas langweilig gefühlt in meiner alten Schule, da war der Stoff halt nicht so wie hier. Und (.) es war halt-, (.) ich hab mich ein bisschen unterfordert gefühlt.“ (Peer,12 J., Z. 55-57)
Da war ich auch sofort viel mehr integriert!
In der anderen Schule haben halt alle immer darüber
gelacht... Und das gibt's aber hier eher nicht. … … also da war ich auch sofort, also von Anfang an, nach
der ersten Woche schon viel mehr integriert… (Peer, 12 J., 322-326)
So 'n bisschen rausgesondert
„Im Hochbegabtenzug ist man halt so 'n bisschen rausgesondert“, da „sind eigentlich nur so die streberhaften Streber …“
(Gregor, 11 J., Z. 269-282).
„Die Notenverteilung 'n bisschen ungerecht“
„ …Und manchmal fand ich jetzt auch die Notenverteilung 'n bisschen ungerecht …“ (Ole, 628 f.)
„Aber die Arbeiten sind eigentlich schwerer und-, es wird den Hochbegabten schon ziemlich schwer gemacht, … aber am Ende schreibt man eigentlich die gleichen Noten wie die Normalen ...“ (Gregor, 253-254, 335-336)
„Wir sind alle gleich, wir sind alle Menschen“
Also im Prinzip … -, ich würde jetzt nicht sagen, die
sind total anders als die, weil im Prinzip wir sind alle gleich, wir sind alle Menschen.
(Lara, 10 J. 582-584)
Alle Schwächsten zusammen – das find ich einfach schlecht
… also, es ist halt einfach so, dass zum Beispiel die
Integration in die Gesellschaft, einfach dieses irgendwie-, dieses System, dass eben alle Schwächsten zusammen-, das find ich einfach echt schlecht …
(Paulina, 12 J. , Z. 794-818)
„Mein Kind soll das Beste kriegen“
„Ja, also Leistungsexzellenz steht eigentlich sehr weit hinten, bei uns geht es nur darum, also glücklicher durchkommen und kein Exot sein und sich wohlfühlen.“
(Frau L., Z. 644-645).
„Also ich finde, nur dieses Kognitive oder die Leistung-, also ich würde das genauso sehen, - dass ein Kind sich wohl und glücklich fühlt, ist ja das Allerwichtigste.“ (Frau A., Z. 651-654)
„Potenzial ausschöpfen“
„Mir geht es so, ich glaube, es geht aber auch jedem, der (..), ob hochbegabt oder nicht, man wünscht sich, dass die Kinder ihr Potenzial ausschöpfen, egal wo dieses Potenzial anfängt oder endet.
… Und ich denke, wenn sie irgendwo an ihr volles Potenzial rankommen, dann hier.“ (Frau K. 669-672)
1. Die Stimmen der Beteiligten zeigen die Ambivalenzen
zwischen Auslese/ Exklusion und Integration/Inklusion. 2. Lehrpersonen: Gerechtigkeitsproblematik bei der
Aufnahme 3. Kinder: Negative Vorerfahrungen; Wunsch nach
Anerkennung; aber auch erneute Ausgrenzungs-erfahrungen; Gerechtigkeitsproblematik bei der Notengebung
4. Kinder und Eltern: Wohlergehen, bestmögliche Ausschöpfung der Potentiale und optimale Förderung.
Fazit
Überblick
1. (Begabungs-)Gerechtigkeit in der Diskussion
2. Separation und Inklusion – Forschungsstand
3. Inklusionsforderung und soziale Benachteiligung
4. Lehrer-Schüler-Eltern-Stimmen zu Begabungsgerechtigkeit zwischen Separation und Inklusion/Integration
5. Personorientierte Begabungsförderung – eine pädagogische Antwort auf Begabungsgerechtigkeit in inklusiven Schulen der Vielfalt
Ausgangsthese: Jeder Mensch ist eine einmalige Person mit besonderen
Potenzialen und Begabungen.
Personorientierte Begabungsförderung
Der Begabungsprozess – analog zum Bildungsprozess
Dynamisch – Dialektisch – Dialogisch
Person – Persönlichkeitsbildung Prinzip – Prozess – Relationalität
Begabungsentfaltung und -gestaltung als Prozess über die Lebenszeit
Gerechtigkeit einer der zentralen Werte – im „Wertekarussell“ der POB zusammen mit Werten wie Anerkennung und Achtsamkeit; Selbstbestimmungs-, Mitbestimmungs- und Urteilsfähigkeit; Dialogfähigkeit, Verantwortung, Autorschaft usw.
als Teil der professionellen Haltung von Lehrpersonen (vgl.
Behrensen 2014)
als Umgang mit Schülerinnen und Schülern und dieser untereinander
in Bezug auf die Praxis gerechter Institutionen
Personorientierte Begabungsförderung
• Überwiegende Mehrheit der Lehrpersonen hält individuelle Förderung zwar für ein wichtiges Ziel, viele sehen jedoch Probleme bei der Umsetzung, ein Großteil hält eine Umsetzung individueller Förderung nicht für möglich (Kunze & Solzbacher 2008).
• Lehrpersonen fühlen sich auf die Tätigkeit in „inklusiven Settings“ nicht ausreichend vorbereitet (DIPF-Gutachten zur Ausbildung und Professionalisierung von Fachkräften für inklusive Bildung in Deutschland; vgl. Döbert & Weishaupt, 2013).
Besondere Verantwortung von pädagogischen Institutionen, Lehrpersonen und anderen pädagogischen Begabungsexperten, Wissen und Erfahrungen zu teilen – auch im Sinne der Gerechtigkeit und Fairness.
Herausforderungen
Beltz: Weinheim und Basel 2014
Personorientierte Begabungsförderung
• Ausgangspunkt bei der Person des einzelnen Schülerin und des einzelnen Schülers
• Autonomie des Pädagogischen gegenüber gesellschaftlichen Anforderungen
Nicht nur für einige Ausgewählte,
sondern eine begabungsgerechte Förderung für alle!
Danke für Ihr Interesse!
Begabungsgerechtigkeit in Schulen der Vielfalt
Literatur (Auswahl) • AKTIONSRAT BILDUNG. Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft e. V. (Hrsg.) (2007): Bildungsgerechtigkeit.
Jahresgutachten 2007. • Anderson, E. (1999): What is the Point of Equality? In: Ethics 109, S. 287-337. • Anderson, E. (2007): Fair Opportunity in Education: A Democratic Equality Perspective. In: Ethics 117, S. 595-
622. • Borland, J. H. (2005). Gifted Education without gifted children: The case for no conception of giftedness. In R. J.
Sternberg & J. E. Davidson (Hrsg.), Conceptions of Giftedness (S. 1-19). New York: Cambridge University Press. • Boudon, R. (1974): Education, Opportunity, and Social Inequality. Changing Prospects in Western Society, New
York: Wiley. • Bourdieu, P. (1972/1973): Kulturelle Reproduktion und soziale Reproduktion (Reproduction culturelle et
reproduction sociale). In: Bourdieu, P./Passeron, J.-C.: Grundlagen einer Theorie der symbolischen Gewalt, Frankfurt a.M.: Suhrkamp, S. 88-137..
• Döbert, H., Weishaupt, H. (Hg.) (2013): Inklusive Bildung professionell gestalten – Situationsanalyse und Handlungsempfehlungen. Münster: Waxmann.
• Ecarius, J./Wigger, L. (Hrsg.): Elitebildung – Bildungselite. Erziehungswissenschaftliche Diskussionen und Befunde über Bildung und soziale Ungleichheit. Opladen: Barbara Budrich
• Giesinger, J. (2007). Was heißt Bildungsgerechtigkeit? Zeitschrift für Pädagogik, 53(3), 361-380. • Giesinger, J. (2008). Begabtenförderung und Bildungsgerechtigkeit. In H. Ullrich & S. Strunck (Hrsg.),
Begabtenförderung an Gymnasien (S. 271-291). Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften. • Gosepath, S. (2004). Gleiche Gerechtigkeit. Grundlagen eines liberalen Egalitarismus. Frankfurt. a. M.:
Suhrkamp. • Hanses, P. & Rost, D. H. (1998). Das “Drama” der hochbegabten Underachiever – „Gewöhnliche“ oder
„außergewöhnliche“ Underachiever? Zeitschrift für Pädagogische Psychologie, 12(1), 54-71.
Literatur • Köller, O. (2007): Das Gymnasium zwischen Elitebildung und Förderung der Vielen: Welche Pädagogik braucht
das Gymnasium? In: Jahnke-Klein, S./Kiper, H./Freisel, L.g (Hrsg.): Gymnasium heute. Zwischen Elitebildung und Förderung der Vielen, Baltmannsweiler: Schneider Verlag Hohengehren, S. 13-35.
• Kunze, I., Solzbacher, C. (Hg.) (2008): Individuelle Förderung in der Schule. Hohengehren: Schneider. • Liessmann, K. P. (2006): Theorie der Unbildung. Die Irrtümer der Wissensgesellschaft. Wien:Zsolnay. • Merry, M. S. (2008): Educational Justice and the Gifted. Theory and Research in Eduation 6 (1), S. 47-70. • Meyer, K./Streim, B. (2013): Wer hat, dem wird gegeben? Hochbegabtenförderung und Gerechtigkeit. In:
Zeitschrift für Pädagogik. Jg. 59, S. 112-130. • Nussbaum, M. C. (1999). Gerechtigkeit oder Das gute Leben. Frankfurt a. M.: Suhrkamp. • Prenzel, M. (Ed.). (2013). Pisa 2012: Fortschritte und Herausforderungen in Deutschland. Münster u.a: Waxmann. • Rawls, J. (1971/1975): Eine Theorie der Gerechtigkeit (A Theory of Justice), Frankfurt am Main: Suhrkamp. • Sen, A. (1980/1982): Equality of What? In: Ders.: Choice, Welfare and Measurement, Oxford: Blackwell, S.353-
369. • Stamm, M. (2007): Begabtenförderung und soziale Herkunft. Befunde zu den verborgenen Mechanismen ihrer
Interaktion. In: Zeitschrift für Soziologie der Erziehung und Sozialisation 27, S. 227-241. • Stern, E. & Neubauer, G. (2009). Lernen macht intelligent. Warum Begabung gefördert werden muss. München:
Goldmann. • Stojanov, K. (2008). Bildungsgerechtigkeit als Freiheitseinschränkung? Zeitschrift für Pädagogik, 54(4), 515-530. • Tillmann, K.-J. (2007). Kann man in heterogenen Lerngruppen alle Schülerinnen und Schüler fördern? Vortrag auf
dem Symposion des VdS auf der DIDACTA am 1.3.2007 in Köln. Köln. • Weigand, G. (2014): „Da war ich auch sofort viel mehr integriert!“. In: Hoyer, T. / Haubl, R. / Weigand, G.
(Hrsg.): Sozio-Emotionalität von hochbegabten Kindern. Wer sie sind - was sie bewegt - wie sie sich entwickeln. Weinheim: Beltz, S. 56-86.