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FEINSCHMECKER-AUSZEICHNUNG
Der schönste Speisesaal Hamburgs im „Fairmont Vier Jahreszeiten“, verjüngt und aufgefrischt, hat in
Christoph Rüffers Team eine herausragende Mannschaft
TEXT: DEBORAH GOTTLIEB, FOTOS: MARKUS BASSLER
Das „Haerlin“ in
Auf gute Zusammenarbeit: Küchenchef Christoph Rüffer (Mitte)
und seine Mannschaft mit Souschef Tobias Günther (hockend,
zweiter von vorn links), Patissier Christian Hümbs (stehend hinten
links) und Restaurantleiterin Catharina Boll (ganz links hinten)
im renovierten Restaurant „Haerlin“ des Hamburger Grandhotels
„Fairmont Vier Jahreszeiten“
RESTAURANT DE
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Hamburg:S JAHRES 2014!
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„Haerlin“, Hamburg GOURMETSALONMIT ALSTERBLICK
Warm geräucherter
Ostsee-Lachs mit einem
Apfel-Wasabi-Süppchen
(r.) oder Wolfsbarsch mit
geröstetem Kaisergranat
und rohem Gemüsesalat
(u. l.): Was sich Christoph
Rüffer und sein Souschef
Tobias Günther (l. o.)
sowie Patissier Christian
Hümbs (l. M.) ausdenken,
serviert die Saalchefin
Catharina Boll (u. r.)
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AKTUELLE TRENDS,NEUE KONZEPTE: Bitte keinen Einheitsbrei
Lust auf Fleisch? Tomahawk-Steak im
„Gourmet-Restaurant Friedrichsruhe“
Natürlich ist es einfacher undmeist auch lukrativer, auseinem Gourmetrestaurantein Mainstream-Lokal miteinem unkomplizierten Bis -
trokonzept zu machen, als mit viel Aufwandhöchstes Niveau zu halten. Downgradingheißt derzeit vielerorts die Antwort auf dieFrage, wie Spitzenküche aussehen müsse,um auch in Zukunft erfolgreich zu sein. Im„Haerlin“ im Hamburger Hotel „FairmontVier Jahreszeiten“ ist das kein Thema, imGegenteil. Üppige Investitionen haben ausdem traditions reichen hanseatischen Gour-metsalon nicht nur ein schönes Restaurantin zeitgemäß-elegantem Schick mit moder-nem Kristalllüster und raumhohen Weinkli-maschränken gemacht, sie sind hier auch eindemons tratives Bekenntnis zur anspruchs-vollen Spitzenküche.
Investiert wurde aber nicht nur in dieHardware, sondern auch ins Team, das ver-jüngt wurde und in Christian Hümbs, zuvorim Sylter „La Mer“ und derzeit Deutsch-lands kreativster Patissier, jetzt einen kon-genialen Partner für den KüchenchefChristoph Rüffer hat. Der wiederum hatauf die ihm eigene bescheidene Weise wei-ter beharrlich an seinem Stil gefeilt undentwickelt jetzt noch präziserere und klarereGerichte, die Grundzutaten in den Mittel-punkt stellen. Rüffer präsentiert hinreißendeAromenwelten, an deren Details man sichnicht nur deswegen auch viel später nocherinnert, weil es zu jedem Gang ein Kärtchenmit den Bestandteilen des Gerichts gibt –eine wunderbare Idee!
Wir wissen nicht, ob die neue KücheRüffer zusätzlich beflügelt hat, aber auchdie ist sehenswert, nicht nur durch die Fens-ter des ebenfalls neuen gläsernen chef ’s-table-Häuschens mit seiner elegant-gemütli-chen Loungeatmosphäre im Country-Look –Hamburgs derzeit schöns ter Küchentisch.Die Weinkarte war schon immer eine Bibelmit 1200 Positionen; auch hier haben dieBetreiber keine Schlankheitskur verordnet,sondern auf Opulenz gesetzt.
Fazit: In keinem anderen Gourmetres-taurant von Sylt bis zum Bodensee entwi-ckelten sich Küche, Team und Hardwareaktuell so kontinuierlich auf höchstem Ni-veau weiter wie im Hamburger „Haerlin“.Sollen doch die anderen den Gürtel engerschnallen! r
Was sich schon länger ankündigte, hat sich dieses Jahr zu einer veritablenkulinarischen Generaldebatte entwickelt: Spitzenrestaurants, die künftigerfolgreich sein wollen, müssen nicht nur wirtschaftlich arbeiten, son-dern mehr denn je zeitgemäße Konzepte bieten. Das ist beileibe keineleichte Aufgabe. In kaum einem anderen Land sind die Gäste, freundlich
ausgedrückt, so preissensibel, wenn es um die Kosten für ein Abendessen geht. Man könnteauch sagen: Der Mehrheit der Deutschen sind Flachbildschirm, Smartphone und die Quali-tät des Benzins für ihren Wagen wichtiger als das, was sie sich selbst täglich einverleiben.Ein schwieriger Nährboden für blühende Genusslandschaften mit Anspruch.
Dabei könnten wir uns eigentlich glücklich schätzen: Das Preis-Leistungs-Verhältnis indeutschen Top-Lokalen ist im internationalen Vergleich außerordentlich gastfreundlich;auch darum benötigen viele Spitzenrestaurants bei uns die Subventionen eines Hotels. EinMenü in einem der berühmten Pariser Gourmettempel schlägt mit rund 300 Euro pro Per-son aufs Budget, Alain Ducasse berechnet in seinem neuesten Flaggschiff „Le Meurice“gar 380 Euro für die exklusive Speisenfolge (drei Spezialitäten plus Käse und Dessert).
Doch die wachsende Sehnsucht nach zwangloser Lässigkeit füllt hierzulande immer öftervor allem Bistros und Landgasthäuser, aber immer weniger die klassischen Feinschme-ckerlokale. So mancher Gastronom und Koch hat daraus schon Konsequenzen gezogen.Michael Hoffmann hat sein Berliner „Margaux“ geschlossen und geht neue Wege, dasTeam der Hamburger „Küchenwerkstatt“ nimmt eine Auszeit und sammelt Ideen für einanderes Konzept. In beiden Fällen hoffen wir auch künftig auf besondere Genüsse. Dennein Angebot, das auf den Massengeschmack zugeschnitten ist, führt zum Einerlei. Das istderzeit eindrucksvoll zu beobachten auf den austauschbaren Speisenkarten der gut gefüll-ten Großstadtlokale: Tatar (vom Weiderind), gebratene Jakobsmuscheln, KönigsbergerKlopse oder Wiener Schnitzel (meist bio), Thunfisch rare (der peu à peu das auf der Hautgebratene Zanderfilet ablöst) und natürlich Steaks (dry-aged). Diese Bistroisierung taugtfürs pragmatische Stillen des Alltagshungers, aber nicht als kulinarische Hochkultur.
Aber auch auf gehobenem Niveau haben wir eine Vereinheitlichung der Küchenstile alsFolge anhaltender Trendbeflissenheit registriert. Wurzeln, Mikrokräuter, Pulver (wahl -
weise als Erde, Schnee oder Asche dekla-riert) sind, oft garniert mit einem hauch-zarten Cracker zum Knuspern, derzeit dieBasis vieler Tellerlandschaften quer durchdie Republik. Die nordischen Einflüssesind weiterhin allenthalben spürbar, hinund wieder sogar bis zur Kargheit auf dieSpitze getrieben, wenn Erdverbundenheitsich in einem Sammelsurium aus Wurzeln,Knollen und Samen ausdrückt. Schäumeund Gelees sind gottlob auf dem Rück-zug, die Mehrheit der Köche setzt wiederverstärkt auf Gegenständlichkeit. Gemüsedarf wieder als solches erkennbar undeine Sauce flüssig sein. Allen voran sindes unsere Spitzenköche wie Sven Elver-feld und Joachim Wissler, die auf intelli- F
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gente Weise eine herausragend modernedeutsche Küche entwickeln, die Spaßmacht – auf allerhöchstem Niveau, auch anihren Kollegen im Ausland gemessen.
Das gewachsene Bedürfnis an Boden-ständigkeit lässt sich an vielen Produktenablesen, die derzeit auf den Tellern landen.Die verfeinerte Regionalküche hebt Zuta-ten in den Adelsstand, die lange in der bür-gerlichen Versenkung geschlummert ha-ben. Breite Bohnen und Kohlrabi werdenda ebenso als neue Stars gefeiert wie Topi-nambur und Fenchel; Urkarotte und Kopf-salat erleben ein Comeback, Rote Betebleibt rund ums Jahr Protagonist auf demTeller, und der Räucheraal ist nicht nur alsPendant zur Foie gras aus der Spitzenküchenicht mehr wegzudenken.
Wer da allerdings glaubt, die Köcheschauten nicht mehr über den eigenen Tel-lerrand, den belehren exotische Aromen undZutaten eines Besseren. Nichts geht mehrohne yuzu und Miso, aber auch Couscous,Ras el-Hanout und Quinoa sind allgegen-wärtig. Das Duroc-Schwein ist derweil aufdem besten Wege, dem Ibérico den Rangals Trend-Sau abzulaufen.
Als Dauerbrenner erweist sich der Veg-gie-Hype, auch immer mehr Spitzenrestau-rants stellen sich darauf ein. Selbst dort, wonicht ohnehin ein Gemüsemenü angebotenwird, bekommt man auf Anfrage meistdurchaus anspruchsvolle Gerichte. Mansollte im Bedarfsfall schon bei der Reser-vierung darum bitten – und diesen Servicedann auch wirklich in Anspruch nehmen.Immer öfter klagen Köche über wankelmü-tige Gäste, die es angesichts der regulärenAlternativen mit dem Fleischverzicht plötz-lich doch nicht so genau nehmen. Ärgerlich,wenn die Küche mit der Vorbereitung gro-ßen Aufwand betrieben hat, um den Sonder-wünschen gerecht zu werden. Allen Fleisch-liebhabern sei allerdings versichert: Steakssind weiter auf dem Siegeszug.
Was uns auch noch aufge-fallen ist: Sommeliers betrach-ten Weinempfehlungen hinund wieder als Bühne, um ihreKreativität zur Schau zu stel-len, anstatt Wünsche und Vor-lieben des Gastes zu berück-sichtigen. Wir möchten keine„Entdeckung aus dem letztenSommerurlaub“ und auch kei-nen Wein, der „interessant, abergewöhnungsbedürftig“ ist, son-
dern einen, der uns auf Anhieb schmecktund dem Gericht nicht die Schau stiehlt.Für Experimente gehen wir in die Weinbar.
Eines noch: So, wie wir von den LokalenVerlässlichkeit erwarten, dürfen die Wirtedas auch bei ihren Gästen tun. Wo derartknapp kalkuliert wird wie in Top-Restau-rants, sind Ausfälle schmerzhaft, besonders,wenn sie vermeidbar gewesen wären, hätteder Gast rechtzeitig abgesagt und der Gas-tronom den Tisch neu vergeben können.Deshalb führen Spitzenhäuser nun auch beiuns verstärkt ein, was im Ausland längst
Jagdschloss Freudenthal, Bad Iburg
AS am See, Bad Saarow
Lay’s Loft, Barmstedt
a.choice, Berlin
DUKE, Berlin
Restaurant am Steinplatz, Berlin
Cordobar, Berlin
Lamazère Brasserie, Berlin
Neni, Berlin
Rose, Bietigheim-Bissingen
Hämmerle’s Barrique, Blieskastel
Yu Sushi Club, Bonn
Das kleine Schwarze, Bruchsal
Kavaliersbau, Darmstadt
Cielo, Dortmund
Gusto, Frankfurt am Main
Max on One, Frankfurt am Main
Moriki, Frankfurt am Main
Arens, Hainfeld
Clouds – Heaven’s Bar & Kitchen(Foto), Hamburg
Newcomer DIESE RESTAURANTS SIND IN DIESEM JAHRNEU UNTER DEN BESTEN, WEIL SIE ERÖFFNETWURDEN ODER SICH GESTEIGERT HABEN
Doc Cheng’s, Hamburg
Strauchs Falco, Hamburg
Diergardts Kühler Grund, Hattingen
Höerhof, Idstein
Hubertushof, Ilbesheim/Pfalz
Helbigs in der Auberge de Temple, Johannesberg
Eigenart, Karlsruhe
Pastis, Kiel
Da Vinci, Koblenz
maiBeck, Köln
Scherz, Köln
Tillmann Hahn, Kühlungsborn
Axt, Mannheim
Marly, Mannheim
Kurlbaum, Moers
Beccofino, München
Garpunkt, München
Restaurant Bayerisches National -museum, München
Vecchia Lanterna, München
Konstantin & Friends, München
Spitzner im Oer’schen Hof, Münster
Alte Post, Nagold
Sra Bua by Juan Amador, Neu-Isenburg
Urgestein, Neustadt an der Weinstraße
Brasserie Michael Schmitz, Oldenburg
Huberwirt, Pleiskirchen
Christian Penzhorn, Ratingen
Storstad, Regensburg
Heim’s Restaurant, Reil
Krone, Remshalden
Belle Epoque (jetzt Clauss-Feist), Traben-Trarbach
Margarethenhof, Waakirchen
Johanns, Waldkirchen
die Regel ist – eine Stornogebühr im Falldes Nichterscheinens oder der kurzfristigenAbsage, gängige Praxis in jedem Hotel.Aber Gastronomen sind keine Unmenschen:Wer auf dem Weg zum Abendessen einenUnfall hat, dem wird die Strafgebühr wohlerlassen werden. Wer aber in zwei Restau-rants reserviert und je nach Laune erstabends entscheidet, wo er hingeht, der musszahlen, und das ist gut so. Wir selbst wollenschließlich auch kein „leider ausgebucht“zu hören kriegen, wenn in Wahrheit dochnoch etwas frei wäre. r
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