ERFAHRUNGSBERICHT ERASMUS IN TIMIŞOARA, RUMÄNIEN
Wintersemester 2015/2016
Zum Erasmuszeitpunkt im 9. Semester Humanmedizin
Leonie Zwick [email protected]
„DE CE MERGE LA ROMĀNIA?”- „warum gehst du nach Rumänien?”
Ein Semester im Ausland… geträumt hatte ich davon schon das ein und andere Mal. Besonders
Osteuropa konnte ich mir immer sehr gut vorstellen, da ich trotz großer Reiselust und mit der
Einbildung schon viel von Europa gesehen zu haben, noch nie weiter östlich als Prag gekommen
war. Der entscheidende Moment aber, der mich zu diesem einmaligen Erlebnis motiviert hat, kam
ganz unscheinbar um die Ecke: Eine Email von Frau Moll mit einer Liste aller Restplätze für das
bereits begonnene Jahr. Vor allem der Osten schien auch hier, ähnlich meiner eigenen
Reisebiographie, wenig Nachfrage zuteil geworden zu sein. Unter all den schönen Städtenamen,
zu denen ich keinerlei Bilder im Kopf hatte, entdeckte ich Timişoara (Rumänien) und irgendwie
war sofort klar: Das wird es.
Was willst du denn um alles in der Welt in Rumänien? Und wie heißt nochmal die Stadt? Und gab
es nichts mehr in Frankreich oder Spanien? So oder so ähnlich waren die zahlreichen Reaktionen
von Familie und Bekannten besonders der Elterngeneration, selbst Rumänen fragten mich dies,
als ich doch schon längst in ihrem schönen Land wohnte. Darauf kannst du dich einstellen, der der
du das hier ja wohl aus Interesse für Rumänien oder eventuell schon mit dem fixen Plan im Kopf
liest, selbst dorthin zu gehen.
Ja, was wollte ich eigentlich genau in Rumänien? Ist das nicht total arm oder gar gefährlich?
Kommen die Rumänen und besonders die rumänischen Ärzte wegen der schlechten Bezahlung
und Arbeitsbedingungen dort nicht alle nach Deutschland, um hier zu arbeiten? Diskriminieren die
nicht die Roma? Mitunter um diese Vorurteile abzubauen und mir ein eigenes Bild von Rumänien
machen, entschied ich mich für dieses Land. Die wirkliche Entscheidung aber war weniger rational
und kam mir von Beginn an vielmehr vor wie eine beschlossene Sache.
Zum einen ist meine beste Schulfreundin in Timişoara geboren. Legendäre Feste fanden in ihrem
Haus statt, wenn sie von einem Besuch bei der rumänischen Oma vollbeladen mit rumänischem
Essen und Wein zurückkehrte. Von ihr lernte ich schon früh das rumänische Sprichwort „Schwein
ist das beste Gemüse“, was sich später in Rumänien sowas von bewahrheiten sollte und mir als
Vegetarier oft zu Ohren kam. Zum anderen fand ich Rumänien wegen der Sprache sehr reizvoll.
Sicherlich weißt du schon, dass es sich hierbei um eine romanische Sprache handelt, mit
erstaunlichen Ähnlichkeiten zum Italienischen und Spanischen. Meine Erfahrung ist, dass von
dieser Sprachverwandtschaft besonders die Rumänen profitieren, die spielend zwischen
Spanisch, Italienisch und Rumänisch wechseln können, die Italiener und Spanier in meinem
Rumänisch-Kurs allerdings hatten da ihre Schwierigkeiten. Sprachwissenschaftler sagen, dass das
Rumänische, umgeben von weitestgehend slawischen Sprachen, besonders gut den lateinischen
Charakter konservieren konnte und sehen in ihm den nächsten noch lebenden Verwandten von
Latein. Selbst Italienisch hat sich mehr von seinem Urvater entfernt, als es das Rumänische getan
hat. Da ich in der Schule Latein bis zum Abitur belegt hatte, war ich natürlich sehr neugierig.
EIN PAAR EINDRÜCKE VON TIMISOARA:
Innenstadt, Piaţa Victoriei mit Orthodoxer Katedrale (oben) und Oper (unten)
Bega, ein wunderschöner Kanal, der zum Bootfahren und Verweilen einlädt
UNIVERSITATE ŞI ORGANIZAŢIE - Universität und Organisation
An Frau Balint von der International Office der Victor-Babes-Universität ([email protected]) führt
kein Weg vorbei. Eine sehr interessante Person, das kann ich sagen. Aber du wirst es selbst
erleben. Emails beantwortet sie immer sofort und sie macht ihre Arbeit sehr gut. Sie weiß genau,
welche Zertifikate und Unterschriften man benötigt und so konnte ich am Ende meines
Erasmussemesters mit allen Dokumenten abreisen, obwohl ich erst vier Tage vor Abreise noch
eine Prüfung hatte. Du wirst jetzt vielleicht sagen, „Häää? Ist doch voll normal! Ist ja schließlich
auch ihr Job!“ aber in Rumänien ist Universitätsorganisation und Bürokratie so eine Sache. Oder
nennen wir es einfach eine interessante Erfahrung. Also wie gesagt, auf Frau Balint kann man sich
verlassen, wenn man auch über den ein oder anderen Charakterzug hinwegsehen muss.
Negativ bewerte ich, dass die Universität (Unversitatea de Medicina şi Farmacie „Victor Babeş“,
kurz UMFT) für Erasmusstudenten keine Zimmer im Studentenwohnheim zur Verfügung stellt,
obwohl auf dem Campusgelände ein Wohnheim der Medizinischen Universität steht. Des
Weiteren erhält man keinen Studentenausweis, wodurch einem die Ermäßigungen fürs Bahn- und
Tramfahren entgehen. Um die reduzierten Studentenpreise in Theater, Oper, Konzerten usw. zu
bekommen, habe ich immer meinen Würzburger Studentenausweis vorgezeigt, es empfiehlt sich
also ihn vor der Abreise noch validieren zu lassen. Die anderen Erasmusstudenten, die an den
anderen zwei Universtäten (Universitatea de Vest für so ziemlich alles und Politehnica für
Technische Berufe) studierten, hatten all das sofort bekommen und konnten für 25€ Miete pro
Monat im Studentenwohnheim wohnen. Bis jetzt kann ich nicht verstehen warum den
Medizinstudenten dieses Angebot verwehrt bleibt, da die Bereitstellung eines Zimmers für mich
zum Erasmus-Programm dazugehört.
Eine Bleibe habe ich dann über die Facebook-Gruppe des ESN-Timişoara gefunden. ESN ist eine
Gruppierung, die sich aus Studenten zusammensetzt die unterschiedliche Programmpunkte für
die ankommenden Erasmus-Studenten anbieten (am Anfang Kennenlerntage, später Reisen und
Parties). Eine rumänische Studentin, die selbst von ihrem Erasmus aus Italien zurückgekehrt ist,
hat sich auf meinen Post hin gemeldet und sich mit mir zusammen ein Apartment gesucht, was
dann natürlich nicht mit den 25€ Wohnheim der anderen mithalten konnte, aber für deutsche
Verhältnisse noch immer äußerst preiswert und dafür auch riesig war. Ich schätze mal unsere
Dreizimmerwohnung hatte 70 m² und ein riesiges Wohnzimmer. Gezahlt habe ich ca. 150€ Miete.
Bevor ich nach Rumänien kam, habe ich mich über Sprachkurse informiert. Auf der Seite der
Universitatea de Vest (kurz UVT), die ein breites Spektrum an Fächern abdeckt, eigentlich alles
außer Medizin und die Technischen Fächer, habe ich von einem Erasmus-Sprachkurs gelesen, der
zwei Wochen vor Semesterbeginn anfing und kostenlos für Erasmusstudenten ist. Eine weitere
Option wäre noch einen Sprachkurs als Einzelunterricht, den man über das Deutsche
Kulturzentrum Timişoara belegen kann (http://www.ccgtm.ro/?lang=de). Diesen muss man
natürlich bezahlen, aber Emina meine Rumänischlehrerin, die auch im Kulturzentrum unterrichtet
ist von den Ergebnissen des Einzelunterrichts sehr überzeugt. Nach dem Einsteigerkurs an der
UVT konnte ich auch den fortlaufenden semesterbegleitenden Kurs besuchen, obwohl ich ja
eigentlich an der Medizin-Uni Student war. Deshalb empfiehlt sich meiner Meinung auch der
Sprachkurs vor Semesterbeginn, da man so andere Erasmusstudenten kennen lernt und auch
gleich den Lehrer persönlich fragen kann, ob man den weiteren Sprachkurs besuchen darf. Auch
hier ist die Medizin-Uni leider nicht sehr gut organisiert. Bei Fragen, egal ob zum vierzehntägigen
Crashkurs, zum semesterbegleitenden oder zum Einzelunterricht kann man sich immer an Emina
Capalnasan ([email protected]) wenden und sagen, man sei ein Freund von mir.
Zur Fächerwahl kann ich folgendes sagen. Alle Professoren sind äußerst bemüht, dir alle deine
Wünsche zu erfüllen. Prinzipiell ist alles möglich! Egal wie lange du in welchem Fach Praktikum
machen möchtest, es geht immer und am Ende kriegst du dein Zertifikat dafür. Wenn du dir
überlegst, in einem höheren Semester nach Rumänien zu gehen, kann ich dir sehr empfehlen,
Blockpraktika vorzuziehen. Ansonsten sind natürlich die normalen Vorlesungen und Praktika zu
empfehlen.
In Timisoara gibt es pro Jahrgang einen rumänischen und einen internationalen Zweig. Im
internationalen Zweig ist die Unterrichtssprache Englisch, die Studenten kommen aus der ganzen
Welt, schätzungsweise 30% aus Deutschland und 30% aus arabischen Ländern. Das Sprachniveau
der Professoren ist sehr gut, das der Mitstudenten sowieso. Also hier kommt man auf jeden Fall
auch ohne Rumänisch durch. Viele der Deutschen Studenten, die immer dort studieren, konnten
weniger oder ähnlich viel Rumänisch wie ich nach meinem Bescheidenen zweiwöchigen Crashkurs
und meinem semesterbegleitenden Unterricht.
Belegt habe ich: Neurologie (Vorlesung und Praktikum mit den internationalen Studenten, beides
habe ich mir in Deutschland nicht anrechnen lassen), Allgemeinmedizin (Vorlesung und Praktikum
und Prüfung mit den Internationalen Studenten, habe aber die Prüfung nach meiner Rückkehr
Ende Januar nochmal in Deutschland mitgeschrieben), Anästhesie (Praktikum im OP und
Intensivstation einmal pro Woche, Prüfung nach meiner Rückkehr geschrieben) und Gynäkologie
(Praktikum einmal pro Woche mit den rumänischen Studenten, später als Blockpraktikum
anerkannt). Wie bereits gesagt, generell ist alles möglich. Man geht am Anfang zu Mrs. Balint, sie
stellt mit einem nochmals den Studentplan zusammen und gibt einem im Anschluss die Namen
der Kliniken und jeweiligen Professoren, mit ihnen versucht man sich zu treffen und dann kann
man einfach sagen, wie oft man kommen möchte. Bei Vorlesungen und Praktika ist es natürlich
noch einfacher, da man die Studenten nach der Vorlesung einfach fragen kann, wo die Praktika
stattfinden.
Generell sind die Krankenhäuser über die ganze Stadt verteilt, ein Fahrrad zu besitzen bietet sich
an. Die Fahrradwege sind in Ordnung, ich hatte es mir ehrlichgesagt schlimmer vorgestellt. Aber
natürlich kommt man auch mit den öffentlichen Verkehrsmitteln gut durch die Stadt. Das Problem
ist hier nur wieder, dass Studenten eigentlich mit ihrem Ausweis umsonst fahren können, wir
Erasmusstudenten für Medizin aber keinen Studentenausweis erhalten.
Es wird von den Studenten verlangt, eigene Krankenhauskleidung bestehend aus Hose, Kasack
und Gummischuhen zu haben. Dafür gibt es diverse Läden und Hose und Kasack (alle tragen
bunte Kleidung, was ich sehr schön fand) kommen auf ca. 15€, man kann sich aber natürlich auch
aus Würzburg was mitbringen. Kittel braucht man eigentlich nicht, aber im Nachhinein hätte ich
mir auch noch einen aus Würzburg mitbringen können. Die Schuhe habe ich mir auch ganz billig
bei Kaufland in Timisoara für ca. 10€ gekauft. Teure für 50€ lohnen sich nicht.
„CE POT SA FAC IN TIMIŞOARA?” – “was kann ich in Timisoara machen?”
So einiges!!! Timişoara ist eine kulturell sehr sehr reiche Stadt, die sich im Moment auch bemüht
europäische Kulturhauptstadt 2020 oder so zu werden. Es gibt Oper, viele Theater, ein
Konzerthaus und jede Menge Festivals. Innerhalb des halben Jahres, in dem ich in Rumänien war,
fand das einmonatige Kunstfestival ART ENCOUNTERS über die ganze Stadt verteilt statt und
außerdem eine Woche europäisches Kurzfilmfestival, welches ebenfalls sehr empfehlenswert
war. Für Oper und Theater kann man als Student (Würzburger Ausweis nicht vergessen!!)
ultragünstig, meist unter 5€ Karten bekommen.
Außerdem gibt es in der Stadt richtig viel zum Essen, Weggehen und abends ein Bier trinken. Bei
Weggehtipps bitte einfach eine Email an mich.
Langweilig wird dir es hier wirklich niemals werden. Die Freizeit kommt hier auf gar keinen Fall zu
kurz, was ich im Erasmus ausgesprochen wichtig finde.
„..PROAPE O EXCURSIE?“ – „… vielleicht eine Reise?“
Zwei Wochen bevor mein Sprachkurs begonnen hat, reiste ich bereits nach Rumänien um eine
Transsilvanien-Reise zu unternehmen. In Transsilvanien, auch Siebenbürgen genannt, lebt und lebte
die deutsche Minderheit der Siebenbürgen-Sachsen, neben den Banat-Schwaben eine der beiden
deutschen Bevölkerungsgruppen. Während meines Auslandaufenthalts sollten zudem noch andere
Reisen mit meinen Erasmus-Freunden hinzukommen. Oft fuhren wir für ein Wochenende zum
Wandern in die Karpaten. Vor Weihnachten unternahm ich zudem eine Reise nach Bulgarien,
Mazedonien und in den Kosovo. Timisoara ist für Reisen in die Nachbarländer ideal, da es über gute
Zug-, Bus- und Fluganbindungen verfügt. Die folgenden Bilder sollen dich nur ein wenig auf ein Land
einstimmen, dass so viel zu bieten hat. Wenn nicht im Erasmus, dann solltest du auf jeden Fall
einfachso eine Reise dorthin unternehmen.
SIEBENBÜRGEN
Sibiu (Hermannstadt), Marktplatz mit Handwerkermarkt
Braşov (Kronstadt), Marktplatz
Blick vom Hausberg Tampa hinunter auf Braşov
NATIONALPARKS, KARPATEN
Parcul Naţional Apuseni
Parcul Naţional Apuseni
Parcul Naţional Apuseni
Parcul Naţional Retezat
Parcul Naţional Retezat
Burg Hunedoara
Mein Sprachkurs, Erasmusstudenten aus Frankreich, Spanien, Deutschland und Italien