Ophthalmologe 2006 · 103:704–707
DOI 10.1007/s00347-005-1278-3
Online publiziert: 8. November 2005
© Springer Medizin Verlag 2005
M. Koch · S. Lindner · A. Langmann
Ambulanz für Schielen und Kinderophthalmologie und Rehabilitation
Sehbehinderter, Universitätsaugenklinik, Graz
„Eine hartnäckige Pupille“
Bild und Fall
Vorgeschichte
Ein 9-jähriges Mädchen mit bekanntem
Rubinstein-Taybi-Syndrom, einem kra-
niomandibulofazialem Dysmorphiesyn-
drom, wurde zur Fundusunters uchung
überwiesen, wobei schon seit der Geburt
extrem enge Pupillen aufgefallen waren.
Ophthalmologischer Befund
In der Spaltlampenuntersuchung präsen-
tierten sich beidseits bis auf 2 mm vereng-
te Pupillen mit positiver Licht- und Nah-
reaktion (. Abb. 1). Auffallend war die
Miose jedoch in Dunkelheit und nach Ins-
tillation von Mydriatika. Der vordere Ab-
schnitt der Augen war bis auf eine peri-
pher verwaschene Irisstruktur unauffällig.
In der Fundusuntersuchung wurden eine
Hypoplasie des N. opticus beidseits sowie
Pigmentirregularitäten der Makula festge-
stellt. Der bestkorrigierte Visus bei Myo-
pia alta betrug beidseits 0,1 (Lea Hyväri-
nen-Tafel in 1 m). Orthoptisch konnte ein
Strabismus concomitans divergens links
sowie ein Pendelnystagmus nachgewie-
sen werden. Das Farbsehen und die Ge-
sichtsfeldaußengrenzen waren ohne pa-
thologischen Befund.
Systemische Beteiligung
Im Rahmen der Grunderkrankung, dem
Rubinstein-Taybi-Syndrom, wies unsere
Patientin neben einer Mikroretrognatie
eine Gaumenspalte, dysplastische Ohren
und ein Pterygium coli auf (. Abb. 2).
Die begleitende Schwerhörigkeit wurde
gemeinsam mit der hohen Myopie durch
eine Hörbrille gut korrigiert. Aufgrund
chronischer Infektionen der Atemwege
mit Überproduktion von Schleim und le-
bensbedrohenden Erstickungsanfällen, er-
hielt unsere Patientin bereits in sehr jun-
gen Jahren eine Langzeittracheostomie.
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
hier kann auch Ihr Fall
dargestellt werden!
Haben Sie Anregungen oder eine
interes sante Falldarstellung?
Senden Sie diese bitte an:
PD Dr. H. P. N. Scholl
Universitäts-Augenklinik Bonn
Ernst-Abbe-Straße 2
53127 Bonn
704 | Der Ophthalmologe 8 · 2006
Ihre Diagnose? D
Abb. 2 8 9-jähriges Mädchen mit bekanntem Rubinstein-Taybi-Syndrom
Abb. 1 8 Beidseits deutlich verengte Pupillen mit peripher verwaschener Irisstruktur
705Der Ophthalmologe 8 · 2006 |
Diskussion
Die kongenitale Miosis ist eine seltene
Anomalie, welche auf eine fehlerhafte
Entwicklung des M. dilatator pupillae zu-
rückgeführt werden kann. Sie tritt ent-
weder idiopathisch (sporadisch, autoso-
mal dominanter bzw. rezessiver Erbgang)
oder sekundär im Rahmen zahlreicher
Erkrankungen auf [3,4]. Kennzeichen der
kongenitalen Miosis sind Pupillen, deren
Durchmesser selten Werte über 2 mm er-
reichen, sowie die unzureichende Reakti-
on auf Mydriatika. Die Licht- und Nah-
reaktion der Pupille ist unauffällig. In der
Literatur wurde das gemeinsame Auftre-
ten mit okulären Anomalien (wie z. B.
Myopie, Irisatrophie, Anomalien des Vor-
derabschnitts, Mikrokornea u.a.) und Sys-
temerkrankungen (wie z. B. Marfan-Syn-
drom, okulozerebrorenales Lowe-Syn-
drom, olivopontozerebelläre Atrophie,
hereditäre spastische Ataxie u.a. [1]) be-
schrieben. Eine mögliche Ursache für die
sekundäre Entstehung einer kongenita-
len Miosis ist eine chronische Iridozykli-
tis im Rahmen einer Rötelnembryopathie.
Bei unserer Patientin führten das fehlende
Ansprechen auf Mydriatika (Sympatho-
mimetika und Parasympatholytika) so-
wie die peripher verwaschene Irisstruk-
tur, hervorgerufen durch eine Dilatato-
rhypoplasie, zur Diagnose der kongenita-
len Miosis.
Okuläre Pathologien beim Rubin-
stein-Taybi-Syndrom (Tränenwegsano-
malien, Hypertelorismus, uni- oder bilate-
rale Ptosis, Korneaveränderungen, konge-
nitale Katarakt, Myopia alta, Nystagmus,
Strabismus, retinale Anomalien mit ERG-
Veränderungen u.a.) sind beschrieben [2].
Erstmals kann die Assoziation einer kon-
genitalen Miosis mit dem Rubinstein-Tay-
bi-Syndrom beschrieben werden. Weitere
Kennzeichen dieser Erkrankung sind fa-
ziale Malformationen, Kleinwuchs, brei-
te Daumen und Zehen, sowie eine verzö-
gerte geistige Entwicklung.
Fazit für die Praxis
Die hohe Koinzidenz der kongenitalen
Miosis mit weiteren okulären Malforma-
tionen und Systemerkrankungen unter-
streicht die Notwendigkeit weiterer oph-
thalmologischer und neuropädiatrischer
Untersuchungen.
Korrespondierender AutorDr. M. KochAmbulanz für Schielen und Kinderophthalmolo-gie und Rehabilitation Sehbehinderter, Universi-tätsaugenklinik, GrazAuenbruggerplatz 4, 8036 [email protected]
Interessenkonflikt:. Es besteht kein Interessenkon-
flikt. Der korrespondierende Autor versichert, dass kei-
ne Verbindungen mit einer Firma, deren Produkt in
dem Artikel genannt ist, oder einer Firma, die ein Kon-
kurrenzprodukt vertreibt, bestehen. Die Präsentation
des Themas ist unabhängig und die Darstellung der In-
halte produktneutral.
Literatur 1. Dick FJ, Newman PK, Cleland PG (1983) Hereditary
spastic ataxia with congenital miosis: four cases in
one family. Br J Ophthalmol 67:97–101
2. Genderen MM, Kinds GF, Riemslag FCC, Hennekam
RCM (2000) Ocular features in Rubinstein-Taybi
syndrome: investigation of 24 patients and review
of the literature. Br J Ophthalmol 84:1177–1184
3. Lambert SR, Amaya L, Taylor D (1988) Congenital
idiopathic microcoria. Am J Ophthalmol 106:590–
594
4. Polomeno RC, Milot J (1979) Congenital miosis.
Can J Ophthalmol 14:43–46
D Diagnose: Kongenitale Miosis bei Rubinstein-Taybi-Syndrom
Risiko-Check für das AugenlichtEine Aufklärungsaktion will zur Früher-
kennung motivieren
Unter dem Motto „Sehen optimal schützen“
starten das Deutsche Grüne Kreuz e.V. und
die Initiative Auge e.V. am 28. August eine
bundesweite Aufklärungsaktion zu den
beiden chronischen Augenerkrankungen
Grüner Star (Glaukom) und altersabhängige
Makuladegeneration (AMD). Ein speziell
ausgerüstetes Augen-Infomobil wird dann
35 Städte besuchen und die Bevölkerung auf
die Chancen der Früherkennung dieser Au-
genleiden aufmerksam machen. Angeboten
werden ein persönlicher Risiko-Check sowie
fachliche Beratung durch Augenärzte. Die
Aktion soll die Bevölkerung motivieren, ihrer
Augengesundheit mehr Beachtung zu schen-
ken und verstärkt Eigenverantwortung für ihr
Augenlicht zu übernehmen.
Die chronischen Augenerkrankungen Grüner
Star und die altersabhängige Makuladegene-
rationzählen gehören in Deutschland zu den
häufigsten Ursachen für schwere Sehbehin-
derungen oder Erblindungen. Insgesamt sind
mehr als drei Millionen Bundesbürger betrof-
fen. Insbesondere beim Glaukom spielt die
Früherkennung eine entscheidende Rolle für
die Vermeidung größerer Schäden am Seh-
vermögen. Das Glaukom verläuft schleichend
und schmerzlos, wird von den Betroffenen
daher meist zu spät bemerkt. Sicherheit kann
nur eine Früherkennungsuntersuchung beim
Augenarzt geben. Ähnliches gilt für die AMD,
insbesondere seit es hierfür neue Therapien
gibt, die besonders bei frühzeitiger Anwen-
dung erfolgversprechend sind.
Quelle: Deutsches Grünes Kreuz e.V.
Fachnachrichten
706 | Der Ophthalmologe 8 · 2006