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Page 1: Konsumrausch der Untoten: Unendliches Glück durch Zombies?

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ecosign/Akademie für GestaltungFelix Beirau, SOSE 12, Philosophische Entwicklung A

KONSUMRAUSCH DER UNTOTEN: UNENDLICHES GLÜCK DURCH ZOMBIES?

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Inhalt

1. Einleitung 4

2. Die Determination des Zombies 43. Über Leben und Tod 84. Weil sie anders sind 105. Konsumkritik 116. Unsere Gesellschaft 13

7. Stellungnahme 148. Literaturverzeichnis 15

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Einleitung

Diese Arbeit beschäftigt sich mit der Daseinsberechtigung von Zombies in unseren Köpfen und deren Bedeu-tung im Zusammenhang mit uns und unserem ausgearteten Konsumver-halten. Sie soll einen Bogen zwischen der scheinbar fiktiven Erscheinung der Zombies und unserem heutigen Drang nach „mehr“ spannen, wel-cher uns vielleicht selbst zu einer Art Zombie zu machen scheint. Angefan-gen bei einem „kleinen“ Ausflug über die Herkunft und Moral der eigent-lichen Zombies, beschäftigt sich die Arbeit weiterhin mit der Hinterfra-gung von Leben und Tod, sowie dem Zwischenbegriff des Untotseins. Sind Zombies schlechte Wesen, weil sie schlecht handeln, oder sind sie sich ihres Handelns garnicht bewusst und entsagen somit jedem Schuldzuge-ständnis? Die Konsumkritik mit Hin-blick auf die wandelnden Toten wird dies zeigen.

Die Determination des Zombies

Zom|bie, der; -s, -s: 1. Ein wieder belebter Leichnam, der sich von Menschenfleisch ernährt. 2. Ein Voodoo-Zauber, der die Toten wie-der erweckt. 3. Ein Voodoo-Schlan-gengott. 4. Einer, der sich wie in

Trance bewegt oder handelt, »wie ein Zombie«. /Ein Wort westafrika-nischer Herkunft]

Zombies sind eine Seuche und die menschliche Rasse ist ihr Wirt. Dar-gestellt wird der Zombie als faulen-des, schlurfendes Wesen, welches in seiner früheren Existenz ein Mensch gewesen zu sein scheint, und das stimmt auch soweit. Doch woher kommen jene, nach Menschenfleisch gierende Wesen? Aus der Hölle? Aus dem Weltraum? Auch wenn einige „Erzählungen“ dies behaupten, ist der Grund ein anderer, Solanum. Ein Virus, welcher durch den Blut-kreislauf von der Eintrittsstelle zum Gehirn wandert und die vorderen Hirnlappen zur Vermehrung nutzt und währenddessen zerstört. Hier-bei kommen sämtliche Körperfunk-tionen zum Stillstand und mit dem Stehenbleiben des Herzes, stirbt der infizierte Organismus. Während das Virus die Zellen des Gehirns zu einem neuen Organ mutieren lässt, befindet sich das Gehirn in einer Art Schlafzustand. Ist dieser Mutations-vorgang abgeschlossen, wird der Körper zu einer neuen Lebensform reanimiert (vgl. Max Brooks 2004, S. 15-16).Der Begriff Zombie wird auch häufig als „Platzhalter“ für alle verminder-ten Existenzformen verwendet. So

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schreibt Bulent Diken, dass das World Trade Center nach seiner Zerstörung als Zombie im medialen Bewusstsein weiterlebte (vgl. Bulent Diken 2002, We are all Migrants: Immigration, Multiculturalism and Post-Politics af-ter September 11). Doch wir beziehen uns hierbei weiter auf jene, die Hera-klit bereits erwähnte:

„Die da gedankenlos hören, kann man bei all ihrer Vernunft nur als lebende Tote bezeichnen.“

Somit würden Zombies als „Perso-nen“ dargestellt, die keine Art der Selbstreflektion besitzen. Ihr Antrieb besteht aus einem „[...] kopflosen animalischen Instinkt [..]“ (Greene & Mohammad 2010, S. 50). Kopflos bezieht sich hierbei auf eine auf ihr Minimum reduzierte Hirnfunktion, weswegen Zombies nicht in der Lage sind, gegenüber Menschen oder Ih-resgleichen Wiedererkennung, als gar Sympathie zu hegen. Die von uns wahrgenommene „Ähnlichkeit“ bezieht sich auf ihr rein Äußerli-ches (vgl. Greene & Mohammad 2010, S. 14). Doch wenn man eine Ähnlichkeit zusprechen darf, dann besteht diese wohl in ihrer, wenn auch radikalen, Ergebnisorientie-rung. Manche würden meinen, sie seien blindwütig; Spinozisten sagen jedoch, dass sie durch nichts von ih-

rem Ziel abzubringen sind. Dieses Verhaltensmuster wird uns in vielen Tonfilmproduktionen vor die Nase gehalten, wenn die stöhnenden Un-toten tagelang an einer Barrikade verharren, um ihr ersonnenes Ziel zu erreichen: uns. Aber eigentlich kann man es ihnen nicht verübeln. Schließ-lich verfügen sie über keine mentalen Zustände. Eine „Moral“ der Zombies gibt es also nicht, da diese eine kom-plexe Gedankenfähigkeit voraus-setzt. Sie wissen also nicht, ob das, was sie tun, richtig oder falsch ist. Sie sind gänzlich amoralisch (vgl. Greene & Mohammad 2010, S.146). Folglich handeln sämtliche Zombies unter dem selben primitiven Grund, ihrem unstillbaren Hunger [hierbei ist nicht der physische Hunger gemeint, da Zombies über kein funktionierenden Verdauungstrakt verfügen (vgl. Max Brooks 2004, S.26-27)].Hat dieses Kollektiv von Untoten, durch ein gemeinsames Ziel, eine Art Verhältnis untereinander? Beginnend bei den einzelnen Individualzom-bies stellt der französische Philosoph Gilles Deleuze relevante Fragen an die bereits erwähnte, spinozistische Ethologie:

„Wie setzen sich Individuen zusam-men, um ein höheres Individuum – bis ins Unendliche – zu bilden? Wie kann ein Wesen ein anderes in

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seine Welt aufnehmen, doch so, dass es dessen Verhältnis und die eigene Welt erhält und respektiert?“ (Gil-les Deleuze 1988, S. 164)

Diese Fragen bilden unter den Begrif-fen De- und Rekomposition eine wich-tige Rolle, welche zugleich erläutert werden sollen.Laut Spinoza stellt der Tod keinen klar definierten Zustand dar. Er sagt, dass ein Körper durchaus sterben kann, „obwohl weiterhin gewis-se Lebenszeichen erkennbar sind.“ (Greene & Mohammad 2010, S. 128). Spinoza sieht den Körper also als ein Zusammenspiel von physischen und geistigen Zuständen, wobei der Körper stirbt, wenn seine Teile ein an-deres Verhältnis von Bewegung und Ruhe zueinander annehmen. Der Körper stirbt also nicht erst, wenn er zur „Leiche“ wird (vgl. Spinoza 1975, Lehrsatz 39). Der Körper (eines Zom-bies) scheint also keineswegs tot, nur weil er fault. Schließlich führt sein, wenn auch begrenzter Geist, niedere Aktivitäten aus. Unter Tod versteht Spinoza

„die Zertrennung oder das Neu-arrangement von Teilen oder einfachen Teilkörpern der zusam-mengesetzten Körper, in denen die einfachsten Körper nur, in Bezug auf Bewegung und Ruhe, [...] nicht

aber in Bezug auf die Substanz voneinander unterschieden‘ sind.“ (Greene & Mohammad 2010, S. 130).

Diesen Prozess bezeichnet Deleuze als Zusammensetzung und Zerlegung. Durch Nahrungsaufnahme absorbie-ren wir diese Beziehungen. Ein men-schenfressender Zombie assimiliert also sein Opfer und reiht es in seinen Organismus ein. Hier spricht man nun von De- und Rekomposition. Da alle Zombies diese Komposition be-treiben, kann der eigentliche Zombie-organismus der größeren Masse von Zombies zugesprochen werden, wel-che sich unaufhörlich vergrößern zu versucht (vgl. Greene & Mohammad 2010, S. 131). In der Welt der Zombies existieren jedoch auch andere Formen, welche ich kurz erwähnen möchte. Zuerst hätten wir den „klassischen“ Voodoo-Zombie. Den einzigen Zusammen-hang zwischen unseren Zombies und den Voodoo-Zombies bildet die ety-mologische Herkunft des Namens. Zombie stammt vom Kimbundu-Wort nzúmbe ab, welches die Seele ei-ner toten Person beschreibt. Die Zom-bifizierung, welche fester Bestandteil der afro-karibischen Religion ist, geschieht mittels Zombie-Pulver, wel-ches ein starkes Neurotoxin enthält.

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„Dieses Toxin lähmt vorübergehend das menschliche Nervensystem und erzeugt ein Stadium extremen Hi-bernierens. Herz, Lungen und alle anderen Körperfunktionen funkti-onieren auf einer minimalen Stufe [...]“ (Max Brooks 2004, S. 37)

Diese Art von Zombies können je-doch Emotionen zeigen, denken, Schmerzen empfinden, Feuer erken-nen, ihre Umgebung wahrnehmen, kommunizieren und aufgrund von häufig auftretenden Hirnschäden, kontrolliert werden (vgl. Max Brooks 2004, S. 37-40).

„[Er ist somit] [..] die perfekte Me-tapher für die vollständig entfrem-dete moderne Arbeitskraft.“ (Gree-ne & Mohammad 2010, S. 125)

Weiterhin hätten wir den sogenann-ten Philosophischen Zombie. Diese We-sen unterscheiden sich kaum von uns Menschen und gieren auch nicht nach Fleisch, zumindest dem unseren. Sie wurden von Philosophen ersonnen, um Konzepte zu testen und theore-tische Probleme zwischen Geist und Körper zu erproben (vgl. Greene & Mohammad 2010, S. 142). Sie erleben jedoch, wie die „echten“ Zombies, keinerlei bewusste Zustände. David J. Chalmers bezeichnet sie als

„[...] jemand oder etwas mit mir (oder irgendeinem anderen bewuss-ten Wesen) Identisches, dem jedoch jedes bewusste Erleben fehlt.“ (Da-vid J. Chalmers 1996, S. 94).

Solange wir uns über solche Dinge den Kopf zerbrechen, können wir uns sicher sein, keiner von ihnen zu sein.Um den Kreis zu den eigentlichen Zombies zu schließen, muss man de-ren Steigerungsform, die Speed-Zom-bies noch einreihen. Einfach gesagt ist ihnen alles inhärent, was auch die „normalen“ Zombies besitzen. Doch sie können zudem noch rennen! Ein treffendes Filmbeispiel stellt hierbei 28 Days Later (2002) von Danny Bo-yle dar. Szenen, in denen die Prota-gonisten von mehreren rennenden Zombies durch die leeren Straßen von London gejagt werden, haben ei-nen verdächtigen Beigeschmack von politisch oder religiös motivierter Mob-Gewalt. Man kann diesen sprin-tenden Untoten nicht länger aus dem Weg gehen. Man möchte meinen sie sagen zu hören „Ihr hattet eure Chan-ce, jetzt legen wir einen Zahn zu!“.Eine erkennbare Entwicklung vom „domestizierten“ Voodoo-Zombie, bis hin zum Speed-Zombie der Neu-zeit ist nicht abzustreiten. Erstere stellten einen Kontext zu entfremde-ter Arbeit und unterdrückter dritter Welt dar; Letztere hingegen

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„[...] sind die radikal körperlich gewordene, rahmensprengende Konsequenz der Repression in ihrer gesellschaftlichen Totalität, der un-vermeidliche Ausbruch einer Krise auf globaler statt auf individueller Ebene.“ (Greene & Mohammad 2010, S. 138)

Wahrlich „böse“ Wesen, diese Zom-bies! Doch was definieren wir an ihnen als böse? Dass sie uns als Deli-katessen ansehen? Weil sie „schlecht handeln“? Weil sie Dinge tun, die wir uns nie vorstellen können? Die Zom-bies als solche sind weder gut noch böse, da sie, wie bereits erwähnt, kei-ne Moral empfinden können. Sie wis-sen garnicht was gut oder böse ist, sie tun es einfach.

Über Leben und Tod

Der Begriff des Untotseins erzwingt freilich eine Betrachtung der Zustän-de von Tod und Sein, beziehungswei-se von Tod und Leben. Sofern der Tod das Gegentiel des Lebens ist, muss dieser dann zwangsläufig schlecht sein? Wir als Individuen können den Tod nur anhand anderer definieren, die nicht mehr am Leben sind. Diese Erfahrung kommt uns, sofern man eine bekannte Person verloren hat, natürlich schlecht vor, da jene nicht mehr „da“ ist. Woher wissen wir, die

am Leben sind, was der Tod bringt? Wir können es uns einfach nicht vor-stellen, weshalb ein gesunder Res-pekt, nichtgleich mit Angst zu ver-wechseln, vor dem Tod präsent ist.

„[Eigentlich] geht mich das angeb-lich schaurigste aller Übel, der Tod, [..] nichts an, denn solange ich bin, ist er noch nicht, und wenn er ist, bin ich nicht mehr.“ (Epikur 1990, S. 281)

Zwei Thesen könnten uns helfen, das Schlechte am Tod, oder vielmehr am Untotsein zu ergründen. Die erste ist Thomas Nagels Deprivationsthese, welche besagt, dass man von den Ge-nüssen des Lebens abscheidet. Schon in der Formulierung klingt das mehr als plausibel, wenn das Gegenteil des Todes das Leben, inklusive seiner Erfahrungen und Genüsse ist. Die zweite These stammt von Bernard Williams. Das Prinzip der Wunsch-versagung erläutert, dass uns die Er-füllung bestimmter dringlicher Wün-sche untersagt wird. Betrachten wir den Zustand der Zombies mit der ersten These, so könnte man meinen, dass sie nicht unbedingt „genussfrei“ sind. Immer-hin stellt ihre Nahrungsaufnahme ei-nen großen Anteil ihres Daseins dar. Und wie wir bereits erfahren haben, vollziehen sie diesen Akt nicht aus

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Überlebenszwecken. Aus der Sicht der Wunschversagung ergibt sich hingegen folgende Be-trachtungsweise. Man zieht eine ge-wisse Lage der Dinge vor, in der man etwas bekommt, was man begehrt. Der Tod als solcher schließt die Erfül-lung einiger Wünsche aus. Folglich sollte der Tod gemieden werden, da sich durch ihn einige Wünsche nicht erfüllen werden. Deshalb, scheint er schlecht zu sein (vgl. Greene & Mo-hammad 2010, S. 26). Übertragen auf die nach uns lüstenden Zom-bies, könnte das durchaus fruchten, denn sobald man einer von ihnen wird, hegt man wohl kaum noch den Wunsch einer Familie, eines erhol-samen Urlaubes oder das Verlangen nach materiellen scheinbaren Glücks-gütern. Dennoch haben die Untoten ja ein zielstrebiges Verlangen, näm-lich uns zu fressen. Der Wunsch als solcher hat sich also nicht aufgelöst oder blieb versagt, er hat sich ledig-lich gewandelt. Wer wollte schon als Kind genau das werden, was er heute praktiziert? Da Wünsche sich wandeln, scheint der Zustand des Untodseins also nicht schlechter als der Tod selbst zu sein. Was am Ende bleibt, ist die Tatsache, dass Sterben seit der Geburt präsent ist. Viele Menschen sehen ausgefallene Haare oder abgeschnittene Fingernägel als etwas Unangenehmes an. Diese Art

von Ekel keimt jedoch unbewusst seit dem Moment der ersten Realisierung dessen. Mit dem Ausfallen von Haa-ren oder Zähnen, sehen wir, wie wir langsam sterben. Es ist ein Teil des Lebens und begleitet uns während der gesamten Zeitspanne dessen.

„Die Grenze, die berührt wird, ist nicht so sehr die zwischen Leben und Tod als vielmehr die zwischen den Lebenden und den Toten.“ (Greene & Mohammad 2010, S. 219)

Aber gehören Zombies nun eher den Lebenden oder den Toten an? Bilden sie vielleicht sogar eine bewusste Schnittstelle zwischen diesen beiden Polen, um auf etwas hinzudeuten?

„Wenn wir für eine hirnmedizini-sche Definition des Todes plädieren, die Tod lediglich als Verlust höherer Hirnfunktionen fasst, [...] können wir Zombies legitimerweise als ‚tot‘ klassifizieren.“ (Greene & Mo-hammad 2010, S. 59)

Bewegung und ein zielgerichtetes Verhalten sprechen als Argumente für das Leben. Ganz so einfach lassen sich die lebenden Toten also nicht in die ein oder andere Seite stellen.In vielerlei Filmen wird uns sugge-riert, dass die Menschen sich lieber

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in jener ausweglosen Situation von ihren Nächsten töten lassen wollen, als sich in das Heer der Untoten ein-zureihen. Diese Angst liegt, wie wir bereits versucht haben zu erkunden, weniger an dem Zustand des Untot-seins, sondern vielleicht vielmehr an der Art der Transformation. Wir wollen nicht unser Handeln von ei-nem Hunger lenken lassen, der Un-seresgleichen jagd und verspeist. Wir wollen Herr über unser Selbst bleiben und eigenständige Entscheidungen treffen. Doch genau das haben bereits viele Menschen verlernt, eigenstän-dige Entscheidungen aufgrund von Reflektion und Erfahrung zu treffen.

Weil sie anders sind

Angesischts der Situation befinden wir uns früher oder später in der Lage, in welcher wir uns nicht ein-fach mehr verstecken oder weglaufen können. Wir stellen uns im wahrsten Sinne unseren Ängsten und stellen uns moralische Fragen, was ein Tö-ten der Zombies rechtfertigen würde, oder eben nicht.

„Die Entrüstung über begangene Grausamkeiten wird um so gerin-ger, je unähnlicher die Betroffenen den normalen [Menschen] sind [...]“ (Theodor W. Adorno 1969, S. 133)

Reicht das Anderssein jedoch aus? Wenn dem so wäre, befänden wir uns ganz schnell in einer national-sozialistischen Form, welche Ador-no im vorigen Zitat anspricht. Doch es gibt noch andere Gründe für eine scheinbar moralische Abwertung der wandelnden Toten. Notwehr könnte es sein, die uns schnell einen berechtigten Grund ge-ben könnte. Schließlich bedrohen sie unsere Existenz indem sie uns jagen, fressen und transformieren. War ein Zombie im „vorigen Leben“ ein Straf-täter und wir wären uns dessen be-wusst, so fiele es uns sicherlich auch leichter zu urteilen, als wenn es sich um die Tochter der Nachbarsfamilie handeln würde. Hierbei sei jedoch einzuwerfen, dass Zombies keiner-lei Bezug zu ihrem vorigen Dasein haben und gleich, ob Straftäter oder junges Mädchen, alle von einem un-stillbar zu scheinenden Hunger ange-trieben werden. Sind wir ihnen nicht vielleicht sogar verpflichtet, diese Qual zu nehmen? Immerhin haben die jetzigen Zombies gegenüber ihrem vorigen Ich eine starke Per-sönlichkeitsveränderung vollzogen. Doch dies ist wohl leichter gesagt als getan und sollte nicht leichtfertig als Grund vorgezogen werden. Weiterhin erscheint es uns als ver-tretbar sie zu töten, da wir ihnen kei-nerlei Wünsche oder Erinnerungen

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berauben würden.

„Was widersteht, darf überleben nur, indem es sich eingliedert.“ (Theodor W. Adorno 2011, S. 140)

Genau das, könnten die Zombies von uns denken. Der Assimilations-gedanke sprengt den Rahmen von reinen Hungergelüsten und schlur-fenden Bewegungsmustern. Diesen exponentiellen Wachstumsgedanken, haben alle Transformierten in ihrem neuen Dasein gemeinsam. Wie wir später noch sehen werden, hat aber genau diese Einstellung mit unserer eigenen heutigen Verhaltensweise viel gemeinsam, weshalb sich die Zombies schon fast als Spiegelbild manifestieren. Überträgt man diesen Akt der Tö-tung auf die vielen Filme, in denen es stattfindet, stellt sich die Frage, ob das Leben als solches als wertlos ein-gestuft wird, da man uns das Töten zu Unterhaltungszwecken vorsetzt, ähnlich wie bei den Gladiatorkämp-fen im früheren römischen Reich. Das kann man jedoch verneinen, da es klar fiktional geschieht und niemand „wirklich“ zu Schaden kommt.

Konsumkritik

Adorno schreibt in seiner Kritik an die Kulturindustrie, dass jede ein-zelne Manifestation derer, uns Men-schen als das reproduziert, wozu sie uns macht (vgl. Theodor W. Adorno 2010, S. 135). Anders gesagt erzieht uns die Kulturindustrie wissentlich zu ihren Gunsten und Interessen. Das wirkt schon fast wie ein Zombiever-halten, oder? Die eigentliche Treibstoff der Horror-filme, in welchen das Zombiethema behandelt wird besteht jedoch darin, dass wir uns in andere hineinfühlen können. Wir nehmen Teil an der Ge-schichte und den Protagonisten, um einen scheinbaren Emotionssturm zu erfahren, welcher uns aufgrund un-serer Schnelllebigkeit verloren ge-gangen zu sein scheint. Adorno kritisiert, dass uns die „Ton-filme“ keinerlei Spielraum für ei-genes Denken überlassen und wir ihnen völlig ausgeliefert seien. Man schweift nicht ab und verliert nicht den Faden, welchen uns der Film vor-gibt (vgl. Theodor W. Adorno 2010, S. 134). Letzteres geschieht jedoch nur bei gut durchdachten Filmwerken und stellt bei potentiell gutem Inhalt eine wirkliche Bereicherung dar. Die-se scheinbare Verschmelzung von Fiktion und Wirklichkeit, lässt uns gewisse Muster auch in unser eigenes

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Leben übertragen. Jeder kennt die Si-tuationen, in denen er sich an eine Filmstelle erinnert fühlt, die sich ähn-lich im eigenen Leben abzuspielen scheint. Expliziter auf das Zombie-thema gehend, können wir dabei bei uns selbst anfangen zu vergleichen. Wir sind Konsumenten, und die Zombies auch. Zombies konsumie-ren, ohne es wirklich zu brauchen, genau wie manche Menschen auch in einem trügerischen Konsumschema gefangen sind, in dem sie glauben, dies oder jenes, scheinbar des Überle-bens Willen, zu benötigen. Macht uns dieses notorische Verhalten bereits zu zombieähnlichen Charakteren un-serer Zeit? Jedes Lebewesen strebt in seinem Leben nach Glück und möch-te Leid vermeiden. Der herrschende Konsumismus suggeriert uns ein Trugbild, indem wir Glück durch den Erwerb materieller Güter erfah-ren. Doch dieses Verhalten schafft in jenem überzogenen Umfang, in wel-chem es stattfindet, mehr echtes Leid als scheinbares Glück.

„Der Grund für diese Verfassung ist, dass es ihnen zwar mit dem Le-ben, aber nicht mit dem Gut-Leben ernst ist. Wie sie jetzt den Drang haben, das Leben bis zur unend-lichkeit auszudehnen, so begehren sie auch ohne Ende die Dinge, die Leben gewährleisten.“

Diese Verfassung, welche Aristoteles in seiner Abhandlung Politik, Buch 1, Kapitel 9 betrachtet, bezeichnet pleonexia, die „Neigung, mehr zu ha-ben“ oder schlichtweg Habsucht. Sie „beruht [somit] auf dem exzessiven Drang, am Leben zu bleiben.“ (vgl. Greene & Mohammad 2010, S. 113). Aristoteles schrieb, dass wir unser Leben durch die Habsucht bis zur Unendlichkeit ausdehnen zu versu-chen, also unsterblich sein wollen. Eine grieschiche Bezeichnung für jene Unsterblichkeit beschreibt das Wort athanatos, wörtlich: ohne Tod. Ohne Tod, also nicht-tot, oder pas-sender: un-tot. Weigern sich also die Zombies einfach nur dem Tod, weil sie in ihrem „früheren Leben“ zur Habsucht getrieben wurden? Wenn unser innigstes Ziel darin besteht, glücklich zu sein, müssen wir uns doch – heute mehr denn je – die Fra-ge stellen, ob uns diese „Jagd nach Vergnügen“ einen konstanten Zu-stand des Glücklichsein verschafft, oder ob wir nur einer Fata Morgana nach der anderen hinterherhetzen. Nach intensivem Nachdenken sollte die Antwort darauf eigentlich nicht schwer sein. Ein Leben in Luxus setzt die Prioritäten falsch, so sah es bereits Aristoteles. Interpretiert man ihn da-bei, könnte er meinen, dass jeder Ge-fahr läuft,

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„das gute Leben einem Leben in Ge-nuss gleichzusetzen, einem Leben, das sich der Art von Vergnügen ver-schreibt, die der Konsum zu liefern vermag.“,

der nach materiellen Gütern giert (vgl. Greene & Mohammad 2010, S. 116). Aristoteles nennt diese Art von Befriedigung „Lust aus Bereiche-rung“ (Nikomachische Ethik, Buch V, Kapitel 2). Man könnte also die Zom-bies schon eher bemitleiden, weil sie auf ihrer Suche nach trügerischer Be-friedigung umherschlurfen.Ein gesundes, temporäres Glück kann sich jedoch durch einen be-wussten und gemäßigten Wunsch nach materiellen Gütern einstellen. Das ist ein entscheidender Vorteil, den wir im direkten Vergleich den Zombies voraus haben. Die Grenzen für ein gutes Leben ergeben sich von selbst, so Aristoteles in Politik, Buch I, Kapitel 9.Anhand der Zombies kann man nun weiterhin behaupten, dass sie als ulti-mative Konsumenten uns Menschen, die wir auch Konsumenten sind, ne-gieren. Der Konsum konsumiert sich selbst, ähnlich einem Ouroboros, der sich in den Schwanz beißt. Ein Sym-bol der Unendlichkeit.

Unsere Gesellschaft

Jenen Menschen, die mit durchzech-ten Nächten bei Computerspielen vertraut sind, wird folgendes Expe-riment bekannt vorkommen. Nach mehreren Stunden eines solchen Spielemarathons, herrscht eine geis-tesabwesende Reaktionsautomatik auf visuelle Reize (vgl. Greene & Mo-hammad 2010, S. 66). Auch ein mehr vertrautes Erscheinungsbild dieser Automatik, wenn wir zum Beispiel in einer Schlange vor dem nächsten La-den stehen, beschränkt unser Verhal-ten ab dem Moment des Anstellens, bis zum Erhalten der Sache. Wir stel-len uns in eine Reihe von Zombies, um zielgerichtet, oder bedürfnisori-entiert, zu konsumieren. Würden Sie sich für einen Kaffee an eine Schlange reihen, in der mehr Leute stehen, als Sie ohne Zählvorgang ausmachen können?Manche würden es Vorfreude nen-nen, andere hingegen als Galgenfrist. Man ist sich dessen bewusst, was passieren wird, ist aber zum Nichts-tun verdammt, in dessen Zustand der Großteil der Leute mehr tot als leben-dig erscheinen.

„Was wirst du tun? Dein Leben in passiver Resignation beschließen oder aufstehen und rufen: ‚Ich wer-de nicht ihr Opfer sein! Ich werde

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überleben!‘ Es ist deine Entschei-dung.“ (Max Brooks 2004, S. 13)

Um keiner von Ihnen zu sein – sei es ein fleischfressender Zombie oder (lediglich) ein konsumgetriebener Zeitgenosse, bedarf es der Erken-nung dieses Grundes für unser Han-deln. Hierbei greift eine der wichti-gen Botschaften aus Zombiefilmen: Es ist egal, was du tust, solange du dazu in der Lage bist etwas zu tun.

Stellungnahme

Scheinbar hat Sie die Tatsache einer Zombieinvasion doch nicht ver-schreckt, sind wir ihnen doch so gleich. Ja sie existieren; Ja sie sind unter uns; Nein, sie fressen uns nicht (normalerweise); Sie sind wir, gefan-gen in einer Reaktionsautomatik von Werbung und Konsum. Es gibt Situ-ationen, in denen eine Handlung für den Moment gut erscheinen mag, die Folgen jedoch eher weniger. Wenn wir nun nach Glück streben, und Leid vermeiden wollen, sollten wir für kurzweilige Glücksvulkane, die unsere Konsumgüter nahezu ein-studiert haben, das Risiko von Leid eingehen? Ja, aber bewusst jene Si-tuation untersagen, die bewusst ein schlechtes Nachspiel haben. Das Pro-blem, und es ist leider weit verbreitet, ist eine gewisse Alltagshektik, welche

viele Menschen als ihre Triebkraft, ihr Wille zu sein.

Zu wissen was man will, definiert nicht, zu wissen was man braucht.

Ein Knackpunkt. Wir sind anpas-sungsfähig und über jede sinnvoll von oben ausgeübte Regelung dank-bar. Aber diese Regelung des Kon-sums, die Art und Weise, welchen Stellenwert ihm eingeräumt wird, zombifiziert uns Menschen. Wir gie-ren gleichsam nach einem Wunsch, schlurzen teilweise wankelnd zur nächsten Neueröffnung eines Apple-Stores, oder meinen uns etwas (mate-rielles) gönnen zu können, da es das Leben als solches erträglicher macht. Das Leben ist in dem Maße erträglich, in der man es ertragen kann. Hin und wieder konsumieren muss man und darf man auch. Aber das eigene Ver-halten betrachdend, sollte jeder kri-tisch denken und einen wahrhaften Zombie sehen, der auf das nächste Hirnbuffet zuhumpelt. Dies kann zu-gegebenermaßen verstörend wirken, aber die Erkenntnis ist bereits der ers-te Schritt zu einem Konsumbewusst-sein. Divertiere das Zombieverhalten, denn es trägt in seinem Fehlverhalten den entscheidenden Hinweis, wel-chen es benötigt, um zu den Leben-den zurückzukehren, wir können darüber bewusst nachdenken.

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Literaturverzeichnis

Richard Greene & K. Silem Mohammad (2010): Die Untoten und die Philoso-phie. Klett-Kotta: Stuttgart.

Max Horkheimer & Theodor W. Adorno (2011): Dialektik der Aufklärung. Fi-scher-Verlag: Frankfurt am Main.

Theodor W. Adorno (1969): Minima Moralia. Suhrkamp: Frankfurt am Main.

Max Brooks (2004): Der Zombie Survival Guide. Goldmann: München.

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»Zombies sind die größte Bedrohung fürdie Menschheit, abgesehen von der Menschheit selbst.«

Max Brooks