E n t d E c k E n
Eine Reisewie ein Roman
Seit Jahren feiert Michael Poliza in seinen Fotos die Schönheit Afrikas. Nun gestaltet er Expeditionen
nach Südafrika, Kenia, Botswana und Namibia – Reisen an Orte, die kaum ein Mensch betreten hat.
Interv iew sven michaelsen fotos michael pol iz a
81
garten eden Zehntausende Flamingos
bilden eine rosa Wolke um eine heiße Quelle
im Lake Bogoria in Kenia.
m o b i l
82
LöwenLand Im Wildreservat Masai Mara leben viele Raubkatzen, auch sehr entspannte wie dieses gähnende Exemplar.
85
Stolz und frei Die Massai sind Ostafrikas berühmtes Nomadenvolk. Sie und der Mara-Fluss geben der Masai Mara ihren Namen.
m o b i l
86
er mit Michael Poliza in den Hub-
schrauber steigt, sollte wissen, dass
die Seitentüren während des Fluges
offen bleiben – für das Cabrio-Gefühl,
wie er sagt. An diesem Morgen
geht es im Tiefflug über den 390 Kilo-
meter langen Turkana-See im Norden Kenias, der zum UNESCO-
Weltnaturerbe zählt. Zehntausende Flamingos bilden auf dem
jadegrün leuchtenden See eine hin und her wogende rosa Wolke,
am Horizont türmen sich aktive Vulkane. „Für mich sind solche
Garten-Eden-Momente großes Seelenkino“, sagt Poliza und bringt
seine Kamera in Anschlag. „Es liegt eine besondere Magie darin,
an Orten zu sein, die kaum ein Mensch jemals betreten hat.“
Bislang war der 54-jährige Hamburger für seine Wildlife-Fotos
bekannt, jetzt organisiert er Reisen dorthin, wo seine Bilder ent-
stehen. Den Beruf zu wechseln ist für Poliza keine ungewohnte
Erfahrung. Er war Kinderstar im Fernsehen, millionenschwerer
IT-Unternehmer, Weltumsegler, Mitbegründer der Kinokette
CinemaxX und Manager eines sündhaft teuren Hotels auf der
Seychellen-Insel North Island. „Bevor die meisten Menschen eine
Tür hinter sich zumachen, muss schon eine andere offen sein“,
sagt er. „Ich bin einer, der die Tür zumacht und dann schaut,
welche neuen Türen aufgehen.“
Herr Poliza, wie wurden Sie mit zehn Jahren Schauspieler?
Meine Eltern führten in Hamburg ein Lokal, das in der
Nähe eines großen Fernsehstudios lag. Zu den Gästen
gehörten viele Produzenten und Regisseure. Einer dieser
Herren hatte ein Auge auf meine Schwester geworfen und
meinte, der Weg zu ihrem Herzen führe über den kleinen
Bruder. Deshalb bot er mir eine Rolle als Komparse an. In
den nächsten Jahren spielte ich in fast 80 Filmen mit. Als
ich mit 17 Jahren den jungen Walter Kempowski in dem
Fernsehzweiteiler „Tadellöser & Wolff“ spielte, dachte ich,
dies sei ein schöner Moment, mit der Filmerei aufzuhören.
Was war Ihr Plan?
Ich ging in die USA, machte meinen Highschool-Abschluss
und studierte Informatik. Anschließend gründete ich in
Hamburg ein IT-Unternehmen.
Ein Foto von damals zeigt Sie mit einem bebrillten Nerd, der
heute zu den reichsten Menschen der Welt zählt: Bill Gates.
Dieses Bild könnte man sich heute auf den Kamin stellen,
aber offen gestanden war die Computerbranche in den
Achtzigerjahren vollkommen unglamourös. Der Name Bill
WGates sagte nur wenigen Insidern etwas. Er flog damals
mit einem Economy-Ticket nach Deutschland, um für
Microsoft Kontakte zu knüpfen. So lernten wir uns kennen.
1996 verkauften Sie Ihre Firma, erwarben ein Schiff
und reisten mit einer achtköpfigen Crew in 1.000 Tagen
einmal um die Welt.
Ich hatte gemeinsam mit dem Magazin „Stern“ bei Spon-
soren das nötige Geld eingesammelt, um die versteckten
Paradiese der Erde zu erkunden. Das Ziel der „Starship
Millennium Voyage“ war es, den Menschen klarzumachen,
wie bedroht diese sensiblen Ökosysteme sind. Wir
lieferten jeden Tag Berichte für die Website des „Stern“.
Das war einer der ersten Blogs, auch wenn den Ausdruck
damals noch keiner kannte. Heute habe ich 45.000 Fans
auf Facebook.
Wie wurden Sie Wildlife-Fotograf?
Am Ende der dreijährigen Reise verkaufte ich die Starship
an den Hollywood-Schauspieler Gene Hackman und zog
nach Kapstadt. Von dort aus erkundete ich Afrika und
entdeckte meine Leidenschaft für die Fotografie. Colin
Bell, der Gründer von Wilderness Safaris, bot mir an, seine
50 Lodges und Camps zu fotografieren. Kurze Zeit später
legte ich dem deutschen Verleger Hendrik teNeues einen
dicken Stapel Bilder vor. So entstand der erste von bislang
sechs Bildbänden über Afrika.
Was ließ Sie Reiseunternehmer werden?
Meine Bilder weckten in Menschen den Wunsch, mit
eigenen Augen zu sehen, was ich fotografiere. Ein Freund
von mir fragte, ob ich für ihn und seine Söhne eine Reise
durch mein Afrika organisieren könnte. Dieser Trip sprach
sich herum, und auf einmal wollten immer mehr Men-
schen auf eine Expedition mitkommen.
Sie nennen sich „Experience Designer“. Warum dieses
gezwirbelte Fremdwort?
Viele Menschen möchten im Urlaub Sonne, Strand,
Meer – und ein Buch lesen. Meine Berufsbezeichnung soll
darauf hinweisen, dass ich für diese durchaus legitimen
Bedürfnisse der Falsche bin. Ich organisiere Reisen
für Menschen, die Erfahrungen suchen, die die Seele
berühren, und die unter Luxus etwas anderes verstehen
als Kaviar-Gelage und Jetskifahren auf St. Barth. Diese
Leute suchen eine Reise mit Erlebnissen, die
87
eine wesentlich nachhaltigere Erfahrung darstellen. Das
grandiose Panorama der afrikanischen Savanne mit einer
allein stehenden Schirmakazie und vorbeiziehenden
Elefanten speichert unser Gedächtnis wesentlich länger
als den Anblick eines Infinity-Pools unter karibischen
Palmen. Leider übersteigt die Nachfrage nach unberührter
Natur inzwischen das Angebot. Der Tourist zerstört, was er
sucht, indem er es findet. Er will Ziele, die es logisch nur
schwer geben kann: zugleich zugänglich und unzugänglich,
zivilisationsfern und komfortabel. Da komme ich ins Spiel.
Ihre Gäste reisen auch mit Helikoptern. Warum?
Nehmen Sie Kenia: 90 Prozent der Touristen sehen die
immer gleichen zehn Prozent des Landes – mit dem
Ergebnis, dass diese Gegenden inzwischen hoffnungslos
überlaufen sind. Der gewöhnliche Safari-Tourismus ist ein
ziemlich ernüchterndes Erlebnis geworden. Hat ein Guide
einen Löwen entdeckt, informiert er über Sprechfunk die
Kollegen, die für dasselbe Unternehmen arbeiten. Dann
stehen 30 Jeeps um einen einzelnen Löwen herum, und
es herrscht eine Atmosphäre wie in einem Streichelzoo.
Dagegen sind magische Landschaften im Norden Kenias
wie der Lake Turkana per Jeep kaum zu erreichen und
entsprechend menschenleer. Das sind Landschaften, die
nicht von dieser Welt zu sein scheinen. Da wir uns auf
solche Ziele konzentrieren, sind Helikopter das perfekte
Fortbewegungsmittel. Sie bieten zudem ein Höchstmaß an
individueller Gestaltungsfreiheit. Der Norden Kenias wäre
auf dem Landweg nur erreichbar, wenn wir Straßen bauten
und für eine Reise viele Wochen Zeit hätten.
Sie sind WWF-Botschafter. Ist ein Helikopter nicht ein
ökologisch höchst bedenkliches Fortbewegungsmittel?
Natürlich wäre es für den Umweltschutz am besten,
wenn wir alle zu Hause bleiben würden, aber Helikopter
haben zu Unrecht ein miserables ökologisches Image.
Für sie müssen keine Straßen gebaut werden, und die
Fußspuren, die die Passagiere vor Ort hinterlassen,
wischt der Rotorwind beim Abflug wieder weg. Wir ver-
lassen den Ort exakt so, wie wir ihn vorgefunden
haben, und selbstverständlich kompensieren wir den
CO2-Ausstoß aller Flüge über Myclimate.
Was unterscheidet Sie von anderen Luxusreiseveranstaltern?
Statt Unterkünfte und Erlebnisse willkürlich aneinanderzu-
reihen, baue ich einen Spannungsbogen auf – wie ein
Choreograf. Eine gelungene Reise funktioniert wie ein
guter Roman: Sie hat eine Seele, folgt einer Dramaturgie
und bietet unvorhersehbare Wendungen. Wir verraten zum
Beispiel nur einen Teil des Programms, weil wir den Gast
überraschen wollen. Es kann also sein, dass Sie nichts
ahnend vor Sonnenaufgang auf eine Lichtung geführt wer-
den, wo ein Heißluftballon auf Sie wartet. Ein paar Stunden
später landet der Ballon mitten in der menschenleeren
Savanne – und dort haben wir für Sie einen Frühstückstisch
inmitten unberührter Natur gedeckt. Solche Wow-Erleb-
nisse sind die DNA meiner Reisen.
Was haben Sie über Ihre Kunden gelernt?
Es ist wichtig, den Gast aus seiner Komfortzone herauszu-
holen, aber nicht zu weit und nicht zu lange. Konkret
gesagt: Mal campiert unser Gast unter einfachsten
Bedingungen auf 2.000 Meter Höhe am Rand eines aktiven
Vulkans mit Blick auf rot glühende, blubbernde Lava, dann
wieder nächtigt er in einer luxuriösen Lodge mit Spa. Ganz
entscheidend ist die Einsicht, dass niemand seine kostbare
Urlaubszeit mit Schlangestehen und lästigen Formalitäten
vergeuden möchte. Ein weiteres Tabu ist es, dem Gast am
Ende der Reise eine Rechnung über Extras vorzulegen.
Bislang kosteten Ihre Trips bis zu 50.000 Euro pro Person.
Seit Juli dieses Jahres bieten Sie zusammen mit dem Reise-
konzern TUI auch erschwingliche Reisen an.
„da die Tiere Tagsüber dösen, müssen Sie zwischen fünf und sechs Uhr raus.“
m o b i l
88
Gefährlich schönManchmal sind in Kenias Amboseli-Nationalpark auch bedrohliche Naturphänomene wie Windhosen zu beobachten.
89
Impressionen aus Kenia: Elefanten-herde in den Weiten der Masai Mara (o. l.), Flamingos am Westufer des Turkana-Sees (o. r). Der Mara-Fluss (u. r.) ist wegen der Krokodile (u. l.) gefährlich.
91
Lod
ge
-Fo
tos
: P
R
ILL
Us
tRA
tIo
N:
AN
NA
LIN
deR
Von Michael Poliza gestaltete Reisen nach Kenia führen zu vielfältiger Tierwelt und einzigartigen Landschaften. Trotz der Abgeschiedenheit mancher Orte müssen Sie auf Luxus nicht verzichten, zum Beispiel in diesen vier Lodges. Mehr Informationen unter:w w w . m p - e x p e r i e n c e s . d e
1. CAMPI YA KANZIDas mit italienischem Charme geführte „Campi Ya Kanzi“ nahe dem Chyulu Hills National Park ist im Stil des 19. Jahrhunderts gehalten. Das Lager mitten in der Wildnis bietet aber jeden erdenklichen Komfort der Moderne. w w w . m a a s a i . c o m
2. GOVERNORS’ PRIVATE CAMPDie großzügigen Zelte des „Governors’ Private Camp“ in der Masai Mara erinnern an die große Zeit der Safaris und den Film „Jenseits von Afrika“: inklusive Gaslampen und Außendusche.w w w . g o v e r n o r s c a m p. c o m
3. SAMATIAN ISLAND LODGESchlafen auf einer Insel. Mitten auf dem idyllischen Lake Baringo. In Zimmern ohne Fenster. Und Entspannen in einem großen Außenpool direkt am Rand des Sees.w w w.sa m at i a n i sl a n dl od ge.com
4. DESERT ROSE LODGEÜber faszinierende Land-schaften geht es mit dem Hub-schrauber hinauf zu Emma Hedges. Die Britin betreibt auf 1.700 Meter Höhe, am Fuß des Nyiru-Berges, die „Desert Rose Lodge“. Es ist die einzige Unterkunft weit und breit, sie hat zwar keine fünf Sterne, ist aber sehr liebevoll geführt und besonders eingerichtet. w w w . d e s e r t r o s e k e n y a . c o m
K e n i a U lt i m at i v
Sehnsuchtsorte
derzeit bieten wir Reisen nach südafrika, Namibia,
Kenia und Botswana an. eine elftägige Reise nach
südafrika beginnt bei rund 12.000 euro pro Person im
doppel zimmer. Kenia kostet pro Person im doppel-
zimmer ab 19.950 euro. Zu allen Reisen kommen noch
die Langstrecken flüge hinzu. tansania ist ab ende
des Jahres im Programm und bald zählen auch Kanada
und die Antarktis zu unseren Zielen. Ich gestalte diese
Reisen von der Route bis zur Auswahl der Lodges oder
Camps. Zusätzlich wird es 2013 drei Reisen geben,
die ich begleite. die termine werden auf unserer Home-
page bekanntgegeben.
Frage an den Insider: Welche drei Gegenden im südlichen
Afrika sollte man gesehen haben?
das Kaoko-gebiet im Nordwesten von Namibia, das
okavango-delta im Norden von Botswana und die Kalahari
im Norden von südafrika.
Welches Land empfehlen Sie Tierliebhabern?
das Nonplusultra ist Botswana. In diesem Land sind die
meisten Fotos meines ersten Bildbandes „Africa“ entstan-
den. Allerdings sollte man kein Langschläfer sein. da die
meisten tiere tagsüber dösen, müssen sie zwischen fünf
und sechs Uhr morgens aufstehen.
Frühstück im „Giraffe Manor“
nahe Nairobi: Michael Poliza
1
2
3
4
92
M o B I L
Lod
ge
-Fo
tos
: P
R
ILL
Us
tRA
tIo
N:
AN
NA
LIN
deR
S A FA R I - F I e b e RIn Afrika lassen sich Elefanten, Giraffen und Löwen von Nahem erleben. Man muss sich nur entscheiden, in welchem Land man sie entdecken will.
Als einstieg für Afrikareisende eignet sich S ü dA F R I k A bestens. das Wildreservat
timbavati grenzt an den berühmten Krüger-Nationalpark. es ist die einzige Heimat der
weißen Löwen – und mittendrin liegt das kleine, aber unglaublich feine M o t S wA R I
P R I vAt G A M e R e S e R v e . Allen erdenklichen Luxus für 30 gäste bietet auch
das t S wA l u k A l A h A R I – mit 1.000 Quadratkilometern ist es zudem das
größte private Wildreservat südafrikas. In tA n S A n I A lassen sich Löwen, Leopar-
den, Büffel, elefanten und Nashörner, also die „Big Five“, ausgezeichnet im berühmten
Ngorongoro-Krater von der gleichnamigen Lodge aus beobachten. Im Norden von
b o t S wA n A liegt eines der größten Feuchtgebiete Afrikas: das o k AvA n G o -
d e ltA in der Kalahari-Wüste ist ein äußerst vielversprechender ort, um auch
die scheuen Leoparden vor die Kamera zu bekommen. das C A M P o k AvA n G o
auf der Nxaragha-Insel im delta bietet entdeckungsfahrten mit dem k A n u an.
Wer hingegen ins Kaokoland in n A M I b I A fährt, sollte genügend Benzin mitnehmen:
Besucher teilen sich die von gebirgen und dünen durchzogenen riesigen Wüstenfelder
nur mit Wildtieren. Und im e t o S h A n At I o n A l PA R k kann man die selte-
nen spitzmaulnashörner sogar ohne Jeep aufspüren.
KALAHARI WÜSTE
ETOSHA NATIONAL PARKWINDHOEK
KAP
STAD
T
ORANJE
Namibia PRETORIA
Sudafrika
kenia
TURKANA SEE
Botswana
TIMBAVATI RESERVAT IM KRUGER PARK
OKAVANGO DELTA
Spitzmaulnashörner
Breitmaulnashörner im Nakuru-Nationalpark,
Kenia: Sie sind Nachfahren der aus Südafrika
importierten Tiere.
93