Initialschulung bei Typ-1-Diabetes imKindes- und Jugendalter
B. Bartus
Klinische Diabetologie 2013
Klinikum Stuttgart Olgahospital
Psychosoziale Situation bei Diagnosemit Konsequenzen für Initialschulung
• Alter des Kindes• Persönlichkeit / Temperament• Einstellungen, Werte, Glaube• Familiensituation • Soziale Lage• Reserven der Familie• Besondere Probleme• Ausstattung der Klinik• ....
Klinische Diabetologie 2013
Medizinische Situation mit Konsequenzen für die Krankheitsverarbeitung
• Dramatische Manifestation (Blutzucker >500 mg/dl) Intensivmedizinische Versorgung, metabolische Azidose, Dehydratation
• Schwere Manifestation (Blutzucker >300 mg/dl,( g ,ketotische Stoffwechsellage)
• Milde Manifestation ((Blutzucker >200 mg/dl, ohne Ketoazidose, ohne Dehydratation
Hecker 1999
Klinische Diabetologie 2013
Diagnosestellung:Bedeutung für die Eltern
• Angst um das Überleben des Kindes• Die Welt bricht zusammen• Diabetes als Feind“ der das Bisherige bedrohtDiabetes als „Feind , der das Bisherige bedroht
Klinische Diabetologie 2013
Diagnosestellung des Typ-1-Diabetes und emotionale Reaktion von Müttern
• 65% Verzweifelung und Angst um das Überleben des Kindes
• 15% Furcht vor der lebenslangen Behandlung• 15% Furcht vor der lebenslangen Behandlung• 13% Keine besondere Reaktionen• 7% Indifferente und resignative Haltung
Jochmus 1971
Klinische Diabetologie 2013
Reaktion von Eltern auf die Diagnose Diabetes
• Subklinische Depression, Ängstlichkeit, ständige Anspannung g p g
• Mütter waren mehr betroffen als Väter (zumindest symptomatisch)
Kovacs et al. 1985
Klinische Diabetologie 2013
Diabetes: Zu Beginn ein Trauma
• Trauma ist ein Ereignis, das für eine Person oder eines ihr nahen Menschen eine intensive Bedrohung des Lebens, der Gesundheit und körperlichen Integrität darstellt und Gefühle von Horror, Schrecken und Hilflosigkeit auslöstg
• „Ein posttraumatischer Stress umfasst sowohl psychische als auch somatische Symptome, die auf das traumatische Ereignis folgen."
• P T S D post-traumatic-stress-disorders(Laux, Kapfhammer; 2000)
Klinische Diabetologie 2013
Post-traumatische Stress-Symptomeder Eltern 6 Wochen nach Diagnose
• 24% der Mütter• 22% der Väter
erfüllten voll die DSM-IV Kriterien für akute PTSD
• 51% der Mütter • 41% der Väter
erfüllten z.T. DSM-IV Kriterien für akute PTSD
MA Landolt, K Ribi et al. 2002 Journal of Pediatric Psychology
Klinische Diabetologie 2013
Larvierte Traurigkeit
• Viele Eltern reagieren auf die Erkrankung ihres Kindes mit Trauer, die zeitlich begrenzt ist
• Bei einer großen Anzahl von Eltern kommt es zu gzeitlich gebundenen depressiven Phasen
• Eine Subgruppe von Eltern entwickelt (unabhängig von der Anpassung an den Diabetes) eine „chronische Traurigkeit“: Chronic sorrow (Olshansky 1962)
Klinische Diabetologie 2013
Psychische Auffälligkeiten bei Kindern nach Diagnosestellung
• 64% der Kinder zeigten Auffälligkeiten wie:- Anhaltende Traurigkeit- Feindseligkeit und Gereiztheit- Rückzug aus sozialen Situationen
• 36% hatten klinisch-psychologische Symptome:36% hatten klinisch psychologische Symptome:- Verhaltensstörungen- Depressive Episoden
Nach 9 Monaten bei über 80% keine wesentlichen Auffälligkeiten mehr feststellbar
Kovacs et al. 1985
Klinische Diabetologie 2013
Verlauf der Anpassung an die Welt mit Diabetes
• 6 Wochen nach der Diagnose waren die Kinder mit Diabetes bedrückter, bedürftiger und zurück-gezogener als Kinder dieses Alters ohne Diabetes
• 12 Monate danach gab es keine Unterschiede mehr zwischen Kindern mit und ohne Diabetes
• 2 Jahre danach waren Kinder mit Diabetes wieder auffälliger als KG
Grey, Cameron et al. 1995
Klinische Diabetologie 2013
Befinden der Eltern bei Initialschulung
• Traurig – Depressiv• Posttraumatische Belastungen• Larvierte Traurigkeit
• Beherrscht• Indifferent
• (Latent) aggressiv - misstrauisch
Klinische Diabetologie 2013
Mein Kind!
Die Arbeit!
Die Geschwister!
Die Zukunft?!Die Familie!
!Ich !
Warum?
Die Arbeit!
Klinische Diabetologie 2013
Yerkes-Dodson-GesetzKlinische Diabetologie 2013
Krankheitsverarbeitung und DiabetesschulungPsychische
Verarbeitung SchulungPhänotypischer
Eindruck der Eltern
Abwehr Verleugnung
Inhalte kommen nicht an, belasten eher, lösen Angst und Grübeln aus
verstehen nichts, vergesslich, fehlende Motivation
Revolte emotional, anstrengend, aggressiv, störendeinige Inhalte provozieren unzuverlässig
Verhandeln Gefahr Fehlinterpretation, Diskussion, 2. Meinung
aufmerksam, sucht Widersprüche,
Depression und Hinterfragung
Schulung sehr hilfreich, Gefahr der Überforderung
Ruhig, konzentriert, praktische Schulung
Aktive Akzeptanz
Optimale Phase für Schulung
Initiativ und offen
Klinische Diabetologie 2013
Krankheitsverarbeitung und DiabetesschulungPsychische
VerarbeitungInterventionen bei Initialschulung
Abwehr Verleugnung
Zuhören und aussprechen lassen, Inhalte an aktuelle Sorgen anpassen, positive Themen wählen
Revolte Verständnis signalisieren, Vertrauen bilden, eindeutige Inhalte schulen, Wut akzeptieren aber..e deut ge a te sc u e , Wut a ept e e abe ..
Verhandeln Auf Argumente eingehen, kürzere Themen wählen
Depression u. Hinterfragung
Schulung einfühlsam gestalten, „Tagesform“ berück-sichtigen, Ressourcen suchen, positiv verstärken
Aktive Akzeptanz
Nicht zu theoretisch werden, praktische Aspekte betonen, künftige Möglichkeiten der Behandlung
Klinische Diabetologie 2013
Kernbotschaften von Initialschulungen
• Die schlechte und die gute Nachricht:
der Typ-1-Diabetes ist gegenwärtig nicht heilbar, b k h b h d l daber er kann sehr gut behandelt werden
• das Kind benötigt Insulin – und wird gedeihen
Klinische Diabetologie 2013
• „ich konnte nicht oft genug hören, dass ich nicht schuld war und ich nichts falsch gemacht habe.. Und langsam glaube ich es auch“
Mutter, eine Woche nach Diagnose des Diabetes bei ihrem 11-jährigen Sohn Maik
Klinische Diabetologie 2013
Kernbotschaften von Initialschulungen
• Sie trifft keine Schuld an der Erkrankung des Kindes
• Sie hätten den Diabetes nicht verhindern können
Klinische Diabetologie 2013
Klinische Diabetologie 2010Klinische Diabetologie 2013
Kernbotschaften von Initialschulungen
• Ihr Kind kann die meisten seiner Interessen (seinen Sport, seine Hobbies und Freunde) beibehalten und weitermachen
• Der Diabetes hat keinen Einfluss auf seine schulische Laufbahn
• Er kann fast alle Berufe auswählen
Klinische Diabetologie 2013
Sorgen von Eltern mit VorschulkindernA.M. Delamater et a. (ISPAD 2005)
• Befragung von 69 Eltern von Kindern im mittlerem Alter von 4.3 Jahren zu ihren Sorgen bezüglich des Diabetes ihres Kindes
• 91% sehr besorgt wegen Hypoglykämieng g yp g y• 82% sehr besorgt wegen körperlicher Aktivitäten, die zu
Hypoglykämien führen könnten• 40% sehr besorgt, ob ihr Kind nach der Insulingabe
genügend/rechtzeitig isst
Klinische Diabetologie 2013
Behandlungsbezogene Sorgen von Müttern mit Vorschulkindern
2,5
3
3,5
4
SORGE
1
1,5
2
BZ-MessungBewegung
ErziehungInjektion
Bartus 1999
EN
Klinische Diabetologie 2013
Ängste der Eltern (nach Hürter 1997)
• Angst vor Folgeerkrankungen• Angst vor Komplikationen
Hypoglykämien Risiko für Hirnschadenyp g y
Folge: Depression und affektive Störungen (v.a. der Mütter), Selbstvorwürfe
Klinische Diabetologie 2013
Initialschulung
• Das „Hypoglykämie-Gespräch“
• Die „Hypoglyklämie-Aufklärung“
Klinische Diabetologie 2013
Ängste der Kinder / Jugendlichen
• Übertragung der Unsicherheit von Eltern auf die Kinder
• Körperliche Insuffizienzgefühle • Abhängigkeitsgefühl• Ständige Kontrolle vs. kindliches erkundungs- und
jugendliches Unabhängigkeitsstreben• Enttäuschung bei schwer beherrschbaren BZ-
Schwankungen
Klinische Diabetologie 2013
Familiärer Stress und Diabeteseinstellung
• Stress und Schwierigkeiten in der Familie können in signifikanter Beziehung zur Stoffwechsellage der Kinder
hstehen:
• Erhöhter familiärer Stress ist deutlich mit höheren HbA1c-Werten assoziiert
Vincer et al. 1996
Klinische Diabetologie 2013
Die Familie
• Über 30% der Familien erleben nach Erkrankung ihres Kindes an Diabetes Änderungen in der eigenen beruflichen Tätigkeit
• Besondere Einschränkungen treten auf, wenn das Kind noch jung ist (Vorschulkinder)
• 35% der Familien haben finanzielle Einbußen
Lange K. 2002
Klinische Diabetologie 2013
• Es wird geraten, dass man die initiale Periode nach der Diagnose des Diabetes bei einem Kind als eine krisenhafte Zeitspanne betrachtet, die eine spezielle multidisziplinäre Betreuungeine spezielle multidisziplinäre Betreuungerfordert, um spätere Fehlanpassung zu reduzieren
Galatzer, Amir, Gil, Karp, Laron 1982
Klinische Diabetologie 2013
Was ist für Eltern wichtig zu beachten?
• Kind nicht auf den Diabetes „reduzieren“• Nicht überfordern – eher entlasten• Emotionale Bindung halten g• An der eigenen Bewältigung des Diabetes arbeiten• Die elterliche Beziehung halten und pflegen • Erziehung stabil vermitteln
Klinische Diabetologie 2013
Bei der Diagnose
• Behandlung möglichst in der Pädiatrie• Betreuung durch ein multidisziplinäres Team• Zugang zur Sozialberatung• Diabeteserfahrene psychologische Fachkraft• Schulungsbeginn und Inhalte zum individuell
richtigen Zeitpunkt• Kontinuität in den Personen und im Stil der
Betreuung und Behandlung
Klinische Diabetologie 2013
Schulungsmaterialien für Kinder und Jugendliche mit Typ-1Diabetes
Holl 2009 Klinische Diabetologie 2013
Diabetes Schulungs- undLesebuch für Kinder
Klinische Diabetologie 2013
Klinische Diabetologie 2013
Diabetes bei Jugendlichen: ein Behandlungs- und Schulungsprogramm
Karin Lange2. Auflage 2009 Kirchheim Verlag
Sechs Jugendliche mit Typ-1-Diabetes leiten durch das Programm. Sie erklären medizinische Zusammenhänge, berichten über typische Alltagssituationen und geben aus Sicht betroffener Jugendlicher nützliche Tipps.Ergänzt werden die Themen durch Therapiebeispiele, Arbeits- und Quizaufgaben.
Im Rahmen des DMP Typ-1-Diabetes sind diese Materialien akkreditiert und werden (zur Zeit) einmalig für Jugendliche finanziert.
Klinische Diabetologie 2013
Initialschulung - JugendlicheKapitel 1 Diabetes, was nun?Kapitel 2 Was ist Diabetes genau?Kapitel 3 Wie du dich selbst gut behandelst – mit InsulinKapitel 4 Lass es dir schmecken!Kapitel 5 So bekommst du deinen Diabetes gut unter Kontrolle!p gKapitel 6 Wenn der Blutzucker mal daneben liegt
Klinische Diabetologie 2013
Das Programm ist modular aufgebaut:Gelbes Modul: vermittelt relevante Grundlagen direkt nach der ManifestationOranges Modul: widmet sich der differenzierten intensivierten Insulintherapie. Beide Module sind für die Initialschulung gedacht. Grünes Modul:behandelt jugendtypische Alltagsthemen (Reisen, Sport, Gewichtsregulation, Feiern, Krankheit, körperliche Entwicklung, Vermeidung von Folgekomplikationen, Partnerschaft, Berufswahl und Führerscheine).Blaues Modul: stellt Informationen zur Pumpentherapie zusammen. Die Inhalte des Programms sind mit der aktuellen Leitlinie Pädiatrische Diabetologie abgestimmt (AGPD.
Klinische Diabetologie 2013
Grundlagen der Diabetestherapie
Intensivierte Insulintherapie MDI oder CSII
• differenzierte Prandial- und Basalinsulinsubstitution
• Blutglukosekontrolleng
• ausgewogene altersgemäße Ernährung
Klinische Diabetologie 2013
Therapieziele:
• normnahe Stoffwechseleinstellung ohne schwereHypoglykämien und Ketoazidosen
• Vermeidung von Folgeerkrankungen
• normale körperliche, geistige, seelische und sozialep , g g ,Entwicklung
• wenig eingeschränktes Familienleben und sozialeIntegration
• Berücksichtigung des jugendlichen Lebensstils
Danne et al. (2004) Diab Stoffw Suppl 2: 57-69Aktualisierung 2009: Holterhus et al.
Klinische Diabetologie 2013
Erhältlich bei der Stiftung DianiñoKlinische Diabetologie 2013
Hecker u Bartus 2001Hecker u. Bartus 2001
Klinische Diabetologie 2013
Initialschulung Einführender Teil
Erstgespräch: TeamvorstellungVerlauf der Schulung
• Typ 1 Diabetesyp• - Was versteht man unter Diabetes mellitus• - Warum tritt diese Krankheit gerade in unserer Familie auf?• - Welche Stellung haben Insulin und Blutzuckerwerte ab jetzt
im Alltag?• - Zukunftsaussichten
Diabetesberatung Olgahospital Blank/Wadien 09
Klinische Diabetologie 2013
Initialschulung Praktischer Teil
• 1. Blutzuckerselbstkontrolle• 2. Testung des Urins auf Zucker und Aceton
i li ( f i h i h )• 3. Umgang mit Insulin ( Aufziehen, Mischen)• 4. Führen des Diabetikertagebuches• 5. Injektion von Insulin• 6. Berechnung und Zusammenstellung der Mahlzeiten
Diabetesberatung Olgahospital Blank/Wadien 09
Klinische Diabetologie 2013
• Blutzuckermessung• - Umgang mit dem Gerät und den Teststreifen• - Welche Informationen liefern mir diese Werte?
Schulungsinhalte 1
• Insulin• - Wirkung, Haltbarkeit und korrekte Lagerung• - Warum verschiedene Insuline?• - Insulinwirkungskurven• - Aufziehen und Mischen• - Spritzstellen, Injektionstechnik und Spritz-Ess-Abstand• - Vorstellen des Pens
Klinische Diabetologie 2013
• Hyperglykämie• - Ursachen und Korrekturmaßnahmen• - Urinzuckertest und Ketonkörperausscheidung• - Nierenschwelle, was bedeutet das?
Schulungsinhalte 2
• Hypoglykämie• - Ursachen und Korrekturmaßnahmen• - Notfallausweis und Notfallspritze• - Verhalten bei einer Unterzuckerung
Klinische Diabetologie 2013
• Ernährung• - Kohlenhydrate und deren Stellung beim Diabetes• - Welche Nahrungsmittel müssen berechnet werden?• - Wirkung verschiedener Nahrungsmittel auf den Blutzuckerspiegel
Schulungsinhalte 3
• - Handhabung im Alltag
• Sport• - Auswirkungen auf den Blutzucker• - Sport im Alltag (z.b. Vereinssport etc.)• - Zusätzliche KHE/BE für den Sport•
Klinische Diabetologie 2013
• Insulindosisanpassung• - Insulinwirkungskurve• - Wann/wie sollte die Dosis verändert werden?• - KHE/BE Faktoren
Schulungsinhalte 4
• - Kindergeburtstag, Party etc.
• Verhalten im Krankheitsfall• - Insulindosis, Häufigkeit der Blutzucker und Urinacetonkontrollen• - Ernährungsanpassung
Klinische Diabetologie 2013
• HbA1c und Fruktosamin• - Was sagen diese Werte über die Stoffwechseleinstellung aus?• - Normwerte und die Bedeutung von Abweichungen
• Diabetes und Soziales
Schulungsinhalte 5
• - Schwerbehindertengesetz• - Selbsthilfegruppen
• Wie geht es nach dem Klinikaufenthalt weiter?• - Ambulanzbesuche• - Kindergarten, Schule
Klinische Diabetologie 2013