DerFaktor.von
IwanS.Turgenev.
Deutschvon
AdolfGerstmann
Leipzig.DruckundVerlagvonPhilipReclamjun.
1885.
E
rzählenSieunsdochetwas, lieberOberst,«bat ich,michanNikolaiIlitschwendend.
Der Oberst lächelte vor sich hin, blies eineRauchwolkeaus,strichseinenSchnurrbart,fuhrdannmitder Hand durch sein weißes Haar und begannnachzudenken. Wir alle liebten und Verehrten NikolaiIljitsch ganz ausnehmend, sowohl wegen seiner stetenguten Laune und seiner liebenswürdige Höflichkeit; alsauch wegen der Nachsicht, mit der er uns Übrigenbehandelte, diewir so viel jungerwaren, als er. Erwareinhochgewachsener,kräftiger,breitschultrigerMann,erbesaßdas,wasLermontowvoneinem»schönenRussen«beansprucht, nämlich ein gebräuntes Gesicht, klugen,freimütigen Blick, wohlwollendes Lächeln, angenehmklingende tiefe Stimme; er war mit einem Worte einehöchstanziehendeundfesselndePersönlichkeit»Meinetwegen,«begannderOberstnun,»ichwilleuch
etwaserzählen.Alsomerketauf!«Eswar im Jahre 1813, alswir vorDanzig lagen. Ich
standdamalsbeimG.schenKürassierregimenteundwar,wenn ich mich recht erinnere, damals gerade Fähnrichgeworden. Für einen Soldaten giebt es nichtsAngenehmeres, als im Felde zu sein und in offener
Schlachtzuzeigen,waserleistenkann;eineBelagerungdagegen ist das langweiligste Ding, das man sich aufErden nur überhaupt denken kann. Wochenlang warenwirdazuVerdammtimQuartierzubleiben,dasheißtimZelt auf Stroh oder manchmal auch auf etwasSchlimmerem zu liegen, und dabei vom frühenMorgenbis zum späten Abend Karten zu spielen. Um uns zuzerstreuen, gingen wir manchmal ein bißchen aus demLager hinaus, ummit anzusehen, wie die Bomben unddie Stückkugeln hinüber und herüber flogen. BeimBeginn der Belagerung sorgten die Franzosen nochinsofern fürunsereUnterhaltung,als siehinundwiedereinenAusfallunternahmen;dasdauerteabernicht langeund bald mußten wir auch auf diesen Zeitvertreib fastganz verzichten. In die umliegenden Ortschaften zumFouragierenzureiten,machteunsauchkeinenSpaßmehr— kurz und gut, wir waren allesamt daran, ausLangeweilezusterbenodermelancholischzuwerden.Ich stand damals in meinem zwanzigsten Lebensjahr
und besaß die ganze Kraft und Lebenslust, die man indiesemAlterzuhabenpflegt.Anfänglichglaubteich,daßdie Franzosen auf irgend eine Weise uns zu Hilfekommen würden, um die Zeit totzuschlagen, aber espassierteabsolutnichts.DieseUnthätigkeitmachtemichzumSpieler.EinmalhatteichnundesNachtsbeimSpieleineziemlichbeträchtlicheSummeverloren,alsplötzlichdieKartenzumeinenGunstenfielen,undalsderMorgen
graute, hatte ich nicht nur meinen Verlust wiedereingebracht, sondern noch einen sehr bedeutendenGewinn in der Tasche.Müde und abgespannt ging ich,um ein bißchen frische Luft zu schöpfen, ins Freie undlegtemichinsGras.DerMorgenwarruhigundwindstill.Weit hinten verlor sich im Nebel die Reihe unsererVorposten und Feldwachen. Ich betrachtete dasSchauspieleineZeitlangunddachtedanndaran,hiereinwenig zu schlummern — und ich war auch schon imEinschlafen, als ichplötzlichdichtnebenmir ein leises,fastmöchtemansagen:vorsichtigausgestoßenesHustenhöre.IchschlugdieAugenaufunderblickteeinenetwavierzigjährigen, in einen langen Überrock gekleidetenMann;andenFüßentrugerniedrigeSchuheundaufdemKopfeeineschwarzeMütze.Gott weiß, wie dieser Mann, dessen Name Hirschel
war, in unser Lager kam— aber immer wußte er sicheinzudrängen; man litt ihn, weil er uns Wein,Lebensmittel und viele andere Kleinigkeiten zutrug. Erwar mager, klein, blatternarbig, hatte eine hakenförmiggebogene Nase, blinzelte unaufhörlich mit den Augenundhüstelteunausgesetzt.Jetzt kam dieserMensch ganz nahe aufmich zu und
verbeugtesichmitgrößterUnterwürfigkeit.»Waswillstdu?«fragteichihn.»Nun — ich bin nur gerade hier. Ich möchte Euer
Hochwohlgeboren fragen, ob Sie keineWünsche, keineBefehle,keineBestellungenfürmichhaben?«»Nein,ichbrauchenichts.Lassemichungeschoren.«»Wie Siewollen! Ganzwie Sie befehlen! Ich dachte
nur,vielleichtkönnteichIhnen—«»Dulangweilstmich.Geh’deinerWege!l«»Gut; ich gehorche schon. Aber Euer
HochwohlgeborenhabenheuteNachtimSpielvielGlückgehabt.ErlaubenSiemir,daßichIhnendazugratuliere.«»Woherweißtdudenn,daßichgewonnenhabe?«»Wie soll ich es nicht wissen? Ich erfahre so etwas
immer.«Siehabensogarsehrvielgewonnen.«»Es lohnte sich auch,« erwiderte ich mißgestimmt.
»Was, zum Teufel, kann ich denn hier mit dem Geldeanfangen?«»Oh, sagen Euer Hochwohlgeboren das nicht. Sagen
Siedas nicht.DasGeld ist doch immer etwasGutes—wenn man es hat. Man kann es immer und überallgebrauchen.SagenmirEuerHochwohlgeborennur,wasSiefürGeldnichthabenkönnen?AlleskönnenSiedafürhaben.SagenSiedemFaktor1nur,waserIhnenbesorgensoll, und für Geld besorgt er es Ihnen. Ja, EuerHochwohlgeboren,glaubenSiemir—alles,alles!«»Seidochendlichstill,duDummkopf!«»Ei, ei,« begann Hirschel trotzdem von neuem und
schüttelte dabei die langen Locken, die ihm an beiden
Seiten der Stirne herabhingen. »Euer Hochwohlgeborenscheinenmirnichtglaubenzuwollen.«Der Faktor schloß die Augen und schüttelte
fortwährenddenKopf.»Ich weiß doch aber, was der Herr Offizier sich
wünscht.Oh—ichweißes,ichweißessehrgut!«ErlächeltedabeiaufrechtverschmitzteWeise.»Ah—dassolltestduwirklichwissen?«riefich.Erblicktesichscheuum,beugtesichdannzumirund
flüsterte:»Ein hübsches junges Mädchen, Euer
Hochwohlgeboren!IchsageIhnen:eineSchönheit!«WiederschloßHirscheldieAugenunddabeispitzteer
die Lippen. »Euer Hochwohlgeboren brauchen nur zubefehlen,undSiewerdensiesehen.Alles,wasichIhnendavon sagen kann, ist noch nichts im Vergleich zurWirklichkeit. Sie werden es mir nicht glauben wollen.Befehlen Sie nur, daß ich sie Ihnen zeige. Ja? WollenSie?«IchblickteihnanohneihmeinWortzuerwidern.»Nunja;ichseheschon,Siesindeinverstanden.Schon
gut,ichwerdesieIhnenzeigen.«HirschellachtelautundgabmireinenleichtenSchlag
auf die Schulter, aber über seine eigene Kühnheitentsetzt,zogerseineHandsoschnellwiederzurück,alsobersieverbrannthätte.
»Aber Euer Hochwohlgeboren werdenmir doch eineKleinigkeitgeben—aufAbschlag——«»Duwirstmichbetrügen,oderduwirstmirirgendeine
alteHexebringen.«»WiekönnenSiesoetwasvonmirglauben?«riefder
Faktor, mit großer Lebhaftigkeit die Hände vor sichausstreckend.»WennichEuerHochwohlgeborentäusche,können mir Euer Hochwohlgeboren fünfthun — sagenwir,vierhundertfünfzigStockschlägegebenlassen,«fuhrermitäußersterZungenfertigkeitfort.»BefehlenSiebloß—«EinermeinerKameradenerhobindiesemMomentden
Vorhang,derdenEinganginderZeltwandbedeckte,undrief mich. Ich erhob mich sofort und warf dem FaktoreinenDukatenhin.»HeuteAbend!HeuteAbend!«flüsterteermirnochzu
undentferntesichdann.Ichmuß Ihnen gestehen,meineHerren, daß ich dem
Anbruch der Nacht mit ziemlicher Ungeduld entgegensah.AndiesemTagemachtendieFranzosenwiedereinmal
einen Ausfall und unser Regiment kam dabei inThätigkeit.Endlichdunkeltees.WirlagertenunsumdieFeuer,dieSoldatenkochtenihreGrützeunddieOffiziereplauderten miteinander. Ich hatte mir meinenzusammengerollten Mantel unter den Kopf geschoben,
trank Thee und lauschte den Erzählungen der andern.Man fordertemichauf, andemdannbeginnendenSpielteilzunehmen,aberichlehnteesab—ichwarwirklichinhochgradigerErregung.NachundnachbegabensichdieOffiziere in die für sie bestimmten Zelte, die Soldatenzerstreuten sich nach allen Richtungen innerhalb desLagers, einige blieben auch bei den Feuern liegen undschliefen daselbst ein. Allmählich verringerte sich derLärmundverstummteendlichganz.Ichlagnochimmeran dem Wachtfeuer, bei welchem ich mich zuerstniedergelassen hatte; wenige Schritte von mir entferntkauerte mein Bursche, dem die Augen vor MüdigkeitzugefallenwarenundderdenschwerenKopfbaldaufdieBrust sinken ließ, bald nach hinten zurückwarf. Ichweckte ihnund schickte ihn fort, damit er sich schlafenlege. Alles auf dem weiten Felde war nun still undstumm. Eine Ronde passierte, dann hörte ich, wiedraußen bei den Feldwachen die Wachtposten abgelöstwurden. Ich blieb immer noch liegen; irgend etwasAußergewöhnlicheserwartend.DieLuftwarklarundderHimmel wundervoll ausgesternt. Allmählich wurde dasFeuer kleiner und schwächer; die Flamme drohte jedenAugenblickganz zuverlöschen; langeblickte ich in dieGlut— jetzt züngelte die Flamme noch einmal empor,undnunwarsieerstorben.»Der verdammteKerl hatmich zumBesten gehabt,«
brummte ich ärgerlich und machte Miene mich zu
erheben.»Ah, da sind Euer Hochwohlgeboren,« flüsterte mir
jemandmitzitternderStimmeinsOhr—schnellwandteichmichum:Hirschel standvormir.Er sah sehrbleichaus.»WollenSie sichgefälligst in IhrZeltbegeben,« fuhr
erflüsterndfort.Ich sprang sofort auf und folgte ihm.
Zusammengeduckt und nach allen Seiten umherspähendhuschte der Faktor vorsichtig über das niedrige feuchteGrasdahin.IngeringerEntfernungvonunsbemerkteicheineineinenMantelgehüllteGestaltunbeweglichstehen;meinBegleiterwinkte ihrmit derHandund sie nähertesichihm.Beidesprachenleisemiteinander.Dannwandtesich der Faktor zu mir um, forderte mich mit einerKopfbewegung auf voranzugehen, und so betraten wiralledreimeinZelt.ZumeinerSchandemußichgestehen,daßdasHerzmirganzgewaltigschlug.»Hier,EuerHochwohlgeboren,hier!«sagtederFaktor,
und ich merkte ihm an, daß er die Worte nur mitAnstrengung über die Lippen brachte. »Sie ist imAugenblick noch ein bißchen eingeschüchtert, aber ichhabeihrgesagt,daßderHerrOffiziereinguterMann,einliebenswürdiger Herr ist. Du brauchst keine Furcht zuhaben,« fuhr er fort, zu der verhüllten Gestalt sichwendend.»HabenurkeineFurcht!«
Die Unbekannte rührte sich nicht. Ich selbst warebenfalls in eigentümlicher Stimmung und wußte nichtrecht, was ich sagen sollte. Hirschel blieb übrigenswiefestgerammeltstehenundschlenkertemitdenArmenhinundher.»ThumirdenGefallenundverschwinde,«sagteichzu
ihm.Hirschel gehorchte, aber, wie ich merkte, sehr
widerwillig.Ich näherte mich der Unbekannten und zog ihr leise
den Mantel vom Kopfe, über welchen sie ihngeschlungen hatte. In der Stadt herrschte eineFeuersbrunst, undbeidemschwachenWiederscheinderweit entfernten Flammen konnte ich die bleichenGesichtszüge einer jungen Jüdin unterscheiden. DieSchönheit des Mädchens frappierte mich geradezu. Ichstand vor ihr, und kam zu keinem andernGedanken—ichmußte sie schweigend und unverwandt ansehen undanstaunen. Ein leichtes Geräusch, das hinter meinemRückenentstand,brachtemichzumirselbstzurück. IchwandtemichumundbemerkteHirschel,dereinenZipfelderZeltwandemporgehobenund seinenKopfdurchdieso entstandeneSpalte gesteckt hatte. Ich gab ihmdurchein Zeichen meine Ungeduld über sein Benehmen zuerkennen,underzogsichzurück.»Wieheißtdu?«fragteichendlichdasjungeMädchen
leise.»Sarah,«antwortetesie,undindemselbenAugenblick
sah ichauch indemhalbdunkelnRaumdasWeiße ihrergroßenAugenund ihre herrlichenZähne aufblitzen. IchnahmzweiLederkissen,warfsieaufdieErdeundbatsie,aufdiesemimprovisiertenSofaPlatzzunehmen;sielegtenunihrenMantelabundsetztesich.Sehrgeschmackvollwar sie mit einer über der Brust offenen, mit silbernenKnöpfen verzierten breitärmeligen Jacke bekleidet;darunter trug sie ein dunkeles Kleid. Ihr dichtesschwarzes Haar war in Zöpfe geflochten und zweimalumgab es wie ein paar Kränze ihren reizend geformtenKopf. Ich setztemich neben sie und ergriff ihre kleine,von der Sonne gebräunte Hand. Sie zog dieselbe nichtzurück, aber sie scheute sichoffenbarmich anzublickenoder meinem Blicke zu begegnen; von Zeit zu Zeitseufzte sie auf.MitwirklichemEntzückenweidete sichmein Blick an ihrem feinen, echt orientalischen Profilund leise drückte ich ihre kalten, etwas gekrümmt inmeinerHandruhendenFinger.»VerstehstduRussisch?«fragteich.»Ja,einwenig.«»UndduliebstdieRussenauch?«»Ja.«»Dannwirstdualsoauchmichliebhaben?«IchwolltesieinmeineArmeziehen,sieentwandsich
mirabermiteinerschnellenBewegung.»Nein—ichbitteSie,meinHerr—ichbitteSie—«»Sosiehmichdochzumwenigstennuran.«SieheftetedendurchdringendenBlickihrerschwarzen
Augenaufmich,errötetedabeiundwandtesichlächelndab.IchdrückteeinenfeurigenKußaufihreHand.Siewarf
mir einenBlick zu— ganz seltsam sah siemich dabeivonobenheraban,undbeganndannzulachen.»Weshalblachstdu?«Sie bedeckte ihr Gesicht mit einem Ärmel der Jacke
undlachtenunnochherzlicher.HirschelerschienplötzlichamZelteingangunddrohte
ihrmitdemFinger;siesahesundverstummtesofort.»Willst du gleich machen, daß du fortkommst,«
knirschte ich zwischen den Zähnen hindurch. »Du bistunerträglich!«Hirschelrührtesichnicht.Ich griff in meinen Mantelsack, holte eine Handvoll
Dukatendaraushervor,warfsieihmindieausgestreckteHandundstießihnhinaus.»GebenSiemirdochauchetwas,meinHerr,«batdas
jungeMädchen.Ich legte ihr ein paar Dukaten auf den Schoß; sie
ergriff siemit derBehendigkeit einerKatze und stecktesieindieTasche.
»JetztwillichdiraberaucheinenKußgeben!«»Nein—ichbitteSie—ichbitteSie—«stießsiemit
ängstlicherundflehenderGeberdehervor.»Wasbefürchtestdudenn?«»Ich—ichhabenuneinmalFurcht.«»Abersoseidochnichtthöricht!«»Nein—ichbitteSie—«Sie blickte mich scheu und furchtsam an, neigte den
KopfeinwenigzurSeiteundfaltetedieHände.IchließsiealsoinFrieden.»Wenn du willst — so —« sagte sie nach kurzem
Schweigen, und erhob dabei ihre Hand, daß sie sichmeinenLippennäherte. IchküßtedieHandohne irgendwelcheBegeisterung.Sarahbegannabermalszulachen.IchwarstarrvorStaunen.Ichärgertemichübermich
selbst,undwußtedochnicht,was ichbeginnen,wie ichandershandelnsollte.»Im Grunde genommen bist du doch ein rechter
Dummkopf,«sagteichzumirselbst.VonneuemwandteichmichzuSarah.»Höre,«begannich,»ichmußdirsagen,daßichganz
verliebtindichbin.«»Dasweißich.«»Duweißtes—unddas läßtdichsoruhig,dassagst
dusogleichgültig?Liebstdumichauch?«SarahsenktedenKopf.
»Nun,laßhören!Antwortemirganzoffen!l«»Lassen Sie mich Ihnen ins Gesicht blicken,«
erwidertesie.Ichneigtemichzu ihr.Sarah legtemirdieHändeauf
die Schultern und blickte mir mit prüfendem Auge insGesicht;dabeilächeltesiebaldundbaldrunzeltesiedieStirne. Ich konnte nicht länger anmir halten und küßtesie auf die Wange. Sie sprang sofort auf und war miteinemSprungeandemZelteingang.»Dubistjawild,wieeinekleineTigerkatze!«Sieantwortetenichtundbliebunbeweglichstehen.»Sokommdochwiedernäher.«»Nein,meinHerr!AufWiedersehen—ein andermal
—«Hirschel’s rothaarigerKopfwurdewieder sichtbar; er
flüsterte ihr einigeWorte zu und einer Schlange gleichschlüpftesieausdemZelt.Ichwollteihrnacheilen,abernirgends konnte ich sie erblicken; auch Hirschel warspurlosverschwunden.Während der ganzen Nacht konnte ich kein Auge
schließen.Am nächsten Tage befand ich mich im Zelt meines
Rittmeisters und beteiligte mich am Spiel, ohne aberdabei auch nur dasmindesteAmusement zu spüren, alsmeinBurscheeintrat.»Es wünscht jemand Euer Hochwohlgeboren zu
sprechen,«meldeteer.»Weristesdenn?«»EinjüdischerFaktor.«»SollteesHirschelsein?«dachteichsofort.Sobalddie
Taille beendet war, erhob ich mich vom Spieltisch undginghinaus.WirklichwaresHirschel,dermichvordemZelteerwartete.»Nun, Euer Hochwohlgeboren, wie ist es?« fragte er
mitvertraulichemLächeln.»SindSiezufrieden?«»Himmeldonnerwetter!« schrie ich. »Mensch,» du
scheinstdichübermichnochlustigmachenzuwollen?«»WiemeinenSiedas?«»Dufragstnoch?Dasfindeichdochzustark.«»Aber,HerrOffizier,wieaufbrausendundungeduldig
Sie auch sind,« bemerkte Hirschel in vorwurfsvollemTon,dabeiaberimmerlächelnd.»DasMädchenistebennoch jungund furchtsam;Sie Ihrerseitswerdeneswohlauchnocherschreckthaben—ja,gewiß,SiehabendasMädchenerschreckt.«»Furchtsam? Das nenne ich eine seltsame
Furchtsamkeit!DasGeldhatsiejaruhigangenommen!«»Nun ja — weshalb sollte sie nicht? Wenn man ihr
Geldgiebt,somußsieesdochnehmen.«»Höre, Hirschel! Sage ihr, daß sie wieder zu mir
kommensoll,eswirdauchdeinSchadenichtsein.Abersei sogutund lassedanndeinhündischesGesichtnicht
immer inmeinem Zelte blicken— dasmöchte ichmirdringendausbitten.Hastdumichverstanden?«HirschelsAugenfunkelten.»AlsosiegefälltIhnen?«»Ja,wahrhaftig,dasthutsie.«»Es ist eine Schönheit, wie man ihresgleichen nur
wenige findet. Und Sie werden mich doch auch sofortbezahlen?«»EingegebenesWortgiltmehralsGeldund ichhabe
dirgesagt,daßdubezahltwerdensollst.Bringesiealsozu mir und dann scheere dich zum Teufel. Ich selbstwerde sie dann schon nach ihrer Wohnungzurückgeleiten.«»Unmöglich! Das ist nun wirklich unmöglich!«
erwiderte der Faktor mit ungewöhnlicher Lebhaftigkeit.»Es ist ganz entschieden unmöglich— aber ichwill inder Nähe vom Zelte auf- und abgehen. Ja, EuerHochwohlgeboren,ichwerdedraußenbleiben,Ichbinjaimmer bereit, Euer Hochwohlgeboren zu dienen. Ichwerde draußen stehen bleiben, ganz so, wie es Ihnengefällig ist. Weshalb nicht? Ich kann mich auch einbißchenvomZelteentfernen.«»Jedenfalls sei vorsichtig, und bringe sie zu mir!l
Verstanden?«»AberSiemüssendochzugestehen,daßsiesehrschön
ist; nicht wahr, Herr Offizier? He, was sagen Euer
Hochwohlgeboren?«HirschelstandinetwasgebückterHaltungvormirund
sahmichunverwandtenBlickesan.»Ja,sieistschön,wieichschonsagte.«»Nun ja — dann— dann geben Sie mir doch auch
einenDukaten.«IchwarfihmeinenDukatenzuundwirtrenntenuns.Der Tag verging, derAbend kam, endlich dieNacht.
Lange Zeit blieb ich in meinem Zelte allein; es wardraußenunfreundlichesWetterundderHimmelwarvonWolkeneingehüllt.JetzthörteichdieUhreninderStadtdie zweite Stunde nach Mitternacht verkünden. Ichbegann schon auf den Faktor zu wüten und zuräsonnieren — als ganz plötzlich Sarah mit einemschnellen Schritte das Zelt betrat— sie war allein. Ichsprang auf, schloß sie inmeineArmeundberührte ihreWangemit denLippen—kaltwieEiswar dieWange,wardasganzeGesicht.BeiderherrschendenDunkelheitkonnteichihreGesichtszügekaumerkennen.Ichbatsiesichzusetzen,ließmichdannvorihrauseinKnieniederunddrückteihreHände,umschlangihreTaille.SiebliebbeialledemunbeweglichundsprachkeinWort,plötzlichaber brach sie in krampfhaftes Schluchzen aus. Ichversuchte auf allemöglicheWeise sie zuberuhigen; ichstreichelte ihrGesichtundtrockneteihreThränen—siewidersetztesichnicht,wieindervorigenNacht,abersie
gab auf keine meiner Fragen Antwort und weinte nurfortwährend. Das Herz schlug mir hörbar. Ich wußteschließlich nicht, was ich davon halten und was ichbeginnen sollte— so erhob ichmich denn und trat ausdemZelte.Hirschelstandplötzlich,wieausdemBodengewachsen,vormir.»HierhastdudasGeld,das ichdirversprochenhabe,
sagteichzuihm.»NimmSarahwiedermitdirfort.Der Faktor eilte zu dem jungen Mädchen. Dasselbe
hörtesofortaufzuweinenundklammertesichanihn.»Lebewohl,Sarah,«sagteichzuihr.Dukannstgehen
undGott geleite dich.Wirwerden unswohl noch einesTageswiedersehen.«HirschelverbeugtesichohneeinWortzusagen.Sarah
grüßtemichmit einemNeigen desKopfes, ergriff dannmeine Hand und preßte sie an ihre Lippen; ich wandtemichum—Fünf Tage vergingen, und unaufhörlichmußte ich an
die junge, schöne Jüdindenken.HirschelkammirnichtzuGesichtundauch imganzenLager sah ihnniemand.Des Nachts erblickte ich im Schlummer stets dieherrlichen schwarzen Augen des Mädchens, ihreprächtigen Zöpfe und ihre Wangen, diese Wangen, sofrisch undweichwie Pfirsiche, und die ichmitmeinenLippenberührthatte.NunwurdeichmiteinemDetachementabgesandt,um
in einem benachbarten Dörfchen zu fouragieren.Während die Soldaten die Häuser durchsuchten unddabei, wie es nun einmal Brauch ist im Kriege, dasUnterste zuoberst kehrten,hielt ich aufderStraße still,ohnevomPferdezusteigen.PlötzlicheilteinePersonaufmichzuundfälltvormiraufdieKniee.»Wie—dubistes,Sarah!«Siesahbleichundfurchtbarerregtaus.»Herr Offizier! Helfen Sie uns! Beschützen Sie uns!
DieSoldatenmißhandelnuns—HerrOffizier—«Sieerkanntemichjetztunderrötetetief.»Duwohnstalsohier?«»Ja.«»Wodenn?«Sarah deutete auf ein kleines, recht erbärmlich
aussehendes Haus. Ich gab dem Pferde die Sporen undsprengtedorthin.AlsichdenHofbetrat,fielmeinersterBlick auf eine alte, unförmige, häßliche Jüdin mitzerzaustemHaarundinzerlumptenKleidern,welchesichmitmeinemWachtmeisterSiliawkaherumstritt und ihmein Ferkel und drei Hühner zu entreißen versuchte. Erhielt seine Beute hoch über sich und wollte sich vorLachen ausschütten; die Hühner schrieen, das Ferkelquiekte — es war ein Höllenlärm. Andere Kürassierewarenebendabei,sichmitHeu-undStrohbündelnsowiemitMehlsäckenzubeladen.Kreischen,Lärmen,Lachen,
Flüche in der kleinrussischen Mundart schallten durchdas Haus und hallten im Hofe wieder. Ich rief meineLeute herbei und verbot ihnen nachdrücklichst, derjüdischen Familie irgend etwas fortzunehmen. Siegehorchten, ließen alles stehen und liegen, wo es ebenstandundlag,undderWachtmeisterbestiegseineStute,die»Proserpila«hießunddie er hartnäckig»Projerzila«nannte,undfolgtemiraufdieDorfstraße.»Nun,«fragte ichSarah.»Bistduheutezufriedenmit
mir?«Siesahmichlächelndan.»Weshalb hast du dich denn so lange nicht sehen
lassen?«SiesenktedieAugen.»Ichwerdemorgenkommen.«»MorgenAbend?«»Nein,HerrOffizier!AmVormittag.«»Nun gut!Aber ich rate dir deinWort zu halten und
michnichtzutäuschen.«»Nein,nein—ichtäuscheSiegewißnicht.«Ich blickte siemit Interesse undAufmerksamkeit an.
Am hellen lichten Tage erschien sie mir noch weitschöner, als in derNacht.Ammeisten fielmir,wie ichmichnochheutedeutlicherinnere, ihrTeintauf,derdieFarbedesBernsteinshatte, und ihr schwarzesHaar, dasin bläulichem Schimmer glänzte. Ich beugte mich vom
PferdeherniederunddrückteihrkräftigdiekleineHand.»Adieu, Sarah! Vergiß also nicht, morgen zu
kommen.«»Ichwerdekommen!«Sie kehrte in ihr Haus zurück. Ich befahl dem
Wachtmeister,mirmit demDetachement zu folgen undrittvoran,unsermLagerzu.—AmnächstenMorgenstand ichsehrzeitigauf,Kaum
hatteichmeineUniformangelegt,alsichauchschondasZelt verließ. Es war ein ganz herrlicher Morgen; dieSonne war eben erst aufgegangen und auf jedemGrashalme glänzte ein Thautropfen, in dem sich dasrosigeFrühlichtwiederspiegelte. Ichstiegeineder ringsumdasLagerausgeworfenenSchanzenhinanundsetztemich auf einer Brustwehr nieder. Die große, endlosscheinendeEbenebreitete sich vormeinenBlicken aus;nachallenSeitenließichmeineBlickeschweifen—unddaschienesmirplötzlich,alsbewegesich,kaumhundertSchrittevonmirentfernt,einemit langemgrauemRockbekleidetemenschlicheGestalt.EswarHirschel,wieichbald entdeckte. Lange stand er unbeweglich auf einemPunkte; dann entfernte er sich mit schnellem Schritte,kam sofort zu der eben verlassenen Stelle zurück undwandtesich,alsseierüberirgendetwasimZweifel,nachallenSeitenum;dannstießerplötzlicheinenhalblautenSchreiaus,ducktesichnieder,strecktedenHalsvorum
zu horchen, und blickte sich dannwieder in der Rundeum. Ich konnte alle seine Bewegungen aufs genauesteunterscheiden. JetztversenkteerdieHand indenBusenundholtevondorteinStückPapiervor,aufdemermiteinemBleistiftzukritzelnbegann.Erunterbrachsich injedem Augenblick, blickte auf und lauschte, wie einHase, der auf die Fußtritte des Jägers horcht. Jetztzerknitterte er sein Papier, hob den Kopf hoch empor,blinzeltemitdenAugen—faltetedasPapierdannwiederauseinander,glätteteeseinwenigundsetzteseineArbeitfort. Endlich setzte er sich im Gras nieder, zog einenSchuh aus und legte das Papier in denselben. Aber erhattenochnichtZeitgehabt,sichwiederemporzurichten,als plötzlich—etwa zehnSchritte von ihmentfernt, derKopf des Wachtmeisters Siliawka hinter einer kleinenErhöhung auftauchte; im nächsten Moment wurde dergroße starke Körper des alten Soldaten sichtbar. DerFaktor wandte ihm den Rücken zu. Mit unglaublicherSchnelligkeit und Behendigkeit näherte sich SiliawkademAhnungslosenundlegteihmseineschwereHandaufdie Schulter. Hirschel zuckte bei der Berührungzusammen und sank fast zu Boden, dabei einen Schreiausstoßend,wieeinjungerHase,dervondenFängendesAdlers ergriffen ist. Siliawka schrie ihm etwas zu undergriff ihn beim Kragen. Ich konnte die Worte derUnterhaltung nicht verstehen, aber dieverzweiflungsvollen Geberden des Faktors und sein
flehendesWimmernundSeufzenließenmichahnen,umwas es sichhier handelte.Zwei- oder dreimalwarf sichderErgriffenedemUnteroffizierzuFüßen,danngrifferin seine Rocktasche, holte ein altes, buntfarbigesTaschentuch daraus hervor, lockerte denKnoten, in dendereineZipfelverschlungenwarundreichtejenemeinenDukaten,derdorteingebundengewesen.Siliawkanahmdas Goldstück mit vieler Würde entgegen, hielt seinenGefangenen deshalb aber nicht weniger fest, als zuvor.Plötzlich aber gelang es demselben, sich den Händenseines Feindes zu entwinden; er lief quer über das Felddahin und Siliawka mußte sich auf die Verfolgungbegeben.Der Faktor lief ungemein schnell; seine Füße,an denen er die niedrigen Schuhe und blaue Strümpfetrug, entwickelten eine wirklich erstaunlicheBehendigkeit. Siliawka war jedoch ein noch bessererLäufer; nach einigen mächtigen Sätzen hatte er seinOpfer wieder ergriffen. Jetzt ergriff er den GefangenenbeimArmundgingmitihmaufdasLagerzu.Icherhobmich von meinem Zuschauerplatz und schlug eineRichtung ein, auf dem ich den Beiden bald auf ihremWegebegegnenmußte.»Ah, Herr Fähnrich!« schrie mir der Wachtmeister
schonvonweitemzu.»HierbringeicheinenSpion—ja,EuerHochwohlgeboren, einen Spion!« dabeiwischte ersichdenSchweißvonderStirne,denndieVerfolgungdesFaktors hatte ihn doch warm gemacht. »Willst du jetzt
wohl aufhören zu stoßen und zu zerren?« fuhr er fort.»Ichsagedir,verdammterKerl,nimmdichinAcht,daßichdichnichteinfachniederschlage.«Der unglücklicheHirschel strengte sich unsäglich an,
um sich aus denHänden seinesHenkers zu befreien; erstießihnmitdenEllenbogenvordieBrust,stießmitdenFüßenumsich—unddabei leuchtetedasWeiße seinerAugen unheimlich aus dem krampfhaft verzerrtenGesichte.»Wasgiebt’sdenn?«fragteichdenWachtmeister.»WollenEuerHochwohlgeborendieGnadehabenund
dem Schurken den rechten Schuh abziehen? Ich selbstkannesnicht,dennichmußihnjafesthalten.«Ich zog den Schuh ab und es fiel ein sorgfältig
zusammengefaltetes Papier aus demselben. Es war einPlan unseres Lagers mit besonderer Hervorhebung derneuen Erdarbeiten, Schanzen und Gräben, die in denletzten Tagen ausgeführt worden waren. Unterhalb derBleistiftskizze befanden sich zahlreiche, offenbarerklärendeAnmerkungeninhebräischerSchrift.SobaldichdasPapieranmichgenommenhatte,stellte
Siliawka seinen Gefangenen wieder auf die Füße.DerselbeschlugnundieAugenauf,blicktewildumsichundalsermichbemerkthatte,fielermirzuFüßen.IchzeigteihmdasPapier.»Washatdaszubedeuten?«
»Das ist— das ist— oh,HerrOffizier— nichts—nichts—esist—«DieStimmeversagteihmausAngstundSchrecken.»Duhasthierspioniertundwolltestunsverraten.«Erverstandgarnicht,wasmanzu ihmsagte,sondern
fuhrfort,unverständlichesZeugvorsichhinzumurmeln,dabeimeineKnieeumschlingend.»DubisteinSpion!«»Weh’mir!«schrieermitschwacherStimmeaufund
warfdenKopfnachhintenüber.»EinSpion?WiekönnenSieglauben,daßichdas
bin?Ich—niemals!Nein,nein—esistjanichtmöglich.Ichbinzuallembereit—sogleich—sofort—ichwillGeldgeben—ichwillzahlen—«ErwareinerOhnmachtnaheundschloßunwillkürlich
die Augen. Seine Mütze war ihm in den Nackengeglitten.SeineHaare,vonSchweißgetränkt,hingenihminlangenSträhnenüberdieStirneherab.Bald waren wir von Soldaten umringt, die sich uns
genähert hatten, um Näheres über den sonderbarenVorfall,derdaseintönigeLagerlebenunterbrechensollte,zuvernehmen.AnfänglichwollteichHirschelnurAngsteinjagen und Siliawka dann befehlen, über dasVorkommnisnichtsverlautenzulassen.Abernunwarenwir nichtmehr allein; ich konnte also nicht umhin, denhöheren Offizieren von dem Vorfall Mitteilung zu
machen.»Führen Sie ihn zum General,« sagte ich zu dem
Wachtmeister.»Herr Offizier! Um Gottes willen — erbarmen sich
EuerHochwohlgeboren,« schriederGefangene,unddiehelleVerzweiflungmaltesichinseinemGesicht;»ichbinunschuldig!LassenSiemichfrei!LassenSiemich—«»SeineExcellenzwirddieSache schonuntersuchen,«
bemerkteSiliawka.»Vorwärtsmarsch!«»GnädigsterHerr!«schriemirderFaktornach,alsich
mich entfernte. »HabenSieErbarmen!LassenSiemichfrei!«Ich verdoppelte meine Schritte, um das
Jammergeschreinichtmehrhörenzumüssen.UnserGeneral,dervondeutschenElternstammte,war
ein ebenso tapferer, als ehrenwerter und wohlwollenderMann,abermitunnachsichtlicherStrengehielterdarauf,daß die militärische Disziplin aufrecht erhalten wurde.Ich betrat die niedrige Holzhütte, die er bewohnte, undsetzte ihm mit wenigen Worten die Ursache meinesKommens auseinander. Da ich die Strenge derKriegsgesetze kannte, gebrauchte ich dasWort »Spion«nichtundbemühtemichüberhaupt,dieganzeAffairealseine Bagatelle und recht harmlos zu schildern. ZumUnglück für Hirschel gebot aber der General jedemMitleidSchweigen, sobalddasDienstreglement unddas
GesetzinFragekam.»JungerMann,«erwiderteermir,»ichsehe,daßIhnen
nochdieErfahrungmangelt.Ja,SiehabenoffenbarnochrechtwenigErfahrung inmilitärischenDingen.DerFallist ein schwerer— ein sehr schwerer. Aber wo ist derMann,denmangefangennahm?Woister?«Ich verließ das Zimmer und befahl, den Faktor
hereinzuführen.Manbrachteihnherbei.»Wo ist der Plan, den man bei diesem Subjekt
gefundenhat?«fragtemichderGeneral.Ich reichte ihm das Papier.DerGeneral entfaltete es,
tratdamiteinwenigaufdieSeiteundrunzeltedieStirne.»Das ist ja aber niederträchtig! das ist zu toll!«
murmelte er, und fügte dann laut hinzu: »Wer hat denMannergriffen?«»Ichwar es,EuerExcellenz ichwar es!«beeilte sich
Siliawkazuerwidern.»Ah—gut! Sehr gut!Nun,meinLieber,«wandte er
sichdannandenGefangenen,»wissenSieauch,wasSiejetztzugewärtigenhaben?«»Eu— Eu— Euer Excellenz,« stammelte Hirschel,
»ich — Erbarmen — Gnade — ich bin unschuldig!Excellenz — fragen Sie — fragen Sie nur den HerrnOffizierdort.IchbineinFaktor,Excellenz,einehrlicherFaktor!«»WirmüssenzumVerhörschreiten,«sagtederGeneral
mit leiserer Stimme und den Kopf, wie in Nachdenkenversunken, hin und her wiegend. »Nun sage also,meinLieber,wiedudazugekommenbist,soetwaszuthun?«»Ich bin einer solchen That nicht fähig, Euer
Excellenz!«»Daswirdmirdenndochsehrschwerzuglauben.Man
hat dich auf frischer That ertappt, wie man bei uns zusagenpflegt.«»Erlauben Sie, Excellenz! Erlauben Sie — ich bin
unschuldig!«»Du zeichnetest den Plan von unserm Lager, du bist
einimSoldeunseresFeindesstehenderSpion.«»Dasbinichnicht!«schrieHirschelmitallerihmzu
GebotestehendenKraft.»Dasbinichnicht!«DerGeneralgabSiliawkaeinenWink.»Er lügt, Excellenz,« bemerkte dieser. »Der Herr
Fähnrich selbst hat das Papier aus seinem Schuhhervorgeholt.«DerGeneralblicktemichan. Ichkonntenichtanders,
alsmitdemKopfeeinebejahendeBewegungzumachen.»Du bist also ein vom Feinde bezahlter Spion, mein
Freund;daranistnichtlängerzuzweifeln.«»Ichbinesnicht— ichbinesnicht,« riefderFaktor
wieder, diesmal aber mit schwachen fast ersterbenderStimme.»Hast du dem Feinde schon mehrere gleiche oder
ähnlicheMitteilungenzugehenlassen?«»Onein—nein!«»Du wirst mich nicht hinters Licht führen,
Freundchen!DubistnundocheinmalalsSpionentlarvt.«DerGefangeneließdenKopfsinken,schloßdieAugen
undzupftemechanischanseinemRock.»Man soll ihn aufknüpfen!« sagte der General nach
kurzem Schweigen in sehr entschiedenem Ton.»Aufhängen — wie das Gesetz es vorschreibt. Wo istHerrSchlikelmann?«Sofort eilte jemand hinaus, um Herrn Schlikelmann,
den Adjutanten des Generals, herbeizuholen. HirschelsGesicht war in diesem Augenblick wie von einergrünlichenFarbeübergossen—er hielt denMund starrgeöffnet und verdrehte die Augen. Jetzt erschien derAdjutant und der General erteilte ihm den bezüglichenBefehl.ZugleichtratderRegimentsschreiber,einkleines,mageres Männchen mit pockennarbigem Gesicht insZimmer und an der Thüre wurden einige Offizieresichtbar, die neugierig einen Blick auf den Verurteiltenwarfen.»Lassen Sie Gnade für Recht ergehen, Excellenz,«
sagte ich in ziemlich schlechtemDeutsch,mich an denGeneralwendend.»GebenSiedemManndieFreiheit.«»JungerMann,« erwiderte er mir auf Russisch— er
wiederum drückte sich in dieser Sprache sehr schlecht
aus— »jungerMann, ichmuß Ihnen wiederholen, daßIhnennochdiemilitärischeErfahrungfehlt.Deshalbmußich Sie auch ersuchen zu schweigen und mich nichtweiterzubelästigen.«Hirschel stieß einen Schrei aus und warf sich dem
GeneralzuFüßen.»Erbarmen, Excellenz!Haben Sie Erbarmenmitmir!
Essolljaauchniemalswiedervorkommen!IchhabeeinWeib,Excellenz!EinWeibundeineTochter!HabenSieErbarmen!«»Waskannichnochfürdichthun?«»IchgestehemeinVergehenein,Excellenz!Ja,ichbin
schuldig.Aber es ist zumerstenmale, daß ich esgethanhabe.IchschwöreesIhnen,Excellenz!«»DuhastdemFeindenochniemalszuvorNachrichten
gegeben?«»Es ist zum erstenmale, Excellenz! Eine Frau —
Kinder—«»AberdubisteinSpion!«»EineFrau,Excellenz—Kinder—«Der General schien unschlüssig zu sein, aber diese
RegungdauertenureinenMoment.»Mansoll ihndenGesetzengemäßhängen,« sagteer
langsam und entschieden. »Er muß hängen; FedorKarlitsch, wollen Sie gefälligst das Protokoll darüberabfassen—«
Eine ganz eigentümliche Veränderung ging plötzlichmit Hirschel vor, der Ausdruck scheuer Furchtsamkeit,denman,wiebeisovielenseinerGlaubensgenossen,fürgewöhnlich in seinen Zügen lesen konnte, warvollständig gewichen und hatte dem der entsetzlichstenTodesangstPlatzgemacht.ErgeberdetesichwieeinebeneingefangeneswildesTier;erstöhnteundheulte, lief imZimmer hin undher, raufte sich dasHaar und stießmitgeballtenFäustenumsich—seinRockwaraufgerissen,dieMützehatteerverlorenunddamanvergessenhatte,ihmseinenSchuhzurückzugeben,sowarderrechteFußunbekleidet—Das Schauspiel war ein erschütterndes und auch der
General konnte sich diesem Eindruck sichtlich nichtentziehen.»Excellenz,« Begann ich von neuem, als ich dies
wahrnahm.»BegnadigenSiedenUnglücklichen!«»Unmöglich—esgehtentschiedennicht!DasGesetz
kennt keine Gnade,« erwiderte der General leise undoffenbarbewegt.»ErmußdenandernalsabschreckendesBeispieldienen.«»DennochbitteichSie—«»Fähnrich,begebenSiesichsofortaufIhrenPosten!«Damit schnitt mir der General jede weitere Rede ab
undwiesmitgebieterischerGestenachderThür.IchsalutiertemachteKehrtundginghinaus.Aberals
hätte ich sonst nichts zu thun, ja alswäre ich andiesenOrt gebannt, blieb ich in geringer Entfernung von derHüttewiederstehen.Nach Verlauf von wenigenMinuten sah ich Hirschel
kommen; er wurde von Siliawka und drei Soldateneskortiert.Der armeFaktor konnte kaum einenFuß vorden andern setzen; Siliawka trennte sich bald von denandern,gingvorausundbegabsichaufdasFeld,umbalddaraufmiteinemStrickinderHandzurückzukommen.Inseinen harten aber durchaus nicht grausamen Zügenspiegeltesichetwas,wieeingewissesrauhesMitgefühl.AlsHirschel denStrick erblickte, brach er in dieKnieeundmußte auf denBoden niedergelassenwerden, da ernichtmehrimstandewar,sichaufrechtzuerhalten.Dabeischluchzte er heftig; die Soldaten umstanden ihnschweigend, und blickten mit gesenkten Augen finstervorsichhin.IchnähertemichHirschelundredeteihnan,aber er jammerte und schluchztewie einKind, und sahmich nicht einmal. Ich konnte denAnblick nicht längerertragen,eilteinmeinZelt,warfmichaufmeinFeldbettundverbargdenKopfindenKissen.ImnächstenAugenblickhörteich,daßjemandeiligin
mein Zelt trat. Ich erhob denKopf und erblickte Sarahvormir.IhreZügewarenverstört;siestürzteaufmichzuundergriffmeineHand.»Schnell!Schnell!«riefsiemitfliegendemAtem.
»Wasdenn?Wasgiebt’sdenn?Sobleibedoch!«»SchnellzumeinemVater—zumeinemVater!Rette
ihn,retteihn!«»DeinenVater?«»Ja,manwillihnaufhängen!«»Wie?Hirschel—Hirschelistdein—«»MeinVater!Icherzähleesdirnachher,«fuhrsiefort,
dieHändeverzweiflungsvollringend.»Abersoeiledoch—schnell!«SoraschwirkonntenverließenwirdasZelt.Querüber
die Ebene sahen wir einen Haufen Soldaten auf eineeinsam stehende Birke zuschreiten. Sarah wies mit derHanddorthin.»Bleibe hier,« sagte ich zu dem neben mir dahin
keuchendenMädchen. »Wohinwillst du?Was kann ichthun?MirwerdendieSoldatennichtgehorchen.«Sarahhörtenichtaufmich;siezogmichimmerweiter
mitsichfort.Ichgestehe,daßichnichtmehrwußte,wasich beginnen sollte, und daß ich vollständig den Kopfverlorenhatte.»Höre mich, Sarah!« begann ich von neuem. »Was
sollenwirdort?Dortkönnenwirnichthelfen.IchwerdenocheinmalzumGeneralgehen—oderbessernoch,—wirgehenzusammenzuihm.Vielleichtläßtersichnocherweichen!«Sarahbliebsofortstehen;sieblicktemichsostarran,
daßdieBefürchtung inmiraufstieg, siehabevorAngstundSchreckdenVerstandverloren.»Soverstehemichdochnur,Sarah!UmGotteswillen
—dumußtmirfolgen—ichkanndeinenVaterjanichtbegnadigen — dazu ist allein der General imstande.Kommzuihm!«»Aber bevor wir zurückkommen hat man ihn
gehängt,« erwiderte sie bebend und mit den Zähnenklappernd.Ich blickte um mich und gewahrte den in der Nähe
befindlichenRegimentsschreiber.»Iwanow,«riefichihmzu;»seiumHimmelswillenso
gut,dieLeutedortaufzuhalten.Siesollenwartenbisichzurückkomme; ich will den General noch einmal umBegnadigungbitten!«DerRegimentsschreiber liefsofortdenSoldatennach,
diesichschoninderNähedesBaumesbefanden.BeimGeneral wurdemir kein Eintritt gewährt.Mein
Bitten, mein Flehen und Beschwören, selbst meineDrohungen fruchteten nicht.Vergebensweinte die armeSarah,vergeblichrauftesiesichdieHaareausundstürztesie sich auf die Wachtposten, um den Einlaß zuerzwingen.Manwiessieganzentschiedenzurück.DasMädchenwarfeinenwildenBlickumsich, faßte
ihren Kopf mit beiden Händen, stand einen Momentstummundstarrundliefdann,wievonFuriengepeitscht,
hinausundjenerBirkezu.IchfolgteihraufdemFuße.BaldwarenwirbeidenSoldatenangelangt,dieeinen
KreisumdenVerurteiltengebildethattenundsich,mansollte es nicht fürmöglich halten, über denselben lustigmachten.Das versetztemich in Zorn und ich schalt sietüchtig aus. Sobald Hirschel uns gesehen und erkannthatte, fiel er seiner Tochter um den Hals. Sie umarmteundküßteihn—derarmeTeufelglaubteganzsicher,daßsieihmdieNachrichtvonseinerBegnadigungbringe—er dankte ihr in innigsten Worten dafür — ich mußtemichabwenden—»Wie, Euer Hochwohlgeboren!« schrie Hirschel
entsetzt, als er das bemerkte — »Wie? Ich bin nichtbegnadigt?«Ichschwieg.»Nein?«»Nein!«erwiderteichleise.»Herr Offizier — Euer Hochwohlgeboren —«
stammelte jener, sehenSie,diedort—dasMädchen—dasschönejungeMädchenistmeineTochter.HabenSiegewußt,daßesmeineTochterist?«»Ich weiß es,« erwiderte ich und wandte mich
abermalsab.»Herr Offizier — ich wäre nicht aus Ihrem Zelt
gegangen—ichhättedasMädchennichtalleingelassen—umnichtsaufderWelt—«
Er unterbrach sich für einen Augenblick und schloß,wieininneremKampfemitsich,dieAugen.»IchwollteIhrGeldhaben,« fuhr er fort, »das istwahr—aber fürnichtsaufderWelt—«Ichschwieg.HirschelundauchSarah,seineGenossin,
flößten mir in diesem Moment das Gefühl des tiefstenAbscheusein.»Aber nun— jetzt—wenn Siemich jetzt erretten,«
fuhrermit leiserStimmefort,»dann—dannwerdeichIhrbefehlen—Sieverstehenmich—ichbefehlees—ichbineinverstanden—«Erzitterte,wieeinvomWindebewegtesBlattundsah
die Soldaten mit einem Blicke an, in dem sich diegrauenvollste Angst malte. Sarah hielt ihn noch immerkrampfhaftumschlungen.DerAdjutantdesGeneralskamjetztherbei.»HerrFähnrich,«sagteer,sichzumirwendend,»Seine
Excellenzhabenmichbeauftragt,SieinArrestzuführen.Undihr,«fuhrerfort,denSoldateneinenWinkgebend,»gehorchtdemBefehl!«SiliawkanähertesichdemFaktor.»FedorKarlitsch,« sagte ich zu demAdjutanten, der,
wie ich jetzt erst bemerkte, mit einem Gefolge voneinigen Soldaten gekommen war. »Lassen Sie dochwenigstenserstdiesesarmeMädchenfortführen.«»Selbstverständlich,«erwiderteer.
DieBedauernswerteatmetekaumnoch.Hirschelhieltihren Kopf umschlungen und flüsterte ihr einigehebräische Worte ins Ohr, die ich nicht verstand. DieSoldaten konnten nur mit vieler Mühe ihre Arme vondem Vater trennen und sie langsam und schonungsvolletwa zwanzig Schritte zur Seite führen. Plötzlich aberentwandsiesichihrenHändenundliefwiederaufihrenVater zu. Siliawka hielt sie auf. Sarah schlug ihn insGesicht, ihreAugen funkelten.Als sie sich festgehaltensah,erhobsieplötzlichdrohenddieArmezuunsauf:»Seidalleverflucht!«schriesieaufdeutsch.»Verflucht,dreimalverflucht—ihrundeuerverhaßtes
Geschlecht!Armut,SchimpfundSchandeundqualvollerTodsolleneuerLossein!DieErdesollsichuntereuerenFüßen aufthun und euch verschlingen, ihrerbarmungslosenMenschen,ihrblutgierigenHunde!«MiteinemlautenSchreibrachsiezusammenundsank
ohnmächtignieder.Mantrugsiefort.DieSoldaten faßtennunHirschelbeidenArmenund
stützten ihn. Jetzt konnte ich auch erkennen, was dieLeute so heiter gestimmt hatte, als ich mit Sarah querüberdasFeldmichihnengenäherthatte.BeiallemErnstder Situation bot der unglückliche Faktor doch einkomisches Bild. Die entsetzliche Gewißheit, nunmehrvomLeben, von seinerTochter, seinerFamilie scheidenzu müssen, kam bei ihn in so absonderlichen Gesten,
Rufen undBemerkungen zumAusdruck, daßman sich,so traurig an sich auch die Veranlassung war, einesLächeln nicht erwehren konnte. Der arme Teufel starbnichtdurchdenStrick,erstarbthatsächlichausAngst.»Oweht« schrie er. »Wehmir!Haltet ein—ichhabe
euch etwas zu sagen, etwas Wichtiges kann ich nochmitteilen!HerrOffizier,Siekennenmich—binichnichtein Faktor, ein ehrlicher Faktor? Rührt mich nicht an!Wartet noch eineMinute, einekleineMinute, eineganzkleine Minute! Lassen Sie mich gehen — ich bin einarmer,geschlagenerMensch!Sarah—wo istSarah?O,ichweißes,sieistbeidemOffizier!IchhabemichnichtvonseinemZelteentfernt!«Die Soldaten hoben ihn ein wenig empor, er leistete
ihnenaberverzweifeltenWiderstandundstießdabeieindurchdringendesGeschreiaus.»Euer Hochwohlgeboren — haben Sie doch nur
Mitleidmit einem armenFamilienvater! Ich gebe IhnenzehnDukaten—fünfzehnDukaten!« Jetzt zogman ihnzu der Birke hin. »Euer Hochwohlgeboren — EuerHoheit — Erbarmen, Herr Wachtmeister— Erbarmen,HerrGeneral—«NunlegtemanihmdenStrickumdenHals—ichlief
davon,soschnellichkonnte.—VierzehnTagemußteichinstrengemArrestzubringen.
Icherfuhr,daßHirschelsWitweinsLagergekommenwar
unddieKleidungsstückedesVerstorbenenverlangthatte.DerGeneralließihrhundertRubelgeben.Sarahhabeichnichtwiedergesehen,auchniemalswiederetwasvon ihrgehört. Kurze Zeit darauf erhielt ich bei einem Ausfallder Franzosen eine Verwundung; ich kam ins Lazarett,und als ich als geheilt entlassen wurde, hatte Danzigbereits kapituliert. Ich trafmein Regiment amUfer desRheineswieder.
-Ende-
ImWeltkriegaufKriegspapiergedruckt.
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Anmerkungen
Bezeichnung der (meistenteils jüdischen)GeschäftsvermittlerundKommissionäre.