Die Grundlagen nachhaltiger Chemie
Moderne Synthesemethoden (OC07)
Christina Kosch, Moritz Wolfer
Was bedeutet Nachhaltigkeit?
• „Nachhaltigkeit ist ein Handlungsprinzip zur Ressourcen-Nutzung, bei dem die Bewahrung der wesentlichen Eigenschaften, der Stabilität und der natürlichen Regenerationsfähigkeit des jeweiligen Systems im Vordergrund steht.“
- Wikipedia, die freie Enzyklopädie (2016)
Definition nachhaltige Chemie 2
Was ist nachhaltige Chemie?
• Nachhaltigkeit auf molekularem Level
• Chemische Innovationen, die Umwelt- und ökonomische Ziele vereinen
• Produkt- und Prozessoptimierung
• Erzeugung und Verwendung von Gefahrstoffen ausschließen
• Weniger Einsatz (Edukt/Lsm/Energie) bei gleicher Ausbeute & Abfallvermeidung
• Nicht notwendigerweise Kompromisse, sondern synergistische Effekte
Zwölf zusammenhängende Prinzipien
Definition nachhaltige Chemie 3
Effizient
Ökonomisch
Umwelt-freundlich
Nachhaltig
Realisierbar Nach-haltige Chemie
Definition
• Eingeführt durch Anastas & Warner (1998)
• „Richtlinien“ bzw. Entwurfsregeln zum Praktizieren grüner Chemie
„Design-Gerüst“ chemischer Produkte
• Ziele: Effizienz & Sicherheit
4Die zwölf Prinzipien
5
1. Abfallvermeidung
• Ressourcenschonung durch:
• Geringeren Chemikalienverbrauch
• Vermeidung von Nebenprodukten & Aufarbeitungsschritten
• Energieverwertung
• Bewertung von Reaktionen nach E-Faktor
6Die zwölf Prinzipien
E-Faktor
• Environmental Impact Factor (R. Sheldon, 1992)
• Messgröße zur Quantifizierung produzierter Abfallmengen pro kg Produkt
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𝐸 − 𝐹𝑎𝑘𝑡𝑜𝑟 =𝑚 (𝐴𝑏𝑓𝑎𝑙𝑙)
𝑚 (𝑃𝑟𝑜𝑑𝑢𝑘𝑡)
Die zwölf Prinzipien – 1. Abfallvermeidung
[1]
2. Atomökonomie
• Auch: Atom-Effizienz (AE; B. Trost, 1990)
• Zielsetzung:
Produkt enthält maximale Atom-Anzahl aus Reaktanden
𝐴𝐸 =𝑀 (𝑃𝑟𝑜𝑑𝑢𝑘𝑡)
σ𝑖𝑀𝑖 (𝑅𝑒𝑎𝑘𝑡𝑎𝑛𝑑)
8Die zwölf Prinzipien
[1]
5. Sichere Lösemittel
Kritikpunkte
• Größter Abfall-Anteil in Industrie
• Toxizität
• Entflammbarkeit
• Korrosion
• Flüchtigkeit
• Energie-intensive Bereitstellung
Lösungsansätze
• Lösemittel-freie Systeme
• Umstellung auf umweltfreundlichere Lösemittel
• Überkritische Flüssigkeiten
• Ionische Flüssigkeiten
9Die zwölf Prinzipien
Überkritische Flüssigkeiten
• Supercritical fluids (SCF)
• Silmutanes Erhitzen & Komprimieren oberhalb des kritischen Punkts
• Bsp.: H2O, CO2, CH4, EtOH, Aceton
10Die zwölf Prinzipien – 5. Sichere Lösemittel
[1]
scCO2
Die zwölf Prinzipien –Überkritische Flüssigkeiten – 5. Sichere Lösemittel 11
[2]
Ionische Flüssigkeiten
• Flüssige Salze bei RT
• Nahezu kein Dampfdruck
• Sehr geringe Entflammbarkeit
• Bsp.: (un)polares Lösemittel
12Die zwölf Prinzipien – 5. Sichere Lösemittel
DBU: 1,8-Diazabicyclo- [5.4.0]-undec-7-en
[3]
6. Erhöhung der Energie-Effizienz
• Reaktionen mit geringem Energie-Aufwand
• Energie-Verwertung
• Alternative Energien
• Solarenergie
• Windkraft
Die zwölf Prinzipien 13
7. Nachwachsende Rohstoffe
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Cellulose Chitin
Die zwölf Prinzipien
8. Vermeidung von Derivatisierungen/ kürzere Synthesewege
• Kovalente Derivatisierung
• Bisherige Schutzgruppenchemie
• Mehrere Reaktionsschritte & Chemikalien nötig
• Nicht-kovalente Derivatisierung
• Basis: intermolekulare WW
Die zwölf Prinzipien 15
[1]
9. Katalyse
• Erhöhte Effizienz durch:
• Senken der Aktivierungsenergie
• Vermeiden des stöchiometrischen Reaktanden-Einsatzes
• Höhere Produktselektivität
• Bsp.: Grubbs-Katalysator, Biokatalysatoren (Enzyme)
Weniger Energieaufwand, Ausgangsmaterial & Abfall
16Die zwölf Prinzipien
10. Biologische Abbaubarkeit
• Voraussetzungen:
• Abbau durch Enzyme möglich → Funktionalitäten, Größe etc.
• Möglichkeiten zur Umsetzung:
• Vermeidung von z. B. verzweigten Ketten, quaternären Cs, tert. Aminen
• Integration bestimmter funktioneller Gr. wie Ester oder Amide
Enzymatische Erkennung
17Die zwölf Prinzipien
11. Echtzeit-Analyse
• Vermeiden der Probenvorbereitung
• Veränderung der Reaktionsgemisch-Zusammensetzung erkennen
• Sicherer bzgl. menschlicher Gesundheit sowie umweltschonender
• Bsp. in situ-IR-Spektroskopie
18Die zwölf Prinzipien
ZwischenfrageFällt euch ein Prozess ein, bei dem einige dieser Prinzipien umgesetzt werden könnten?
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Bsp. Biokatalyse
• Milde Bedingungen
• Physiologischer pH
• Umgebungstemperatur
• Umgebungsdruck
• Abbaubarer/wiederverwendbarer Katalysator (Enzym)
• Umweltfreundliches Lösemittel (Wasser)
• Hohe Selektivität (chemo/regio/stereo)
• Keine Gruppenaktivierung nötig
• Vermeidung von Verunreinigungen (Metalle)
Anwendungsbeispiel 20
• Alte Syntheseroute:
• Asymmetrische Hydrierung von Ethyl-4-chloracetoacetat
• 𝑆𝑁2 von Chlorid durch Cyanid (HN)
Synthese eines Intermediats in der Herstellung des Cholesterinsenkers
„Lipitor“
Reduktion
NaCN∆, pH↑
Anwendungsbeispiel Biokatalyse 21
[4]
Anwendungsbeispiel Biokatalyse 22
• Biokatalytische Reduktion von Ethyl-4-chloracetoacetat
• mit Ketoreduktase (KRED)
• in Kombination mit Glukose & Glukose-Dehydrogenase zur Co-faktorRegenerierung
(S)-ethyl-4-chlor-3-hydroxybutyrat
• 𝑆𝑁2 von Chlorid durch Cyanid
• Katalysiert durch Halohydrin-Dehalogenase (HHDH)
[4]
ZwischenfrageWo wurden in dieser Synthese Prinzipien der nachhaltigen Chemie angewendet?
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• Hochselektive biokatalytische Reaktionen ermöglichen signifikante Abfallreduktion
• Rohmaterial wird zu 90% umgesetzt
• 95%ige Reinheit
• >99,5% Enantiomerenrein
• Vermeidung von Nebenprodukten
• Aufreinigung deutlich einfacher/entfällt z.T.
• Wiederverwendung von 85% der Lösemittel
• E-Faktor von 5,8/18 (ohne/mit H2O)
Prinzip 1
Vermeidung von Abfall
Anwendungsbeispiel Biokatalyse – Erklärung der Prinzipien 24
• Einsatz von Glukose zur Co-faktor Regenerierung
• Kosteneffizient
• Atomökonomiefaktor nur 45%
• Aber erneuerbarer Rohstoff und Produkt abbaubar
• Reduktionsschritt beinhaltet nur ungefährliche Reagenzien
• Kein Einsatz von Wasserstoff oder metallischen Katalysatoren
• Cyanid bei beiden Synthesen
• Hier mit besserer Effizienz und
• Unter sanfteren Bedingungen
(Prinzip 2: Atomökonomie)
Prinzip 3: Weniger gefährliche Synthese
Anwendungsbeispiel Biokatalyse – Erklärung der Prinzipien 25
• Lösemittel: Butylacetat & Wasser
• Umweltverträglich
• Im Cyanierungs-Schritt
• Umgebungstemperatur & -druck
• Neutraler pH
• Keine Destillation im Hochvakuum nötig
Prinzip 5: Sichere Lösemittel
Prinzip 6 & 9: Energieeffizienz und Katalyse
Anwendungsbeispiel Biokatalyse – Erklärung der Prinzipien 26
• Enzym-Katalysator & Glukose Co-substrat aus nachwachsenden Rohstoffen
• Komplett biologisch abbaubar
• Nebenprodukte werden kaum gebildet
• Weniger Prozessschritte
• Hohe Selektivität des Katalysators
Prinzip 7 & 10: Nachwachsende Rohstoffe und Abbaubarkeit
Prinzip 8: Nebenprodukte vermeiden
Anwendungsbeispiel Biokatalyse – Erklärung der Prinzipien 27
• Reaktionen bei konstant neutralem pH
• Automatisch kontrolliert
• NaCN Zugabe nach Bedarf, verringert HCN Konzentration
• HCN in situ regeneriert mit HCl (Schritt 2)Prinzip 11 & 12: Echtzeitanalyse und
sicherere Chemie
Anwendungsbeispiel Biokatalyse – Erklärung der Prinzipien 28
Umsetzung
• Als Teil der Umwelt beeinflussen wir unsere Lebensqualität durch die Art der Interaktion mit unserer Umgebung
• Nachhaltige Chemie ist ein Werkzeug zum Erreichen einer nachhaltigen Industrie
Nachhaltige Chemie
Industrieller Umweltschutz
Ziel: nachhaltige Entwicklung
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Danke für eure Aufmerksamkeit!
Eure Meinung?
• Nachwachsende Rohstoffe vs. Nahrungsmittelanbau
• Energiebilanz überkritischer Lösemittel
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