Kollisionsmechanik
6 Berechnung der Deformationsenergie aus Versuchen
Aus einer Untersuchung von Crash-Tests gegen eine starre undeformierbare Barriere leitet Campbell einen linearen Zusammenhang zwischen bleibender Deformation und Anprallgeschwindigkeit ab und stellt eine Geradengleichung für diesen Zusammenhang basierend auf den Versuch ergebnissen her. [12], [13] / Der Zusammenhang zwischen Anprallgeschwindigkeit und Deformationstiefe kann über
(A9-91)
dargestellt werden. Hierbei kann der Parameter bo als die Anprallgeschwindigkeit betrachtet
werden bei der noch keine bleibende Verformung hervorgerufen wird.
Dieser lineare Ansatz wird auch in Bild A9-45 veranschaulicht.
-0.4
1----,--,--- - I r1-1P- --I - ,--,- --T- .--'- ----,---,- ,- - r--r --,- - ,--,- r --,--I--I- ----rJ-- I---I- r-r- --' --'--' 1 -1_I_-L __ .L_I_L _LJ_I __ I_.L _ I_ -.l_I_J __ .L_I_.L _L-1_I __ I_.L_I_ -.J-LJ--.L-'-.L--L-.l-'- l1
I I I I I ,,\-- I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I
I I I I I _~L I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I
~-:-~--~-:-~ 71-:- -:-~-:- ~-~~--~-:-~ -~~-:- -:-~-:- ~-~~--~-:-~--~~- :-111 ~I 111111111111111111111111111
1 -l_I_-4- __ "-_1 -~-l-I- _1_"-_1_ -l-I--4---"--I-1- -~-l_I __ 1_"-_1_ -l_~-l __ +_I_"- _ _ l--l_I_
1 I 1 I 1 I 1 I 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 I I 1 I 1 1 1 1 I 1 1 1 1 1
-0 .2 o 0.2 0.4 0.6 0.8 1.2 1.4 1.6 1.8
bleibende Deformation [mI
Bild A9-45 Zusammenhang zwischen bleibender Deformation und Anprallgeschwindigkeit [17]
Die Steifigkeit der gesamten Fahrzeugfront bzw. Deformationsbreite sowie vertikal im Bereich der Deformationszone wird als konstant angenommen.
Somit kann auch die Kontaktkraft
F=ao +al·e (A9-92)
als Funktion der Deformation dargestellt werden.
Um unabhängig von der Breite des Deformationsbereichs zu sem, werden die Konstanten a und b pro Deformationsbreite normiert angegeben.
311 I
A9
[ A9 Kollisionsmechanik
Die Deformationsenergie kann anschließend durch die Integration der Kontaktkraft über die Deformationstiefe und die Deformationsbreite bestimmt werden.
mit:
2 rn·v
2
C: W:
Wo(C ] flfFodc+consl odw
Deformationstiefe Deformationsbreite
const: . Energie, die nicht in Deformationsenergie umgewandelt wurde I
(A9-93)
Unter der Annahme ~ines vollplastischen Stoßes kann GI. (A9-93) wie folgt angeschrieben werden.
(A9-94)
rn ( 2 2 2) 1 2 2' bo + 2 . bo . bl . C + bl . C = ao . C . Wo + 2" . al . C . Wo + const . Wo
Durch Koeffizientenvergleich erhält man anschließend:
(A9-95)
(A9-96)
rn 2 const = -_. bo 2·wo
(A9-97)
Mit Hilfe dieser Berechnung können die Steifigkeitsparameter der Fahrzeugstruktur bestimmt werden basierend auf einem durchgeruhrten Anprallversuch gegen eine starre Barriere mit der Anprallgeschwindigkeit bl unter Vorgabe der Anprallgeschwindigkeit bei der noch keine bleibende Verformung auftritt (bo). Anschließend ist es möglich mit Hilfe der Steifigkeiten den EBS Wert rur ein vorgegebenes Deformationsprofil zu berechnen. In der Literatur finden sich auch häufig die Bezeichnungen A, Bund G rur die Parameter ao, al und const.
Wo(C ] EBS= ~ flfFodc+consldw (A9-98)
/
I 312
Kollisionsmechanik A9
6.1 EBS (Equivalent barrier speed)
1968 wurde von Mackay der Begriff EBS (equivalent barrier speed) eingeführt um die Deformationen von Fahrzeugen in Realunfallsitutationen mit den Deformationen in Crash-Tests vergleichen zu können. Neben der Abkürzung EBS sind auch die Abkürzung EEBS (energy equivalent barrier speed) und BEV (barrier equivalent velocity) unter den gleichen Annahmen gebräuchlich. Hierbei gibt der EBS-Wert die Anprallgeschwindigkeit gegen eipe starre undeformierbare Barriere an bei der das gleiche Beschädigungsbild wie am Unfallfahrzeug hervorgerufen wird. Hierbei wird davon ausgegangen, dass die gesamte kinetische Energie im Test in Deformation umgewandelt wird, tatsächlich wird jedoch nur ein Teil der kinetischen Energie beim Anprall gegen eine starre Barriere in bleibende plastische Deformation umgewandelt. Durch die Elastizität des Fahrzeugs verfügt das Fahrzeug auch noch nach dem Anprall gegen die Barriere über eine kinetische Restenergie, die durch die elastische Rückverformung des Fahrzeugs zurückgewonnen wird. Daher entspricht der EBS-Wert nur im Falle eines vollplastischen Anpralls gegen die Barriere dem EES-Wert. Für den geraden zentralen Stoß kann der EES-Wert durch Vorgabe eines k-Wertes aus dem EBS-Wert berechnet werden.
m·EBS2 --2-- = Wplastisch + Welastisch
m·EES2 Wplastisch = 2
v=EBS
v' =-k ·EBS
m.v,2 m.(k.EBS)2 Welastisch = -2- = 2
m·EBS2 Wplastisch = 2
EES = EBS .~1-k2
m· (k· EBS)2
2
6.2 EES (Energy equivalent speed)
m·EES2
2
(A9-99)
(A9-100)
(A9-101)
(A9-102)
(A9-103)
(A9-104)
(A9-105)
Die Abkürzung EES steht für energy equivalent speed und wurde von Burg/Zeidler 1980 geprägt. Der EES-Wert beschreibt die Deformationsenergie als kinetische Energie des Fahrzeugs und berücksichtigt nur die plastische bleibende Verfo~ung des Fahrzeugs. Über den EESWert wird die Deformationsenergie ähnlich wie durch den EBS-W ert leichter quantifizierbar. [15]
w, _ m ·EES2
Def - 2 (A9-106)
313 I
A9 I Kollisionsmechanik
6.3 Beispiel AREC 2003 - WH0327
Aus Anprallversuchen gegen eine starre undeformierbare Barriere können über obige Modellannahmen die Steifigkeitsparameter für die Deformationszone aus den bleibenden Verformungen und der Anprallgeschwindigkeit bestimmt werden. Als Beispiel wird hier ein Crash-Test der ARBC 2003 verwendet. Bei diesem Versuch fuhr das Fahrzeug (Opel Astra F14I CVAN,~ BJ 1999) mit einer Anprallgeschwindigkeit von 45,1Ian/h und einer Überdeckung von 50 % . gegen die Barriere.
Bild A9-46 Versuchfahrzeug nach Kollision Bild A9-47 Versuchfahrzeug nach Kollision
Bild A9-48 Versuchfahrzeug nach Kollision Bild A9-49 Versuchfahrzeug nach Kollision
6.4 Deformationsprofil
Zur Vermessung d€'s Deformationsprofiles wird der Deformationsbereich in der Deformationsbreite in 6 äquidi§tante Abschnitte unterteilt, in jedem Abschnitt wird die Deformationstiefe ausgehend von der undeformierten Fahrzeugkontur in Normalenrichtung vermessen.
Aus den Einzeldeformationstiefen wird zunächst eine mittlere Deformationstiefe berechnet, weiterhin muss noch die Anprallgeschwindigkeit bis zu der keine bleibende Verformung auftritt vorgegeben werden.
I 314
Deformationsbreite wo: Breite des Fahrzeugs: Fahrzeugmasse: Anprallgeschwindigkeit ohne Deformation bo: Versuchsgeschwindigkeit v t:
1,4m 1,7 m 966 kg 12lan/h 45,llan/h
Kollisionsmechanik A9
fi / . . fi Tabelle A9.6 De oFlnatlOnstle en
w
Bild A9-50 Messung des Deformationsprofiles
C n-l C ~+~c.+~ 2 L....J I 2
C i=2 mittel = ---=--=-1--
n-
b - vt -bO
1----Cmitte1
m A = ao = -. bO . b1
Wo
m 2 G = const =--·bo 2·wo
= 0,367 m
= 25,05 1/s
= 57,6 kN/m
= 433,1 kN/m/m
= 3,8 kN
Messpunkt Deformationstiefe
C1 0,04 m
C2 0,23 m
C3 0,47 m
C4 0,51 m
C5 0,46 m
C6 0,29 m
[12J, [19J
Umgerechnet auf die gesamte Fahrzeugbreite ergibt sich somit eine Steifigkeit von
S = B· Fahrzeugbreite = 433,1 kN/m/m '/1,7 m = 736 kN/m
In der Unfallrekonstruktion ist die Fragestellung meist umgekehrt. Die Deformationstiefen des verunfallten Fahrzeugs sind bekannt oder können bestimmt werden, aus diesen soll anschließend die Deformationsenergie berechnet werden.
Hierbei werden im ersten Schritt die Steifigkeiten für das Fahrzeug aus einer Versuchsdatenbank (z. B. Datenbank der NHTSA [18J mit Barriereversuchen gegen eine undeformierbare Barriere) entnommen, dabei wird nach Möglichkeit ein identisches oder vergleichbares Fahrzeug benutzt.
315 I
A9 Kollisionsmechanik
!TI Crash 3 EB5 Berechnung ~'~ .11~ . NHTSA Datenbank I Deformation I EBS
11 Opel-Astra 3 IVOLKSWAGEN :0:1 Partner anzeigen I No. 532 572
1407 955 VOLKSWAGEN JETT A 2187 1562 VOLKSWAGEN JETT A 2895 2139 VOLKSWAGEN JETTA
1985 FOUR DOOR SEDAN 1991 FOUR DOOR SEDAN 1994 FOUR DOOR SEDAN
~kml fiAöT" m
1284.0 2.469 4.359 1308.0 2.471 4. 341f8 1467.0 2.480 4.320 ~
~
vt:
Lt:
http://www-nrd. nhtsa. dot. gov http://www. ncac. gwu. edu
Test Geschwindigkeit
Deformationsbreite
Gewicht mt: ~ kg keine Verformung bis
bO :~ km!h Verformungstiefe - -------- -----,
Anzahl der StützsteIlen: Steifigkeitskonstante
b Vt- bo rn:;;;--
(' n=2 (' n=4 r. n=6 1=--- : 10.79 km!h/cm
C1 C2 C3 C4 C5 C6 CAw.t ffi .bo·b1 ~ 10.528 10.566 10.577 10.569 fö.551 1D.5i8 m A = _t __ : 167036.8 N/m
L t
B= ffit ·b? : 1441137.3 NIm"2 L t
durchschnittliche Verformung:
Cl ~C Cn -+L.J i+-C - 2 i=2 2
Avet- n-1 fö.557 m G=K 2 B
f5093.6 N
Bild A9-51 Auswahl eines Vergleichsfahrzeugs zur Bestimmung der Karosseriesteifigkeiten (PC-Crash)
!TI Crash 3 EB5 Berechnung , .:~:
NHTSA Datenbank Deformation I EBS I 11 Opel-Astra ::3
Verformungstiefe---- -------- ---,
Anzahl der StützsteIlen:
C1 C2 C3 C4 C5 C6
Im fö.23 fö.47 fö.51 fö.46 ~ m L1 L2 L3 L4 L5 L6
ro- jil28" fii.56 fö.M fG2 jT4 m
C7 C8 C9 C10 C11 C12
~ro-ra-ro-~ro- m
L7 L8 L9 L10 L11 L12
ro-ro-ro-ro-ro-ro- m
Bild A9-52 Vorgabe der Deformationen des Unfallfahrzeugs (PC-Crash)
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Kollisionsmechanik A9
Anschließend werden die am Unfallfahrzeug gemessenen Deformationen eingegeben und daraus wird die Deformationsenergie berechnet. Hierbei ist es bei geeigneter Berechnung nicht mehr erforderlich, dass eine bestimmte Anzahl von Messpunkten mit äquidistanten Abständen verwendet wird.
rn Crash 3 EB5 Berechnung ":::'~
NHTSA Datenbank I Deformation EBS
f1 Opel-.ll,stra
Stoßrichtung (-45 to 45·):
Deformationsenergie:
EES:
r Restitution (k-Faktor):
r. Stoßpunktslösegeschwindigkeit:
Bild A9-53 Berechnung der Deformationsenergie (PC-Crash)
.1.l~ /
: f48.9 km/h
e:~ deg
Ed: 188958 J
EES: ~ km/h
k: fö.ö'8"" v: r:r-- km/h
Bei der Berechnung der Deformationsenergie kann die Kraftrichtung und damit die Deformationsrichtung berücksichtigt werden. Erfolgt die Deformation des Fahrzeugs nicht in Richtung der Vermessung so ergeben sich effektiv höhere oder geringere Deformationstiefen, die in der Berechnung der Deformationsenergie berücksichtigt werden müssen.
Aus dem EBS-Wert kann dann durch die Vorgabe eines k-Faktors oder einer Stoßpunktslösegeschwindigkeit der zugehörige EES-Wert bestimmt werden.
Bei der Anwendung dieser Berechnungen ist zu beachten, dass ~urch die Modellannahme eine mittlere Karosseriesteifigkeit für den gesamten Deforma~ionsbereich aus Versuchsdaten mit voller Überdeckung ermittelt wurde. Im konkreten Anwendungsfall ist zu beurteilen ob diese Steifigkeit mit der Steifigkeit des am Unfallfahrzeug deformierten Bereichs vergleichbar ist. Insbesondere bei geringen Überdeckungen oder schiefwinkeligem Anstoß 'kann es erforderlich sein, dass die ermittelten Steifigkeiten korrigiert werden müssen.
Dabei ist auch zu bedenken, dass die Daten aus der NHTSA-Steifigkeitsdatenbank für Fahrzeuge, die auf dem amerikanischen Markt verkauft werden gelten. Da die Sicherheitsvorschriften auf dem amerikanischen Markt anders sind als in Europa, sind die Fahrzeuge in manchen Details anders konstruiert als Fahrzeuge für Europa. Detaillierte Informationen über diese Unterschiede und die genaue Auswirkung auf die Steifigkeit sind derzeit nicht verfügbar.
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A9 Kollisionsmechanik
Literatur
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die Unfallforschung. der Verkehrsunfall 1980, Heft 4 -[7] CRASH 3 Technical Manual, NHTSA [8] Stronge, W. J.: Energy dissipated in planar collision, Univ. of Cambridge, Cambridge, England,
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[9] Gilardi, G., Sharf, i.: Literature survey of contact dynamics modelling. Mechanism and Machine Theory, 37 (2002) Pergamon
[10] Handbuch PC-Crash [11] Handbücher \lnd Onlinehilfen Carat-3 und Carat-4 [12] Campbell, K: "Energy as a Basis for Accident Severity", Paper 74056, SAE International, Warren
dale, PA, 1974 [13] Danne, Anja: Vergleich und Bewertung von computergestützten Verfahren zur Rekonstruktion von
Fahrzeugkollisionen, Diplomarbeit Nr. 7/99 (FG 7), TU-Berlin April 1999 [14] Brach, Raymond M., Brach, Matthew R.: Vehicle Accident Analysis and Reconstruction Methods,
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Department of Transporation, Washington, DC, USA, 1982 [17] Cheng, P. H., Sens, M. l , Weichei, l F., Guenther, D. A.: An Overview ofthe Evolution ofCom
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/
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