A m 23. Juni 2016 votierte die Mehrheit der Briten
in einem Referendum fürden Austritt Großbri-
tanniens aus der Europäischen Union (EU). Der
Brexit naht - doch bislang ist völlig offen, in welcher Bezie-
hung das Vereinigte Königreich und die verbleibenden 27
EU-Mitgliedsstaaten künftig stehen werden.
Die politische Situation bleibt verworren, die Unsicher-
heit in der Wirtschaft und Finanzwelt wächst. Die Palette der
diskutierten Optionen reicht von einem Austritt Großbritan-
niens – mit oder ohne Abkommen – über eine Verschiebung
des Austrittsdatums bis hin zu einem möglichen neuen Refe-
rendum über den Verbleib Großbritanniens in der Staatenge-
meinschaft.
Die BCCG Expertengruppe für Banking & Financial Ser-
vices begleitet den Austrittsprozess durch Informationsver-
anstaltungen und Diskussionen mit Vertretern aus Wirtschaft
und Politik, wie Konsultationen mit dem Bundesfinanzmi-
nisterium zu Notfallmaßnahmen für einen „No-Deal“-Bre-
xit. Unser Ziel ist es, für Transparenz in den zunehmend
komplexen Abläufen zu sorgen und „Brücken“ für mögli-
che künftigte Kooperationen der EU-Finanzmärkte under
City of London zu bauen. Zwar steht der Brexit-Prozess noch
am Anfang, erste Auswirkungen sind aber schon spürbar:
Langfristige Investitionen und Verträge werden aufgescho-
ben. Zahlreiche Finanzdienstleister wappnen sich trotz Über-
gangsregelungen mit aufwändigen Notfallmaßnahmen für
ein nach wie vor mögliches No-Deal-Szenario. Bei einem
„Hard Brexit“ laufen in Großbritannien ansässige internatio-
nale Banken Gefahr, ihre Passporting-Rechte zu verlieren.
Sie müssen auf dem Kontinent neue Niederlassungen
Europa braucht global wettbe-
werbsfähige Finanzzentren
weiter auf S. 20 —>
Kapitalmarktunion für Europa vorantreiben / EU-Kapitalmärkte nach
dem Brexit – Beziehung auf Augenhöhe zum Finanzplatz London
18
YEARBOOK 2019/2020 EUROPA BRAUCHT WETTBEWERBSFÄHIGE FINANZZENTREN
BCCG Brexit Expert Group Banking & Financial Services
gründen, Lizenzen beantragen und Mitarbeiter
umsiedeln. Viele der eingeleiteten Notfallmaßnah-
men sind irreversibel und markieren den Beginn
tiefgreifender Marktveränderungen. Innerhalb
der EU entstehen bereits dezentrale Strukturen
jenseits des dominanten Kapitalmarktzentrums
London. Während zahlreiche Banken und Bro-
ker ihre Bilanzen und Assets nach Deutsch-
land und Frankreich verlagern, zieht es Asset
Manager eher nach Irland und Luxemburg. Markt-
infrastrukturanbieter bevorzugen Standorte in
Irland, den Niederlanden und Frankreich, um
lokale Vorteile insbesondere in der persönlichen
sowie in der Besteuerung von Kapitalerträgen
zu nutzen. Der Brexit entpuppt sich zunehmend
als Verlust für alle Seiten. Die Zeit drängt. Um
die künftigen Beziehungen noch proaktiv und
möglichst gewinnbringend gestalten zu kön-
nen, benötigt die europäische Finanzbranche
dringend und abschließend Klarheit über das
Austrittsdatum und die künftigen Beziehungen.
Brexit, Regulierung, Niedrigzinsumfeld und
Digitalisierung – auf
Europas Finanz-
branche kommen in den nächsten Jahren
erhebliche Veränderungen zu. Damit diese nicht
nur zum Nachteil für alle Marktteilnehmer und
Kunden werden, zusätzliche Kosten verursachen
und den Markt fragmentieren, sollte die Staaten-
gemeinschaft ihr Reformprojekt Kapitalmarktuni-
on zügig vollenden.
Ein integrierter europäischer Kapitalmarkt
wird das Finanzsystem Europas stärken und
zusätzliche Gelder für die Finanzierung der
Realwirtschaft freisetzen. Die Reform trägt zusätz-
lich dazu bei, die europäische Wirtschafts- und
Währungsunion zu stabilisieren und das Wachs-
tum der Eurozone zu stärken. Investitionen und
ein grenzüberschreitender Kapitalmarkt erfor-
dern allerdings stabile Rahmenbedingungen,
eine nachhaltige Rechtssicherheit sowie eine
lückenlose Aufsicht.
Von einer engeren Verflechtung der euro-
päischen Kapitalmärkte werden nicht nur Ban-
ken, Versicherungen und Fintechs, sondern
auch die EU-Finanzplätze selbst profitieren.
Das gilt auch für Deutschland – und hier ins-
besondere für den Finanzplatz Frankfurt mit
seinen ausgebauten Infrastrukturen. Im Be-
reich Euro-Clearing zeigen sich bereits Fort-
schritte: Um den anstehenden Veränderun-
gen Rechnung zu tragen, will die EU nun
zusätzlich zu der auf ein Jahr befristeten
Äquivalenzentscheidung, durch die drei britische
zentrale Kontrahenten bei einem No-Deal-Brexit
anerkannt werden, die Clearing-Aufsicht refor-
mieren. Noch ist offen, welche Rolle das Schwer-
gewicht London künftig in einem integrierten eu-
ropäischen Kapitalmarkt spielen wird. In London
befinden sich die größten Kapitalmärkte Europas,
zahlreiche internationale Banken und Investoren
haben dort ihren Sitz. Eine Abnabelung des briti-
schen Finanzplatzes von den EU-Märkten dürfte
bei allen Akteuren zu höheren Kosten und Effizi-
enzverlusten führen.
London wird auch in Zukunft ein bedeu-
tender Finanzplatz bleiben. Um das Wachs-
tumspotenzial der Realwirtschaft inner-
halb der Eurozone zu sichern und
EU-Firmen
und Anlegern auch
weiterhin den Zugang
zu internationalen Finanz-
märkten zu gewährleisten, braucht
Europa eigene starke und global wett-
bewerbsfähige Finanzzentren. Eine Verbindung
der Finanzmärkte auf beiden Seiten des Ärmelka-
nals kann künftig nur auf Basis einer Beziehung auf
Augenhöhe sowie mit einem liquiden und effizien-
ten Kapitalmarkt innerhalb der 27 EU-Mitglieds-
länder erhalten und weiterentwickelt werden. |
Participants and Contact Persons of the Brexit Expert Group Banking & Financial Services
DZ Bank↗ www.dzbank.de
PricewaterhouseCoopers↗ www.pwc.de
Clemens KochFinancial Services Leader und Mitglied der
Geschäftsführung bei PwC Deutschland
Stephan LutzCapital Markets & Brexit Leader bei PwC Deutschland
Frank ScheidigGlobal Head of Senior Executive Banking, DZ Bank
YEARBOOK 2019/2020 EUROPA BRAUCHT WETTBEWERBSFÄHIGE FINANZZENTREN
20
Interessiert es jemanden, wie ich morgen mobil bleibe? Ganz klar: ja, uns! Heute fahren wir vernetzt, morgen autonom und übermorgen individueller denn je. Wir bei Daimler arbeiten deshalb mit Hochdruck an völlig neuen Mobilitätslösungen. Das galt bereits vor mehr als 130 Jahren und gilt für die Mobilität von morgen erst recht.
Mehr unter www.daimler.com
BCCG Brexit Expert Group Banking & Financial Services