Gestaltung von Alarmsystemen
in der Prozessführung:
Umsetzung von ergonomischen
Erkenntnissen und Gestaltungsempfehlungen
Martina Bockelmann
Friedhelm Nachreiner
Peter Nickel
19.Workshop „Psychologie der Arbeitssicherheit und Gesundheit“
„Dialog statt Monolog“
18.05. - 20.05.2016 in Wuppertal
Einleitung
immer wieder schwerwiegende Vorfälle mit z.T.
gravierenden Auswirkungen für die Mitarbeiter, das
Unternehmen, die Umwelt und die Bevölkerung
defizitäre Gestaltung der Alarmsysteme und des
Alarmmanagements u.a. mitverantwortlich, u.a.
– Three Mile Island, Harrisburg (1979)
– Texaco, Milford Haven (1994)
– Esso, Longford (1998)
– BP, Texas City (2005)
– Deepwater Horizon, Golf von Mexiko (2010)
Einleitung
infolge derartiger Ereignisse sind international und
national Leitfäden mit Gestaltungsempfehlungen
entstanden, z.B.
– EEMUA 191, 1999
– HSE, 2000
– NA 102, 2008
– ASM Consortium Guidelines, 2009
– ISA 18.2, 2009
– VDI/VDE 3699-5, 2014
– DIN EN ISO 62682, 2016
diese werden, wie Untersuchungen und jüngere Vorfälle
zeigen, nach wie vor unzureichend umgesetzt
Kernkraftwerk Three Mile Island,
Harrisburg, 1979
Quelle: Wikipedia, 2016
Während einer Nachtschicht kam es zu einer
partiellen Kernschmelze in einem Reaktorblock.
Radioaktives Gas wurde freigesetzt.
Neben Störungen technischer Anlagenkomponenten
waren eine defizitäre Gestaltung der Anzeigen und des
Alarmsystems sowie menschliche Fehler ursächlich
falsche bzw. nicht angemessene Anzeigen
verwirrende, missverständliche Handlungsanweisungen
Nichtbeachtung wichtiger Hinweise und Versäumnisse
unzureichende Ausbildung der Operateur (insbesondere
hinsichtlich möglicher schwerer Vorfälle)
In den ersten Minuten des Vorfalls
liefen mehr als 100 Alarme auf.
"Die Schalttafel war
wie die blinkende
bunte Kette eines
Weihnachtsbaums"
Kemeny-Report (1979)
Kernkraftwerk Three Mile Island,
Harrisburg, 1979
Texaco Ölraffinerie, Milford Haven, 1994
Ein Gewitter löste eine Anlagenstörung aus:
Ein Blitzschlag verursachte ein Feuer in der Anlage.
Dies führte dazu, dass Anlagenbereiche abgefahren
wurden.
Stunden später kam es zu einer Explosion und zu
Folgebränden in der Anlage.
26 Verletzte,
finanzieller Schaden: ca. £48 Millionen,
Bußgeld: £200.000
Texaco Ölraffinerie, Milford Haven, 1994
Es gab zu viele Alarme und diese waren schlecht
priorisiert.
Es gab kein angemessenes Training für den Umgang
mit einer Stress hervorrufenden und fortwährenden
Anlagenstörung.
Die Anzeigen im Kontrollraum halfen dem Operateur
nicht, zu verstehen, was gerade passierte.
HSE (1997)
Während der Inbetriebnahme einer
Anlageneinheit kam es zu Explosionen
und Feuer.
15 Tote, 180 Verletzte, finanzieller
Schaden: mehr als 1,5 Milliarden $
Quelle: US Chemical Safety and Hazard
Investigation Board, 2007
BP Ölraffinerie, Texas City, 2005
BP Ölraffinerie, Texas City, 2005
Quelle: New York Times, 2005
Kritische Alarme
sprachen nicht an.
Hunderte von Alarmen
liefen parallel auf.
Kein angemessenes
Training im Umgang mit
kritischen Situationen.
Anzeigen lieferten falsche/
keine angemessenen
Informationen.
CSB-Report (2007)
Handlungs-bedarf
Training im Umgang mit Alarmen
Priorisierung der Alarme
Alarmkultur Handlungsanleitung,
Interaktion & Handhabung
Ziele, Leistung & kontinuierl.
Verbesserung
Machbarkeitsstudie „Alarmmanagement“,
2008/2009
Ölkatastrophe im Golf von Mexiko, 2010
Quelle: Spiegel Online, 2010
Gegen 21:50 Uhr kam es zu einem Blowout.
Die Plattform geriet in Brand und sank 2 Tage später.
11 Tote
enorme Mengen Rohöl gelangten ins Meer
Neben zahlreichen Fehlern des Managements und
technischen Fehlern, die ebenfalls auf übergreifende
Fehler im Management zurückgeführt wurden, war u.a.
eine Unterdrückung von Alarmen im Alarmsystem
relevant.
Ölkatastrophe im Golf von Mexiko, 2010
Neben zahlreichen Fehlern des Managements und
technischen Fehlern, die ebenfalls auf übergreifende
Fehler im Management zurückgeführt wurden, war u.a.
eine Unterdrückung von Alarmen im Alarmsystem
relevant.
Ölkatastrophe im Golf von Mexiko, 2010
Projekt „Alarmmanagement“, 2015/2016
Projekt
FSA
GAWO
BGN
BG
RCI
BG
ETEM
Betriebe
Projektförderung
Projektbearbeitung
Quelle: WAZ, der westen, 28.02.2014;
Foto: Joachim Haenisch
Projekt „Alarmmanagement“, 2015/2016
Untersuchung von ca. 15 bis 20 Leitwarten
aus unterschiedlichen Bereichen/Branchen
(BG ETEM, BGN und BG RCI)
Quelle: www.jungmann.de
bisherige auffällige Ergebnisse (Projekt noch nicht
abgeschlossen) → Gestaltungsdefizite u.a.:
– Alarmrate
– keine bzw. keine angemessene Priorisierung von
Alarmen
– keine Hilfesysteme mit alarmbezogenen Hilfetexten
– unzureichende Alarmmanagement-Prozesse (z.B. keine
regelmäßige Auswertung des Alarmgeschehens und
Ableitung von Maßnahmen, keine regelmäßigen
Systemaudits)
– keine systematischen Trainingskonzepte hinsichtlich
Benutzung und Funktionen des Alarmsystems und für
den Umgang mit Alarmen sowie kritischen Situationen
Projekt „Alarmmanagement“, 2015/2016
Auszug aus einer Alarmliste
Quelle
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strukturelle Defizite der Systemgestaltung
– technischen Systems
– organisationalen Systems
Projekt „Alarmmanagement“, 2015/2016
mangelnde Berücksichtigung ergonomischer
Erkenntnisse und Gestaltungsempfehlungen
Gestaltungsdefizite waren u.a.
– Alarmschauer
– keine/schlechte Priorisierung von Alarmen
– Anzeigen lieferten falsche/keine angemessenen
Informationen
– verwirrende Handlungsanweisungen / keine
Hilfesysteme mit alarmbezogenen Hilfetexten
– kritische Alarme sprachen nicht an / deaktivierte Alarme
– keine angemessenen Trainingskonzepte und Trainings
für den Umgang mit Alarmen sowie kritischen
Situationen
Zusammenfassung
erhebliche Defizite in der Systemgestaltung feststellbar
– trotz vorliegender Erkenntnisse und Empfehlungen
Defizite in den vorliegenden Erkenntnissen
– intensivere Forschungsaktivitäten erforderlich
stattdessen häufig ad hoc Trainingsmaßnahmen nach
(kritischen) Ereignissen
– personenorientierte Lösungsansätze für strukturelle
Gestaltungsdefizite
Diskussion
Frage 1
Woran liegt es, dass – trotz Erfahrungen
aus kritischen Ereignissen sowie Vorliegen
zahlreicher Leitfäden mit Gestaltungs-
empfehlungen – die Empfehlungen noch
unzureichend umsetzt werden?
Frage 2
Was können/sollten Institutionen, wie z.B.
Berufsgenossenschaften, tun, um die
Unternehmen zu unterstützen?
Frage 3
Was brauchen Institutionen, wie z.B.
Berufsgenossenschaften, um ihren
Präventionsauftrag bezgl. dieses Themas
erfüllen zu können?
Ansprechpartner und Informationen:
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!
Prof. Dr. Friedhelm Nachreiner
0441/9501901
Dipl.-Psych. Martina Bockelmann
0421/20805407