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Kosten entstehen nicht nurdurch den Verbrauch von Gü-tern, sondern auch, wenn derbeabsichtigte Verbrauch sichnicht realisieren lässt.

Außerplanmäßige Abschreibun-gen sind nicht nur in der han-delsrechtlichen Rechnung, son-dern auch in der kalkulatori-schen Rechnung vorzunehmen.

Kosten entstehen nicht erst imZeitpunkt des Verbrauchs vonGütern, sondern werden vorherbegründet. Bei Abschluss einesVertrags über den Bezug einesGutes entstehen latente Kosten,die bei Verbrauch des Gutes zurealisierten Kosten werden.

Diese Unterscheidung in laten-te und realisierte Kosten isthilfreich, wenn z.B. für dieEntscheidung über Annahmeoder Ablehnung eines Auftragsdie auftragsfixen und die auf-tragsvariablen Kosten vonein-ander abzugrenzen sind.

Die auftragsfixen Kosten sindnicht den beschäftigungsfixenKosten gleichzusetzen, die auf-tragsvariablen nicht den be-schäftigungsvariablen.

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Kosten als bewerteterGüterverzehr

Kosten werden im Allgemeinen definiertals bewerteter Güterverzehr oder Güter-verbrauch (Menrad 1975, Sp. 2280-2290sowie Hummel/Männel 1986, S. 69). Dar-auf gründet sich wohl die übliche Auffas-sung, dass Kosten durch den Verbrauchvon Gütern und im Zeitpunkt des Ver-brauchs entstünden. Ihr entspricht auch diegängige Rechnungspraxis. Aber ist dieseAuffassung zutreffend? Auf die Definitionder Kosten allein kann man sich nicht be-rufen, da Definitionen kurz gefasst sein sol-len und deswegen Vereinfachungen in Kaufgenommen werden müssen. Daher wollenwir die gestellte Frage anhand eines Bei-spiels zu beantworten versuchen.

Schließt ein Industriebetrieb einen Ver-trag über den Bezug eines Rohstoffs ab,handelt es sich bilanziell gesehen um einschwebendes Geschäft. Der Vorgang wirdweder in der Finanzbuchhaltung noch inder Betriebsbuchhaltung erfasst. Erhält derBetrieb den bestellten Rohstoff unter Stun-dung des Kaufpreises geliefert, wird dasschwebende Geschäft zu einem einseitigerfüllten Geschäft. Es sind ein Vermö-genszugang sowie eine Schuldenzunahmezu verbuchen. Bezahlt der Betrieb den er-haltenen Rohstoff, wird das einseitig er-füllte Geschäft zu einem zweiseitig erfüll-ten Geschäft. Es sind ein Geldabgang so-wie eine Schuldenabnahme zu verbuchen.Setzt der Betrieb den auf Lager liegendenRohstoff in der Produktion ein, sind einVermögensabgang sowie Materialaufwen-dungen bzw. Materialkosten zu verbuchen.

Wenn nun jedoch der Rohstoff nicht wiegeplant in der Produktion eingesetzt werdenkann und eine längere Lagerung wegen derGefahr des Verderbs ausscheidet ebenso wieein Wiederverkauf, muss der Rohstoff wie

Abfall behandelt werden. In der handels-rechtlichen Rechnung ist eine außerplan-mäßige Abschreibung vorzunehmen.

Sind außerplanmäßige Abschreibungen Kosten?

Soll in der kalkulatorischen Rechnung eben-so wie in der handelsrechtlichen Rechnungverfahren werden? Soll auch in der kalku-latorischen Rechnung im Fall, dass ein über-flüssig gewordener Rohstoffvorrat wie Ab-fall behandelt werden muss, eine außer-planmäßige Abschreibung vorgenommenwerden? Gegen den Ansatz von außerplan-mäßigen Abschreibungen in der Kosten-rechnung könnte eingewandt werden:a) Es läge hier kein Verbrauch vor. Aber

damit würde man den Begriff des Ver-brauchs zu wörtlich nehmen und zu engauffassen. Immerhin wird im gewähltenBeispiel der Rohstoffbestand wertlos.

b) Es läge hier, wenn überhaupt ein Ver-brauch, dann jedenfalls kein produkti-onsbedingter Verbrauch vor. Aber derRohstoff war für den Einsatz im Pro-duktionsprozess bestimmt gewesen. Nurdie Erwartungen in Bezug auf die Pro-duktion haben sich nicht erfüllt. Ohnesolche Fehleinschätzungen ist eine Pro-duktion jedoch kaum möglich.

c) Es handle sich hier um einen außeror-dentlichen Vorgang, der nur als neutra-ler Aufwand zu erfassen und der Kos-tenrechnung fernzuhalten sei. Aber dannmüsste man konsequenterweise auchAbschreibungen von Maschinen, dienicht voll genutzt werden, als neutralenAufwand behandeln, ebenso wie Löhneund Gehälter von Arbeitskräften, dienicht voll beschäftigt sind.

d) Es handle sich um einen durch kalku-latorische Wagnisse hinreichend er-

Kosten- & ErgebnisrechnungKOSTEN

RECHNUNGSPRAXIS

ZEITSCHRIFT FÜR CONTROLLING,ACCOUNTING & SYSTEM-ANWENDUNGEN

Latente und realisierte Kosten

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Prof. Dr. H. K. Weber,

Lehrstuhl für Betriebs-wirtschaftliches Rech-nungswesen und Be-triebswirtschaftslehreder Industrie, Univer-sität Göttingen, Platzder Göttinger Sieben 3,37073 Göttingen.

Helmut Kurt Weber

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fassten Vorgang. Aber beim Ansatz kal-kulatorischer Wagnisse muss man sichauf einzelne vorhersehbare Risiken be-schränken (Wedell 1999, S. 102 f.);man kann sie nicht auf das Wertlos-werden eines größeren Rohstoffvorratsausdehnen.

Daher sind unseres Erachtens unter den skizzierten Umständen außerplanmäßigeAbschreibungen auch in der kalkulatori-schen Rechnung vorzunehmen. Würdeman anders verfahren, bliebe die Kosten-rechnung unvollständig. Man käme beiFernhalten solcher Fehleinschätzungen,wie hier des Rohstoffbedarfs, leicht zu ei-nem positiven Betriebsergebnis, würde sichdamit jedoch selbst betrügen. Eine solcheRechnung wäre kein taugliches Informa-tions- und Entscheidungsinstrument.

Mehrere Fälle und mehrere Zeitpunkte desEntstehens von Kosten

Aus der Diskussion dieses Beispiels ergibtsich zweierlei: Erstens, die übliche Auf-fassung, Kosten würden durch den Ver-brauch von Gütern entstehen, bedarf einerErweiterung. Es sind mehrere Fälle desEntstehens von Kosten zu unterscheiden:Kosten entstehen zwar normalerweisedurch den Verbrauch von Gütern, aus-nahmsweise aber auch dann, wenn sich derbeabsichtigte Verbrauch nicht verwirkli-chen lässt.

Zweitens, die übliche Auffassung, Kos-ten würden im Zeitpunkt des Verbrauchsvon Gütern entstehen, bedarf ebenfalls ei-ner Modifikation. Es sind mehrere Zeit-punkte des Entstehens von Kosten zu un-terscheiden. Rohstoffkosten werden in derIstkostenrechnung zwar im Zeitpunkt desRohstoffverbrauchs angesetzt; aber siewerden früher begründet, und zwar im Zeit-punkt des Abschlusses des Vertrags überden Bezug des Rohstoffs. Mit Abschlussdes Vertrags verpflichtet sich der Betriebzur Abnahme des Rohstoffs und zur Zah-lung des Kaufpreises. Man kann sagen,dass in diesem Zeitpunkt, d.h. bei Einge-hen eines sog. schwebenden Geschäfts, la-tente oder potentielle Kosten entstehen(Weber 1996, S. 103). Diese latenten Kos-ten werden normalerweise im Zeitpunkt desVerbrauchs des Rohstoffs zu realisiertenoder effektiven Kosten.

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Genau genommen sind folgende möglicheEntwicklungen der bei Eingehen einesschwebenden Geschäfts entstehenden la-tenten Rohstoffkosten denkbar:a) Verwandlung in realisierte Kosten bei

bestimmungsgemäßem Einsatz desRohstoffs in der Produktion;

b) Rückgängigmachung, wenn abzusehenist, dass der bestellte Rohstoff nichtmehr benötigt wird, aber die Bestellungstorniert werden kann;

c) Kompensation durch Erlöse, wenn dervorrätige Rohstoff nicht mehr benötigtwird, aber wieder verkauft werden kann;

d) Verwandlung in realisierte Kosten,wenn der Rohstoff wie Abfall behandeltund außerplanmäßig abgeschriebenwerden muss.

Auch wenn Kosten durch Zahlungsver-pflichtungen begründet werden, ginge esunseres Erachtens zu weit, die Kosten denAusgaben gleichzusetzen, wie Riebel(1994, S. 765) empfiehlt. Er vertritt damitden Gegenpol zur herrschenden Auffas-sung, wonach Kosten erst durch den Ver-brauch von Gütern entstehen. Weder die ei-ne noch die andere Auffassung ist voll zu-treffend. Der sachlich bestehende Unter-schied zwischen dem Eingehen von Zah-lungsverpflichtungen und dem Verbrauchvon Gütern sollte nicht verwischt, sonderndurch differenzierte Bezeichnungen zumAusdruck gebracht werden.

Die vorgeschlagene Unterscheidung zwi-schen latenten und realisierten Kosten führtzu einer besseren Einsicht in das Wesen derKosten. Sie ist zudem hilfreich, wenn für be-stimmte anhand der Kostenrechnung zu tref-fende Entscheidungen die entscheidungs-variablen und die entscheidungsfixen Kos-ten voneinander abzugrenzen sind, wie imFolgenden gezeigt werden soll.

Auftragsabhängigeund auftragsunabhängige Kosten

Angenommen sei, dass ein Industriebetriebeine Anfrage erhält, ob er einen Auftrag zurHerstellung eines bestimmten Produkts zuübernehmen bereit ist. Er wird für diesenZweck eine Vorkalkulation vornehmen und

zunächst die Kosten aller Produktionsfak-toren ansetzen, die zur Ausführung desAuftrags eingesetzt werden, also mitvollen Kosten kalkulieren.

Sollte sich dabei ein Preis ergeben, dernicht durchsetzbar ist, wird er überlegen,mit Teilkosten zu kalkulieren und sich aufden Ansatz derjenigen Kosten zu be-schränken, die nur bei Annahme des Auf-trags entstehen, die von der Annahme desAuftrags abhängig sind. Welche der übli-chen Kostengüterarten sind nun auftrags-abhängig, welche auftragsunabhängig?

Rohstoffkosten als auftragsabhängige undauftragsunabhängige Kosten?

Die Kosten für die zur Herstellung des Pro-dukts benötigten Rohstoffe werden als Ma-terialeinzelkosten behandelt und Einzel-kosten gelten als variabel. Dabei sind mitvariablen Kosten im Allgemeinen be-schäftigungsabhängige Kosten gemeint.Auf die Beschäftigungsabhängigkeit derKosten kommt es hier jedoch nicht an;maßgebend ist allein die Auftragsabhän-gigkeit (Weber 1991, S. 96). Es ist also zufragen, ob die Rohstoffkosten auftragsva-riabel sind.

Sind die für die Ausführung des Auf-trags benötigten Rohstoffe zum Zeitpunktder Entscheidung über Auftragsannahmeoder Auftragsablehnung weder vorrätignoch bestellt, sind die künftig entstehendenRohstoffkosten dem Auftrag anzulasten,als auftragsvariabel in der Vorkalkulationanzusetzen.

Sind die Rohstoffe bereits bestellt, lie-gen latente Kosten vor. Könnte die Bestel-lung storniert werden, ließen sich die la-tenten Kosten rückgängig machen. Wirdauf die mögliche Stornierung wegen des in-frage stehenden Auftrags verzichtet, sinddie Rohstoffkosten dem Auftrag anzulas-ten, also auftragsabhängig. Aus den laten-ten Kosten werden später durch bestim-mungsgemäßen Verbrauch effektive Ko-sten. Ist eine Stornierung nicht möglich, giltdas Gleiche wie im Fall vorrätiger Roh-stoffe.

Sind die Rohstoffe vorrätig, liegen la-tente Kosten vor. Könnten diese auf Lagerliegenden Rohstoffe wieder verkauft wer-

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den, ließen sich die latenten Kosten durchErlöse kompensieren. Wird auf den mög-lichen Wiederverkauf wegen des infragestehenden Auftrags verzichtet, sind dieRohstoffkosten dem Auftrag anzulasten,also auftragsabhängig. Aus den latentenKosten werden später durch bestim-mungsgemäßen Verbrauch effektiveKosten.

Ist ein Wiederverkauf der vorrätigenRohstoffe nicht möglich, werden aus denlatenten Rohstoffkosten unweigerlich ef-fektive Kosten; fraglich ist nur auf welcheWeise: entweder durch Verbrauch der Roh-stoffe oder durch außerplanmäßige Ab-schreibung. Dabei kommt es auf die Halt-barkeit der Rohstoffe und die Auftragsla-ge bzw. die Auftragserwartungen an. Kön-nen die Rohstoffe innerhalb ihrer Haltbar-keit nicht nur für den betrachteten Auftrag,sondern auch für andere Aufträge einge-setzt werden, sind bei Einsatz der Rohstoffefür den betrachteten Auftrag die Rohstoff-kosten als auftragsvariabel anzusetzen.Aus den latenten Kosten werden durch be-stimmungsgemäßen Verbrauch effektiveKosten.

Können die Rohstoffe innerhalb ihrerHaltbarkeit nicht für andere Aufträge ein-gesetzt werden, müssten sie, wenn sie nichtfür den betrachteten Auftrag eingesetztwerden, wie Abfall behandelt werden. Ausden latenten Kosten würden durch außer-planmäßige Abschreibung effektive Kostenwerden. Unter diesen Umständen sind beiEinsatz der Rohstoffe für den betrachtetenAuftrag die Rohstoffkosten als auftrags-fix zu behandeln. Aus den latenten Kostenwerden effektive Kosten durch Verbrauchbei sonst drohender außerplanmäßiger Ab-schreibung.

Genau genommen muss man sogar dieKosten in die Betrachtung einbeziehen,die bei Behandlung der Rohstoffe als Ab-fall entstehen würden. Sie entfallen beider Annahme des betrachteten Auftragsund sind daher entweder als ersparte Kos-ten von den vorauskalkulierten Kosten ab-zuziehen oder als Opportunitätserlösedem erzielbaren Preis hinzuzuzählen.

Die Rohstoffkosten sind also einmal alsauftragsvariabel, ein andermal als auf-tragsfix zu behandeln, je nach vorliegen-den Umständen.

Auch die Abschreibungen sind also einmalals auftragsvariabel, ein andermal als auf-tragsfix einzustufen, je nach Art der gege-benen Umstände.

Fertigungslöhne als auftragsabhängige oderauftragsunabhängige Kosten?

Die zur Bedienung der Fertigungsmaschi-nen einzusetzenden Arbeitskräfte werdenals Fertigungsarbeiter bezeichnet, die Löh-ne, die sie erhalten, als Fertigungslöhne.Bei diesen Löhnen kann es sich um Ak-kordlöhne, Zeitlöhne oder Prämienlöhnehandeln.

Die Fertigungsakkordlöhne gelten alsFertigungseinzelkosten schlechthin und alsbeschäftigungsabhängig. Die Fertigungs-zeitlöhne werden dagegen nicht immer sowie die Fertigungsakkordlöhne in der Kos-tenrechnung behandelt. Unseres Erachtensunterscheiden sich die Fertigungsakkord-löhne und die Fertigungszeitlöhne jedochnur durch die Art der Entlohnung, nichtdurch ihren Kostencharakter, wie kurz be-gründet sei. Auf die Fertigungsprämien-löhne wird nicht eingegangen.

Bei Akkordentlohnung erhalten Ferti-gungsarbeiter einen Lohn pro Mengenein-heit, der mit der Zahl der von ihnen in ei-ner Periode, im Allgemeinen in einer Wo-che, hergestellten Mengeneinheiten einesfertigen oder unfertigen Erzeugnisses zumultiplizieren ist. Der Akkordlohn ist al-so ein Stücklohn, allerdings nur bei vor-dergründiger Betrachtung. Denn dieserLohn pro Stück wird abgeleitet von einemLohn, den eine Arbeitskraft der gleichenLohngruppe pro Zeiteinheit erhält (Weber1999, S. 513 f.). Zusätzlich wird, anders alsbeim reinen Zeitlohn, die Arbeitsleistungin der Zeiteinheit, d.h. die Arbeitsge-schwindigkeit, berücksichtigt. Der Ak-kordlohn ist also kein ursprünglicherStücklohn. Daher sind auch die Ferti-gungsakkordlöhne nicht von vornhereinFertigungseinzelkosten. Sie erscheinen nurals solche, nachdem vergleichbare Zeit-löhne entsprechend umgewandelt wurden.

Man könnte in dieser Charakterisierungdes Akkordlohns als eine Art Stücklohn ei-nen Widerspruch sehen zur Unterschei-

Abschreibungen von Fertigungsmaschinen alsauftragsabhängige oderauftragsunabhängige Kosten?

Die Kosten der zur Bearbeitung der Roh-stoffe einzusetzenden Maschinen, d.h. dieAbschreibungen, werden unter die Ferti-gungsgemeinkosten subsumiert und geltenals von der Beschäftigung unabhängigeKosten, als beschäftigungsfixe Kosten.Handelt es sich bei diesen Abschreibungenauch um auftragsfixe Kosten?

Sind die für die Ausführung des Auf-trags benötigten Maschinen noch nicht vor-handen und auch noch nicht bestellt, sinddie künftig vorzunehmenden Abschrei-bungen dem Auftrag anzulasten, als auf-tragsvariable Kosten in der Vorkalkulati-on anzusetzen.

Sind die Maschinen bereits bestellt, lie-gen latente Kosten vor. Ist es möglich, dieBestellung zu stornieren, ließen sich die la-tenten Kosten rückgängig machen. Bei Ver-zicht auf die mögliche Stornierung, sind dieAbschreibungen dem Auftrag anzulasten,also auftragsabhängig. Ist eine Stornierungnicht möglich, gilt das Gleiche wie im Fallschon vorhandener Maschinen.

Sind die Maschinen vorhanden, liegenauf jeden Fall latente, u.U. auch schon ef-fektive Kosten vor. Könnten die Maschi-nen wieder verkauft werden, ließen sich dieKosten aufheben. Bei Verzicht auf denmöglichen Wiederverkauf wegen des in-frage stehenden Auftrags, sind die Ab-schreibungen dem Auftrag anzulasten, al-so auftragsabhängig.

Ist ein Wiederverkauf nicht möglich,werden aus den latenten Kosten zwangs-läufig effektive Kosten. Fraglich ist nur, obdiese effektiven Kosten dem Auftrag an-zulasten sind oder nicht. Können die Ma-schinen innerhalb ihrer wirtschaftlichenNutzungsdauer auch durch andere Aufträ-ge voll ausgelastet werden, sind bei Einsatzder Maschinen für den betrachteten Auf-trag die Abschreibungen diesem Auftraganzulasten, als auftragsvariabel anzuset-zen. Können die Maschinen durch andereAufträge nicht voll ausgelastet werden,sind bei Einsatz der Maschinen für den be-trachteten Auftrag die Abschreibungen die-sem Auftrag nicht anzulasten, als auf-tragsfix zu behandeln.

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dung zwischen dem sog. Stückakkord unddem sog. Zeitakkord. Die genannten Be-zeichnungen sind jedoch irreführend. Dennwenn schon der Akkordlohn schlechthinein Stücklohn ist, wenngleich nur ein voneinem Zeitlohn abgeleiteter Stücklohn,dann handelt es sich bei der Bezeichnungdes Stückakkords um einen Pleonasmus.Diejenige des Zeitakkords stellt einen Wi-derspruch in sich selbst dar.Mit dem Stückakkord ist gemeint, dass einAkkordrichtsatz pro Mengeneinheit fest-gelegt wird, mit dem dann die pro Stunde,pro Tag oder pro Woche produzierte Zahlvon Mengeneinheiten zu multiplizieren ist.Mit dem Zeitakkord ist gemeint, dass einAkkordrichtsatz pro Zeiteinheit festgelegtwird, mit dem dann zu multiplizieren sind:die Sollzeit pro Mengeneinheit und die proStunde, pro Tag oder pro Woche produ-zierte Zahl von Mengeneinheiten. Man er-hält jeweils den gleichen Akkordlohn. Eshandelt sich also nur um zwei verschiede-ne Wege, die zum selben Ziel führen.

Bei der Zeitentlohnung erhalten Ferti-gungsarbeiter einen Lohn pro Zeiteinheit,im Allgemeinen pro Stunde, der mit derZahl der von ihnen in einer Periode geleis-teten Arbeitszeiteinheiten, d.h. im Allge-meinen mit der Zahl der von ihnen geleis-teten Arbeitsstunden, zu multiplizieren ist.Dieser Lohn pro Zeiteinheit lässt sich,durch Ermittlung der von den Fertigungs-arbeitern in der betrachteten Periode her-gestellten Zahl von Mengeneinheiten einesfertigen oder unfertigen Erzeugnisses, um-rechnen in einen Lohn pro Mengeneinheit.Damit kommt man zu Einzelkosten, diezwar keine Einzelkosten im strengen Sin-ne sind, da diese Kosten nicht Mengenein-heit für Mengeneinheit anfallen, die aberhinreichend genau sind. Man kann sie alsEinzelkosten im weiten Sinne oder alsdurchschnittliche Einzelkosten bezeich-nen. Andere Einzelkosten als solchedurchschnittlichen Einzelkosten sind je-doch ohnehin kaum ermittelbar (Weber1996, S. 29).

Erhalten also Fertigungsarbeiter einenZeitlohn, ist für kostenrechnerischeZwecke, d.h. für die Verrechnung der Kos-ten auf die Mengeneinheiten der Erzeug-nisse, eine Umrechnung des Lohns proZeiteinheit in einen Lohn pro Mengenein-heit vorzunehmen, während bei Akkord-entlohnung der Fertigungsarbeiter eine sol-che Umrechnung schon für Zwecke derEntlohnung vorgenommen werden musste.

Demnach sind die Fertigungszeitlöhneebenso gut oder ebenso wenig wie die Fer-tigungsakkordlöhne Fertigungseinzelkos-ten und beschäftigungsabhängige Kosten.Handelt es sich nun bei den Fertigungs-akkordlöhnen und den Fertigungszeitlöh-nen nicht nur um beschäftigungsabhängi-ge, sondern auch um auftragsabhängigeKosten?

Sind die Arbeitskräfte, die die Ferti-gungsmaschinen bedienen sollen, zumZeitpunkt der Entscheidung über Annah-me oder Ablehnung des betrachteten Auf-trags noch nicht eingestellt, sind die künf-tig zu bezahlenden Löhne dem Auftrag an-zulasten, als auftragsvariable Kosten an-zusetzen.

Sind die Arbeitskräfte zur Bedienungder Fertigungsmaschinen schon eingestellt,könnten sie aber noch vor Übernahme desbetrachteten Auftrags wieder entlassenwerden, liegen für den Zeitraum der Aus-führung des Auftrags latente Kosten vor,die sich durch die Entlassung rückgängigmachen ließen. Bei Verzicht auf die mög-liche Entlassung im Hinblick auf den in-frage stehenden Auftrag werden aus den la-tenten Kosten effektive Kosten. Die Ferti-gungslöhne sind also dem Auftrag anzu-lasten, als auftragsabhängige Kosten an-zusetzen.

Ist eine Entlassung nicht möglich, wer-den aus den latenten Kosten zwangsläufigeffektive Kosten. Fraglich ist nur, ob die-se Kosten dem Auftrag anzulasten sindoder nicht. Können die Fertigungsarbeiterin der Zeit der Ausführung des betrachte-ten Auftrags auch für andere Aufträge ein-gesetzt und voll ausgelastet werden, sinddie Fertigungslöhne dem betrachteten Auf-trag anzulasten, als auftragsvariabel anzu-setzen. Können die Fertigungsarbeiter we-der für andere Aufträge noch für andere zuerledigende Arbeiten eingesetzt werden,sind die Fertigungslöhne dem betrachtetenAuftrag nicht anzulasten, als auftragsfix zubehandeln.

Man könnte wiederum einen Unter-schied zwischen Fertigungsakkordlöhnenund Fertigungszeitlöhnen, nunmehr imHinblick auf ihre Auftragsabhängigkeit, zukonstruieren versuchen und argumentieren:Fertigungsakkordlöhne fallen anders alsFertigungszeitlöhne doch nur an, wenn pro-duziert, also der Auftrag angenommenwird. Fertigungsakkordlöhne können alsogar nicht auftragsunabhängig sein. Dies istrichtig, aber nur bei vordergründiger Be-

trachtung. Denn Fertigungsarbeiter, diegrundsätzlich im Akkord bezahlt werden,müssen auch dann, wenn keine Arbeit an-liegt, bezahlt werden. Sie erhalten in die-sem Fall entweder einen aus den in der Ver-gangenheit bezahlten Akkordlöhnen er-rechneten Durchschnittslohn oder den Zeit-lohn, der dem Akkordlohn zugrunde liegt.Demnach sind die Fertigungsakkordlöhneebenso wie die Fertigungszeitlöhne unterden zuletzt skizzierten Umständen auf-tragsunabhängig.

Ergebnis

Entsprechendes, was hier für Rohstoffkos-ten, für Abschreibungen von Fertigungs-maschinen und für Fertigungslöhne ausge-führt wurde, gilt für alle Kostengüterarten.Keine Kostengüterart kann von vornhereinals variabel eingestuft werden, keine vonvornherein als fix. Ob eine Kostengüter-art variabel oder fix ist, hängt von der je-weils zu treffenden Entscheidung ab sowievon den Umständen, unter denen diese Ent-scheidung zu treffen ist.

Diese Umstände mögen so geartet sein,dass man bei den Rohstoffkosten häufigerals bei den Abschreibungen zum Ergebniskommt, sie seien variabel, und dass manumgekehrt bei den Abschreibungen häu-figer als bei den Rohstoffkosten zum Er-gebnis kommt, sie seien fix. Aber deswe-gen kann keine generelle Gleichsetzungvon Rohstoffkosten mit variablen Kostenund von Abschreibungen mit fixen Kostenvorgenommen werden.

Die skizzierten Umstände unter Berück-sichtigung von latenten und realisiertenKosten für alle Kostengüterarten bei einerEntscheidung zu erforschen, bereitet, wiedeutlich wurde, viel Mühe. Aber dieseMühe muss man in Kauf nehmen, will manein richtiges Ergebnis erhalten, d.h. die vonder jeweiligen Entscheidung abhängigenKosten. Liegen sie unter dem erzielbarenPreis, würde sich hier bei Annahme des in-frage stehenden Auftrags noch ein positi-ver Beitrag zur Deckung der ohnehin an-fallenden, der auftragsunabhängigen Kos-ten ergeben. Der Auftrag wäre anzuneh-men. Allerdings müssen auch die Auswir-kungen der Annahme eines Auftrags zu ei-nem Preis, der nur einen Teil der Kosten

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deckt, auf künftige Aufträge vom gleichenAuftraggeber und auf Aufträge von ande-ren Auftraggebern bedacht werden.

Literaturhinweise

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