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Cadmium.Vergiftung, gewerbliche.

Gutaehten erstattet am 18. Dezember 1929 an eine Berufsgenossenschaft yon Prof. Dr. L. Schwarz, Hygienisehes Staat~institut Hamburg.

1. Vorgeseh ieh te nach den Akten und Angaben des X. 1874 ge- boren, gelernter Sehiffszimmermann, hat 1895--1897 aktiv gedient, war im Felde, seit 1919 verheiratet. 1927 yore 14. Februar bis 7. M~rz wegen chronischem ~Iuskelrheuma arbeitsunf~hig krank, bis zum 20. April weiter in ~rztlieher Behandlung. Vom 21. September his 25. Oktober 1927 wegen Herzfehler arbeitsunf~hig krank. 1928 yore 20. Dezember bis 15. Januar 1929 arbeitsunf~hig krank, dabei vom 23. Dezember 1928 bis 15. Januar 1929 im Krankenhaus. Auf dem Krankensehein ver- zeiehnet: Hamorrhoiden, Katarrh der Luftwege,

Seit 1. Dezember 1928 bei einer Metallsehmelze beseh~tigt, wo er zuerst eine Automobilhalle baute, dann Platzarbeit tat. Am 19. De- zember 1928 wurde X. mit Sehmelzen yon Cadmium beseh~ftigt und hatte sich durch beim Schmelzen entwickelte D~mpfe Bronehialkatarrh zugezogen (Unfallanzeige). Naeh Angaben bei der polizeilichen Ver- nehmung hat sich der Unfall am Gasofen zugetragen, wo er bis gegen 11 Uhr vormittags keine Beschwerden beim Cadmiumsehmelzen hatte, nachher wurden einige Metallformen - - es sind wohl BlScke gemeint - - zwisehen das bereits schmelzende l~Ietall gemiseht. Es entwickelten sich nun derart diehte Gase, da~ die im Raum t~tigen Leute sich gegenseitig nieht mehr sehen konnten. Irgendwelehe Sehutzvorriehtungen waren nicht vorhanden; aueh lie~ die Entliiftung des Raumes viel zu w~insehen iibrig.

Im Laufe des Naehmittags stellte sich starker Hustenreiz und Kopf- schmerzen ein. Auf dem Naehhauseweg (Strafienbahn) sehlief X. vor Miidigkeit ein, mu~te yore Sehaffner geweckt werden, und wurde auf dem Wege zur Wohnung sehwindelig. Er ging sofort zu Bett und bekam w~hrend der Naeht derartigen Husten, da~ er einen Arzt holen lassen muflte. Sein Zustand versehlimmerte sich, under wurde, da Dr. Y. nach Angabe des X. Lungenentziindung und Herzerweiterung feststellte, am 23. Dezember einem Krankenhaus iiberwiesen. Naeh den Angaben des X. im Krankenhaus wurde ihm am Gasofen iibel, er bekam Schiittel-

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frost, empfand Schmerzen unter dcm Brustbein, Beklemmungen beim Atmen und mul~te anhaltend stark husten. Am niichsten Tage bekam er erneut einen Schiittelfrost beim Warten im RSntgeninstitut, wohin er vom behandelnden Arzt geschickt war. Aus dem Befund im Kranken- haus ist wiehtig: 168 em gro~, Naektgewicht 82 kg. Im Mund und Rachen keine Zeichen yon Veratzung, Atmung frei, nicht beschleunigt. ~ber dem rechten Unteflappen hinten seitlich Schallverktirzung mit tympa- nitischem Beiklang, bier ist das Atemger~usch fast vollkommen auf- gehoben. Oberhalb davon und nach der Wirbels~ule zu, ebenso links hinten unten beim Einatmen feuchte Rasselgeriiusehe. Blutsenkung 76 mm in der Stunde. Diagnose: Bronchitis, Bronchopneumonie. Die Lungenerscheinungen heilen sehnell ab. Die Bronchitis zeigt zunehmcnde Besserung. Ein aufgetretener StirnhShlenkatarrh klingt schnell ab. Es wird bisweilen fiber Herzklopfen geklagt. Eine vorgenommene R(intgen- untersuchung ergibt etwas Querlagerung des Herzens. Lungenbefund am Entlassungstage ergibt reichlich trockene, giemende und schnurrende Ger~usche fiber beiden Seiten. Die Herren Gutachter nehmen mit grol~er Wahrscheinlichkeit die .Lungenentzfindung als Folge der Einatmung von Metalld~mpfen an. Nach der Enflassung aus dem Krankenhaus hatte X. angeblich noch 4 Wochen Erholung und wurde dann arbeitsfi~hig geschrieben. April 1929 land X. Arbeit auI einer Werft. Seit Mai ist X. bei einem Kohlenkontor auf der Abteilung Werft als Schiffszimmer- mann besch~ftigt. Seitdem er die Arbeit wieder aufgenommen hat, ist er nicht mehr in arztlicher Behandlung.

Jetzige Beschwerden: Verschleimung, kurzatmig bei der Arbeit, linker Fu]~ abends geschwollen. Appetit ist gut, Stuhlgang einmM t~glich.

2. Be fu n d: 163,8 cm grol3, Nacktgewicht 78,8 kg, Aussehen blfihend. Sichtbare Selfieimh~ute gut durchblutet. Lungenkapazit~t 3900 com. AtemanhaltungsvermSgen 57 Sekunden. Beim Behorchen und Beklopfen keine abnormen Ger~usche, untere Lungengrenzen gut verschieblieh.

HerztSne leise. Blutdruck 142/75 mm Quecksilber. Puls von 5 zu 5 Sekunden 6, 5, 4, 5, 5, 5, 5, 3, 5, 6, 5, 5. Krampfadern an. beiden Unter- schenkeln. Hamorrhoidalknoten am After. In der Haut an den Schien- beinen beider Unterschenkel bei starkem Fingerdruck sehr leichte Dellen zurfickbleibend. - - Organe der BauchhShle ohne Befund. - - Urin: klar, gelb, frei von Eiwei~ und Zucker. - - Nervensystem ohne auffalligen Befund.

3. S te l lungnahme: Cadmium hat einen Schmelzpunkt yon 321.0 und siedet bei 778 ~ Beim Schmelzen kSnnen sich Cadmiumdhmpfe ent- wickeln, die stark reizend auf die Schleimhaute der Atmungswege wh'ken.

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Gewerbliche Cadmiumdampfvergiftungen sind sehr selten. Siegel hat 1906 fiber Symptome von Cadmiumdampfvergiftungen beriehtet: Schwindel, Schwaehegeftihl, Verlangsamung der Respiration, BewuBt- losigkeit, Krampfe. Legge besehreibt 1923 drei Erkrankungen, darunter einen Todesfall durch Cadmiumdampf: Ein Ingenieur und zwei Arbeiter schmolzen Cadmiumbarren in einem gasbeheizten runden Schmelzkessel ohne Abzug 3 Stunden lang. Trockenheit im tIals, Kopfsehmerzen, Pulsbeschleunigung, Schwindel, braun gefi~rbter Urin, Frostgefiihl waren die Symptome. Die Sektion des naeh 4 Tagen verstorbenen Ingenieurs ergab ROtung des Kehlkopfes, der Luftriihre und der Bronchien, des Magens und des Darmes infoige akuter Entztindung, Verfettung des Herzmuskels und des Lebergewebes, hamorrhagische Entztindung der Milz und akute Nierenentztindung. Der Ingenieur hatte anscheinend groBe Mengen Cadmiumdampf eingeatmet und auch verschluckt. Ieh babe 1925 gemeinsam mit Otto an Katzen die Einwirkungen yon Cad- miumdampf geprtift und bei den tSdlich endenden Versuchen ausge- dehnte Bronchopneumonien bzw. Pneumonie (Lungenentztindung) fest- stellen kSnnen. Diese Lungenschiidigungen beruhen auf direkter Reizung durch Cadmiumdampfe, d.h. Cadmiumoxyd in feinster Form. Daran kiinnen sieh dann Infektionen der Lunge ansehlieBen. In den KSrper auf- genommenes Cadmium vermag nach den yon Otto und mir angestellten Versuchen auch allgemeine Vergiftungserscheinungen zu verursachen.

Es ist nach Sachlage, zumal der im gleichen Raum ~rbeitende Yleister X. sieh auch eine leiehte Cadmiumdampfvergiftung zugezogen hatte, sicher, dab die Lungenerkrankung des X. auf die Einatmung yon Cadmiumdampf zuriickzuftihren ist. Demnach liegt ein Betriebsunfall vor. Irgendwelehe Folgeerscheinungen dieser Vergiftung sind zur Zeit nicht nachweisbar. Insbesondere ist die Lungenkapaziti~t und das Atem- anhaltungsvermSgen der Norm entsprechend. Die abendliehe Anschwel- lung des linken FuBes bzw. die sehr leichten wiisserigen Ausscheidungen im Unterhautgewebe der Untersehenkel hangen hiichstwahrscheinlich mit den Krampfadern bei dem fettleibigen X., der schon 1927 wegen Herz- leidens in arztlicher Behandlung war, zusammen. Jedenfalls sind es keine Folgen der damaligen Cadmiumdampfeinatmung.

4. Ergebnis: Zur Zeit sind irgendwelehe F01gen der damaligen, durch Cadmiumdampfeinwirkung verursaehten Lungen ntzfindung nicht naehweisbar. X. ist voll arbeitsfahig.