Transcript

Entscheidungsfindung inder Akut- und Notfallmedizin

Daniel MarxPatrik Lange

Notfallmedizin up2date

1 · 2019

Allgemeine und organisatorische Aspekte 1

VNR: 2760512019156640417

DOI: 10.1055/a-0757-9089

Notfallmedizin up2date 2019; 14 (1): 71–87

ISSN 1611-6550

© 2019 Georg Thieme Verlag KG

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Unter dieser Rubrik sind bereits erschienen:

Massenanfall von Verletzten – aus Sicht eines KrankenhausesU. Schweigkofler, S. Martin Heinz, R. Hoffmann Heft 4/2018

Dokumentation und Qualitätsmanagement im RettungsdienstT. Lohs, J. Wnent, B. Jakisch Heft 4/2018

Reanimation bei traumatisch bedingtem Herz-Kreislauf-Stillstand P.-C. Nolte, M. Münzberg, S. Frankenhauser,J. Horter, B. Gliwitzky, A. Gather Heft 3/2018

App-basierte Systeme im Bereich der medizinischenNotfallversorgung C. Elsner, M. Blaschka, M. KleehausHeft 3/2018

Ersteinschätzung in der Zentralen Notaufnahme I. Gräff,P. Glien, B. von Contzen, M. Bernhard Heft 3/2018

Triage beim Massenanfall von Verletzten (MANV) T. Neidel,A. R. Heller Heft 2/2018

Advance Care Planning – „Behandlung im Voraus planen“ in derNotfallmedizin B. Feddersen, S. Petri, G. Marckmann, H. TopkaHeft 1/2018

Massenanfall von Verletzten/Erkrankten (MANV) – die frühePhase der Einsatzbewältigung S. Trümpler, M. Hübner,A. Bohn Heft 1/2018

Safety First – Sicherheitsaspekte in der NotfallrettungD. Treffer, B. Hossfeld, M. Helm, A. Weißleder Heft 1/2018

Notfallmedizinische Versorgung bei konventionellen terroris-tischen Anschlägen M. Helm, T. Wurmb, F. Josse, B. HossfeldHeft 4/2017

Innerklinisches Notfallmanagement J.-C. Schewe, S. Lenkeit,S. Seewald, B. Jakisch, T. Jantzen Heft 4/2017

Präklinisches eCPR (Extracorporeal CardiopulmonaryResuscitation) D. Lunz, A. Philipp, Y. A. Zausig Heft 3/2017

Neubewertung extraglottischer Atemwegshilfsmittel in derNotfallmedizin A. Timmermann, S. G. Russo Heft 2/2017

Außerklinische Beatmung – Herausforderungen für den Ret-tungsdienst A. Lechleuthner, E. Singer, A. Geißler Heft 1/2017

Heilverfahren der gesetzlichen Unfallversicherung A. Hogan,S. Kuhnen, M. Münzberg, P. A. Grützner Heft 1/2017

Präklinische Versorgung akuter Blutungen nach schweremTrauma B. Hußmann, U. Fochtmann, S. Lendemans Heft 4/2016

Hygiene im Rettungsdienst K. Strerath, B. ChristiansenHeft 2/2016

Update: Beatmung im Rettungsdienst M. Strunden, T. Wieser,E. Nufer, T. Kerner Heft 2/2016

Erweiterte Maßnahmen für Erwachsene (Adult Advanced LifeSupport) J.-T. Gräsner, B. Bein Heft 1/2016

Basismaßnahmen bei Erwachsenen und Anwendung automa-tischer externer Defibrillatoren A. Bohn, S. Seewald, J. WnentHeft 1/2016

Postreanimationsphase nach der neuen Leitlinie A. Schneider,B. Böttiger Heft 1/2016

Ambulante Behandlung im Rettungsdienst T. Beckmeier,M. Neupert, A. Bohn Heft 4/2015

Schnittstelle Notaufnahme: Optimierungen an der NahtstellePräklinik/Klinik F. Hilbig, A. Gries, T. Hartwig, M. BernhardHeft 3/2015

Prähospitale Analgesie beim Erwachsenen B. Hossfeld,S. Holsträter, M. Bernhard, L. Lampl, M. Helm, M. KullaHeft 3/2015

Handlungsempfehlung zur prähospitalen Notfallnarkosebeim Erwachsenen, M. Bernhard, B. Bein, B. Böttiger, A. Bohn,M. Fischer, J. Gräsner, J. Hinkelbein, C. Kill, C. Lott, E. Popp,M. Roessler, A. Schaumberg, V. Wenzel, B. Hossfeld Heft 2/2015

Management des schwierigen Atemwegs unter Extrem-bedingungen E. Cavus, C. Byhahn, D. Meininger, V. DörgesHeft 2/2015

TEMS – Taktische Medizin im Rahmen von Einsätzen derStrafverfolgungsbehörden B. Hossfeld, F. Josse, R. Bohnen,A. Garling, L. Lampl, M. Helm Heft 1/2015

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Entscheidungsfindung inder Akut- und Notfallmedizin

Daniel Marx, Patrik Lange

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Notfallmedizinisches Handeln erfordert neben fachlicher Expertise die Fähigkeit,trotz äußerer Einflussfaktoren wie z. B. Stress und Zeitdruck sinnvolle Entscheidun-gen treffen zu können. Insbesondere als Teamleiter ist es essenziell, die vorhandenenRessourcen innerhalb eines Teams, aber auch der Umgebung effektiv zu nutzen.Exemplarisch werden Problemfelder aus dem beruflichen Handlungskontext auf-gezeigt, menschliche Handlungs- und Verhaltensmuster erklärt und Bewältigungs-strategien und Hilfsmittel vorgestellt.

FALLBEISPIEL lfälti

gung

nur

„Unser Entscheiden reicht weiter als unser Erkennen.“(Immanuel Kant, dt. Philosoph 1724–1804)

Es war einer dieser Einsätze, von denen Alexander (Name redak-

tionell geändert) gehofft hatte, dass er sie nie erleben würde.

Um 9:15 Uhr wurde die Morgenroutine mit der Alarmdepesche:

„Kleinkind von Pkw überrollt“ unterbrochen. Bereits auf der Anfahrt

gingen Alexander verschiedene Szenarien und derenmögliche

Bewältigung durch den Kopf. Er war sich durchaus bewusst, dass

dieser Einsatz eine große Herausforderung nicht nur für ihn,

sondern für das gesamte Team darstellen würde.

In einer Hauseinfahrt lag ein etwa 3-jähriges Kleinkind mit dem

Rücken auf dem Boden. Im ersten Ersteindruck war es blass,

bewusstlos und verfügte lediglich über eine Schnappatmung.

Scheinbar hatte der Vater seinen eigenen Sohn beim Rückwärts-

fahren mit dem Pkw versehentlich überrollt.

Allen Beteiligten war bewusst, wie dramatisch die Lage war und wie

sehr die Zeit von nun an gegen sie arbeiten würde. Für eine Übergabe

schien keine Zeit, und aufgrund einer enormen Dynamik entwickelte

sich die Teamführung eher autonom: Jeder machte das, was ihm

situativ sinnvoll erschien. Mit dem zusätzlichen Personal und den

verschiedenenMaterialien, die nun neben dem Kind verteilt wurden,

geriet die Einsatzstelle zunehmend außer Kontrolle. Immer wieder

wurde der Trauma-Algorithmus durch Fragen, Meinungen und Vor-

schläge unterbrochen. Neben der einsatzbedingten Komplexität

stieg auch die Dynamik, und allen Beteiligten war der Stress deutlich

anzumerken. Auf der Suche nach einer Beckenschlinge wurden

mehrere Modultaschen geöffnet, und der jeweilige Inhalt verteilte

sich über die Einsatzstelle, es brach allgemeine Hektik aus.

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Menschliches LeistungsvermögenAufgrund intensiver Unfallursachenanalyse in der US-amerikanischen Luft- und Raumfahrt ist man bereits inden 1960er-Jahren zu der Erkenntnis gelangt, dass nebeneiner fachlichen Kompetenz und manuellen Fertigkeiten(Skills) auch menschliche Wahrnehmung bzw. die kogni-tive Verarbeitung von Informationen, aber auch die Inter-aktion im Team und somit Kommunikation und Hierar-chiestrukturen eine wichtige Rolle in der Bewältigung all-täglicher und außergewöhnlicher Situationen spielen. So-mit etablierte sich die Differenzierung zwischen▪ „technical Skills“ (TS) für die fachlichen undmanuellen

Kompetenzen und▪ „non-technical Skills“ (NTS), welche auch als „mensch-

liche Faktoren“ umschrieben werden.

Hierzu zählt etwas weiter gefasst neben der Risiko- undFehlerwahrnehmung und dem Prozess der Entschei-dungsfindung auch der Einfluss von Persönlichkeitsmerk-malen wie der charakterlichen Disposition und durch Er-fahrungen erworbene Einstellungen. Es begann die Er-folgsgeschichte des Crew-Ressource-Managements(CRM), welches ein neues Kapitel der Sicherheits- undFehlerkultur in der Luftfahrt einläutete [1].

Ende der 1990er-Jahre wurden diese Erkenntnisse dannerstmals auch für die Notfall- bzw. Akutmedizin unter-sucht und publiziert. Auch hier konnte festgestellt wer-den, dass menschliche Leistung einen erheblichen Ein-fluss auf die Versorgungsqualität und Patientensicherheithat [2].

71Lange P. Entscheidungsfindung in der… Notfallmedizin up2date 2019; 14: 71–87

ABKÜRZUNGEN

10 für 10 Handlungsunterbrechung zur Refokussierung auf das

Gesamtziel („10 Sekunden überlegen statt 10 Minu-

ten das Falsche machen“)

ActionCard einfache Checkliste mit maximal 6 Handlungsanwei-

sungen für seltene, aber akut lebensbedrohliche und

zeitkritische Situationen (Äquivalent zu den „Notver-

fahren“ in der Luftfahrt)

<C>-ABCDE Struktur zur priorisierten Diagnostik + Versorgung

kritisch kranker bzw. verletzter Patienten (critical

Bleeding + Airway – Breathing – Circulation –

Disability – Exposure/Examination)

COPD chronisch obstruktive Lungenerkrankung

CPR kardiopulmonale Reanimation

CRM Crew Resource Management

FORDEC Akronym zur dynamischen Entscheidungsfindung

(Facts – Options – Risks and Benefit – Decision –

Execution – Check)

Heuristik In diesem Kontext Entscheidungsfindung trotz Infor-

mations- oder Wissensdefizit lediglich auf der Basis

bewährter Handlungs- oder Verhaltensmuster

IʼM SAFE Akronym zur Selbstreflexion und verbesserter Wahr-

nehmung intrinsischer Risikofaktoren (Illness – Medi-

cation – Stress – Alcohol – Fatigue – Emotions/Eating)

NTS Non-technical Skills

QM Qualitätsmanagement

SAA Standardarbeitsanweisung

SOP Standard Operating Procedure

T.E.A.M. Restrukturierung einer komplexen/dynamischen

Situation (TimeOut – Evaluation – Antizipation-

Maßnahmen)

TS Technical Skills

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Ein ganz wesentliches Merkmal menschlicher Leistungs-fähigkeit sind dabei die sogenannten „kognitiven Res-sourcen“, welche im Modell von Andreas Richter auchals „grüne Kügelchen“ umschrieben werden [3]. DieseRessourcen ermöglichen uns die bewusste Nutzung wich-tiger Eigenschaften wie beispielsweise die Fähigkeit der

▶ Tab. 1 IʼM-SAFE-Konzept. Mit dem Akronym IʼM SAFE sollen in einfaktoren evaluiert werden, die einen limitierenden Effekt auf das per

physische und psychische Einschränkungen Selbstreflexio

Illness (Krankheit) Bin ich gesund

Medication (Medikamente) Stehe ich unte

Stress (Stress) Habe ich mom

Alcohol (Alkohol und Drogen) Stehe ich unte

Fatigue (Erschöpfung) Bin ich zurzeit

Emotions/Eating (Emotionen, Hunger) Bin ich aktuell

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objektiven Wahrnehmung von Sinneseindrücken, dieWahrung des Gesamtüberblicks, die Festlegung von Prio-ritäten, aber auch die Entwicklung kreativer Ideen undLösungen oder eine gewisse Antizipation der Ereignisse.Die grünen Kügelchen stehen dabei für verfügbare kogni-tive Ressourcen, während in dem Modell die roten Kügel-chen verbrauchte, also nicht mehr nutzbare kognitiveRessourcen symbolisieren (▶ Abb. 1).

MerkeDie größten Einflussfaktoren auf unsere kognitivenRessourcen sind physische und psychische Einschrän-kungen wie beispielsweise Krankheit, Hunger, emo-tionale Belastungen durch personelle Konflikte oderschlichtweg Erschöpfung (Fatigue).

In Ergänzung zum Kapazitätenmodell der „grünen Kügel-chen“ lässt sich das Akronym IʼM-SAFE (▶ Tab. 1) betrach-ten, welches verschiedene Einflussfaktoren auf das per-sönliche Leistungsvermögen darstellt und im Rahmeneiner Selbstreflexion zu einem verbesserten Risiko-bewusstsein führen soll [4].

ÜberlebensstrategieIn der frühen menschlichen Entwicklungsgeschichte wa-ren in unmittelbaren Gefahrsituationen eine schnelle Dif-ferenzierung von Freund und Feind, aber auch sofort ver-fügbare Lösungsstrategien überlebenswichtig. Oftmalswar sogar die Geschwindigkeit, mit der eine Entschei-dung getroffen wurde, entscheidender als die Qualitätder getroffenen Entscheidung.

Während also in den vergangenen Jahrmillionen derMenschheitsentwicklung der Fokus auf einer möglichstschnellen Entscheidungsfindung lag, so erweist sich dieseStrategie in der heutigen modernen Arbeitsumgebungals eher hinderlich. Für kaum ein akutmedizinisches Prob-lem ist heute eine Entscheidung innerhalb von Sekundennotwendig. Auch körperliche Kraft spielt in der Bewälti-gung medizinischer Herausforderungen nur äußerst sel-ten eine Rolle.

em Prozess der bewussten Selbstreflexion mögliche Einfluss-sönliche Leistungsvermögen haben.

n

heitlich eingeschränkt?

r dem Einfluss von Medikamenten?

entan (beruflichen oder privaten) Stress?

r Einfluss von (Rest)alkohol und/oder Drogen?

erschöpft, müde und/oder ausgelaugt?

emotional belastet, mental abgelenkt oder hungrig?

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MerkeLeider können wir unsere archaischen Wurzeln nichtverleugnen, und so kann es passieren, dass gerade inkritischen Situationen dieses Kampf- oder Flucht-verhalten unser Verhalten dominiert.

Das Blutvolumen wird für eine optimale Muskeldurchblu-tung benötigt und dafür an anderer Stelle reduziert. Sokommt es u.a. zur Einengung des Sichtfeldes und zur Un-fähigkeit, Probleme zu verbalisieren. Aber auch die Anti-zipation der Situation oder die Durchführung filigranerMaßnahmen können in diesem Zustand erschwert sein[5].

viele „grüne Kügelchen“

= ausreichend

kognitive Ressourcen

wenig „grüne Kügelchen“

= mangelnde

kognitive Ressourcen

▶ Abb. 1 Kapazitätenmodell von Andreas Richter (nach Daten aus [3]).a Viele „grüne Kügelchen“ = ausreichend kognitive Ressourcen. Es beste-hen ein gutes Konzentrationsvermögen, Kommunikation auf Sachebene,eine objektive Wahrnehmung und Risikobewertung, Kreativität, Impro-visation und Handlungsstabilität.b Wenig „grüne Kügelchen“ = mangelnde kognitive Ressourcen. Es be-stehen ein geringes Konzentrationsvermögen, Kommunikation auf Bezie-hungsebene, eine eingeschränkte Wahrnehmung und Risikobereitschaft,Impulshandlungen und Handlungsinstabilität.

FALLBEISPIEL

Alexander hatte als Weiterbildungsassistent noch

nicht viel Erfahrung in der Versorgung von verletzten

Kindern sammeln können, und die Versorgung des

Kleinkindes stellte ihn vor eine enorme Herausforde-

rung. Das Kind war blass und hatte ein eher gräuliches

Hautkolorit, einThoraxtrauma war nicht sicher aus-

zuschließen.

Zur Verbesserung der Oxygenierung und Sicherung

der Atemwege entschied sich Alexander zu einer

endotrachealen Intubation. Da bei dem Kind immer

noch eine Schnappatmung vorlag, war dazu eine

Narkoseeinleitung notwendig, und diese wiederum

setzte die Anlage eines intravenösen Zugangs voraus.

Obwohl Alexander bemerkte, dass seine Hand zitter-

te, versuchte er zunächst in der rechten Ellenbeuge

die Anlage einer i. v. Kanüle. Nachdem dies misslang,

untersuchte er den linken Arm nach geeigneten

Venen, was ebenfalls in zwei frustranen Punktions-

versuchen mündete. Auch die intraossäre Punktion

des Tibiakopfes mit einer 25-mm-Nadel (G 15) schien

nur auf den ersten Blick erfolgreich zu sein. Allerdings

zeigte die Injektion der Medikamente zur Narkoseein-

leitung keinerlei Wirkung.

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In der Kasuistik verspürte Notarzt Alexander währendeiner kritischen Versorgungsphase genau diese Sympto-me, welche beinahe zu einem völligen Verlust seinerHandlungsfähigkeit geführt hätten.

Häufig lässt sich dieser Effekt auch in der Narkoseeinlei-tung beobachten, wenn junge Medizinstudierende ihreersten Intubationsversuche durchführen und spätestensbeim zweiten oder dritten (frustranen) Versuch der Un-terarm zu zittern beginnt. Gleichzeitig sind sie kaum inder Lage, die aktuellen Schwierigkeiten zu benennen ge-schweige denn zu beschreiben, wie sich die Epiglottisdarstellt.

Marx D, Lange P. Entscheidungsfindung in der… Notfallmedizin up2date 2019; 14: 71–8

MerkeDer Verlust kognitiver Ressourcen unter hoherAnspannung ist vielleicht eine der größten Heraus-forderungen, denen wir uns gerade in kritischenSituationen stellen müssen.

Auch heute noch sind in unserem Arbeitsumfeld diese ar-chaischen Handlungsmuster erkennbar. Jeder kennt Kol-leginnen und Kollegen, die in kritischen Situationen „he-rumbrüllen“ oder zu schnellen, zum Teil hektischen Be-wegungsabläufen neigen. Alternativ neigen manche zueinem Fluchtverhalten, indem sie einfach verschwindenoder sich hinter dem Einsatzprotokoll „verstecken“. ImVerlauf dieses Artikels gehen wir noch detaillierter aufdiese sogenannten „Impulshandlungen“ ein.

EntscheidungenFür den Entscheidungsprozess sind die genannten kogni-tiven Ressourcen von großer Wichtigkeit. Bevor wir dieverschiedenen Entscheidungsstrategien näher betrach-ten, empfiehlt sich ein Blick auf die einflussnehmendenFaktoren.

Die Fähigkeit, Entscheidungen zu treffen, ist – ebenso wiedie Qualität der getroffenen Entscheidung – maßgeblichvon Fachwissen, der bisherigen Erfahrung und der ver-fügbaren Zeit abhängig [6] (▶ Abb. 2).

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Zeit

hohe Dynamik

jetzt: ABCDE, Team-Ressource-

Management etc.

Informationsgewinn

jetzt: ABCDE, T.E.A.M.-TimeOut,

FORDEC, Fakten statt Fiktion

Ult

rad

ynam

ik

alle

Info

rmat

ion

en

verf

üg

ba

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Fokus auf relevante

Informationen und

Prioritäten

Risiko der

Impulshandlung!

Allgemeine Betriebsamkeit, Unruhe, Hektik.

Teammitglieder laufen/rennen und es besteht

die Gefahr einer Kampf- oder Fluchtreaktion.

Auch Fixierungsfehler oder der Verlust von

Struktur und Antizipation ist möglich.

Abläufe werden ruhiger

und weniger hektisch

▶ Abb. 2 Dynamik versus Information: Das Missverhältnis aus Dynamik und Information ist eine der großen Herausforderungenin kritischen oder komplexen Situationen der Akut- und Notfallmedizin. Kritische Situationen laufen häufig nach einem ähnlichenMuster ab. Initial steht eine hohe Dynamik umgekehrt proportional zum Informationsstand aller Beteiligten. Hier gilt: Gute Ent-scheidungen müssen auf soliden Informationen basieren!

HINTERGRUNDINFORMATION

Millerʼsche Zahl

Der Mensch kann gleichzeitig nur 7 ± 2 Informations-

einheiten („Chunks“) für etwa 15 Sekunden gleich-

zeitig und rekapitulierbar im Ultrakurzzeitgedächtnis

abspeichern. Die Aufnahmekapazität des Kurzzeit-

gedächtnisses ist genetisch festgelegt, sie kann auch

durch Gedächtnistraining nicht signifikant gesteigert

werden.

Der Artikel „The Magical Number Seven, Plus or Minus

Two: Some Limits on Our Capacity for Processing In-

formation“ von George A. Miller [8] ist einer der

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Waren die Rahmenbedingungen und äußeren Impulse inder Steinzeit noch halbwegs überschaubar, so haben wiruns in den vergangenen hundert Jahren eine zunehmendkomplexe Umgebung geschaffen. Neben multiplen Leit-linien, Algorithmen, klinikinternen Standards und einereher zunehmenden Anzahl diverser QM-Vorgaben arbei-ten wir z. B. häufig mit historischen und untereinanderkaum vergleichbaren Einheiten:▪ Millibar, mmHg oder cmH2O für Druckverhältnisse,▪ Einteilung von Lumina in mm-Durchmesser, Gauge,

Charrière oder French (wobei letztere sogar synonymdie gleiche Einheit beschreiben).

▪ In der Notfallmedizin wird dieses unübersichtlicheUmfeld häufig noch durch eine Vielfalt akustischerund optischer Signaltöne, zahlreiche Schnittstellen-und Adapterkomplikationen oder kaum standardisier-bare Einheiten erschwert (an dieser Stelle seien unter-schiedlichste Konzentrations- und Laufraten an Per-fusoren oder standortspezifische Dokumentations-und Protokollformulare erwähnt) [7].

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Hinzu kommt, dass wir kaum mehr als 7 Neuinformatio-nen für etwa 15 Sekunden rekapitulierbar in unserem Ul-trakurzzeitgedächtnis abspeichern können, bevor diesedurch weitere Informationen überschrieben werden(s. Infobox „Hintergrundinformation“).

meistzitierten Artikel in der Psychologie.

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Leider lässt sich seit einigen Jahren auch noch eine zuneh-mende „betriebswirtschaftliche“ Dynamik feststellen. Esist also nicht mehr nur der kritische Patient, der eine ge-wisse Ablaufgeschwindigkeit verursacht, sondern immerhäufiger auch die Zunahme eines kosten- und erlösorien-tierten Arbeitstempos. Ähnliche Begriffe im Kontext derGesundheitsökonomie sind Workload oder Arbeitsver-dichtung. Ohne Frage generiert ein akut vital bedrohterPatient eine erhebliche Dynamik, und diese wiederumkann aufgrund verminderter menschlicher Leistungs-fähigkeit zu fatalen Fehlern führen. Ungleich weniger Ver-ständnis lässt sich aber für menschliche Fehler aufbrin-gen, die durch eine Dynamik getriggert wurden, die eherbetriebswirtschaftlicher Natur ist.

Impulshandlung: unser archaisches Erbe

Eine entwicklungsgeschichtlich sehr alte Art der Ent-scheidung ist die sogenannte Impulshandlung. Hier gehtes um plötzliche Entscheidungen, die weniger auf der Ba-sis konkreter Informationen oder gar eines Abwägungs-prozesses getroffen werden, als vielmehr um die Fähig-keit, möglichst unmittelbar auf eine Situation zu reagie-ren. Auch hier ist die Grundlage ein möglichst schnellesErkennen von möglichen Gefahren. Ein Patient ist uner-wartet aggressiv und schlägt dem Arzt unvermittelt insGesicht. Sowohl der Schlag als auch der weitere Verlaufwerden in diesem Beispiel eher von Impulsivität geprägtsein. Im schlimmsten Fall entsteht eine wilde Schlägerei,die im Vorfeld weder geplant noch gewollt war.

Diese Impuls- oder auch Affekthandlungen sind in allerRegel spontan und setzen keinen bewussten Entschei-dungsprozess voraus. Sie entsprechen der bereits er-wähnten archaischen Kampf- oder Fluchtreaktion.

CaveBei dieser Art der Entscheidung ist es beinahe demZufall überlassen, ob die Maßnahme zielführend odernicht vielleicht sogar kontraproduktiv ist [9]!

Heuristik: Handlungsschablonen

Eine wesentlich differenziertere Entscheidungsart ist die„heuristische Entscheidung“. Diese entspricht einer Mi-schung aus intuitiven und erlernten Handlungsmustern,welche in Abhängigkeit von den Herausforderungenmehr oder weniger schnell zur Anwendung kommenund ein gewisses Informations- oder Wissensdefizit zu-nächst kompensieren können. Durch Ausbildung und ge-sammelte Erfahrungen entwickeln sich im weiteren Ver-lauf recht brauchbare „Handlungsschablonen“, die un-sere komplexe Arbeitsumgebung durch Fragmentierungerfassbarer machen. Bei diesem Entscheidungsprozessmuss ein ausreichend großes Zeitfenster bestehen, umEindrücke und daraus erworbene Informationen kognitivzu verarbeiten. Dabei findet zunächst unterbewusst einAbgleich mit ähnlichen oder vergleichbaren Situationenstatt. Dies ist auch der Moment, in dem sich das soge-

Marx D, Lange P. Entscheidungsfindung in der… Notfallmedizin up2date 2019; 14: 71–8

nannte „Bauchgefühl“ entwickelt und wir den Fokus un-serer Wahrnehmung oftmals intuitiv in eine bestimmteRichtung lenken.

Leider besteht in dieser Phase die realistische Gefahr, dasswir Opfer eines Fixierungsfehlers werden. Unsere Wahr-nehmung „klebt“ an einem Eindruck fest, und wir verlie-ren neben dem Gesamtüberblick auch die Objektivität,schlimmstenfalls sogar das Gefühl für räumliche und zeit-liche Verhältnisse. In Kombination mit vorgeprägten Ein-stellungen oder Stereotypen entsteht schnell eine Verzer-rung unserer Wahrnehmung. So gelangen wir vorschnellzu einer festen Überzeugung, was zu drastischen Fehlein-schätzungen und unangemessenen Maßnahmen führenkann.

MerkeGrundsätzlich jedoch helfen uns diese Handlungs-schablonen, klassische Standardsituationen rasch zuerfassen und zielführende Entscheidungen zu treffen.

Zum besseren Verständnis kann man sich diese Hand-lungsschablonen in Schubladen vorstellen. Jeder von unsverfügt über eine ganze Reihe dieser Schubladen, undmit zunehmender Erfahrung steigt auch die Anzahl derverfügbaren Schubladen. In diesen Schubladen werdenmit den Erfahrungsjahren aber nicht nur bewährte Hand-lungsschablonen eingelagert. Auch weitere für den Ent-scheidungsprozess relevante Aspekte wie beispielsweisehandwerkliche Fertigkeiten (Skills) oder Strukturelemen-te werden dort für den schnellen Zugriff hinterlegt [10].

Beispiel: Ein Rettungsteam wird aufgrund akuter Dys-pnoe zu einem „COPD-Patienten mit Heimsauerstoff“alarmiert. Beim Eintreffen ist sicher keine Impulshand-lung notwendig, allerdings steht aufgrund des typischenSettings sehr schnell die Diagnose einer infektexazerbier-ten COPD im Raum. Der Notarzt nutzt also seine bewähr-te Handlungsschablone „Exazerbierte COPD“ aus seiner„Atemnotschublade“ und leitet auf dieser Basis eine ent-sprechende Therapie ein. Da er sich regelmäßig fortbil-det, ist seine Handlungsschablone glücklicherweise leit-linienkonform und somit deckungsgleich mit den Stan-dards der Notfallsanitäter.

Probleme entstehen immer dann, wenn vorschnell oderaufgrund einer Fehleinschätzung die falsche Handlungs-schablone angesetzt wurde. So könnte der o.g. COPD-Patient ebenso gut eine kardiopulmonale Dekompensa-tion erlitten haben und gerade ein progredientes Lun-genödem entwickeln. Klinisch stellt sich eine exazerbier-te COPD häufig ähnlich dar wie eine beginnende pulmo-nale Stauung. Unter dem Einfluss einer mentalen Prä-gung (Alarmmeldung: „COPD mit Atemnot“) und mögli-cherweise reduzierten kognitiven Ressourcen („16. Ein-satz, morgens um 4 Uhr“) kann es schnell zu einer vorein-genommenen Beurteilung der Situation kommen.

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CaveDie Beeinflussung unserer Wahrnehmung durchdas initiale Meldebild wird häufig unterschätzt.Hier empfehlen sich eine möglichst neutrale Heran-gehensweise sowie eine standardisierte Diagnostikbei jedem Patienten.

Im aktuellen Beispiel hat sich das Einsatzteam bereits vordem Eintreffen auf eine sehr spezifische Handlungs-schablone geeinigt und denkt gar nicht daran, andere Ur-sachen einer Atemnot abzuklären. Dadurch entsteht einhohes Risiko, dass der Patient bis zur Übergabe in derZielklinik ein falsches oder zumindest unvollständiges Be-handlungsregime erhält.

TIPP

Im Verlauf einer Behandlung die Schublade oder

Schablone zu wechseln, fällt vielen äußerst schwer.

Hier kann eine strukturierte Reevaluation durchaus

hilfreich sein, um auf eine veränderte Lage reagieren

zu können.

Weitere Beispiele: Eine Schlaganfallsymptomatik, welchesich im Verlauf als Hypoglykämie herausstellt, oder dievermeintliche Alkoholintoxikation, welche sich schluss-endlich als Hirnblutung entpuppt. Im weiteren Verlaufdieses Artikels werden konkrete Strategien und Tools zurstrukturierten Entscheidungsfindung vorgestellt.

Algorithmus: Warum wir nicht wie Computerdenken

Ein sehr differenzierter Entscheidungsprozess ist der Al-gorithmus. Hier hat sich meist eine Expertengruppe übereinen längeren Zeitraum sehr intensive Gedanken überdie bestmögliche Versorgungsstrategie bei einer be-stimmten Diagnose gemacht und diese in Form einesstrukturierten Algorithmus formuliert. Leider bean-sprucht die Umsetzung dieses häufig eher komplexen Al-gorithmus eine größere Zeitspanne, und die Realisierungist oft nur unter Einsatz von Hilfsmitteln (z. B. einlaminier-te Übersicht) möglich. Hinzu kommt das Problem, dassdie Darstellung eines Algorithmus mit oftmals parallelverlaufenden und untergliederten Verlaufsoptionenkaum unsere menschliche Denk- und Entscheidungswei-se widerspiegelt. Während beispielsweise Computersys-teme auf Basis von Algorithmen entscheiden, ist derMensch kaum in der Lage, zeitgleich mehrere Entschei-dungsoptionen zu antizipieren.

Natürlich erscheint der Gedanke reizvoll, dass der Menschgerade in kritischen Situationen seinen Informations-zugriff ähnlich gestaltet wie die Ordnerstruktur einesComputers. Leider ist dies nicht der Fall und wäre – wennüberhaupt – nur mithilfe eines intensiven Trainings mög-lich. Auch eine Risikoevaluation verschiedener Optionen

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ist kaum zeitlich parallel möglich, da wir Menschen eher„hintereinander“ denken und entscheiden können [11].

MerkeDer Mensch ist kaum in der Lage, zeitgleich mehrereEntscheidungsoptionen zu antizipieren, ebenso we-nig ist die Risikoevaluation verschiedener Optionenzeitlich parallel möglich.

In der Herausforderung strukturierter Entscheidungsfin-dung hat sich nun das FORDEC-Modell bewährt, welchesviel eher der menschlichen Entscheidungsweise ent-spricht und ein wichtiges Hilfsmittel im Entscheidungs-prozess sein kann. Dieses Modell werden wir noch einge-hend erläutern (s. Infobox u. ▶ Abb. 3).

Ist das also nun das Ende aller Algorithmen? Müssen wirdie algorithmusbasierten Behandlungsstrategien über-denken oder gar abschaffen? Diese Schlussfolgerung wä-re weder angemessen noch zielführend. Allerdings müs-sen wir aus den Erkenntnissen zu menschlichen Denk-und Entscheidungsweisen einige konkrete Modifikatio-nen ableiten.

Zunächst erscheint es sinnvoll, einen Algorithmus in klareBehandlungspfade oder sogenannte „Standardarbeits-anweisungen“ (SAA) zu überführen. Auch eine konkreteCheckliste ist hier denkbar. Diese Optionen setzen eineklare Therapieentscheidung voraus und sind für den wei-teren Behandlungsverlauf meist linear gestaltet. Ein sehrgutes Beispiel ist die aufeinander aufbauende Strukturdes C-ABCDE, u. a. bei traumatischen Notfällen. Nebenkonkreten Maßnahmen innerhalb einzelner Buchstabenkönnen sogar seitliche Abgänge definiert werden, solan-ge diese nicht in parallel verlaufende Handlungsoptioneneinleiten.

Strukturierte Arbeitsanweisungen in Form von SAAs oderSOPs (Standard Operating Procedures) sollten innerhalbdes Teams akzeptiert sein und nach der theoretischenSchulung intensiv trainiert werden. Eine Nachhaltigkeitin der Durchführung entsteht nämlich erst durch die re-gelmäßige Anwendung dieser Arbeitsanweisung. Dahererscheint es sinnvoll, derartige Abläufe häufig anzuwen-den und, wenn diese Anwendung nicht durch reale Situa-tionen gegeben ist, sie im Rahmen hochwertiger Simula-tionen zu trainieren. Ein derart etabliertes Behandlungs-schema kann so im Laufe der Zeit zu einer hochwertigenHandlungsschablone werden, welche auch unter komple-xen oder dynamischen Bedingungen schnell und vollstän-dig zur Anwendung kommt.

Zusammengefasst unterscheiden wir also drei Entschei-dungsarten (s. Infobox).

nge P. Entscheidungsfindung in der… Notfallmedizin up2date 2019; 14: 71–87

PRAXIS

FORDEC-Prinzip

Das FORDEC-Prinzip (▶ Abb. 3) beschreibt eine Strategie der strukturierten Entscheidungsfindung und hilft in komplexen

oder dynamischen Situationen, eine strukturierte Entscheidung zu treffen. Dazu ist immer auch eine Abwägung von Vor-

und Nachteilen von Handlungsalternativen notwendig und sinnvoll.

Ziel ist es, Impulshandlungen zu vermeiden und einebestmögliche Entscheidung zugunsten des vereinbarten Gesamtziels

zu treffen.

Check (Kontrolle)

Riscs (Risiken)

Exec

ution

(Dur

chfü

hrung)

Decision

(Entscheidung)

▶ Abb. 3 Das FORDEC-Prinzip.

ÜBERSICHT

Entscheidungsarten

Impulshandlung

Entscheidungen innerhalb von maximal 3 Sekunden,

welche immer mit dem Risiko einer unüberlegten

Kampf- oder Fluchtreaktion verbunden sind.

Handlungsschablone

Heuristische, zum Teil intuitive Entscheidung, die nur

wenige Minuten in Anspruch nimmt undmaßgeblich

auf Erfahrungen beruht.

Algorithmen

Komplexe, zum Teil parallel verlaufende Handlungs-

pfade, welche viel Zeit in Anspruch nehmen und erst

durch intensive Schulung, Training undWiederholung

zu einer für den Menschen umsetzbaren Handlungs-

schablone aufbereitet werden müssen.

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Schwierigkeiten im Entscheidungsprozess entstehen im-mer dann, wenn für eine Situation keine Handlungs-schablone existiert oder die Anwendung eines komple-xen Algorithmus aus verschiedenen Gründen nicht mög-lich ist. Oftmals setzen zeitkritische Ereignisse nicht nurden Teamleader, sondern alle Beteiligte unter erhebli-chen Stress. In dieser Phase kann kaum erwartet werden,dass ausreichend kognitive Ressourcen (▶ Abb. 1) [3] vor-handen sind, um einen strukturierten Entscheidungspro-zess zu vollziehen. Dieser sollte neben einer objektiven Ri-sikoeinschätzung auch Handlungsalternativen oder sogarkreative Problemlösungsstrategien beinhalten und dasGesamtziel nicht aus den Augen verlieren. Ansonstenentsteht ein hohes Risiko für die Ausbildung von Fixie-rungsfehlern oder den Verlust von Antizipation.

MerkeEntscheidend ist hier die Unterbrechung der Dynamikdurch Konzepte wie „10 Sekunden für 10 Minuten“oder das T. E. A.M.-TimeOut (▶ Abb. 4).

777

Checklist

Unterbrechung aller Aktivitäten

(außer CPR)

Analysiere, bewerte und kommuniziere

die Situation

Plane und kommuniziere die nächsten

Schritte bzw. Maßnahmen

Durchführung der vereinbarten Schritte

bzw. Maßnahmen

imeOut

valuation

ntizipation

aßnahmeM

A

E

T

▶ Abb. 4 T.E.A.M.-TimeOut. Das T. E.A.M.-TimeOut dient der Restruk-turierung einer komplexen und/oder dynamischen Situation. Behand-lungsprioritäten werden erkannt, kommuniziert und in Maßnahmenüberführt, die dem angestrebten Gesamtziel dienen (CPR = kardiopulmo-nale Reanimation).

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Die Unterbrechung dient einer nachfolgenden Restruktu-rierung der kritischen (komplexen/dynamischen) Situa-tion.

In einem nächsten wichtigen Schritt werden im Rahmender Antizipation konkrete Ziele definiert. So werden alleTeammitglieder auf einen gleichen Informationsstandgebracht und die notwendigen Maßnahmen transparentund unter Berücksichtigung von Prioritäten bzw. dem an-gestrebten Gesamtziel eingeleitet (▶ Abb. 4) [5].

TIPP

Das T. E.A.M.-TimeOut ist eine Weiterentwicklung

des bekannten „10-für-10“-Prinzips und lässt sich

gut mit weiteren Entscheidungsstrukturen wie dem

ABCDE-Schema oder dem FORDEC-Konzept kom-

binieren. In der Gesamtsumme sollen diese Struk-

turen die Entscheidungsfindung optimieren.

Marx D, La

Im Hinblick auf die Kasuistik können wir bereits nachvoll-ziehen, welchen Herausforderungen sich Notarzt Alexan-der stellen musste. Aufgrund des Meldebildes und der Si-tuation vor Ort waren seine kognitiven Ressourcen ver-mutlich stark reduziert. Stress führte zur Aktivierung desSympathikus, Adrenalin verschob das Blutvolumen in dieMuskeln. In der Folge kam es zur Einengung des Sichtfel-des, der Reduktion von Kommunikation und der Unfähig-keit, vorausschauend zu planen. Aufgrund mangelnderErfahrung und keinerlei Training derartiger Situationenkonnte Alexander nicht auf bewährte Handlungsschab-lonen zurückgreifen. Ehrlicherweise ist zu vermuten, dassseine Schublade „Polytraumatisiertes Kleinkind“ kaummit Inhalten gefüllt war. Und wie heißt es so schön:

„Erfahrung ist etwas, das man ungefähr 5 Minutennach dem Moment bekommt, in dem man siegebraucht hätte.“

GesamtzielHerausforderungen, Probleme oder Schwierigkeiten er-fordern Entscheidungen. Bevor wir allerdings eine Ent-scheidung treffen, sollte der Grund für diese notwendigeEntscheidung klar benannt sein. Außerdem ist es sinnvoll,das gewünschte Gesamtziel für alle Beteiligten klar zu de-finieren. Dazu kann es hilfreich sein, Zwischen- oder Etap-penziele zu benennen. In der Projektarbeit spricht manauch von Meilensteinen, im militärischen Kontext vonMissionszielen.

In sehr komplexen Arbeitsumgebungen, die zusätzlichauch noch von dynamischen Abläufen geprägt sind, istdie Definition eines Gesamtziels oft recht schwierig. Zahl-reiche interne und externe Einflussfaktoren verschlech-tern die Sicht auf das Ziel, in der Folge kommt es häufigzu zeitlichen Verzögerungen, und schlimmstenfalls wirddas Gesamtziel komplett verfehlt.

Nun lässt sich in der Akut- und Notfallmedizin rechtschnell und einfach ein sehr allgemeines Gesamtziel defi-nieren: „Die bestmögliche Versorgung eines Patientenunter Berücksichtigung des (mutmaßlichen) Patienten-willens“. Leider ist diese Definition so simpel wie auch un-präzise, und allzu oft können wir dieses Ziel nicht auf ein-fachem, direktem Wege erreichen. Auch kann es unter-schiedliche Ziele in der Versorgung akutmedizinischerNotfälle geben, hier spielen zum Teil fachliche, mitunteraber auch sehr persönliche Motive eine Rolle. Viele in derAkut- und Notfallmedizin tätige Kolleginnen und Kolle-gen würden ohne jeden Zweifel das Patientenwohl alsoberste Handlungsdirektive betrachten. Hinterfragen wirdie einzelnen Entscheidungen aber etwas genauer, somüssen wir feststellen, dass sehr häufig auch der Wunschnach eigener rechtlicher Absicherung oder aber die Kon-fliktvermeidung mit Vorgesetzten an erster Stelle stehen.

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Das Patientenwohl erscheint diesen Zielen oft nach-geordnet.

Ein nicht zu unterschätzender Faktor im Entscheidungs-prozess ist die klassische hierarchische Struktur innerhalbeiner Klinik. 24% aller Mediziner vertreten die Meinung,dass unerfahrene Teammitglieder nicht die Entscheidungerfahrener Teammitglieder in Frage stellen sollten [12].

CaveDabei ist es weder eine Frage von Fachkompetenznoch Erfahrung, ob man Opfer eines Fixierungs-fehlers wird.

Unabhängig von Titel, Position und Rang kann das Ge-samtziel aus dem Fokus geraten, und für solche Momen-te brauchen wir Teammitglieder, die sich in ihrer Loyalitätweniger gegenüber der Autorität als vielmehr gegenüberdem Gesamtziel verpflichtet fühlen. Hier könnte eine ver-bale Intervention, ein sogenanntes Speak-up, dem Teamhelfen, eine notwendige Kurskorrektur durchzuführen.

Vielleicht ließe sich durch eine derartige Unterbrechungauch ein gravierender Fehler verhindern?

MerkeIm Sinne der Patientensicherheit wäre eine etablierteVeto-Kommunikation im Sinne eines Speak-ups oftwünschenswert.

Leider aber verdrängen wir dieses Korrektiv durch eineunangemessene Aura der Dominanz und Arroganz, diees gerade jungen Teammitgliedern sehr schwer macht,Bedenken oder Einwände zu äußern.

Ist das Gesamtziel nicht definiert oder zumindest unklar,besteht zusätzlich das Risiko einer individuellen Ziel-anpassung. In diesem Fall treten persönliche Interessenin den Vordergrund und damit das Patientenwohl in denHintergrund. Jeder wird in seinem inner- und außerkli-nischen Umfeld bereits die Erfahrung gemacht haben,dass die Bedienung einer eher persönlichen, subjektivenZielsetzung schnell zum Nachteil des ursprünglichen Ge-samtziels gerät.

TIPP

Und so sollte bei jeder Entscheidung, die am Kran-

kenbett getroffen wird, kritisch hinterfragt werden,

ob diese tatsächlich dem Patientenwohl entspricht

oder nicht vielleicht Kurs auf ganz andere Zielkoordi-

naten gesetzt wurde.

Marx D, Lange P. Entscheidungsfindung in der… Notfallmedizin up2date 2019; 14: 71–8

EntscheidungsfundamentDa Zeit ganz wesentlich Einfluss auf den Entscheidungs-prozess und somit auch auf die Entscheidungsqualität hat,lohnt sich ein Blick auf die Bestandteile einer Entschei-dung. Zunächst geht jeder Entscheidung eine gewisseProblemsituation voraus. Ob es um die Frage der mor-gendlichen Kleiderwahl geht oder die verschiedenenFrühstücksvarianten, die Wahl einer Punktionsstelle füreine i. v. Kanüle oder im Extremfall die Entscheidung zumAbbruch einer Reanimation – jede dieser Entscheidungenhat ein mehr oder weniger großes Zeitfenster, in dem nunverschiedene Optionen evaluiert werden müssen.

MerkeDie Kenntnis aller verfügbaren Optionen undArgumente ergibt sich aus Erfahrungswerten sowieden Informationen, die dem Entscheidungsträgerzur Verfügung stehen.

Im militärischen Führungsprozess (bis 1998 „Führungs-vorgang“) besteht ein strukturierter Denk- und Hand-lungsablauf, der dem FORDEC-Schema sehr ähnlich istund auf allen militärischen Führungsebenen, aber auchinnerhalb der polizeilichen und nichtpolizeilichen Gefah-renabwehr ständig genutzt wird. Er wird durch neue Auf-träge oder Lageentwicklungen ausgelöst. Inhalt, Umfangund Ablauf werden der jeweiligen Lage und dem jeweili-gen Auftrag angepasst. Hierbei gliedert sich der Prozessin die folgenden Phasen, die als Regelkreislauf ablaufen:▪ Lagefeststellung,▪ Planung,▪ Befehlsgebung und▪ Kontrolle.

Sie bauen aufeinander auf und ermöglichen folgerichti-ges Denken und Handeln. Engmaschig miteinander ver-woben wiederholen und ergänzen sie sich.

Ständige Lagefeststellung erkennt Veränderungen undbeurteilt sie. Die Beurteilung dient der Entscheidungsvor-bereitung und Planung von Handlungsalternativen, dieim Entschluss münden. Der Entschluss ist Kernstück deranschließenden Befehlsgebung, bei der auch das Zusam-menwirken der unterstellten und auf Zusammenarbeitangewiesenen Truppen koordiniert wird. Mit der Kontrol-le, die jeder Befehlsgebung folgt, schließt sich der Regel-kreislauf, da die im Rahmen der Kontrolle gewonnenenErkenntnisse wieder in die Lagefeststellung einfließen,um erneut beurteilt zu werden [13].

Im besten Fall verfügen wir bereits zu Beginn über einegeeignete Handlungsschablone, allerdings gibt es geradein der Akut- und Notfallmedizin immer wieder komplexeFragestellungen, die in ihrer Zielsetzung und damit imEntscheidungsprozess sehr individuell gehandhabt wer-den sollen.

797

FALLBEISPIEL

Da weiterhin eine nicht ausreichende Schnapp-

atmung sowie ein blass-graues, zunehmend zyano-

tisches, Hautkolorit bestanden, entschied Alexander,

eine weitere intraossäre Nadel in der rechtenTibia zu

platzieren. Er wiederholte die Prozedur und ver-

abreichte erneut die zur Narkoseeinleitung notwen-

digenMedikamente. Inzwischenwaren fast 5Minuten

vergangen, und der Zustand des Kindes war unver-

ändert kritisch. Er wusste, dass bei einer nach wie vor

bestehenden Schnappatmung eine suffiziente Siche-

rung der Atemwege kaummöglich war.

In diesemMoment bemerkte Alexander, wie sein

Mund sehr trocken wurde. Zeitgleich begann er zu

schwitzen, und neben der spürbaren Einengung

seines Gesichtsfelds entwickelte sich ein dumpfes

Rauschen in beiden Ohren. Ihmwurde bewusst, dass

er immer noch kein Konzept hatte, um diese Situation

beherrschbar zumachen. Auch die anderenTeam-

mitglieder waren nun außerstande, weitergehende

Entscheidungen zu treffen. Eine anwendbare Hand-

lungsstrategie schien bei keinem Teammitglied ver-

fügbar zu sein, was zu einer kurzzeitigen Stagnation

der Ereignisse führte.

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Im Fall des im Fallbeispiel geschilderten polytraumatisier-ten Kleinkindes wurde nach erster Evaluation ein kriti-sches A-, B- und C-Problem erkannt. Hier gibt ein linearerBehandlungspfad die einzelnen Schritte nach Prioritätvor, sodass der Notarzt die Entscheidung traf, den Atem-weg zu sichern, um eine bestmögliche Oxygenierung zuerreichen. Bei der weiterhin bestehenden Schnapp-atmung war dazu allerdings eine Narkoseeinleitung not-wendig, was wiederum die Anlage eines adäquaten Zu-gangs voraussetzt. Sein frustraner Versuch der i. v.-Kanü-lierung erhöhte allerdings den Handlungsdruck, worauf-hin sich der junge Notarzt zur Anlage einer intraossärenKanüle entschloss.

War diese Maßnahme das Ergebnis einer strukturiertenEntscheidungsfindung im Sinne des Führungsprozessesoder des FORDEC-Schemas? Welche Bausteine bildetenin dieser kritischen Phase sein Entscheidungsfundament?Erschien ihm die im Vorfeld bereits mehrfach trainierteHandlungsschablone „intraossäre Punktion“ zielführend?Fühlte er sich sicher in der Maßnahme? Gab es alternativeOptionen, um die Narkose einzuleiten und was wäre seinPlan C gewesen?

Es ist zu vermuten, dass der Notarzt aufgrund des gerin-gen Zeitfensters ein nur wenig belastbares Entschei-dungsfundament erstellt hatte und zumindest zu diesem

Marx D, La

Zeitpunkt nicht über ausreichend kognitive Ressourcenverfügte, um einen Plan C zu antizipieren, der über eineintraossäre Kanülierung hinausging. Spätestens nachdem zweiten frustranen Versuch einer intraossären Anla-ge befand er sich außerhalb des für ihn antizipierbarenBereiches: Weder gab es eine weiterführende Strategienoch eine geeignete Handlungsschablone, geschweigedenn eine vorbereitete Alternative. In diesem Momentkann man es als reines Glück bezeichnen, dass ihm diebeiläufige Bemerkung des Pädiaters in seinem Studiumeinfiel und er gleichzeitig genug Handlungsdruck ver-spürte, die Maßnahme in dieser Situation erstmals undtrotz möglicher Bedenken umzusetzen.

Ein ganz ähnliches Entscheidungsfundament sollten wirübrigens auch im Rahmen einer kardiopulmonalen Reani-mation erstellen. Früher oder später stehen wir nämlichimmer vor der Frage, ob wir die bereits begonnenen Re-animationsmaßnahmen eskalieren lassen oder aber einwürdevolles Ende finden. Für diese Entscheidung sindzahlreiche Informationen notwendig:▪ Alter des Patienten,▪ initialer EKG-Rhythmus und reversible Ursachen,▪ Auffindesituation bzw. potenzielle No-Flow-Time,▪ exspiratorisches CO2,▪ Vorerkrankungen,▪ Patientenverfügung bzw. der mutmaßliche Patienten-

wille,▪ Angehörige,▪ aber auch eine realistische Überlebensperspektive.

Die Beendigung einer Reanimation ist sicher keine Ent-scheidung, die wir uns zu leicht machen sollten. Aber esmuss zeitnah entschieden werden, ob wir einen Patientenggf. unter Einsatz mechanischer Reanimationshilfen inein geeignetes Zentrum transportieren oder im Konsensmit dem Rettungsteam und den Angehörigen die Maß-nahmen einstellen. Hier gibt es keine objektiven und all-gemeingültigen Handlungsschablonen, und auch ein Al-gorithmus wäre gerade hinsichtlich der ethischen Aspek-te kaum zu formulieren.

TIPP

Allerdings sollte man sich in derartigen Situationen

immer die Zeit nehmen, ein stabiles Entscheidungs-

fundament zu errichten, weil die darauf aufbauende

Entscheidung endgültig und unumkehrbar sein wird.

Hier wäre eine Checkliste möglich, oder aber die

strukturierte Evaluation aller verfügbaren Informa-

tionen im Sinne einer „10-für-10“-Strategie oder

eines T. E.A.M-TimeOut.

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FehlentscheidungenNatürlich beinhaltet jede Entscheidung auch das Risiko,eine falsche Entscheidung zu treffen. Jedoch gilt geradein der Akut- und Notfallmedizin oftmals der Spruch: Garnicht zu entscheiden ist die schlimmste Entscheidung.Dabei sollten sich Entscheidungen immer auf das bereitserwähnte Gesamtziel beziehen. Mit jeder Entscheidungmüssen wir uns also die Frage stellen: Dient diese Ent-scheidung (inklusive der daraus resultierenden Maßnah-men) in direkter oder zumindest indirekter Weise demgewünschten Gesamtziel?

Steht uns ein ausreichend großer Zeitrahmen zur Ver-fügung, sind wir meist in der Lage, ein tragfähiges Ent-scheidungsfundament zu errichten. Manchmal sind wirallerdings gezwungen, Entscheidungen auf sehr wenige,mitunter unvollständige oder unbestätigte Informatio-nen zu stützen. Dynamische Situationen lassen oftmalsauch keine weitere Informationsbeschaffung zu, sodasseine Entscheidung auf einem eher instabilen Fundamentbasiert.

Unter Kenntnis und Einbeziehung aller relevanten Infor-mationen kann man in der retrospektiven Betrachtungnun zu der Erkenntnis gelangen, dass diese Entscheidungfalsch war. Vielleicht war sie nicht zielführend, eventuellnicht angemessen im Sinne einer Nutzen-Risiko-Abwä-gung.

Ex-ante-Perspektive

Im juristischen Kontext hat sich der Begriff der Ex-ante-Perspektive (ex ante = lat. „aus vorher“) etabliert, der diePerspektive aus Sicht des Entscheiders zu einem Ent-scheidungszeitpunkt X definiert [14,15]. Wurde eine Ent-scheidung auf Basis aller zu diesem Zeitpunkt verfüg-baren (!) Informationen getroffen, die nach mensch-lichem Ermessen weder vorsätzlich noch fahrlässig falschist, sondern in ihrer Intention dem gesetzten Gesamtzieldiente, so müssen wir bereit sein, dieser Entscheidungdas nötige Verständnis, ggf. auch eine gewisse Nachsichtentgegenzubringen.

Merke„Hinterher ist man immer schlauer“ ist hier einewichtige Erkenntnis, die uns lehren soll, zunächst diePerspektive des Entscheidungsträgers einzunehmen,bevor wir ihn rückblickend für seine getroffenenEntscheidungen verurteilen oder sogar bestrafen.Diese Erkenntnis hat durchaus das Potenzial, unserebisherige Fehlerkultur zu verändern.

Marx D, Lange P. Entscheidungsfindung in der… Notfallmedizin up2date 2019; 14: 71–8

WerkzeugeIn den vergangenen Jahren haben sich zahlreiche Strate-gien und Konzepte mit der Herausforderung kritischerEntscheidungsprozesse beschäftigt. Einige entstammender Luftfahrt, andere wurden infolge dramatischer Fehl-entscheidungen entwickelt.

CaveIn akut kritischen Situationen steht eine hoheDynamik einer geringen Anzahl verfügbarerInformationen gegenüber (▶ Abb. 2).

PRINZIP

Grundsätzlich dienen alle aktuellen Entscheidungs-

hilfen der Reduktion von Dynamik und Komplexität

und damit der besseren Erfassung von Informationen

und deren kognitiver Verarbeitung. So sollen Impuls-

handlungen möglichst vermieden werden und auch

scheinbar geeignete Handlungsschablonen nicht

vorschnell zum Einsatz kommen.

Es geht fast immer um einen strukturierten Ent-

scheidungsprozess, um schlussendlich die Entschei-

dungsqualität zu verbessern.

Strukturiertes und standardisiertes Arbeiten

In der präklinischen Versorgung von Schwerstverletztenhat sich das Schema C-ABCDE weitestgehend durch-gesetzt. Nahezu jedes etablierte Trainingsformat nutztdiese (oder sehr vergleichbare) Strukturen zur schnellenErfassung und Versorgung relevanter Diagnosen nachdem Prinzip „Treat first what kills first“. Dadurch hat sichnicht nur ein einheitlicher Handlungsablauf etabliert,auch die Kommunikation im Rahmen der Traumaversor-gung scheint effizienter und effektiver zu sein. Das C-ABCDE-Schema setzt gerade in dynamischen und häufigkomplexen Situationen klare Prioritäten, bietet eine ein-heitliche Kommunikation und definiert für alle Beteiligteneinen strukturierten Entscheidungs- und Handlungspfad[16].

817

FALLBEISPIEL

In diesemMoment erinnerte sich Alexander an eine Situation im

praktischen Jahr seinerMedizinerausbildung, in der ein Pädiater eher

beiläufig erwähnt hatte, dass bei Säuglingen und Kleinkindern zur

Not auch die Punktion der V. femoralis mit einer i. v.-Kanüle (G18–

G14) möglich ist.

In dieser Ultima-Ratio-Situation nahm er also eine G-16-Kanüle und

konnte dank der schwach tastbaren A. femoralis die Leistenvene er-

folgreich punktieren und darüber eine Narkose einleiten. Im wei-

teren Verlauf war die Intubation des Kindes problemlos möglich.

Unter moderater Volumensubstitution konnte der Kreislauf stabili-

siert und der Transport in ein Traumazentrummit pädiatrischer An-

bindung durchgeführt werden. In der weiteren Diagnostik zeigten

sich neben einer Schädelbasisfraktur eine Leber- und Darmruptur,

eine komplexe Beckenfraktur sowie eine beidseitige Femurschaft-

fraktur.

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CME-Fortbildung

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Time-out: Handlungsunterbrechung

Eine weitere große Herausforderung im Entscheidungs-prozess ist die verfügbare Zeit. Der kritische Patient gibtzweifelsohne eine gewisse Dynamik vor, und diese kannzu einer Limitierung menschlichen Leistungsvermögensführen. Erwähnt wurden bereits die Reduktion von Kom-munikation, der Verlust eines objektiven Risikobewusst-seins und die Einschränkung der Fähigkeit zu antizipieren.In solchen Situationen finden Entscheidungsprozesseentweder zu schnell (Impulshandlungen) oder deutlichverzögert statt. Beides kann in der Versorgung kritischkranker oder verletzter Patienten fatale Folgen habenund im schlimmsten Fall zu einem vollständigen Verlustder Handlungsfähigkeit führen.

In den vergangenen Jahren haben sich, unter anderemdurch die Etablierung hochwertiger Simulationstrainingsin der Notfallsanitäterausbildung, gute Strategien ent-wickelt, die der Reevaluation und Restrukturierung kriti-scher Ereignisse dienen. Das „10-für-10“-Prinzip besagt,dass vor wesentlichen Entscheidungen zunächst einekognitive Phase (sinnbildlich 10 Sekunden) eingehaltenwerden soll, um das Risiko einer unüberlegten (Im-puls)handlung zu minimieren. Dadurch soll verhindertwerden, dass das Team eine unnötige Zeitverzögerung(sinnbildlich 10 Minuten) für nicht zielführende Maßnah-men generiert [17].

In einer Weiterentwicklung des 10-für-10 bietet bei-spielsweise das T. E.A.M.-Schema (s. ▶ Abb. 4) eine klareHandlungsanweisung zur strukturierten Reevaluationund zielorientierten Entscheidungsfindung in kritischenSituationen:▪ Mithilfe des T. E.A.M. leitet idealerweise (aber nicht

zwingend) der Teamleader vor, während oder nach

Marx D, La

kritischen Versorgungsphasen zunächst eine Hand-lungsunterbrechung (T = „Time-out!“) ein.

▪ Alle Teammitglieder, die nicht mit einer akuten oderlebenserhaltenden Maßnahme (z.B. Herzdruckmassa-ge, manuelle Beatmung) beschäftigt sind, unterbre-chen ihre Tätigkeit und beteiligen sich aktiv an derEvaluation oder Reevaluation (E) der aktuellen Situa-tion. Eine Kombination mit dem bewährten C-ABCDE-Schema ist hierbei absolut möglich.

▪ Im Rahmen dieser (Re-)Evaluation sollten Problemeoder Herausforderungen klar benannt, aber auchmögliche Fixierungsfehler demaskiert werden.

▪ In einem nächsten Schritt findet die Antizipation (A)statt, in der die nächsten Schritte, Maßnahmen oderZiele definiert werden. Bedenken oder eine möglicheGefährdung der Patientensicherheit können und sol-len in diesem Abschnitt im Sinne eines „Speak-up“ ge-äußert werden.

▪ Abschließend werden die im T. E.A.M.-Prozess ge-wonnenen Erkenntnisse klar kommuniziert und diebesprochenen Maßnahmen (M) verbindlich durch-geführt [5].

In der Kasuistik wäre ein guter Moment für eine Restruk-turierung nach T.E.A.M. die frustrane intraossäre Medi-kamentenapplikation gewesen. Im Rahmen der Antizipa-tion hätte man außerdem das Prinzip FORDEC anwendenkönnen, um im Team verschiedene Handlungsalterna-tiven oder Optionen zu erörtern, die ebenfalls das Poten-zial einer zielführenden Lösung geboten hätten. So war esletztendlich eher dem Zufall geschuldet, dass der Notarztplötzlich eine Idee hatte, die letztlich zum Gesamtzielführte.

Entscheidungsstrukturen

Eine weitere in der Luftfahrt gut etablierte Entschei-dungsstruktur ist das bereits mehrfach erwähnte FOR-DEC-Schema (s. Infobox oben u. ▶ Abb. 3). Hierbei wirdberücksichtigt, dass Entscheidungen in kritischen Situa-tionen häufig dynamisch sind und sich Entscheidungenden ständigen Veränderungen anpassen müssen. Zu-nächst beinhaltet jede Situation eine gewisse Faktenlage.▪ Wie viele Fakten (F) wiederum zur Verfügung stehen,

hängt u. a. von der Zeit ab, die für eine Informations-beschaffung zur Verfügung steht.

▪ Auf Basis dieser Fakten werden nun verschiedene Op-tionen (O) benannt und diese mit ihren jeweiligen Vor-und Nachteilen sowie möglichen Risiken (R) evaluiert.

▪ Anschließend ist es nötig, eine Entscheidung (Deci-sion) zu treffen und diese in der Folge auch durch-zuführen (Execution).

▪ In einem abschließenden Check (C) kann nun über-prüft werden, ob die getroffene Entscheidung bzw.Maßnahme zielführend war.

In jedem Fall besteht nun eine neue Faktenlage, die wie-derum verschiedene Optionen bietet.

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PRINZIP

Ziel ist es, auch in kritischen Situationen Entschei-

dungen zu treffen, die aufgrund einer Abwägung

verschiedener Alternativen mehrheitlich als die best-

möglichen eingeschätzt wurden. Dies soll das Risiko

einer unüberlegten (Impuls)handlung minimieren

[18].

Die Kenntnis und Anwendung dieses Schemas kann dieQualität von Entscheidungen in der Akut- und Notfall-medizin möglicherweise deutlich verbessern und solltedaher in der Aus-, Fort- und Weiterbildung berücksichtigtwerden.

Hilfsmittel

Es gibt zahlreiche weitere Hilfsmittel und bewährteStrukturen zur Verbesserung der Entscheidungsqualität.Neben Algorithmen und Standardarbeitsanweisungen(SAA) bzw. Standard Operating Procedures (SOP) bietetauch eine Checkliste eine Unterstützung im Entschei-dungsprozess. Diese darf und sollte nicht mit der soge-nannten „Bestückungsliste“ verwechselt werden, die imakutmedizinischen Arbeitsbereich auch häufig als„Checkliste“ bezeichnet wird!

TIPP

Die Anwendung einer Checkliste für komplexe oder

riskante Maßnahmen sollte idealerweise einfache

und strukturierte Hilfestellungen bzw. Anweisungen

in komplexen und/oder dynamischen Situationen

bieten. Dadurch werden kognitive Schwächen kom-

pensiert und das Risiko emotionaler „Bauchentschei-

dungen“ vermindert.

Eine Checkliste kann außerdem dazu dienen, dass

wichtige Aspekte berücksichtigt werden, die stress-

bedingt außerhalb der situativen Wahrnehmung

liegen. So kann beispielsweise im Rahmen der Not-

fallintubation schon die Vorbereitung einer Atem-

wegsalternative auf der Checkliste abgebildet sein,

die primär vielleicht gar nicht erwogen wurde, bei

Misslingen der Atemwegssicherung aber dadurch

viel schneller verfügbar ist.

Als Äquivalent zum fliegerischen „Notverfahren“ er-scheint es sinnvoll, spezielle Checklisten für eher seltene,dafür aber extrem zeitkritische und akut lebensbedrohli-che Situationen zu entwickeln. Das Konzept derartigerActionCards wurde 2017 entwickelt und beinhaltet dieenge Verknüpfung einer klaren, sehr übersichtlichen undzwingenden Handlungsanweisung und beinhaltet darü-ber hinaus das regelmäßige Training der aufgeführtenAbläufe.

Marx D, Lange P. Entscheidungsfindung in der… Notfallmedizin up2date 2019; 14: 71–8

Nach dem Prinzip „6 × 6 × 6 ד wird jedem akut- und not-fallmedizinischen Arbeitsbereich (z.B. Präklinik, Anästhe-sie, Geburtshilfe) empfohlen, bis zu 6 ActionCards zu ent-wickeln. Diese sollten mit jeweils maximal 6 Handlungs-anweisungen belegt werden. Wenn diese dann Bestand-teil regelmäßigen Trainings werden, besteht die berech-tigte Hoffnung, dass sich bei den Beteiligten brauchbareHandlungsschablonen entwickeln.

Nach dem „Sechser-Prinzip“ erscheint hier die Durchfüh-rung von 6 Trainings pro Jahr pro ActionCard sinnvoll. Inder momentanen Trainingskultur innerklinischer Arbeits-bereiche erscheint ein derartiger Aufwand kaum mach-bar, im Vergleich zur Luftfahrt sollten wir uns aber durch-aus die Frage stellen, welchen Stellenwert unsere Ent-scheidungs- und Handlungsstabilität gerade in medizi-nisch kritischen Situationen haben soll.

Dieses Training muss nicht zwingend den Kriterien einerHigh-Fidelity-Simulation entsprechen, aber auf Basis derActionCards ergeben sich zahlreiche Möglichkeiten dertheoretischen und praktischen Auseinandersetzung mitdem Thema „Notverfahren“. Sie bieten eine kostengüns-tige Vorlage zur Implementierung regelmäßiger Struktur-und Ablauftrainings in akut- und notfallmedizinischen Ar-beitsbereichen.

In der Präklinik bietet sich hierfür die Cannot-ventilate-cannot-intubate-Situation an. In der Anästhesie erscheinteine entsprechende ActionCard zum Sofortmanagementder malignen Hyperthermie sinnvoll.

MerkeActionCards ersetzen sicherlich keine SAA, SOPoder Leitlinien. Aber sie sind möglicherweise dazugeeignet, Entscheidungs- und Handlungsabläufe inkritischen Situationen zu verbessern.

Supervision und Debriefing

Auch wenn es in der präklinischen und innerklinischenNotfallmedizin aktuell kaum eine Kultur der strukturier-ten Supervision gibt, so zeigt sich doch gerade in Simula-tionsszenarien, wie effektiv Entscheidungs- und Maßnah-menprozesse unter dem Einfluss eines Supervisors seinkönnen. Als interessantes und vielversprechendes Projektsei an dieser Stelle das Konzept „Field Supervisor“ derWiener Berufsrettung genannt, die mit einer konsequen-ten Präsenzsupervision am Einsatzort beeindruckendeZahlen zur Versorgungsqualität präklinischer Notfall-patienten generieren [19].

Der Vorteil einer Supervision liegt in der Konzentrationauf kognitive Prozesse sowie der Fokussierung auf das an-gestrebte Gesamtziel. Dem Supervisor fällt es daherdeutlich leichter, Entscheidungen im Kontext der aktuel-len Situation und im Hinblick auf das gewünschte Ergeb-nis zu evaluieren.

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KERNAUSSAGEN

▪ In dynamischen Situationen besteht ein Risiko, dass

Entscheidungen emotional oder impulsiv getroffen

werden. Dies kann sowohl die Objektivität als auch

das gewünschte Entscheidungsziel gefährden.

▪ Unter hohem Stress kommt es zu einer verstärkten

Muskelperfusion. Diese geht häufig zulasten der

Hirnperfusion. In der Folge könnenTunnelblick,

reduzierte Kommunikation und eine voreilige

Meinungsbildung die Qualität der Entscheidungen

negativ beeinflussen.

▪ Komplexität kann den Verlust der situativen Wahr-

nehmung verstärken. Die für den Entscheidungs-

prozess relevanten Informationen könnenmög-

licherweise nicht mehr objektiv wahrgenommen

oder bewertet werden.

▪ Für eine hochwertige Entscheidungsfindung ist es

wichtig, dass alle im Team das Gesamtziel kennen.

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CME-Fortbildung

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Im unmittelbaren Entscheidungsprozess ist das Debrie-fing zwar kaum hilfreich, retrospektiv gesehen kann aberin der Kombination aus Supervision und einem konstruk-tiven Nachgespräch die Entscheidungsfindung sowie Ent-scheidungsqualität aufgearbeitet werden. Aus einem da-raus abgeleiteten Erkenntnisgewinn kann für zukünftigeEntscheidungen möglicherweise eine Verbesserung ge-schaffen werden. Dies funktioniert natürlich nur in einerKultur gegenseitiger Wertschätzung sowie dem Wunscheiner ständigen Leistungsverbesserung aller Beteiligten.

MerkeNicht umsonst ist das Debriefing ein wesentlicher,wenn nicht der wichtigste, Bestandteil eines Simula-tionstrainings. Daher sollten wir uns trotz (oder ge-rade aufgrund) des hohen Arbeitstempos die Zeitnehmen, echte oder simulierte Einsatzsituationennachzubesprechen und dabei auch die Entschei-dungsfindung entsprechend berücksichtigen.

Nur so kann in einer funktionierenden Kultur des

Team-Ressource-Managements der Entschei-

dungsprozess zielorientiert ablaufen.

▪ In akuten oder unübersichtlichen Situationen ist ein

strukturierter Entscheidungsprozess essenziell, um

strategische Prioritäten zu setzen.

▪ Hilfreiche Strukturen im Entscheidungsprozess

sind beispielsweise das ABCDE-Schema, welches

nach dem Prinzip „Treat first what kills first“ auf-

gebaut ist. Auch das Akronym FORDEC dient der

Evaluation möglicher Optionen sowie von deren

Vor- und Nachteilen in dynamischen Entschei-

dungsprozessen.

▪ Checklisten und das regelmäßige Training kom-

plexer Entscheidungsprozesse sollen helfen,

die Entscheidungs- und Handlungsfähigkeit in iche

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SchlussfolgerungenDer vorliegende Artikel stellt dar, auf welcher Grundlagemenschliche Entscheidungen getroffen werden. Es wirdallerdings deutlich, weshalb diese Entscheidungen auchfehleranfällig sind und welche Methoden existieren, umdie in den Human Factors begründeten Fehler zu reduzie-ren. Während die Grenzen menschlichen Leistungsver-mögens recht gut erforscht und deren Beachtung glück-licherweise mittlerweile auch in der Medizin etabliertsind, ist der Nutzen einzelner Methoden und Hilfsmittelzur Fehlervermeidung noch nicht hinreichend belegbar.Hier besteht noch Forschungsbedarf. Nach Ansicht desAutors ist dies am ehesten durch empirische Verhaltens-forschung in einer Simulationsumgebung zu erreichen.

kritischen Situationen zu verbessern. Die Etablie-

rung von Checklisten sowie regelmäßigem (Simu-

lations)training sollte ein wichtiger Bestandteil

der präklinischen und klinischenTätigkeit sein.

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Interessenkonflikt

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D. Marx gibt an, als Gründer und Geschäftsführer der Faktor-

Mensch GbR tätig zu sein.

Entscheidungsfindung in der… Notfallmedizin up2date 2019; 14: 71–87

Autorinnen/Autoren

Marx D, Lange P. Entsc

Daniel Marx

Geboren 1974 in Garmisch-Partenkirchen, auf-gewachsen in Ostwestfalen, nach dem Abitur1995 Studium im Ruhrgebiet. Facharztausbil-dung und klinische Tätigkeit in der Anästhesio-logie am EvKB Bielefeld und Klinikum Bielefeld.Langjährige Tätigkeit in der Notfallmedizin,

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seit 2007 auch als Dozent und Instruktor in der notfall-medizinischen Aus-, Fort- und Weiterbildung. Gründer undGeschäftsführer der FaktorMensch GbR seit 2010.

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Patrik Lange

Geboren 1984 in Berlin, nach dem Abitur 2003Ausbildung zum Rettungsassistenten und Auf-nahme einzelner Lehraufträge in Rettungs-dienstschulen. Pädagogische Ausbildung mitStaatsexamen 2010, Prüfung zum Notfall-sanitäter 2015, Studium Pädagogik im Gesund-

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heitswesen, Schwerpunkt Notfallpädagogik, mit Abschluss

2018. Seit 2011 hauptberuflich an der Berliner Feuerwehr-und Rettungsdienst-Akademie als Lehrkraft und regelmäßigim rettungsdienstlichen und feuerwehrtechnischen Einsatz-dienst sowie als Instruktor für verschiedene zertifizierteKurssysteme in der präklinischen Notfallmedizin tätig.

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Korrespondenzadresse

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Daniel Marx

Lessingstraße 2a33604 [email protected]

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Wissenschaftlich verantwortlich gemäß Zertifizierungs-bestimmungen für diesen Beitrag ist Daniel Marx, Bielefeld.

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Literatur

[1] Helmreich RL, Chidester TR, Foushee HC et al. How effective isCockpit Resource Management training? Issues in evaluatingthe impact of programs to enhance crew coordination. FlightSafety Digest 1990; 9: 1–17. (Arlington, VA: Flight SafetyFoundation)

[2] Koppenberg J, Henninger M, Gausmann P et al. Patientensi-cherheit im Rettungsdienst: Welchen Beitrag können CRMund Teamarbeit leisten? Notarzt 2011; 27: 249–254.doi:10.1055/s-0031-1276905

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[4] Federal Aviation Act of 1958; Doc. No. 18334, 54 FR 34292,Aug. 18, 1989, as amended by Amdt. 91-291, June 21, 2006

heidungsfindung in der… Notfallmedizin up2date 2019; 14: 71–8

[5] Marx D. Faktor Mensch®. Sicheres Handeln in kritischen Situa-tionen. 2. Aufl. Kiel: MEDI-LEARN GbR; 2017

[6] Kahneman D. Schnelles Denken, langsames Denken. Mün-chen: Siedler Verlag; 2012

[7] National Patient Safety Agency (NPSA). Design for patientsafety: A guide to the design of electronic infusion devices(2010). Im Internet: www.rca.ac.uk/documents/401/NPSAIn-fusion_devicesSallyHalls.pdf; Stand: 08.01.2019

[8] Miller GA. The magical number seven, plus or minus two:some limits on our capacity for processing information. Psy-chol Rev 1956; 63: 81–97. doi: 10. 1037/h0043158

[9] Lexikon der Neurowissenschaften. Heidelberg: Spektrum Aka-demischer Verlag; 2000. Im Internet: www.spektrum.de/lexi-kon/neurowissenschaft/affekthandlung/192; Stand: 08.01.2019

[10] Gigerenzer G, Gaissmaier W. Heuristic decision making. AnnuRev Psychol 2011; 62: 451–482

[11] Gabriel M. Der Sinn des Lebens. Berlin: Ullstein-Verlag; 2018

[12] Helmreich RL, Merritt AC. Culture at Work in Aviation andMedicine: national, organizational, and professional Influ-ences. Farnham: Ashgate Publishing; 1998

[13] Ständige Konferenz für Katastrophenvorsorge und Katastro-phenschutz. Führung und Leitung im Einsatz. Führungssys-tem. Vorschlag einer Dienstvorschrift DV 100 (2000). Im Inter-net: www.bbk.bund.de/SharedDocs/Downloads/BBK/DE/FIS/DownloadsRechtundVorschriften/Volltext_Fw_Dv/SKK_Dv_100.pdf;jsessionid=C0D4F43F4F0D1993C5F7AC1CEB99FFFC.1_cid345?__blob=publicationFile; Stand: 09.01.2019

[14] lexexakt.de Rechtslexikon. Ex ante/ex post (2019). Im Inter-net: http://www.lexexakt.de/index.php/glossar/exante.php;Stand: 09.01.2019

[15] Schönke A, Schröder H. Kommentar zum StGB. 30. Aufl. Mün-chen: C.H. Beck, 2018

[16] Stock C. Polytrauma – Präklinisches Management vor Ort. Le-ge Artis 2013; 3: 156–161. doi:10.1055/s-0033-1349301

[17] Rall M, Lackner CK. Crisis Resource Management (CRM). DerFaktor Mensch in der Akutmedizin. Notfall Rettungsmed 2010;13: 349–356. doi:10.1007/s10049-009-1271-5

[18] Hörmann H-J. FOR‑DEC. A prescriptive Model for aeronauticalDecision Making. In: Fuller R, Johnson N, McDonald N, eds. Hu-man Factors in Aviation Operations. Farnham: Ashgate Pub-lishing; 1995

[19] Redelsteiner C. Risiko- und Qualitätsmanagement am Einsatz-ort durch Feldsupervisoren. In: Neumayr A, Baubin M, Schin-nerl A, Hrsg. Zukunftswerkstatt Rettungsdienst – InnovativeProjekte im Rettungs- und Notarztwesen. Heidelberg: Sprin-ger-Verlag; 2018

Bibliografie

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DOI https://doi.org/10.1055/a-0757-9089Notfallmedizin up2date 2019; 14: 71–87© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New YorkISSN 1611-6550

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Punkte sammeln auf CME.thieme.de

Diese Fortbildungseinheit ist in der Regel 12 Monate online für die Teilnahme verfügbar.Den genauen Einsendeschluss finden Sie unter https://eref.thieme.de/CXBXVCH.Sollten Sie Fragen zur Online-Teilnahme haben, finden Sie unter https://cme.thieme.de/hilfeeine ausführliche Anleitung. Wir wünschen viel Erfolg beim Beantwortender Fragen!

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Unter https://eref.thieme.de/CXBXVCH oder über den QR-Code kommen Siedirekt zur Startseite des Wissenstests.

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Frage 1

Wofür steht die Abkürzung FORDEC?A FORDEC beschreibt eine Strategie der strukturierten Ent-

scheidungsfindung.B FORDEC ist als internationale Dachorganisation für Patienten-

sicherheit zuständig.C FORDEC wird im Rahmen strukturierter Kommunikation in

der Mediation verwendet.D FORDEC dient der Selbstreflexion im moderierten Coaching-

Prozess.E In der Akut- und Notfallmedizin kommt FORDEC erst im De-

briefing zur Anwendung.

Frage 2

Was versteht man unter Speak-up?A die subtile Anmerkung von Bedenken unter Wahrung der

HierarchieB die Formulierung indirekter Fragen, um auf einen schwerwie-

genden Fehler hinzuweisenC ein besonders unfreundliches (bis aggressives) Auftreten in

KonfliktsituationenD die klare, eindeutige Verbalisierung von Bedenken im Zusam-

menhang mit der PatientensicherheitE eine Strategie zur Meinungsbildung innerhalb heterogener

Gruppen

Frage 3

Welches Konzept beschreibt das Akronym T.E.A.M am ehesten?A Ein T. E.A.M.-TimeOut wird ausschließlich nach einem opera-

tiven Eingriff durchgeführt.B Das T. E.A.M.-Konzept dient der Restrukturierung einer kom-

plexen/dynamischen Situation.C In der präklinischen Notfallmedizin ist eine Handlungsunter-

brechung kaum sinnvoll.D Im Rahmen eines T. E.A.M.-Durchlaufes sollte immer eine

Anamnese durchgeführt werden.E Beim Umsetzen des T. E.A.M.-Konzeptes riskiert man Fixie-

rungsfehler im Team.

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Frage 4

Die „grünen Kügelchen“ im Modell von Andreas Richter lassensich am ehesten beschreiben als …A Bausteine zur Bildung eines Entscheidungsfundamentes.B Erinnerungspunkte, die in Algorithmen wichtige Entschei-

dungsstellen hervorheben sollen.C Modell zur Darstellung verfügbarer kognitiver Ressourcen.D methodische Hilfsmittel im Rahmen eines Debriefing-Ge-

spräches.E veraltetes Modell in der Charakter- und Persönlichkeitsana-

lytik.

Frage 5

In akut kritischen Situationen stehen Dynamik und Komplexitätin welchem Verhältnis?A Geringe Dynamik steht einer hohen Anzahl an verfügbaren

Informationen gegenüber.B Hohe Dynamik steht einer geringen Anzahl verfügbarer Infor-

mationen gegenüber.C Hohe Dynamik steht einer hohen Anzahl verfügbarer Infor-

mationen gegenüber.D Geringe Dynamik steht einer geringen Anzahl verfügbarer In-

formationen gegenüber.E Je geringer die Dynamik, desto geringer ist die Anzahl der

verfügbaren Informationen.

Frage 6

Im Rahmen des Entscheidungsprozesses trifft welche Aussagefür das Gesamtziel am ehesten zu?A Um ein Gesamtziel erreichen zu können, muss das Team mit-

einander trainiert haben.B Für die Versorgung einer akuten Notfallsituation ist das Ge-

samtziel oft unerheblich.C Das Gesamtziel sollte sich immer an der Erfahrung des Team-

leaders orientieren.D Es ist ausreichend, wenn das Gesamtziel dem Teamleader be-

kannt ist.E Das Gesamtziel sollte immer die oberste Maxime im Ent-

scheidungsprozess sein.

▶ Weitere Fragen auf der folgenden Seite…

arx D, Lange P. Entscheidungsfindung in der… Notfallmedizin up2date 2019; 14: 71–87

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Fortsetzung…

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Frage 7

Fixierungsfehler entstehen am ehesten, wenn…A es zum Verlust der situativen und/oder objektiven Wahrneh-

mung kommt.B ein Algorithmus angewendet wird, der klare Prioritäten setzt.C es zu einem Wechsel des Teamleaders innerhalb einer kriti-

schen Situation kommt.D in Standardsituationen keine ausreichende Dynamik

herrscht.E sich der Teamleader auf Supervision und Delegation be-

schränkt.

Frage 8

Wie lässt sich eine Impulshandlung am ehesten beschreiben?A als unüberlegte Soforthandlung (auch „Affekthandlung“)B als Handlung, die auf Basis eines „Bauchgefühls“ durch-

geführt wirdC als differenzierte Handlung, die am Ende einer strukturierten

Entscheidung getroffen wurdeD als Handlung, die intuitiv und somit häufig zielführend istE als reflektorische Soforthandlung, die bei ausreichender Er-

fahrung immer zielführend ist

Marx D, Lange P. Entscheidungsfindung in der… Notfallmedizin up2date 2019; 14: 71–87

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Frage 9

Das Entscheidungsfundament…A ist die Grundlage unserer Entscheidungen, die ausschließlich

auf Erfahrungen basiert.B ist die Summe der Argumente, welche die Basis unserer Ent-

scheidung bildet.C wird ausschließlich vom Teamleader gebildet, weil dieser

auch entscheiden muss!D sollte unabhängig von äußeren Einflüssen und alternativen

Meinungen gebildet werden.E sollte in komplexen Situationen durch eine Impulshandlung

ersetzt werden.

Frage 10

Wodurch ist die Millerʼsche Zahl gekennzeichnet?A Die Millerʼsche Zahl umschreibt eine Maximalgrenze, in der

Neuinformationen dauerhaft erinnert werden können.B Eine Limitierung menschlicher Wahrnehmung auf etwa

15 Neuinformationen pro Minute wird als Millerʼsche Zahl be-zeichnet.

C Die Millerʼsche Zahl umschreibt eine Limitierung mensch-licher Wahrnehmung auf etwa 7 ± 2 Neuinformationen fürdie Aufnahme ins Kurzzeitgedächtnis.

D Die Millerʼsche Zahl umschreibt ein Zeitlimit von 7 ± 2 Sekun-den, das es uns ermöglicht, Neuinformationen zu speichern.

E Die nach Gedächtnistraining erreichte Steigerung der Auf-nahmekapazität ins Kurzzeitgedächtnis wird als MillerʼscheZahl bezeichnet.

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