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"Max Ernst - Leben und Zeit" Serie vonDr. Jürgen Pech

"Des kleinen Max erster Kontakt mit der Malereiereignete sich im Jahre 1894, als er seinen Vaterbeobachtete, während dieser ein Aquarell, genannt"Einsamkeit", malte. Dargestellt war ein Mönch, in einemBuchenwald sitzend und ein Buch lesend. Es war eineerschre-ckend stille Atmosphäre in dieser "Einsamkeit",und in der Manier, in der sie ausgeführt war. Jedes dertausend Buchenblätter war ängstlich und minutiösgemalt, jedes von ihnen hatte sein eigenes individuellesLeben. Der Mönch war so unheimlich gefesselt von demInhalt seines Buches, daß er außerhalb der Welt zu lebenschien. Selbst der Klang des Wortes "Mönch" ließ desKindes Gemüt mit magischer Kraft erschauern.(Dasselbe ereignete sich in dieser Zeit bei ihm, wenn erdie Worte "Struwelpeter" oder "Rumpelstilzchen" hörte).Max vergaß niemals das Entzücken und den Schauer,den er empfand, als sein Vater ihn einige Tage später mitin den Wald nahm. Man kann das Echo dieserEmpfindungen in manchen Wald- und Dschungel-Bildern wiederfinden. (1925-1942)." In den Erinnerungen von Max Ernst, die 1942 erstmals in

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einer amerikanischen Fassung unter dem Titel "Some dataon the youth of M.E. As told by himself" veröffentlichtwurden, ist die erste und scheinbar für seine spätereEntwicklung ausschlaggebende Begegnung mit der Kunstan ein Waldbild des Vaters geknüpft. Das kleinformatigeAquarell, dessen geheimnisvolle Faszination der Künstlerin seinem Text einfühlsam und atmosphärisch dichtbeschreibt, wird gegenwärtig im Max Ernst Museumgezeigt. Der in seine Lektüre vertiefte Einsiedler ist -darauf weist der Text deutlich und unmissverständlich hin- in eine andere Welt eingetaucht. Der Eremit, der in seiner"Einsamkeit" zwei Welten angehört, veranschaulicht dieRückkehr zur Natur, zur Einfachheit, drückt gleichzeitigaber auch eine unergründliche Sehnsucht aus. DieUnendlichkeit der Natur, des Waldes, der Schöpfungumfängt ihn, der lesend - oder mit den Worten von MaxErnst "außerhalb der Welt" - zum Inbegriff desromantischen Lebensgefühls wird. Genaue Kopie des Orginals Die Kunsthistorikerin Karin von Maur konnte voranderthalb Jahrzehnten darauf hinweisen, dass für dasBild des Vaters eine Kreidelithographie desLandschaftsmalers Eugen Krüger (1832-1876) als Vorlage

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diente. Die schwarz-weiße Graphik, die Philipp Ernst mitAquarell farbig illuminierte, hat dieselben Maße, ist imStein am unteren Rand links mit "E. Krüger" signiert undträgt den Titel "Waldeinsamkeit". Das von der rechten Seiteeinfallende Licht ist hier wesentlich intensiver eingesetztund taucht den Mönch in eine strahlende Helligkeit, dieseine Versunkenheit und sein Sein, seine Wirklichkeit inder Ewigkeit aufblitzen lässt. In der deutschen Fassung der "Biographischen Notizen",die Max Ernst zwanzig Jahre nach der amerikanischenVersion erheblich erweitert, aber auch variiert vorlegte,wird der Bezug zur Romantik deutlich zum Ausdruckgebracht: "Der Mönch von Heisterbach. Vater Philipp beider Arbeit, ein Aquarell. Ein Wald, friedlich und dochbeunruhigend, darinnen der Hermit. Alle Buchenblättermit fast besessener Beflissenheit gemalt, ein jedes in seinereigenen Alleinigkeit hartnäckig verschlossen; und docheiner Gemeinschaft unterworfen: der Buche, dem Wald.Der Mönch in sein Buch vertieft. So tief verbohrt, dass erselber kaum noch da ist. Nur das Buch, der Inhalt desBuches, ein Geheimnis, ein Nichts. Der kleine Max istbestürzt. Was ist ein Wald? Gemischte Gefühle, als er zumersten Mal den Wald betritt, Entzücken und Bedrückung.Und das, was die Romantiker "Naturgefühl" getauft haben.

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Die wunderbare Lust, frei zu atmen im offenen Raum,doch gleichzeitig die Beklemmung, ringsum vonfeindlichen Bäumen eingekerkert zu sein. Draußen unddrinnen zugleich, frei und gefangen. Wer soll das Rätsel lösen?Vater Philipp?Der Mönch von Heisterbach?Oder er selber, der kleine Max? Wie? Malen? Maler werden?" Dr. Jürgen Pech

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Da ich von robuster Konstitution war, habe ich ohne großen Schaden dieQualen des Unterrichts und die schrecklichen Absurditäten derwilhelminischen Erziehung über mich ergehen lassen, bis zumabschließenden Abitur. Schon auf der Schule waren mir Pflichten verhaßt.Allein der Ton des Wortes Pflicht” hat mir Schrecken und Abscheueingeflößt. Dagegen haben mich das Wertlose, die flüchtigen Vergnügen,das Schwindelgefühl, die kurz dauernde Wollust, revoltierende odergroßsprecherische Dichtung, Berichte von wirklichen oder eingebildetenReisen und all das, was unsere Moralprofessoren eitlen Wahn” und unsereTheologieprofessoren die drei Quellen des Bösen (Augenlust, Fleischeslustund Eitelkeit des Lebens)” nannten, unwiderstehlich angezogen. So habeich schon von der Wiege an meine Pflichten” vernachlässigt, um mich dendrei Quellen des Bösen hinzugeben. Unter ihnen herrschte die Lust zusehen vor: Sehen war meine erste und liebste Beschäftigung. Meine Augenhungerten nicht nur nach der erstaunlichen Welt, die sie von außenansprang, sondern auch nach dieser anderen geheimnisvollen undbeunruhigenden Welt, die in meinen Jünglingsträumen beharrlich undregelmäßig auftauchte und verschwand.“  Zum 65. Geburtstag von Max Ernst veröffentlicht die französischeKunstzeitschrift L’Œil” im April 1956 der Text Rheinische Erinnerungen”, in dem ermit diesen Ausführungen seine Schulzeit in Brühl umschreibt und sie gleichzeitigmit seiner Profession als Künstler verknüpft. Knapper, ausgewogener und in denAngaben zu den schulischen Einrichtungen präzise formuliert er sechs Jahrespäter in seinen biographischen Notizen: Ohne Schaden zu leiden an seinerSeele übersteht Max die Wonnen und Greuel der wilhelminischenErziehungsmethoden in der Seminar-Übungsschule zu Brühl und im StädtischenGymnasium; ebendort.“  Max Ernst erhielt die Note gut”  Am 11. März 1910 wird ihm das Abiturzeugnis ausgestellt, dessen erste Seitehier zu sehen ist, während die beiden folgenden Seiten der archivierten Abschriftals Leihgabe des Gymnasiums im Max Ernst Museum aufgeschlagen sind. Dasstädtische Gymnasium geht aus dem in der Comesstraße gelegenenProgymnasium hervor; 1902 wird der Neubau in der Friedrichstraße eingeweiht.Im Schuljahr 1909/10 besuchen 268 Schüler das Gymnasium, davon sind 107

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aus Brühl; das Schulgeld beträgt für sie 130 Mark. Der damalige Direktor ist Dr.Martin Mertens, der zusammen mit den Oberlehrern Prof. Josef Müller, Prof.Eugen Kösters, Paul Lenkewitz und Prof. Wilhelm Oberle sowie demProbekandidat Dr. Joseph Heinrichs das Zeugnis unterschrieben hat. DasLehrerkollegium stellt Max Ernst durchweg die Note gut” aus, lediglich an demwahlfreien Unterricht in Hebräisch” und Zeichnen” nimmt er nicht teil. Details zuden einzelnen Fächern hat Wolfgang Drösser aus den Jahresberichten notiert:Eugen Kösters ist der Klassenlehrer der Oberprima. Seine Fächer sind Latein undDeutsch, wobei Texte von Horaz, Ovid und Vergil behandelt werden und dasThema des Abiturprüfungsaufsatzes Welchen Gewinn brachte Goethe seinAufenthalt in Italien? Nach Goethes Italienische Reise“ lautet. Das FachGrie-chisch vermittelt Wilhelm Oberle; Paul Lenkewitz ist der Lehrer für diemodernen Fremdsprachen Französisch und Englisch; in Mathematik und Physikwird die Abiturklasse von Leo van Vliet unterrichtet und der GymnasialdirektorMartin Mertens ist der Geschichtslehrer. Sein Sohn Heinrich gehört neben MaxErnst zu den 15 Abiturienten des Jahrgangs 1910. Philipp Ernst hat nach demErsten Weltkrieg zwei Erinnerungsporträts des Geheimrates angefertigt. Währendsich das eine Bildnis heute im Max-Ernst-Gymnasium befindet, ist das andere,fast identische und hier abgebildete Gemälde im Besitz des Enkels von Martinund Caroline Mertens.  Dr. Jürgen Pech   

 

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Zum Abitur der 15 Schüler des Jahrgangs 1910 - unter ihnen Max Ernst -erscheint im März die Bierzeitung "Aus unserm Leben an der Penne". Fürdiese Veröffentlichung und für mehrere Postkarten zeichnet der spätereKünstler, der laut Abiturzeugnis am Zeichenunterricht nicht teilgenommenhat, die Illustrationen, die zusammen mit den Texten den Schulalltagkarikieren. In einem Abschnitt mit der Überschrift "Siegesallee", die auf dieBerliner Siegesallee mit den Statuen der deutschen Kaiser anspielt, werdendie 15 Abiturienten vorgestellt. Max Ernst zitiert aber nicht nur das BerlinerEnsemble, sondern er reagiert auch ganz allgemein auf die seit dem Beginndes wilhelminischen Kaiserreiches inflationäre Tendenz an Denkmälern. DieBrühler Denkmal-Galerie des Abiturjahrgangs 1910, die sich in derBierzeitung über vier Seiten erstreckt, eröffnet und beschließt Max Ernst mitganzseitigen Standbildern, während auf der dazwischen liegendenDoppelseite links vier und rechts fünf gezeichnete Statuen gruppiert sind.  Das erste Standbild zeigt die Mitschüler Wilhelm Berghoff und Hans Oehmen aufeinem gemeinsamen Sockel mit der Inschrift "Das edle Freundespaar"; beideumarmen sich, und der Rauch aus ihren Tonpfeifen umrahmt wolkig dasDoppelporträt. Das Freundschaftsmonument ist in freier Variation über dasGoethe-Schiller-Denkmal in Weimar gezeichnet. Das abschließende Denkmal istdagegen Heinrich Mertens vorbehalten, dem Sohn des Gymnasialdirektors undGeschichtslehrers Martin Mertens. Die lateinisch gehaltene Beschriftung auf demSockel, der von vier sitzenden, weiblichen Figuren umgeben ist, lautet "Sohn desJupiter, des Allergrößten", ergänzt um die griechische Unterzeile: "O Kind, wärestdu dem Vater ähnlicher geworden, im übrigen aber gleich, Du wärest nicht übel."Heinrich Mertens, dessen Berufswunsch "Heeres-dienst" in seinem Abiturzeugnisvermerkt ist und den Max Ernst entsprechend mit der Pose eines Feldherrncharakterisiert, stirbt fünf Jahre später im Ersten Weltkrieg; zwei weitereAbiturienten von 1910, Franz Ricken und Johannes Thiebes, fallen ebenfalls inden ersten Kriegsjahren in Frankreich.  Sich selbst hat Max Ernst auf der mittleren Doppelseite dargestellt. SeinePorträtbüste ist auf ein dorisches Kapitell mit der Inschrift "Max Maria" postiert; einPinsel und eine übergroße Palette, von der die Farbe bereits wiederheruntertropft, charakterisieren ihn als Künstler. Ein Zitat von Wilhelm Buschergänzt als Motto diese ironisch gebrochene Selbstüberhöhung: "Einhoffnungsvoller junger Mann gewöhnt sich leicht das Malen an." Vorlage und

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Arbeitsstimulans zu diesem gezeichneten Künstlerselbstporträt bildet eineAufnahme von 1909. Sie zeigt Max Ernst vor seiner Staffelei, umgeben von denBäumen im Brühler Schlosspark. Auf seinem Karton hat er - in der Tradition vonFreiluftmalern stehend - naturalistisch den Waldweg wiedergegeben. DerAchtzehnjährige blickt von der Arbeit auf und hält die gewohnten Attribute desMalers, mehrere Pinsel und eine Palette, in den Händen. Aus der fotografischenVorlage übernimmt Max Ernst die Körperhaltung, ebenso das Dreiviertelprofil, denHut, den hohen und steifen Kragen sowie das gepunktete Halstuch. Lediglich dieInsignien des Malers bis hin zur Künstlermähne werden bewusst vergrößert.Nachahmung und Veränderung als Methode der künstlerischen Aneignung sindhier bereits angelegt und ein erstes Beispiel für die spätere, seit der Dada-Zeitgrundlegende indirekte Arbeitsweise und umdeutende Sichtweise seines Werkes.  Dr. Jürgen Pech 

 

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In der Abiturzeitung "Aus unserm Leben an der Penne", die im März 1910mit Abbildungen und Texten im Matrizendruck erscheint, karikiert Max Ernstunter der Überschrift "Siegesallee" über vier Seiten hin sich selbst und dieMitschüler des Abschlussjahrgangs 1910. Sein eigenes Selbstporträt alsKünstler auf einer Säule mit dorischem Kapitell umgibt er auf der zweitenSeite mit zwei Denkmälern, die nicht nur hier, sondern auch in Hinsicht aufdas spätere Werk eine besondere Bedeutung haben.  Die Darstellungen, mit denen er seine grundlegende Kritik am inflationärenDenkmalskult der wilhelminischen Kaiserzeit in Szene setzt, sind gleichzeitigkünstliche Präsentationswelten, die formal die Schaubühnen der Dada-Mappe"Fiat modes pereat ars" sowie die surrealistischen, als "Loplop présente"bezeichneten Staffelei-Figuren vorwegnehmen. Das Motiv des Sockels selbst, derganz allgemein eine Figur auszeichnet und erhöht, lässt sich bis zu dem spätenGemälde "Quelques animaux dont un illettré (Einige Tiere, darunter einungebildetes)" von 1973 verfolgen, wo ein Postament die fehlende Bildung desdargestellten Wesens ausgleichen muss. Mit diesen beiden Denkmälern umkreistMax Ernst aber zusätzlich ein Thema, das sein künftiges Werk durchziehen wirdund den Sehvorgang selbst behandelt: Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit, sehenund gesehen werden.  Richard Löwenherz, der Name der historischen Figur, die von 1189 bis 1199König von England war, steht als Pseudonym für den Mitabiturienten RichardBrandts, der später Bergwerksdirektor in Schlesien wurde. Mit Hämmernbewaffnet steht er auf einem ionischen Volutenpolster in drei einanderzugewandten Ansichten, so dass sein Gesicht, durch einen rechtwinkligerhobenen Arm extra verdeutlicht, nicht zu sehen ist. Die seitlich wiedergegebeneNotiz erläutert die Szenerie: "Richard hat sich nur unter der Bedingung in Steinhauen lassen, dass der Künstler ihn so darstellte, dass er dem Zuschauer (eskönnte nämlich Lenko darunter sein) von allen Seiten gesehen den Rückenzukehrte. Trefflich ist dies dem Meister gelungen." Der im Text erwähnte Lenko istder Lehrer Paul Lenkewitz, der die Schüler damals in den modernenFremdsprachen Französisch und Englisch unterrichtete.  Drei weitere Schüler werden auf einem einfachen, querrechteckigen Postamentmit einer abschließenden, leicht überragenden Standplatte präsentiert. Aufgrundder Inschrift ist die Person auf der linken Seite als Hubert Lierz zu identifizieren,

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der später - wie die Mitabiturienten Wilhelm Berghoff und Ewald Pflaum - denArztberuf wählte. Der Tabakqualm, der aus seiner Tonpfeife kommt, umhüllt dieDreiergruppe so stark, dass lediglich die Augenpaare und die Beine sichtbarbleiben. In der Mitte steht Heinrich Klemmer, der wie Hans Oehmen alsOberstudiendirektor Karriere machte. Seine Augen sind zusätzlich durch einenZwicker akzentuiert. Da eine bügellose Brille auch als Kneifer oder Klemmerbezeichnet wird, ist die Anspielung auf seinen Namen unverkennbar. Neben ihmschließt der spätere Hauptlehrer Karl Weeg die Gruppe ab. Das Augenpaar, dashier nur aus zwei Querstrichen besteht, scheint in Variation zu den anderengeschlossen zu sein. Der in Versform gehaltene Kommentar lautet:  "Diese 3 kann man nie sehen,  Weil sie in dem Rauche stehen,  Der aus Huberts Pfeife dringt  Und zum Himmel mächtig st ... eigt."  Dr. Jürgen Pech 

 

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Einen Monat nach dem Abitur immatrikuliert sich Max Ernst am 20. April1910 an der nahen Universität in Bonn, um Philologie zu studieren. Bis zumAusbruch des Ersten Weltkrieges belegt er neben Germanistik, Romanistik,Philosophie, Psychologie und Psychiatrie auch Veranstaltungen inKunstgeschichte, die schon bald gegenüber dem philologischen Studiumdominieren. Während dieser Zeit veröffentlicht er seine kritische undironische Einstellung gegenüber Ruhm und Verehrung, die bereits in denKarikaturen der Abiturzeitung zum Ausdruck gekommen ist, vor einemgrößeren Publikum.  Seit 1906 erscheint neben der großen Bonner Tageszeitung "General-Anzeiger"die Wochenzeitung "Volksmund", deren gesellschaftliche Haltung mit demUntertitel "Unser Wahlspruch: Gleiches Recht für Alle!" erläutert wird. Schon Endedes Jahres erhöht sich die Erscheinungsweise mit Ausgaben am Samstag undam Mittwoch. Während der "General-Anzeiger" mit 34.000 Exemplaren die großeZeitung der wohlsituierten und kaisertreuen Universitätsstadt bleibt, erreichtder"Volksmund", der in der Nordstadt von Bonn in der Breite Straße gedrucktwird, immerhin eine Gesamtauflage von 5.000 Exemplaren. Nach dem Tod vonJosef Kroth, dem Gründer und bisherigen Leiter der Bonner Zeitung "Volksmund",kündigt die Redaktion ab Anfang Oktober 1912 neue Mitarbeiter und kritischeBetrachtungen an, um "seine Leser über die bedeutenderen Erscheinungen aufkünstlerischem und wissenschaftlichem Gebiet in fachmännischer Weise zuunterrichten."  Max Ernst, der zu diesen neuen Mitarbeitern gehört, bezieht in seinen erstendrei Beiträgen gegen den Kritiker des "General-Anzeigers" Position und gibtschließlich in seinem Artikel vom November 1912 mit Vehemenz und Ironiefolgende Anregung: "Wenn man den Ausdruck ,eigener Weg' in einer Kritik liest,so ist dies so zu verstehen: jungen Künstlern wird der Weg mühsam und schwergemacht durch die Schimpfereien, die Gehässigkeiten des nichtverstehendenPublikums. (Das schlimmste Publikum sind immer die Kritiker). Ist der Künstler altgeworden und hat er das Publikum durch seine Ehrlichkeit und Konsequenz vondem Wert seiner Kunst überzeugt (es besiegt), so konstatiert es vergnügt, daß derKünstler seinen eigenen Weg ging. (Bekanntlich feiert man in diesem Jahr dieGeburtstage so vieler fünfzigjähriger Dichter, ich mache den Vorschlag, in Zukunftdie Geburtstage der 25jährigen Künstler zu feiern)." 

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Anspielungsreich verknüpft Max Ernst den fünfzigsten Geburtstag von GerhartHauptmann, der kurz zuvor gefeiert worden war, mit seiner Bloßstellungoberflächlicher Kunstrezeption. Auch die naturalistischen undspätimpressionistischen Bonner Künstler bleiben nicht verschont. Ebenfalls imNovember 1912 werden die folgenden Sätze veröffentlicht: "Im Obernier-Museumgibts jetzt eine Ausstellung Bonner ,Künstler'. Es ist kein einziges Kunstwerk da.Wenigstens keine einzige Sache, welche die Kunst um ein Haar weiterbringenkönnte. Ist ja auch nicht nötig. Aber überflüssig ist es schon, daß solcheHerdenkünstler jedesmal, wenn eine junge Richtung alt geworden ist (das ist sieimmer, wenn ein Jüngeres des Jungen Feind geworden ist), daß solcheHerdenkünstler das, was andere in ehrlichem Kampf durchgesetzt haben, ausBequemlichkeit übernehmen oder es systematisch (manchmal geschäftsmäßig)ausbeuten. Sie sind die schlimmsten Feinde der Kunst. Sie sind gemeingefährlichvom Standpunkt des Fortschritts aus."  Dr. Jürgen Pech   

 

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Während des Studiums an der Bonner Universität, das Max Ernst mitseiner Immatrikulation am 20. April 1910 begonnen hatte, nahm der Anteilder Kunstgeschichte einen immer breiteren Raum ein.  Für dieses Fach legte Geheimrat Paul Clemen, seit 1902 Nachfolger von CarlJusti‚ am 3. Mai 1911 ein Besucherbuch an und eröffnete es mit den Zeilen: "DieBesucher des Kunsthistorischen Instituts werden gebeten, sich bei jedesmaligenBetreten des Studiensaales in dieses Buch einzutragen." Ab dem Wintersemester1913/14 wurde dann ein "Verzeichnis der Inhaber von Schubladenschlüsseln desneuen Instituts" angefügt. Nach der Verleihung der Ehrendoktorwürde derPhilosophischen Fakultät der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn,die Max Ernst anlässlich seines 80. Geburtstages am 8. Mai 1972 erhalten hatte,wurde dieses Buch wieder aufgefunden. Eduard Trier, der als Kunsthistoriker undlangjähriger Freund des Künstlers die Laudatio zur Ehrenpromotion hielt, nutztediese Quelle für seinen überaus informativen und kenntnisreichen Text ,Was MaxErnst studiert hat' von 1979. Darin heißt es:  "Im Kunsthistorischen Institut erschien Max Ernst während des ganzenSemesters und auch im anschließenden Wintersemester 1912/13 sehr oft undregelmäßig, obwohl er doch - seit 1911 in Kontakt mit dem nach Bonnübergesiedelten Maler August Macke - in den Sommermonaten 1912 mehr an derKölner Sonderbund-Ausstellung (25.5. bis 30.9.1912) sowie an einerFuturisten-Ausstellung in der Kölner Galerie Feldmann interessiert gewesen seindürfte als am Vorlesungsbetrieb und in eben diesem Jahre beschlossen hatte,Maler zu werden. Dessen ungeachtet belegte Max Ernst im Wintersemester1912/13 drei philologische Vorlesungen, ferner drei kunsthistorischeVeranstaltungen bei Paul Clemen, von denen er allerdings zwei schon einmalgehört hatte, was auf eine gewissen Nonchalance des Studenten Max Ernstschließen läßt. … Übrigens spiegelt sich die private Biographie Max Ernstebenfalls während des Wintersemesters 1912/13 im Buch derSchubladenschlüsselinhaber: am 5. November 1912 trug sich zum ersten MaleLuise Straus, die seit Ostern 1912 in Bonn Kunstgeschichte studierte, alsanwesend ein. In der Folge erscheint ihr Name seht häufig, meist zusammen mitdem von Max Ernst, obwohl sie sich wahrscheinlich erst im Sommer 1914 sonahe kamen, daß sie während des Ersten Weltkrieges heirateten."  "Hallo" als ironischer Kommentar

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  Die Seite mit den Eintragungen vom 17. bis 22. Januar 1913 dokumentiert einesolche Begegnung für den 18. Januar. Zwei Tage später fällt unter dem 20.Januar ein überaus groß geschriebener Name auf. Johannes Schumacher war einzehn Jahre älterer Kommilitone von Max Ernst, der bereits Ende Juli desVorjahres sein Rigorosum bestanden hatte, dessen Dissertation über die,Einführung und Entwicklung der gotischen Architektur in Cöln und seinemBezirke' jedoch erst ein Jahr später gedruckt vorlag. Max Ernst, der am folgendenTag den Studiensaal besuchte, fügte an den letzten Buchstaben desbeeindruckenden Namens ein kleines "Hallo" als ironischen Kommentar an. Alsweiterer Name ist auf dieser Seite Carola Welcker zu entdecken. Sie gehörtedamals zu den jüngeren Semestern, stand über Jahrzehnte hin in Kontakt mitMax Ernst und veröffentlichte 1955 unter dem Namen Carola Giedion-Welckerihre thematisch ausgerichtete Überblicksdarstellung ,Plastik des XX.Jahrhunderts. Volumen- und Raumgestaltung'. In ihrem Text für die MaxErnst-Retrospektive im Kölner Wallraf-Richartz-Museum formulierte sie 1962 alsgrundsätzliche Einschätzung, dass seine Kunst "eines der genialsten modernenAbenteuer des Geistes und der Gestaltung" bleibe.   

 

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Fünf Wochen nach der Bonner „Ausstellung rheinischer Expressionisten”wurde in Berlin die große Gruppenausstellung „Erster DeutscherHerbstsalon” eröffnet. Sie umfasste 366 Werke von 90 Künstlerinnen undKünstlern und war vom 20. September bis zum 1. Dezember 1913 zu sehen. Herwarth Walden, der drei Jahre zuvor seine Zeitschrift „Der Sturm” gegründetund im März des Vorjahres in einer zum Abriss bestimmten Villa in derTiergartenstraße seine gleichnamige Galerie eingerichtet hatte, mietete für diePräsentation einen riesigen Saal von 1.200 Quadratmetern in einem ebenfalls fürden Abbruch vorgesehenen Haus an der Potsdamer Straße 75 an. Der Saalwurde durch Stellwände, die mit unterschiedlich getöntem Rupfen bespanntwaren, in 19 kleinere, als Abteilungen bezeichnete Räume aufgeteilt.

 Der Titel der Gruppenausstellung weist darauf hin, dass der Pariser „Salon d’Automne” als Patefungierte, der seit 1903 von avantgardistischen Künstlern als Forum genutzt wurde.Vorbildfunktion hatte aber auch die Kölner „Sonderbund”-Ausstellung, die im Vorjahr dasgesamte Spektrum der aktuellen französischen Kunst erstmals in Deutschland vorgestellt hatte.Sie war mit 634 Werken fast doppelt so groß wie das Berliner Unternehmen und wurde nur vonder Überblicksausstellung übertroffen, die sie ebenfalls angestoßen hatte: die „Armory Show”,die Anfang 1913 in New York stattfand, rund 1250 Gemälde und Skulpturen von 300 Künstlernversammelte und insgesamt großen Einfluss auf die Entwicklung der amerikanischen Kunsthatte. Franz Marc kritisiert „Sonderbund” Die Initiative für den Berliner „Herbstsalon” ging unter anderem auf Franz Marc, wie WassilyKandinsky, Paul Klee, August Macke oder Gabriele Münter Mitglied der MünchnerKünstlergruppe „Der Blaue Reiter”, zurück. In einem Artikel, der in der Zeitschrift „Der Sturm”veröffentlicht wurde, kritisierte er den „Sonderbund” mit seiner Präsentation und reduziertenAuswahl und schlug eine Organisation und Hängung durch die Künstler selbst vor. Auch AugustMacke aus Bonn war an den Vorbereitungen und Planungen beteiligt; außerdem sorgte erdafür, dass Bernhard Koehler, der Onkel seiner Frau Elisabeth, die finanzielle Garantie für dasProjekt übernahm. Max Ernst zeigt zwei Bilder Im „Herbstsalon” wurde einigen Künstlern besonders viel Platz eingeräumt. Henri Rousseau,der 1910 gestorben war und den Kandinsky als Vater der Realistik und der Einfachheitbezeichnet hatte, erhielt eine Gedächtnisausstellung mit 22 Exponaten. Robert Delaunay war

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mit 21 Gemälden, seine Frau Sonia Delaunay sogar mit 25 Arbeiten, vornehmlich bemalteBucheinbände, vertreten. Die Mitorganisatoren Kandinsky und Marc konnten jeweils siebenWerke, Macke sogar acht Gemälde ausstellen. Von Max Ernst stammten zwei Arbeiten, dieschon in der „Ausstellung rheinischer Expressionisten” in Bonn zu sehen gewesen waren undnun in der Abteilung XVIII zusammen mit den Exponaten des Ehepaares Delaunay, dreiHolzschnitten von Fritz Baumann aus Basel sowie drei Werken von Franz Henseler aus Kölngezeigt wurden. Während er in seinem Ölbild „Der Sturm” die Auswirkungen der Naturgewaltenauf eine Landschaft mit Bäumen von einem erhöhten Standpunkt aus malerisch einfängt, hat erdie Darstellung seines zweiten Gemäldes, das den Titel „Promenade” trägt und imAusstellungskatalog reproduziert ist, auf Nahsicht angelegt. Das dichte Gedränge der Flaneureeiner Großstadt wird so noch unmittelbarer. Die Häuserfassaden, die am oberen Bildrand linksund rechts zu sehen sind, wirken zusätzlich als beengende und begrenzende Schlucht, dielediglich vom Licht einer Laterne gleißend durchstrahlt wird. Die beiden für Berlin ausgewähltenBilder können somit gewissermaßen als Pendants verstanden werden, spannen sie doch einenBogen zwischen Technik und Natur, zwischen Metropole und Einsamkeit. 

 

 

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1845 wurde in Bonn das von Ernst Julius Hähnel (1811-1891) entworfeneBeethoven-Denkmal eingeweiht. Das musikalische Werk des gebürtigenBonner Ludwig van Beethoven (1770-1827) gehörte zu den Konstanten imKulturleben der Stadt.  Über eine Aufführung des ,Fidelio' im Stadttheater wurde 1913 in einerBesprechung vermerkt: "Die Oper, die wir hier in Bonn jährlich fast zu hörenGelegenheit haben, erfreute sich auch gestern wieder eines lebhaften Beifalls."Und eine kurze Ankündigung im ,Volksmund', die ebenfalls 1913 erschien,informierte mit ehrfurchtsvollem Ton vor dem Genie über eine Neuerscheinung:"Das neueste Heft der populären Musik-Zeitschrift ,Musik für Alle' bringt daseinzige Bühnenwerk, das uns Beethoven hinterlassen hat, den ,Fidelio'. Keinanderer konnte den Stoff, der dieser Oper zu Grunde liegt, keuscher und reinererfassen, als Beethoven, der deutscheste aller Tondichter. Er hat uns in diesemWerke das Hohelied der Gattenliebe geschaffen. - Das vorliegende Heft gibt dieschönsten und melodienreichs- ten Szenen in leicht spielbarem Klaviertextwieder."  Der Sockel des Bonner Standbildes von Beethoven zeigt auf vier bronzenenHochreliefs weibliche Figuren. Während auf der Vorderseite die auf einer Sphinxsitzende und Leier spielende Figur die Phantasie darstellt und die schwebende,von vier Genien umgebene Frauengestalt auf der Rückseite die Symphonieverkörpert, personifizieren die beiden weiblichen Figuren auf den Seitenflächendie dramatische sowie die geistliche Musik. Das Sockelrelief mit der Orgelspielenden Cäcilie wurde ein Jahr nach der Einweihung des Denkmals in derfranzösischen Wochenschrift ,Le magasin pittoresque' reproduziert. Ab Ende derzwanziger Jahre verwendete Max Ernst Holzstiche aus dieserpopulärwissenschaftlichen Zeitschrift als Materialfundus für seineCollagenromane, ob er jedoch diese Abbildung bereits 1923 kannte und alsVorlage für eine gemalte Collage nutzte, ist nicht zu entscheiden. Das Original aufdem Bonner Münsterplatz dürfte ihm jedoch aus seiner Studienzeit bekanntgewesen sein. Dr. Ludger Derenthal, Mitglied im Beirat der Max ErnstGesellschaft, wies bereits vor knapp 20 Jahren auf die Motivverwandtschaftzwischen Sockelrelief und Gemälde hin.  "Die heilige Cäcilie" 

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1923, ein Jahrzehnt nach dem Studium und in der Inkubationsphase desSurrealismus, variierte Max Ernst dieses Relief des Beethoven-Denkmals.Nachdem er 1922 Köln verlassen hatte, entstand 1923 in Paris seingroßformatiges Ölgemälde "Die heilige Cäcilie (Das unsichtbare Klavier)". Fastvollständig umgibt hier Mauerwerk eine Frau, von der nur der Kopf, das Profil desKörpers, die Arme und ein Fuß zu sehen sind. Die Frau spielt an einerunsichtbaren Klaviatur, und durch die Geste ihrer Hände wird ein abgebrochenesWandstück, das rechts neben ihr leicht nach hinten versetzt zu sehen ist, in eineOrgel uminterpretiert. Dargestellt ist die Märtyrerin aus frühchristlicher Zeit, dieseit dem 15. Jahrhundert als Schutzpatronin der Musik, besonders der religiösenMusik gilt. Der französische Name ,Cécile' der Heiligen kann wortspielerisch mitdem Begriff ,cécité' (Blindheit) assoziiert werden, eine Bedeutung, dievermutlich mit zur Wahl der Heiligen als Bildsujet beigetragen hat. Dergefangenen und physisch blinden Figur stellt Max Ernst die schöpferischeTätigkeit, die innere Imagination und den Blick der Phantasie gegenüber. Dienach rechts gerichtete Profilansicht und die geschlossenen Augen auf demGemälde lassen sich mit der Darstellung des Reliefs vergleichen, wobei auch dasGesicht der Bonner Cäcilie teilweise verdeckt ist. Durch den collagenartigen,kombinatorischen Arbeitsprozess, der unterschiedliche Vorbilder fragmentiert undneu zusammensetzt, greift Max Ernst indirekt und subversiv den Denkmalskult an,um die Bruchstücke seines Bildersturms in den Dienst des Surrealismus zustellen.   

 

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1912 malte Philipp Ernst, der Vater von Max Ernst, ein erstaunlichgroßformatiges Bild. Es zeigt die sechsjährige Schwester von Max inSeitenansicht an der Staffelei. Mit Pinsel und einer übergroßen Paletteausgestattet ist das kleine Mädchen dabei, ein Strichmännchen auf dieweiße, leere Leinwand zu setzen. Die Anspannung ist perfektwiedergegeben. Der Blick von Loni ist konzentriert auf das eigene Tungerichtet, die Muskeln der Stirn und der Halsschlagader unterstützen denAusdruck. Zwei Welten, zwei Auffassungen von Kunst prallen aufeinander und erzeugen diedargestellte Diskrepanz. Die akribische Feinmalerei des Vaters ist bemüht, einexaktes, naturgetreues Abbild der Wirklichkeit zu geben, während die Fähigkeitendes Kindes lediglich eine schematisierte Annäherung zustande bringen.Kunstideal und Kinderzeichnung werden miteinander konfrontiert. Im selben Jahrhatte Philipp Ernst mit einem weiteren Gemälde einen besonderen künstlerischenErfolg. Sein Bildnis des Kardinals Fischer, Erzbischof von Köln, für das Rathaus inJülich fand nicht nur bei der Stadtverordnetenversammlung allgemeinen Beifall,sondern kam auch bei der Familie Fischer so gut an, dass er drei Kopien desPorträts anfertigen musste. Zwanzig Jahre später schuf Philipp Ernst ein wesentlich kleineres Ölgemälde,das die inzwischen Erwachsene Loni auf der Terrasse von Schloss Augustusburgzeigt. Modisch im Stil der dreißiger Jahre gekleidet steht die junge Dame an derBalustrade, hat ihre Hand auf das Geländer gelegt und blickt den Betrachter an.Vermutlich diente eine Fotografie als Vorlage für die Darstellung, die nicht nur denhellen Mantel, die Schuhe, die Kopfbedeckung und die rote Handtaschewiedergibt, sondern minutiös auch die von Bäumen und Rabatten gesäumteParkanlage mit Spiegelweiher und Fontäne, mit vier überlebensgroßen Statuenaus gefasstem Metall, darunter links eine Kopie der Venus von Capua, und miteinzelnen Besuchern als belebende Staffage abbildet. Loni Ernst promoviert 1931, im Jahr bevor die Parkansicht entstand, hatte Loni Ernst ihr Studium derKunstgeschichte erfolgreich abgeschlossen. Nach elf Semestern an denUniversitäten in Bonn, München und Köln sowie nach fünf ausgedehntenExkursionen, die sie zu Museen und Sehenswürdigkeiten in Belgien, den

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Niederlanden, Italien und Frankreich führten, promovierte sie über das Thema"Manieristische Florentiner Baukunst". Über die folgenden Jahrenotierte Vater Philipp voller Stolz in seinem Familienbuch: "Im Januar 1932fuhr Loni nach Paris zu weiteren Studien in Museen und Bibliotheken; sie wohntedort bei ihrem Bruder Max. Nach ihrer Rückkehr war sie von Mai 1932 bis August1933 Assistentin am kunsthistorischen Institut in Berlin und von September 33 bisJuli 34 Volontärin am dortigen Kupferstichkabinett. 1935 erschien im Verlag fürVolkskunst und Volksbildung Richard Keutel, Lahr in Baden, ein LudwigRichter-Album mit 255 einfarbigen und 16 farbigen Bildern; Loni schrieb imAuftrag der Firma zu diesem Album das Geleitwort." Im September 1934heiratete Loni Ernst den Kunsthistoriker Lothar Pretzell, den sie während desStudiums kennen gelernt hatte. Für die Retrospektive zum 60. Geburtstag vonMax Ernst, die 1951 im Schloss Augustusburg stattfand, erarbeiteten siegemeinsam das begleitende Katalogbuch, die erste grundlegende Publikationüber der Künstler in Deutschland. Porträts sind bis Ende März zu sehen Die beiden Porträts von Loni sind noch bis Ende März als Leihgaben in derSchausammlung des Max Ernst Museums zu sehen. Das Jahr 1912 wird darüberhinaus durch die Sonderausstellung "In Augenhöhe: Paul Klee. FrüheWerke im Blick auf Max Ernst" vertieft, die jüngst von der FrankfurterAllgemeinen Zeitung als "kunsthistorisch bravourös aufgearbeitet"gelobt wurde. Ein Aspekt der Präsentation sind Zeichnungen, die Paul Klee imNovember 1912 im Kölner Gereonsklub zeigen konnte; kurz zuvor hatte er dieKunst der Kinder als Ideal der Avantgarde bezeichnet. 

 

 

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Im Sommer 1913 fand in Bonn die "Ausstellung rheinischerExpressionisten" statt. Einen Monat lang, vom 10. Juli bis zum 10. August,zeigte die vis-à-vis der Universität gelegene Buch- und Kunsthandlung FriedrichCohen in den drei Ausstellungsräumen des Obergeschosses rund 120 Werke von16 Künstlerinnen und Künstlern. Der Initiator August Macke verstand diese Gruppenausstellung "als eineProbe für den Herbstsalon", den er seit dem Frühjahr mit vorbereitet hatteund der im Anschluss an die Bonner Präsentation als "Erster DeutscherHerbstsalon" in der Galerie "Der Sturm" von Herwarth Walden inBerlin für Furore sorgte. Die beiden ausstellenden Künstlerinnen OlgaOppenheimer, die zwei Jahre zuvor den Kölner Gereonsklub gegründet hatte, undClara-Maria Nauen-Malachowski waren mit 27 und 33 Jahren älter als AugustMacke; ebenso Carlo Mense, Franz Matthias Jansen, Franz Henseler, HeinrichNauen und mit 42 Jahren William Straube. Hans Thuar war wie August Macke 26Jahre, gefolgt von dem 24-jährigen Heinrich Campendonk. Paul Adolf Seehaus,Helmuth Macke und Max Ernst gehörten mit 22 Jahren sowie Ernst Moritz Engertund Joseph Kölschbach mit 21 Jahren zu den jüngsten Teilnehmern, währenddas Geburtsdatum von Otto Feldmann, der in Köln eine eigene Galerie betrieb,nicht bekannt ist. 

Die Gruppe vertrat den rheinischen Aufbruch zur Moderne. Teils stärker dem Fauvismus, teilseher kubistischen oder futuristischen Tendenzen verpflichtet, teils dem Orphismus desFranzosen Robert Delaunay nachfolgend, dominierte bei allen ein ausgeprägtesexpressiv-expressionistisches Stilempfinden. Für Max Ernst war diese Ausstellung der ersteöffentliche Auftritt als Künstler. Neben seinen beiden Gemälden "Sturm" und"Promenade", die anschließend in der Berliner Gruppenausstellung zu sehen waren,zeigte er das großformatige Aquarell "Straße in Paris", das sich heute imKunstmuseum Bonn befindet und über das Alfred Salmony in seiner Besprechung derAusstellung im "Kölner Tageblatt" notierte: "Von Max Ernst sieht man ältereBilder, die wie ,Die Straße' eine eigentümliche Farbengebung haben, in denen es wieElektrizität zuckt; ferner Köpfe auf Glas von außerordentlicher Leuchtkraft der Farbe."Weitere, heute nicht mehr zu identifizierende Werke erwähnte der"General-Anzeiger" zum Abschluss seiner Ausstellungskritik: "Max Ernst ist esmit seinen Bildern ,Martyrium' und ,Christus und die Jünger' (?) wohl am glücklichstengelungen, die Verständnislosigkeit des Publikums herauszufordern. Sein weiblicher Kopfdagegen zeigt erkennbare Qualitäten. Allzuviel Gleichwertiges verbietet ein weiteres Eingehen.Man möge selbst hingehen und versuchen, in die Mysterien des Expressionismus

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einzudringen." Am letzten Ausstellungstag berichtete die "Neue Bonner Zeitung", dass 1.400Besucher und 15 Verkäufe verzeichnet werden konnten. Max Ernst bot seine Werke für 500Mark an. Für einen Debütanten war dies äußerst selbstbewusst, denn der vier Jahre ältereAugust Macke hatte dieselben Preise, die lediglich von dem 33-jährigen Heinrich Nauen mitdem dreifachen Betrag überboten wurden. Arbeiten von Ernst Moritz Engert, Helmuth Macke,Carlo Mense, Paul Adolf Seehaus und Hans Thuar, die unter 400 Mark lagen, fandenAbnehmer. Auch Max Ernst besprach die Präsentation. Mit seinem Text, der kurz nach der Eröffnung am12. Juli 1913 im Bonner "Volksmund" veröffentlicht wurde, verabschiedete er sichdarüber hinaus als Kunst- und Theaterkritiker der Universitätsstadt. Seinen ausführlichen, dieRezeption von Neuem erläuternden und Expressionismus als "Ausdruck für einSeelisches" sowie als "absolute Malerei" charakterisierenden Kommentarbeendete er mit dem ironisch gefärbten Vorschlag: "Wer Augen hat, zu sehen, und eineSeele, zu erfassen, benütze die in Bonn so äußerst seltene Gelegenheit zu starkenkünstlerischen Erlebnissen. Den Blinden aber kann man nicht einmal empfehlen, sichlebenslänglich zu bebrillen." 

 

 

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„Am Anfang war Dada“ befand der Berliner Dadaist RaoulHausmann 1970 rückblickend und in Anspielung auf denBeginn des Johannes-Evangeliums. Hans Arp, Dadaist derersten Stunde, vermerkte hingegen 1954 in seinerSammlung von Dada-Sprüchen: „Bevor Dada da war, warDada da.“

Im Januar 1916, als Max Ernst in Berlin als„Sturm”-Künstler seine ersteEinzelausstellung hatte, schmiedeten derAutor Hugo Ball und dieVortragskünstlerin Emmy HenningsPläne für eine eigenes Cabaret, das am 5.Februar 1916 als „KünstlerkneipeVoltaire” in der holländischen Weinstube„Meierei” in der Zürcher Spiegelgasse 1eröffnet wurde. In dem angegliedertenSaal mit Bühne, der für 50 Personen Platzbot, fanden täglich außer freitagsLesungen und musikalische Vorträge der

als Gäste verkehrenden Emigranten statt, unter ihnen HansArp, Marcel Janco, Tristan Tzara und Richard

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Huelsenbeck. Ende Mai erschien dann die Anthologie„Cabaret Voltaire”. In der auf den 15. Mai 1916 datiertenprogrammatischen Erklärung von Hugo Ball wurde hierdas Wort „Dada” zum ersten Mal öffentlich für diekünstlerische Bewegung verwendet: „Das kleine Heft, daswir heute herausgeben, verdanken wir unserer Initiativeund der Beihilfe unserer Freunde in Frankreich, Italien undRussland. Es soll die Aktivität und die Interessen desCabarets bezeichnen, dessen ganze Absicht daraufgerichtet ist, über den Krieg und die Vaterländer hinwegan die wenigen Unabhängigen zu erinnern, die anderenIdealen leben. Das nächste Ziel der hier vereinigtenKünstler ist die Herausgabe einer Revue Internationale. Larevue paraître à Zurich et portera le nom „DADA”.(„Dada”) Dada Dada Dada Dada.”

In den Monaten zuvor ist der Begriff in den Schriften vonHugo Ball bereits zu finden. Am 29. Februar erwähnte erdas Wort „Dada” erstmals in einem Brief an Tristan Tzaraund in seinem Tagebuch „Die Flucht aus der Zeit”vermerkte er für den 18. April 1916: „Tzara quält wegender Zeitschrift. Mein Vorschlag, sie Dada zu nennen, wirdangenommen. Bei der Redaktion könnte man alternieren:ein gemeinsamer Redaktionsstab, der dem einzelnenMitglied für je eine Nummer die Sorge um Auswahl undAnordnung überlässt. Dada heißt im Rumänischen Ja, Ja,

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im Französischen Hotto- und Steckenpferd. Für Deutscheist es Signum alberner Naivität und zeugungsfroherVerbundenheit mit dem Kinderwagen.“ Und in seinemEintrag zum 12. Juni 1916 ergänzte er: „Was wir Dadanennen, ist ein Narrenspiel aus dem Nichts, in das allehöheren Fragen verwickelt sind; eine Gladiatorengeste; einSpiel mit den schäbigen Überbleibseln; eine Hinrichtungder posierten Moralität und Fülle.“

Ausdruck „Dada” geschützt

Der Ausdruck selbst war seit über einem Jahrzehnt fürProdukte der Schönheitspflege geschützt. Am 21. März1906 hatte sich die Zürcher Zweigniederlassung derParfümerie- und Seifenfabrik Bergmann & Co. die Marke„Dada” beim Eidgenössischen Amt für geistiges Eigentumeintragen lassen. Die 1850 in Dresden gegründete Firmanutzte als Schutzmarke für ihre deutschen Fabrikate unteranderem die Bezeichnung „Steckenpferd”. Um denfranzösischsprachigen Markt in der Westschweiz zubewerben, wurde die Übersetzung der Fabrikmarkeherangezogen und als „Lilien-Crème Dada” auf den Marktgebracht, gefolgt – „Zur Stärkung der Kopfhaut und gegenHaarausfall“ – von dem Haarwasser „Dada”.

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„Max Ernst – Leben und Zeit” - Serie vonDr. Jürgen Pech (Folge 21)

In den ersten Monaten des Jahres 1916 notierte Hugo Balldas Wort „Dada” in seinem Tagebuch und in einem Brief,bevor er es im Mai in der Anthologie „Cabaret Voltaire”erstmals öffentlich gebrauchte, um mit „Dada” den Titeleiner geplanten internationalen Zeitschrift anzukündigen.Wie der Kreis der Emigranten in Zürich, dem damalsneben Hugo Ball und Emmy Hennings auch weitereAusländer wie Hans Arp, Marcel Janco, Tristan Tzara undRichard Huelsenbeck angehörten, jedoch auf das kurze,zweisilbige Wort kam, wer es war und wer als Zeugebenannt werden kann, führt allerdings zu einer Vielzahlvon Schilderungen.

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Die Existenz des Begriffs „Dada” in verschiedenenSprachen, aber auch die damit einhergehendeBedeutungsvielfalt, die im Tagebuch „Die Flucht aus derZeit” von Hugo Ball mit der Passage „Dada heißt imRumänischen Ja, Ja, im Französischen Hotto- undSteckenpferd. Für Deutsche ist es Signum alberner Naivitätund zeugungsfroher Verbundenheit mit demKinderwagen.“ bereits anklingt, legt ein Wörterbuch alsFundort nahe. Richard Huelsenbeck, der Ende 1916 nachBerlin zurückgekehrt war, wo „Dada” eine politischeAusrichtung nahm, berichtet in seinem Buch „En avantdada. Die Geschichte des Dadaismus” von 1920: „Das WortDada wurde von Hugo Ball und mir zufällig in einemdeutsch-französischen Diktionär entdeckt, als wir einenNamen für Madame le Roy, die Sängerin unseres Cabarets,suchten.“

Aus Ursprung und Urheberschaft machten die Dadaistenin der Folgezeit ein inszeniertes, absurdes Spiel derLegendenbildung. So erschien in der Zeitschrift „Dada augrand air – Der Sängerkrieg in Tirol”, im September 1921während eines Dada-Treffens in Tarrenz bei Imstherausgegeben, folgende „Déclaration” von Hans Arp:„Ich erkläre, dass Tristan Tzara das Wort DADA am 8.Februar 1916 um 6 Uhr abends eingefallen ist; ich war mit

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meinen 12 Kindern dabei, als Tzara zum ersten Mal diesesWort aussprach, das in uns eine berechtigte Begeisterungauslöste. Dies ereignete sich im Café Terrasse zu Zürich,und ich trug gerade eine Brioche im linken Nasenloch. Ichbin überzeugt, dass dieses Wort gänzlich unbedeutend istund dass sich nur Schwachsinnige und spanischeProfessoren für nähere Angaben interessieren. Was unsinteressiert, ist die dadaistische Geisteshaltung, und wirwaren alle schon dada, bevor es dada gab. Die erstenHeiligen Jungfrauen, die ich gemalt habe, stammen ausdem Jahr 1886, als ich gerade einige Monate alt war undmich damit amüsierte, graphische Impressionen zu pissen.Die Moral der Idioten und ihren Glauben an Genies findeich zum Kotzen.“

Und in einem Artikel, den die „Neue Zürcher Zeitung”1966 anlässlich des 50-jährigen Dada-Jubiläumsveröffentlichte, wurde zur Namensfindung Tristan Tzaramit der folgenden Geschichte zitiert: „Dada …? Ich saß imCafé ,Wolf’ im Limmatquai und aß Nudelsuppe; das istvon eminenter Wichtigkeit. Denn in diesem Augenblickstürzte ein längst gesuchter Raubmörder in das Lokal undeilte zum hinteren Ausgang wieder hinaus, bevor die ihmknapp nachfolgende Polizei ihn sehen konnte. AlsAugenzeuge wollte ich – mit der einen Hand nach derhinteren Tür zeigend – die Fluchtrichtung weisen, doch

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vor Erregung konnte ich aus meinem noch mit Nudelnverstopften Mund nur das Wort ,Da-da, da-da’ lallen; dasgroße Wort war geboren.“

Handzettel, 6,7 x 11,5 cm, Köln, April 1920

Nachdem die Ausstellung „Dada-Vorfrühling” im Lichthofdes Brauhauses Winter in der Schildergasse 37 polizeilichgeschlossen worden war, warben die Kölner Dadaisten miteinem Plakat für die Wiedereröffnung. Zu diesem Anlasswurden dieser und ein weiterer Handzettel gedruckt.

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„Max Ernst – Leben und Zeit” Serie vonDr. Jürgen Pech (Folge 22)

Der Begriff „Dada” ist der Schwierigkeit synonym, ihn zudefinieren. Hans Arp, einer der geistigen Urheber undMitbegründer des Dadaismus, hat 1955 unter dem Titel„Dada-Sprüche” eine ganze Reihe vonBegriffsbestimmungen und Erklärungenzusammengestellt. Das Spektrum reicht von kurzen,poetischen Umschreibungen wie „Dada ist eine Rose, dieeine Rose im Knopfloch trägt” oder „Dada ist schön wiedie Nacht, die einen jungen Tag in ihren Armen wiegt” biszu längeren Ausführungen, die als Maxime seineabstrakten, biomorphen Werke begleiten und ihreParallelität zu Leben und Natur verdeutlichen:

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Handzettel, 6,7 x 11,5 cm, Köln, April 1920

Nachdem die Ausstellung „Dada-Vorfrühling” im Lichthofdes Brauhauses Winter in der Schildergasse 37 polizeilichgeschlossen worden war, warben die Kölner Dadaisten miteinem Plakat für die Wiedereröffnung. Zu diesem Anlasswurden dieser und ein weiterer Handzettel gedruckt (siehedie Oktober-Ausgabe); beide sind erst vor kurzem bekanntgeworden.

„Dada ist der Urgrund aller Kunst. Dada ist für den ,Ohne-Sinn’ der Kunst, was nicht Unsinn bedeutet. Dada ist ohneSinn wie die Natur. Dada ist für die Natur und gegen dieKunst. Dada ist unmittelbar wie die Natur und versuchtjedem Ding seinen wesentlichen Platz zu geben. Dada istmoralisch wie die Natur. Dada ist für den unbegrenztenSinn und die begrenzten Mittel. Das Leben ist für denDadaisten der Sinn der Kunst. Die Kunst kann die Mittelmissverstehen und statt begrenzter Mittel unendlicheMittel anwenden. Dann wird nur Leben, nur Naturvorgetäuscht, statt Leben erschaffen. Die akademischeMalerei beschreibt, gibt Illusionen statt Leben und Natur.

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Die akademische Malerei täuscht die Natur und das Lebenvor.“

Eine solche Absage an die traditionelle Vorgehensweiseder bildenden Kunst, aber auch Kritik an einen erstarrtenUmgang mit Vorbildern und Idealen drückt eine weitereCharakterisierung aus: „Der Dadaismus hat die schönenKünste überfallen. Er hat die Kunst für einen magischenStuhlgang erklärt, die Venus von Milo klistiert und,Laokoon & Söhnen’ nach tausendjährigem Ringkampf mitder Klapperschlange ermöglicht, endlich auszutreten. DerDadaismus hat das Bejahen und Verneinen bis zumNonsens geführt. Um Überheblichkeit und Anmaßung zuvernichten, war er destruktiv.“

Unterschwellige Selbstironie

Wortspielerisch ist eine weitere aphoristische Sentenzgehalten, die den Zufall, das Spontane als weitereMethoden der dadaistischen Befreiung anklingen lassen:„Dada hat Hände und Füße, die stets Dinge unternehmen,die weder Hand noch Fuß haben, hat Köpfe, die stets denKopf verlieren, und Häuschen, die stets aus dem Häuschengeraten.“

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Schließlich blendet Hans Arp in einem anderen seiner„Dada-Sprüche” unterschwellig Selbstironie ein, wenn erdie allumfassende Ausrichtung zu Beginn des Textes imVerlauf und zum Schluss hin selbst bricht: „Dada istAnfang und Ende, fängt mit dem Ende an, lässt alsdannden Anfang folgen und schließt nicht mit dem dickenMittelteil. Darum sieht Dada so gesund aus, ist gerechtund vorurteilslos in der Anwendung von großenSprüchen.“

Diese Sammlung stellt jedoch nur einen Ausschnitt ausden mannigfaltigen Dada-Definitionen dar, denn „Dada istmehr als Dada“ (Raoul Hausmann, 1921),„DaDaeindadaaus“ (Max Ernst, 1920) oder „Unser Kopf istrund, damit das Denken die Richtung wechseln kann.“(Francis Picabia, 1922).

Dr. Jürgen Pech

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„Max Ernst – Leben und Zeit” - Serie von Dr. Jürgen Pech (Folge 23)

Am 7. Oktober 1918, einen Monat vor Ende des Ersten Weltkrieges, heiratetenLuise Straus und Max Ernst in Köln. Die Kommilitonin aus der Bonner Studienzeithatte während der Kriegszeit als Kunsthistorikerin promoviert. Von Ostern 1915bis Ostern 1916 war sie für zwei Semester an der Berliner Universität und hattedanach in Bonn ihre Doktorarbeit über das Thema „Zur Entwicklung deszeichnerischen Stils in der Cölner Goldschmiedekunst des XII. Jahrhunderts”beendet.

In ihrer Autobiographie „Nomadengut” erinnerte sie sich: „Unsere Hochzeit wargarnicht schön. Nach der Trauung am Standesamt der Familienempfang, bei demzwei Welten sich peinlich berührten. Großmama überlegte ernstlich, ob sie einemunserer Freunde, einen jungen tschechischen Pianisten, die Hand geben sollte,weil er zu dieser feierlichen Gelegenheit in einem dunkelblauen Hemd erschienenwar. Wahrscheinlich besaß er kein anderes. Und Wieland Herzfelde, der sich aufgeheimnisvolle Weise zu Simulationszwecken eine Bartflechte angeschafft hatte,wirkte auch nicht eben sehr appetitlich mit seinem stoppligen Kindergesicht undeiner ziemlich zerfetzten Uniform.

Dafür trug Martin [der Deckname von Max Ernst in ihrer während des ZweitenWeltkrieges verfassten Biographie] eine funkelnagelneue Leutnantsuniform, derenKragen ihm viel zu eng war. Und mein blauseidenes Kleid mit weißer Stickereiwar zwar sehr hübsch, aber leider hatte ich keine passenden Schuhe bekommenkönnen. Man brauchte damals für alle Anschaffungen Bezugsscheine. Unmöglich,etwas so Luxuriöses wie ein Paar Atlasschuhe aufzutreiben! Also hatte Wielandmir ein Paar gelbseidener Karnevalsschuhe mit schwarzem Samt überzogen. Daswirkte ganz würdig. Aber er war eben doch kein richtiger Schuster, und so pickten

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viele kleine Nägel mich den ganzen festlichen Tag hindurch in die Sohlen. Damitdie Hochzeit auch ohne kirchlichen Segen ein bisschen feierlich wäre, spieltenFreundinnen und mein Bruder einen Satz aus einem Beethovenquartett, den ichsehr liebte.“

Anschließend wurde ihr – so ihre Aufzeichnungen – ein Myrthenkränzchen insHaar gesteckt, begleitet von einem feierlichen Gedicht. Dabei dürfte es sich umdie „Hymne” von Johannes Theodor Kuhlemann gehandelt haben. Mit einemHinweis auf die Hochzeit der Freunde wurde sie Ende des Jahres in seinem Band„Consolamini” veröffentlicht, für den Max Ernst fünf Tuschezeichnungenbeisteuerte. Die „Hymne”, im expressionistischen Duktus gehalten, endet mit denZeilen: „Denn euch rollt dieser Himmel im Tanz mit allen Gezeiten über die Erdehinaus, die mich in Dämmerung hält. Aber ich kann in euch die Welt der Jubelerfahren, wenn euer Engel mir sagt, was er euch Hohes getan, wenn aus meinemMunde des euren liebende Stimme unsere Worte verströmt, unsere Lebenverbürgt.“

Den hehren Worten zum Trotz war der Tag der Heirat mehr als ernüchternd. Inihren Erinnerungen fuhr Luise Straus fort: „Die Nägel in meinen Brautschuhenpickten unentwegt. Und das Gesicht von Martin wurde immer röter, waskeineswegs von dem zu engen Uniformkragen kam, sondern weil er Fieber hatteund sich anstatt mit mir abzureisen, schon am Nachmittag ins Bett legen musste,in einem Zimmer, das für diesen Zweck garnicht vorbereitet war und mit leerenFlaschen, Körben und anderen Kehrseiten des Festes angefüllt war.“

Der Architekt und Maler Hans Hansen, Max Ernst mit seiner Frau LuiseStraus-Ernst, ihr Bruder Richard Straus und Alfred Ferdinand Gruenwald, der sichkurze Zeit später den Dada-Namen Johannes Theodor Baargeld zulegte. Köln,

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um 1919

Fotografie, 9,6 x 14,6 cm, Stiftung Max Ernst, Dauerleihgabe im Max ErnstMuseum Brühl, ein Museum des LVR

 

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„Max Ernst – Leben und Zeit” Serie vonDr. Jürgen Pech (Folge 24)

Nach der Kriegstrauung am 7. Oktober 1918 führte dieHochzeitsreise Luise Straus und Max Ernst nach Berlin.Beide kannten die Stadt, die noch kurze Zeit Hauptstadtdes Deutschen Kaiserreiches war. Luise Straus hatte hierein Jahr lang von Ostern 1915 bis Ostern 1916 studiert undim Januar 1916 fand hier die erste Einzelausstellung vonMax Ernst in der Galerie „Der Sturm” von HerwarthWalden statt.

In ihren autobiographischen Aufzeichnungen„Nomadengut” schrieb die promovierte Kunsthistorikerinrückblickend: „Zwei Tage später reisten wir dann doch ab

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und konnten uns in Berlin zunächst nicht an unsernZustand gewöhnen. Nach vier Jahren Illegitimität fuhrenwir jedes Mal zusammen, wenn wir von Bekannten,gesehen’ wurden, was nun doch wirklich nichts mehrschadete.“ Am 14. Oktober war das junge Ehepaar bei demGaleristen Herwarth Walden zu Besuch und trug sich indessen Gästebuch ein. Nach Köln zurückgekehrt mietetenbeide im Kaiser-Wilhelm-Ring 14 eine Wohnung, über dieLuise Straus berichtete: „Ende November als der Krieg auswar, zogen wir in eine kleine, altmodische Wohnung imObergeschoss eines viel zu vornehmen Hauses an derRingstraße in Köln. Die ersten Monate dieser Ehevergingen wie im Traum, eigentlich kein schöner, verwirrt,unruhig, schmerzlich. … Die politischen Umwälzungen…die Heimkehr aller Freunde… vor allem Krankheit undTod meiner Mutter… Das waren Ereignisse, die keinruhiges Eingewöhnen in ein neues Leben erlaubten. Ichlebte zwischen dem Krankenzimmer meiner Mutter undunseren fast ständig mit plaudernden und diskutierendenMännern gefüllten beiden Wohnräumen. Die günstigeLage unsere Wohnung, vermutlich auch unsere Personen,hatten uns ganz von selbst zum Mittelpunkt dieses Kreisesjunger Künstler und Kunstfreunde gemacht, die nun inendlosen Gesprächen eine neue Welt aufzubauen dachten,dabei zahllose Cigaretten rauchten und unentwegt Tee

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tranken. Ein Glück, dass wir 24 Tassen hatten. Sie warenalle ständig ,in Betrieb’. Wir gingen viel aus, standen ander Spitze eines jener Bünde, die damals wie Pilzehervorschossen, mit Vorträgen, Konzerten,Versammlungen, vor allem aber vielen großen Ideen undkleinen Skandalen.“

Eine Fotografie aus dieser Zeit zeigt Max Ernst –angespannt und selbstbewusst – mit Pinsel und Palette,den Insignien des Künstlers, stehend von einemKanonenofen und zwischen einer bemalten Kommode undeinem Bücherschrank, dessen unteres Holzpaneel erebenfalls farbig gestaltet hatte.

Kunst sollte Bürger erschrecken

Die Kölner Künstlerin Marta Hegemann, die während desErsten Weltkrieges am 27. März 1918 den Maler AntonRäderscheidt geheiratet hatte, lieferte knapp fünfJahrzehnte später in ihren Erinnerungen eine weitereBeschreibung der Wohnung und der Atmosphäre:

„Noch wohnte Max Ernst auf dem Kaiser-Wilhelm-Ringmit Lou und Jimmy. Er war für uns so etwas wie der großeBruder. Er genoß Ansehen. Meist hatte er ein leichtes,

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etwas belustigtes Lächeln. Als wir ihn zuerst besuchten,war ich enttäuscht über die Behausung. Primitive, buntgeleimte Figurinen schon im Treppenhaus. Es roch nachLeim und Leimfarbe. Das Atelier, ein Raum etwa 4 x 4 m,Fenster zum Ring, Arbeitstisch davor. Links großerbemalter Holzschrank. Max Ernst erwartete eineAbordnung der Gewerkschaft. Diese Leute warenkonsterniert vom Anblick der Holzgötzen, und ich begriffnicht die Selbstsicherheit, mit welcher der Maler über dieAbgründe hinweg mit ihnen ein ernstes Männergesprächführen konnte. Daß diese Arbeiter so gläubig waren. Weildiese Kunst den Bürger erschrecken sollte. Und wie sie dastat, das sah ich im Brauhaus Winter. Nebenan ging es inein kleines altmodisches Mahagonie Wohnzimmer. Aufdem Sofa saß Lou und säugte Jimmy.“

Dr. Jürgen Pech

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"Max Ernst - Leben und Zeit" - Serie vonDr. Jürgen Pech

Einen Monat nach dem Abitur immatrikuliert sich MaxErnst am 20. April 1910 an der nahen Universität in Bonn,um Philologie zu studieren. Bis zum Ausbruch desErsten Weltkrieges belegt er neben Germanistik,Romanistik, Philosophie, Psychologie und Psychiatrieauch Veranstaltungen in Kunstgeschichte, die schon baldgegenüber dem philologischen Studium dominieren.Während dieser Zeit veröffentlicht er seine kritische undironische Einstellung gegenüber Ruhm und Verehrung,die bereits in den Karikaturen der Abiturzeitung zumAusdruck gekommen ist, vor einem größeren Publikum. Seit 1906 erscheint neben der großen Bonner Tageszeitung"General-Anzeiger" die Wochenzeitung "Volksmund",deren gesellschaftliche Haltung mit dem Untertitel "UnserWahlspruch: Gleiches Recht für Alle!" erläutert wird.Schon Ende des Jahres erhöht sich die Erscheinungsweisemit Ausgaben am Samstag und am Mittwoch. Währendder "General-Anzeiger" mit 34.000 Exemplaren die großeZeitung der wohlsituierten und kaisertreuenUniversitätsstadt bleibt, erreicht der"Volksmund", der inder Nordstadt von Bonn in der Breite Straße gedruckt

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wird, immerhin eine Gesamtauflage von 5.000 Exemplaren.Nach dem Tod von Josef Kroth, dem Gründer undbisherigen Leiter der Bonner Zeitung "Volksmund",kündigt die Redaktion ab Anfang Oktober 1912 neueMitarbeiter und kritische Betrachtungen an, um "seineLeser über die bedeutenderen Erscheinungen aufkünstlerischem und wissenschaftlichem Gebiet infachmännischer Weise zu unterrichten." Max Ernst, der zu diesen neuen Mitarbeitern gehört,bezieht in seinen ersten drei Beiträgen gegen den Kritikerdes "General-Anzeigers" Position und gibt schließlich inseinem Artikel vom November 1912 mit Vehemenz undIronie folgende Anregung: "Wenn man den Ausdruck,eigener Weg' in einer Kritik liest, so ist dies so zuverstehen: jungen Künstlern wird der Weg mühsam undschwer gemacht durch die Schimpfereien, dieGehässigkeiten des nichtverstehenden Publikums. (Dasschlimmste Publikum sind immer die Kritiker). Ist derKünstler alt geworden und hat er das Publikum durchseine Ehrlichkeit und Konsequenz von dem Wert seinerKunst überzeugt (es besiegt), so konstatiert es vergnügt,daß der Künstler seinen eigenen Weg ging. (Bekanntlichfeiert man in diesem Jahr die Geburtstage so vielerfünfzigjähriger Dichter, ich mache den Vorschlag, in

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Zukunft die Geburtstage der 25jährigen Künstler zufeiern)." Anspielungsreich verknüpft Max Ernst den fünfzigstenGeburtstag von Gerhart Hauptmann, der kurz zuvorgefeiert worden war, mit seiner Bloßstellungoberflächlicher Kunstrezeption. Auch die naturalistischenund spätimpressionistischen Bonner Künstler bleiben nichtverschont. Ebenfalls im November 1912 werden diefolgenden Sätze veröffentlicht: "Im Obernier-Museum gibtsjetzt eine Ausstellung Bonner ,Künstler'. Es ist keineinziges Kunstwerk da. Wenigstens keine einzige Sache,welche die Kunst um ein Haar weiterbringen könnte. Ist jaauch nicht nötig. Aber überflüssig ist es schon, daß solcheHerdenkünstler jedesmal, wenn eine junge Richtung altgeworden ist (das ist sie immer, wenn ein Jüngeres desJungen Feind geworden ist), daß solche Herdenkünstlerdas, was andere in ehrlichem Kampf durchgesetzt haben,aus Bequemlichkeit übernehmen oder es systematisch(manchmal geschäftsmäßig) ausbeuten. Sie sind dieschlimmsten Feinde der Kunst. Sie sind gemeingefährlichvom Standpunkt des Fortschritts aus." Dr. Jürgen Pech

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„Max Ernst – Leben und Zeit” Serie von Dr. Jürgen Pech (Folge 29)

Um nach dem Ersten Weltkrieg die Not der Kölner Künstler zu lindern, hatte StadtbauinspektorVerbeek angeregt, zur Unterstützung Aufträge der Stadt Köln zu vergeben.

Die Stadtverordnetenversammlung griff diesen Vorschlag auf, bewilligte im Februar 1919 fürdiesen Zweck 200.000 Mark und bildete für die Vergabe einen Hauptausschuß, der in vierUnterausschüsse für die Architekten, Maler, Kunstgewerbler und Bildhauer gegliedert wurde.Am 6. Mai 1919 lud die Stadtverwaltung zu einer Wahlversammlung in den Isabellensaal desGürzenich ein, um die Unterausschüsse durch Vertrauenspersonen aus den betreffendenKünstlergruppen zu ergänzen. In Vertretung des Dezernenten Dr. Albermann leitete BauratBolte die Versammlung, konnte jedoch aufgrund des starken Widerstandes keine Wahldurchführen. Wortführer war der Maler Peter Abelen, der die allgemeine Unzufriedenheit überdie Zusammensetzung des Hauptausschusses zum Ausdruck brachte.

Eine Woche später veröffentliche die „Rheinische Zeitung” ein Schreiben des Malers, in dem esheißt: „Wir wiederholen deshalb die mehrmals bei der Stadt gestellte Forderung, eineKommission zu bilden, die zur Hälfte aus Künstlern, zur Hälfte aus Verwaltungsbeamten undPressevertretern besteht. Als Vorsitzenden halten wir eine neutrale Person für geeignet, die zugleicher Zeit die Bürgerschaft und die Stadtverwaltung vertritt und den Künstlern Kollegialitätzeigt, vielleicht in der Person eines Museumsdirektors.” Die Position wurde von dem KünstlerHeinrich Hoerle geteilt, dessen Zuschrift am folgenden Tag, am 14. Mai, in derselben Zeitungerschien und weitere Details vermerkte: „Dieser Ausschuß, der erst auf das wiederholteDrängen einiger Künstler bekanntgegeben wurde, setzt sich aus dreizehn Personenzusammen. Darin sind zehn städtische Angestellte, ein Kommerzienrat, ein Fabrikant und einfreier Künstler. Der Vorsitzende der Kommission, Herr Beigeordneter Albermann,Kunstdezernent der Stadt Köln, hat sehr wenig Zeit, sich mit Kunstfragen zu befassen, da insein Dezernat auch Steuern, Schlachthof, Jagdscheine, Spiel, Sport und Müllabfuhr gehören.“

Auch die zweite, für den 19. Mai einberufene Versammlung führte zu keiner Einigung; die Malerund Kunstgewerbler lehnten eine Wahl ihrer Vertreter in einen Unterausschuß ab. Stattdessengründeten sie an diesem Montagabend im Isa–bellensaal die „Arbeitsgemeinschaft KölnerKünstler”, die auch ABK – „Arbeitsgemeinschaft bildender Künstler Kölns” – genannt wurde. AlsVorsitzender wurde Dr. Fritz Witte, der Direktor des Kunstgewerbemuseums, gewählt und alsAdresse diente ein Büro im Deichmannhaus, gegenüber dem Hauptbahnhof gelegen. Am 5.Juni konnte der „Kölner Stadt-Anzeiger” in einem Artikel über die Arbeitsgemeinschaft mitteilen,„daß die Stadt sich mit den letzten Vorschlägen für die Wahl der Kommission zur Verwaltungder 200.000 Mark einverstanden erklärt habe. Dann beschloß man durch Stimmenmehrheit,140.000 Mark sofort zu verteilen, soweit diese Summe noch nicht verwandt wurde. Die übrigen60.000 Mark sollen für Aufträge und Ausstellungszwecke zurückgelegt werden.“ Mit den Mitteln,die Max Ernst aus der Rücklage erhielt, entstand Ende 1919 die Mappe „FIAT MODES pereatars”. Das Titelschild nennt die ABK als Verlag. Und eine Anzeige, die im folgenden Jahr in derKölner Dada-Zeitschrift „die schammade” erschien, wies spöttisch auf die Finanzierung hin: „…die Blätter wurden im Auftrag der Stadt Köln gezeichnet. Es ist dies der erste uns bekannte Fall,

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in dem eine Stadtverwaltung als Auftraggeberin eines dadaistischen Kunstwerks dasteht. Kölnmarschiert demnach.“

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„Max Ernst – Leben und Zeit” - Serie von Dr. Jürgen Pech (Folge 30)

Nachdem Max Ernst am 28. Mai 1919 durch die Ausstellung der Künstlergemeinschaft „DerStrom” im Kölnischen Kunstverein geführt hatte, reiste er mit seiner Frau und Dr. LuiseStraus-Ernst zum Bergsteigen an den Königsee. Dr. Luise Straus-Ernst leitete damals alswissenschaftliche Ange- stellte das Wallraf-Richartz-Museum, dessen Direktor Dr. JosephPoppelreuter im Januar gestorben war.

Den Urlaub verbrachten sie zusammen mit Alfred Ferdinand Gruenwald, der sich während derEnde des Jahres beginnenden Dada-Aktivitäten „Baargeld” nannte, ein begeisterter Bergsteigerwar und acht Jahre später, im August 1927, im Montblancgebiet der französischen Alpen tödlichverunglückte. Ihre Rückfahrt aus dem Berchtesgadener Land nach Köln unterbrachen sie inMünchen. Für einige Tage im September stand sowohl die aktuelle als auch die alte Kunst aufdem Programm. Max Ernst besuchte den zwölf Jahre älteren Künstler Paul Klee und nahm füreine geplante, aber nicht realisierte Ausstellung mehrere Aquarelle und Zeichnungen mit, die2006 für Dr. Achim Sommer Ausgangspunkt seiner ersten Ausstellung im Max Ernst Museumwaren. Und bis Ende September wurde in der Alten Pinakothek der Isenheimer Altar vonGrünewald gezeigt, worauf der Kunsthistoriker Dr. Ludger Derenthal, Mitglied im Beirat der MaxErnst Gesellschaft, 2002 hingewiesen hatte.

Hans-Ulrich Ernst, genannt Jimmy und neun Monate nach dem Sommerurlaub sowie derMünchner Stippvisite am 24. Juni 1920 in Köln geboren, schrieb in seinen Erinnerungen überspätere Reisen mit seiner Mutter: „Lou nahm mich mehrmals mit zum Isenheimer Altar vonMatthias Grünewald in Colmar und las mir vor, was Dichter und Schriftsteller über diesesMeisterwerk geschrieben hatten.“

Max Ernst schätzte Grünewald

Und auch Max Ernst schätzte Zeit seines Lebens den Maler Mathis Neithart Gothart, genanntGrünewald. Bereits 1913 hatte er in seiner „Kreuzigung”, die heute im Museum Ludwig hängt,die expressive Gestik der Hände vom Isenheimer Altar übernommen, sowohl die äußerstenSchmerz ausdrückenden Finger des gekreuzigten Christus als auch die im flehenden Gebetausgestreckten Hände der knienden Maria Magdalena. Im August 1917 veröffentlichte MaxErnst in der Zeitschrift „Der Sturm” seinen programmatischen Text „Vom Werden der Farbe”. Imexpressionistischen Sprachstil formulierte er hier eine Genesis der Farben, in deren Verlauf erauch die Kreuzigungs- sowie die Auferstehungs-Tafel des Isenheimer Altars anspielt undassoziieren lässt: „Ein furchtbarer Farbblitz entfuhr dem Grabe Jesu Christi. Geist Grünewaldswar auferstanden, wetterleuchtet Mittelalter letzten großen Tod.“

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„Max Ernst – Leben und Zeit” - Serie von Dr. Jürgen Pech (Folge 30)

Ein Vierteljahrhundert später nahm Max Ernst den Künstler in die typographisch gestalteteEhrentafel seiner Lieblingsdichter und -maler auf, die während des Zweiten Weltkriegs im April1942 unter der Überschrift „Max Ernst’s Favorite Poets [and] Painters of the Past” in der MaxErnst-Sondernummer der amerikanischen Zeitschrift „View” abgedruckt wurde. Und Anfang1970, anlässlich seiner von Uwe M. Schneede realisierten Retrospektive im WürttembergischenKunstverein in Stuttgart, äußerte sich der fast 80-jährige Künstler im Gespräch mit demSpiegel-Redakteur Jürgen Hohmeyer und mit spöttischen Seitenhieb auf die damals moderneKunst: „In der deutschen Malerei gab es natürlich auch Genies: Grünewald und Altdorfer. Aberin der neuen deutschen Malerei finde ich kein Genie, es tut mir leid.“

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"Max Ernst - Leben und Zeit" - Serie vonDr. Jürgen Pech

"Arp lernte ich 1914 in Köln kennen, in der KunstgalerieFeldmann, wo Werke von Cézanne, Derain, Braque,Picasso und anderen Malern der ,École de Paris' ausgestelltwurden. Ich bemerkte einen Mann in meinem Alter,dessen schönes, geistvolles Gesicht und dessen höflicheManieren merkwürdig mit der Art Novität kontrastierten,der er sich hingab. Er bemühte sich ernsthaft, mit derSanftmut eines Franziskaners und der Fähigkeit einesVoltaires, einem alten Dummkopf die Schönheiten dermodernen Malerei zu erklären. Nachdem der alteSchwachkopf so getan hatte, als ließe er sich überzeugen,schäumte er vor Wut, als er einige Zeichnungen von Arpsah. Schreiend und wild gestikulierend erklärte er, dass er72 Jahre alt sei und sein ganzes Leben sowie seine ganzenAnstrengungen der Malerei gewidmet habe, und wenn dasnun das Resultat all seiner Bemühungen sei, wäre es besser… Seelenruhig legte ihm Arp nahe, es wäre besser, wenner (der Schwachkopf) zum Himmel führe. Wir vernahmennoch einige Schreie des Alten, die sich - Verwünschungenausstoßend - immer weiter entfernten. Als die Ruhe wiederhergestellt war, nahmen Arp und ich uns an der Hand undschlossen einen Freundschaftspakt."

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Erster Deutscher Herbstsalon Der ,Rheinische Kunstsalon' hatte im Februar 1912 seinePforten am Kölner Hansaring 20 geöffnet und präsentierteneben den Künstlern der ,École de Paris' im Oktober 1912auch Werke der italienischen Futuristen. Der Galerist OttoFeldmann betätigte sich gleichzeitig als Künstler - sowaren im Sommer 1913 vier Arbeiten von ihm auf derlegendären Gruppenausstellung ,RheinischerExpressionisten' in Bonn zu sehen. Hans Arp besuchte1914 Köln, weil sein Vater hier eine Wohnung in derÖlbergstraße 62 genommen hatte. In Jahr zuvor war dieFamilie Arp nach Zürich übergesiedelt, nachdem sie siebenJahre zuvor in Weggis bei Luzern gelebt hatte. Den Umzugnutzte Hans Arp, um nach Berlin zu gehen und einigeMonate in der Galerie ,Der Sturm' von Herwarth Waldenzu arbeiten. Im Mai 1913 veröffentlichte die Zeitschrift ,DerSturm' fünf Zeichnungen von ihm, im Oktober folgtenzwei weitere Zeichnungen und im Dezember dasProsagedicht ,Von der letzten Malerei'. Wie Max Ernst warHans Arp auch an der großen Gruppenausstellung ,ErsterDeutscher Herbstsalon' beteiligt; der Katalog verzeichnetvier ,Akte' und bildet eine Zeichnung ab.

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Arp setzt sich nach Frankreich ab Den Ausbruch des Ersten Weltkrieges verknüpfte MaxErnst in seinen ,Rheinischen Erinnerungen' mit derfolgenden Schilderung: "Eines Tages schien Arp ernster alsgewöhnlich; er sagte, er müsse fort. Der Krieg drohte. DieAtmosphäre in Deutschland wurde unerträglich, und baldsollten wir die Gewissheit haben, dass die nahendeKatastrophe unsere Jugend, unsere Freuden, alles was wirliebten, in den Abgrund reißen würde. So habe ich spätervon meinen Jugendfreunden auch nur wenige wiedergesehen. Arp, der aus dem Elsaß stammte, besaß dieGeistesgegenwart, den letzten Zug nach Paris zu nehmenund dadurch der Mobilisierung zu entgehen. Ich habelange bereut, seinem Beispiel nicht gefolgt zu sein, wie eres mir noch nahe gelegt hatte. Später hieß es, sein Zughabe die Grenze gerade noch passieren können, bevor mansie schloss, angeblich genau in dem Moment, als derWaggon darüber fuhr, in dem Arp sich befand. Daherdieser Dualismus in einer einzigen Person."

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„Max Ernst – Leben und Zeit” - Serie vonDr. Jürgen Pech

Über die Kriegszeit von Max Ernst notierte Vater PhilippErnst in seinem Familienbuch: „Noch vor Abschluß seineswissenschaftlichen Studiums brach am 1. August 1914 derWeltkrieg aus. Schon bald, am 24. August, traten Max undsein Bruder Karl, der im 1. Semester in Bonn Medizinstudierte, als Kriegsfreiwillige beim Rhein.-Feldartillerie-Regt. Nr. 23 in Köln ein. Nach kurzer Ausbildung kam Max im Januar 1915 zurWestfront, wo er in den vier Kriegsjahren an vielenschweren Kämpfen teilnahm und mit dem E.K.II. und I.ausgezeichnet und zum Leutnant d. Res. befördert wurde.Abgesehen von einigen kleinen Unfällen ist Max, GottDank, vor Verwundungen bewahrt geblieben, sodaß er imNovember 1918 heil und gesund in die Heimatzurückkehren konnte.“

Über das erwähnte Regiment erschien zehn Jahre nachKriegsende eine Veröffentlichung, die Schilderungen vonden Kampfhandlungen und Karten der jeweiligenTruppenstellungen enthält. Das 2. Rheinische

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Feldartillerie-Regiment Nr. 23 gehörte zur 16.Infanteriedivision und war in Koblenz stationiert. Als Teildes VIII. Armeekorps hatte es nach Kriegsausbruch dieAufgabe, „den ersten Schutz des Westgrenze zuübernehmen und einen ruhigen, vom Feinde ungestörtenVerlauf der Mobilmachung zu sichern.“ – so EugenTaischik, der Herausgeber der Dokumentation. Am 18.August 1914 begann die Offensive, es folgten Schlachtenan der Maas und an der Marne sowie ab September 1914Stellungskämpfe in der Champagne.

„Die Erde bebte von Explosionen” Max Ernst wurde nach seiner Ausbildung in den

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fortwährenden Kämpfen um Perthes eingesetzt, wo sichdie Fronten über die Monate hin kaum verschoben.Oberleutnant a. D. Helmuth Wohlthat, von dem Max Ernst1916 ein Porträt anfertigte und der als Autor an derRegimentsgeschichte von 1929 beteiligt war, beschriebeinen der Kämpfe, die hier stattfanden: „Die dreihervortretenden Punkte Arbrehöhe, Franzosengraben undHochstand wurden von Rauch, Qualm und Feuer wieausbrechende Vulkane verschlungen. Die Erde bebte vonExplosionen, und das Dröhnen der Luft übertönte dieKommandos. Das Gesichtsfeld verschwand im Rauch, dender Westwind vorübertrieb. Als ein blinder, weißer Fleckerschien die Sonne an dem graubedeckten Himmel. Inunseren Batterien arbeiteten alle Mann an den Geschützen.Wir steigerten unsere Feuerkraft bis zum äußersten.Unsichtbar tobte der Kampf hinter den Rauchwänden, indie wir unser Schnellfeuer jagten.“ Am 9. März 1915wurden die Abteilungen des Regiments abgelöst undbezogen in der weiteren Umgebung von Vouziers ihreRuhequartiere. Aus diesen ersten drei Monaten an der Front sind mehrereBriefe und Postkarten von Max Ernst erhalten. Der ersteFeldpostbrief ist auf den 22. Januar 1915 datiert undbefindet sich im Familienbuch von Philipp Ernst: „Liebe

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Eltern u. Geschwister. Nach e. langen Bahnfahrt überLuxembg, Sédan nach Mauré (bei Rethel) haben wir in e.Scheune ein verhältnismäßig blendendes Nachtquartiergefunden. Von den Kriegsgreueln bekommt man einekleine Vorstellung, wenn man die Schlachtfelder vonSédan sieht. Zerschossene Häuser, Dörfer, Kirchhöfe,gesprengte Eisenbahnbrücken, die aber von den Pionierendurch neue ersetzt sind, die halbfertige Ernte vom vorigenJahr, Pferdeleichen usw. Die Kanonen, ob unsere od. diefranzösischen, hörten wir den ganzen Nachmittag bis zumAbend. Morgen früh marschieren wir zur Batterie ab.Dann kann ich Euch auch meine genaue Adresse angeben.Außer meiner leidigen Erkältung fühle ich mich wohlauf u.voll Zuversicht. Herzl. Grüße u. Küsse Euer Max“

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"Max Ernst - Leben und Zeit" - Serie vonDr. Jürgen Pech

Die einzelnen Abteilungen desFeldartillerie-Regiments Nr. 23bezogen ab dem 9. März 1915 in derweiteren Umgebung von Vouziersihre Ruhequartiere, etwa 30Kilometer von den Kampfgebietenum Perthes entfernt. Die 2. Batterieder 1. Abteilung, zu der Max Ernstgehörte, kam zuerst in dem OrtSémide unter. Am 14. März 1915schrieb Max Ernst an seineSchwester: "Liebe Loni, von Semideaus sende ich Dir viele Grüße. Auch

hier bleiben wir nicht lange, gleich fahren wir weiter in einanderes Dorf Coroy. Dort sollen wir bessere Quartierebekommen. Die große Schlacht in der Champagne ist jetzt,nachdem wir abgelöst sind, beendet. (…)"

Max Ernst mit Kriegsverletzungen,Cauroy, März 1915

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„Max Ernst – Leben und Zeit” - Serie vonDr. Jürgen Pech

Von Juli bis Anfang November 1915 wurde dasFeldartillerie-Regiment Nr. 23 südlich vor Soissonseingesetzt; danach erfolgte die Verlegung auf die zwanzigKilometer entfernte, nordwestlich gelegene Hochflächevon Nouvron, wo die einzelnen Abteilungen der 16.Infanterie-Division fast ein Jahr lang bis zum Oktober 1916stationiert blieben. Gegenüber den Stellungen vor Soissonswurde der Artillerie- und Minenkrieg in diesem Bereichder Front stärker und seit längerem sehr lebhaft geführt, sodass die Grabenanlagen zum großen Teil in Betonausgebaut waren.

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Nach dem Ersten Weltkrieg gründeten Kölner Intellektuelle, Schriftsteller undKünstler einen Interessenverband, der den Namen „Gesellschaft der Künste”erhielt. Bereits Anfang 1919 war in einer Notiz im „Kölner Stadt-Anzeiger” zulesen: „Die Gesellschaft teilt mit, daß auch Nichtkünstler als Mitgliederwillkommen sind. – Die kunstpolitischen Forderungen der Gesellschaft erhaltenstärkeren Nachdruck dadurch, daß der Arbeitsrat für Kunst in Berlin sich mit ihneneinverstanden erklärt hat und mit allen Mitteln für ihre Durchführung eintretenwird. Er hat die Gesellschaft der Künste beauftragt, in seinem Sinne als „GruppeRheinland” des Arbeitsrats für Kunst von Köln aus tätig zu sein. Mit anderenKunstvereinigungen in den großen Städten Deutschlands ist eine Verständigungzu gemeinsamer Arbeit in die Wege geleitet. Näheres über die Ziele derGesellschaft durch das Bureau, Kaiser-Wilhelm-Ring 14.“

 

Mit derselben Adresse von Luise Straus und Max Ernst wurde auch dasProgramm der Vereinigung in der ersten Nummer der Zeitschrift „Der Strom”veröffentlicht. Die einleitenden Worte lauten: „Die Gesellschaft der Künste in Kölnwill der Kunst ihre sozial-ethische Macht, der Gemeinschaft der Menschen ihreRechte auf die Kunst als den sichtbar gewordenen Ausdruck des Volkswillenswiedergeben. Sie erstrebt Verbindung aller Kunstwilligen zu gemeinsamer Arbeitan der Durchführung eines radikalen kunstpolitischen Programms, dessen Zieleheißen: lebendige Gemeinschaft der Kunstmacht mit dem Volke; künstlerischeFreiheit der Schaffenden.“

Sowohl die Zeitschrift „Der Strom” als auch der Gedichtband „Consolamini” von

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„Max Ernst – Leben und Zeit” Serie von Dr. Jürgen Pech (Folge 25)

Johannes Theodor Kuhlemann, der zur Jahreswende erschienen war und dieHymne enthielt, die der expressionistische Dichter auf der Hochzeit von LuiseStraus und Max Ernst gesprochen hatte, wurden im Kairos-Verlag veröffentlicht.Das griechische Wort bezeichnet den schöpferischen Augenblick, die Schicksals-oder Sternstunde. Der spätere Kunsthändler Karl Nierendorf warb in einerAnzeige für seinen Verlag: „Der Kairos-Verlag, Köln-Ehrenfeld, stellt sich in denDienst des geistigen Wiederaufbaus. Er ist der erste rheinische Verlag, der essich zur Aufgabe setzt, die kulturellen und künstlerischen Bestrebungen, die durchden Krieg so unheilvoll in ihrer Entfaltung gehemmt wurden, zu fördern und so ander Neugestaltung der Gesamtkultur tätigen Anteil zu nehmen. Allen starken,selbständigen Wesensäußerungen des erkennenden, des schöpferischen, desgütigen Menschen soll der Weg zu lebendiger Wirksamkeit geschaffen werden.“

Die utopischen Vorstellungen von einer neuen Menschengemeinschaft und dievon der „Gesellschaft der Künste” geforderte Demokratisierung des Kunstbetriebsentsprachen den Zielen, die auch der „Arbeitsrat für Kunst” vertrat, der sich nachder Novemberrevolution in Berlin gebildet hatte. In einen Brief an JohnSchikowski, Gründungsmitglied der Berliner Gruppe und Feuilletonredakteur dernozialdemokratischen Zeitung „Vorwärts”, distanzierte sich Max Ernst am 7.Januar 1919 vom expressionistischen Sturm-Kreis um Herwarth Walden: „Ausbeiliegendem Programm der ,Gesellschaft der Künste’ ersehen Sie, daß ich miteiner Organisation nicht einverstanden bin, welche sich wieder an das Bürgertumwendet (was unter Waldens Leitung von vornherein feststünde). Die ,Gesellschaftder Künste’ richtet sich ausschließlich an das Proletariat. Wir arbeiten inGemeinschaft mit den Gewerkschaften u. den sozialistischenParteiorganisationen.“

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Der Stab des Feldartillerie-Regiments Nr. 23 war hier inder Mont du Croq Ferme untergebracht. Max Ernst, derinzwischen von der 2. Batterie der 1. Abteilung zum Stabdes Regimentskommandeurs Oberstleutnant Graßhoffabkommandiert war, sandte von diesem Bauernhof eineFotopostkarte an die Familie: „Diese schöneWinterlandschaft ist die Kroekbergferme. Zwischen demschlanken Giebel links und dem stumpfen Turm in derMitte seht Ihr ein schräges Dach. Unter diesem führe ichKrieg. Das Haus auf halber Höhe ist die Funkerstation.Links die romantische Felsgrotte ist der Eingang zu einemtiefen unterirdischen Labyrinth, unserer Tapferkeitshöhlefür den Fall einer Beschießung. Dort kann uns keiner nich.Herzl. Grüße u. Küsse Euer Max“

Hier fand Max Ernst wieder genügend Zeit zum Malenund Lesen. Zwei erhaltene Briefe an Herwarth Waldendokumentieren die Vorbereitungen zu einer Ausstellung indessen Galerie „Der Sturm” in Berlin. Bereits 1913 hatteder Galerist Werke der Bonner „Ausstellung rheinischerExpressionisten” übernommen – darunter zwei Gemäldevon Max Ernst – und in seine große Gruppenausstellung„Erster Deutscher Herbstsalon” integriert. In die geplanteEinzelausstellung des Künstlers wollte Walden auchweitere ältere Arbeiten aufnehmen, die im Mai 1914 in der

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Düsseldorfer Galerie Alfred Flechtheim und anschließendin der Neuen Galerie von Otto Feldmann in Berlin gezeigtworden waren. Am 9. Dezember 1915 schrieb Max Ernstvon der Mont du Crocq Ferme an Walden: „[…] Die Bilderwelche bei Feldmann waren, sind für die Ausstellung nichtmehr zu bekommen. Sie werden von einer DüsseldorferFirma unter dem Vorwand zurückbehalten, daß die Bilderan den einzelnen Künstler nur dann herausgegebenwürden, wenn dieser die Transportkosten für die ganzeAusstellung der Rheinischen Expressionisten bezahle.Feldmann hatte von mir 3 Bilder u. eine Holzplastik. Wennbei der letzten Bildersendung kein Rahmen für dasungerahmte Bild war, bitte ich Sie, einem Rahmen aufmeine Rechnung zu besorgen. Daß die Zeichnungen nochgerahmt werden, habe ich veranlaßt. Ich bitte Sie, eine vonden Zeichnungen 18 – 25 als Geschenk für IhrePrivatsammlung anzunehmen. Verbindlichst Ihr MaxErnst“

Zehn Tage später griff Max Ernst in einem zweiten Briefdas Thema nochmals auf: „[…] Bemühungen um die Bilderbei Feldmann sind vorderhand aussichtslos: die Adresseder D’dorfer Speditionsfirma weiß ich nicht (die anderenKünstler wissen sie auch nicht); Feldmann gibt andauerndkeine Antwort; Seehaus sagt, ihm liege nichts an seinenBildern; Campendonks Adresse kenne ich nicht; die

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größten und übelsten Sachen der Ausstellung waren voneinem C. Lau, der in irgendeinem mir unbekannten Dorf inHolland wohnt. Meine Schwester ist vergeblich in Köln beiFeldmann gewesen. Übrigens waren die Bilder ohneZustimmung od. auch nur Vorwissen der Künstler vondem Kunstsalon Flechtheim an Feldmann weitergegebenworden. Fräulein Straus wird Ihnen einige Adressen fürdie Vorbesichtigung der Ausstellung mitteilen. Ich werdesehr wahrscheinlich Mitte Januar nach Berlin kommen.[…]“ Max Ernst erhielt aber schon früher Fronturlaub; am4. Januar 1916 trug er sich in das Gästebuch von Nell undHerwarth Walden ein. Seine erste Einzelausstellung, diegleichzeitig mit Werken von Georg Muche als 37.Ausstellung der Galerie „Der Sturm” gezeigt wurde undzu der die gleichnamige Halbmonatsschrift von Waldeneine Tuschezeichnung von Max Ernst auf der Titelseiteveröffentlichte, umfasste neben dieser Illustration 31weitere, teils farbige Zeichnungen sowie 19 Gemälde,darunter mehrere Glasbilder.

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„Max Ernst – Leben und Zeit” Serie vonDr. Jürgen Pech (Folge 26)

In den ersten Monaten des Jahres 1919 fanden in Köln zweilautstarke Demonstrationen gegen kulturelleVeranstaltungen statt, die auch überregional durch diePresse gingen: am 6. Februar 1919 die Störung desSchauspielers Otto Sander bei seinem expressionistischenVortragsabend im Rokokosaal des Hotels Disch und am 4.März 1919, dem Fastnachtsdienstag, der so genannteKölner Theaterputsch. Er betraf das Drama „Der jungeKönig” des Autors Raoul Konen, das vom tragischenSchicksal des letzten Hohenstaufenkönigs Konradinhandelt und am 7. November 1918 im KölnerSchauspielhaus uraufgeführt worden war.

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Bei der elften Aufführung kam es dann zu Zwischenrufen,Pfiffen und Schlägereien, an denen sich auch das Publikumbeteiligte. Zuvor war die Presse sowohl über diebeabsichtigte Kundgebung als auch über die Gründeunterrichtet worden. So vermeldete der „Berliner Börsen-Courier”: „Man macht der Theaterleitung und derMehrheit der Theaterkommission den Vorwurf, daß sie derneuzeitlichen Entwicklung in der Literatur keineRechnung trage und dafür minderwertige Schauspielelokaler Größen begünstige.“ Ebenfalls am 5. März

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veröffentlichte die „Rheinische Volkswacht” einenausführlichen Bericht von Dr. Rudolf Reuter, in dem er der„Gesellschaft der Künste” die Verantwortung gab:„Dadurch, daß die Hauptruhestörer festgenommenwurden, wird die Angelegenheit wohl ein gerichtlichesNachspiel haben. Besser als dies führt vielleicht ein kleinesMomentbildchen auf die Spur der wirklichen Urheber undOrganisatoren der Lärmszenen. Vor Beginn des erstenAufzuges sah man im ersten Rang links eine Reihejugendlicher Damen und Herren, die in derneugegründeten Ges. d. Künste eine Rolle spielen,darunter den expressionistischen Maler M. Ernst, denIllustrator des neuesten Buches von Th. Kuhlemann„Consolamini”, und seine Gemahlin Frau Dr. L. Straus-Ernst, die Schriftführerin der genannten Gesellschaft.

Herr Ernst signalisierte kurz vor Beginn der Vorstellung zudem ihm gegenüberliegenden ersten Rang hinüber undlegte dabei Mittel- und Zeigefinger beider Hände wie zumPfeifen an den Mund. Merkwürdig war, daß gerade andiesen beiden Stellen die Hauptruhestörer saßen, und daßHerr Ernst und Genossen bald das Theater verließen.Vielleicht dürfte es der Ges. d. K. diesmal nicht so leichtfallen, ihre Beteiligung wegzuerklären, wie vor einigenWochen.“

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Entsprechende Vorwürfe formulierte auch Anton Stehle inder „Kölnischen Volkszeitung”, worauf Max Ernst miteiner am 7. März veröffentlichten Zuschrift reagierte: „Zudem Artikel ,Ein Theaterskandal’ stelle ich fest, daß ichnicht als Beauftragter der ,Gesellschaft der Künste’ nochmit Erlaubnis ihres Vorstandes gehandelt habe, als ichmich an den Kundgebungen gegen den ,Jungen König’beteiligte. Ich habe als Privatperson gehandelt und nehmedie Verantwortung dafür auf mich. Ferner stelle ich fest,daß ich weder Mitglied des Vorstandes der Gesellschaftnoch ihr Schriftführer bin. Auch führe ich nicht den Dr.-Titel.“

Zwar setzte die Theaterkommission weitere Aufführungendurch, aber Raoul Konen zog sein Stück zurück. Mitte Juniwurde ein junger Schauspielschüler aus Köln vor demSchöffengericht und in der anschließenden Berufung vorder sechsten Strafkammer wegen groben Unfugs und unterBerücksichtigung mildernder Umstände zu 30 Mark Strafeverurteilt; fünf weitere Angeklagte, drei Männer und zweiFrauen, die aus Bonn stammten, erhielten Freispruch. DasStück selbst wurde in geschlossenen Vorstellungen für diechristlichen Gewerkschaften weiter aufgeführt undgelangte schließlich Anfang 1920 wieder auf den offiziellenSpielplan.

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„Max Ernst – Leben und Zeit” Serie vonDr. Jürgen Pech (Folge 27)

Im Februar und März 1919 erschien die revolutionäre, zumTeil satirische Kölner Wochenschrift „Der Ventilator” ineiner Doppelnummer und fünf weiteren Ausgaben, bevorsie von der britischen Besatzungsbehörde verboten wurde.Die „Unterhaltungsbeilage zur Tagespresse” – so derUntertitel – hatte einen Umfang von acht Seiten, erschienjeden Mittwoch und kostete 20 Pfennige. Das Doppelheftwurde von der in der Philippstraße 24 in Köln-Ehrenfeldansässigen Buch-, Kunst- und Akzidenzdruckerei CarlLutz hergestellt, die auch den Band „Consolamini” und dieZeitschrift „Der Strom” druckte. In allen übrigenNummern firmierte die Druckerei Max Hertz imMühlenbach 38, wo später auch alle Kölner Dada-Drucksachen entstanden.

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Die meisten der literarischen Beiträge oder der politischenArtikel zur Nationalversammlung, zum Reichspräsidentenund zum Verfassungsentwurf der Weimarer Republikwaren nicht mit Namen, sondern mit typographischenZeichen oder Pseudonymen wie Antischmiz, Yohimbi oderMacchab versehen, um Repressalien der Zensurvorzubeugen. Für die beiden Illustrationen von HeinrichHoerle auf den Titelblättern der 4. und 5. Nummer wurdeJean Kammacher als Deckname verwendet, wobei dieAnspielung auf die Kammachergasse, ein bekanntes undberüchtigtes Vergnügungsviertel in Köln, damals sofortverstanden wurde.

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Die Kunstfigur „Macchab”

„Der Ventilator” stand der USPD, der UnabhängigenSozialdemokratischen Partei Deutschlands nahe, die 1917in Opposition zur Kriegspolitik der SPD gegründetworden war. Mitglieder dieser Partei waren Josef Smeets,der auf den Titelblättern für die Schriftleitung und denInhalt verantwortlich zeichnete, und Alfred FerdinandGruenwald. Er stammte aus reichem Elternhaus – seinVater Heinrich Leopold Gruenwald war derGeneraldirektor der Kölnischen Rückversicherungs-Gesellschaft – und legte sich deshalb während der Dada-Aktivitäten den Namen „Baargeld” zu. Max Ernst lernteihn als Mitarbeiter an der Doppelnummer kennen. DieKunstfigur „Macchab”, die hier mehrfach auftaucht, gehtauf Max Ernst und den Maler und Zeichner FranzHenseler zurück. Beide hatten in spiritistischen Sitzungenvor dem Ersten Weltkrieg ein Medium mit diesem Namenbefragt, das ihnen damals den Tod von August Mackevorausgesagt habe. In einem der Macchab-Texte wird eine„Versammlung der Gestütdirektoren Oststupidiens”erwähnt. Die Wortneuschöpfung wurde ein Jahr später mit„Weststupidien” als Bezeichnung für die Kölner Dada-Zentrale wieder aufgegriffen.

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Beginn der vitalen Dada-Aktivitäten

In seinen biographischen Notizen erinnerte sich Max Ernstan die Begegnung mit Alfred F. Gruenwald als Beginn dervitalen Dada-Aktivitäten: „Als Max ihn trifft, sind beidedada-bereit, noch halbbetäubt vom Kriegsgeheul, undangeekelt von seinen Ursachen. Dabei ist Baargeld einklarer Kopf mit eiskaltem Intellekt, ein feuriges Herz vollNeugier, Ungeduld und Lust am Leben. Solide Erziehung(Oxford), umfassendes Wissen. Empörung gegen dasBestehende, die Wurzel allen Übels, Begeisterung für dasErstehende, Urquell aller Freuden. Daher doppelte Aktion:politisch (obgleich er sich des Irrsinns solchenUnternehmens wohl bewußt ist) und poetisch, und zwar inder damals einzig möglichen Art, nämlich verzweifelteLebensbejahung in Werk und Behaben.“

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"Max Ernst - Leben und Zeit" - Serie vonDr. Jürgen Pech

Über 50 Jahre nach seiner Geburt erinnert sich Max Ernst1942 im amerikanischen Exil an seine Jugendzeit imRheinland, an seinen Aufbruch als Künstler. In seinemautobiographischen Text charakterisiert er für dasPublikum der Neuen Welt besonders die sechs Meilennördlich von Brühl gelegene Stadt Köln mit denfolgenden Ausführungen:

Köln war früher eine römische Kolonie, Colonia ClaudiaAgrippina und später das bedeutendste Kulturzentrumdes Mittelalters. Noch immer weht hier der Geist desprächtigen Magiers Cornelius Agrippa, der hier geborenwurde, und von Albertus Magnus, der in dieser Stadt lebteund starb. Die Gebeine von drei anderen Magiern, Kaspar,Melchior und Balthasar, den Weisen aus demMorgenlande, ruhen im Kölner Dom. Jedes Jahr am 6.Januar wird ihr goldener, mit Juwelen geschmückterSchrein den Gläubigen gezeigt. 11.000 Jungfrauen gaben inKöln lieber ihr Leben als Opfer hin als ihre Keuschheit.Ihre zarten Reliquien schmücken die Wände derKlosterkirche in Brühl, von wo aus sie möglicherweise Max

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zu manchem verholfen haben, denn in dieser Kirchemusste er manche lange Stunde seiner Jugend verbringen.… Die geographische, politische und klimatische Lage vonKöln mag dazu angetan sein, anregende Konflikte in einemsensiblen Kindergemüt zu erzeugen. Hier kreuzen sich diebedeutendsten europäischen Kulturströmungen: Frühemediterrane Einflüsse, westlicher Rationalismus, östlicheNeigung zum Okkultismus, nördliche Mythologie,preußischer kategorischer Imperativ, Ideale derFranzösischen Revolution und noch manches andere. Alldiese gegensätzlichen Tendenzen kann man in dem Ablaufdes kraftvollen Dramas, das sich in Max Ernsts Werkabspielt, erkennen. Ob sich wohl eines Tages Elementeeiner neuer Mythologie aus diesem Drama entwickeln?“ Mythen und InszenierungMit diesen Textpassagen verweist Max Ernst – im meltingpot“ New York angekommen – auf die kulturelle Vielfaltals Grundlage und Quelle für sein eigenes Werk. Aberwährend der Surrealist André Breton, der im Sommer1941 ebenfalls in New York Zuflucht findet, in den Jahrendes Zweiten Weltkrieges noch von der Notwendigkeiteines neuen Mythos“ spricht, verwebt Max Ernst bereits

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seine künstlerische Selbstdarstellung, die ihn als Zauberer,als Seher, als Magier und Weisen stilisiert, mit derHerkunft und den Erinnerungen aus der Jugendzeit. Einealte Aufnahme vom Innenraum der katholischenPfarrkirche Maria von den Engeln” belegt, dass früher inder Schloßkirche wirklich Gebeine zu sehen waren. Diebeiden Nebenaltäre, die den Blick auf den Ciborienaltarvon Balthasar Neumann, auf die Verkündigungsgruppemit Maria und dem Engel und auf das von einem großen,kreisrunden Spiegel umgebene Auge Gottes lenkten unddurch ihre Schrägstellung dem Chorraum einewirkungsvolle Tiefe verliehen hatten, konnten nach derKriegszerstörung nicht mehr wieder aufgebaut werden.Lediglich die Statuen des hl. Antonius und des hl.Bernardin von Siena zieren heute die Seitenwände desKirchenraumes und erinnern an die ehemalige Position derreich verzierten Stuckmarmor-Altäre vor demschmiedeeisernen Lettnergitter. Die beiden schrankartigen,nach vorne offenen Unterbauten der Seitenaltäre enthieltendamals – akkurat über- und nebeneinander gestapelt –Armknochen, Beinknochen und Schädel, die von MaxErnst erwähnten zarten Reliquien“. Dr. Jürgen Pech

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In den Kunst- und Theaterkritiken, die Max Ernst über ein knappes Jahr vonOktober 1912 bis Juli 1913 für den Bonner "Volksmund" liefert, schreibt eram 11. Dezember 1912 in seinem Beitrag über das ,Obernier-Museum':  "In der Spitze der Polonaise scheint noch immer das Künstlerehepaar HofmalerHans Joh. Becker-Leber und Frau, beide ausgesprochene der Kunst, zumarschieren. Als ich hörte, dass er Hofmaler und weg von Bonn sei, freute ichmich rasend in der Illusion, nichts mehr von seinen faden, langweiligenImpressionen (in mattlila, mattrosa, mattblau, mattgrün) und ihren rosaparfümierten Blümchen ansehen zu müssen, die sie in der Malstunde zu malengelernt hat. Henriette Schmidt (die 2. Dame unter den Bonner ,Künstlern') istentweder die Verkörperung der Produktivität, oder sie hat einen Onkel in der Jury:von ihren Werken sieht man ein Dutzend oder Zwölfe, alle gleich überflüssig.Ebenso überflüssig ist Else Küstner (Dame No. 3). Ein Bild von ihr mit Feuerlilienheißt ,Auferstehung'. Mein lyrisches Gemüt! Wir haben ein echt-deutschesNaturempfinden. Echt deutsch sein, heißt mit der Postkutsche fahren, wenn dieanderen im Auto sitzen. Und dann Motivmaler Asen. Ein Klosterhof ist doch nochein wirkliches Motiv mit Gefühlen. Herrn Asen gab ein Gott die Gabe, denKlosterhof in Carden zu malen; Herrn Asens Genius drängte ihn dazu; Herr Asenwäre an explosiver Kraft, an dem inneren Schaffensdrang, der den Künstlerausmacht, zugrunde gegangen, hätte er nicht den Klosterhof in Carden ,tonig'malen dürfen. Herr Asen … möge das Museum auch dieses unsterbliche Werkdes Herrn Asen kaufen!" Und im weiteren Verlauf der Kritik heißt es: "DieSkulpturen. Herr Prof. Küppers ist mit 5 Geheimräten in Bronze vertreten. Sie sindalle gut getroffen. Der innere Gott trieb Herrn Küppers, 5 Geheimräte zubronzieren. Gisela Zitelmann (Dame Nr. 5) hat ebenfalls die Vorzüge einesphotographischen Apparates. Aber Herr Karl Menser, der einen Akt vorzüglichhinsetzen kann, glaubt mit seinen literarischen Sachen, die er ,Fesseln' und,Schuldig' nennt, überwältigend zu sein. Er hat vielzuviel von den Griechen,Michelangelo und Rodin. Er gehe zu den Negern und lerne Plastik." Im April 1913erwähnt Max Ernst eine weitere Bronzeskulptur des akademischen ProfessorsAlbert Hermann Küppers (1842-1929), bei dem er zu Beginn seines Studiums ander Bonner Universität im Wintersemester 1910/11 einen Kurs in "Zeichnen undModellieren nach der Natur und Antike" belegt hatte, und verspottet das Werk mitden Worten: "Man sehe im Hofgarten das geheimnisvolle Haupt- oderLebenswerk dieses Herrn. Ein rätselvolles Wesen ohne Unterleib. Pose: Werkriegt noch mehr ein Protokoll? Ein Genius reicht den Lorbeer."

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Denkmal existiert heute nicht mehr

Das Simrock-Denkmal war zehn Jahre zuvor am 15. Juli 1903 eingeweiht wordenund existiert heute nicht mehr. Nach der Jahrhundertwende wurde es in einerPublikation mit dem Titel ,Deutschlands Geistes-Helden, Ehren-Denkmälerunserer hervorragenden Führer auf geistigem Gebiet in Wort und Bild'aufgenommen, aus der die Abbildung stammt. Sie zeigt den Oberkörper desPorträtierten auf einem Obelisk mit Namenstafel als Sockel, wobei der Übergangdurch die Gewanddraperie verschleiert ist. Die Bronzeherme hält eine Schriftrolleund einen Griffel in den Händen, während eine gewappnete Walküre, die rechtsim Vordergrund steht, einen Lorbeerkranz hinaufreicht. Ein Eichenzweig, einSchwert, ein Helm mit großem Adlerflügel und eine Harfe, die vor dem rohbehauenen Granitblock am Boden liegen, charakterisieren den Dichter als Sängeraltdeutscher Heldensagen. Der in Bonn geborene Karl Joseph Simrock(1802-1876), der durch seine Übertragung des Nibelungenliedes und weitererSagen bekannt geworden war und an der Bonner Universität gelehrt hatte,gehörte zu den im Kaiserreich geehrten Geisteshelden.  Dr. Jürgen Pech   

 

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