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Chemiefr Quereinsteiger
Band1.StrukturchemieundTeilchensystematik
VORWORT ..........................................................................................................................................5
EINLEITUNG ......................................................................................................................................9
1.DIEGRUNDBAUSTEINE .............................................................................................................12
1.1 ATOMEUND IONEN......................................................................................................................12
1.2. BENENNUNGUND SYMBOLE ........................................................................................................15
1.3. GRUNDBAUSTEINEUNDMAKROSKOPISCHE SUBSTANZ ..................................................................18
2.DIEORDNUNGDERGRUNDBAUSTEINE................................................................................22
2.1 DAS PERIODENSYSTEM................................................................................................................22
2.2 DIE PERIODEN .............................................................................................................................24
2.3 DIEGRUPPEN ..............................................................................................................................25
3.BINDEFHIGKEITENVONGRUNDBAUSTEINEN ................................................................26
3.1 UNTERSCHIEDLICHEQUALITTEN VONKRFTEN..........................................................................26
3.2 RUMLICHUNGERICHTETEBINDEKRAFT(GRENZTYP) ...................................................................27
3.3 RUMLICHGERICHTETEBINDEKRAFT(GRENZTYP) .......................................................................28
3.4 GLEICHZEITIGRUMLICH GERICHTETEUNDUNGERICHTETEBINDEKRAFT(BERGANGSTYP)...........31
3.5 STRKEUNDNORMUNGBEIRUMLICH GERICHTETERBINDEFHIGKEIT .........................................32
3.5.1NormungundBindungsgrad ...............................................................................................32
3.5.2NormbindungundBindungsabstand ...................................................................................37
3.5.3BindungsgradundStabilitt ...............................................................................................43
3.6 STRKEUNDNORMUNGBEIRUMLICH UNGERICHTETERBINDEFHIGKEIT.....................................45
3.6.1NormungderBindefhigkeitvonIonen...............................................................................45
3.6.2Normungvonrumlichungerichteten,nichtionischenBindefhigkeiten ............................49
4.VARIATIONSMGLICHKEITENBEIMKOPPELNVONGRUNDBAUSTEINEN...............50
4.1 AUSWAHLVON TEILCHENQUALITTUNDBINDUNGSART...............................................................50
4.2 KOPPLUNGSREGELNANHANDDES PERIODENSYSTEMS ...................................................................51
4.3 BENENNUNGVONSPEZIELLEN TEILCHENVERBNDEN ....................................................................52
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Vorwort
In jedem Lexikon steht zu lesen: "Die Chemie ist die Lehre von den Eigenschaften
der Substanzen und deren Umwandlungen." Der in diese Lehre Nichteingeweihte
hrt davon mit Schaudern, in neuerer Zeit sogar immer mehr mit Ablehnung. In
den Schulen steht das Fach Chemie an nahezu letzter Stelle der Beliebtheitsskala,
es wird fr schwierig und undurchschaubar gehalten. Fr den Neuling, sei er auch
noch so neugierig und lernbereit, wird nach erstem Kennenlernen das Fach Che-
mie immer schwieriger, obwohl es Chemiebcher fr Anfnger in Hlle und Flle
gibt.
Woran liegt es wohl, da Schler der Sekundarstufe Chemie als ein Horrorfach
empfinden? Welches sind die Grnde dafr, da Studenten des Maschinenbaues,
der Elektrotechnik oder des Bauingenieurwesens womglich am Fach Chemie
scheitern? Diese Frage hat die nahezu dreiigjhrige Lehrttigkeit der Autoren
stndig begleitet, die Lehrttigkeit sowohl im Bereich von Industrie und Hoch-
schule als auch bei Schlern und Schlerinnen der Sekundarstufe unserer ffentli-
chen Schulen.
Die Antwort ist zu finden, wenn man sich die Geschichte der Chemie ansieht und
einen Augenblick zurckschaut. Es sind sehr alte Erfahrungen der Menschen, da
Eisen rostet und Kohle brennt. Eine Substanz verndert sich oder verschwindet
scheinbar ganz. Gem dieser und vieler anderer Erfahrungen haben Alchimisten
und Chemiker dann Experimente geplant und ausgewertet, ihre Beobachtungen in
Systemen geordnet und sogar mit geheimwissenschaftlichen, undurchschaubaren
Formeln und Symbolen beschrieben. Jeder Chemiker wie jeder Laie hat aber in
frheren Zeiten immer nur die Substanz in der fr uns Menschen zugngigen Ge-
stalt wahrnehmen knnen: einen vielbegehrten Gold-Nugget, rotbraune Kupfer-
kristalle, klares Wasser in einem Glas, weie Zucker- oder Kochsalzkristalle. Heu-
te nennen wir dies die makroskopische Erscheinung der Substanzen. Das Rosten
des Eisens und die Verbrennung der Kohle zeigen also Vernderungen der ma-
kroskopischen Eigenschaften dieser Substanzen an.
Eine eindeutige Beschreibung, Ordnung, bersicht und Systematik der Substan-
zen und deren Umsetzungen ist jedoch allein anhand der makroskopischen Er-
scheinungen nicht mglich. Die moderne Wissenschaft Chemie mit ihrer Systema-
tik hat deshalb ihre Wurzeln nicht in der chemischen Kochkunst des Labors, son-
dern in der Philosophie! Die Tragik des Faches Chemie liegt darin, da diese Er-
kenntnis fr die Lehre an Hochschulen und fr Chemieunterricht an Schulen vl-
lig verlorengegangen ist.
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Worin besteht nun das Wesentliche dieser der Chemie zugrunde liegenden Philo-
sophie? Einige griechische Philosophen hatten einen uralten Traum. Sie wollten
die Welt und ihre vielfltigen Erscheinungen einheitlich anhand der Kombination
von Grundbausteinen deuten. Sie wollten die Welt zusammensetzen, wie heute ein
Kind seine Welt mit Lego-Bausteinen baut. Diese Baukasten-Philosophie haben
die Chemiker zu Beginn des 19. Jahrhunderts bernommen, weil sie sich am be-
sten zur Interpretation der Beobachtungen an vielen Materialien und deren Um-
wandlungen erfolgreich anwenden lie.
Als Grundbausteine werden heutzutage kugelfrmige Atome und Ionen ange-
nommen und Substanzen als Kombinationen unzhlig vieler Atome oder Ionen zu
einem Teilchenverband beschrieben. Damit setzt der moderne Chemiker die Tra-
dition der alten Philosophie fort. Insofern mu er seine Substanzen neben der
makroskopischen Erscheinung in eine mikroskopische Welt umdeuten: Er mu
sich ein Stck Gold, Eisen oder Kohle als systematische Verknpfung kleinster
Teilchen vorstellen knnen. Obwohl der Chemiker im Labor experimentiert und
Substanzen beobachtet - die kleinsten Teilchen sieht er nicht! Er sieht eigentlich
nichts von dem, was fr ihn wichtig ist - deshalb mssen die kleinsten Teilchen
den Chemiker in der Vorstellung und Phantasie stndig beim Experimentieren
begleiten.
Auch der Quereinsteiger mu zunchst in diese gedachte Welt der winzigen, un-
sichtbaren Teilchen eintauchen. Dann wird er folgerichtig viele Fragen des Alltags
und der Technik deuten, womglich voraussagen knnen. Warum wirft sich der
Rost am Auto unter dem Lack als Beule? Warum kann man chemisch aus Blei
kein Gold herstellen? Warum schwimmt Eis auf dem Wasser? Wie funktioniert
das Abbinden des Gipses? Viele Substanzen werden heutzutage bereits aufgrund
der Philosophie der mikroskopischen Teilchen gezielt angefertigt, um bestimmte
Eigenschaften der Materialien zu erhalten: angefangen von Glsern mit bestimm-
ten Eigenschaften der Lichtbrechung, ber korrossionsfeste Werkstoffe mit be-
stimmten Hrten, bis hin zu Arzneimitteln. berall ist Phantasie und Vorstel-
lungsvermgen gefragt.
Hier liegt die grte Schwierigkeit fr den Anfnger. Insofern soll diese Buchreihe
das Vorstellungsvermgen und die fr die Chemie bentigte Phantasie entwic-
keln, strken und trainieren. Zu diesem Zweck werden zunchst nur Substanzen
vorgestellt und in eine mikroskopische Betrachtungsweise bertragen. Dazu ge-
hrt das systematische Anordnen und Kombinieren der kleinsten Teilchen im
Raum. Solche Teilchenkombinationen im Raum nennt man chemische Struktu-
ren. Fr den Lernproze ist es nun unbedingt erforderlich, diese Strukturen mit
Hilfe von Strukturmodellen zu verstehen: am besten ist es, der Anfnger baut sie
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sich mit im Handel erhltlichen Kugeln selbst oder mit bereits vorgefertigten Bau-
teilen eines Modellbaukastens.
Entscheidend ist fr den Anfnger und Quereinsteiger, da sich die chemische
Symbolik, die der Chemiker in Form von Formeln und Reaktionsgleichungen fr
seine Substanzen verwendet, direkt und klar aus der Struktur entwickeln und ab-
leiten lt. Dies wird fr alle behandelten Substanzen konsequent gezeigt, so da
sich der Neuling rasch und sicher mit der chemischen Symbolsprache vertraut
machen kann.
Die Frage, inwieweit man die Bindekrfte zwischen den Bausteinen auf Ursachen
zurckfhren und zu begrnden versucht, soll zu Beginn vllig in den Hinter-
grund treten - lediglich die Wirkungen der Krfte sind in erster Linie von Bedeu-
tung. Beschreibende Rechenverfahren der Wellen- und Quantenmechanik werden
aus guten Grnden in diesem Rahmen nicht verwendet.
Da zu Beginn dieser Einfhrung in das Fach Chemie bewut keine Fragen der
chemischen Bindung, sondern vorzugsweise Strukturfragen behandelt werden,
nennen wir dieses Konzept strukturorientiert. Aus der Struktur wird dann in ei-
nem zweiten Schritt die chemische Reaktion als Umgruppierung der Teilchen ge-
deutet.
Die Stoffauswahl aus den bislang bekannten und hergestellten circa 12 Millionen
Substanzen ist exemplarisch. Die durch uns ausgewhlten Substanzen sollen die
wichtigsten Grundlagen der Teilchenkombination und Teilchenumgruppierung
aufzeigen. Fr spezielle Fragen zu Eigenschaften besonderer Substanzen und der
gesamten "Stoffchemie" sei auf die bekannten Lexika der Chemie hingewiesen.
Die Buchreihe wendet sich an alle, die von makroskopischen Kenntnissen vieler
Substanzen herkommend in die moderne mikroskopische Chemie einsteigen oder
aus anderen Fchern "quereinsteigen" wollen: Ein Quereinstieg ist deshalb in ei-
nen beliebigen Band der Buchreihe mglich, weil die Struktur der dort behandel-
ten Stoffe nachgebaut und deshalb "begriffen" werden kann. Das Konzept ist
zunchst fr Studenten und Studentinnen der technischen Berufe entwickelt wor-
den: fr Maschinenbauer, Versorgungsingenieure, Feinwerktechniker, Bauingeni-
eure, Elektrotechniker. Es soll aber auch den interessierten Schler oder die moti-
vierte Schlerin ansprechen und jeden, der sich im Nebenfach fr Chemie interes-
siert. Weiterhin hoffen wir, da viele Chemielehrer, die den Lehrerfolg ihres Fa-
ches optimieren wollen, ntzliche Anregungen aus der Buchreihe entnehmen kn-
nen.
Im ersten Band wird das Periodensystem als "Teilchenbaukasten" mit den dazu-
gehrenden allgemeinen Kombinationsregeln vorgestellt. Die speziellen Teilchen-
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kombinationen zu Metallkristallen, zu Moleklkristallen und Ionenkristallen fin-
den sich in den weiteren Bnden.
Wenn die Strukturen wichtiger Stoffgruppen in einem ersten Abschnitt studiert
worden sind, soll in einem zweiten Abschnitt die chemische Reaktion als Um-
gruppierung von Strukturen interpretiert werden. Sind die an der Reaktion betei-
ligten Strukturen aus dem ersten Abschnitt bekannt, wird auch ein Quereinstieg
in die Welt der chemischen Reaktionen mglich.
In diesem Sinn viel Spa beim Studium der Chemie auf strukturorientiertem We-
ge.
Mnster und Mnchen im Januar 1997
Hans-Dieter Barke Dieter Sauermann
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EINLEITUNG
Die Chemie als Kind der Philosophie
Seit Jahrtausenden machen sich Menschen Gedanken darber, wie unsere Welt
entstanden ist, welche Gesetzmigkeiten in ihr gelten und welche "ordnende
Hand" wohl diese Gesetzmigkeiten erschaffen hat. Die Frage der "ordnenden
Hand" stammt unmittelbar aus dem religisen Bereich und aus dieser Quelle ent-
springen direkt die Fragestellungen, mit denen sich auch heute noch die moderne
Chemie befat. Das mag zunchst befremdend klingen, wenn man an alle die
komplizierten Apparaturen in den chemischen Laboratorien denkt. Die Chemie,
heit es hufig, sei die klassische Wissenschaft von den Materialien, den Substan-
zen, den Substanznderungen, sie habe deshalb wie keine andere Wissenschaft das
Experiment als Grundlage, Labor und Experiment stnden fr alle Arbeiten an
erster Stelle.
In der Chemie wird zweifellos viel und umfassend experimentiert. Das Experi-
ment besitzt aber immer einen strengen gedanklichen Hintergrund, es soll helfen,
Entscheidungen ber die Theorien herbeizufhren, sie besttigen oder nicht. Aus-
schlaggebend fr die Arbeit des Chemikers ist also nicht das Experiment allein,
sondern nach wie vor das entsprechende theoretische Gedankengebude..
Die Menschen haben bereits seit Jahrtausenden mit vielen Substanzen experimen-
tiert. Das Feuer, die Keramik, die Herstellung von Kupfer und Bronze, das Frben
mit Purpur sind Beispiele dafr. Aus dem alten gypten ist sogar eine Galvani-
siermethode zur Vergoldung von Kupferfiguren bekannt. Und trotzdem waren all
diese geschickten Leute, die diese handwerklichen Fertigkeiten beherrschten, keine
Chemiker: ihnen fehlte dazu das bergreifende theoretische Gedankensystem.
Dieses System begann erst mit einer Reihe von hervorragenden Denkern heranzu-
reifen, mit den griechischen Philosophen in der Zeit etwa 600 - 350 v. Chr. Man
nennt diese Naturphilosophen auch "Vorsokratiker", zu ihnen zhlen Thales,
Anaximenes, Heraklith, Empedokles, Leukipp, Demokrit u. a.. Sie alle haben die
Vielfalt der Natur bestaunt, beobachtet und untersucht. Die Grundfrage lautete
immer, ob sich die groe Vielfalt von Substanzen und Erscheinungen nicht aus
einigen wenigen Dingen zusammensetzen liee.
Thales sah den Urstoff im Bild des Wassers und wollte alles daraus zusammenge-
setzt wissen, Anaximenes analog dazu alles aus Luft und Heraklith aus Feuer.
Empedokles zog fr diese schwierige Aufgabe sogar vier Grundprinzipien heran:
Wasser, Feuer, Luft und Erde, er nannte sie Elemente. Durch Kombination dieser
Elemente wollte Empedokles dann seinen Kosmos aufbauen: "Aus der ersten Mi-
10
schung der Elemente habe sich die Luft abgesondert und ringsum im Kreise aus-
gebreitet. Nach der Luft aber sei das Feuer hervorgebrochen". Und weiter kann
man bei den Naturphilosophen lesen: "Die Mischung der Elemente nach Empe-
dokles mu eine Vereinigung sein wie eine Mauer, die aus Ziegelsteinen zusam-
mengefgt ist; und diese Mischung wird aus den Elementen bestehen, die als sol-
che unverndert bleiben, aber in kleinen Teilchen nebeneinander gefgt sind, und
ebenso ist es mit der Substanz des Fleisches und jedem anderen Stoff".
Demokrit hat ein Baukastensystem entwickelt und zusammen mit seinem Lehrer
Leukipp so verfeinert, da er kleine unteilbare Teilchen, die "Atome", dem Auf-
bau der Materie zugrunde legt: "Sie nehmen die Atome als Materie fr die Dinge
an und lassen alles andere aus deren Unterschieden entstehen. Diese aber sind
drei: Gestalt, Lage, Anordnung".
Dieses Baukastensystem wurde spter vom einflureichsten Philosophen jener
Zeit, von Aristoteles, verworfen. Seine Schler haben es weiterhin bekmpft, dann
wurde es vergessen. Erst nach nahezu zweitausend Jahren, als der Einflu der
Lehre von Aristoteles zurckging, wandten sich die Wissenschaftler der Frage
nach dem Baukastensystem der Natur erneut zu. Die Anzahl der Atomsorten, der
Elemente, wurde im Zuge der experimentellen Befunde erweitert, die Lage der
Atome im Raum konnte tatschlich empirisch zugnglich gemacht werden.
Heute mu jeder Chemiker den Bestand an verfgbaren Bausteinen und das Sy-
stem, wie diese zu kombinieren sind, kennen. Der moderne Chemiker ist damit
auch der Nachfolger der alten Naturphilosophen. Dokumentiert wird es dadurch,
da die Chemie noch im ersten Viertel dieses Jahrhunderts zur philosophischen
Fakultt der Universitten gehrte. Damals wie heute ist der Chemiker gezwun-
gen, seine Gedanken und Theorien mit den Erscheinungen und Beobachtungen in
der Natur in bereinstimmung zu bringen. Deutungen von Substanzen und Reak-
tionen, die der Naturbeobachtung widersprechen, werden nicht zugelassen.
In den folgenden Kapiteln soll nun das Teilchenkombinationssystem beschrieben
werden, das Grundlage und roter Faden dafr ist, wie Chemiker heute denken
und Beobachtungen interpretieren. Dabei steht vorerst die Beschreibung der Sub-
stanzen und das Beschreibungssystem gegenber dem Experiment im Vorder-
grund. Bei Kenntnis der systematischen Chemie, die noch von dem groen Che-
miker Leopold Gmelin "als reine, theoretische, philosophische Chemie" bezeich-
net wird (1817), ist die experimentelle Chemie dann leicht zugnglich: "Die phi-
losophische Chemie ist die Wissenschaft, die experimentelle Chemie die Kunst",
so Gmelin.
Der Chemie als Wissenschaft liegen viele philosophische Aussagen zugrunde. Der
englische Chemiker John Dalton hat 1808 in seiner Schrift "A New System of
11
Chemical Philosophy" folgende Aussagen ber Atome als die kleinsten Teilchen
der Materie gemacht:
1. Alle gleichen Teilchen verhalten sich im Weltall gleich.
2. Es gehen keine Teilchen verloren; sie knnen weder aus dem Nichts entstehen,
noch knnen sie sich ins Nichts auflsen.
3. Die Art des Zusammenbauens von Teilchen ist gesetzmig wiederholbar und
fhrt zu bestimmten Substanzen.
4. Substanzen unterscheiden sich durch die Art und Anordnung ihrer kleinsten
Bausteine.
Mit vielen weiteren philosophischen Leitstzen und Betrachtungen werden wir
uns noch in den kommenden Kapiteln auseinanderzusetzen haben
12
I.DieStruktur der kr istallinenFeststoffe
1. DieGrundbausteine
1.1 AtomeundIonen
Wir sind stndig von einer riesigen Anzahl unterschiedlicher Substanzen umgeben. Me-
talle wie Eisen, Kupfer, Zink, Chrom, Silber oder Gold sind uns gut bekannt, wir be-
gegnen Steinen aller Art in der Natur und in unserem huslichen Bereich: Es seien Gips
und Marmor, Edelsteine wie Saphir und Diamant genannt. Mit Kohle und l wird
geheizt, Luft und Wasser sind fr uns lebensnotwendig, unsere Speisen bereiten wir mit
Zucker und Salz: Substanzen ber Substanzen, der Chemiker nennt sie auch "Stoffe".
Alle Substanzen sind nun aus unzhlig vielen kleinsten Teilchen zusammengesetzt, die
man sich als kugelige Bausteine vorstellt. Sie sind so klein, da wir sie einzeln mit unse-
ren Sinnesorganen nicht wahrnehmen knnen. Allerdings lassen viele Eigenschaften
und Umwandlungen der Substanzen, die wir spter noch kennenlernen werden, auf
diese Teilchen schlieen. Untersucht man viele Substanzen experimentell bezglich ih-
rer Bausteine, dann erhlt man zwei, in ihren Qualitten unterschiedliche Arten klein-
ster Teilchen. Sie unterscheiden sich in der Weise, da sie auf "Kraftsender" verschie-
den reagieren.
Machen wir uns diese Sachlage zunchst an hnlichen Beispielen klar: Jeder kennt ei-
nen Magneten und seine Eigenschaft. Nhert man dem Magneten ein Stck Eisen,
dann macht sich eine Kraft bemerkbar, die das Eisen in seine Richtung anzieht. Die
Metalle Kobalt und Nickel verhalten sich ebenso wie Eisen. Andere Metalle wie Alu-
minium, Kupfer oder Blei, andere Stoffe wie Holz oder Kochsalz reagieren auf das ge-
heimnisvolle Anziehungsangebot des Magneten nicht. Offensichtlich hat der Magnet
die Fhigkeit, auf eine besondere Eigenschaft des Eisens, Kobalts und Nickels zu ant-
worten. Zu einer Kraftfernwirkung, etwa zu der eines Magneten, gehren demnach
zwei Dinge: Zum einen mu ein "Kraftsender" mit der Fhigkeit der Kraftwirkung
gegeben sein, zum anderen mu das Material, auf das die Kraft wirken soll, die Eigen-
schaft des Wahrnehmens dieser Fhigkeit besitzen. Den rumlichen Bereich, in dem
eine Kraftwirkung sprbar ist, bezeichnet der Physiker als "Feld". Ein Magnet besitzt
um sich herum ein Magnetfeld.
Vllig analog verhlt es sich bei der Massenanziehung. Die sehr groe Masse der Erde
sendet sprbar Kraftfernwirkungen aus und andere Materie besitzt die Eigenschaft des
Wahrnehmens. Wir spren die sich ergebenden Kraftwirkungen als Schwerkraft an al-
len materiellen Dingen: alle Gegenstnde fallen nach unten in Richtung der Erde. Der
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Physiker bezeichnet den Raum um die Erde, in dem die Materiekraftwirkungen sprbar
werden, als Schwerefeld, als Gravitationsfeld. Schwerkraft und Materie gehren also
zusammen wie Magnetkraft und Eisen.
Eine dritte, nahezu alltgliche Erscheinung stellt das elektrische Kraftfeld dar: Beim
Kmmen frisch gewaschener, trockener Haare beobachtet man bluliche Funken, beim
Gehen auf einem Kunststoffboden ldt man sich elektrisch auf, Plastikfolien und Papier
"kleben" aneinander. Eine mit Papier geriebene Plastikfolie besitzt demnach die Fhig-
keit der Kraftwirkung, ein elektrisches Feld. Dieses wirkt auf ein in die Nhe gebrach-
tes Papier und zieht das Papier stark an. Das Papier mu eine besondere Eigenschaft
aufweisen, um auf das elektrische Feld der Folie "antworten" zu knnen: Diese Eigen-
schaft wird elektrische Ladung genannt. Die zusammengehrenden Begriffspaare sind
in Tabelle 1.1 noch einmal nebeneinander gestellt.
Wenn wir uns nun diese drei verschiedenen Kraftfelder erzeugen und uns vorstellen,
jeweils ein kleines Testkgelchen in das Kraftfeld, den Krftebereich hineinzuhalten, so
knnen wir prfen, ob das kleine Kgelchen eine der Eigenschaften, die zu den Kraft-
feldern gehren, besitzt Wenn die Eigenschaft vorhanden ist, mu eine Kraftwirkung
auftreten, wenn keine Wirkung auftritt, besitzt das Kgelchen die Eigenschaft nicht.
Auf diese Art und Weise prfen wir jetzt die Bausteinsorten unserer Materialien. Das
Ergebnis sieht folgendermaen aus:
1. Keines der vielen Teilchenarten reagiert primr auf ein Magnetfeld.
2. Alle Teilchenarten reagieren auf das Schwerefeld, sie besitzen also eine Masse.
3. Ein groer Teil der Teilchen reagiert im elektrischen Feld, sie besitzen elektrische
Ladung.
4. Andere Teilchen reagieren im elektrischen Feld nicht, sie sind elektrisch ungeladen.
Diese Unterscheidung der Teilchen in bezug auf ihre Kraftqualitt ist sehr wesentlich.
Deshalb sind die Teilchenarten mit verschiedenen Qualitten auch unterschiedlich be-
nannt worden.
Feld zugehrigeEigenschaft Kraftqualitt
magnetischesFeld Magnetismus magnetischeKraft
Gravitationsfeld Masse Schwerkraft
elektrischesFeld Ladung elektrischeKraft
Tab.1.1:VerschiedeneKraftfelder,EigenschaftenundKraftwirkungen
14
Die ungeladenen Grundbausteine nennt man Atome. Die Grundbausteine mit der Ei-
genschaft "elektrische Ladung" nennt man Ionen. Die Atome besitzen selbstverstnd-
lich Kraftwirkungen untereinander, Ionen ben ebenfalls Kraftwirkungen aufeinander
aus, aber nicht im gleichen Sinn. Dazu nheres an spterer Stelle (3.1.).
Das experimentelle Ergebnis der Physiker wollen wir mit einem Gedankenexperiment
erlutern. Wir greifen ein beliebiges Ion als "Test-Ion" heraus und fixieren es an einer
Stelle. Nun nehmen wir von unseren Substanzen ein Ion nach dem anderen und brin-
gen es langsam in die Nhe des Test-Ions und beobachten die elektrische Kraftwirkung
zwischen beiden. Ein Teil der Ionen wird vom Test-Ion stark angezogen, ein anderer
Teil stark abgestoen.
Diese unterschiedlichen Eigenschaften der Ionen kennzeichnet man mit dem Plus-
Zeichen "+" oder mit dem Minus-Zeichen "-". Alle Ionen, die sich untereinander ab-
stoen und positiv gekennzeichnet sind, werden als Kationen bezeichnet, diejenigen, die
sich abstoen und negativ gekennzeichnet sind, als Anionen. Anionen und Kationen
sind demnach diejenigen Ionen, die sich gegenseitig anziehen.
Bei der Untersuchung der Substanzen sind nun sehr viele Bausteinsorten gefunden wor-
den. Es gibt z. B. Eisen-Atome, Kupfer-Atome, Chlor-Atome, Schwefel-Atome und vie-
le andere mehr. Gleichzeitig sind aber auch Eisen-Ionen, Kupfer-Ionen, Chlor-Ionen
und Schwefel-Ionen gefunden worden. Es mag zunchst eigenartig erscheinen, da die
Chemiker Atome und Ionen gleich benannt haben, z. B. Eisen-Atom und Eisen-Ion.
Das hat seinen Grund darin, da zugehrige Atome und Ionen relativ leicht ineinander
umgewandelt werden knnen und insofern der gleichen Teilchenfamilie zugeordnet
sind. Das darf aber nicht ber die Tatsache hinwegtuschen, da ein Ion ganz andere
Eigenschaften besitzt als sein direkt verwandtes Atom, da also ein Chlor-Atom vllig
andere Eigenschaften zeigt als ein Chlor-Ion.
Vielleicht knnen wir uns das an folgendem Beispiel verdeutlichen: Ein Personenwagen,
etwa ein BMW, hat eine ganz bestimmte Fahreigenschaft. Wenn wir ein Rad abmontie-
ren, dann ndert sich die Fahreigenschaft vllig! Jeder wird aber das Fahrzeug noch
sofort als BMW erkennen. Der BMW-Charakter hat sich nicht gendert, dagegen sind
die Fahreigenschaften vollkommen anders. Bis zu welchem Punkt man also eine Sache
abwandeln kann und sie noch als dieselbe bezeichnet, ist eine alte philosophische Fra-
ge. Sie wird uns noch hufig beim Beschreiben unserer Substanzen begegnen.
Es bleibt jedenfalls festzustellen, da die Eigenschaften von Atomen und zugehrigen
Ionen getrennt voneinander genau beobachtet und ermittelt werden mssen. Man kann
von den Eigenschaften eines Atoms nicht auf die Eigenschaften des zugehrigen Ions
schlieen und umgekehrt.
15
Unter natrlichen Bedingungen sind im allgemeinen die Ionen stabiler als die zugehri-
gen Atome. Deshalb finden wir auch in der Natur meistens die Ionen vor und nicht die
Atome. Von 97 stabilen Grundbausteinsorten findet man nur 17 als Atome (Edelmetal-
le, Edelgase!), alle anderen 80 Grundbausteinsorten kommen als Ionen vor. Eine
Grundbausteinsorte, also Atom und zugehriges Ion, wird im allgemeinen als Element
bezeichnet. Die vielen Millionen natrlicher und knstlich hergestellter Substanzen un-
serer Welt sind aus diesen wenigen Elementen aufgebaut!
1.2. Benennung und Symbole
Viele Experimente haben bis in die heutige Zeit etwa 103 Grundbausteinsorten zutage
gefrdert und die Physiker arbeiten stndig weiter daran, in ihren Laboratorien neue
Atomsorten zu erzeugen. Solche neu hinzukommenden Atome spielen aber fr den
Chemiker keine wesentliche Rolle, da sie nur fr Bruchteile von Sekunden existieren.
In Tabelle 1.2 sind einige Grundbausteinsorten und ihre Namen alphabetisch geordnet
aufgefhrt. Die Namensgebung erfolgte ber Jahrhunderte, zum Teil ber Jahrtausen-
de, wenn man an Gold oder Kupfer denkt. In der Regel hatte der Entdecker freie
Hand, einen geeigneten Namen auszuwhlen. Wichtig zu wissen ist auf jeden Fall, da
den am lngsten bekannten Elementen griechische oder lateinische Namen zugrunde
liegen. Fr diese fremdsprachigen Namen sind zwar in den meisten Fllen heute deut-
Tab.1.2:EinigeElementnamenundElementsymbole
Chemischer Name
Ursprungssprache
deutsch englisch franzsisch Elementsymbol
Argentum lateinisch Silber silver argent Ag
Aurum " Gold gold or Au
Bismutum " Bismut bismuth bosmuth Bi
Carbon " Kohle carbon charbon C
Cuprum " Kupfer copper cuivre Cu
Ferrum " Eisen iron fer Fe
Hydrogenium griechisch Wasserstoff hydrogen hydrogene H
Hydrargyrium " Quecksilber mercury mercure Hg
Nitrogenium " Stickstoff nitrogen nitrogene N
Oxygenium " Sauerstoff oxygen oxygene O
Plumbum lateinisch Blei plummet plomb Pb
Sulfur " Schwefel sulfur soufre S
Stannum " Zinn tin tain Sn
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sche Bezeichnungen im Gebrauch, die ursprnglichen Namen mssen dem Chemiker
jedoch ebenfalls gelufig sein. Es empfiehlt sich, die englischen oder franzsischen Be-
zeichnungen mitzuerlernen.
Jede Grundbausteinsorte besitzt ein Symbol, das meist aus der Abkrzung des Namens,
hufig der ersten beiden Buchstaben, besteht. Dieses Symbol wird zur Information fr
ein Atom dieser Bausteinsorten verwendet, deshalb nennt man es auch Atomsymbol.
Wenn ber mehrere, miteinander nicht verknpfte Atome informiert werden soll, kann
man die entsprechende Zahl dem Atomsymbol voranstellen. Abbildung 1.1 zeigt einige
Beispiele.
ber Art und Anzahl der Ionen wird prinzipiell genauso informiert, dabei werden Io-
nensymbole verwendet. Sie unterscheiden sich von Atomsymbolen durch die Angabe
der Ladungszahl. Kationen erhalten in der rechten oberen Ecke des Symbols das Zei-
chen fr die positive Ladung (1+, 2+, 3+, usw.), Anionen das Zeichen fr die negative
Ladung (1-, 2-, 3-, usw.). Abbildung 1.2 zeigt einige Beispiele. Die Gre der Ladungs-
1Cl1,1Cl
oderCl
1ChlorIon
3Cl
3getrennteChlorIonen
1Cu2+oderCu2+ 1KupferIon
4Cu2+ 4getrennteKupferIonen
Abb.1.2: BeispielefrdenEinsatzvonIonensymbolen
1AroderAr 1AtomArgon
5Ar 5getrennte
AtomeArgon
1FeoderFe 1AtomEisen
3Fe 3getrennte
AtomeEisen
Abb.1.1:BeispielefrdenEinsatzvonAtomsymbolen
17
zahlen wird uns im nchsten Kapitel beschftigen.
18
1.3. Grundbausteine und makroskopische Substanz
Alle Proben der uns umgebenden festen Materialien, einschlielich unserer Krpersub-
stanz, bestehen aus einer fr uns unvorstellbar groen Anzahl verknpfter Grundbau-
steine. Je nach Bausteinsorten und innerer, rumlicher Teilchenarchitektur ergeben sich
unterschiedliche Materialien, die sich in ihren ueren physikalischen und chemischen
Eigenschaften unterscheiden, z. B. in Farbe, Dichte, Hrte, Verformbarkeit, elektrischer
Leitfhigkeit, Wrmeleitfhigkeit, Lichtbrechung und Lslichkeit.
Wenn etwa Kupfer-Bausteine zusammengesetzt werden, erhlt man ein Stck Kupfer.
Das kann als Blech, als Wrfel, als Kristall, als Vase oder als ein Pfennigstck geformt
sein, die physikalischen und chemischen Eigenschaften sind immer die gleichen. Ver-
knpfte Nickel-Teilchen ergeben entsprechend Nickelmetall, vielleicht von vernickelten
Schrauben her bekannt. Unsere Geldstcke vom 50-Pfennig-Stck bis zur 5-DM-
Mnze bestehen aus einer Kupfer-Nickel-Legierung, also aus einer Kombination von
Kupfer- und Nickel-Teilchen. Die 5- und 10-Pfennig-Stcke bestehen aus einem Eisen-
kern, der mit Messing berzogen ist: Diese Kupfer-Zink-Legierung wird aus Kupfer-
und Zink-Teilchen hergestellt.
Jede dieser Legierungen hat besondere Eigenschaften in bezug auf Farbe, Dichte, etc..
Wie stark sich jedoch allein die rumliche Anordnung der Bausteine auf die Eigenschaf-
ten der Stoffe auswirken kann, sei am Beispiel von Diamant und Graphit erlutert.
Beide Materialien sind allgemein bekannt, der glitzernde Diamant als begehrter
Schmuckstein und schwarzer Graphit als Hauptbestandteil der Bleistiftminen. Tabelle
1.3 zeigt neben den Unterschieden in der Farbe noch einige andere wesentlich verschie-
dene Eigenschaften auf.
Beide Materialien unterscheiden sich in den Eigenschaften vollkommen, bestehen aber
aus den gleichen Bausteinen, nmlich aus Kohlenstoff-Atomen. Der groe Unterschied
kann demnach nur dadurch erklrt werden, da die Anordnungen der Kohlenstoff-
Atome von Diamant und Graphit unterschiedlich sind. Diese unterschiedlichen Struk-
turen werden wir spter nher kennenlernen.
Zusammenfassend sei noch einmal herausgestellt, worauf es dem Chemiker ankommt,
wenn er Substanzen durch Verknpfen von Teilchen erzeugen will:
Hrte(nachMohs) Dichte(g/cm3) Farbe elektrischeLeitfhigkeit
Diamant 10 3,52 farblos schlecht(Isolator)
Graphit 1 2,25 schwarz sehrgut
Abb.1.3:VergleicheinigerEigenschaftenvonDiamantundGraphit
19
1. auf die Art der verknpften Teilchen,
2. auf die rumliche Anordnung im Teilchenverband.
Eine Substanz ist fr den Chemiker dann identisch mit einer anderen, wenn die Teil-
chenarten und die rumliche Anordnung gleich sind. Bei ganz genauem Vergleichen
mssen bei derselben Temperatur sogar die Abstnde zwischen den entsprechenden
Teilchen bereinstimmen.
20
Tab.2.1:AtomsymboleinalphabetischerReihenfolge,ElementnamenundOrdnungszahlen
Atom
symbol
ElementnameOrd
nungs
zahl
Atom
symbol
ElementnameOrd
nungs
zahl
Atom
symbol
ElementnameOrd
nungs
zahl
Ac Actinium 89 Ge Germanium 32 Pr Praseodym 59
Ag Silber 47 H Wasserstoff 1 Pt Platin 78
Al Aluminium 13 He Helium 2 Pu Plutonium 94
Am Americium 95 Hf Hafnium 72 Ra Radium 88
Ar Argon 18 Hg Quecksilber 80 Rb Rubidium 37
As Arsen 33 Ho Holmium 67 Re Rhenium 75
At Astatin 85 I Iod 53 Rh Rhodium 45
Au Gold 79 In Indium 49 Rn Radon 86
B Bor 5 Ir Iridium 77 Ru Ruthenium 44
Ba Barium 56 K Kalium 19 S Schwefel 16
Be Beryllium 4 Kr Krypton 36 Sb Antimon 51
Bi Bismut 83 La Lanthan 57 Sc Scandium 21
Bk Berkelium 97 Li Lithium 3 Se Selen 34
Br Brom 35 Lr Lawrencium 103 Si Silicium 14
C Kohlenstoff 6 Lu Lutetium 71 Sm Samarium 62
Ca Calcium 20 Mg Magnesium 12 Sn Zinn 50
Cd Cadmium 48 Mn Mangan 25 Sr Strontium 38
Ce Cerium 58 Mo Molybdn 42 Ta Tantal 73
Cf Californium 98 Md Mendelevium 101 Tb Terbium 65
Cl Chlor 17 N Stickstoff 7 Tc Technetium 43
Cm Curium 96 Na Natrium 11 Te Tellur 52
Co Kobalt 27 Nb Niob 41 Th Thorium 90
Cr Chrom 24 Nd Neodym 60 Ti Titanium 22
Cs Caesium 55 Ne Neon 10 Tl Thallium 81
Cu Kupfer 29 Ni Nickel 28 Tm Thulium 69
Dy Dysprosium 66 No Nobelium 102 U Uran 92
Er Erbium 68 Np Neptunium 93 V Vanadium 23
Es Einsteinium 99 O Sauerstoff 8 W Wolfram 74
Eu Europium 63 Os Osmium 76 Xe Xenon 54
F Fluor 9 P Phosphor 15 Y Yttrium 39
Fe Eisen 26 Pa Protactinium 91 Yb Ytterbium 70
Fm Fermium 100 Pb Blei 82 Zn Zink 30
Fr Franzium 87 Pd Palladium 46 Zr Zirkonium 40
Ga Gallium 31 Pm Promethium 61
Gd Gadolinium 64 Po Polonium 84
21
22
2. Die Ordnung der Grundbausteine
2.1 Das Periodensystem
In Tabelle 2.1 sind einige Grundbausteinsorten alphabetisch aufgezhlt. Dadurch erhal-
ten wir aber keinen Hinweis darauf, welche Teilchen sich mit anderen leicht oder viel-
leicht auch gar nicht verknpfen lassen. Das ist jedoch das Anliegen des Chemikers.
Man hat deshalb die Teilchen zunchst nach ihrem hnlichen Verhalten anderen Teil-
chen gegenber geordnet.
Zum Beispiel erhlt man aus der Kombination von Lithium-, Natrium- oder Kalium-
Teilchen mit Chlor-Teilchen jeweils ganz hnliche salzartige Substanzen, in denen die
Teilchen im Zahlenverhltnis 1:1 verknpft sind. Verknpft man mit Magnesium- oder
Calcium-Teilchen, dann setzen sich diese mit Chlor-Teilchen im Zahlenverhltnis 1:2
zusammen. Verknpft man Sauerstoff-, Schwefel- oder Selen-Teilchen mit Wasserstoff-
Teilchen, erhlt man ebenfalls unter sich hnliche Substanzen, die im Teilchenzahlen-
verhltnis 1:2 zusammengesetzt sind. Die Kombination zwischen Wasserstoff- und
Sauerstoff-Teilchen fhrt zur Substanz Wasser, die anderen beiden sind im Verhalten
dem Wasser hnlich.
Diese wenigen Beispiele sollen die Fragestellung andeuten, auf deren Grundlage die
Chemiker bis in die Mitte des letzten Jahrhunderts experimentell geforscht haben. Es
wurden alle gefundenen Zahlenverhltnisse von Teilchen miteinander verglichen und
aufgrund von hnlichkeiten entsprechende Teilchenarten geordnet. Teilchen, die sich
besonders hnlich sind, bezeichnet der Chemiker als verwandt, beispielsweise gehren
Lithium-, Natrium- und Kalium-Teilchen einer Elementfamilie an. Diese Verwandt-
schaften und andere ordnende Faktoren sind im "Periodensystem der Elemente" (PSE)
dargestellt.
Abbildung 2.1 zeigt einen Ausschnitt aus dem Periodensystem, Abbildung 2.2 zeigt das
Periodensystem vollstndig, allerdings nur schematisch und ohne Angabe der Element-
namen und Symbole. In Tabelle 2.1 sind alle derzeit bekannten Elemente aufgefhrt
und alphabetisch nach Atomsymbolen geordnet.
Ein erster Blick auf das verkrzte Periodensystem der Elemente in Abbildung 2.1 zeigt
Kreise, versehen mit Atom- und Ionensymbolen. Sie sollen die Grundbausteinsorten als
Kugeln darstellen. Offensichtlich sind jeweils Atome und zugehrige Ionen unterschied-
lich gro. Auch die Atome und Ionen einer Elementfamilie unterscheiden sich: die
Atom- und Ionenradien nehmen von oben nach unten gesehen zu.
23
Die abgebildeten Kreise im Periodensystem spiegeln die relative Gre der Teilchen
zueinander wieder. Die absoluten Durchmesser der Teilchen bewegen sich im Bereich
von 50 - 250 pm (Einheit Picometer: 1 pm = 10 -12
m). Allerdings bentigen wir zu Be-
ginn unserer Arbeit diese Zahlenwerte nicht und werden sie spter ins Spiel bringen,
wenn sie eine Rolle spielen.
Auerdem sind die Atome und Ionen eigentlich nicht starr wie Holzkugeln, sondern
eher elastisch wie Gummiblle: der Abstand wird bei grer werdender Bindungskraft
zwischen zwei Teilchen immer kleiner, es kommt bei der Messung von Radien auf den
speziellen Teilchenverband an. Aus diesem Grund ist es schwierig, feste Zahlenwerte als
Durchmesser von Teilchen anzugeben. Da die Abstnde zwischen Teilchen fr unsere
ersten Grundberlegungen unerheblich sind, knnen wir zunchst die Atome und Io-
nen im Modell als starre Kugeln ansehen.
Stellen wir uns vor, alle Grundbausteinsorten wrden in einem Regal von Schubladen
aufbewahrt, das von vorn gesehen genau dem Periodensystem entspricht. Nehmen wir
an, ein Chemikalienladen wrde solch ein Regal gefllt besitzen, dann knnten wir
rasch jede beliebige Menge an Bausteinen kaufen und zu den gewnschten Substanzen
zusammensetzen.
Abb.2.1:PeriodensystemderElementeundGrundbausteinederMaterie(Auswahl)
24
Allerdings befnden sich in den Schubladen sowohl Atome als auch die zugehrigen
Ionen, vielleicht getrennt voneinander in zwei Fchern der Schublade. So sind Atome
und zugehrige Ionen unabhngig voneinander abrufbar, um sie unabhngig vonein-
ander verknpfen zu knnen.
Das Periodensystem der Elemente ist also fr den Chemiker der Schlssel zur Systema-
tik, wie man sinnvoll und erfolgreich Atome oder Ionen zu greren Teilchenverbn-
den kombiniert, wie man also modellmig durch solche Kombinationen verschiedene
Substanzen erhlt. Diese Kombinationssystematik fhrt so zum Grundverstndnis der
Substanzen und deren Beschreibung durch Namen und Symbole.
2.2 DiePerioden
Das Periodensystem ist in Zeilen angelegt, die vom Chemiker als Perioden bezeichnet
werden. Es existieren sieben Perioden, die aber nicht alle gleich lang sind. Abbildung
2.2 verdeutlicht das: die Anzahl der einer Periode angehrenden Atomsorten ist rechts
angegeben, die Teilchen werden in den Perioden von links nach rechts durchnumeriert.
Diese Nummern, auch Ordnungszahlen der Atomsorten genannt, erhalten spter eine
tiefergehende Bedeutung.
Verfolgen wir in Abbildung 2.1 die Radien der Atome innerhalb einer Periode: Sie neh-
men von links nach rechts ab, nur das letzte Teilchen der Periode pat nicht in diese
Regel. Das Gleiche gilt im Wesentlichen auch fr die Ionen. Wir mssen aber beachten,
da Kationen und Anionen getrennt zu betrachten sind. Alle positiv geladenen Katio-
nen stehen im Periodensystem links, alle negativ geladenen Anionen rechts. Weiterhin
Perioden
1. 2. Hauptgruppen 3. 4. 5. 6. 7. 8.
1. l l 2
2. l l l l l l l l 8
3. l l 3. Nebengruppen4. 5. 6. 7. 8. 1. 2. l l l l l l 8
4. l l l l l l l l l l l l l l l l l l 18
5. l l l l l l l l l l l l l l l l l l 18
6. l l l l l l l l l l l l l l l l l l l l l l l l l l l l l l l l 32
7. l l l l l l l l l l l l l l l l l 17
103
Abb.2.2:SchematischeBesetzungvonGruppenundPeriodenimPSE
25
ist darauf zu achten, da die Kationen kleiner und die Anionen grer sind als ihre zu-
gehrigen Atome.
Die Teilchen in der Mitte der 6. und 7. Periode wurden in der Darstellung der Abbil-
dung 2.1 bersichtshalber weggelassen - sie knnen aus der Gesamtbersicht der Ab-
bildung 2.2 entnommen werden.
2.3 Die Gruppen
Die senkrecht bereinanderstehenden Teilchen fat man zu sogenannten Gruppen zu-
sammen: Abbildung 2.2 zeigt alle Gruppen im vollstndigen Periodensystem. Betrach-
tet man sie in dieser Abbildung, so erkennt man acht Gruppen, die von unten gesehen
ber die vierte Periode hinausragen: sie werden als Hauptgruppen bezeichnet. Die er-
sten sechs beginnen mit der zweiten Periode, die siebte und achte Hauptgruppe begin-
nen mit der ersten Periode. Die 7. Hauptgruppe beginnt mit dem Element Wasserstoff:
als Nichtmetall wird es hier eingeordnet. Es gibt andere Darstellungen, die das Element
Wasserstoff an den Anfang der ersten Hauptgruppe stellen.
Nebengruppen nennt man die Gruppen, die mit der vierten Periode beginnen. Deren
Numerierung erscheint recht eigenwillig, zumal als achte Nebengruppe drei Gruppen
zusammengefat werden.
Betrachtet man in Abbildung 2.1 die nderung der Teilchenradien innerhalb einer
Gruppe, so erkennt man die Zunahme von oben nach unten sowohl fr die Atome, als
auch fr die Ionen. Das grte Atom findet man im Periodensystem demnach links
unten und das kleinste rechts oben.
In den Gruppen des Periodensystems sind die Elementfamilien wiederzufinden: die
Teilchen in einer Gruppe sind miteinander verwandt, sie verhalten sich hnlich. Des-
halb hat man einigen Hauptgruppen auch eigene Namen gegeben. Die erste Haupt-
gruppe, von Lithium angefhrt, wird Gruppe der Alkalimetalle genannt, die zweite
Hauptgruppe, beginnend mit Beryllium, die Gruppe der Erdalkalimetalle. Fr die sech-
ste Hauptgruppe mit Sauerstoff als erstem Element verwendet man manchmal den
Namen Chalkogene und fr die siebte Hauptgruppe, beginnend mit Fluor (nicht mit
Wasserstoff!), Halogene. Die Edelgase, mit Helium am Anfang, bilden die achte
Hauptgruppe. Smtliche Elemente, deren Atomsymbole und Ordnungszahlen sind in
Tabelle 2.1 aufgefhrt.
26
3. Bindefhigkeiten von Grundbausteinen
3.1 Unterschiedliche Qualitten von Krften
Wenn eine Substanz aus vielen Grundbausteinen zusammengesetzt sein soll, dann ms-
sen die Teilchen bestimmte, eigenstndige Kraftwirkungen besitzen, mit denen sie auf-
einander wirken und so zusammenhalten. Zunchst knnte man annehmen, da jedes
Teilchen einer Teilchensorte mit jedem beliebigen einer anderen Teilchensorte gut ver-
bindbar wre.
Das ist aber nicht so. Zum Beispiel binden sich Zink-Atome und Stickstoff-Atome im
allgemeinen nicht, ebensowenig Kuper-Atome und Fluor-Ionen. Eine groe Zahl von
Beispielen liee sich hier anschlieen. Wichtig ist lediglich festzuhalten, da die Eigen-
schaften ber das Knpfungsvermgen von Teilchen im Labor erkannt werden. Es wa-
ren unzhlige Versuche notwendig, um das Bindungsverhalten der Teilchen herauszu-
finden. Es ist nach und nach in das Periodensystem mit eingearbeitet worden.
So wie uns die Teilchen im Laboratorium beim Bau von Substanzen begegnen, knnen
wir den Teilchen unterschiedliche Kraftqualitten zuordnen. In Kapitel 1.1. sind bereits
als prinzipielle Beispiele die unterschiedlichen Qualitten von Gravitation, magneti-
scher und elektrischer Kraftwirkung angefhrt worden. hnlich mssen wir uns die
Teilchen, in ihrer Fhigkeit auf andere Teilchen krftemig einzuwirken, qualittsm-
ig unterschiedlich vorstellen. Das Gedankenexperiment ist im Prinzip das gleiche wie
in 1.1. angegeben. Ein Test-Teilchen wird vorstellungsmig fixiert, dann wird ein
Teilchen nach dem anderen angenhert und die Kraftwirkung beobachtet. Der Schlu
aus den Beobachtungen lautet: sind Kraftwirkungen vorhanden, mu auch die Kraft-
qualitt der angenherten Teilchen gleich sein. Sind keine vorhanden, mu die Kraft-
qualitt unterschiedlich sein.
Auf diese Weise haben sich drei Qualitten herausfinden lassen. Die magnetische Qua-
litt ist nicht dabei, ebensowenig fllt die Gravitation ins Gewicht, sie ist zum Teil-
chenknpfen viel zu klein. Die elektrische Kraftqualitt kommt aber, wie bereits in 1.1.
angegeben, den Ionen untereinander zu. Eine weitere eigene Kraftqualitt besitzen die
Metall-Atome untereinander, eine dritte Kraftqualitt mu man den Nichtmetall-
Atomen untereinander zuordnen: Die Kohlenstoff-Atome des Diamanten wirken mit
ihrer Bindungskraft also weder auf Gold-Atome noch auf Eisen-Ionen, oder die Bin-
dungskrfte von Schwefel-Atomen weder auf Silber-Atome noch auf Kupfer-Ionen. Das
experimentelle Ergebnis der Prfung der Kraftqualitten der Teilchen empfiehlt eine
Einteilung der Teilchen in drei Klassen:
1. Metall-Atome
27
2. Nichtmetall-Atome
3. Ionen
Der Gebrauch der Begriffe Metall-Atome, Nichtmetall-Atome oder Ionen beinhaltet
also die Kraftqualitt gegenber anderen Teilchen. Als Ergebnis des Experimentierens
und Klassifizierens lt sich der Satz bilden: Im allgemeinen lassen sich nur Teilchen
mit gleicher Kraftqualitt zusammensetzen.
3.2 Rumlich ungerichtete Bindekraft (Grenztyp)
Es ist allgemein bekannt, wie vielseitig man mit Ziegelsteinen bauen kann - nur der
Ziegelstein selbst besitzt aber keine nennenswerte Bindekraft! Aufgeschichtete Ziegel-
steine werden von der Schwerkraft der Erde zusammengehalten. Mrtel oder Zement
dienen lediglich als "Kleber". Wenn aber ein Baustein selbst eine Bindekraft besitzt,
dann ist die Frage, von welchem Teil des Bausteins diese Bindekraft ausgeht und wie
diese Kraft in den Raum hinauswirkt.
Der einfachste Fall liegt vor, wenn um einen kugeligen Baustein die Bindekraft vllig
gleichmig um die Kugel herum verteilt ist, wenn jeder kleinste Teil der Oberflche
senkrecht in dem Raum hinaus die gleichen Kraftwirkungen besitzt. Ein anschauliches
Modell eines solchen Teilchens stellt die Erde dar. Wir knnen auf der ganzen Oberfl-
che spazieren gehen oder mit dem Schiff fahren, berall werden wir von der Erde senk-
recht zur Oberflche mit gleicher Gravitationskraft angezogen. Jeder Krper, ein Flug-
zeug oder ein Satellit, kann auf jedem Punkt der Erdoberflche von auen angeknpft
und gebunden werden.
Eine Schwierigkeit ergibt sich nun, wenn man diesen Sachverhalt zeichnerisch darstel-
len will, um ber die rumliche Verteilung der Bindekraft der Kugel zu informieren.
Sehen oder sichtbar machen kann man die Bindekraft nicht, lediglich ihre Wirkungen
lassen sich feststellen. Von dieser Wirkung wiederum ist mebar, da sie
1. vllig gleichmig um die Kugel verteilt ist, und da sie
2. mit der Entfernung abnimmt.
Wir zeichnen deshalb ein "Etwas" gleichmig um eine projizierte Kugel, einen Kreis,
wobei das "Etwas" nach auen abnimmt. Das kann etwa aussehen wie in Abbildung
3.1. Da die gesamte Bindekraft dieses Teilchens den umgebenden Raum gleichmig
erfllt und keine rumliche Richtung bevorzugt wird, nennen wir diese Art der Kraft-
verteilung um ein Teilchen "rumlich nicht in eine spezielle Richtung gerichtet" oder
etwas krzer: "rumlich ungerichtet".
28
Solch ein Teilchen mit rumlich ungerichteter Bindefhigkeit bettigt seine Kraftwir-
kungen nach allen Seiten hin. Wenn man zwei derartige Teilchen koppelt, dann sagen
wir, sie sind an den Berhrungsstellen gebunden. Die gesamte weitere Bindekraft um
das Teilchen steht aber nach wie vor fr Bindezwecke zur Verfgung. In der Phantasie
knnte man sich vorstellen, da sich der Mond langsam an die Erdoberflche ange-
koppelt hat. An anderen Pltzen der Oberflche knnte die Erde dann noch viele wei-
tere Monde ankoppeln es wre lediglich eine Frage des Platzes, der Geometrie.
Die Fragestellung kann man mit Tischtennisbllen, Papier- oder Holzkugeln veran-
schaulichen. Setzen wir voraus, da die Kugeln, die wir rumlich ungerichtet verbinden
wollen, alle gleich gro sind, dann kann man in der Ebene eine Kugel mit sechs ande-
ren Kugeln verknpfen (siehe Abb. 3.1). Jede Anliegerkugel ist dabei noch mit den
Nachbarn verbunden, sie besitzt immer noch Platz, um in der Ebene weitere drei Ku-
geln anzukoppeln.
3.3 RumlichgerichteteBindekraft(Grenztyp)
Es sind eine Menge von Teilchen bekannt, bei denen die Kraftwirkungen nicht gleich-
mig um ein Teilchen verteilt sind. Die Erscheinung ist mit anderer Kraftqualitt bei
vielen Magneten bekannt. Ein Stabmagnet beispielsweise besitzt um sich herum nicht
berall die gleiche Kraftwirkung. Man kann das durch Abtasten mit einem Nagel leicht
experimentell nachprfen. Beginnend an einem Pol ist die Kraftwirkung am strksten,
zur Mitte nimmt sie sprbar ab und weiter zum anderen Pol hin nimmt sie wieder zu.
Wenn man die Strke der Kraft durch die Lnge eines Pfeils darstellt, erhlt man ein
Bild wie in Abbildung 3.2. Die Linie der verbundenen Spitzen wrde dann den Abstand
beschreiben, bei dem der Nagel jedesmal mit der gleichen Kraft angezogen wird.
Wir machen wieder ein Gedankenexperiment. Wir tasten ein Wasserstoff-Atom, das in
einem aus zwei Wasserstoff-Atomen bestehenden Wasserstoff-Molekl gebunden vor-
liegt, ringsherum nach seinen Kraftwirkungen ab. Es zeigt sich, da nahezu die gesamte
Abb.3.1:ModellzeichnungenfrTeilchenmitrumlichungerichtetenBindekrften
29
Abb.3.2:DieVerteilungmagnetischerKrfteumeinenMagnetenalsModellfrdiegerichteteBindekraft
Kraftwirkung nur von einer bestimmten Stelle der Oberflche aus senkrecht nach au-
en gerichtet ist. Nur in dieser Richtung bindet sich das Wasserstoff-Atom krftemig
mit dem anderen Wasserstoff-Atom. Die restliche Oberflche beherbergt nur einen mi-
nimalen Rest der Bindekraft.
Zeichnerisch knnen wir die Information ber diesen Sachverhalt wie in Abbildung 3.3
darstellen. Der "Schnabel" in der Modellzeichnung soll die Richtung und die Kraft, die
fr die Bindung zur Verfgung gestellt wird, symbolisieren. Die Pnktchen um den
grten Teil des Modellatoms symbolisieren eine minimale rumlich ungerichtete
Restbindefhigkeit, mit der unter vielen Bedingungen nichts anzufangen ist, weil sie zu
schwach ist. Da die ganze Bindungskraft in den Raum hinaus gebndelt, gerichtet ist,
nennen wir sie "rumlich gerichtete Bindekraft".
Entscheidend fr die Verknpfung beispielsweise zweier Wasserstoff-Atome ist nun,
da die Kopplung von bestimmten Stellen beider Atome im Wasserstoff-Molekl aus-
geht. Nach dieser Verknpfung ist ein weiterer Ansatz zum Koppeln mit zustzlichen
Wasserstoff-Atomen nicht mehr vorhanden. Das ist die Konsequenz dieser rumlich
gerichtetenBindefhigkeit.
Zu solch einer bereits durch ein anderesAtombeanspruchtenBindefhigkeit sagtmanauch:
"die Bindung ist abgesttigt". ImModell sind die Kraftwirkungen der rumlich gerichteten
vorderKopplung
oder
nachderKopplung
Abb. 3.3: Modellzeichnungen fr
rumlichgerichteteBindekrfte
30
Bindefhigkeiten ineiner symbolischenLngegezeichnet. InWirklichkeit sitztnatrlichTeil
chendirektanTeilchen.DieBerhrungsstellesymbolisiertdanndenOrtderrumlichgerichte
tenBindefhigkeit(Abb.3.3).
Die Durchsicht der Teilchensorten mit rumlich gerichteter Bindefhigkeit hat ergeben, da
nicht immerdiegesamteBindekrafteinesTeilchensineineRichtunggebndeltseinmu.Die
Bindungskraft kann auch in mehreren Richtungen vomTeilchen in denRaum hinaus ragen.
EinigeBeispielezeigenModellederAbbildung3.4.
Wie sich dieTeilchen imEinzelfallverhalten, soll spterenKapitelnvorbehaltenbleiben.Zur
modellmigenDarstellunghatessichbewhrt,andenModellkugelninRichtungderBinde
kraftDruckknpfeoderhnlichesanzubringen.AufdieseWeiseistesmglich,imModellge
richteteBindekraftmitgerichteterBindekraft zukoppeln.WirwerdendieseModellbauweise
hufigverwenden,dasichvieleBauprinzipienvonSubstanzenaufdieseWeisemitgengend
groerGenauigkeitdarstellenlassen.
Abb.3.4:GerichteteBindefhigkeitenderAtome
31
3.4 GleichzeitigrumlichgerichteteundungerichteteBindekraft(bergangstyp)
Wir mssen uns ins Gedchtnis zurckrufen, da nicht wir die gerichteten und unge-
richteten Bindekrfte erfunden haben, sondern da sie an den vielen Teilchen der Sub-
stanzen beobachtet worden sind. 100 Atomsorten und einige Millionen Substanzen:
immer versuchte man die Bindefhigkeit entweder in gerichtet oder ungerichtet einzu-
teilen. Eine andere Klassifizierung haben wir nicht vorgesehen. Darin liegt in jeder Na-
turwissenschaft eine Schwierigkeit, denn die Natur richtet sich nicht nach unseren Klas-
sifizierungswnschen. Besonders die Botaniker und Zoologen haben es hier nicht ein-
fach.
Wir benutzen wie der Botaniker hufig die Begriffe Baum und Strauch. Das sind Begrif-
fe, mit denen wir die Natur beschreiben. Bestimmt haben wir aber schon vor einem
Gewchs gestanden und berlegt, ob es ein Baum oder Strauch sein soll. Fr einen
Baum zu klein und buschig, fr einen Strauch zu hoch und zu wenig buschig. Schlie-
lich entscheiden wir uns fr den Begriff, dem das Gewchs am nchsten ist. Was wr-
den wir zur Blume Aster sagen, die -in einem Nationalpark in Uganda tatschlich beo-
bachtet- pltzlich 15 Meter hoch gewachsen ist ?
Jeder von uns unterscheidet einen Vogel von einem Sugetier. Das scheint ganz einfach.
Ein Vogel besitzt Federn, einen Schnabel und legt Eier. Ein Sugetier trgt meistens ein
Fell, besitzt ein Gebi und sugt seine Jungen. Diese Einteilung hat sich bewhrt. Was
soll nun ein Forscher tun, der pltzlich in Australien das Schnabeltier entdeckt? Es be-
sitzt ein Fell, einen Schnabel, legt Eier und sugt die daraus ausschlpfenden Jungen.
Die Systematik besitzt nur Sugetier oder Vogel. Man kann das Schnabeltier demnach
als Vogel oder Sugetier bezeichnen. Das kuriose Tier ist an dieser Zweideutigkeit nicht
Abb.3.5: ModellzeichnungenfrgleichzeitigvorhandeneungerichteteundgerichteteBindefhigkei
tenvonTeilchen
32
schuld, sondern unsere Systematik, in der wir das Tier als bergangstyp bezeichnen
mssen.bergangstypheit,esistwederdaseinenochdasandere,sonderneinZwischending.
Mit unserer Einteilung der Bindungsarten in rumlich ungerichtet und rumlich gerich-
tet ist es letzten Endes ebenso. Viele Teilchen besitzen beide Bindungsarten, sie sind in
unserer Systematik Zwitter. Die Modellzeichnung in Abbildung 3.5 versucht das zu
veranschaulichen.
Dieses Modell zeigt Teilchen mit stark ungerichteter Bindekraft und zwei bzw. drei
schwach gerichteten Bindefhigkeiten. Da wir fr diesen bergangszustand keinen ei-
genen Namen haben, bleiben wir bei der Zweiersystematik rumlich gerichtet und
rumlich ungerichtet. Wir werden zunchst die Teilchensorten betrachten, die die rei-
nen Typen am besten verkrpern und unsere Konsequenzen fr die Substanzen daraus
ziehen. Anschlieend werden wir uns danach den bergangstypen zuwenden.
3.5 Strke und Normung bei rumlich gerichteter Bindefhigkeit
3.5.1 Normung und Bindungsgrad
Unser Ziel ist es, eine Kombinationsregel fr die Teilchen mit rumlich gerichteter Bin-
dungsart zu finden. Hier stellt sich zunchst die Tatsache entgegen, da viele Teilchen
eine unterschiedliche Anzahl von Bindefhigkeiten besitzen.
Um diese Vielfalt bersichtlich zu ordnen, hat sich die Normung anhand der Bindef-
higkeit des Wasserstoff- oder Fluor-Atoms bewhrt. In diesem Zusammenhang fragen
wir absichtlich nur nach der Fhigkeit, ein Teilchen anzuknpfen, nicht nach dem phy-
sikalischen Hintergrund der chemischen Bindung. Eine Unzahl von Experimenten sind
zu diesem Normungszweck schon seit Beginn des letzten Jahrhunderts gemacht wor-
den. Alle diese experimentellen Ergebnisse wollen wir wiederum in einem groen Ge-
dankenexperiment zusammenfassen.
Ein Wasserstoff-Atom lt sich sehr leicht mit einem weiteren Wasserstoff-Atom stabil
verknpfen. Mit zwei Fluor-Atomen funktioniert dies genauso, ebenfalls mit jeweils
HH HF FF
Abb.3.6:ModellzeichnungenundStruktursymbolefrdieKopplungvonWasserstoffundFluor
Atomen
33
einem Wasserstoff-Atom und einem Fluor-Atom. Die gerichteten Bindefhigkeiten die-
ser Atome koppeln sich gegenseitig, im Modell knnen wir uns das wie in Abbildung
3.6 vorstellen.
Das lt den Schlu zu, da die Fhigkeiten des Verknpfens beim Wasserstoff-Atom
und beim Fluor-Atom gleich sind. Es darf wiederholt werden, da die Fhigkeit gleich
ist, es ist nicht von Krften oder hnlichen physikalischen Begleitgren die Rede. Ein
analoges Beispiel knnte man heranziehen: Die gesetzliche Bindefhigkeit eines Mannes
zu einer Frau in den europischen Lndern ist eins, in den orientalischen Lndern kann
die des Mannes vier sein, die der Frau bleibt eins. Die Bindefhigkeit ist also als Zu-
ordnungsgre zu verstehen, sie sagt nichts aus ber Kraft und Schnheit oder Zuwen-
dung und Abneigung. Die Bindefhigkeit ist auch hier lediglich eine ordnende, gesetz-
mige Gre, die die Mglichkeiten des Verbindens angibt.
Entscheidend ist nun, da sich diese Bindefhigkeit in Zahlen ausdrcken lt, wie wir
es bereits getan haben. Dem Wasserstoff-Atom und dem Fluor-Atom ordnen wir die
Bindefhigkeit eins zu. Im Symbol knnen wir das durch einen Bindestrich ausdrcken,
der sich direkt von der zeichnerischen Darstellung der gerichteten Bindefhigkeit ablei-
ten lt.
Wie Abbildung 3.6 es zeigt, sehen zwei gekoppelte Kugeln wie Hanteln im Sport aus.
Deshalb spricht man hier auch von einer Wasserstoff-Hantel, Fluor-Hantel oder Flu-
orwasserstoff-Hantel.
Wenn man fr die einzelnen Atome nur die entsprechenden Buchstaben verwendet,
erhlt man Struktursymbole der Molekle. In steter Erinnerung daran, da es sich um
eine Absprache der Chemiker handelt, wollen wir diese Bindefhigkeit des Wasserstoffs
und Fluors als Normbindefhigkeit bezeichnen.
FF
ClCl
BrBr
II
F2
Cl2
Br2
I2
HF
HCl
HBr
HI
HF
HCl
HBr
HI
Abb.3.7:ModellzeichnungenundStruktursymbolefrdieKopplungvonAtomenderNormbindef
higkeiteins
34
Die Kopplung anhand einer jeweils zusammenpassenden Normbindefhigkeit bezeich-
nen wir als Normbindung, zu einer Normbindung mssen beide Teilchen ihre Norm-
bindefhigkeit beisteuern. Geben wir mit dem Atomsymbol den Bindestrich an, der die
Normbindefhigkeit eins anzeigt (H-, F-), dann kann sogar ein Laie die in Abbildung
3.7 gezeigten Kombinationen finden. In Modellbauksten werden diese Normbindef-
higkeiten oft durch Druckknpfe oder Verbindungsstbchen symbolisiert.
Die bertragung dieser Normung auf alle anderen Teilchen, die rumlich gerichtete
Bindefhigkeiten bettigen, gelingt dadurch, da wir experimentell in verschiedenen
Verbindungen des Wasserstoffs und des Fluors feststellen, wieviele Atome miteinander
verknpft sind. Modellmig untersuchen wir ein in seiner Bindefhigkeit unbekanntes
Atom daraufhin, wieviel Fluor- oder Wasserstoff-Atome maximal an das Atom zu
koppeln sind. Die Anzahl der verknpften Fluor- oder Wasserstoff-Atome gibt dann
direkt die Normbindefhigkeit des untersuchten Teilchens an.
Zum Beispiel bindet ein Sauerstoff-Atom zwei Fluor- oder Wasserstoff-Atome. Unab-
hngig von der exakten rumlichen Struktur, auf die wir spter genau eingehen wollen,
lt sich diese Teilchenkombination in der Normbindesymbolik ohne weiteres ange-
ben. Das Sauerstoff-Atom besitzt demnach zwei Normbindefhigkeiten, das Stickstoff-
Atom drei.
Zwei Sauerstoff-Atome lassen sich nun so kombinieren, da sich die beiden Normbin-
defhigkeiten gegenseitig zur Bindung absttigen. Diese Sauerstoff-Hantel besitzt also
zwischen den beiden Sauerstoff-Atomen eine Bindung, die durch zwei Normbindungen
beschrieben wird. Wir nennen solch eine Bindung auch Doppelbindung im Gegensatz
zur Einfachbindung der Wasserstoff-Hantel. Kombinieren wir nach der gleichen Me-
thode zwei Stickstoff-Atome, dann vereinen sich die drei Normbindefhigkeiten zwi-
schen den beiden Stickstoff-Atomen. Wir erhalten eine Stickstoff-Hantel, deren Bin-
dung wir durch drei Normbindungen beschreiben. Wir nennen sie Dreifachbindung.
ObnundieinAbbildung3.8genannten,spielerischerhaltenenneuenKombinationen existieren,
mumanimLaboratoriumentscheiden.IndiesemFallsindsiedurchdasExperimenttatsch
lichhergestelltodergefundenworden.
H O H F O F H O F O O N N
H
NH H
F
NF F
F
NH H
H
NF F
Abb.3.8:BeispielefrdieVerknpfungausAtomenderNormbindefhigkeitzweiunddrei
35
StellenwirdieHantelnvonWasserstoff,SauerstoffundStickstoffgegenber,sounterscheiden
sie sich in ihrerBindungdurchdieAnzahlderNormbindungen.DieAnzahlderfreineBin
dungverwendetenNormbindungenwirdalsBindungsgradbezeichnet.DieserBindungsgrad,
denmanwegenderNormbindungen eigentlichNormbindungsgradnennenmte,municht
immerganzzahligsein.DieBindefhigkeitenknnensichoftrechteigenwilligumdasTeilchen
herum verteilen.DieSummederNormbindefhigkeiten, also die gesamteBindefhigkeit des
Atoms,bleibtjedochdabeiimmererhalten.DasgarantiertdasFunktionierendieserKombinati
onsmethode.MachenwirunsdieseaneinigenBeispielenklar.
Abb.3.9:NormbindefhigkeitenundBindungsgrad
Tab.3.1:ZusammenhangvonBindungsgradundNormbindungenamBeispieldesSchwefelAtoms
Struktur Anzahlder
Normbindungen
AnzahlderBin
dungen
Bindungsgrad
(1)
F
S
F
F
F
F
F6 6 1,0
(2)O S
O
O
O
1,5
1,51,5
1,5
6 4 1,5
(3)O S
O
O
O
1,01,0
2,0
2,0
6 2
2
2,0
1,0
(4)
O
SO O
6 3 2,0
36
Ein Schwefel-Atom bildet meistens gerichtete Bindungen zum Sauerstoff-Atom aus,
viele Experimente haben ergeben, da die Summe der gerichteten Normbindefhigkei-
ten am Schwefel-Atom sechs betrgt. An ein Schwefel-Atom lassen sich also zunchst
sechs Fluor-Atome anknpfen. Sie sind vllig gleichmig im Raum um das Schwefel-
Atom gebunden: vorn, hinten, links, rechts, oben, unten. Wenn man die um das Schwe-
fel-Atom postierten Fluor-Atome durch gerade Linien zeichnerisch verbindet, erhlt
man als rumliches Gebilde einen Oktaeder. Er ist in Abbildung 3.4 rumlich abgebil-
det und in Tabelle 3.1 unter (1) symbolisiert.
Schwierigkeiten macht die Darstellung der gebrochenen Bindungsgrade in einem Sym-
bol. Man knnte natrlich die Lnge des Normbindestrichs festlegen, etwa 1 cm. Dann
wre der Bindungsgrad wie in Tabelle 3.2 durch 1,33 cm oder 1,75 cm darstellbar. Das
kann man aber in der Praxis nicht durchhalten, weder beim Symbolschreiben noch
beim Lesen. Deshalb schreibt man den Bindungsgrad, soweit er interessiert, als Zahl
dazu oder man kann ihn selbst ausrechnen, wenn man die Normbindefhigkeit des
zentralen Teilchens kennt.
Ein gebrochener Bindungsgrad ist allerdings nicht mit einem Modellbaukasten, bei dem
jede Normbindefhigkeit durch einen Druckknopf symbolisiert wird darstellbar. 0,33
Druckknpfe gibt es nicht!
Wir werden uns im Laufe der kommenden Kapitel immer mehr mit der Symbolik be-
schftigen mssen, mit der man ber die Struktur von Teilchenverbnden informieren
kann. Eine Hauptschwierigkeit fr den Anfnger besteht darin, da der gebte Chemi-
ker seine Informationen um so mehr abkrzt, je klarer ihm die Sachlage ist. Verdeutli
Tab.3.2:EinigeBeispielezurAnzahlvonNormbindungenundzumBindungsgrad
Normbin
dungssymbol
Anzahlder
Normbindungen
Verknpfungs
symbol
Anzahlder
Bindungen
Bindungsgrad
C4
C
O
O O
3 1,33
P5 O P O
O
O
4 1,25
Cl7 O Cl O
O
O
4 1,75
37
Abb.3.10:InformationsgehaltverschiedenerStruktursymboledesselbenTeilchens
chen wir uns dies ausgehend von Abbildung 3.10 anhand verschiedener Symbole zur
Kombination aus vier Sauerstoff-Atomen tetraedrisch um ein Schwefel-Atom.
Der Informationsgehalt des Symbols nimmt von links nach rechts ab. Dem Symbol (a)
entnimmt man sowohl den Bindungsgrad der Bindung als auch die Normbindefhig-
keit des Schwefel-Atoms, also die experimentell nachgewiesene Tatsache, da alle vier
Sauerstoff-Atome gleich an das Schwefel-Atom angebunden sind. Aus der Information
(b) geht hervor, da die vier Atome in gleicher Weise an das Schwefel-Atom gebunden
sind, der Bindungsgrad ist allerdings nicht zu erkennen. Das Symbol (c) besitzt den ge-
ringsten Informationsgehalt und lt beliebige Interpretationen bezglich der Norm-
bindefhigkeit des Schwefel-Atoms zu. An Symbol (d) ist zwar die Normbindefhigkeit
sechs zu erkennen, es unterstellt allerdings unterschiedliche Bindungen der Sauerstoff-
Atome. Trotzdem wird hufig ein solch sachlich unzutreffendes Symbol verwendet,
weil man es vorzieht, lieber mit ganzzahligen als mit gebrochenen Bindungsgraden zu
arbeiten.
Es gilt hier in der Chemie wie berall: Je mehr die Person wei, die man informieren
will, desto weniger genau mu die Information ausfallen. Je weniger die Person wei,
desto genauer mu die Information sein. Je besser man sich in einem Landschaftsgebiet
auskennt, desto weniger bentigt man eine gute Karte. Wer sich aber schlecht in einem
Gebiet auskennt, bentigt eine sehr gute Information, eben eine sehr gute Landkarte.
3.5.2 Normbindung und Bindungsabstand
Wir betrachten die Atome mit rumlich gerichteten Bindefhigkeiten als Kugeln. Starre
Holzkugeln knnen wir einander nhern, bis sie sich berhren. Dies ist die einfachste
modellmige Darstellung einer Bindung. In manchen Fllen empfiehlt es sich jedoch,
das Bindungsverhalten von Atomen durch weiche Tennisblle zu verdeutlichen, um die
Meergebnisse aus dem Laboratorium besser beschreiben zu knnen.
Der Tennisball unterscheidet sich von einer Holzkugel durch seine Elastizitt. Wenn
sich zwei Holzkugeln berhren, knnen wir sie mit beiden Hnden durch Zusammen-
drcken nicht nher bringen. Bei Tennisbllen geht das schon. Die Berhrungsstelle
O S O
O
O
1,5
O
S
O
OO SO O
O
O
O
S
O
OO
(a) (b) (c) (d)
38
drckt sich flach und der Abstand von Mittelpunkt zu Mittelpunkt wird kleiner. Dieser
Abstand ergibt sich demnach durch Wechselwirkung zweier Krfte: einerseits durch die
Kraft, mit der ein Ball den anderen wegen des Innendrucks wegdrckt, andererseits
durch unsere Handkraft, die dem Innendruck entgegengesetzt ist.
Auch bei miteinander verbundenen Atomen stellt sich ein bestimmter Abstand oder
eine Bindungslnge ein, die aus Anziehung und Abstoung beider Atome resultiert. Die
Physikochemiker knnen solche Bindungslngen und Bindungswinkel mit den heutigen
experimentellen Hilfsmitteln tatschlich recht genau messen. Die Schwierigkeit besteht
aber darin, die Abstnde der Bindungen in Durchmesser bzw. Radien von Teilchen
umzuwandeln, also jedem Atom seinen Teil am Bindungsabstand zuzuordnen.
Am einfachsten ist dies bei der Knpfung von zwei gleichen Teilchen. Dann ist der Ra-
dius des Atoms gleich dem halben Bindungsabstand. Dieser Abstand schwankt aber
etwas, je nach dem, welche Atome noch zustzlich an das betrachtete Atompaar ge-
knpft sind. Entscheidend ist nun der Abstand bei einem bestimmten Bindungsgrad.
Tabelle 3.3 enthlt einige Werte fr Einfachbindungen.
Das Ziel der Bestimmung der Atomradien ist nun, die Abstnde der einzelnen Kombi-
nationen der Teilchen vorauszusagen. Diese Abstnde mten die Summe der beiden
Radien der verknpften Teilchen sein. Wie die Tabelle 3.4 zeigt, funktioniert das Ver-
errechneteAbstnde
ausdenRadien[pm]
gemessene
Abstnde[pm]
C N 77+74=151 147
C O 77+74=151 143146
N O 74+74=148 143147
P O 110+74=184 160175
Tab. 3.4: Vergleich errechneter und
gemessenerBindungsabstnde
mittlererAb
stand[pm]
Radius[pm]
C C 154 77
N N 148 74
O O 148 74
P P 220 110
S S 208 104
Tab. 3.3: Bindungsabstnde fr
einigeEinfachbindungen
39
fahren nicht so gut, wie man das erhofft hatte. Die Kraftwirkungen der einzelnen Teil-
chen sind offenbar so vielseitig beeinflubar und von den Bedingungen der anderen
Teilchen abhngig, da man auf diese Weise nur erste Nherungswerte erhlt. Selbst
rechnerische Korrekturen, bei denen die Kraftqualitt der Bindung nher bercksichtigt
wird, erreichen die Mewerte nur annherungsweise. Und trotzdem ist der Bindungs-
abstand eine gute Hilfsgre, um die Teilchenverbnde systematischer zu beschreiben.
Die Erhhung des Bindungsgrades zwischen zwei Teilchen mu unseren berlegungen
nach den Bindungsabstand verkrzen. Das ist tatschlich durch das Experiment best-
tigt worden, wie es in Tabelle 3.5 angegeben wird.
Der Normbindungsgrad ist aber, wie bereits erwhnt, nicht immer ganzzahlig. Zum
Beispiel sind im Graphit die Kohlenstoff-Atome in einer Wabenstruktur angeordnet, so
da jedes Kohlenstoff-Atom von weiteren drei Kohlenstoff-Atomen regelmig bin-
dend umgeben ist. Da jedem Kohlenstoff-Atom vier Normbindefhigkeiten zugeordnet
werden, mssen die vier Bindefhigkeiten auf drei Bindungen verteilt werden. Es ergibt
sich der Bindungsgrad 4/3 = 1,33. Der zugehrige Bindungsabstand wurde mit 142 pm
gemessen (vgl. Abb. 3.11).
Graphit
oder
1,33BindungsgradC
CC
C
CC
C
CC
CC
C
C
Benzol
oder
CC
CC
C
C
H
H
H
H
H
H
1,5Bindungsgrad
Abb.3.11:BindungsgradundBindungsabstandbeiCAtomenimGraphitgitterundimBenzolMolekl
40
Eine hnliche Sechseckkonstruktion liegt beim Benzol-Molekl vor, wie Abbildung
3.11 es zeigt: Sechs Kohlenstoff-Atome sind zu einem regelmigen ebenen Ring ver-
knpft, wobei an jedes Kohlenstoff-Atom ein Wasserstoff-Atom gebunden ist. Zwi-
schen dem Kohlenstoff-Atom und Wasserstoff-Atom wirkt eine Einfachbindung. Wenn
jedem Kohlenstoff-Atom wieder vier Bindefhigkeiten zugeordnet werden, dann blei-
ben jedem Kohlenstoff-Atom fr seine beiden Nachbarn zusammen noch drei Bindef-
higkeiten, also betrgt der Bindungsgrad zwischen den Kohlenstoff-Atomen in Benzol-
Moleklen 1,5. Der gemessene Bindungsabstand zweier Kohlenstoff-Nachbarn betrgt
140 pm, ist also kleiner als der zweier Kohlenstoff-Atome im Graphit.
Trgt man in einem Diagramm den Bindungsgrad gegen den Bindungsabstand auf, er-
hlt man fr die Bindungen zwischen zwei Kohlenstoff-Atomen eine Abhngigkeit, aus
Tab.3.5:BindungsabstndefrBindungsgrade1,2und3(Beispiele)
C C
154pm
C C
133pm
C C
121pm
C O
143pm
C O
119pm
C O
107pm
N O
145pm
N O
117pm
N O
107pm
Abb.3.12:AbhngigkeitvonBindungsabstandundBindungsgradbeibestimmtenAtomkombinationen
41
der sich eine brauchbare Zuordnung von Bindungsgrad und Abstand ersehen lt. Ab-
bildung 3.12 zeigt diesen Zusammenhang auf.
Als weitere Beispiele seien die Abhngigkeiten des Bindungsabstandes vom Bindungs-
grad herangezogen, wenn man die Abstnde in Teilchenverbnden zwischen Stickstoff-
und Sauerstoff-Atomen oder zwischen Kohlenstoff- und Sauerstoff-Atomen mit. Es
existieren flache Dreieckskonstruktionen, wie Abbildung 3.13 es zeigt.
Dem Kohlenstoff-Atom sind wieder vier, dem Stickstoff-Atom fnf Normbindefhig-
keiten zuzuordnen. Verteilt man die Bindefhigkeiten gleichmig auf je drei Bindun-
gen, erhlt man fr die C-O-Bindungen den Bindungsgrad 4/3 = 1,33 und fr die N-O-
Bindung den Bindungsgrad 5/3 = 1,66. Die gemessenen Bindungslngen sind 129 pm
(C O) bzw. 124 pm (N O). Bindet man in einer Flche um ein Kohlenstoff-Atom
zwei Sauerstoff-Atome und ein Kohlenstoff-Atom, erhlt man ebenfalls ein flaches
Dreieck. Die Bindung zwischen den Kohlenstoff-Atomen besitzt die Lnge einer Ein-
fachbindung, so da noch drei Bindefhigkeiten des Kohlenstoffatoms zur Bindung fr
die zwei Sauerstoff-Atome zur Verfgung stehen. Daraus ergibt sich der Bindungsgrad
3/2 = 1,5, die Bindungslnge betrgt 131 pm und der Bindungswinkel 130 (siehe Abb.
3.13).
Bei genauer Betrachtung ist das Dreieck, in dem sich die gebundenen Teilchen formie-
ren, nicht mehr gleichseitig, sondern nur noch gleichschenklig. Gleichseitig war es bei
der Bindung von drei Sauerstoff-Atom um ein Kohlenstoff-Atom. Lagert man in dieser
Formation an das einsame Kohlenstoff-Atom noch zwei weitere Sauerstoff-Atome an,
erhlt man eine sehr gleichmige Konstruktion, die zustzlich als Beispiel dienen soll,
wie genau Teilchenkonstruktionen in bezug auf Abstnde und Winkel vermessen wer-
den knnen (vgl. Abb. 3.13).
42
Im vorhergehenden Beispiel hat fr den C-O-Bindungsgrad 1,5 die Bindungslnge 131
pm betragen, in diesem Beispiel lautet sie bei demselben Bindungsgrad 126 pm. Hier
sieht man bereits die Grenzen der etwas zu einfachen Beschreibung. Trotz allem bleibt
aber eine deutliche Abhngigkeit zwischen Bindungslnge und Bindungsgrad sichtbar.
Wir knnen zwar aus dem Abstand der Teilchen nicht genau den Bindungsgrad ent-
nehmen und umgekehrt nicht genau aus dem Bindungsgrad den Abstand, aber wir er-
halten ntzliche Hinweise, in welche Richtung sich die beiden Gren bewegen. Fol-
gende Schlsse sind auf jeden Fall zulssig:
1.WennTeilchengleicherSorteverknpftunddieAbstndeallegleichsind,wiezumBeispiel
die derKohlenstoffAtome imBenzolMolekl oder imGraphitgitter,dannmuauchder
BindungsgradzwischendenTeilchengleichsein.
2.WennderBindungsgradundzustzlichdiesonstigeUmgebungderTeilchengleichist,wie
zumBeispieldasvondreiSauerstoffAtomenumgebeneKohlenstoffTeilchen,dannmssen
auchdieAbstndegleichsein.
3. Wenn ein Teilchenverband nur den Bindungsgrad ndert, dann mssen bei zuneh-
mendem Bindungsgrad die Abstnde kleiner, bei abnehmendem Bindungsgrad die
Abstnde grer werden.
4. Wenn ein Bindungsgrad nicht ganzzahlig ist, dann liegt der Bindungsabstand zwi-
schen den beiden Abstnden der auf- und abgerundeten Bindungsgrade. Der Bin-
dungsgrad 1,4 wird also einen Abstand der Teilchen besitzen, der zwischen denen
der Bindungsgrade 1 und 2 liegt.
C O
O
O
120
129pm C O
O
O
1,33Bindungsgrad
124pm
120 N O
O
O 1,66Bindungsgrad
N O
O
O
131pm
115
130C C
O
O 1,5Bindungsgrad
C C
O
O
C C
O
OO
O
126
117
117
157pm
126pm
126pm
1,5Bindungsgrad
C C
O
O
O
O
Abb.3.13:BindungslngenundnichtganzzahligeBindungsgrade
43
5. Wenn eine Bindungslnge gemessen wird, die zwischen den entsprechenden Lngen
zweier ganzzahliger Bindungsgrade liegt, dann wird der zugehrige Bindungsgrad
ebenfalls in diesen Grenzen sein.
6. Die Summe der Bindungsgrade, ber die ein Teilchen gebunden ist, gibt seine
Normbindefhigkeit an und ermglicht Aussagen ber dessen Kombinationsfhig-
keit. In komplizierten Teilchenverbnden wird von den Chemikern die Strukturin-
formation nicht ber den Bindungsgrad, sondern ausschlielich ber Bindungsln-
gen und Bindungswinkel angegeben. Damit fllt aber die Information ber die Bin-
defhigkeiten der Teilchen und deren Kombinationsmglichkeiten mit anderen Teil-
chen weg.
3.5.3 Bindungsgrad und Stabilitt
Mit zunehmendem Bindungsgrad wird der Abstand zwischen den gebundenen Teilchen
kleiner, da die Kraftwirkung grer ist. Das mu aber nicht unbedingt bedeuten, da
die Bindung stabiler wird. "Stabil" ist ein Begriff, der mit der zwischen den Teilchen
wirkenden Kraft nichts zu tun hat. Er bezeichnet lediglich, wie die Bindung auf "Str-
manver" hin reagiert.
Ein mechanisches Bild verdeutlicht dies am besten. Wir befestigen eine Feder zwischen
zwei Kugeln und spannen sie. Je nach dem, wie weit wir die Kugeln voneinander ent-
fernen, spannt sich die Feder strker, sie bewirkt eine grere Kraft. Ob das Kugel-
Feder-System aber stabil ist, hngt davon ab, auf welche Weise die Feder an den Ku-
geln angebracht ist. Gute Haken, bei denen sich die Federn nicht aushngen knnen,
machen das System stabil. Offene Haken, an denen die Federn gerade noch hngen,
verleihen Instabilitt.
Das Prfinstrument fr die Stabilitt soll ein kleiner Hammer sein: Wenn man die Fe-
der zwischen den Kugeln spannt und ganz leicht mit einem Hammer auf die Feder
klopft, dann wird sie aus der labilen Verankerung sofort ausgehngt. Ist die Feder gut
verankert, dann macht ihr auch ein erheblicher Schlag mit dem Hammer nichts aus.
Diese Sachlage ist von Mause- oder Rattenfallen her bekannt. Sowohl bei der Mause-
falle als auch bei der mit ihrer erheblich greren Kraftwirkung ausgestatteten Ratten-
falle mssen die Federn gespannt und labil eingestellt sein. Sie mssen auf das geringste
"Klopfen" reagieren. Sonst kann man auf diese Weise keine Ratten und Muse fangen.
Das Ma fr die Stabilitt ist also die Strke des "Hammerschlages", um die Bindung
aus ihrer "Verankerung" zu reien, nicht die Spannung der Feder. Bei den verknpften
Teilchen ist das ebenso. Was man als Hmmerchen fr die kleinen Teilchenverbnde
benutzen kann, wollen wir spter betrachten.
44
Nachdem die Stabilitt und die Strke einer Bindung voneinander unabhngige Gren
sind, gibt es alle Mglichkeiten der Bindungen:
Stark und stabil, stark und labil,
schwach und stabil, schwach und labil.
Betrachten wir als Beispiel Bindungen zwischen Stickstoff- und Kohlenstoff-Atomen
untereinander, von der Einfachbindung bis zur Dreifachbindung. In beiden Fllen
nimmt die Bindungsstrke von der Einfachbindung zur Dreifachbindung hin zu. Im
Stickstoff-Molekl ist sogar die Dreifachbindung die stabilste, die dritte Bindung ist
besonders gut "eingehngt". Bei Kohlenstoff-Atomen ist es umgekehrt, die Dreifach-
bindung ist hier die labilste.
Allerdings mu man bei diesen Modellvergleichen genau bercksichtigen, wie weit die
Mglichkeit der Veranschaulichung geht, wie weit das Modell pat. Das Kugel-Feder-
Bindungsmodell verdeutlicht die chemische Bindung nur solange dem Experiment ent-
sprechend, solange man die Kugeln nicht trennt. Beim langsamen Trennen der Kugeln
mu man sie auseinanderziehen. Wenn man dann die Bindung durch eine Feder dar-
stellt, wrde die Federkraft immer strker werden, dann mte sie pltzlich mit einem
Ruck abreien. Das stimmt aber mit den Beobachtungen nicht berein. Die Kraft, um
Teilchen einer Substanz zu trennen, ist am Anfang grer und wird immer kleiner, bis
die Kugeln getrennt sind. Hier pat besser das Bild zweier gekoppelter Magneten, die
getrennt werden sollen.
Zur Verdeutlichung des Verhaltens von Teilchen mu der Chemiker einen groen Vor-
rat an Bildern oder Modellen zur Verfgung haben. Die Kunst liegt dann in der geeig-
neten Auswahl und der ntzlichen Anwendung der Modelle. Ist kein geeignetes Modell
zur Hand, dann ist es der Intuition des Chemikers berlassen, sich ein geeignetes Bild
einfallen zu lassen. Hier schlgt der philosophische Ansatz in der Chemie wieder durch.
C C
C C
C C
N N
N N
N N
Abb.3.14:BindungsgradundStabilitt(Beispiele)
45
3.6 Strke und Normung bei rumlich ungerichteter Bindefhigkeit
3.6.1 Normung der Bindefhigkeit von Ionen
Die Ionen, so wie sie z. B. im Periodensystem angefhrt sind, lassen sich in einer unge-
heuren Vielfalt miteinander koppeln. Diese Vielfalt experimenteller Beobachtungen
stellt die Frage nach einem Ordnungsprinzip, nach dem sich die einzelnen Ionen mit-
einander verknpfen lassen.
Diese Ordnung zu finden ist weitaus schwieriger als bei den gerichteten Bindefhigkei-
ten. Bei ungerichteten Bindefhigkeiten kann die Anzahl der gekoppelten Teilchen prin-
zipiell nicht beschrnkt sein, weil es nur auf den verfgbaren Platz, auf die Geometrie
ankommt.
Ionen besitzen die Eigenschaft, sich gegenseitig anzuziehen oder abzustoen. Kationen
untereinander und Anionen untereinander stoen sich gegenseitig ab. Das macht keine
andere Teilchensorte. Atome mit gerichteten Bindefhigkeiten tun dies nicht, Atome
mit ungerichteten Bindefhigkeiten ebenfalls nicht: Bei all diesen Teilchen kommen nur
Anziehungskrfte zum Tragen.
Wenn Ionen verknpft werden, dann mu das anziehende und abstoende Prinzip ge-
genseitig ausgeglichen sein. Als beschreibende Gre dient uns hier die Eigenschaft der
Ionenladung. Zunchst machen wir dazu ein Gedankenexperiment, das die Kraftwir-
kung von Ionen in Analogie zur Massenanziehung aufzeigt (vgl. (1) und (2) in Abb.
3.15).
Nehmen wir als Normmasse die Erde und hngen zwei unterschiedlich schwere Kugeln
an eine Federwaage. Zeigt die Federwaage bei der zweiten Kugel die doppelte Kraft-
wirkung an, so kann die Masse dieser Kugel beispielsweise 2 kg und die der ersten Ku-
gel mit 1 kg bezeichnet werden. Nehmen wir einen Gegenstand mit konstantem, nega-
tiv geladenem elektrischen Feld (etwa eine geriebene Folie, vgl. (2) in Abb. 3.15) und
messen die Kraft, mit der ein positiv geladenes Lithium-Ion angezogen wird. Das glei-
che wiederholen wir mit einer positiven elektrischen Fernwirkungsquelle und messen
die Kraftwirkung auf ein negatives Fluor-Ion. Die Messung ergibt, da die Kraftwir-
kung auf beide Ionen, auf das Lithium-Ion und auf das Fluor-Ion, genau gleich gro
ist. Jetzt werden alle anderen Ionen ebenfalls im elektrischen Fernwirkungsfeld vermes-
sen und ihre Kraftwirkungen bestimmt. Wir setzen das positive Lithium-Ion und das
negative Fluor-Ion als Norm und geben an, um wieviel mal strker das "Test-Ion" im
elektrischen Feld angezogen wird als ein Lithium- oder Fluor-Ion. Die Abbildung (2)
symbolisiert etwa ein Ca 2+ -Ion, das eine doppelt so starke Kraftwirkung zeigt.
46
Abb
3.15:IonenladungenalsMafrKraftwirkungen
Von den positiven Ionen besitzen Natrium-, Kalium- und Silber-Ionen die gleiche
Kraftwirkung wie ein Lithium-Ion. Magnesium-, Calcium- und Zink-Ionen besitzen die
zweifache, Aluminium-Ionen, manche Eisen- oder Chrom-Ionen die dreifache, manche
Blei-Ionen sogar die vierfache Kraftwirkung eines Lithium-Ions.
Diese Kraftwirkungen knnen auch im Experiment nachgewiesen werden. Man hat
daraufhin die Gre der elektrischen Ladung gekennzeichnet: 1+, 2+, 3+ oder 4+. Eini-
ge Beispiele positiv geladener Ionen und entsprechender Ionensymbole zeigt (3) in Ab-
bildung 3.15.
47
Die Normung der negativen Ionen erfolgt genauso in einem positiven elektrischen Feld.
Es werden die entsprechenden Kraftwirkungen der negativen Ionen bestimmt und mit
der des Fluor-Ions verglichen, dem die Normladung 1- zugeordnet ist. Die Ladungen
der Ionen werden als Vielfaches der Ladung des Fluor-Ions angegeben. Abbildung 3.15
zeigt ebenfalls einige Beispiele.
Mit den Ladungszahlen der Ionen beschreiben wir die elektrischen Bindekrfte um das
Ion herum. Koppeln wir mehrere Ionen zusammen, dann nehmen die Ionen mit ihren
Fernwirkungskrften ihre Pltze so ein, da bei gleicher Anzahl und gleichmiger Ver-
teilung von positiven und negativen Ladungen Anziehung und Abstoung ausgewogen
und stabil sind. Man sagt auch, der Teilchenverband ist elektrisch ausgeglichen oder
elektrisch neutral.
Abbildung 3.16 zeigt zweidimensionale Modellvorstellungen von Ionenverbnden, die
"elektrisch ausgeglichen" genannt werden. Die Bilder dieser Abbildung sind Ausschnit-
te aus beliebig groen Flchen und geben das Bauprinzip an, wie die Ionen im Verband
zu verknpfen sind.
In Bild (1) ist jedes positive Ion mit der Ladung 1+ von vier negativen Ionen mit der
Ladung 1- umgeben und gleichzeitig jedes Ion mit der Ladung 1- von vier anderen Io-
nen: Jedes Ion mit der Ladung 1- wird somit von der Ladung 4+ eingehllt und jedes
Ion mit der Ladung 1+ von der Ladung 4-.
In Darstellung (2) ist jedes "2+Ion" von vier "1-Ionen" umgeben, und gleichzeitig jedes
"1-Ion" von zwei "2+Ionen". Somit ist ebenfalls jedes "1-Ion"von der Ladung 4+ ein-
gehllt, jedes "2+Ion"durch die Ladung 4-.
Die Normung der Ionenladung anhand der Li + -Ionen oder F - -Ionen hat den Vorteil,
da wir die Ionen ihrer gleichen elektrischen Kraftwirkung nach ordnen und verwen-
den knnen. Auerdem ergibt die Forderung der elektrischen Neutral