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Timo Bullemer
... durch ihre Holzindustrie weitbekannten Stadt Cham J
Auf- und Abschwung eines Industriezweiges zwischen 1861 und den 1930er Jahren
Der Holzreichtum des Bayerischen Waldes machte
Cham in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zu
einem wichtigen Umschlagsplatz. Was mit dem Han
del begonnen hatte, sorgte später fuf die erste Welle der Industrialisierung. Die Verarbeitung dieses Rohstoffs, vom einfachen Brett bis zum hochwertigen Möbelstück, prägte über Jahrzelmte das wirtschaftli
che Leben der Stadt.
Der Regen, der in einem engen Bogen um die Chamer Altstadt fließt, diente den Menschen schon seit
frühester Zeit als Transportweg. Erste schriftliche Aufzeichnungen gehen bis in das 14. Jahrhundert zu
rück, wobei das Flößen nur eine Möglichkeit darsteUte. Daneben besaß auch das sogenannte Triften
eine lange Tradition, bei dem man einzelne Baumstämme oder Holzscheite flussabwärts treiben ließ. Cham war aber meist nur eine Station unter vielen und nicht das eigentliche Ziel dieser Transporte 2
Dies änderte sich erst nach dem Anschluss an das Eisenbahnnetz] 861. Cham besaß damit für einige Jahre einen entscheidenden Vorteil gegenüber anderen Städten der Region. Große Mengen an Holz konnten
nun mit Bi Ife des Regenflusses und der Eisenbahn über die neue Drehscheibe verschickt werden. 3 Für Handelsaktivitäteo in Cham sprachen außerdem die geografischen Gegebenheiten. Die Stadt liegt unterhalb des Zusammenflusses von Chamb und Regen4 Als günstig erwiesen sich verschiedene Engstellen, an denen man Triftsperren errichten konnte.
Dort wurde das Holz aufgehalten und kontrolliert zu
den Sägewerken geleitet.
Die Vorteile des Chamer Standorts nutzten vor allem auswärtige Unternehmer. Sie waren es auch, die im
großen Stil mit der Bolzverarbeitung begannen und erste Industriebetriebe aufbauten. Als Pioniere auf diesem Gebiet kann man die Nürnberger Holzhändler Adolf und Kar! Kröber bezeichnen.5 Sie eröffne
ten ]873 das erste Dampfsägen-Etablissement.6 Vor dem Ersten Weltkrieg waren immerhin 80 Personen dauerhaft in der Firma beschäftigt, zu der außerdem ein Hobelwerk und eine Kistenfabrik gehörten. 7
Selbst wenn Händler von außerhalb dominierten, so gab es auch einheimische Unternehmer, die in der
Ein Flößer auf dem Regen bei Cham.
Der Entwurf für diese Ansichtskarte stammt von Georg
Don'er (1854-1933)
aus Neunburg vorm
Wald.
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Holzbranche tätig waren. Unter ihnen nimmtValentin
Frey (1843-1911) einen besonderen Platz ein, da er 1885 den Bau der zweiten Dampfsäge in Auftrag gab. Der gebürtige Schweizer Carl Clemenr;on (18441931) errichtete 1890 das dritte Sägewerk. Mit etwa
35 regulären Beschäftigten blieb es der kleinste Chamer Betrieb. Clemenyon ließ vor allem Schnittwaren aus Harthölzern herstellen, die über einen eigenen
Gleisanschluss weitertransportiert wurden 8
Ebenfalls aus Nümberg stammte die Holzhändlerfamilie Gebhardt. Sie bezog seit den 1840er Jahren Lieferungen aus dem Bayerischen Wald.9 Obwohl man 1866 größere Lagerflächen in Cham erworben hatte, dauerte es noch bis 1890, ehe man vor Ort die Frey-Säge übemahm. 1o Sie wurde in der Folgezeit kontinuierlich ausgebaut. Im Jahr 1904 übergab Ludwig Carl Gebhardt (1832-1911) den Betrieb an seine beiden Söhne, wobei zugleich der Firmensitz von Nürnberg nach Cham verlegt wurde. I I Zur festen Belegschaft gehörten damals etwa 110 Personen. 12 Außer der Verarbeitung von Rundholz zu Brettern hatte man sich um 1910 auf die Herstellung von Einzelteilen für Kisten spezialisiertI3
1m Jahr 1890 ist der Bau der vierten Dampfsäge
durch die Hofer Firma Kriester & Melchior verzeichnet. Der Geschäftsführer vor Ort war Johan
nes Melchior, der eigentlich aus Sachsen stammte. 14 Die AnHinge des neuen Betriebes waren allerdings mit wirtschaftlichen Schwierigkeiten verbunden. 15 Das könnte der Grund sein, weshalb die Firma später an einen neuen Eigentümer überging. Max Borger war kein Neuling in diesem Geschäft. Schon 1878 hatte er mit der Herstellung von Spulen für Nähgarn in Nürnberg begonnen. Das dafür
notwendige Holz lieferten vor allem Birken, aber auch Espen und Erlen aus der Oberpfalz und Nie
derbayern. Nachdem Herr Borger 1905 die Melchior-Säge gekauft hatte, zog ein Jahr später der komplette Betrieb nach Cham um.J6 Die Holzspulen exportierte die Firma in den gesamten westeuropäischen Raum. 17 Im Jahr 1918 übernahm mit dem
Nürnberger Ludwig Bildstein ein neuer Eigentü
mer das Geschäft. 18 Er investierte von 1920 bis 1922 in die Modernisierung der Spulenfabrik und
richtete oberhalb der Waldschmidtstraße beim Gasthaus Schauerkeller eine Produktionsstätte für Holzperlen ein 19
In Cham wurden aus dem vielseitigen Werkstoff Holz nicht nur einfache Bretter oder Garnspulen
hergestellt. Seit den 1890er Jahren erregten örtliche Betriebe auch mit Möbeln lind kompletten Zimmereinrichtungen auf den Gewerbeausstellungen in Nürnberg und Regensburg die Aufmerksamkeit künftiger Kunden. 2o Ein herausragendes Beispiel dafür ist die Firma Schoyerer. Was Andreas Schoyerer sen. 1851 als einfache Schreinerwerkstatt übernahm, erweiterte der gleichnamige Sohn zur Möbelfabrik mit zweitweise 40 bis 60 Beschäftigten.21
Markantes Zeichen dieser Entwicklung war die Betriebsverlagerung aus der Innenstadt auf ein Gelän
de mit Eisenbahnanschluss zwischen Bahnhof- und Ludwigstraße. Zum Repertoire der Firma gehörten in dieser Zeit gehobene Möbel und ganze Einrichtungen für Villen und Privathäuser. Darunter befand sich auch das Schloss Thurn und Taxis in Regensburg. Außerdem übernahm man feinere Bauarbeiten, Kirchenausstattungen nach eigenen oder fremden Entwürfen. In dieser Weise fertigte die Möbelfabrik Schoyerer unter anderem die Kanzel sowie Altäre für die Pfarrkirche St. Jakob an. Eine beson
dere Ehre wurde Andreas Schoyerer jun. im Jahr
1902 zuteil, als man ihm den Titel eines königlich bayerischen Hoflieferanten verlieh. 22
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Andere Werkstätten erreichten zwar nicht diesen Be
kanntheitsgrad, trugen aber ihren Teil zum Ansehen der Chamer Holzindustrie in jener Zeit bei. Zumindest zwei Vertreter dieser Branche sollen ausführlicher vorgestellt werden. Im Jahr 1872 eröffnete der aus
Kothmaißling stammende Georg Stauber seine Schreinerei in Cham. Schon 1886 lieferte der Betrieb Fenster und Türen ins Ausland für einen großen Neu
bau nach Ljubljana in Slowenien.23 Als Werkstätte für
kirchliche Kunst übernahm Herr Stauber Aufträge un
ter anderem für die Stadtpfarrkirche (z. B. Kirchen
stühle) und die Expositur Untertraubenbach (Heiliges Grab).24 Hohen Ansprüchen musste auch das Herrenzimmer im ScWoss Waffenbrunn genügen, das 1906 Ben' von Paur bei der Filma in Auftrag gab25 Ab 1918
führte die nächste Generation den Betrieb weiter. Im Jahr 1924 wurde die Werkstätte in die Jabnstraße verlegt und dort 1930 um ein Wohnhaus ergänzt. Weitere
Bawnaßnahmen folgten 1937 in Brunnendorf mit
dem Bau eines Wohn- und Geschäftshauses26
Das Gelände des Sägewerkes Gebhardl
auf einer Luftaufnahme aus dem
Jahr 1957
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Arbeiter in der Mö
belfabrik Schoyerer
in den 1950er Jahren
Der in Katzberg geborene Georg Schlamminger
meldete 1908 seine Schreinerei offiziell als Gewer
be an 277 Er stellte Schlaf- und Wohnzimmerein
richtungen auch in einfacheren und damit preis
günstigeren Ausführungen her28 Im Jahr 1922 expandielie die Firma mit dem Bau einer Mäbelfabrik im heutigen Ortsteil Katzbach.29 Wie aus den Werbeanzeigen der folgenden Jahre hervorgeht,
erweiterte man das Angebot um Kücheneinrichtungen und Polsterwaren. 3o
Gerade die alljährliche Trift veranschaulichte wie
kein anderes Ereignis die Bedeutung des Holzes für
Cham. Wenn im Frühjahr der Wasserstand des Regens durch die Schneeschmelze angestiegen war,
konnte damit begonnen werden. Noch im Jahr 1911 transportierte man auf diese Weise 240 850 Blöcher, wobei jedes Bloch einem Baumstammstück von mindestens drei Meter Länge entsprach. Zusätzlich
wurden 53 200 Ster Schleif- und Brennholz auf die Reise geschickt. 3l Der Ausbau des Eisenbahnnetzes
hatte Cham anfangs begünstigt, sorgte aber in späteren Jahren fur zunehmende Konkun·enz. Durch die
Inbetriebnahme neuer Linien, wie zum Beispiel von Deggendorf nach Bayeriscb Eisenstein, erhielten auch andere Regionen des Bayerischen Waldes die
Möglichkeit, das dortige Holz auf der Schiene zu versenden. Somit gingen die einst für Cham bestimmten Kontingente nach und nach zurück. 32 Mit
dem Ausbau des Straßennetzes und der Motorisierung kam ein weiterer KonkUlTent hinzu, der den Transpol1 schneller und billiger erledigte. Schließ
lich stellten immer mehr Holzhändler das Triften ein. Bei Karl Kräber war dies 1917 und bei der firma Gebhardt 1924 der Fall. Damals begann der Bau des Kraftwerks Höllenstein. Dessen Staumauer machte
nun auch technisch einen Transport auf dem Regen unmöglich. 33
Erschwerend kam hinzu, dass sich die wirtschaftli
chen Rahmenbedingungen nach der Niederlage im
Ersten Weltkrieg deutlich verschlechtert batten. All
diese Komponenten beschleunigten den Niedergang der heimischen Holzindustrie.
Seit Inl finden sich immer wieder Nachweise,
dass die technischen Anlagen der Firma Kröber wegen des schwierigen wirtschaftlichen Umfeldes
nicht mehr in der früheren Form genutzt wurden 34
Der schlechte Gesundheitszustand des firmeninhabers Karl Kräber jun. besiegelte schließlich das
Ende des Betriebes35 Im Jahr 1927 gab die Firma
Borgers Nachfolger die Produktion von Nähspulen in Cham endgültig auf36 Davon nicht betroffen war
zunächst die Holzperlenfabrik an der Waldschmidtstraße. Die früheren Geschäftsflihrer, die Gebrüder Grünhut, übernahmen den Betrieb und flihrten ihn in den nächsten Jahren unter ihrem eigenen Namen
weiter. 3? Die Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise trafen 1932 auch das Sägewerk von Carl Clemen~on. Im Rahmen einer Zwangsversteigerung
erwarb das Chamer Bankgeschäft Lutz die Immobi
Jie. 38 Die Zeit der Chamer Möbelherstellung endete
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nach dem Zweiten Weltkrieg. Den Anfang machten
1949 die Schreinerei Schlamminger und 1953 die
Möbelfabrik Stauber, als sie offiziell als Gewerbe
abgemeldet wurden. Im Jahr 1999 ging auch die
Ära der Möbelfabrik Schoyerer zu Ende.39 Aus der
Blütezeit blieb nur die Firma Gebhardt übrig, wobei ihre Produktpallette schon längst nicht mehr vom Holz bestimmt wird.
An die goldenen Jahre dieses Industriezweiges erinnert in Cham nur noch wenig. Der Floßhafen, der einst
Sammelstelle fiir Baumstämme aus dem Bayerischen
Wald war, wurde mittlelweile aufgefiillt und dient
heute als Großparkplatz. Allerdings zeugen noch einige Gebäude ehemaliger Händler und Fabrikanten von
der Bedeutung des Holzes fiir die Stadt Cham.
Hg. von Handelskammer Regensburg: Die Industrie der Oberpfalz in Wort und Bild. Regensburg 1914. S. 31 f.
2 loseph Lukas: Geschichte der Stadt und Pfarrei Cham. Landshul1862. S. 168-169,373.
Johann Brunner: Handelsgeschichte der Stadt Cham. Kaufbeuren [1908]. S. 72. - Franz Xaver Schmaderer: Wie Cham zU einem großen Holzumschlagsplalz wurde. In: Waldheimat 3 (1968) o. S.
4 Emma Mages: Eisenbahn, Siedlung, Wirtschaft und Gesellschaft in der südlichen Oberpfalz (1850-1920) (Regensbllrger Historische Forschungen 10) Kallmlinz 1984. S. 318.
5 Brunner (wie Anm. 3) S. 70.
6 Amts-Blatt für die königlichen Bezirksämt.er vom 25.10.1873. - Stadtarchiv (künftig StadtA) Cham: Stadt Cham 1752.
7 Handelskammer (wieAnm. I) S. 30.
B Stad tA Cham: Stadt Cham 1599. - Brunner (wie Anm. 3) S. 71.
9 Schmaderer Holzumschlagsplatz, wie Anm. 3, o. S.
10 Franz Xaver Schmaderer: Erinnenl11gen. Maschinenschriftliches Manuskript. Cham 1989. S. 145 f
11 Handelskammer (wie Anm. I) S. 28 f.
12 Stadti\ Cham: Swdt Chum 15~~.
13 Handelskammer (wie Anm. I) S. 28 f.
14 Brunner (wie Anm. 3) S. 71.
2\0
15 Amts-Blatt fiir die königlichen Bezirksämter vom 23.03.1892, 18.05.1892, 28.09.J892.
16 Handelskammer (wie Anm. I) S. 26 f.
17 Schmaderer Erinnerungen (wie Anm. 10) S.147.
18 Chamer Tagblatt vom 14.04.1918. - StadtA Cham: Stadt Cham Gewerbemeldungen 1912-1935.
19 StadtA Cham: Stadt Cham Ratsprotokoll von 1920; BallpIanverzeichnis von 1905-1920 und 1921-1929.
20 Bnmner (wie Anm. 3) S. 81 - Chamer Tagblatt vom
04.05.1910.
21 Bärbel Kleindorfer-Marx: Die Schreinerwerkstatt und Möbelfabrik A. Schoyerer in Cham. In: Beiträge zur Geschichte im Landkreis Cham 4 (19R7) S. 231, 235.
22 Handelskammer (wie Anm. I) S. 31 f.
23 Bayerwald-Echo vom 26.07.1952.
24 Chamer Tagblatt vom 04.05.1910, 1204.1911.
25 Chamer Tagblatt vom 22.11.1906.
26 Bayerwald-Echo vom 26.07, 1952.
27 StadtA Cham: Stadt Cham Gewerbemeldungen 1900-1911, 1912-1935.
28 Chamer Tagblatt vom 21.02.1909 und 08.12.1910.
29 Staatsarchiv Amberg: Baupläne Cham 119/1922.
30 Chamer Tagblatt vom 30.07.1927, 16.09.1930.
31 Chamer Tagblatt vom 22.03.1911
32 Mages (wie Anm. 4) S. 320.
33 Franz Xaver Gsellhofer: Die Trift- und Floßfabrt auf dem Regenfluß. In: Waldheimat 7 u. 8 (1963) o. S.
34 Staatsarchiv Amberg: Bezirksamt Charn 4150.
35 Schmaderer Erinnerungen (wie Anm. 10) S. 149.
36 Chamer Tagblatt vom 11.01.1927.
37 CbamerTagblatt vom 22.02.1927.
38 Chamer Tagblan vom l3.04.1932. - SladtA Cham: Stadt Cham, wie Antn. 27.
39 Chamer Zeitung vom 23.12.1998.
Bildnachweis
Sladtarcbiv Cham (S. 206, 208 und 209)