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Page 1: Der Einfluß der Muskulatur auf den Füllungszustand der Capillaren

(Aus dem Pathologischen Institut des Allgemeinen Krankenhaases Barmbeck- Hamburg [Direktor: Prosektor Dr. Gerlach].)

Der Einflul~ der Muskulatur auf den Fiillungszustand der Capillaren.

Von Dr. A. Jores .

(Eingeg<lngen ~m 22. September 1927.)

In letzter Zeit ist eine umfangreiche Liter~tur tiber Anatomie, Physiologie und Pathologie der Capillaren entstanden; nur gerade die Frage, wie welt die Capillaren meehanisehen Einflfissen dureh die Muskelkontraktion unterliegen, hat dabei noeh wenig Bertieksiehtigung gefunden. Diese Frage uurde bereits Yon mir, angeregt und unter- stiitzt yon Herrn Prof. Ere!l, in bezug auf dev Herzmuskel untersueht. Am hiesigen Insti tut ver¥ollstgndigte und erg~nzte ieh noeh die Ex- perimente, deren Cesamtergebnis hiermit vorgelegt werden soll.

1. Die Verh:, i ltnisse am S k e l e t t m u s k e l .

Die groBen GefS, fte, insbesonderc (lie Artericn des KOrpers, sind durchweg in bindegewebigen Septen gelcgen, so da3 sie bei Bewegungen wohl Verschiebungen und Verbiegungen erleiden, eine Kompression aber nicht stattfinden kann; zumal sie einer solchen durch die Starrheit der Wand und den Binnendruck noch erheblichen Widerstand leisten wfirden. Diese Umstfinde, die eine Beeinflussung dutch die Muskel- kontraktionen yon vornherein ausgescblossen erscheinen lassen, fallen aber fiir die feinsten Verzweigungen des Blutgefiil3systems - - eben die Capillaren - - fort. (Mit dem Ausdruck Cgpillaren ist in dem Fol- genden nicht der streng anatomische tlegriff gemeint, sondern die feinsten Arteriolen und Venen sind in diesen Zusammenhang mit einzubegreifen). Die Cat)illaren finden sich in den feinsten Septen zwischen den einzelnen Muskelfibrillen gelagert und zeigen teilweise parallele, teilxveise ringartige Anordnung. Diese yon Spalteholz mit dem Namen Zwische~lfelder belegten feinen Spalten entsprechen in ihrer Gr613e etw~ delt in ihnen liegenden Capillaren. Ob nun bei der Kontraktion, die ja ohne Volumem-ermehrung, wohl aber mit einer Querschnittsvergr6fterung einhergeht, eine Kompression dieser Zwischen- felder stattfindet oder nur eine Verschiebung ohne Kompression, ist

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rein theoretisch schwer zu entseheiden, denkbar sind jedenfalls beide MSglichkeiten. Spalteholz ver t r i t t die letztere Ansehauung, doch ohne sich hierbei auf Versuche stfitzen zu kOnnen. Die anderen f/Jr die Arter ien wicht igen lV[omente, wie Wands tg rke und Binnendruck , fallen ja ffir die Capil laren ohne weiteres fort.

Die Beobachtungen, die sich fiber diese Frage in der L i t e ra tu r niedergelegt f inden, s ind recht sp/irlieh und teilweise widersprechend. Sie stf i tzen sich alle auf direkte Beobach tungen am arbe i tenden Muskel und berficksichtigen z. T. auch nur die StrSmungsverh~l tnisse in den Arter ien und Venen.

So linden wir bei Kau/mann die Angabe, dab beim arbeitenden Museulus masseter vom Pferd das Blut bei jeder Kontraktion aus den Venen ausgepreBt wird, also eine Art Venenpuls entsteht, was mit der Annahme einer Kompression gerade auch der kleinsten Gef/~Be in gutem Einklang stehen wiirde. Bei Heile- mann, der den Musculus submaxillaris yore Frosch unter dem Mikroskop beob- achtete, linden wir die Angabe, dab in den parallel zur l%serrichtung verlaufenden Venen eine Stase auftritt, die beim Tetanisieren des Muskels bis zur riickl/~ufigen ]3ewegung des Blutes fiihren kann. In den parallel den gr66eren Arterien ver- ]aufenden Venen beobaehtete er eine anfangs vermehrte StrOmungsgeschwindig- keit, die aber beim Tetanisieren sehr bald abnimmt und geringer wird als in der Ruhe. Eine Deutung dieser Erscheinungen gibt Heilemann nicht und lal3t es often, ob dies durch die besonderen Verh/~ltnisse des von ihm untersuchten Muskels bedingt ist oder andere Ursachen hat. Den n/~ehstliegenden Schlul3, dab bei der Kontraktion durch den auf die Zwischenr/~ume ausgefibten Druck zun/~chst, wie ja auch Kau[[mann beobaehtete, das ven6se Blut ausgepregt wird (vermehrte StrSmungsgesehwindigkeit) und dann durch vollst~ndige Kompression der Meinsten Gef/~Be in den grSBeren Venen eine Stase auftritt, macht er nieht, t3ber das Ver- halten der Capillaren selbst ist naeh den vorliegenden Arbeiten schwer ein Urteil zu gewinnen. Arbeiten von Kau//mann und Gaskell spreehen yon einer starken Erweiterung, Heilemann beobaehtete eine vermehrte Schl/~ngelung, keine Volumen- zunahme, wohl Zunahme der StrSmungsgeschwindigkeit, und Spalteholz lolgert, worauf oben schon hingewiesen ist, aus den vorliegenden Angaben und einer rein theoretisch mathematischen Bereehnung, die, wie er selbst zugibt, jeder ex- perimentellen Grundlage entbehrt, dab auf die parallel zur Muskelfaser ver- laufenden Capillaren, und das ist die fiberwiegende Anzahl, bei der Kontraktion kein Druek ausgeiibt wird. Er sagt dartiber, dab ,,bei der Xontraktion im all- gemeinen die fl/~chenhaften Zwischenfelder grSger werden und die kSrperlichen Zwischenr~ume sieh an GrOBe gleieh bleiben".

U m diese Frage exper imentel l zu untersuehen, s tehen zwei Wege offen, der der d i rekten Beobachtung des a rbe i tenden lV[uskels un te r dem Mikroskop u n d der mi t Hilfe yon In j ek t ionsp rgpa ra t en fiber die jeweilige Ffi l lung der Capitlaren AufsehluB zu erhalten, wie er bereit~ yon Krogh zu Fes ts te l lung des Durchblutungsgrade~ des Muskels vor und naeh der Arbei t beschr i t ten worden ist. Der erstere Weg wurde yon mir anfiinglieh versueht , doeh bald verlassen, da sich so kein

sicheres Urtei l gewinnen 1/~6t. E i n m a l versehiebt sich das Objekt dauernd, zum anderen gibt die Beobachtung nu r Aufsch lu l fiber die oberflgchliehen Gef/~le, die aber wieder infolge ihrer Lage lange n icht

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so s tark einer eventuel len Kompress ionswirkung ausgesetzt s ind wie die tiefer gelegenen. Der zweite Wet mit Hilfe yon In j ek t ionsp rgpa ra t en erwies sich als ~ehr brauchbar, da er auBerdem noch den Vorteil bietet , die Ergebnisse dm'ch Auszghlen der jeweils offenen Calaillaren zahlen- mgl]ig zu erhgrten. Als Injektionsfl i issigkeit gelangte eine gesgtt igte L6sung yon T r y p a n b l a u in physiologischer KochsalzlSsung zur Ver- wendung. Es ergab sich dabei nur die Schwierigkeit, auf den Muskel einen Kont rak t ionsre iz auszutiben, der die muskulgren E lemente der Capil laren n ieh t mi tbet r i f f t . Das diirfte an sieh k a u m m6glich sein und nu r so zu umgehen, dab m a n die Capillaren vergif tet und sie so aussehaltet , was zudem noeh den Vorteil bietet, dag so das ganze Capil larnetz often ist, was ja sonst naeh de~) Arbei ten yon Krogh n u t nach der Arbei t der Fa l l ist. Als Capillargift s tand mir das yon Heubner eingehend untersuehte , ,Goldsalz" (Natriumgoldehlorid) n ieht in Fo rm eines e inwandfreien Prgparates zur Verfiigung, doeh erwies sieh mir eine 2proz. L6sung yon Goldehlorid als sehr brauehbar . Naeh In- jek t ion einer t(idlichen Dosis (7 mg Gold pro Kilogramm) gehen Kan in - ehen un te r den yon Heubner beschriebenen fiir die Capil larvergif tung eharakter is t isehen Ersehe inungen zugrunde. Die Un te r suehung der inne ren Organe ergibt s tarke Blutfiil le und parenehymat6se Blu tungen , besonders in Lunge und Leber.

I m einzelnen ges ta l te ten sieh die Versuche folgendermalten:

Bei einem Kaninehen wurde in Urethannarkose, die dureh leiehte Ather- narkose noeh etwas vertieft war, naeh Laparotomie in die reehte Arteria iliaea eine Glaskaniile eingebunden und 15--20 eem der oben angegebenen Trypan- blaulSsung hindurehgespritzt. Einige Muskelstiieke aus der Adduetorengruppe, die meistens die beste Injektion zeigte, wurden herausgesehnitten und in Formalin gelegt. :Die Muskeln sehen dabei glasig, blaBblau aus. Links wurde dieselbe Operation vorgenommen, nut vor der Trypanblauinjektion 3 eem der Goldehlorid- 16sung gespritzt. Die Muskulatur ist yon intensiv blauer Farbe. Einige der Strieke wurden gleich fixiert, andere sofort in physiologisehe KochsalzlSsung eingelegt und faradiseh gereizt,, worauf schon eine dentliche Xontraktion eintrat. Dureh langsames Hinzugiegen yon FormMin gelang hier die ]q'ixierung in leicht kontra- hiertem Zustand meist gut. Von jedem Versuehe wurden 2 Sttieke in Gelatine eingebettet, yon jedem dieser Stiicke 5 Schnitte angefertigt und ungefgrbt unter- sucht. Die Capillaren heben sieh dabei deutlieh als blaue Punkte ab. In den mit Goldsalz vergiftetcn Fgllen ist fast j ede Fibrille von weir offenen Capillaren flankiert, teilweise auch ringfSrmig umgeben. Bci den faradiseh gereizten Stricken ist die Zahl und vor allem auch die Weite der Capillaren bedeutend geringer. DaB in diesen Fgllen tatsgehlieh eine Kontraktion vorhanden ist, geht daraus hervor, da[~ der Durehmesser jeder einzelnen Fibrille bedeutend grSl~er ist als im Ver- gleiehsprgparat. Das mSge dureh einige Zahlen belegt werden. So ergibt sich z. B. als Mittelwert yon 50 Messungen der grSgte Durchmesser:

gercizt ungereizt (grbBter Durchmesser)

1.0,8 10,6 18,5 12,8

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Die Fiillung und Weite der Capillaren im ruhenden Muskel ist noch etwas geringer als im kontrahierten Muskel nach Goldchloridvergiftung.

Um diese Ergebnisse auch zahlenm/il3ig zu belegen, wurden etwa um die ]-I~lfte verkleinerte Gcsichtsfelder eines jeden Pr~tparates ausgez~hlt und die I)urchsehnitts- werte in folgender Tabelle zusammengestellt. Da von jedem l~Iuskel 2 Stficke eingebettet und yon jedem Block wieder 5 Schnitte angefertigt wurden, stellen die folgenden Zahlen den Durehsehnittswert -con je 100 AuszAhlungen dar.

Anzahl der Capillaren :

Nach Vergif fung mi t Gold- 2~'ach Verg i f tung und elek- Ruhender Muskel chlorid t r i seher Reizung

0,6 1,4

31,5 21,1 18,8 19,9

4,6 3,9 2,6 8,6

Die Zahlenuntersehiede zwischen der Capillarfiillung des gereizten und ungereizten Muskels sind derart grog, da6 sie wohl augerhalb der Fehlergrenze, wie sic dureh die Versehiedenheit der jeweils im Sehnitt getroffenen Stelle bedingt ist, liegt, so dab nur die M6glieh- keit tibrig bleibg, daft diese Untersehiede auf die Kontraktion zurtiek- zuftihren sind. Da6 tatsi~ehlieh eine vollstgndige L~hmung der musku- lgren Elemente der Capillaren vorlag und diese nieht mehr auf die elektrisehe Reizung angesproehen haben, seheint mir vor allem daraus helvorzugehen, daft sieh im ruhenden und unbeeinflu6ten Muskel die Capillarftilhmg als noeh geringer erwies. Wenn die Capillaren noeh auf den Reiz angesprochen h/itten, so wS~re doeh zum mindesten zu erwarten, da6 sieh die Zahlen ftir den ruhenden und gereizten Muskel deekten, wenn nieht noeh geringer wS~ren.

Aueh eine andere Beobaehtung spriebt in demselben Sinne. So fand sieh in der Randpartie eines Sehnittes, der yon einem gereizten Muskel stammte, eine Stelle, die eine sehr gute Capillarfiillung zeigte. Eine Messung der durehschnittliehen Dieke der Muskelfibrillen ergab hier ffir die gut geffillte Partie 13,0, fiir die iibrigen weniger gut ge- fiillten Partien 18,5, so daft eine unmittelbare Abh~tngigkeit der Dieke der Fibrillen und der Capillarfiillung zu bestehen seheint.

So wird dureh diese Experimente der eindeutige ]3eweis erbraeht, daft dutch jede Muskelaktion die feinsten Blutgefitfte komprimiert werden.

2. Die V e r h ~ l t n i s s e am H e r z m u s k e l .

Dieselben Verhiiltnisse, wie sie oben fiir den Skelettmuskel unter- sucht sind, sollen im folgenden noch ffir den Herzmuskel gepriift werden. Die genaue Kenntnis des Verhaltens der Herzcapillaren in Systole und Diastole dfirfte aueh hier einen nicht geringen Wert fiir die Be- urteilung der Zirkulations- und StoffwechselvorgSmge haben, tJber

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die Kreislaufverh/~ltnisse am Herzmuskel liegen recht eingehende Untersuchungen vor, doch betreffen diese mehr die Verh~ltnisse der Arterien und Venen. Auch beim Herzmuskel gibt die Tatsaehe, dug die gr6Beren Gef/~Be aul~erhalb liegen and so einer Einwirkung durch die Muskelkontraktion entzogen sind, zu denken.

Bei dem Herzmuskel t reten zwei Momente auf, die eine Beein- flussung der feinsten Gef/~Be yon vornherein schon wahrscheinlieh er- seheinen lassen und die grSgte Beriicksichtigung erfordern. Das ist ein- real der Innendruck bei der Systole, zum anderen die Tatsache, dag die Muskulatur netzfSrmig angeordnet ist. So finder sieh aueh in dem Handbueh der Physiologie yon Nagel (1909), gestfitzt auf Angaben yon Rebatel, Martin und Sedgwisch, die Angabe, dab ,,infolge der Kon- t rakt ion die Gef/~ge zusammengepreBt werden". Zu /~hnlichen Er- gebnissen kommt auch Langendor[]. Er untersuchte vor altem die StrSmungsverh/iltnisse in den Arterien und Venen; letztere interes- sieren hier besonders, da sie /~hnlichen mechanischen Bedingungen unterliegen wie die Capillaren. Er beobachtete ein systolisches Aus- pressen des Blutes aus den ven6sen Gef/£ften und sprieht direkt yon einer , ,Zusammenpressung der Capillaren" oder etwas sp/~ter , ,Zusammen- pressung der naehgiebigeren Gef~ge", zu denen die Capillaren wohl zu rechnen sind. Spalteholz erSrtert die Ergebnisse von Langendor[[ in seinem oben zitierten Buehe auch. Er erkennt die Kompression der Venen durehaus an und fordert eine dadureh bedingte ,,Riiek- stauung in die Capillaren". Das klingt hOehst unwahrseheinlieh, und es ist nieht einzusehen, warum der EinfluB der Kontrakt ion sich nicht aueh auf die Capillaren erstreeken soll, was ja Langendor/] auch, wie aus den oben zitierten S/~tzen hervorgeht, annimnlt. Ferner miissen noch zwei Arbeiten hier beriicksichtigt werden yon Hasse und yon Klug, Hasse beobachtete beim Frosehherzen ErrSten der Kammer- wand bei Diastole und Erblassen bei Systole. Klug, der Kaninehen- herzen in Systole abschniirte und dann an Sehnitten untersuchte, fand eine st/~rkere Ftillung in der Diastole als in der Systole. Spalteholz h/~lt allerdings beide Arbeiten fiir nicht beweisend.

Aueh die yon Spalteholz als veral tet abgelehnte Ansehauung, dab ein Auspressen der Herzwandgef/~f3e durch die Systole und ein An- saugen dureh die Diastole stattfindet, kann doch nieht so ohne weiteres abgelehnt werden. So findet sieh bei Langendor[[ die Beobachtung, dab bei Stillstand des Herzens der BlutfluB dureh die Kranzgef/~ge bedeutend nachl/~Bt, und in einer Arbeit yon Krakow ,,Uber die Wirkung der Gifte auf die Kranzgef/~l~e des Herzens" wird gesehildert, wie bei der DurehstrOmung ,,die Quantitiit der aus den Kranzvenen ab- flieBenden Fliissigkeit sieh mit dem Naehlassen der Herzt/ttigkeit ver- ringert". Man gewinnt also den Eindruek, als ob die T/~tigkeit des

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;Herzens wie eine Art Pumpwirkung aueh auf die HerzwandgefitBe wirkt. Diese Erseheinungen wiirden ja aueh zugunsten einer systolisehen Kompression bzw. diastolischen Erweiterung der Capillaren spreehen.

Um auch tiber diese Frage einen experimentellen AufsehluB zu gewinnen, wandte ieh wiederum Injektionsversuehe at:. Iaj iziert wurden bei kleinen Kaninchen 15--20 cem einer ges~ittigten LOsung yon Trypanblau in eine Vena jugularis, die Tiere sofort vergiftet mit verschiedenen intravenOs applizierten Giften, um diastolisehen bzw. systolisehen Herzstillstand zu erhalten. Die Herzen wurden in Formalin geh~rtet und am ungef/~rbten Gefriersehnitt untersueht. Als Gifte wurden angewandt: KMiumchlorid, Caleiumaeetat, Kaliumsulfid und Chinidinum laetieum. Die Ergebnisse der Haupt:'ersuche sollen zu- niiehst bier kurz zusammengefagt werden:

K.,SO a. Es wurden 1--2ecru eirter 5proz. LSsung eingespritzt. Tod t r i t t sofort ein. Das Herz steht in sehlaffem und weiehem Zustand still. In den Pr~paraten sind die Capillaren gut und reiehlieh geftillt.

(CHaCOO)2Ca. 1 ecru einer 20proz. L6sung. Tod tr i t t sofort ein. Das Herz steht ganz stark kontrahiert still; fiihlt sieh hart an. sein grSBter Durehmesser ist im allgemeinen 4- -5 mm kleiner als bei diastolisehem Stillstand. Capillaren sind sehr viel enger nnd sehwaeh injiziert.

Chinidinum lacticum. 0,3ecru des in Ampullen in den Handel kommenden Pr~tparates. Diastoliseher Stillstand. In zwei F/~llen yon 3 Versuehen t r i t t naeh Herausnahme des Herzens eine starke Kon- t rakt ion auf. Die Capillaren in dan Pri~paraten dieser beiden Ver- suehe zeigen eine sehr viel geringere Ffillung.

KC1. Von einer 2proz. LSsung wurde 1 eem gespritzt, worauf der Tod sofort eintritt. Herz steht diastoliseh still. Muskulatur sieht stark gequollen aus. In den Pr/~paraten findet sieh nur eine sehr sp/irliehe Capillarfiillung.

Als Erg//nzungsversuehe, die weiter unte~ eingehender besproehen werden, wurden noch untersucht die Herzen yon Tieren nach gewalt- samer TStung dureh Naekensehtag, Luftembolie, Pneumothorax, in Totenstarre, nach elektriseher Reizung und naeh Einatmung yon Amyl- nitrit.

Die Herzen werden auf Querschnitten im unteren Drittel unter- sueht. In einem Fatle wurden aueh die Vorh5fe geschnitten, die d a s selbe Bild ergaben, so dab man also sagen kann, dab die festgestellten Ver~nderungen ftir alle muskulSsen Abschnitte des Herzens Geltung haben. Die Ergebnisse aueh in diesen Versuchen durch Auszghlen der Capillaren zahlenmi~gig zu erhgrten, schien nieht angebracht, da es bei der netzfarmigen Anordnung der Muskulatur und der aueh da- (lurch bedixtgten netzf6rmigen Anordnung der Capillaren kaum mSg-

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lich ist, in zwei Schnitten Stellen zu linden, die man in Parallele setzen kann. Nichtsdestoweniger ist der Untersehied im mikroskopischen Bild sehr deutlieh. Zahl und besonders aueh die Weite der Capillaren shld in Diastole immer sehr viel gr6fter als in Systole. ])a nur das AugenmaB fiir die Beurteilung maftgebend ist, mag diese Untersuehung sehr grob erseheinen, doch sind die angegebenen Unterschiede tatsi~ehlieh sehr deutlieh aueh von unbefangenen Beobaehtern gesehen worden.

Gegen die Versuehe lggt sieh der Haupteinwand erheben, dab dureh die Gifte h6ehst unphysiologisehe Bedingungen gesehaffen wurden. Bevor man aus den Ergebnissen Sehliisse ziehen darf, miissen wir also er6rtern, inwieweit die verwandten Gifte geeignet sind, die Kon- traktionswirkung, auf die es uns hier ankommt, zu verwisehen dadureh, daft sie auf die Capillarendothelien gleiehzeitig einen Kontraktions- reiz ausiiben. Ganz allgemein muft natiirlieh zugegeben werden, daft alle auf das Herz wirkenden Substanzen aueh eine Gefgftwirkung haben und umgekehrt. Man kann also Herz und Gefi~Be pharmakologiseh nieht seharf trennen. Doeh darf man wohl behaupten, daft es Mittel gibt, deren Angriffspunkt vorwiegend im Herzen und solehe, deren Angriffspunkt in der Peripherie gelegen ist, so dab man in dem einen Fall die Gefiiftwirkung gegeniiber der Herzwirkung vernaehlSssigen kann.

Die als Gifte verwandten Salze miissen wir somit erst in ihrer Wirkung auf Herz und Gefiige nailer betraehten, und zwar am zweekm/~Bigsten gemiift der Wirkung ihrer Ionen.

Die Kationen Ca und K sind in ihrer antagonistisehen Wirkung auf das Iterz bekannt. Doeh finden sieh aueh Angaben fiber eine Ge- fi~Bwirkung, vorwiegend des Ca. Sie erstreekt sieh allerdings mehr auf die peripheren gr/)fteren Gef/ifte, ob auch die Capillaren angegriffen werden, ist nieht reeht Mar. Cow stellt bei seinen diesbeztigliehen Versuehen an isolierten Geffiften fest, daft die Wirkung des Ca, die er der des Ba iihnlieh fand, auf die CoronargefiiBe sehr sehwaeh ist. Er stellte eine Reihe auf, in der die einzelnen Gefi~fte genfiil3 ihrer tleaktions- stS~rke auf Ba angefiihrt sind. In dieser t~eihe stehen die Coronar~ gef~iBe an drittletzter Stelle, und von den beiden letzten der Reihe sagt er, daft bei ihnen die Reaktion kaum merkbar sei.

Um die GrSfte dieser Gef£gwirkung festzulegen, wurden Kontroll- untersuehungen vorgenommen. Der natiirtiehe Stillstand des Herzens erfolgt in Diastole. Deshalb wurden (lie Herzen yon Tieren naeh ge- waltsamer T6tung untersueht (Naekensehlag, Pneumothorax, Luft- embolie). Das I-Ierz bleibt diastoliseh stehen, und die mikroskopisehen Pr/iparate aller drei Versuehe zeigen ein durehaus ahnliehes Bild wie bei der K2SOa-Vergiftung, so daft man die Wirkung des Kaliums attf die I-Ierzeapillaren als sehr gering ansetzen darf, wenn iiberhaupt eine solehe vorhanden ist.

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Einen entsprechenden Kontrollversuch mit systolischem Stillstand zu erreiehen, war welt schwerer. Es muBte auch hier wieder der Weg gewahl~ werden, die muskutaren Elemente der CaI:,iltaren durch Ver- giften auszusehalten. Am geeignetsten ersehien hier das Amylnitrit.

Ober die GefgBwirkung des Amylnitrits gewinnt man naeh der einsehl~gigen Literatur folgendes Bild: Amylnitri t erweitert Mle Ge- f/~ge in gleiehem Mage, weswegen die Annahme am wahrseheinliehsten ist. dab es die Gef~l]muskulatur direkt 1//hint. Seine Wirkung tr i t t sehr plStzlieh ein und verliert sieh erst langsam wieder. Die intakte ){nskulatur und damit aueh die Herzmuskulatur 151~t es unbeeinflul?t. Die Herzwirkung ist mehr sekund~rer Natur und erkl~rt sieh dureh das starke Sinken des Blutdruekes infolge der GefSB1/~hmung, zudem ist gerade diese Wirkung beim Kaninehen sehr gering. Amylnitr i t entsprieht also in geradezu idealer Weise den erforderliehen Bedin- gungen: Lghmung der Gefal3muskulatur des Herzens, ohne die Herz- muskulatur selbst anzugreifen.

Die Versuche wurden fotgendermal]en angesteIlt: Ein mittelgroBes K~ninchen atmete 3 Minuten lang Amylnitrit ein. Es ~rat zun~chst reflektoriseher Atem- stillstand auf, der aber sehr bald behoben war. Naeh 3 Minuten wurde das Tier get6tet, das Herz in einem Falle in diastolischem Stillstand fixiert, im zweiten die Totenstarre abgewartet und im dritten das Herz dureh elektrisehe Reizung zur Kontraktion gebracht.

Die Prap~rate zeigen naeh diastolisehem Stillstand eine deutlieh wahrnehmbare profuse Erweiterung aller Gefage, die das Bild in den F~llen ohne Amylnitri tvergiftung bedeutend fibertrifft. Naeh Toten- starre und elektriseher Reizung zeigen die feinsten Gefafie eine starke Verengerung und treten aueh an Zahl zurfiek. Die Ffillung ist t rotzdem st/irker als in entspreehenden Kontrollversuehen ohne Amylnitrit- vergiftung, ein Zeiehen daffir, daf~ die Giftwirkung noeh bestand. Die verabfolgte Dosis lag nahe an der Grenze, die eine Methamoglobin- bildung hervorruft (naeh Boc]c 4 Minuten), so dal3 wir annehmen diirfen. dag die Lahmung eine vottstgndige war und die C~pillarmuskulatur weder in Totenstarre verfallen ist noeh auf die elektrisehe ]%eizung angesproehen hat. Die geringere Capillarfiillung ist also in diesem Falle als reine Kontraktionswirkung aufzufassen.

Zu er6rtern ist nun noeh die Wir]cun~ der Anionen C1 undSO". Bei der KC1-Vergiftung land sieh die geringste Capillarfiillung aller an- gestellten Versuehe im Gegensatz zu der K2SO3-Vergiftung. Dieser Untersehied kann, da die Herzen in beiden Fallen in Diastole still- standen, nur in einem Untersehied der Anionenwirkung begrfindet sein. Eine Erkli~rung hierfiir linden wir in den yon Overton gemaehten Beobaehtungen fiber die Wirkung der KalisMze. Er teilt sie nach ihren Anionen in zwei versehiedene Gruppen ein. Zu der einen gehSrt das Chlorid, Bromid, Nitrat , Jodid, zu der anderen Sulfat, Phosphat,

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Tartrat . In den isotonischen LSsungen der letzteren bewahren (lie Muskeln ihr normales Aussehen und besitzen, wenn sie naeh 24 bis 50 Stunden wieder in physiologische Koehs~lzlSsung gebraeht werden, noch ihre elektrisehe Erregbarkeit . Dureh diese Versuehe ~ird (tie Undurehliissigkeit der Muskeloberfl~ehe durch diese .Sa.17e bewiesen. Wit kSnnen also ~uch weiter folgern, dab es sieh in den Versuehen mit K,aSO a um eine reine Kaliumwirkung handelt. Die andere Reihe der Salze hat naeh Overton eine stark quellende Wirkung auf die Musku- latur. So erkl~rt sich aueh das Ergebnis der Versuche mit KC1, bei denen trotz diastolischem Stillstand die Capillaren nut ganz vereinzelt and sp~rtich injiziert waren, ~ls durch Quellung bedingt.

Fiir die Versuehe mit. Ca wurde ebenfMls ein muskelindifferentes Anion verwandt, es diirfte also aueh hierffir das oben Gesagte Geltung haben. Damit kOnnen wir aueh behaupten, dab in den Versuehen mit systolisehem Stillstand die geringere Ftillung der Capillaren zum gr6gten Teil auf einer Kompression dureh die kontrahierte Muskulatur beruht.

Die Ergebnisse der Versuehe mit Chinidinum lacticum sprechen eindeutig in demselben Sinne. In allen drei Versuchen stand das Herz diastotiseh still. Zweimal kontrahierte es sieh durch die meehanisebe Berfihrung beim Herausnehmen. Die Prgparate dieser beiden Fglle zeigen eine deutlich geringere Injektion als in dem Fall, we das Herz in sehlaffem Zustand verharrte. Dieser Unterschied kann eigentlich nur durch das mechanische Moment der Kontrakt ion bedingt sein, denn alle sonstigen Eitfflfisse auf das Capillarsystem sind in allen drei F/illen dieselben.

Alle sonstigert Fehlerquetlen, wie die /njektion yon Trypanblau. Hgr ten in Formalin und die dadureh eventuell bedingte Sehrumpfung, treffen beide Versuchsreihen in gleicher Weise. So geht aus den an- gefiihrten Versuehen klar hervor dab in der Systole eine Kompression und in der Diastole eine Erweiterung der Capillaren stattfindet.

Ohne wesentliehe Fehler zu begehen, darf man wohl diese ffir das Skelett und den Herzmuskel bewiesenen Verhgltnisse auf die gesamte KSrpermuskutatur tibertragen, denn prinzipielle Unterschiede in der Blutversorgung bestehen hier nicht. AuBerdem bestehen noeh maneher- lei Beobachtungen fiir die gieht igkeit dieser Annahme. So wird z. B. bei der Geburt die Blutung naeh Ausstogung der Placenta lediglich dureh eine Kontrakt ion des Uterus bewirkt. Ferner konnte ieh bei der Laparotomie eines mit Goldsalz vergifteten Tieres, wobei ja ganz besonders die DarmgefS~Be bis in die feinsten Verzweigungen injiziert sind, beobachten, wie mit jeder peristaltisehen Welte der /)arm blab wurde, aueh ohne dab das betreffende Stiiek mig Kot gefiillt war. Diese Beobachtungen lieBen sieh sieher noeh beliebig vermehren.

Da also mit jeder Muskelaktion eine Kompression der kleinsten

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Der Einflul3 der Muskulatur auf den Fiillungszustand der Capillaren. 181

Gef~t3e s t a t t f i nde t , i ib t de r gesamte ~ u s k e t a p p a r a t , falls er in T~Ltig- kei t ist, eine P u m p w i r k u n g aus, denn ein Ri ickst rOmen bzw. eine S t a u u n g des Btutes wi rd durch den Ar t e r i e nd rue k e inerse i t s , die Venen- k lappen andere r se i t s ve rh inder t . N u r falls die Muske lkon t r ak t ion l~nger andaue r t , also be im Te tanus , wird eine S t auung die Fo lge sein. Das s t i m m t auch gu t mi t den anfangs erw~ihnten L i t e r a t u r a n g a b e n iiberein. D a m i t gewinn t aker der ganze M u s k e l a p p a r a t eine grol~e Bedeu tung fiir die gesamten Zi rku la t ionsverh~l tn i sse und sorgt z . T . selbst fiir d ie w~hrend der Arbe i t n6t ige Durchb lu tung . Auch die Stoffwechselverh~l tnisse des Muskels s tehen mi t einer Kompress ions - wi rkung in gu tem Eink lang , da ja die o x y d a t i v e Phase ers t in der Ruhe einsetzt , ben6 t ig t der Muskel wghrend der K o n t r a k t i o n kein Blur. Diese P u m p w i r k u n g der Musku la tu r d i i r f te ftir die E rn~hrung der s tgndig tg t igen Muskula tu r , wie z. B. Herz und Zwerchfell , ganz be- sondere Bedeu tung haben. Ganz besonders wer tvo l l e rsehein t diese tg t ige Mithi l fe de r Musku l a tu r noeh dadureh , dal~ sic an e inem P u n k t e des Kre i s l au f sys t ems angreif t , in dem S t r6mungsgeschwind igke i t wie Druck annghernd gleich Nul l sind. So wird m a n bei der Beur t e i lung der Kre i s laufverhg l tn i s se in Zukunf t den F a k t o r der Muske lak t ion weit mehr in Rechnung stel len mtissen, als es b isher der Fa l l war.

Zusammenfas sung ' . I. Beim K a n i n c h e n wird mi t Hilfe yon In j ek t i onsve r suchen naeh-

gewiesen, dab durch die Muske lak t ion eine Kompres s ion der Capi l laren s t a t t f i nde t .

2. Dieselben Verhi i l tnisse werden fiir den Herzmuske l un te r sueh t , wobei sieh auch ergibt, daft ei~ systolisches Auspressen und ein diasto- lisehes Ansaugen des B~utes im Herzmuskel stattfindet.

3. Die gefundenen Tatsaehen werden verallgemeinert und dfirften ffir die gesamte KSrpermuskulatur Geltung haben.

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