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Notfall Rettungsmed 2010 · 13:67–78DOI 10.1007/s10049-009-1237-7Online publiziert: 30. Januar 2010© Springer-Verlag 2010

M. Schorl1 · B. Dirks2 · W. Klingler2

1 Neurologie, SRH Fachkrankenhaus Neresheim, Neresheim2 Klinik für Anästhesiologie, Universitätsklinikum Ulm

HirnstammblutungenGutes Outcome möglich

ZusammenfassungHirnstammblutungen stellen eine neurologische Notfallsituation dar, deren korrekte und recht-zeitige Erkennung, die suffiziente Erst- und Notfallversorgung unter Berücksichtigung typischer Komplikationen und die Allokation zur suffizienten Diagnostik und Therapie entscheidend für das Outcome sind. Ätiologie, Symptomatik, typische Komplikationen und die Notfalldiagnostik von Hirnstammblutungen werden dargestellt. Fälschlicherweise wird die Prognose oft als schlecht eingeschätzt, obwohl ein gutes Outcome – wie auch anhand zweier Kasuistiken gezeigt – möglich ist. Mögliche Gründe für die schlechte Prognoseeinschätzung und die Auswirkungen dieser Ein-schätzung auf die Kommunikation mit Angehörigen und die präklinische und klinische Notfall-therapie werden diskutiert.

SchlüsselwörterHirnstamm · Neurologische Notfälle · Schlaganfall · Zerebrale Blutung · Intrakranielle Blutung

Brainstem hemorrhage · Functional recovery is possible

AbstractBrainstem hemorrhage is a neurological emergency. Early and correct recognition, appropriate emergency treatment considering typical complications and the allocation to appropriate diag-nostics and treatment are crucial for the functional outcome. Etiology, symptoms, typical com-plications and initial diagnostics of brainstem hemorrhage will be discussed. Erroneously prog-nosis is thought to be poor, but good functional recovery is possible as illustrated by 2 case histo-ries. Possible reasons for this negative prognostic estimation will be discussed as well as the here-by resulting consequences on communication with relatives and on preclinical and clinical emer-gency therapy.

KeywordsBrainstem · Neurological emergency · Stroke · Cerebral hemorrhage · Intracranial hemorrhage

CME Weiterbildung · Zertifizierte Fortbildung

RedaktionB. Dirks, Ulm H. Domanovits, Wien R. Somasundaram, Berlin C. Waydhas, Essen

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Der vorliegende Beitrag stellt die Ätiologie und Symptomatik von Hirnstammblutungen einschließlich topodiagnostischer Aspekte dar. Eine rasche Erstversorgung und Notfalldi-agnostik ist essenziell für das Outcome der Patienten. Darauf aufbauend wird die Progno-se von Hirnstammblutungen diskutiert.

Hirnstammblutungen werden häufig prognostisch als infaust eingeschätzt [1, 19]. Bei suffizienter präklinischer Versorgung, optimaler klinischer Therapie und guter neurologischer Rehabilitation ist das Outcome aber oft, bezogen auf die initiale klinische Symptomatik, erstaunlich gut [2, 11, 15, 16, 17, 19, 20]. Der folgende Artikel wendet sich an erstversorgende Notärzte sowie die für die fachspe-zifische Diagnostik und Therapie in der interdisziplinären Notaufnahme verantwortlichen Notfall-mediziner, Neurologen und Neurochirurgen. Er referiert zunächst die Symptomatik von Hirnstamm-blutungen, gibt Hinweise zur präklinischen Diagnostik und erläutert typische, für die außerklinische und intensivmedizinische Versorgung relevante Komplikationen. Um den im Notfall Verantwort-lichen eine Vorstellung davon zu geben, wie ihr Handeln das Outcome beeinflusst, wird anhand von 2 Kasuistiken gezeigt, dass die Prognose bei optimalem Ablauf von Erstversorgung, Intensivtherapie und neurologischer Rehabilitation oft besser ist, als initial eingeschätzt. Mögliche Gründe für eine ungünstige Prognoseeinschätzung, die im schlechtesten Fall zu therapeutischem Nihilismus führt, werden diskutiert.

Ätiologie

Hirnstammblutungen machen 8–14% aller intrazerebralen Blutungen aus [9, 16, 21]. Sie können un-terschiedliche Ursachen haben (. Tab. 1), dabei ist eine arterielle Hypertonie die häufigste Ursache. Die hypertensive Blutung ist meist zentral im Pons lokalisiert.

Symptomatik

Wie auch bei Läsionen im Bereich der Großhirnhemisphären ist eine Differenzierung zwischen Blu-tung und Infarkt bei Hirnstammschädigungen allein klinisch ohne Bildgebung des Zerebrums nicht möglich. Analog zu Hirnstammischämien zeigen auch Hirnstammblutungen eine heterogene Symp-tomatik, die einerseits vom Ausmaß der Blutung bezogen auf den Hirnstammquerschnitt und an-dererseits von der Lokalisation der Blutung im Hirnstammlängsschnitt bezogen auf die neuroanato-mischen Etagen Mesenzephalon, Pons und Medulla oblongata (. Abb. 1) abhängt.

Leitsymptome

Wichtigstes Leitsymptom größerer Hirnstammblutungen ist eine 7 Bewusstseinsstörung bis hin zum Koma, die sich aus der Läsion des aszendierenden retikulären aktivierenden Systems (ARAS) ergibt. Im Gegensatz zur differenzialdiagnostisch in Erwägung zu ziehenden Basilaristhrombose, bei der die Bewusstseinsstörung oft über Stunden fluktuierend ist, tritt sie bei der Hirnstammblu-tung akut auf.

Oft findet sich bei großen Blutungen eine 7 Tetraparese oder -plegie als Zeichen der bilateralen Schädigung absteigender motorischer Bahnsysteme, meist in Kombination mit Hirnnervenstörun-

Das Outcome ist bei Hirnstamm-blutungen, bezogen auf die  initiale klinische Symptomatik, oft  erstaunlich gut

Das Outcome ist bei Hirnstamm-blutungen, bezogen auf die  initiale klinische Symptomatik, oft  erstaunlich gut

Eine arterielle Hypertonie ist die  häufigste Ursache von Hirnstamm-blutungen

Eine arterielle Hypertonie ist die  häufigste Ursache von Hirnstamm-blutungen

Eine Differenzierung zwischen  Blutung und Infarkt ist ohne  Bildgebung nicht möglich

Eine Differenzierung zwischen  Blutung und Infarkt ist ohne  Bildgebung nicht möglich

7  Bewusstseinsstörung 7  Bewusstseinsstörung

7  Tetraparese oder -plegie7  Tetraparese oder -plegie

Tab. 1 Ätiologie intrazerebraler Blutungen

Ätiologie Häufigkeit Lokalisation

Primäre Hirnblutungen

Hypertensiv 50–60% Stammganglien, Thalamus, infratentoriell

Zerebrale Amyloidangiopathie 30% Lobär, kortexnah

Sekundäre Hirnblutungen

Antikoagulanzien 4–20% Variabel

Tumoren 5% Variabel

Vaskuläre Malformationen 1–2% Variabel

Andere (Sinusvenenthrombose, zerebrale  Vaskulitis, Drogen, Eklampsie)

<1% Variabel

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gen (. Tab. 2). Teilweise bestehen die motorischen Störungen auch in Form einer 7 gekreuzten Hirnstammsymptomatik (ipsilaterale Hirnnervenschädigung und kontralaterale Extremitäten-parese/-plegie), die sich neuroanatomisch aus der unterhalb der Schädigungsebene gelegenen Py-ramidenbahnkreuzung ergibt.

Umschriebenere Blutungen können jedoch auch ohne Bewusstseinsstörungen und nur mit iso-lierten Hirnnervensymptomen (. Tab. 2) einhergehen. Bei entsprechend großer Blutung können 7 Strecksynergismen auftreten, die nicht mit epileptischen Anfällen verwechselt werden dürfen.

Neuroanatomische Lokalisation

Aus der Symptomatik lassen sich mit Hilfe der klinischen Untersuchung Rückschlüsse auf die neu-roanatomische Lokalisation der Läsion ziehen (. Abb. 1).

Symptome einer 7 mesenzephalen Schädigung sind durch Schädigung des N. oculomotorius und des N. trochlearis bedingt und führen zu ein- oder beidseitiger Pupillenstörung, Ptose und ent-sprechenden Augenmotilitätsstörungen (. Tab. 2).

Schädigungen auf Ponsniveau führen zu peripheren Fazialisparesen, Abduzensparesen, einer kon-jugierten Okulomotorikstörung mit Blickwendung vom Herd weg und Blicklähmung zum Herd hin sowie Nystagmen (. Tab. 2).

Meist bei Läsionen des ventralen Pons kann als maximale Schädigung ein Locked-in-Syndrom auftreten, bei dem bei Wachheit und Bewusstseinsklarheit infolge einer Deefferenzierung durch Schädigung der absteigenden motorischen Bahnsysteme sämtliche Willkürmotorik im Bereich der Extremitäten und der Gesichtsmotorik sowie der horizontalen Augenbewegungen erloschen ist [12]. Bei der klassischen Form sind lediglich vertikale Augenbewegungen möglich. Es gibt aber sowohl in-komplette Locked-in-Syndrome als auch solche mit zusätzlichen Symptomen [12], die hohe Anfor-

7  Gekreuzte Hirnstamm-symptomatik

7  Gekreuzte Hirnstamm-symptomatik

7  Strecksynergismen7  Strecksynergismen

7  Mesenzephale Schädigung7  Mesenzephale Schädigung

Beim Locked-in-Syndrom ist bei  Bewusstseinsklarheit sämtliche  Willkürmotorik erloschen

Beim Locked-in-Syndrom ist bei  Bewusstseinsklarheit sämtliche  Willkürmotorik erloschen

Fibrae corticonucleares bulbi

Fibrae corticospinales

Dienzephalon

Mesenzephalon

Pons

Medulla oblongata

N. oculomotorius (III)

N. trigeminus (V)

N. vagus (X)

Decussatio pyramidum

Formatio reticularis

N. trochlearis (IV)

V

III

X

N. abducens (VI)

N. facialis (VII)

N. vestibulocochlearis (VIII)N. glossopharungeus (IX)

N. hypoglossus (XII)

N. accessorius (XI)

Abb. 1 8 Hirnstammlängsschnitt von ventral gesehen. Aus Gründen der Übersichtlichkeit sind die Strukturen nicht paarig, sondern jeweils nur einseitig dargestellt. (Mod. nach [10])

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derungen an die klinische Beurteilung stellen. Dies ist zum Beispiel der Fall, wenn gleichzeitig eine Läsion des unpaaren Nucleus caudalis centralis zu einer bilateralen Ptose führt, die dann zur Fehldia-gnose „Koma“ führen kann, da die Augen nicht geöffnet werden können. Schädigungen der Medul-la oblongata führen zu Störungen der Schluck- und Schlundmuskulatur, die in der Notfallsituation oft schwierig zu erkennen, aber für die weitere Versorgung von großer Bedeutung sind [17]. So kann sich aus einer Schluckstörung binnen kürzester Zeit durch reduziertes/fehlendes Schlucken und feh-lende Schutzreflexe eine Aspirationspneumonie und respiratorische Globalinsuffizienz entwickeln. Zudem können Störungen der Atemregulation (. Abb. 2) und Herzrhythmusstörungen sowie Stö-rungen der Blutdruckregulation und eine zentrale Hyperthermie auftreten, die ebenfalls zu potenzi-ell lebensbedrohlichen Situationen führen können und über Sekundärschädigungen wesentlich für das neurologische Outcome sind.

Notfallversorgung

Entscheidend für die präklinische Notfallversorgung sind:F  das korrekte Erkennen der Hirnstammsymptomatik,F  die Sicherung der Vitalfunktionen,F  die Zuweisung in eine geeignete Klinik.

Anhand der Klinik (Bewusstseins-, Okulomotorikstörung, Tetraparese/-plegie, sonstige Hirnnerven-störungen, vegetative Symptome) muss eine Hirnstammsymptomatik korrekt erkannt werden. Kli-nisch kann jedoch nicht sicher zwischen Ischämie und Blutung differenziert werden.

Die Sicherung der Vitalfunktionen erfolgt unter besonderer Berücksichtigung typischer Kompli-kationen. Hirnstammblutungen können bei Affektion entsprechender Kreislaufzentren zu schwers-ten Blutdruckentgleisungen führen (Cushing-Kocher-Reflex; [14]), die manchmal fälschlicherweise als Ursache der Blutung angenommen werden, sodass die Blutung als hypertensiv eingeschätzt wird und weitere Diagnostik unterbleibt. Ein adäquates Blutdruckmanagement kann eine Ausbreitung der Blutung verhindern [4]. Bei Patienten mit bestehender arterieller Hypertonie oder mit hypertensiven Organschäden sollte ab einer oberen Grenze des systolischen Blutdrucks von 180 mmHg und des dia-stolischen Blutdrucks von 105 mmHg mit einer Senkung auf Zielwerte unter 170/100 mmHg, ent-sprechend einem mittleren arteriellen Blutdruck von 125 mmHg, begonnen werden [4]. Bei Patienten ohne vorbestehende arterielle Hypertonie sollte der Blutdruck bei Überschreiten von 160/95 mmHg auf unter 150/90 mmHg gesenkt werden [4]. Bewusstseins-, Schluck- und Atemstörungen bedingen eine großzügige Indikationsstellung zu Intubation und Beatmung zur Vermeidung hypoxämischer Sekundärschädigungen [4, 14]. Insbesondere bei noch wachen und nicht primär aufgrund offensicht-

Schädigungen der Medulla oblongata führen zu SchluckstörungenSchädigungen der Medulla oblongata führen zu Schluckstörungen

Hirnstammblutungen können zu schwersten Blutdruckentgleisungen führen

Hirnstammblutungen können zu schwersten Blutdruckentgleisungen führen

Bewusstseins-, Schluck- und Atem-störungen bedingen eine großzügige Indikationsstellung zu Intubation  und Beatmung

Bewusstseins-, Schluck- und Atem-störungen bedingen eine großzügige Indikationsstellung zu Intubation  und Beatmung

Tab. 2 Klinisch relevante Hirnnervenstörungen bei Hirnstammblutungen

Anatomische Ebene Hirnnerv/Struktur Symptom

Mesencephalon N. oculomotorius (III) PtosePupillenstörung mit Mydriasis und LichtstarreFehlstellung des Augesa

N. trochlearis (IV) Fehlstellung des Augesa

Formatio reticularis Konjugierte vertikale Blickparese/Bulbuswendung nach unten

Pons N. abducens (VI) Fehlstellung des Augesa

N. facialis (VII) Zentrale oder periphere Fazialisparese (abhängig von  Läsionshöhe in Bezug zum Fazialiskern)

N. vestibulocochlearis (VIII) Verschiedene Nystagmusformen

Formatio reticularis Konjugierte horizontale Blickparese, Bulbuswendung von der Läsion weg

Kombiniert  pontomesenzephal

Mediales Längsbündel Internukleäre Ophthalmoplegie (Adduktionsparese an einem und Nystagmus am anderen Auge bei Lateralblick nach außen)

Medulla oblongata N. glossopharyngeus (X) Schluckstörung

N. vagus (X) Schluckstörunga Die Bulbusfehlstellung kann abhängig von der Blickrichtung wechselnd ausgeprägt sein.

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licher respiratorischer Probleme intubierten Patienten sollten Schluckstörungen nicht unterschätzt werden, da sie häufig durch Sekretaspiration zur raschen respiratorischen Dekompensation führen.

Im Gegensatz zu Ischämien können bei Hirnstammblutungen auch noch mit zeitlicher Latenz von bis zu 2 Wochen [14] neurologische Symptome bis hin zur lebensbedrohlichen Verschlechte-rung auftreten. Ursächlich hierfür können eine Verlegung der Liquorabflusswege bei Ventrikelein-bruch der Blutung (Hydrocephalus occlusus) oder Kompressionseffekte bei Ausbildung eines peri-fokalen Ödems sein, die eine rasche respiratorische oder kardiozirkulatorische Dekompensation be-dingen können.

Essenziell für die Prognose ist auch die Zuweisung in eine geeignete Klinik, damit die Einleitung der erforderlichen diagnostischen und therapeutischen Maßnahmen, insbesondere unter dem Aspekt einer diagnostisch adäquaten zerebralen Bildgebung, ohne Zeitverzug erfolgen kann [4]. Idealer Wei-se sollten neuroradiologische bzw. neurochirurgische Interventionsmöglichkeit bestehen. Die Kli-nik sollte mindestens über eine ständige CT-Bereitschaft mit Möglichkeit zur CT-Angiographie, ide-al über die Möglichkeit zur Magnetresonanztomographie (MRT) verfügen. Zur Diagnosesicherung einer Blutung ist die 7 native zerebrale Computertomographie (CCT) Mittel der ersten Wahl [4], die MRT bei Verwendung geeigneter blutungssensitiver Sequenzen aber hinsichtlich der Diagnose-sicherung ebenbürtig [4]. Vorteil der MRT ist, dass ätiologische Hinweise möglich sind [4]. Bei feh-

Neurologische Symptome können mit zeitlicher Latenz von bis zu  2 Wochen auftreten

Neurologische Symptome können mit zeitlicher Latenz von bis zu  2 Wochen auftreten

7  Native zerebrale Computertomographie

7  Native zerebrale Computertomographie

I. Normales Atemmuster

II. Pathologische Atemmuster 1. Nicht lokalisatorisch verwertbar a) Hyperventilation: psychogen, Hypoxämie, metabolische Azidose, Mittelhirnläsion

b) Cheyne-Stokes-Atmung: di�use kortikale Hemisphärenschädigung, metabolisch

2. Lokalisatorisch verwertbar a) Apneustische Atmung: pontine Schädigung

b) Cluster-Atmung: pontine oder zerebelläre Schädigung

c) Ataktische Atmung (Biot-Atmung): Schädigung der Medulla oblongata

Abb. 2 8 I. Normales Atemmuster. II. Pathologische Atemmuster: 1. Nicht lokalisatorisch verwertbar: a Hyperventi-lation: psychogen, Hypoxämie, metabolische Azidose, Mittelhirnläsion, b Cheyne-Stokes-Atmung: diffuse kortika-le Hemisphärenschädigung, metabolisch. 2. Lokalisatorisch verwertbar: a Apneustische Atmung: pontine Schädi-gung, b Cluster-Atmung: pontine oder zerebelläre Schädigung, c ataktische Atmung (Biot-Atmung): Schädigung der  Medulla oblongata

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lendem Blutungsnachweis ist eine MRT die Methode der Wahl zur Beurteilung einer Ischämie in der hinteren Zirkulation, da diese mittels CCT nicht suffizient diagnostiziert werden kann. Nachteil kann der etwas größere Zeitaufwand sein sowie der insbesondere bei beatmeten Patienten höhere logis-tische Aufwand bezüglich MRT-tauglicher Beatmungs- und Überwachungssysteme. Sollte bei blu-tungsnegativem CCT nicht umgehend ein MRT möglich sein, muss unbedingt eine 7 CT-Angiogra-phie erfolgen, um eine Basilaristhrombose mit fatalem Ausgang nicht zu übersehen.

Die Auswahl einer für die Weiterversorgung geeigneten Klinik – ideal wäre eine neurologische Klinik mit Stroke Unit und intensivmedizinischer Versorgungsmöglichkeit sowie mit neuroradio-logischer/neurochirurgischer Interventionsmöglichkeit – stellt bereits präklinisch bei einer Hirnstammsymptomatik die Weichen für die weitere Therapie und den Verlauf. Im Falle einer Isch-ämie kommen interventionelle neuroradiologische Verfahren mit 7 lokaler intraarterieller Throm-bolyse (Zeitfenster hierfür im vorderen Stromgebiet 6 h, bei Basilaristhrombose 12 h im Gegensatz zur systemischen Lysetherapie mit 4,5 h) in Betracht, die spezifische neuroradiologische Expertise erfordern. Im Falle von Blutungen können rasche 7 neurochirurgische Interventionen zur Vermei-dung von Sekundärkomplikationen wie einem Verschlusshydrozephalus erforderlich werden. Pati-enten mit Verdacht auf Hirnstammsymptomatik sollten daher möglichst umgehend in eine Klinik mit neurologischer, neuroradiologischer und neurochirurgischer Kompetenz gebracht werden. Der Notarzt muss mit den lokalen Gegebenheiten in seinem Zuständigkeitsbereich vertraut sein, damit er eine korrekte Klinikzuweisung initiiert.

Kasuistiken

Kasuistik 1

Der 60-jährige Informatikprofessor wurde komatös in seinem PKW aufgefunden. Bei klinischen Zei-chen eines Kreislaufstillstands wurde eine 7 kardiopulmonale Reanimation mittels Herzdruckmas-sage durchgeführt, hierauf konnten wieder suffiziente Kreislaufverhältnisse hergestellt werden. Nach Aufnahme in die Klinik ergab die initiale CCT eine ausgedehnte Hirnstammblutung, die über den Kleinhirnstiel bis in die rechte Kleinhirnhemisphäre hinein reichte (. Abb. 3a). Diese wurde bei be-kannter, aber unbehandelter arterieller Hypertonie und unter Berücksichtigung weiterführender Dia-gnostik (CT-Angiographie unauffällig) als hypertensiv bedingt gewertet.

Bei Aufnahme auf der Intensivstation war Herr G. intubiert, beatmet und komatös, er zeigte Ab-wehrreaktionen mit rechtsbetontem Anziehen von Arm und Bein auf Schmerzreiz, der 7 Babinski-Reflex war beidseits negativ.

7  CT-Angiographie7  CT-Angiographie

7  Lokale intraarterielle Thrombolyse

7  Lokale intraarterielle Thrombolyse

7  Neurochirurgische Intervention7  Neurochirurgische Intervention

7  Kardiopulmonale Reanimation7  Kardiopulmonale Reanimation

7  Babinski-Reflex7  Babinski-Reflex

Abb. 3 8 Patient 1. a Blutungslokalisation in der initialen zerebralen Computertomographie (CCT), axiale Schicht-führung. b Perifokales Ödem nach 8 Tagen (CCT, axiale Schichtführung). c Magnetresonanztomographie im Verlauf: blutungssensitive T2*-Sequenz transversal: Darstellung der exakten Blutungsausdehnung

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5 Tage später drückte der nun wieder ansprechbare Pa-tient auf Aufforderung repro-duziert die rechte Hand und zeigte Spontanbewegungen des rechten Arms. Eine se-kundäre Verschlechterung von Kommunikation und Motorik war, computertomographisch verifiziert, durch ein zuneh-mendes perifokales Ödem, be-dingt (. Abb. 3b). 16 Tage nach dem Blutungsereignis er-folgte die Verlegung des zu die-sem Zeitpunkt dilatativ trache-otomierten, druckunterstützt spontan atmenden Patienten zur neurologischen Frühreha-bilitation. Neurologisch zeigte sich eine Hirnstammsymp-tomatik mit peripherer Fazi-alisparese rechts, Hypakusis rechts, Abduzensparese rechts, linksbetonter höchstgradiger Tetraparese (lediglich diskrete Abwehrbewegungen auf starke Manipulation bzw. Schmerz-reize) sowie einer neurogenen Urin- und Stuhlinkontinenz.

Nach einer stationären Rehabilitationsdauer von 5 Monaten wurde Herr G. unter Fortführung ambulanter Therapien in das häusliche Umfeld entlassen. Zu diesem Zeitpunkt bestanden kogni-tive Defizite (Konzentration, Verarbeitungsgeschwindigkeit und Aufmerksamkeit reduziert, inkom-plette Orientierung), eine Dysarthrie, eine leichte Fazialisparese, ein Intentionstremor, eine linksbe-tonte leichtgradige Tetraparese (Bewegung rechts gegen mittleren Widerstand, links gegen leichten Widerstand möglich), eine gestörte Feinmotorik beider Hände und eine linksbetonte Extremitäten- sowie eine Rumpfataxie mit Retropulsionstendenz. Gehen und feinmotorische Tätigkeiten (Schrei-ben) waren unmöglich, eine selbständige Rollstuhlfortbewegung für 20 m jedoch möglich. Bei Bes-serung der neurogenen Dysphagie war der Patient dekanüliert, die Kost oralisiert. Für die Transfers und alle Aktivitäten des täglichen Lebens bestand Hilfebedarf, ferner nächtliche Inkontinenz (7 Bar-thel-Index 5/100 s. . Tab. 3; 7 Frühreha-Barthel-Index –50 s. . Tab. 4).

Bis zur Nachbefragung 15 Monate nach dem Ereignis hatte sich die Selbständigkeit erheblich ge-bessert. Das Gehen war nun in der Ebene an der Hand der Ehefrau ohne Hilfsmittel für bis zu 1,5 h möglich, Treppensteigen mit geringer Hilfe. Transfers erfolgten komplett selbständig bis auf den Transfer in die Dusche, Waschen und Anziehen waren selbständig möglich bei geringer Hilfe mit Knöpfen und Reißverschlüssen sowie beim Duschen. Die Urin- und Stuhlkontinenz war wieder ge-geben, bei Rückbildung der Dysphagie bestand komplette Selbständigkeit beim Essen (Barthel-Index 90/100, Frühreha-Barthel-Index 0). Der Patient arbeitete wieder in Teilzeittätigkeit in seiner Firma und schrieb an einem Buch über Software-Engineering. Seine 7 subjektive Lebensqualität gab er auf einer Skala von 0–10 mit 8 an.

Kasuistik 2

Der 50-jährige Patient wurde stuporös in seinem Auto gefunden, nachdem er starke Kopfschmerzen entwickelt hatte. Er wurde intubiert in einer neurologischen Universitätsklinik aufgenommen. Bei bekannter arterieller Hypertonie und entsprechender Zusatzdiagnostik (MRT inkl. MR-Angiogra-phie unauffällig) wurde von einer hypertensiven Genese der großen 7 pontinen Blutung ausgegan-

Sekundäre Verschlechterungen  können durch ein zunehmendes  perifokales Ödem bedingt sein

Sekundäre Verschlechterungen  können durch ein zunehmendes  perifokales Ödem bedingt sein

7  Barthel-Index7  Barthel-Index7  Frühreha-Barthel-Index7  Frühreha-Barthel-Index

7  Subjektive Lebensqualität7  Subjektive Lebensqualität

7  Pontine Blutung7  Pontine Blutung

Tab. 3 Barthel-Index (gemäß Hamburger Manual; [13])

Fähigkeit (Item) Punktzahl

Essen und Trinken 0, 5, 10

Baden/Duschen 0, 5

Körperpflege 0, 5

An- und Ausziehen 0, 5, 10

Stuhlkontrolle 0, 5, 10

Harnkontrolle 0, 5, 10

Benutzung der Toilette 0, 5, 10

Bett- /Stuhltransfer 0, 5, 10, 15

Mobilität (selbstständiges Gehen/Fahren mit Rollstuhl) 0, 5, 10, 15

Treppen steigen 0, 5, 10Nach diesem System werden für alle angegebenen Fähigkeiten zwischen 0, 5, 10 oder 15 Punkte verteilt, wobei 0 keine und je nach Item 5, 10 bzw. 15 Punkte  maximale Selbstständigkeit bedeuten. Maximale Punktzahl 100 Punkte.

Tab. 4 Frühreha-Barthel-Index [18]

Item Punktzahl

Intensivmedizinisch überwachungspflichtiger Zustand −50

Absaugepflichtiges Tracheostoma −50

Intermittierende Beatmung −50

Beaufsichtigungspflichtige Orientierungsstörung/Verwirrtheit

−50

Beaufsichtigungspflichtige Verhaltensstörung mit  Eigen- und/oder Fremdgefährdung

−50

Schwere Verständigungsstörung −25

Beaufsichtigungspflichtige Schluckstörung −50

Dekubitus oder andere verbandspflichtige Wunden −50

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Page 8: Hirnstammblutungen

gen. Über ein passageres Locked-in-Syndrom wurde Herr K. zunehmend wacher und kontaktfähig, bewegte distal die Extremitäten auf Aufforderung und kommunizierte über Lidschluss bzw. Kopf-bewegungen. Zum prolongierten Weaning wurde er plastisch tracheotomiert. 14 Tage nach dem Er-eignis wurde er druckunterstützt beatmet zur 7 neurologischen Frührehabilitation verlegt. Zu die-sem Zeitpunkt bestand ein Spontannystagmus nach links sowie eine linksbetonte schlaffe Tetrapa-rese Kraftgrad 2/5 (sichtbare Muskelkontraktion, aber Bewegung gegen Schwerkraft nicht möglich), eine Hypästhesie links, ferner eine Ataxie und eine linksbetont gestörte Feinmotorik. Ferner bestand eine schwergradige neurogene Dysphagie mit Ernährung über eine Ernährungssonde, eine neuro-gene Urin- und Stuhlinkontinenz sowie vollständige Abhängigkeit von Fremdhilfe. Barthel-Index 0/100, Frühreha-Barthel-Index –150.

Nach 8-monatiger neurologischer Rehabilitation konnte Herr K. den Rollstuhl selbständig fortbe-wegen, sich selbständig transferieren, wenige Schritte frei gehen, am Unterarmgehwagen in der Ebe-ne laufen sowie Treppen bewältigen. Weiter bestanden eine Dysarthrie, eine Rumpf- und Gangata-xie, eine linkskorporale Tiefensensibilitätsstörung sowie eine linksbetonte Feinmotorikstörung bei-der Hände, sodass z. B. zur Essenszubereitung Hilfe erforderlich war (Barthel-Index 65/100, Frühre-ha-Barthel-Index 0).

Bis zum Zeitpunkt der Nachbefragung, 19 Monate nach dem Ereignis, kam es unter Fortführung ambulanter Therapien zu weiteren Verbesserungen. Er war selbständig bei den Transfers, das Ge-hen mit 3-Punkt-Stock war für bis 200 m möglich, im Rollstuhl gelang die Fortbewegung selbstän-dig in der Wohnung bzw. mit Elektromobil außerhalb der Wohnung. Zum Treppensteigen wurde Hilfe benötigt.

Bei Waschen und Ankleiden bestand vollständige Selbständigkeit, aber vermehrter Zeitbedarf, Es-sen war komplett selbständig möglich, es bestand Urin- und Stuhlkontinenz (Barthel-Index 95/100, Frühreha-Barthel-Index 0). Er lebte in einer eigenen Wohneinheit in einem Nachsorgezentrum, lei-tete dort die Gärtnerei und kochte regelmäßig für eine Gruppe von 6 Personen. Seine subjektive Le-bensqualität gab er auf einer Skala von 0–10 mit 3 an, bedingt durch eine noch erheblich störende Ataxie und den dadurch erheblich vermehrten Zeitbedarf in den Aktivitäten des täglichen Lebens.

Diskussion

Hirnstammblutungen stellen bereits initial oder durch Komplikationen im Verlauf eine neurolo-gische Notfallsituation dar, deren rechtzeitige Erkennung und die Allokation zu suffizienter Dia-gnostik und Therapie entscheidend für die Mortalität [5] und das funktionelle Outcome sind. Da ei-ne Differenzierung zwischen Ischämie und Blutung klinisch nicht möglich ist, ist es wichtig, dass be-reits der Notarzt die Hirnstammsymptomatik erkennt, da sie aufgrund der spezifischen Besonder-heiten von vaskulären Notfällen in der hinteren Zirkulation in spezialisierten Kliniken [5] mit Mög-lichkeit zur neuroradiologischen und neurochirurgischen Diagnostik und Therapie diagnostiziert und therapiert werden sollte.

Neben der korrekten präklinischen Versorgung mit Management typischer vegetativer Symp-tome stellt im weiteren Verlauf die Vermeidung bzw. Behandlung von typischen 7 Sekundärkom-plikationen (Nachblutung [4], Ausbildung eines perifokalen Ödems vgl. Patient 1 – . Abb. 3b, Ver-schlusshydrozephalus bei Ventrikeleinbruch [4]) einen wesentlichen, Behandlung wie Outcome be-einflussenden Aspekt dar.

Aspekte zur Prognose

Zu isolierten Hirnstammblutungen existieren wenige Kasuistiken und Arbeiten zur Prognose [2, 6, 11, 15, 17]. Meist wurden sie als lokalisatorischer Teilaspekt intrazerebraler Blutungen untersucht [8, 9, 14, 16, 19, 20, 21]. Allgemein wird die Prognose intrazerebraler Blutungen bei einer Mortalität zwi-schen 23–58% [14] als ungünstig eingeschätzt [4, 7], die von Hirnstammblutungen – insbesondere bei hypertensiver Genese – tendenziell noch ungünstiger [9, 15]. Ein gutes Outcome überrascht. Das zeigt sich an mehreren Fallberichten, die den Begriff der gutartigen Hirnstammblutung („benign in-tracerebral hemorrhage“) verwenden [2, 17].

Wird eine Hirnstammblutung jedoch überlebt, ist das funktionelle und subjektive Outcome nicht per se schlecht, da rund ein Drittel aller Patienten wieder weitgehend selbständig werden [2, 3, 4, 16, 17, 19, 20], wie auch die beiden Kasuistiken zeigen. Dies macht deutlich, dass während der intensiv-

7  Neurologische Frührehabilitation

7  Neurologische Frührehabilitation

Die rechtzeitige Erkennung und die Allokation zu suffizienter Diagnostik und Therapie sind für das Outcome entscheidend

Die rechtzeitige Erkennung und die Allokation zu suffizienter Diagnostik und Therapie sind für das Outcome entscheidend

7  Sekundärkomplikationen7  Sekundärkomplikationen

Rund ein Drittel aller Patienten wer-den wieder weitgehend selbständigRund ein Drittel aller Patienten wer-den wieder weitgehend selbständig

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CME

medizinischen Phase bezüglich negativer prognostischer Aussagen Zurückhaltung geübt werden soll-te. Auch muss darauf hingewiesen werden, dass auf der Basis der ersten Bildgebung die neurologische Residualsymptomatik im Langzeitoutcome nahezu regelhaft überschätzt wird, da sich die struktu-relle Schädigung nach Resorption der Blutung oft deutlich geringer darstellt (vgl. initiales CCT und Verlaufs-MRT von Patient 1, . Abb. 3c).

Vor diesem Hintergrund sind an die Kommunikation mit Patienten – soweit möglich – und An-gehörigen besondere Anforderungen zu stellen. Die Möglichkeit des Vorliegens eines Locked-in-Syn-droms sollte bedacht werden [12]. Patient 2 beklagte sich im Verlauf darüber, dass er auf der Inten-sivstation kommunikationsunfähig und hilflos Diskussionen über seine vermeintlich infauste Pro-gnose mit anhören musste. Auch die Angehörigen von Patient 1 berichteten, dass sie sich aufgrund negativer Prognoseeinschätzungen seitens der behandelnden Intensivmediziner bereits mit Details der Beerdigung beschäftigten und dann angesichts der sich doch rasch als falsch erweisenden Ein-schätzung zunächst das Vertrauen in die Ärzte verloren.

Auch bezüglich elektrophysiologischer Untersuchungsverfahren, insbesondere 7 somatosensibel-evozierter Potenziale (SSEP), zur Prognoseeinschätzung [6, 8] ist Vorsicht geboten, da die hierzu publizierten Studien zu infratentoriellen Hirnblutungen nur geringe Fallzahlen aufweisen (17 Pati-enten [6] bzw. 18 Patienten [8]). Die Korrelation der elektrophysiologischen Untersuchungen zum klinischen Outcome erfolgte zu einem sehr frühen Zeitpunkt (28 bzw. 30 Tage; [6, 8]) im Vergleich zu den in den beiden Kasuistiken und den in der Literatur [16, 19, 20] beschriebenen langen Reha-bilitationsverläufen. Bei Ausfall der kortikalen Potenzialkomplexe bds. verstarben alle Patienten, nie erwies sich ein beidseitiger Potenzialausfall als reversibel [6], sodass ein beidseitiger Potenzialausfall allgemein als Prädiktor einer infausten Prognose gilt.

Hingegen waren beim in der Kasuistik 2 beschriebenen Patienten die somatosensibel evozierten Potenziale des N. medianus innerhalb der ersten 2 Monate 2-malig kortikal erloschen, im wei-teren Verlauf aber wieder nachweisbar. Neuroanatomisch ist dies verständlich, da eine zentral ge-legene Blutung durch Ödembildung an den dorsal gelegenen lemniskalen Bahnen zunächst eine Störung der Reizleitung bis zum Leitungsblock bewirkt, die nach Rückbildung der Blutung und des Ödems wieder rückbildungsfähig ist. Somit stellen somatosensibel-evozierte Potenziale sta-tistisch ein hilfreiches, im Einzelfall jedoch nicht eindeutiges Evaluationsinstrument zur Progno-seeinschätzung dar.

Typische Sekundärkomplikationen, wie die Ausbildung eines perifokalen Ödems, das zu einer neurologischen Verschlechterung führen kann ([4, 7, 14]; s. auch Patient 1) oder die 7 Critical-Ill-ness-Polyneuropathie (bei beiden Patienten elektrophysiologisch verifiziert), sollten erkannt wer-den, damit diese an sich typischen, im Verlauf in der Regel reversiblen Komplikationen, nicht fälsch-licherweise als Einstieg in eine Therapielimitation genommen werden, zumal sich Do-not-resusci-tate-Anordnungen als unabhängiger Parameter für ein schlechtes Outcome bei Hirnblutungen er-wiesen haben [1].

Da die Versorgung vieler Patienten mit Hirnstammblutungen oft auf anästhesiologisch oder inter-nistisch geführten Intensivstationen unter allenfalls konsiliarischer Mitbetreuung durch Neurologen/Neurochirurgen erfolgt, kann fehlendes Wissen um die Rehabilitationsmöglichkeiten und fehlendes Feedback über die weiteren Patientenverläufe in/nach der Rehabilitation bei den behandelnden Kol-legen, die notwendigerweise im Rahmen der Intensivmedizin auch schlechte Verläufe mit letalem Ausgang erleben, zu einem Bias bezüglich der Prognoseeinschätzung führen, da die selbst erlebten schlechten Verläufe besser im Gedächtnis bleiben, als die aus den Augen verlorenen guten Verläufe. Dies ist in der Kommunikation mit Angehörigen, insbesondere über die Prognose und Fragen zur Therapielimitation, zu berücksichtigen.

Beide Kasuistiken zeigen korrelierend mit der Literatur [16, 19, 20], dass bei ausreichend langen Rehabilitationszeiträumen gute bis sehr gute Rehabilitationsergebnisse erzielt werden können. Insbe-sondere unter dem Druck zur Verkürzung der Verweildauer besteht die Gefahr, dass Patienten vor-schnell eine Rehabilitationsprognose abgesprochen wird. Funktionell gute Rehabilitationsergebnisse [16, 19, 20] zeigen aber, dass therapeutischer Nihilismus in keiner Phase gerechtfertigt ist. Beide Pa-tienten und ihre Angehörigen gaben an, froh zu sein, dass „alles getan wurde“.

Systematische Untersuchungen zum Outcome von Patienten mit Hirnstammblutungen sind ins-besondere vor dem Hintergrund immer kürzer werdender Verweildauern und angesichts möglicher Therapiebegrenzungen, die auch seitens der Medizin aus ethischen oder soziookönomischen Über-legungen diskutiert werden, dringend erforderlich.

An die Kommunikation mit Patienten und Angehörigen sind besondere  Anforderungen zu stellen

An die Kommunikation mit Patienten und Angehörigen sind besondere  Anforderungen zu stellen

7  Somatosensibel-evozierte Potenziale

7  Somatosensibel-evozierte Potenziale

SSEP stellen ein nicht immer ein-deutiges Evaluationsinstrument zur  Prognoseeinschätzung dar

SSEP stellen ein nicht immer ein-deutiges Evaluationsinstrument zur  Prognoseeinschätzung dar

7  Critical-Illness-Polyneuropathie7  Critical-Illness-Polyneuropathie

Fehlendes Feedback über die Pati-entenverläufe kann zu einem Bias  bezüglich der Prognoseeinschätzung führen

Fehlendes Feedback über die Pati-entenverläufe kann zu einem Bias  bezüglich der Prognoseeinschätzung führen

Bei ausreichend langen Rehabilita-tionszeiträumen können sehr gute  Ergebnisse erzielt werden

Bei ausreichend langen Rehabilita-tionszeiträumen können sehr gute  Ergebnisse erzielt werden

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Fazit für die Praxis

Bei rechtzeitigem Erkennen einer Hirnstammsymptomatik, effizienter Erst-/Notfallversorgung, rascher Diagnostik und Therapie ist bei Hirnstammblutungen ein funktionell gutes Outcome mög-lich. Zu therapeutischem Nihilismus besteht kein Anlass. Meist sind lange Rehabilitationsbehand-lungen erforderlich. Da eine individuelle Prognoseeinschätzung meist nicht möglich ist, sollten Einschränkungen der Therapie unterbleiben.

KorrespondenzadresseDr. M. Schorl

Neurologie, SRH Fachkrankenhaus NeresheimKösinger Straße 11, 73450 [email protected]

Interessenkonflikt.  Die Autoren geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.

Literatur

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Page 11: Hirnstammblutungen

CME

D Mitmachen, weiterbilden und CME-Punkte sichern durch die Beantwortung der Fragen im Internet unter CME.springer.de

CME-Fragebogen Bitte beachten Sie:  F Antwortmöglichkeit nur online unter: CME.springer.deF Die Frage-Antwort-Kombinationen werden online individuell zusammengestellt. F Es ist immer nur eine Antwort möglich.

kostenfreie Teilnahme für Abonnenten

Welche Aussage zu Hirnstamm-blutungen trifft zu?  Hirnstammblutungen sind 

meist hypertensiv bedingt.  Ein hoher Blutdruck in der 

Akutsituation einer Blutung beweist eine hypertensive  Genese.

 Hypertensive Hirnstamm-blutungen finden sich  überwiegend in der Medulla  oblongata.

 Hirnstammblutungen machen 20–30% aller Hirnblutungen aus.

 Bei bekannter arterieller  Hypertonie können andere Blutungsursachen  ausgeschlossen werden.

Sie werden zu einem 65-jäh-rigen Mann gerufen, der akut bewusstlos geworden ist. Anamnestisch ist ein erhöhter Blutdruck bekannt. Sie ver-muten ein zerebrales Notfall-geschehen. Ab welchem Wert sollte der Blutdruck gesenkt werden?  230/100 mmHG  200/105 mmHG  180/105 mmHG  170/95 mmHG  150/90 mmHG

Ein Notfallpatient, zu dem Sie als Notarzt gerufen wurden, ist bei der Untersuchung komatös, bietet eine Blickwendung nach links, eine periphere Fazialisparese rechts und auf Schmerzreize nur geringe Ab-wehrbewegungen an allen 4 Extremitäten, links etwas schwächer als rechts. Sie ver-muten die Läsion …  in der rechten Großhirn-

hemisphäre.  in der linken Großhirn-

hemisphäre.  mesenzephal.  pontin, rechtsbetont.  pontin, linksbetont.

Als Notarzt fällt Ihnen bei einem bewusstlosen Pati-enten mit zusätzlichen neuro-logischen Defiziten eine Chey-ne-Stokes-Atmung auf. Welche Antwort ist richtig? Die Cheyne-Stokes-Atmung ist …  beweisend für eine struktu-

relle Hirnstammschädigung.  gekennzeichnet durch Atem-

pausen bei vertieften Atem-zügen mit inspiratorischer Pause.

 lokalisatorisch nicht  wegweisend.

 beweisend für eine  metabolische Ursache.

 gekennzeichnet durch be-schleunigte, gleichmäßig tiefe Atemzüge.

Welche Aussage zur Symp-tomatik von Hirnstamm-blutungen trifft nicht zu? Eine topographische Zuord-

nung ist mittels klinisch-neu-rologischer Untersuchung möglich.

Eine Anisokorie spricht für ei-ne mesenzephale Läsion.

Eine horizontale Blickwen-dung nach links lokalisiert die Schädigung auf das pontine Niveau. 

Eine akut aufgetretene Tetra-plegie spricht gegen eine  primär hemisphärielle  Schädigung.

Eine Hirnstammblutung lässt sich durch die klinische  Symptomatik von einer Hirnstamm-ischämie  differenzieren.

Welche der folgenden Unter-suchungen veranlassen Sie bei Verdacht auf Hirnstammblu-tung zur Diagnosesicherung?  Ein zerebrales Computer-

tomogramm mit  Kontrastmittel.

 Ein zerebrales Computer-tomogramm ohne  Kontrastmittel.

 Eine konventionelle  Angiographie.

 Ein EKG.  Eine Lumbalpunktion.

Welche Aussage zur zerebralen Bildgebung ist richtig?  Die Magnetresonanztomogra-

phie ist der Computertomo-graphie in der Akutdiagnostik zerebraler Blutungen  überlegen.

 Die Computertomographie muss zur Sicherung der  Diagnose „Hirnstammblutung“ mit Kontrastmittel durchge-führt werden.

 In der Ursachenabklärung in-trazerebraler Blutungen ist das zerebrale Computertomo-gramm dem MRT ebenbürtig.

 Sollte sich bei klinischem Ver-dacht auf eine Hirnstamm-symptomatik im zerebralen Computertomogramm  keine Blutung finden, ist ein  24-h-EEG erforderlich.

 Sollte sich bei klinischem  Verdacht auf eine Hirnstamm-symptomatik im zerebralen Computertomogramm kei-ne Blutung finden, ist weitere  Diagnostik erforderlich.

Fortsetzung auf der nächsten Seite

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Page 12: Hirnstammblutungen

Welche der folgenden Kompli-kationen führt bei Hirnstamm-blutungen am seltensten zu einer lebensbedrohlichen Ver-schlechterung?  Respiratorische Insuffizienz 

bei einer Schluckstörung  Nachblutung  Verschlusshydrozephalus  Perifokales Ödem  Epilepsie

Welche Aussage zur Prognose von Hirnstammblutungen ist richtig?  Hirnstammblutungen haben 

eine infauste Prognose.  Hirnstammblutungen haben 

eine gute Prognose.  Die Prognose ist in etwa 

einem Drittel der Fälle gut.  Die individuelle Prognose 

kann mit elektrophysio-logischen Zusatzuntersu-chungen sicher vorhergesagt werden.

 Die zerebrale Bildgebung ist prognostisch wegweisend.

Welche Aussage zum Locked-in-Syndrom (LIS) ist falsch?  Es handelt sich um eine Be-

wusstseinsstörung.  Vertikale Augenbewegungen 

sind beim klassischen LIS möglich. 

 Es bestehen komplette Läh-mungen der Extremitäten und der mimischen Muskulatur.

 Bei einem kompletten LIS mit Zusatzsymptomen sind verti-kale Augenbewegungen unter Umständen unmöglich.

 Bei mesenzephaler Schädi-gung kann eine bilaterale  Ptose ein Koma vortäuschen.

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