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SWR2 Tandem - Manuskriptdienst
Im Sommer baut er an der Herberge
Ein 70jähriger Deutscher im Yukon
Autor: Ingrid Norbu
Redaktion: Ellinor Krogmann
Regie: Tobias Krebs
Sendung: Montag, 18.01.2016 um 19.20 Uhr in SWR2 Wiederholung: Dienstag, 19.01.2016 um 10.05 Uhr in SWR2 __________________________________________________________________ Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR. Mitschnitte der Sendungen SWR2 Tandem auf CD können wir Ihnen zum größten Teil anbieten. In jedem Fall von den Vormittagssendungen. Bitte wenden Sie sich an den SWR Mitschnittdienst. Die CDs kosten derzeit 12,50 Euro pro Stück. Bestellmöglichkeiten: 07221/929-26030. Einfacher und kostenlos können Sie die Sendungen im Internet nachhören und als Podcast abonnieren: SWR2 Tandem können Sie ab sofort auch als Live-Stream hören im SWR2 Webradio unter www.swr2.de oder als Podcast nachhören: http://www1.swr.de/podcast/xml/swr2/tandem.xml Kennen Sie schon das neue Serviceangebot des Kulturradios SWR2? Mit der SWR2 Kulturkarte können Sie zu ermäßigten Eintrittspreisen Veranstaltungen des SWR2 und seiner vielen Kulturpartner im Sendegebiet besuchen. Mit dem Infoheft SWR2 Kulturservice sind Sie stets über SWR2 und die zahlreichen Veranstaltungen im SWR2-Kulturpartner-Netz informiert. Jetzt anmelden unter 07221/300 200 oder swr2.de
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MANUSKRIPT
1. Musik, Leo Kottke, geht über in:
1. Atmo: Am Schrottplatz, Dieter spricht im Hintergrund
Erzählerin
Ein prüfender Blick rundum genügt: Zwischen Waschmaschinenwracks und verrosteten
Autotüren hat Dieter Holzteile entdeckt, die er als Bremsklötze für seinen Pick Up
gebrauchen kann, wenn der mal wieder einen Platten hat.
1. O-Ton: (Dieter wirft ein Holzbrett auf die Ladefläche und spricht)
So wird alles wieder benutzt. Wünschen sich nicht viele Deutsche, dass sie nicht auch zu den
deutschen Müllhalden hinfahren könnten und da sich wieder bedienen. Wir haben da auch
einen freien Laden, wo man Sachen hinbringen kann, die die Leute nicht mehr haben wollen,
Bekleidung, Bücher, ganze Menge Bücher. Die ganzen Bücher in der Gemeinschaftshütte sind
alle von dem freien Laden.
2. Atmo: er spricht im Hintergrund
Erzählerin
Dieter Reinmuth ist Deutscher. Seit mehr als 20 Jahren baut er an seinem Hostel, eine
Ansammlung kleiner Hütten am Ufer des Yukon, im Nordwesten Kanadas.
Faltenlandschaften haben sich in sein braungebranntes Gesicht eingegraben. Nun ist er fast
70. Hat er bei dieser Knochenarbeit schon mal sein Alter gedacht?
2. O-Ton:
Ich weiß gar nicht, wie ich das beantworten soll. Ich mache einfach so, was ich jetzt mache
und da ich ja nicht alt werde... (lacht) Die andere Frage, die öfter gestellt wird, wann ich mich
pensionieren lasse, und dann antworte ich meistens, also immer, von was?
3. Atmo: Holzaufladen, Bretterwerfen
Erzählerin
Zwischen Fahrradruinen, halbleeren Farbeimern und Disteln entdeckt Dieter noch Abfall aus
einer Sägemühle. Mit Armen kräftig wie Säulen zieht er Brett für Brett aus einem Holzstoß
und wirft sie auf die Ladefläche seines verbeulten Oldtimers. Das graue T-Shirt ist
schweißgetränkt. Harte Arbeit? Daran ist er gewöhnt. Vor 40 Jahren kam er zum ersten Mal
in den Norden Kanadas, mit dem Fahrrad.
3. Atmo hoch: Bretter werfen
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3. O-Ton:
Ich hab in einer Goldmine gearbeitet. Ich hab kein Gold gesucht, das ist Unsinn. Wir wissen,
dass das Gold da ist und wir holen es raus. Das gleiche wie ein Kohlefeld. Man gräbt dann
auch nicht irgendwo rum und hofft Kohle zu finden. Man weiß, dass das es ist und dann holt
man das raus. Das gleiche wie mit Gold.
3. Atmo: Bretter werfen
Erzählerin
Dort wo der Klondike in den Yukon mündet, begann vor 120 Jahren ein Goldrausch
ungeahnten Ausmaßes, der besonders im Gedächtnis blieb, weil Jack London hier den Stoff
für seine berühmten Erzählungen fand. Bis heute wurde so gut wie jedes Fleckchen Erde in
der Umgebung durchgewühlt. Kaum jemand filtert Gold aus dem Fluss. Es ist eine Arbeit für
Maschinen.
4. O-Ton: Es gibt ja auch in Deutschland diese Reality shows und ich möchte all denjenigen,
die die RS sich ansehen, bezeugen, dass das nicht so ist wie in diesen Shows. Wenn ich die
sehe, muss ich einfach nur lachen, weil die anscheinend jeden Tag irgendeine Katastrophe
haben, die es in der Realität nicht gibt.. In diesen Goldminen ist genau wie andere Arbeit
auch. Es ist nichts romantisches, es ist eigentlich ein Gravel pit, eine Kiesgrube, das wollt ich
sagen. Es sieht genauso aus von weitem, wie von nahem, wie eine Kiesgrube. Wir schmeißen
die ganzen Steine weg und nehmen nur das Gold raus.
Erzählerin
Auch in dieser Halde, zehn Kilometer außerhalb der Stadt Dawson, wurde mal Gold
abgebaut.
5. O-Ton:
Ich war der Schweißer. Ich hab Sachen repariert, neu gebaut. Andere haben Maschinen
gefahren, andere haben mit der Wasserkanone Erde over borden, wie wir sagen,
abgewaschen, manche haben frei genommen, andere sind nach 2 Wochen gegangen und
haben gekündigt, weil sie die Nase voll hatten. Es ist wie jede andere Arbeit auch. Nur eben in
dem Fall hier, weil es eben 100 Tage, etwa 4 Monate Saison und in diesen 4 Monaten muss
man das eben machen. Man arbeitet 12 ,16 Stunden am Tag, jeden Tag.
Erzählerin
Unterwegs sein, herumschauen und wenn sich Arbeit bietet, zugreifen. Das rund um den
Globus, fast ein ganzes Leben lang. Für ihn gehörten von Anfang an ein Fahrrad und Neugier
dazu.
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6. O-Ton:
Ich glaub ich war 8 Jahre alt, da hab ich ein Fahrrad zum Geburtstag bekommen, was ich
haben wollte. Ich bin als Kind von meiner Mutter zu Verwandten von Kiel nach Hamburg
geschickt, in den Bus gesetzt, haben mich meine Verwandten abgeholt am ZOB in Hamburg.
Dann hatte ich das Fahrrad, da war ich 9, 8 Jahre alt. Da hab ich meine Mutter überredet,
Mutti, jetzt hab ich doch ein Fahrrad. Wieso soll ich mit dem Bus fahren, warum nicht mit
dem Fahrrad. Hat sie mich angeguckt, bist total verrückt.
Erzählerin
In den 1950er Jahren als Kind 100 Kilometer mit dem Fahrrad zu fahren, alleine, das war
ungewöhnlich. Dieter konnte seine Mutter überzeugen und ist losgefahren.
7. O-Ton:
Hab meine Mutter noch einen Brief schreiben lassen, dass hiermit erlaube ich meinem Sohn,
ich habs geschrieben, sie hats unterschrieben, mit dem Fahrrad diese Strecke zu fahren, falls
ich angehalten werde. Ich hab schon vorgedacht. Irgendwo in Neumünster fuhr ein Junge
gleichen Alters, der fuhr neben mit für ein paar Meter. Wo fährst du denn hin? Ich fahr nach
Hamburg. Bist doch total verrückt. Das weiß ich noch. Und das war so die erste Neugierde.
Erzählerin
Mit dem Bus fuhr Dieter danach nie mehr nach Hamburg, auch nicht im Winter. Heute sieht
er das so:
8. O-Ton:
Aber es hat nichts mit reisen zu tun. Es hat zu tun mit Neugierde. Die Neugierde, konnte ich
das schaffen. Konnte ich das machen und dann die ganzen Ortschaften zwischen Kiel und
Hamburg, verschiedene Strecken immer genommen, Bad Segeberg, Itzehoe usw., wie sieht es
dort aus. Da konnte ich ja nicht normalerweise hin mit dem Bus, weil ich auch nicht das Geld
hatte, aber mit dem Fahrrad wars kein Problem gewesen
4. Atmo: Auto anlassen, Tür zu
Erzählerin
Dieter klopft sich den Staub von der Hose und steigt in den vollgeladenen Pick Up, der
schrottreif wirkt. Aber noch fährt er.
4. Atmo er fährt weg
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1. Musik
Erzählerin
Kieshalden, überall an der Straße, auch wenn die Goldsucher die Gegend "umweltfreundlich"
mit kaltem Wasser und nicht mit Chemikalien durchwühlt haben, hat dies viele Narben
hinterlassen. Rostige Schiffswracks ragen am Ufer des Yukon aus dem Boden. Die weite
Flusslandschaft zieht heute weniger diejenigen an, die von Gold und Reichtum träumen,
sondern eher die, denen ihr eigenes Land zu eng wurde, die Freiheit und Natur suchen.
Größere Ansiedlungen sieht man hier kaum, sondern Hügelkette an Hügelkette, mit
struppigen Fichten bewachsen. Nur wenn eine Windbö durchs Yukon-Tal jagt, wird die
dunkle, weite Stille unterbrochen.
5. Atmo: Straßengeräusche
Erzählerin
Vom Schrottplatz fährt Dieter Reinmuth nach Dawson City und parkt seinen Pick up an der
Front Road, der einzigen Straße, die asphaltiert ist. Die Autos fahren im Schritttempo. Hinter
einem Deich fließt rasch der Yukon. Wie zu Goldgräberzeiten ist ein Schaufelraddampfer
unterwegs, mit Touristen an Bord.
5. Atmo: ab 22, 35 sec.: Hupen der Schiffssirenen, dann Straßengeräusche
9. O-Ton:
Es sind immer Kinderträume. Da fängt immer alles an, mit den Kinderträumen. Zu reisen so
wie ich oder ob man Arzt werden will. Alles war mit reisen, sogar als 6-jähriger, und im
Endeffekt, meine Mutter dürfte gar nicht eigentlich überrascht gewesen sein, wie ich dann
mit 23 sagte: Mami, jetzt kauf ich mir ein Fahrrad und fahre nach Australien. Ich hatte ihr
damals erzählt, es kann vielleicht 2-3 Jahre dauern, dann bin ich wieder zurück. Wie ich
unterwegs war, die Welt wurde immer größer, interessanter. Ich bin sehr neugierig. Ich bin
überall länger geblieben, 15 Jahre, ich hab an vielen Plätzen auch gelebt.
Erzählerin
In Japan zum Beispiel, in Australien und Neuseeland. Aber schließlich immer öfter Kanada
und Dawson.
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10. O-Ton:
Wie ich ankam in 75, da warn hier 800 Leute, 2 Fernsehprogramme, ne ganze Menge
Kneipen, die Fernsehprogramme warn CBC, jetzt ziemlich langweilig, kein Internet, und da
hatten sich die Leute noch mit sich selber und der Umwelt beschäftigt, also mit den
Nachbarn. Heutzutage sind etwa 60 Fernsehprogramme, Internet, eine ganze Menge
Gruppierungen, die eigentlich exklusiv sind für sich selber. Es ist ein kleines Dörflein, wir
nennen es wohl Dawson City, aber es ist trotzdem ein Dorf. Es sind 2000 Einwohner.
5. Atmo: Straße in Dawson
Erzählerin
Für die Fußgänger gibt es Holzplanken als Bürgersteige, denn wenn der Schnee taut und
wenn es regnet, bedeckt klebriger Schlamm die ungeteerten Straßen. (o.c. Anfang) Warum
ausgerechnet Dawson?
11. O-Ton:
Ich kann das nicht beantworten, warum? Weil ich bin viele Plätze gewesen. Meine Antwort
eigentlich ist, weil es eben hier ist. Es ist nicht nur Dawson City, sondern der Rest der Welt,
wo ich noch hinreise oder gewesen bin. Diese Plätze existieren und sie sind interessant und
darum fahre ich hin.
(o.c. Ende)
5. Atmo: Straße
Erzählerin
Entlang der schnurgeraden Straßen, im Schachbrettmuster angelegt, reihen sich Holzhäuser
in Hellblau oder Dunkelrot, die beschriftet und verziert sind wie zur Goldgräberzeit. Die
historisch korrekt restaurierten Theater, Bars und Banken sind Kulissen für Touristen. Sie
sollen sich in einem Western wähnen.
6. Atmo: Kneipe
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Erzählerin
In einer der Bars versuchen junge Frauen in Rüschenkleidern und Stiefelletten, die Gäste
zum trinken zu animieren, so wie zur Zeit des Goldrausches. Dieter fühlte sich von diesem
Freilichtmuseum und seinem Mythos angezogen.
12. O-Ton:
Bin ja hergekommen, hab in den Goldfeldern gearbeitet, bin dann wieder zurück, mit dem
Fahrrad weitergefahren. Kam wieder dann her nach ein paar Jahren, weil hier die Arbeit war.
Wo ich auch wusste, dass man hier in 5 Monaten mehr Geld verdienen kann wie nirgendwo
anders, oder sparen kann, sagen wir mal so. Wie das mit dem Fahrrad vorbei war, nach 15
Jahren in 84, ich hatte meine kanadischen Papiere gehabt, dann bin ich nach Dawson City.
Hier war meine Arbeit, meine Freunde gewesen. Ich hab viele andere Sachen gemacht, mit
wandern und Kanu fahren, Beringstrasse usw. usw.
6. Atmo:
Erzählerin
Und darüber schreibt Dieter auch Bücher. Er gibt anderen Ratschläge, wie sie ihre
Kinderträume im Yukon Gebiet verwirklichen können. Aber auf den kurzen Sommer folgt im
Oktober die dunkle, kalte Jahreszeit. Früher traf man sich dann in Dawson in der Bar oder
auf der Straße. Und heute?
13. O-Ton:
Viele Leute sind eigentlich nicht mehr mit andern beschäftigt, sondern mehr im Internet. Man
versteckt sich im Computer und sehn dann im Frühjahr alle sehr grau aus. Ich bin jemand der
raus geht, Langlauf fährt, der nicht drinne sein kann. Es ist genau der gleiche Winter wie
oben in Schweden. Man hat einen schönen großen Ofen, man trinkt viel Wein und trifft Leute
und redet. Der einzige Unterscheid hier zwischen und Nordskandinavien, dass hier unsere
größere Stadt, das ist Whitehorse, und die ist 550 km im Süden.
7. Atmo: im Supermarkt
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Erzählerin
Dawson ist umgeben von Tundra, Bergen und Sümpfen. In diesem Land lebten bis vor 150
Jahren nur Indianer, die fischten und jagten. Die Weißen mussten das Überleben in dieser
Wildnis erst lernen. Noch heute ist die Versorgung mit Lebensmitteln nicht so einfach wie
anderswo. Überfluss herrscht hier nicht, aber in einem Supermarkt gleich am Eingang der
Stadt werden ausgerechnet Bananen angeboten und sie sind billig.
14. O-Ton:
Und unsere beiden kleinen Läden, die haben nicht alles und wenn man irgendwas braucht
und wenn es mal grade 40 Grad unter 0 ist, hat man nicht unbedingt...es gibt auch keinen
Bus im Winter, im Sommer schon, dass man dann nach Whitehorse fährt. Man tut mit dem
genüge, was man hat. Oder gibt ne ganze Menge Geld aus und tuts übers Internet.
7. Atmo: Supermarkt geht in 2. Musik über
Erzählerin
Noch ist Juni. Im Norden stehen halb mit Schnee bedeckte nackte Berge wie Wände. Wild
zerzupfte und zu Wirbeln gedrehte Wolken hängen am Himmel. Es ist sonnig, aber der böige
Wind lässt frösteln. Ein steter Begleiter auf der Fahrt von Whitehorse nach Dawson war der
Yukon. Sein silbriges Band kreuzte ein oder zweimal den Weg. Hier in Dawson gibt es keine
Brücke. Eine Autofähre pendelt deshalb 24 Stunden am Tag am Tag hin und her. Dieter lenkt
seinen Pick Up auf die Fähre. Auf der anderen Flussseite hat er seine Herberge gebaut. Er
zeigt auf ein paar Holzhütten, die halb versteckt im Wald liegen.
2. Musik geht über in 8. Atmo: Fähre mit Stimmen der Passagiere
Erzählerin
Mittlerweile verbringt er den Winter oft lieber in sonnigen Gefilden und kommt erst wieder
zurück, wenn das Eis auf dem Yukon geschmolzen ist und der Tundraboden unter dem
Schnee zum Vorschein kommt. Zwischen Mitte bis Ende Mai. Das Hostel hat Struktur in sein
Leben gebracht.
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15. O-Ton:
Irgendwann hab ich gedacht, wird mal Zeit, dass ich erwachsen werde, dass ich irgendwas
aufbaue, und das ist das hier. Warum bin ich hier? Ich hätte auch genau gut woanders sein
können. Wenn ich hier dieses Land nicht gefunden hätte, wo jetzt die Herberge steht, denn
wär ich wahrscheinlich nicht in Dawson, dann wär ich wahrscheinlich in Car Cross oder
Haines Junction. Das sind andere zwei kleine Ortschaften im Yukon, wo ein sehr starker
Tourismus herrscht.
9. Atmo: aussteigen, Tür schlagen
Erzählerin
Wo wild wuchernd Kraut sprießt und ein paar zerzauste Sträucher sich die sandigen
Uferhänge des Yukon teilen, hat Dieter über die Jahre eine Art Goldgräbercamp gebaut. Mit
Bären als Nachbarn.
16. O-Ton:
Die erste Hütte war die Gemeinschaftshütte, nee, die ersten Hütten waren die Toiletten. Man
muss ja erstmal Toiletten haben. Dann das Badehaus und dann die Gemeinschaftshütte. Das
war 1991 und dann 92 hab ich aufgemacht und den Sommer dann hab ich die Hütte,
Nummer 3,4,5 und dann jedes Jahr etwas, jedes Jahr was dazu gebaut.
10. Atmo: Vogelzwitschern im Camp
Erzählerin
Heute stehen hier rund ein Dutzend Häuschen auf Stelzen, ohne Strom und fließend Wasser,
spartanisch eingerichtet. In die Gemeinschaftshütte, die nur eine Rückwand und ein Dach
hat, hat er lange Bänke und Baumstümpfe als Sitze gestellt. Daneben hat Dieter einen Ofen
gebaut. Kochen muss man hier selbst. Woher hatte er die Idee?
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17. O-Ton:
Vom Reisen. Wenn man reist, wie ich gereist bin. Hab ich mir schon überlegt damals, wenn
man mit dem Fahrrad fährt. In der Atacamawüste, da hat man viel Zeit zum denken. Man
fährt und denkt.
Erzählerin
Ein Badehaus mit Regenwasser, Plumpsklos, eine Wildnisbar, die Quintessenz aller
Billigunterkünfte, die er in den Gegenden, in denen er unterwegs war, gesehen hat. Der
Mangel an Komfort kann reizvoll sein, jedenfalls fühlen sich hier Freaks jeden Alters wohl.
18. O-Ton:
Ich hab hier eine Herberge, wo viele Leute auch hinkommen mit dem Fahrrad. Heute war
einer von den Staaten. Und vor ein paar Wochen kamen Leute mit dem Motorrad, die wollten
nach Terra del Fuego, nach Feuerland. Die hatten mit dem Motorrad sich vier Monate Zeit
gegeben. Das find ich traurig, weil zwischen hier und Feuerland sind unglaublich interessante
Plätze. Da nur durchzufahren und abzuhaken, ohne sich die Chance zu geben, irgendwo
länger zu bleiben, in Costa Rica, Mexiko oder irgendwo, fast eine Art zu Hause zu haben, für
sechs Monate z.b. auch ne Freundin finden, irgendwo, Gott, warum reist man dann? Es hat
dann länger gedauert, aber das wollt ich immer schon.
Das wollt ich als Kind, ich wusste nur nicht, dass es sich so ausarbeitet. Es ist das geworden,
was ich eigentlich mir so als Kind erträumt hatte.
11. Atmo: Im Camp
Erzählerin
Er mag die Leute, die kommen, die selbst auch ihre Kinderträume leben wollen. Die, die sich
dem Yukon anvertrauen, einem Fluss voller verborgener Strömungen, der den Leichtsinnigen
unversehens davontragen kann. Einige sind sogar allein mit dem Kanu unterwegs und so
manch einer ist knapp dem Ertrinken entkommen. Wie neulich ein junger Mann. Ein anderer
hat ihn gerettet. Beide machen nun zusammen Pause hier im Camp.
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12. Atmo: Bretter abladen
Erzählerin
Jetzt will Dieter erst einmal alles abladen, was er heute am Schrottplatz gefunden hat und
dabei mal Ruhe haben, sagt er. (Regie: Atmo hoch: keine Fragen stellen, in Englisch). Das
meiste wird wohl zu Feuerholz. Doch oft findet er auch Raritäten.
19. O-Ton:
Die ganzen Übungsfahrräder dort, die kommen alle von der Müllhalde. Die werden nicht
benutzt, wer will sich schon hier ausarbeiten. Aber die stehen dort. Wie jemand gesagt hat,
die sehen aus wie Skulpturen.
Erzählerin
Drei Heimtrainer stehen verloren am Rande des Camps mit Blick auf Dawson auf der
anderen Flussseite. Dieter wirkt abgekämpft. Er stöhnt. Sein heutiger Tag sah so aus:
20. O-Ton:
Zimmer sauber machen, Badehaus saubermachen, mit Leuten geredet, sie eingeschrieben,
Müll zusammengesucht, zur Müllhalde gefahren. Kaffee getrunken, Zeitung gelesen und jetzt
bin ich wieder hier. Lade ab.
12. Atmo: Bretter abladen
21. O-Ton:
Ich arbeite hier alleine. Etwa 16,18 Stunden am Tag, jeden Tag, für viereinhalb Monate und
dann brauche ich Urlaub, von Menschen auch. (lacht)
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Erzählerin
Und dann endlich gibt es den verdienten Kaffee auf der winzigen Veranda vor dem kleinen
Laden, in dem er allerlei Nützliches verkauft. Nachmittags ist es hier still, weil alle in Dawson
unterwegs sind.
22. O-Ton
Ich bin mit diesem Hostel hier nicht verheiratet, aber das ist mein Baby, wie man so schön
sagt. Ich hab das aufgebaut von Anfang an. Was ich damit machen werde irgendwann, weiß
ich nicht. Das würde ich nicht, wenn ich das mal so deutlich sagen darf, für eine Frau
aufgeben. Also, die Frau muss schon hier mitmachen wollen.
Erzählerin
Dieter Reinmuth ist kein Einsiedler, aber die meiste Zeit seines Lebens ist er alleine gewesen.
23. O-Ton:
Verheiratet war ich noch nicht, könnte ich vielleicht sagen, das kann ja noch passieren, aber
man kann wie gesagt nicht alles haben. Man kann nicht so leben wie ich gelebt hab. Ich bin
mit 23 weggefahren und war dann 15 Jahre.. ich hab lange in Japan gelebt, zweieinhalb
Jahre. In Australien ein Jahr usw. Ich hatte da natürlich ganz klar Freundinnen gehabt und
wär auch fast zweimal verheiratet geworden gewesen, wo ich gerade rechtzeitig von
weglaufen konnte. ist ne lange Geschichte, manchmal kann man nicht alles haben.
11. Atmo: Vogellaute im Camp
Erzählerin
Nach einem Schluck Kaffee und einer Weile Nachdenken, schränkt er ein.
24. O-Ton:
Außer wenn ich jemanden finde, die das, was ich tue, getan habe, auch hier mit der
Herberge, fünf Monate das führen und dann ein Monat in Vancouver, weil ich dort gerne sein
mag. Und dann vier Monate irgendwo durch die Welt kutschieren.
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Wenn das jemand mitmachen möchte, das Leben mit leben möchte, kein Problem. Aber die
meisten, mit denen ich zusammen gewesen bin, auch mal für 3-5 Jahre, die wollten dann
irgendwann sich niederlassen, nicht unbedingt hier in Dawson City, die wollten woanders
sein.
Erzählerin
Dieter Reinmuth hat nie in eine Rentenkasse eingezahlt. Er erzählt eine Geschichte, die ihm
vor 20 Jahren in Deutschland passiert ist, mit einer Gruppe von Schulkindern in einer
Herberge am Steinhuder Meer.
25. O-Ton:
Die haben sich so mehr oder weniger um mich gestellt und angeguckt. Der komische Typ da,
der sah ein bisschen zerfleddert aus, von Brasilien kommend mehr oder weniger und haben
Fragen gestellt, wo ich denn war und wer ich bin, usw. Ein junges Mädchen, sie war vielleicht
10 oder 12 Jahre alt, sie hat gefragt: Wie lange haben sie denn gereist? Jetzt genau fast 15
Jahre mit dem Fahrrad um die Welt gefahren. Und da guckte sie mich an und sagte: Aber
dann haben Sie ja gar keine Rente eingezahlt. Und da war ich baff. Und da hab ich mir
gesagt, dass wenn hier ein 12-jähriges Mädchen so denkt, dann wird es Zeit wieder
wegzufahren. Ich wusste nicht wie ich antworten sollte. Die Frage war so ungewöhnlich von
einem jungen Mädchen und da hab ich gesagt, du, weißt du was, wenn ich 60 werde, kaufe
ich mir ein Fahrrad und fahre die gleiche Strecke nochmal, aber in der anderen Richtung. Und
dann guckte sie mich genauso streng wieder an so von oben zu mir rauf guckend, sagte sie:
Nein, dann sind Sie zu alt. Sie hatte mich also 2x geschlagen, mehr oder weniger.
Erzählerin
Eigentlich würde er gerne wissen, was aus dem Mädchen geworden ist. Auch 20 Jahre später
ist Alter kein Thema für Dieter Reinmuth.
26. O-Ton:
Ich habe einfach zu viel Spaß mit dem, was ich mache und wenn es tatsächlich so wird
irgendwann, dass ich nicht mehr das machen kann, was ich jetzt tue, weil ich alt bin, da bin
ich eben alt.
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Erzählerin
Macht er sich keine Sorgen?
27. O-Ton:
Nö.
1. Musik
Erzählerin
Abends kann man auf Pfaden herum streifen, unter Bäumen sitzen, ein Lagerfeuer anzünden
und sich um 100 Jahre zurückversetzt wie in einem Goldgräber Camp fühlen, oder sich in den
hellen Sommernächten in Blicken und Gedanken im vorbeiströmenden Yukon verlieren.
Hinter der Herberge ragen Felsen in die Höhe. Die kantigen Steine sind mit Flechten
überzogen. Nördlich von Dawson kommt bis zum Polarmeer keine Siedlung mehr. Der Ort
liegt am Rande der bewohnten Welt. Dazu kommt das extreme Wetter und der lange
Winter.
1. Musik geht über in 13. Atmo: am Fluss
28. O-Ton:
Ja, ja, das wird kalt ganz plötzlich, irgendwann so Mitte Oktober. Oh ja, auf einmal bildet sich
eine Eisschicht auf dem Yukon-Fluss, die wird dicker und dicker und der Fluss wird langsamer
und langsamer und irgendwann mal bei 20, 30 unter Null friert der Yukon Fluss dicht, und
wenn das dann so zwei Wochen bleibt, dann ist die Eisdecke stark genug, dass eine Straße
gebaut wird über den Fluss rüber.
Erzählerin
Über die dann Autos und sogar Lastwagen fahren können.
29. O-Ton:
Und was tue ich im Winter? Ich reise. Ich bin in Europa von Mitte, Ende November etwa, aber
nur ganz kurz in Deutschland und den Rest werde ich durch Osteuropa reisen.
1. Musik