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medgen 2014 · 26:11–20DOI 10.1007/s11825-014-0435-yOnline publiziert: 21. Februar 2014© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014

T.M. Neuhann1 · B. Rautenstrauss1, 2

1 Medizinisch Genetisches Zentrum, München2 Friedrich-Baur-Institut, Ludwig-Maximilians-University, München

Hereditäre OptikusatrophienZusammenfassungBei hereditären Optikusatrophien werden 2 Untergruppen differenziert: isolierte hereditäre Optikusatrophien und hereditäre Optikusatrophien als Teil von syndromalen Erkrankungen. In der 1. Gruppe ist die Beeinträchtigung des N. opticus typischerweise die einzige Manifes-tation. Diese Gruppe umfasst insbesondere autosomal-dominante und autosomal-rezessive Optikusatrophien, darüber hinaus auch die mitochondrial vererbte hereditäre Leber-Opti-kusneuropathie (LHON).

In der 2. Gruppe, die die syndromalen Erkrankungen umfasst, wird eine Vielzahl neuro-logischer und anderer systemischer Auffälligkeiten beobachtet. Am häufigsten sind hier Ver-änderungen der mitochondrialen DNA (mtDNA) ursächlich. Weiterhin ist eine Optikusatro-phie Symptom von einigen erblichen peripheren Neuropathien bzw. Charcot-Marie-Tooth-Erkrankungen (CMT2A2, CMTX5), hereditären sensorischen Neuropathie Typ 3 (HSAN3), Friedreich-Ataxie, Leukodystrophien, Sphingolipidosen, Zeroidlipofuszinosen und Eisen-speichererkrankungen („neurodegeneration with brain iron accumulation“, NBIA). Im vor-liegenden Beitrag werden die zugrundeliegenden genetischen Prädispositionen und die kli-nischen Phänotypen erläutert.

SchlüsselwörterHereditäre Leber-Optikusneuropathie · Wolfram-Syndrom · MERRF-Syndrom · Neuronale Ferritinopathie · Mitochondriale Erkrankung

CME Zertifizierte Fortbildung

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Lernziele

Nach der Lektüre des Beitrags F  haben Sie einen Überblick über klinische Symptome, typische Verlaufsformen und Visu-

sprognosen der isolierten Optikusatrophien,F  sind Ihnen die Grundzüge der Genetik einschließlich Erbgänge, Variabilität und Penet-

ranz der häufigen isolierten Optikusatrophien (autosomal-dominante Optikusatrophie, ADOA, und hereditäre Leber-Optikusneuropathie, LHON) bekannt,

F kennen Sie die Therapieaussichten isolierter Optikusatrophien,F  sind Sie über Klinik und Verlauf syndromaler Krankheitsbilder, die typischerweise mit

einer Optikusatrophie einhergehen können, insbesondere der Mitochondriopathien und Neuropathien, informiert,

F  kennen Sie sowohl von ophthalmologischer Seite als auch bez. möglicher extraokulärer Symptome und Therapieoptimierung den hohen Stellenwert der molekulargenetischen Diagnostik zur Diagnosesicherung und Einschätzung des weiteren Krankheitsverlaufs.

Hintergrund

Die hereditären Optikusneuropathien treten, bei einer geschätzten Häufigkeit von 1:12.000–1:50.000, entweder isoliert oder als Teil syndromaler Erkrankungen auf [1]. Für erbliche Optikusneuropathien ist ein symmetrischer bilateraler und zentraler Visusverlust mit zentralen oder zäkozentralen  Sko-tomen charakteristisch. Üblicherweise kommt es, mit nur wenigen Ausnahmen, zu einem progre-dienten und irreversiblen Visusverlust. Eine substanzielle Schädigung der Sehnervenfasern tritt be-reits auf, bevor klinische Zeichen manifest sind. Meist werden Optikusatrophien autosomal-domi-nant oder mitochondrial (maternal) vererbt, seltener sind isolierte autosomal-rezessive bzw. X-chro-mosomale Formen, wie das Charcot-Marie-Tooth-Neuropathiesyndrom, Typ 5 (CMTX5, Rosen-berg-Chutorian-Syndrom) oder das Pelizaeus-Merzbacher-Syndrom.

Bei den isolierten bzw. primären hereditären Optikusneuropathien ist die eine Funktionsbeein-trächtigung des N. opticus. Der Visusverlust ist entweder beidseitig und symmetrisch oder bei Pa-tienten mit einer LHON asynchron, plötzlich und stark ausgeprägt [1]. Im Gegensatz dazu weisen die Optikusneuropathien im Kontext syndromaler Erkrankungen eine Vielzahl zusätzlicher neurologi-scher und systemischer Symptome auf. Die Optikusatrophie ist speziell bei einigen  peripheren Neu-

Die hereditäre Optikusneuropathie führt zu einem progredienten und irreversiblen Visusverlust

Eine Funktionsbeeinträchtigung des N. opticus ist die einzige Manifesta-tion bei der isolierten oder primär hereditären Form

Hereditary optic neuropathies

AbstractHereditary optic neuropathies comprise a group of clinically and genetically heterogeneous disor-ders, which can be divided into 2 subgroups: isolated hereditary optic atrophies and optic neuropa-thies as part of complex disorders. In the first group of isolated hereditary optic neuropathies, optic nerve dysfunction is typically the only manifestation of the disease. This group comprises autosomal dominant, autosomal recessive and X-linked recessive optic atrophy, and the mitochondrial inher-ited Leber’s hereditary optic neuropathy (LHON). In the second group of complex disorders, vari-ous neurologic and other systemic abnormalities are regularly observed. The most frequent cause in this group are mitochondrial DNA (mtDNA) mutations, inherited peripheral neuropathies, Char-cot–Marie–Tooth disorders (CMT2A2, CMTX5), hereditary sensory neuropathy type 3 (HSAN3), Friedreich ataxia, leukodystrophies, sphingolipidoses, ceroid-lipofuscinoses, and neurodegeneration with brain iron accumulation (NBIA). In the present article, the clinical phenotypes and underlying genetic predispositions are described.

KeywordsOptic atrophy, hereditary, Leber · Wolfram syndrome · MERRF syndrome · Neuroferritinopathy · Mitochondrial disease

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ropathien oder Charcot-Marie-Tooths-Erkrankungen ein häufiger Befund. Hier seien Mutationen in den Genen Mitofusin 2 (MFN2: CMT2A2, CMT6) und PRPS1 (CMTX5) besonders erwähnt [2, 3].

Weitere neurologische Erkrankungen, die mit einer Optikusatrophie einhergehen, sind die he-reditäre sensorische und autonome Neuropathie Typ 3 (HSAN3 auch familiäre Dysautonomie, Ri-ley-Erkrankung), Friedreich-Ataxie sowie einige Leukodystrophien. Beispiele für letztere sind die Adrenoleukodystrophie, metachromatische Leukodystrophie, M. Krabbe, Pelizaeus-Merzbacher-Erkrankung, Canavan-Erkrankung und M. Alexander.Auch im Rahmen von Stoffwechselerkran-kungen, z. B. bei lysosomalen Speichererkrankungen (Sphingolipidosen, Zeroidlipofuszinosen so-wie den Eisenspeichererkrankungen „neurodegeneration with brain iron accumulation“ (NBIA), tritt eine Dysfunktion des N. Opticus auf. Bei diesen Erkrankungen steht jedoch für gewöhnlich die systemische Manifestation mit Entwicklungsverzögerung und Beeinträchtigung weiterer Organe im Vordergrund [4].

Isolierte oder primäre hereditäre Formen

Die häufigsten und am besten beschriebenen Erkrankungen in dieser Gruppe sind die autosomal-do-minante Optikusatrophie (ADOA; Optikusatrophie Typ Kjer [5, 6]) und die LHON ([7], . Tab. 1).

Mit Mutationen in OPA1 assoziiert: Optikusatrophie Typ Kjer, Optikusatrophie 1

Wie im Jahr 2000 gezeigt wird die autosomal-dominante Optikusatrophie (ADOA), auch Optikus-atrophie Typ Kjer genannt, durch Mutationen im OPA1-Gen (Chromosom 3q29) verursacht [8, 9]. Mutationen in OPA1 sind die mit Abstand häufigste Ursache einer erblichen Optikusatrophie (In-zidenz bis zu 1:10.000 [6, 8]). Auch Patienten mit einer klinisch sporadischen Optikusatrophie kön-nen eine OPA1-Mutation tragen – z. B. aufgrund eines subklinisch milden Verlaufs bei anderen Fa-milienmitgliedern oder einer De-novo-Mutation [4]. OPA1 ist ein nukleär kodiertes mitochondria-les mit Dynamin verwandtes GTP-Protein. Es ist in der inneren Mitochondrienmembran lokalisiert und beeinflusst die mitochondriale Integrität, was zu einer Beeinträchtigung der zellulären Energie-versorgung führt. Als Zeichen der  Mitochondriopathie haben Patienten mit OPA1-Mutationen in der Muskelbiopsie eine mitochondrialen Myopathie mit multiplen Deletionen in der mitochondria-len DNA (mtDNA, [4]).

Die mit OPA1-Mutationen assoziierte Optikusatrophie manifestiert sich typischerweise zwischen dem 4. und 6. Lebensjahr, der Phänotyp kann aber auch diskret und ohne subjektiven Visusverlust sein. Durch die verminderte Expressivität können Mutationsträger asymptomatisch sein, die Unter-suchung weiterer Familienmitglieder ist angeraten. Die  Fundoskopie zeigt eine blasse Papille, visu-ell evozierte Potenziale (VEP) können verzögert sein und eine kleine Amplitude aufweisen, das Elek-troretinogramm (ERG) zeigt eine Dysfunktion der Ganglionzellschicht. Darüber hinaus zeigen Pa-tienten mit OPA1-Mutationen eine  Tritanopie (Blau-Gelb-Schwäche). Bis zu 10% der Patienten ha-

Mutationen in OPA1 sind die mit Abstand häufigste Ursache einer erblichen Optikusatrophie

Bei der Optikusatrophie 1 zeigt das Elektroretinogramm eine Dysfunkti-on der Ganglionzellschicht

Tab. 1 Genetik und Klinik der isolierten hereditären Optikusatrophie in Abhängigkeit vom Gen

Mit OPA1 assoziert LHON Mit OPA3 asso-ziiert

Mit TMEM126A assoziiert

Erbgang Autosomal-dominant Mitochondrial (maternal) Autosomal-do-minant

Autosomal-re-zessiv

Manifesta-tionsalter

Kindheit Junges Erwachsenenalter (Män-ner häufiger als Frauen betroffen)

Späte Kindheit Kindheit

Klinik Langsam progre-dient, Tritanomalie

Plötzlicher Visusabfall, Beginn häufig unilateral

Ggf. zusätzlich Katarakt

Sehr früh mani-fest, mit deutli-cher Progredienz

Visusver-lust

Meist moderat (bis subklinisch)

Sehr ausgeprägt Moderat bis aus-geprägt

Sehr ausgeprägt

Mögliche extraokulä-re Befunde

Bei etwa 20% der Patienten neurologi-sche Auffälligkeiten (z. B. Ataxie, Neuro-pathie)

Evtl. leichte neurologische Auf-fälligkeiten; MS-ähnliche Symp-tomatik

In höherem Le-bensalter leichte neurologische Auffälligkeiten möglich

Subklinische Schwerhörigkeit

OPA Optikusatrophie, LHON hereditäre Leber-Optikusneuropathie, TMEM Transmembranprotein, MS multiple Sklerose.

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ben extraophthalmologische Symptome, wie eine sensorineurale Schwerhörigkeit [4]. Andere extrao-kuläre Symptome können eine proximale Myopathie, Ataxie (zerebellär und sensorisch) sowie pro-gressive externe Ophthalmoplegie und Neuropathie (axonal sensorisch und motorisch) sein. Diese neurologischen Symptome treten selten und gewöhnlich erst im Erwachsenenalter auf.

Hereditäre Leber-Optikusneuropathie

Die LHON (Anlageträgerfrequenz etwa 12:100.000) manifestiert sich gewöhnlich als subakuter Vi-susverlust, entweder synchron oder zunächst unilateral, wobei regelhaft das 2. Auge im Verlauf von etwa 4–8 Wochen ebenfalls einen Visusverlust entwickelt [7]. Die meisten Patienten sind vollstän-dig symptomfrei, bis ein deutlicher Visusverlust in der Akutphase auftritt. In der chronischen Pha-se bleibt die Sehbeeinträchtigung stabil, obgleich einige Patienten sogar über eine leichte Verbesse-rung berichtet haben. Während der Akutphase fallen eine  geschwollene Papille, verursacht durch ein Ödem des peripapillären Nervengewebes, retinale Teleangiektasien und eine erhöhte vaskuläre Tortuosität auf. In der chronischen (atrophen) Phase ist die Papille blass, ähnlich wie bei Optikusa-

Tab. 2 Übersicht über syndromale Erkrankungen mit Optikusatrophie

Gen Erbgang Leitsymptome neben Optikusatrophie

Mitochondriopathien

Mutationen der mitochon-drialen DNA

MTND1-6 M Sehr variabler Verlauf möglich, oligosymptomatisch (Dif-ferenzialdiagnose: LHON) bis hin zum Leigh-Syndrom; Myopathie, Belastunsintoleranz, Laktatazidose, Dystonie

MTTK M MERRF-Syndrom (Myoklonusepilepsie mit „ragged red“ Fasern), Epilepsie, Myopathie

Hereditäre Neuropathien

CMT2A2 MFN2 AD Langsam progrediente axonale Neuropathie, Paresen, Atrophien

CMTX5 PRPS1 XR Periphere Neuropathie, Schwerhörigkeit

HSAN3 IKBKAP AR Autonome Dysfunktion, gestörtes Schmerz-/Tempera-turempfinden, muskuläre Hypotonie

Ataxien

Autosomal-dominante spi-nozerebelläre Ataxien

ATXN1, CAC-NA1A, TBP u. a.

AD Ataxie, Dysarthrie, Nystagmus, muskuläre Hypotonie und extrapyramidale Symptome

Friedreich-Ataxie FXN AR Ataxie, Dysarthrie, Nystagmus, Hohlfuß, Skoliose, Neuro-pathie

Kindliche neurodegenrative Erkrankungen/Stoffwechseldefekte

Leukodystrophien:Metachromatische Leuko-dystrophie, M. Krabbe, M. Pelizaeus-Merzbacher, Adrenoleukodystropie u. a.

ARSAGALCPLP1ABCD1u. a.

ARARXRXR

In der Regel typisches MRT-Bild, progrediente Spastik/muskuläre Hypertonie, psychiatrische Symptome

Weitere Sphingolipidosen:GM1-Gangliosidose, M. Tay-Sachs, M. Sandhoff, M. Niemann-Pick u. a.

GLB1HEXAHEXBNPC1u. a.

AR Kirschroter Fleck/Pigmentdegeneration, z. T. Hepato-splenomegalie, variable neurologische Symptomatik

Zeroidlipofuszinosen CLN1-3, -5, -6, -7, -8, -10

AR Epilepsie, Demenz, Ataxie

Neurodegeneration mit Eisenablagerung (NBIA)

PKANPLA2G6FAHNC19orf12

Gangstörung, Dystonie, Dysarthrie, Demenz MRT: „eye of the tiger“ im Globus pallidus (Eisenablagerung)

Wolfram-Syndrom-1 WFS1 AR Fakultativ Schwerhörigkeit; gestörte Glukosetole-ranz;Verhaltensauffälligkeiten, variabler Visusverlust

M mitochondrial (maternal), AD autosomal-dominant, AR autosomal-rezessiv, XR X-chromosomal-rezessiv, LHON hereditäre Leber-Optikusneuropathie, CMT Charcot Marie Tooth, HSAN hereditären sensorischen Neuropathie, GM Monosialogangliosid, MRT Magnetresonanztomographie.

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trophien anderer Genese. Die Mehrheit der Patienten sind junge Männer in der 2.–3. Lebensdekade. Allerdings wurden auch atypische Verläufe mit früherem bzw. späterem Beginn der Erkrankung be-schrieben (auch als Differenzialdiagnose zur anterioren ischämischen Optikusneuropathie, AION). Männer sind 5-mal häufiger betroffen als Frauen. Extraokuläre Symptome sind kardiale Erregungs-leitungsstörungen und neurologische Symptome, wie Tremor, periphere Neuropathie und unspezifi-sche Myopathie [4, 10]. Bei weiblichen Patienten können zuweilen Symptome ähnlich denen der mul-tiplen Sklerose beobachtet werden. In wenigen Familien wurden schwere neurologische Symptome, wie Ataxie, Dystonie und Enzephalopathie berichtet [4]. Die LHON hat eine reduzierte Penetranz, nur etwa 50% der männlichen und etwa 10% der weiblichen Anlageträger entwickeln Symptome.

Die LHON wird durch mtDNA-Mutationen verursacht, die für Untereinheiten der  NADH-De-hydrogenase kodieren. Von den Patienten tragen 90% eine der 3 primär mit einer LHON assozi-ierten Mutationen: m.11778G>A (MT-ND4, häufigste Mutation), m.14484T>C (MT-ND6), oder m.3460G>A (MT-ND1, [4]). Patienten mit der Mutation m.11778G>A zeigen tendenziell einen deut-licher ausgeprägten Visusverlust als Anlageträger der anderen beiden primären LHON-Mutationen. Die Mehrheit der Patienten trägt die jeweilige Mutation homoplasmisch. Heteroplasmie kann mit eine Erklärung für die reduzierte Penetranz der LHON sein [4], allerdings zeigt auch die Homoplas-mie reduzierte Penetranz. Ebenso spielt auch der mitochondriale  DNA-Haplotyp eine Rolle [4]. In therapeutischen Studien konnte speziell für Patienten mit diskordantem Visusverlust eine Visusver-besserung durch Ibedenone gezeigt werden [4].

Mit Mutationen in OPA3 assoziiert: Optikusatrophie 3

Als ursächlich für eine autosomal-dominante Optikusatrophie wurden auch heterozygote Mutatio-nen im OPA3-Gen beschrieben [11, 12].  Biallelische Mutationen in OPA3 verursachen den Typ 3 der 3-Methylglutaconazidurie (Costeff-Syndrom). Diese Patienten haben eine bilaterale Optikusatro-phie, Spastik, extrapyramidale Zeichen und kognitive Defizite. Das Behr-Syndrom, eine autosomal-rezessive Erkrankung mit Optikusatrophie bisher unklarer Ätiologie, geistiger Behinderung und spi-nozerebellärer Degeneration (Ataxie, Spastik, sensorische Defizite, periphere Neuropathie) ähnelt der Symptomatik des Costeff-Syndroms. Patienten mit einer heterozygoten OPA3-Mutation sind häufig schon in der frühen Kindheit mit einer Optikusatrophie symptomatisch. Häufig haben die Patienten zusätzlich eine angeborene oder früh manifeste Katarakt. Der Visusverlust ist moderat und langsam progredient. Extraokuläre Symptome, wie Areflexie, Ataxie, und Schwerhörigkeit, wurden berichtet [12]. OPA3 wird insbesondere in der äußeren Mitochondrienmembran angereichert und spielt eine Rolle bei der mitochondrialen Fusion [4].

Mit Mutationen in TMEM126A assoziiert: Optikusatrophie 7

In Familien mit autosomal-rezessiver Optikusatrophie und nordafrikanischem Ursprung wurde eine homozygote Mutation (c.163C>T, p.Arg55X) in TMEM126A (kodiert das transmembranäre Prote-in 126A) identifiziert [13, 14]. Der Visusverlust ist bereits in früher Kindheit manifest und ist meist deutlich ausgeprägt. Eine sensomotorische axonale Neuropathie sowie eine sensorineurale Schwer-hörigkeit wurden bei einigen Patienten beschrieben.

Assoziation mit syndromalen Erkrankungen

Häufig kommt eine Optikusatrophie im Rahmen von Mitochondriopathien, bestimmten hereditä-ren Neuropathien, Leukodystrophien und verschiedenen Stoffwechselerkrankungen vor (. Tab. 2).

Mit Mutationen in WFS1 assoziierte Optikusatrophien

Biallelische Mutationen im Gen Wolframin 1 (WFS1) verursachen das autosomal-rezessiv vererbte Wolfram-Syndrom. Dieses Syndrom ist eine Multiorganerkrankung. Charakteristisch hierfür sind Diabetes insipidus, Diabetes mellitus, Optikusatrophie und Taubheit (DIDMOAD). Die Patienten können zusätzliche neurologische Symptome, wie eine Ataxie, periphere Neuropathie, Demenz und psychiatrische Erkrankungen, aufweisen. Viele Patienten haben eine  reduzierte Lebenserwartung

Die Mehrheit der Patienten sind junge Männer in der 2.–3. Lebensdekade

Heteroplasmie kann eine Erklärung für die reduzierte Penetranz der hereditären Leber-Optikusneuro-pathie sein

OPA3 wird in der äußeren Mitochon-drienmembran angereichert und spielt eine Rolle bei der mitochondrialen Fusion

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[15]. Der Phänotyp kann allerdings sehr variabel und oligosymptomatisch sein, beispielsweise nur mit Optikusatrophie und Diabetes mellitus [4]. Heterozygote Mutationen in WFS1 können ursäch-lich für eine autosomal-dominante Optikusatrophie sein. In diesen Familien sind Erkrankungsbe-ginn und Visusverlust hoch variabel: von gering ausgeprägt bis hochgradig mit Beginn der Symp-tome ab Adoleszenz bis zum Erwachsenenalter. Patienten mit einer WFS1-assoziierten Optikus-atrophie haben häufig zusätzliche Symptome, die auch beim Wolfram-Syndrom beobachtet werden, z. B. Schwerhörigkeit oder psychiatrische Erkrankungen. Weiterhin können heterozygote Mutatio-nen in WFS1 auch eine nichtsyndromale Schwerhörigkeit (ohne begleitende Optikusatrophie) ver-ursachen. Das Wolframin-1(WFS1)-Protein ist im endoplasmatischen Retikulum (ER) als Memb-ranglykoprotein lokalisiert.

Mitochondriopathien

Typische Symptome von Mitochondropathien können neben einer Optikusatrophie eine Ptosis, ex-terne Ophthalmoplegie, Myopathie, Kardiomyopathie, Schwerhörigkeit oder ein Diabetes mellitus sein. Die Symptome können gering bis hin zum klinischen Vollbild des Leigh-Syndroms ausgeprägt sein.

MERRF-SyndromDas MERRF-Syndrom („myoclonic epilepsy with ragged red fibers“) ist eine Multisystemerkran-kung mit Myoklonien, Epilepsie, Ataxie, Muskelschwäche und Demenz [16, 17] und beginnt übli-cherweise in der Kindheit. Betroffene haben häufig eine Schwerhörigkeit, Kleinwuchs, Optikusatro-phie und Kardiomyopathie mit Wolff-Parkinson-White(WPW)-Syndrom. Gelegentlich tritt eine Re-tinitis pigmentosa oder Lipomatose auf. Das ebenfalls mitochondriale Kearns-Sayre-Syndrom resul-tiert in einer Reitinitis pigmentosa ohne Optikusatrophie. Typische Befunde in der kraniellen Bild-gebung sind eine Atrophie und Basalganglienverkalkungen.

Das MERRF-Syndrom wird wie die LHON mitochondrial vererbt. Mütter von Erkrankten sind für gewöhnlich Anlageträgerinnen mit einem geringeren Heteroplasmiegrad und können gering ausgeprägte bzw. einzelne Symptome des MERFF-Syndroms aufweisen. Die häufigste Ursache des MERRF-Syndroms ist eine mtDNA-Mutation im Gen MT-TK, das für die tRNALys kodiert [18]. Bei über 80% der Patienten mit typischer Symptomatik findet sich die A>G-Transition an Nukleotid-position 8344 (m.8344A>G).

Hereditäre Neuropathien

Charcot-Marie-Tooth-Syndrom Typ 6 Das Charcot-Marie-Tooth-Syndrom Typ 6 (CMT6) ist ein Subtyp der hereditären motorischen und sensiblen Neuropathie-Formen (HSMN6). Es wird autosomal-dominant vererbt und geht mit einem Visusverlust einher, der häufig zwischen dem 7. und 10. Lebensjahr beginnt. Es kann sich eine pro-grediente Optikusatrophie entwickeln. Der Visusverlust kann auch vorübergehend sein und sich bis zu einem gewissen Grad zurückbilden. Eine axonale motorische und sensible Neuropathie entwickelt sich für gewöhnlich in der frühen Kindheit. Sowohl die neurologischen als auch die ophthalmolo-gischen Symptome eines Charcot-Marie-Tooth-Syndroms Typ 6 (CMT6) können sehr variabel sein [2, 4]. Die periphere Neuropathie präsentiert sich mit auffälligem Gangbild, distalen sensiblen Defi-ziten und  Hyporeflexie. Hörverlust, Tinnitus, sakkadenartige Augenbewegungen und Anosmie sind fakultative zusätzliche Zeichen. Auch hier ist eine inkomplette Penetranz beschrieben. Mutationen des mitochondrialen Fusionsproteins Mitofusin 2 sind ursächlich für die CMT6. Das Mitofusin-2-(MFN2)-Gen kodiert eine große mitochondriale transmembranäre GTPase.

Charcot-Marie-Tooth Neuropathie Typ X5 Neben der Optikusatrophie liegen bei der X-gekoppelten Form der Charcot-Marie-Tooth-Erkran-kung (CMTX5) eine progrediente Taubheit und Polyneuropathie vor. In der Kindheit treten Schwer-hörigkeit sowie sensible und motorische Neuropathie mit Schwäche bzw. Atrophie der unteren Extre-mität auf. Im weiteren Verlauf betrifft diese auch die obere Extremität. Eine Optikusatrophie wird in der Kindheit bzw. Adoleszenz manifest. Neurologische Symptome sind Gangauffälligkeiten und Fuß-fehlstellungen ( Pes cavus, [3, 4, 19]). Anlageträgerinnen können eine langsam progrediente Schwer-

Der Phänotyp des Wolfram- Syndroms kann sehr variabel und oligosymptomatisch sein

Das Wolframin-1-Protein ist im endoplasmatischen Retikulum als Membranglykoprotein lokalisiert

Das MERRF-Syndrom wird wie die hereditäre Leber-Optikusneuropa-thie mitochondrial vererbt.

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hörigkeit entwickeln. Für die CMTX5 sind Mutationen im PRPS1-Gen, das für die Phosphoribosyl-pyrophosphatsynthetase 1 kodiert, ursächlich [3].

Hereditäre Ataxien

Spinozerebelläre Ataxie Typ 1Die spinozerebelläre Ataxie Typ 1 (SCA-1) wird durch eine Trinukleotidexpansion (sog. CAG-Re-peats) im Ataxin-1(ATXN1)-Gen auf Chromosom 6p22-p23 verursacht. Pathologisch sind 38 oder mehr CAG-Repeats (Normalallele: 19–36 CAG-Repeats). Diese autosomal-dominant vererbte Mu-tation führt zu einem Funktionsgewinn („gain of function“) von Ataxin-1. Der Erkrankungsbeginn und Schweregrad der Erkrankung korrelieren nicht exakt mit der Länge der CAG-Repeatexpansi-on, dennoch führt eine deutliche Expansion i. d. R. zu einem frühen Krankheitsbeginn und gravie-renderen Symptomen. Auch ein zunehmender Schweregrad in nachfolgenden Generationen ( Anti-zipation) wurde berichtet [4].

Die Erkrankung beginnt i. d. R. um das 40. Lebensjahr. Erste Symptome sind Gangataxie sowie Ataxie der Extremitäten, bulbäre Dysfunktion und Dysarthrie. Im Verlauf gehen Vibrationssinn so-wie Propriozeption verloren. Bis zu 30% der SCA-1-Patienten entwickeln eine primäre Optikusatro-phie mit individueller Variabilität. Im Vergleich zu SCA-2 und SCA-3 ist die SCA-1 häufiger mit Py-ramidenbahnzeichen, Optikusatrophie und Dysphagie assoziiert. Okulomotorische Auffälligkeiten, wie optokinetischer Nystagmus, beeinträchtigte Folgebewegungen des Auges, Blickrichtungsnystag-mus, supranukleäre Ophthalmoplegie und Lidretraktion, sind häufig [4]. Im späteren Verlauf der Er-krankung können weitere neurologische Symptome wie Dystonie, Gesichtslähmungen und Chorea (extrapyramidale Zeichen) auftreten [4].

Friedreich-Ataxie Die Friedreich-Ataxie (FA) macht mindestens die Hälfte der erblichen Ataxien aus, Männer und Frauen sind gleich häufig betroffen. Die Prävalenz der autosomal-rezessiv vererbten FA wird auf 1:22.000 bis 2:100.000 geschätzt [20].

Erste Symptome treten vor dem 25. Lebensjahr auf (durchschnittlich mit 10,52 Jahren). Die FA ist eine progrediente Erkrankung, die zum Verlust der Gehfähigkeit im Alter von etwa 25 Jahren führt. Typische Symptome sind Extremitäten- und Rumpfataxie ebenso wie fehlende Sehneneigenreflexe. Zusätzlich können Dysarthrie, Pyramidenbahnzeichen und Verlust des Vibrations- und Lagesinns auftreten. Eine Optikusatrophie tritt bei 25% der Patienten auf, allerdings ist diese selten stark visus-beeinträchtigend [4]. Zwei Drittel der Patienten weisen abnormale VEP mit reduzierten Amplitu-den und verzögerter Latenz auf. Etwa 20% der Patienten haben einen Nystagmus. Die externe Au-genmuskulatur ist regelhaft mit betroffen. Dies resultiert in abnormalen Folgebewegungen, dysme-trischen Sakkaden und fehlender Fixation. Von den Patienten entwickeln 10% eine sensorineurale Schwerhörigkeit, weitere 10% haben einen Diabetes mellitus; letzterer ist assoziiert mit einer höhe-ren Inzidenz von Optikusatrophie und Taubheit. Zusätzlich hat die Mehrheit der Patienten kardiale Symptome [4]. Die typische FA wird durch eine Trinukleotidexpansion eines GAA-Repeats im 1. In-tron des Gens Frataxin (FRX) verursacht. Diese Expansion führt zu einer reduzierten Menge an  Fra-taxin-Protein [4]. Die Anzahl der GAA-Repeats korreliert mit einer Reduktion der Expression von Frataxin und damit auch mit dem Schweregrad der Erkrankung. Eine seltene Ursache der FA sind Mutationen im FRX-Gen selbst (1–5% der Patienten, [4]).

Neurodegenerative Erkrankungen/Stoffwechselerkrankungen

Bei dieser Gruppe von Erkrankungen steht in aller Regel eine schwere progressive neurologische Symptomatik und Entwicklungsverzögerung bzw. geistige Behinderung der Betroffenen im Vorder-grund. Die Mehrzahl der Erkrankungen manifestiert sich im Kindes-/Jugendlichenalter.

LeukodystrophienBei der metachromatischen Leukodystrophie (autosomal-rezessiver Erbgang) ist der zugrundelie-gende Stoffwechseldefekt eine Defizienz an Arylsulfatase A [4]. Demenz und Erblindung beruhen auf einer fortschreitenden  subkortikalen Demyelinisierung. Eine Optikusatrophie tritt bei etwa 50% der Patienten auf. Bei der infantilen Form kommt es zu einer Speicherung von metachromatischen

Die Trinukleotidexpansion führt bei der spinozerebelläre Ataxie Typ 1 zu einem Funktionsgewinn von Ataxin-1

Im Verlauf der spinozerebellären Ataxie Typ 1 gehen Vibrationssinn sowie Propriozeption verloren

Die Friedreich-Ataxie führt als pro-grediente Erkrankung zum Verlust der Gehfähigkeit im Alter von etwa 25 Jahren

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komplexen Lipiden im N. opticus, den retinalen Ganglionzellen und den Ziliarnerven. Auch die pe-riphere Myelinisierung ist verändert, dies verursacht Schwäche und Ataxie.

Der M. Krabbe ist eine autosomal-rezessive, progrediente und demyelinisierende Erkrankung. Ursächlich ist ein Mangel an Galactosylceramid-β-Galactosidase [4]. Eine abnormale Speicherung von Galactosylceramid lässt sich extrazellulär sowie in Mikrogliazellen als periodic-acid-Schiff(PAS)-positives Material darstellen. Die resultierende diffuse Demyelinsierung des Gehirns führt zur Er-blindung und psychomotorischen Retardierung. Die Ausprägung der Optikusatrophie variiert. Die VEP können ebenfalls variieren und bei spätem Beginn im Vergleich zum frühen Ausbruch nor-mal sein [4].

Die Pelizaeus–Merzbacher-Erkrankung wird durch Mutationen bzw. Gendosisänderungen im Gen für das Proteolipidprotein-1 (PLP1) auf dem X-Chromosom verursacht [4], es tritt eine De-myelinisierung der zerebralen Hemisphären auf. Erste Zeichen sind nystagmoide Augenbewegun-gen, Zuckungen und rollende Kopfbewegungen sowie bei einigen Patienten ein Kopftremor. Im wei-teren Verlauf kommt es zur Demenz,  Choreoathetose, Ataxie und Spastik. Die Optikusatrophie tritt spät auf.

Die Adrenoleukodystrophie ist eine X-chromosomale Erkrankung. Aufgrund einer zugrundelie-genden Defizienz der peroxisomalen Acyl-Coenzym-A-Synthetase (Mutationen im Gen ABCD1) kommt es zu einem gestörten Abbau und somit zur Akkumulation überlangkettiger Fettsäuren („ve-ry long chain fatty acids“, VLCFA) führt [4]. Diese häufen sich in der Nebennierenrinde, den Ley-dig-Zellen und im ZNS an, wodurch es konsekutiv zu einer gestörten Myelinisierung kommt. Der Erkrankungsbeginn ist gewöhnlich im Kindesalter. Betroffene Jungen fallen häufig zunächst durch Verhaltensprobleme (z. B. Hyperaktivität, emotionale Labilität) und Krampfanfälle auf. Motorische Koordinationsprobleme sowie Visus- und Hörstörungen folgen [4].

Lipidosen Die Lipidosen repräsentieren eine Gruppe autosomal-rezessiver lysosomaler Speichererkrankun-gen. Typische Symptome sind mentale und motorische Retardierung. Beispiele sind  Gangliosido-sen, wie die Monosialogangliosid(GM)-1- und GM-2-Gangliosidose (inklusive Tay–Sachs-Erkran-kung und Sandhoff-Erkrankung) sowie die infantile Form der Niemann–Pick-Erkrankung [4]. Die Tay-Sachs-Erkrankung ist eine progressive neurodegenerative Erkrankung, die mit einer ausgepräg-ten Defizienz an β-N-Acetylhexosaminidase A (Hexosaminidase A) einhergeht. Bei der Sandhoff-Er-krankung fehlen sowohl Hexosaminidase A als auch B. Frühe psychomotorische Retardierung, pro-gressive Paralyse, Erblindung, übertriebene Schreckreaktionen auf akustische Stimuli sowie Krämp-fe sind typisch für die Tay-Sachs-Erkrankung. Typischer Befund in der Fundoskopie ist ein zentraler kirschroter Fleck, der durch lipidüberladene Ganglionzellen um die Fovea centralis verursacht wird [4]. Neben den genannten Symptomen wird auch eine Optikusatrophie beobachtet.

Neurodegeneration mit Eisenspeicherung Bisher sind Mutationen in 6 nukleären Genen als Ursache der „neurodegeneration with brain iron accumulation“ (NBIA), früher Hallervorden-Spatz-Erkrankung, bekannt. Die exzessive Eisenspei-cherung in mehreren Hirnregionen, präferenziell den Basalganglien (Globus pallidus), führt zu einer progredienten extrapyramidalen Dysfunktion [4]. Das Eye-of-the-tiger-Zeichen im Bereich der Ba-salganglien ist in der Bildgebung typisch. Die Erkrankung ist auch als pantothenatkinaseassoziier-te Neurodegeneration (PKAN) bekannt. Ursächlich sind Mutationen im Gen Pantothenatkinase 2 (PANK2) [4]. Eine progressive Dystonie mit frühem Beginn (vor dem 10. Lebensjahr) ist charakte-ristisch. Dysarthrie, Rigidität und Retinitis pigmentosa werden häufig beobachtet. Eine autosomal-rezessive Form (NBIA Typ 4) wurde kürzlich beschrieben [4].

Die infantile Neuroaxonale Dystrophie (INAD) ist eine Erkrankung des frühen Kindesalters mit den Hauptsymptomen Hypotonie, psychomotorische Retardierung und Pyramidenbahnzeichen. Re-zessive Mutationen im Gen PLA2G6 sind die Ursache dieser Erkrankung. Weiterhin treten bei dieser rasch fortschreitenden Erkrankung Strabismus, Nystagmus und Optikusatrophie auf [4].

Mutationen im Gen FA2H führen zu einem komplexen Phänotyp, der die Zeichen einer erb-lichen spastischen Paraplegie (SPG35) und einer familiären Leukodystrophie kombiniert. Die Ku-for-Rakeb-Erkrankung (KRD, synonym „Parkinson disease 9“, PARK9) wird durch Mutationen im Gen ATP13A2 verursacht. Klinisch werden eine juvenile Dystonie und eine Parkinson-Symptoma-tik auffällig [4].

Bei der Adrenoleukodystrophie fallen betroffene Jungen häufig zu-nächst durch Verhaltensprobleme und Krampfanfälle auf

Bei der Tay-Sachs-Erkrankung ist in der Fundoskopie ein zentraler kirschroter Fleck ein typischer Befund

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CME

Fazit für die Praxis

F  Bei den Optikusatrophien werden die isolierten hereditären Formen von solchen, die im Rah-men einer syndromalen Erkrankung entstehen, unterschieden.

F  Die zugrundeliegenden Erbgänge sind unterschiedlich. Neben autosomal-rezessiv bzw. autoso-mal-dominant vererbten Erkrankungen finden sich andere mit X-chromosomal-rezessivem oder mitchondrialem (maternalem) Erbgang.

F  Molekulargenetisch ursächlich liegen i. d. R. Mutationen bzw. Repeatverlängerungen in den entsprechenden Genen vor.

F  Die pathogenetischen Mechanismen sind in Abhängigkeit der veränderten Gene bzw. Proteine unterschiedlich und beruhen z. B. auf Stoffwechseldefekten, Neurodegenration bzw. Membran-dysfunktionen von endoplasmatischem Retikulum, Mitochodrium oder Zellmembran. Für die jeweilige Erkrankung typische Befunde sind häufig in der Fundoskopie zu erheben.

Korrespondenzadresse

T. M. NeuhannMedizinisch Genetisches ZentrumBayerstr. 3–5, 80335 Mü[email protected]

Einhaltung ethischer Richtlinien

Interessenkonflikt. T.M. Neuhann und B. Rautenstrauss geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.

Dieser Beitrag beinhaltet keine Studien an Menschen oder Tieren.

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?Welche Aussage zu LHON trifft zu? LHON wird autosomal-dominant vererbt. LHON wird autosomal-rezessiv vererbt. LHON wird peroxisomal vererbt. LHON wird mitochondrial vererbt. LHON wird durch exogene Traumata aus-

gelöst.

?Welche Untersuchung ist zur exakten Di-agnostik einer Optikusatrophie beson-ders wichtig?

Fundoskopie Ultraschall Röntgenbild MRT Endoskopie

?Bei einem Jungen mit gesunden Eltern und den Leitsymptomen einer Optikus-atrophie, peripheren Neuropathie und Schwerhörigkeit kommt welche syn-dromale Erkrankung am ehesten in Be-tracht?

Friedreich-Ataxie SCA-1 CMT6 Zeroidlipofuszinose CMTX5

?Retinale Teleangiektasien und eine ge-schwollene Papille sind Zeichen für …

die Spätphase einer ADOA. eine Eisenspeicherkrankheit. Heteroplasmie. die LHON-Akutphase. einen Blickrichtungsnystagmus.

?In der Fundoskopie ist ein zentraler kirschroter Fleck sichtbar. Dies ist diag-nostisch relevant für …

eine Lipidose vom Typ Tay-Sachs. eine Choreoathetose. eine Einlagerung von Kupfer im N. opticus. ein Wolfram-Syndrom. eine anteriore ischämische Optikusneuro-

pathie.

?Bei einem Patienten mit einer Optikusa-trophie aufgrund einer mtDNA-Mutati-on ist welches Begleitsymptom unwahr-scheinlich?

Fazialisparese Dystonie Hörstörung Nystagmus Kardiomyopathie

?Welche Aussage zur medikamentösen Therapie einer Optikusatrophie trifft zu?

Blutdrucksenkende Mittel sind obligat. Ibuprofen wird empfohlen, Aspirin nicht. Coenzym Q10 bessert den Visusverlust. Es gibt Hinweise dafür, dass bei einzelnen

Patienten durch die Gabe von Idebenone der Krankheitsverlauf beeinflusst werden kann.

Thalidomid sollte nur in der Akutphase verabreicht werden.

?In der Bildgebung zeigt sich das Eye-of-the-tiger-Zeichen im Globus pallidus. Der Patient leidet an …

Adrenoleukodystrophie. Lipidose. Friedreich-Ataxie. HSAN3. Hallervorden–Spatz-Erkrankung bzw.

NBIA.

?Eine Erklärung für die reduzierte Penetranz bei LHON ist …

Homoplasmie. Heteroplasmie. genetischer Chimärismus. Keimbahnmosaizismus. somatischer Mosaizismus.

?Bei einer Multiorganerkrankung mit Di-abetes mellitus, Diabetes insipidus, Opti-kusatrophie und Taubheit sollte eine ge-netische Abklärung für welche Erkran-kung erfolgen?

Wolfram-Syndrom (DIDMOAD) Costeff-Syndrom Behr-Syndrom M. Sandhoff NBIA

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