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Page 1: DEFGH Donnerstag, 25. September 2008 Nr. 224 Seite 47 I Auf … · 2009. 10. 7. · gen mit Massagen ab 75,-Tel. 08066 /1444 1 Weltberühmte Königsschlösser im goldenen Herbst Tel

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REISE

In Larino hat sich die halbe Honora-tiorenschaft der Stadt beim römi-schen Amphitheater versammeltund begrüßt einen mit dem Satz:

„Unser Bürgermeister sitzt im Gefäng-nis.“ Doch dazu später. Denn die Exper-tengruppe will als Erstes die neu ausge-grabenen Mosaiken erklären und ist mitRollen von Lageplänen zur Stelle. „Wirhaben Schätze wie in Pompeji, aber hierist kein einziger Tourist“, sagt NapoleoneStelluti, der über die Mosaiken von Lari-no ein bedeutendes Werk geschriebenhat. Bis 1978 sei auf dem Gelände einBolzplatz gewesen, und als Rom mit denAusgrabungen begonnen habe, seien alleörtlichen Stellen vom Zutritt ausgeschlos-sen worden. Er habe heimlich über die Ab-sperrung klettern müssen, um die römi-schen Inschriften zu katalogisieren. AufRom ist man hier nicht gut zu sprechen, inder gesamten Abruzzenregion Molise imSüden Italiens nicht. Das ist nicht erst so,seit Berlusconi bei der jüngsten Wahldem Bürgermeister der kleinen StadtFrosolone im Zentrum des Landes denAbgeordnetensitz im römischen Parla-ment weggeschnappt hat und nun selbstdie Molise vertritt.

„Wenn wir die modernen Wohnhäuserabreißen könnten, würden wir eine großerömische Stadt finden“, sagt Napoleone.„Und darunter würden wir natürlich aufeinen von den Römern zerstörten samniti-schen Ort stoßen.“ Napoleone hat damitden Kern molisischer Mentalität berührt.Denn die Molisaner empfinden sich heuteals Nachkommen der Samniten, die zwi-schen 400 und 100 vor Christus lebtenund neben den Karthagern als stärksteWidersacher der römischen Republik gal-ten. Das Imperium schlug zurück. Zuletztunter dem Diktator Sulla im Jahr 82 vorChristus. Die Städte der Samniten wur-den zerstört, die Bevölkerung hingemet-zelt, deportiert oder in den Arenen denLöwen vorgeworfen. Der römische Ge-schichtsschreiber Titus Livius, ein Zeitge-nosse von Christus, hat dieses Völkerdra-ma in seiner römischen Geschichte „Aburbe condita“ festgehalten.

Der Bürgermeister Guglielmo Giardi-no begrüßt einen hinter Gittern. DieStadtverwaltung hat sich vorübergehendin den Räumen des ehemaligen Gefängnis-ses eingerichtet. Nach dem Umzug solldie Tourismusinformation einziehen. DieMolise ist als Reiseziel auch deshalb so in-teressant, weil sie ein gebirgiges grünesParadies ist, das man östlich von Neapel,nördlich von Apulien und südlich der Zen-tralabruzzen nicht erwartet. „Und Siedürfen unsere Schafsautobahnen nichtvergessen“, sagt der Bürgermeister.

Die sogenannten Tratturi sind Wegefür den Viehtrieb, die seit vorrömischerZeit durch die Molise führen. Drei Wegeverlaufen im Südwesten. Das sind dieHauptwege, die aus den hohen Abruzzenkommen und ins Flachland von Apulienführen. Abzweigungen in die Bergregio-nen gibt es überall. Doch man erkenntden Lauf der Tratturi nur mit geübtemBlick. Die Bahnen gehen über Berg undTal, durch Städte und Flüsse. Man kann

sie anhand der Vegetation, die sich von ih-rer Umgebung unterscheidet, nur erah-nen, wenn man auf einer Bergkuppesteht. In der Molise sind alle Tratturi inStaatsbesitz. Man darf nicht auf ihnenbauen oder Felder anlegen, aber mancheGemeinden nehmen das nicht so ernst.Da befindet sich schon mal ein Fußball-platz auf dem Weg oder ein über die Tole-ranzgrenze hinausgeschobener Garten.

Die Tratturi stammen aus samniti-scher oder noch früherer Zeit. In der Anti-ke waren es insgesamt etwa sechs Millio-nen Schafe, Wolllieferanten für das römi-sche Heer, die zweimal im Jahr auf densechs Durchgangsstrecken und auf denzahlreichen Zugangswegen die etwa 200Kilometer lange Distanz machten. Vorden Stadttoren, wo sich die Herden sam-melten, um gezählt und besteuert zu wer-den, ging es früher so turbulent zu, dassmanches Handgemenge in einer deftigen

Schlägerei endete. Große Schafherdengibt es in der Molise schon seit dem welt-weiten Verfall der Wollpreise nicht mehr.Bereits in napoleonischer Zeit waren dieWeideflächen in Apulien in Äcker umge-wandelt worden. In Frosolone erinnertein jährliches Festival an die alte Traditi-on, und hier lebt die Familie Colantuono.Sie betreibt eine der letzten großen Rin-derfarmen, um die Milch der Kühe an dieeigene und örtliche Käsereien zu liefern,die einen der besten Rohmilchkäse produ-zieren, den man in Italien haben kann.Diese Kühe können im Gegensatz zu Stall-vieh noch Hunderte Kilometer weit lau-fen. Entsprechend geringer ist der Milch-ertrag. Aber der Käse unterscheidet sichdeutlich im Geschmack von handelsübli-cher Ware. Die Familie Colantuono belie-fert Edelrestaurants italienweit. Aus-landskontakte haben sie noch nicht.

Carmelina Colantuono bringt als Käse-spezialität den Mantega zum Probieren.Die Bezeichnung ist abgeleitet vom spani-schen Wort für Butter, Mantequilla – dasKönigreich Neapel war Jahrhunderte un-ter spanischer Herrschaft. Der Mantegaist eine Art birnenförmiger Mini-Provolo-ne und bildet nur die Hülle für die Butter,die luftundurchlässig von der Käsehautverschlossen und konserviert wird. DieHerden, die die Milch dafür liefern, gra-

sen auf 800 bis 1000 Metern Höhe. „Wennwir nicht aufpassen“, sagt Carmelina,„gehen die Kühe spätestens im Oktobervon alleine los.“ Die Viecher kennen denWeg auf der Schafsautobahn nach Apu-lien genau. „Im Frühjahr, wenn die Tieregekalbt haben, müssen wir die Jungenmit dem LKW auf die Sommerweidentransportieren. Manchmal kommt eineKuh zu Fuß sogar eher an. Dann büchstsie aus, um ihr Junges in Apulien zu su-chen.“ Carmelina würde gern auf demPferd wie ihre Brüder und alle anderenHelfer beim Viehtrieb mitreiten, aber siemuss den Zug der etwa 600 Tiere organi-sieren. Straßen, Bahnübergänge, Orts-durchfahrten müssen von der Polizei ab-gesperrt werden. Und überall, wo siedurchkommen, wird gefeiert, so wie mannur noch hier feiert. Unter sich. Nachtssitzen die Cowboys ums Lagerfeuer, undalle, die mitwandern oder mitreiten wol-len, sind herzlich eingeladen.

Die Tratturi sind nach einer alten nea-politanischen Maßeinheit genau 111 Me-ter breit. Wären sie schmaler, hätte dieenorme Viehmenge nicht genug Gras zufressen gehabt. Die Samniten haben dieWege gegen Feinde mit bewehrten Bruch-steinmauern abgesichert, die inzwischenlängst verfallen sind. Die Viehwirtschaftwar im römischen Reich ein äußerst ein-

träglicher Wirtschaftszweig für die Groß-grundbesitzer. In Tagesabständen gab esRastplätze an den Strecken, mit allem,was man sich denken kann: Brunnen,Tränken, Schlafstätten, Wirtshäusern, so-gar Bordellen. Es gibt Luftaufnahmen,die den Verlauf der Viehtrassen zeigen.Nur in der Molise sind die Wege nochnicht vollständig überbaut, weil sie unterSchutz stehen. Man lernt hier deshalbauch eine Bergregion kennen, die vollerÜberraschungen steckt.

So wie der Ort Agnone zum Beispiel,mit der einzigen Fabrik, die seit 1000 Jah-ren ununterbrochen in Familienbesitz ist.Die Marinellis gießen ihre Kirchenglo-cken vor allem für den Vatikan. Einer der

Bergorte samnitischen Ursprungs ist Du-ronia. Der Rundumblick von hier obenwar früher überlebenswichtig. Deshalbgeht es auch steil bergauf bis in den Orts-kern mit seinen engen Gassen. Hier hatdie Familie von Vincenzina und GiovanniManzo am Hang über den Tälern ein altesSteinhaus gekauft und es zu einem klei-nen Hotel ausgebaut, das sie Il Giardinodei Gelsi genannt haben. Gelsi sind Maul-beerbäume. Ein Hotel in einer Gegend zubetreiben, in der es kaum Touristen gibt,erfordert ganz besonderen Mut. Vincenzi-nas Mahlzeiten sind leckere regionaleKöstlichkeiten: Trüffel, Lamm, Pastaund die Weine der Region, besonders derweiße Falanghina und der rote Tintilia,uralte Rebsorten. Draußen kommt inzwi-schen der Schäfer im schwarzen Umhangmit einem Teil der Herde und den Hun-den den Hang herab.

Mario Borraro ist das, was man einenKauz nennen würde. Er war mal Traineran einer Flugschule für Paragliding in Ka-lifornien und betreibt jetzt mit seinerFrau eine Käserei. Wenn er lacht, be-kommt man ein wenig Angst vor seinenvielen weißen Zähnen in dem schwarzbär-tigen Gesicht. So etwa müsste man sichwohl die Briganten vorstellen, die Män-ner der Räuberbanden, vor denen im19. Jahrhundert die Reisenden auf allenPoststationen gewarnt wurden. Aber Ma-rio ist nur auf Berlusconi sauer und aufdie Mafia in Kampanien. Deshalb ist erhier, weil es in der Molise für die Mafianichts zu holen gibt. Berlusconi sei einGrund zu überlegen, ob er nicht nach Ka-lifornien zurückgehen solle, sagt er. Dannnimmt er von seinem Pickup einen Dudel-sack und eine Ziehharmonika, stellt sichvor die Herde und singt und spielt denSchafen Lieder vor. Die Tiere lauschenund murren, wenn er aufhört. „So ein Pu-blikum hast du in keinem Opernhaus“,sagt Mario. MICHAEL WINTER

Der Schäfer spieltden Tieren Lieder aufdem Dudelsack vor

Vor den Stadttorenzählte man Schafeund prügelte sich Anreise: Mit Tuifly von verschiedenen deut-

schen Flughäfen nach Neapel oder Rom undzurück ab ca. 130 Euro. www.tuifly.comReisearrangement: Der Veranstalter„La Kooperativa“ organisiert unter anderemneuntägige Wanderungen auf den Tratturi undsiebentägige Rundreisen zu den wichtigstenSehenswürdigkeiten und Städten der Molise.Preise ab/bis Neapel/Rom 1280 bzw.945 Euro. Übernachtungen im DZ mit Halb-pension und Bustransfers von Neapel oderRom. Weitere Infos unter: La Kooperativa,Geyerstraße 20, 80469 München, Tel.:089/42 09 56 69 10, Fax: /42 09 56 69 19,Internet: www.lakooperativa.de,E-Mail: [email protected]

Informationen

DEFGH Donnerstag, 25. September 2008 • Nr. 224 • Seite 47

Auf dem SchafswegDie Molise, Süditaliens grünes Herz, ist vom Tourismus noch weitgehend unberührt

Tratturi

CampobassoCampobassoIserniaIsernia

KAMPAN IEN

MOL ISEMOL ISE

ABRUZZEN Termoli

LarinoLarino

FrosoloneFrosolone

AgnoneAgnone

SZ-Karte

25 km

ITALIEN

Adria

Schon zu vorrömischer Zeit wurden Schafe aus den hohen Abruzzen ins Flachland von Apulien geführt. Die großen Herden sind verschwunden, aber ihre Wege, dieTratturi, sind noch zu erkennen. Wo sie durchführen, pflegen die Menschen eine italienische Variante der Cowboyromantik. Foto: Atlantide Phototravel/Corbis

Verantwortlich: Margit Kohl

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