Download pdf - Nopcsa Reisen Balkan

Transcript
Page 1: Nopcsa Reisen Balkan

Reisen in den Balkan

Die Lebenserinnerungendes

Franz Baron Nopcsa

Eingeleitet, herausgegeben und mitAnhang versehen

von

Robert Elsie

Page 2: Nopcsa Reisen Balkan
Page 3: Nopcsa Reisen Balkan

iii

Einleitung des Herausgebers

Am 26. April 1933 veröffentlichte die Neue Freie Pressein Wien den folgenden Bericht:

Das blutige Drama in der Singerstraße. Der Gelehrte als Mörder und Selbstmörder

“Wie berichtet, hat gestern vormittag der 55-jährige Privatdozent (Baron) Dr. Franz Nopcsa in seinerim dritten Stockwerk des Hauses I, Singerstraße 12,gelegenen Wohnung seinen langjährigen Sekretär, den45-jährigen Albaner, Bajazid Elmas Doda, erschossenund sich dann selbst in seinem Arbeitszimmer vor demSchreibtisch durch einen Schuß in den Mund entleibt.Die amtsärztliche Untersuchung stellte bei dem Sekretärfest, daß er zwei fast an der gleichen Stelle der linkenSchläfe gelegene Einschüsse aufwies, die den Schädeldurchbohrt haben, so daß die Projektile nach Austritt ausdem Kopf im Kopfpolster liegen blieben.

Nopcsa scheint die Tat mit Umsicht vorbereitetzu haben. Zahlreiche verschlossene Abschiedsbriefe anVerwandte und Bekannte, ein verschlossenes an einenWiener Rechtsanwalt adressiertes Testament und andereAufzeichnungen wurden gefunden. Daß auch materielle

Page 4: Nopcsa Reisen Balkan

Einleitung

iv

Schwierigkeiten mit ein Beweggrund zur Tat gewesenseien, kann außer den Angaben der Bedienerin, die seitvier Monaten keinen Lohn mehr erhalten hatte, auchdaraus geschlossen werden, daß Franz Nopcsa, der mitLeib und Seele an seinen Büchern und Sammlungenhing, geplant hat, seine reichhaltige, viele Unikaenthaltende Bibliothek... zu verkaufen....

... ein schreiben an die Polizei “Die Ursachemeines Selbstmordes ist zerrüttetes Nervensystem. Daßich auch meinen langjährigen Freund und Sekretär, HerrnBajazid Elmas Doda, im Schlafe und ohne daß er esvorausgeahnt hätte, erschossen habe, liegt darin, daß ichihn krank, elend und ohne Geld nicht auf der Weltzurücklassen wollte, da er dann zuviel gelitten hätte. Ichwünsche verbrannt zu werden.”

So endete das bewegte Leben des Franz Baron Nopcsavon FelsÅszilvás (1877-1933), eines der schillernsten Forscherund Gelehrten seiner Zeit. Als Sohn einer ungarischenAdelsfamilie wurde Nopcsa am 3. Mai 1877 auf dem elterlichenGut Szacsal (S|cel) bei Hatzeg in Siebenbürgen geboren. Durchdie Vermittlung seines Oheims und Taufpaten, Franz von Nopcsa(1815-1904), Oberhofmeister bei Kaiserin Elisabeth, konnteNopcsa seine Matura am Maria-Theresianum in Wien ablegen.Das vielleicht entscheidende Ereignis seiner Jugend fand im Jahre1895 während eines Ausfluges um Szentpéterfalva statt. Dortentdeckte er und seine Schwester Ilona fossile Knochenreste einesDinosauriers, die er an den Geologen und Paläontologen,Professor Eduard Suess, nach Wien schickte. Von seiner Matura1897 bis zum Jahre 1903 studierte Nopcsa u. a. bei Suess an derUniversität Wien, die damals eine Hochburg derpaläontologischen Forschung war.

Page 5: Nopcsa Reisen Balkan

Einleitung

v

Nopcsa entwickelte sich selbst schnell zu einem begabtenForscher der Paläontologie. Schon als 22-jähriger hielt er am 21.Juni 1899 in der Klassensitzung der Akademie derWissenschaften in Wien seinen ersten Vortrag mit dem TitelDinosaurierreste in Siebenbürgen, der großes Aufsehen erregte.Er gilt u. a. als Begründer der Paläophysiologie, vor allem mitseinen auch im Ausland anerkannten Studien über fossileReptilien. Bekannt wurden seine Hypothesen von ‘runningproavis’, von der Warmblütigkeit der Pterosaurier und von derBedeutung bestimmter endokriner Vorgänge, die er für dieEvolution und das Aussterben der Riesenwüchse für bedeutsamhielt. Obzwar nicht alle seine Theorien ohne Widerspruchangenommen wurden, befruchteten und prägten sie weite Gebieteder paläontologischen Forschung. Ebenso groß waren NopcsasVerdienste in der Geologie, etwa bei der Forschung dertektonischen Struktur der westbalkanischen Gebirge, bei der ermanchmal gewagte Theorien vertrat.

In späteren Jahren wurde er auch zu einem der führendenAlbanienforscher seiner Zeit. Seine albanologischeVeröffentlichungen aus den Jahren zwischen 1907 und 1932umreißen in erster Linie folgende Gebiete: Vor- undFrühgeschichte, Ethnologie, Geographie und Neuere Geschichtesowie das albanische Gewohnheitsrecht, d. h. den Kanun. Diefrühen Arbeiten wie Das katholische Nordalbanien (Budapest1907), Aus Šala und Klementi (Sarajevo 1910) und Haus undHausrat im katholischen Nordalbanien (Sarajevo 1912) sowieBeiträge zur Vorgeschichte und Ethnologie Nordalbaniens(Sarajevo 1912) enthalten eine Fülle von Beobachtungen aus denobengenannten Bereichen, auch wenn das Material aus heutigerSicht wenig systematisiert erscheinen mag. In späteren Jahren, alser sich sozusagen zur Ruhe gesetzt hatte und den Balkan nichtmehr so aktiv bereiste, erschienen anspruchsvollere Werke, dieeinem wissenschaftlichen Anspruch in jeder Hinsicht genügen.

Page 6: Nopcsa Reisen Balkan

Einleitung

vi

Die bekanntesten dieser Arbeiten sind: Bauten, Trachten undGeräte Nordalbaniens (Berlin & Leipzig 1925) und vor allemseine grundlegende, 620-seitige Monographie, Geologie undGeographie Nordalbaniens (Öhrlingen 1932), die unter seinen zuLebzeiten veröffentlichten Werken als Gipfel seineralbanologischen Forschung gelten kann.

Nopcsas Publikationsliste, als Anlage am Ende diesesBandes mit veröffentlicht, umfaßt insgesamt über 186 Titel,hauptsächlich aus den drei obengenannten komplexen Bereichender Paläontologie, Geologie und Albanienforschung.

Sein frühzeitiger Tod ließ allerdings Bedeutendesunveröffentlicht. Der wissenschaftliche Nachlaß Nopcsas ging,soweit er paläontologischer Natur war, an das British Museum inLondon. Der albanologische Teil der Hinterlassenschaft ging anseinen Kollegen und ebenfalls bekannten Albanologen, ProfessorNorbert Jokl (1877-1942), in Wien. In einem Schreiben vom 24.April 1933, seinem Todestag, hatte Nopcsa Herrn Jokl eine Listeder ihm überlassenen Manuskripte gegeben und ihn gebeten, sichmit Paul Graf Teleki in Budapest in Verbindung zu setzen, damitdieser die Mittel für eine Veröffentlichung beschaffe. Ausfinanziellen Gründen ist es allerdings nicht zu einerVeröffentlichung dieser zum Teil grundlegenden Werkegekommen. Seit dem gewaltsamen Tod von Jokl Anfang Mai1942 wird der albanologische Nachlaß Nopcsas in derHandschriften-, Autographen- und Nachlaß-Sammlung derÖsterreichischen Nationalbibliothek in der Wiener Hofburgaufbewahrt.

Aus dem Wiener Nachlaß sind vor allem fünfManuskripte zu erwähnen: 1.) Albanien: die BergstämmeNordalbaniens und ihr Gewohnheitsrecht, Ser. nov. 9392, einWerk von 510 durchgehend paginierten Blättern, daserfreulicherweise zu einem großen Teil in dem Band DieStammesgesellschaften Nordalbaniens, Berichte und

Page 7: Nopcsa Reisen Balkan

Einleitung

1 Sieben dieser mit kurzen Notizen, Terrainaufzeichnungen,Reiseskizzen, Zahlen und Rechnungen versehenen Bände, davon sechsAlbanien betreffend und ein siebter über Bulgarien, wurden 1990 vomHerausgeber in den albanologischen Beständen der Nationalbibliothekin Tirana aufgefunden [Signatur DR2/3F bis 8F]. Sie betreffen die

vii

Forschungen österreichischer Konsuln und Gelehrter, 1861-1917(Wien-Köln-Weimar 1996) von Fatos Baxhaku und Karl Kaserveröffentlicht wurde; 2.) Religiöse Anschauungen, Sitten undGebräuche, Ser. nov. 9393, ein Werk zur albanischenVolkskunde in 242 Blättern, wobei die ersten 58 Blätter leiderfehlen; 3.) Die Gedichte des Colez Marku, 1895-1932, Ser. nov.11912, ein Lyrikband in deutscher Sprache mit insgesamt 160eher bescheidenen Gedichten auf 110 Blättern; 4.) Dialektstudie(Fragment), Ser. nov. 11918, Anmerkungen zurnordwestgegischen Mundart nördlich von Shkodra auf 36 losenBlättern von unterschiedlichem Format; und vor allem 5.) die hierzum ersten Mal veröffentlichten Lebenserinnerungen des BaronNopcsa unter dem Titel Reisen in den Balkan, Ser. nov. 9368.

Die fünfteilige Monographie Reisen in den Balkan, auchirrtümlicherweise als Nopcsas Tagebücher bezeichnet, besteht ausinsgesamt 456 mit einer Schreibmaschine getippten und teilweiseauch handschriftlichen Blättern, die der Verfasser etlichenKorrekturgängen (mit sieben verschiedenen Farbstiften)unterworfen hatte. Nach der Numerierung fehlen im 4. Teil dieSeiten 51-55. Sonst scheint das Werk vollständig zu sein, auchwenn bei der Korrekturarbeit de3r letzte Schliff fehlen mag.

Es kann angenommen werden, daß Nopcsa schon vordem Ende des Ersten Weltkrieges mit einer ersten Niederschriftseiner Lebenserinnerungen angefangen hatte. Als Grundlagehierfür verwendete er seine lang als verschollen geglaubtenNotizbücher1, die er während seiner Balkanreisen stets bei sich

Page 8: Nopcsa Reisen Balkan

Einleitung

folgenden Zeiträume: Bd. 1 (1905), 430 S.; Bd. 2 (1906), 580 S.; Bd. 3(1907), 474 S.; Bd. 4 (1908), 316 S.; Bd. 5 (1909), 686 S.; und Bd. 6(1913), 213 S. Diese Oktav-Bände, wie vermutlich viele anderen Werkeaus der Privatbibliothek von Nopcsa, wurden nach dem Tod des Autorsvom Buch- und Kunst-Antiquariat Heinrich Hinterberger, Hegelgasse17, in Wien, für 150 Schweizer Franken zum Verkauf angeboten undgelangten in die Sammlung des albanischen Publizisten Mid’hat BeyFrashëri (1880-1949), auch als Lumo Skendo bekannt, der mit 20.000Bändern damals die größte Privatbibliothek Albaniens besessen habensoll. Da Frashëri während des Zweiten Weltkrieges ein bedeutenderFührer der antikommunistischen Widerstandsbewegung Balli Kombëtarwar und mit dem Sieg Enver Hoxhas 1944 Albanien in RichtungSüditalien verlassen mußte, wurde seine berühmte Sammlung von denkommunistischen Behörden beschlagnahmt. Sie bildet einenwesentlichen Grundstock des albanologischen Fundus der jetzigenalbanischen Nationalbibliothek (BKT). Bis zum Ende der Diktaturstanden diese Vorkriegsbestände nur ausgewählten Wissenschaftlern zurVerfügung.

viii

trug. Die Lebenserinnerungen umfassen einen zwanzigjährigenZeitraum von 1897 bis zum Jahre 1917, als Nopcsa erst vierzigJahre alt wurde. In einem Brief an Jokl vom 8. Oktober 1928schrieb Nopcsa, daß er 1918 sein Notizbuch verloren habe, wasden ziemlich plötzlichen Abbruch der Memoiren im Jahre 1917erklärt.

Die vorliegende Fassung dürfte um 1929zusammengestellt worden sein, als Nopcsa derenVeröffentlichung geplant hatte. Der Stadium-Verlag in Budapesthatte sich bereit erklärt, eine ungarische Übersetzung des Werkeszu veröffentlichen. Kálmán Lambrecht, der durch NopcsasVerwendung Bibliothekar der Geologischen Reichsanstalt inBudapest war, wurde mit der Übersetzung beauftragt undgleichzeitig mit der undankbaren Aufgabe betraut, Nopcsas

Page 9: Nopcsa Reisen Balkan

Einleitung

2 vgl. Tasnádi Kubacska 1945, S. 275-277, Robel 1966,S. 135-136.

ix

zahlreiche Änderungswünsche vor dem Verlag zu vertreten. Nachvielem Hin und Her zog der Verlag sein Angebot zurück. Ausdiesem Grund zerschlugen sich auch die Verhandlungen übereine deutsche Ausgabe des Werkes2.

Zum Leben und Werk des Baron Nopcsa ist vielgeschrieben und veröffentlicht worden, so daß auf eineneingehenden Lebenslauf vor und nach dem Balkankrieg hierverzichtet werden kann. Als Orientierung seien hier kurz auf diewesentlichen, Nopcsa betreffenden Veröffentlichungenhingewiesen. Der erste Versuch, Nopcsas Leben, Werk undWirkung publizistisch darzustellen, wurde von András TasnádiKubacska unternommen, und zwar in einer ungarischen, NopcsaFerenc kalandos élete (Budapest 1937), und einer deutschenFassung, Franz Baron Nopcsa (Budapest 1945). TasnádiKubacska würdigte Nopcsa in erster Linie alsNaturwissenschaftler, ging also weniger auf seine Leistungen alsAlbanienforscher und politische Figur ein. Stets bemüht, Nopcsain ein gutes Licht zu stellen, fehlte es ihm bisweilen anSachlichkeit und Distanz zu seiner Vorlage. In der deutschenFassung enthält das Buch aber nicht nur eine nützlicheBibliographie der Nachrufe und der zwischen 1920 und 1938erschienenen Zeitungsartikel zu Nopcsa sondern umfaßt auchNopcsas Korrespondenz mit Friedrich Baron Huene, LucasWaagen, Ludwig von Lócsy und Kálmán Lambrecht. Eineumfassende Bibliographie der Werke Nopcsas wurde erst vonKálmán Lambrecht in einem in der Paläontologischen Zeitschrift15 (1933) veröffentlichten Nachruf mit dem Titel Franz BaronNopcsa^, der Begründer der Paläophysiologie, 3. Mai 1877 bis25. April 1933. Unverzichtbar als Quelle für das Leben und Werk

Page 10: Nopcsa Reisen Balkan

Einleitung

x

Nopcsas ist in erster Linie die in der Reihe ‘AlbanischeForschungen’ erschienene Abhandlung Franz Baron Nopcsa undAlbanien, ein Beitrag zu Nopcsas Biographie (Wiesbaden 1966)von Gert Robel. Grundlage für diese informative und kritischeMonographie ist das obenerwähnte Wiener Manuskript derLebenserinnerungen, das hier nun veröffentlicht wird. Robel gehtausführlich nicht nur auf Nopcsas wichtigen Beitrag zurwissenschaftlichen Albanienforschung ein, sondern auch auf seinEngagement in der albanischen Frage und auf die politischenHintergründe der Jahre vor, während und nach den Balkankriegen1912-1913. Nopcsa war ein scharfer, wenn auch nicht immerobjektiver Beobachter des Zeitgeschehens auf der Balkan-Halbinsel am Anfang des 20. Jahrhunderts. Vieles, was in seinenMemoiren geschildert wird, wird durch Robel in ein sachlicheresLicht gerückt und erst durch ihn verständlich gemacht.Schließlich bedarf auch die Bibliographie Franz Baron vonNopcsa, Anmerkungen zu seiner Familie und seine Beziehungenzu Albanien von József Hála (Wien 1993) einer Erwähnung.

Als Wissenschaftler ist Nopcsa von vielen hinlänglichgewürdigt geworden. Als Mensch ist Nopcsa gerade in denMemoiren aber viel schwieriger zu fassen. Über seine engstenund intimsten menschlichen Beziehungen schreibt Nopcsa wenig.Seine Memoiren geben nur sehr indirekte und wahrscheinlichungewollte Schlüsse zu seiner Homosexualität preis: etwa seineBewunderung für junge k.u.k. Offiziere in Uniform, seine früheLiebe zu Louis Draškoviƒ (1879-1909), seine offensichtlicheNeigung zu rumänischen Schafhirten sowie seine langjährigeintime Beziehung zu seinem albanischen Sekretär Bajazid ElmasDoda (ca. 1888-1933), der mit ihm starb. Sonst behält derVerfasser seine Gefühle weitgehend für sich. Robel kommt zufolgendem Schluß: “Überschaut man, rückblickend, NopcsasLeben, so drängt sich vor allem die Vielschichtigkeit und innereWidersprüchlichkeit dieses Menschen dem Betrachter auf. Eine

Page 11: Nopcsa Reisen Balkan

Einleitung

3 Robel 1966, S. 161

xi

genial zu nennende Intuition steht dem Unvermögen, die Motiveanderer zu erfassen und zu würdigen, kraß gegenüber, harterEgoismus der Liebe zu den Albanern, kühl prüfender Intellekt deremotionalen Voreingenommenheit.”3 Gewiß wird Nopcsa demLeser nicht immer als angenehmer Zeitgenosse vorkommen. Ererscheint stets geltungsbedürftig, öfter streitsüchtig und arrogantund bisweilen offen antisemitisch. Wenn auch einiges aufgrundseiner Herkunft und seines Milieus verständlich ist, bleibt vielesan seinen Charaktereigenschaften, Beweggründen und innerenGefühlen verborgen und undurchsichtig.

Wenn Tasnádi Kubacska und Lambrecht in erster Linieauf Nopcsa als Naturwissenschaftler eingehen, so würdigt der zuLobpreisungen keineswegs geneigte Robel eher seinegrundlegende Bedeutung als Albanologe: “Sein Tod, der vonseinen Freunden beklagt, von seinen Kollegen bedauert wurde,bedeutete nicht nur für die Paläontologie und die Geologie einenVerlust. Seine beiden großen Manuskripte über Albanien, diewichtigstes ethnologisches Material enthalten, verschwandennach seinem Tod und blieben bis heute ungedruckt. Dies ist umso mehr zu bedauern, als es wohl kaum einen Mann gab, der mitsolcher Schärfe registrierte und festhielt, was er erlebte, und derzu dieser Zeit sich in Albanien über einen längeren Zeitraumaufgehalten hat. Nopcsa hat mit einer fast universal zu nennendenNeugier gesammelt und notiert, was ihm in diesem Landebegegnete - der Verlust seiner Notizbücher wiegt schwer. Ihmwurde noch zuteil, das ‘alte’ Albanien zu erleben, ehe das Landvon der ‘Zivilisation’ erfaßt wurde und die alte Ordnung mitihren Sitten und Gebräuchen verschwand. Die Kombination vonwissenschaftlicher Neugier, Beobachtungsgabe und eminentemFleiß, durch die er sich auszeichnete, machte ihn wie kaum einen

Page 12: Nopcsa Reisen Balkan

Einleitung

xii

zweiten berufen, das Bild dieses ‘alten’ Albanien festzuhaltenund weiterzugeben. Die Ungunst der Zeiten hat diesesUnterfangen, zu dem er bereit war, nur fragmentarisch zurAusführung kommen lassen. Allein auch das unvollendete Werksichert ihm noch heute einen Platz unter den bedeutendstenAlbanologen.

Seine Schwächen, unter denen er und seine Zeitgenossen,soweit sie mit ihm in Berührung kamen, gelitten haben, wiegendemgegenüber wenig. Sie erscheinen dem außenstehendenBetrachter - so schmerzlich sie auch für alle davon betroffenengewesen sein mögen - als wohl zu bedauerndeNebenerscheinungen der ‘überspitzten’ Zielstrebigkeit und derungeheuren Energieanspannung, mit denen Nopcsa seineVorhaben durchführte - und ohne die es ihm kaum möglichgewesen wäre, ein derart fruchtbares und umfangreiches Werk zuhinterlassen...

Sowohl nach Umfang wie nach Bedeutung gehörtNopcsas Beitrag zur Albanologie zu den größten, die auf diesemGebiet geleistet wurden. Es mindert sein Werk keineswegs, wennder ‘Außenseiter’ in Einzelheiten irrte und manchen Bezug, dersich dem Ethnologen heute ergibt, nicht herstellte, sei es, daß erihn nicht sah, sei es, daß er das Problem nicht entdeckte. Auchder Historiker und der vergleichende Rechtshistoriker wirdEinzelheiten anders einordnen. Aber alle diese Vorbehaltebeziehen sich auf Details, sie ändern nichts daran, daß Nopcsaeinen außerordentlich weit gespannten Bereich als erstersystematisch erfaßt und dargestellt hat. Der Bogen spannt sichvon der Entstehung der Stammesorganisation, wie er sie amBeginn der 20. Jahrhunderts in Nordalbanien erlebt hatte, überdie Erfassung der Rechtssatzungen dieser Stämme und derenEinordnung in die allgemeine Rechtsgeschichte, die Sitten undGebräuche der Nordalbaner bis hin zu den Gegenständen ihrestäglichen Lebens und schließlich zur Landschaft, in der diese

Page 13: Nopcsa Reisen Balkan

Einleitung

4 Robel 1966, S. 137, 162-163.

xiii

Menschen lebten... Was aber Nopcsas großes Verdienst ist: Ererkannte, daß Albanien Fragen aufwarf, und er zögerte nicht, siezu beantworten, so gut es ihm möglich war. Das Ergebnis ist einWerk von seltener Größe, Produkt eines außerordentlichenArbeitsfleißes und genialen Erfassens der wissenschaftlichenFragen. Man wird auch auf sein albanologisches Werk TillyEdlingers Worte ausdehnen dürfen, die sie seinenpaläontologischen Arbeiten widmete: “Dem überwältigendproduktiven Feuergeist sind nur erstaunlich geringewissenschaftliche Irrtümer unterlaufen...” Und es ist zutiefst zubedauern, daß es Nopcsa nicht vergönnt war, die beiden großenManuskripte, die er schließlich Norbert Jokl hinterließ, derÖffentlichkeit zu übergeben. Sein Ansehen als Forscher hat diesfreilich kaum geschmälert - er hat sich auch mit den bereitsveröffentlichten Untersuchungen einen gebührenden Platz in derAlbanologie gesichert.”4

Nun nach beinah einem dreiviertel Jahrhundert liegt daszweite der großen Manuskripte dem Leser vollständig vor,welches das Bild des großen Albanienforschers, des großenPaläontologen und des großen Geologen zu vervollständigenhelfen wird.

Zu dem Manuskript bleibt lediglich auf Technischeshinzuweisen. Bei der Vorbereitung wurde die Orthographie aufdie heutige Norm gebracht. Orts- und Personennamen aus demBalkanbereich wurden soweit wie möglich auch standardisiert,etwas Shkodra für Skutari, wobei der Herausgeber für einigeOrtsnamen bekanntere Alternativbezeichnungen in rundenKlammern hinzugefügt hat. Auch wurde vom Herausgeber zumbesseren Verständnis des Textes eine Reihe von Fußnotenangegeben. Sonst wurde dem Verfasser seinen altertümlichen

Page 14: Nopcsa Reisen Balkan

Einleitung

xiv

k.u.k. Stil, seine siebenbürgische Sprache und seine bisweilenumständliche Ausdrucksweise, einschließlich Sprachfehler undUngarismen weitgehend gelassen. Auch wenn dem Lesereventuell einiges an Geduld abverlangt wird, wird sich die Mühemit Sicherheit lohnen.

Robert ElsieOlzheim /Eifel

Page 15: Nopcsa Reisen Balkan

Reisen in den Balkan

Franz Baron Nopcsa

Page 16: Nopcsa Reisen Balkan

VORWORT

Warum veröffentliche ich meine Tagebücher?Weil ich mehr als irgendeiner meiner Standesgenossen

mit vielerlei Menschen zusammengekommen bin, und weil ichmich in der verschiedenartigsten Umwelt heimisch gefühlt habe.

Allenthalben sah ich, wie der Mensch in vollerÜberzeugung verschiedenartig ringt, allenthalben sah ich, wie dieBlätter sprießen und verwelken, und ich kam zum Resultate, daßwir umsonst von absoluten Werten faseln.

Stets ist es der Schätzende, der den Wert irgendeinerSache festlegt, doch sind bei einer solchen WeltanschauungPessimismus oder Optimismus in gleicher Weise nicht am Platze.Will man sich unbedingt an einen immer gültigen Grundsatzhalten, so kann er nur vanitas vanitatum lauten.

Unsere Geburt erfolgt ganz ohne unser Zutun. Weiterhinsind wir eine Zeit lang noch vollkommen hilflose Wesen, undwenn wir später sogenannte ‘vernünftige Wesen’ werden, dannstrampeln wir in berechtigter Weise mit Händen und Füßen sokräftig, als wir nur können, aber nur so lange, bis uns nicht einLufthauch fortweht.

Die Freude, die genossen,Die stiehlt nicht Haß, nicht NeidDas Glück, wenn auch verflossen,Besteht für Ewigkeit!

Page 17: Nopcsa Reisen Balkan

3

Teil I

Studienzeit und erste Reisen

(1897-1905)

Page 18: Nopcsa Reisen Balkan

Studienzeit und erste Reisen (1897-1905)

Zufolge der 1895 entdeckten Dinosaurierknochen habeich mich nach der Matura im Herbst 1897 auf der WienerUniversität inskribiert, wo damals Prof. Eduard Suess wirkte.Meine erste wissenschaftliche Publikation erschien in denVerhandlungen der Geologischen Reichsanstalt in Wien 1897und behandelte die Geologie der Gegend von Hatzeg (HaÛeg,Hátszeg).

Bei ihrem Abfassen hatte mir Professor, damals AssistentG. v. Arthaber, wesentlich geholfen, sie in eine passende äußereForm zu bringen. Ihr Inhalt lief darauf hinaus, daß dieWirbeltierreste führenden Schichten von Szentpéterfalva nicht,wie G. Halaváts meinte, tertiären sondern kretazischen Altersseien, und so hatte denn gleich meine erste Publikation denCharakter einer Polemik. Die Entdeckungsgeschichte derKnochenlager von Szentpéterfalva ist von Inkey im FöldtaniKözlöny, Budapest, publiziert worden. Den ersten Knochen hattemeine Schwester Ilona gefunden, und so ist denn hier nur eineandere kleine, diese Reste betreffende Episode zu erzählen.

Als von Dinosauriern stammend hatten ProfessorenFuchs und Suess die Reste auf Grund des von mir ihnenzugeschickten Materials schon im Jahre 1896 erkannt, und da ichmich damals zwar schon für Geologie interessierte, meinEntschluß, fachwissenschaftlich Geologie zu betreiben, jedochnoch nicht gefaßt war, ich mir immerhin aber schon das‘Schürfrecht’ bei Szentpéterfalva in einer freilich nicht ganzgesetzlichen Form gewahrt hatte, so ging ich damals auf dieProposition von Professor Suess ein, daß Dr. Arthaber seitens derAkademie der Wissenschaften an die Fundstelle geschickt werde,dort Material sammeln und dasselbe beschreiben solle, dasMaterial aber in meinem Besitz zu verbleiben habe. Da Dr.Arthaber wohlhabend war, zögerte nun Suess in der Hoffnung,

Page 19: Nopcsa Reisen Balkan

Studienzeit und erste Reisen (1897-1905)

5

daß Arthaber vielleicht die Expedition im letzten Moment auseigenen Mitteln bestreiten würde. Mit dem Flüssigmachen desGeldes, wodurch sich in erster Linie die Verhandlungen zwischenArthaber und Suess (resp. der Akademie) mit Eklat zerschlugen,fiel das ganze Unternehmen ins Wasser. Mir blieb aber weiterhinnicht nur das Material, sondern auch das geistige Eigentumsrechterhalten, was insoferne für mich wichtig wurde, als ich michspäter entschloß, es selbst zu bearbeiten, und so Paläontologewurde. Ohne die Dinosaurierfunde bei Szentpéterfalva wäre ichüberhaupt nie schon als Gymnasiast mit den Wiener GeologenSuess und Fuchs in Kontakt getreten und hätte mich daher nachmeiner Maturitätsprüfung wohl kaum auf der Universität auf dasbei meinem Stande absonderliche Fach ‘Geologie’ inskribiert,wogegen so dieses Ereignis sozusagen von selbst eintrat. Die paarSteine, die ein alter Freund meines Onkels, Herr Gyula vonSzentgyörgyi, mir in der Laune eines Augenblickes geschenkthatte, und mein Mineralogiebuch, das einen geologischen Anhanghatte, lenkten meinen Sinn zuerst auf Mineralogie, dann aufGeologie, und die wurde die Ursache, daß ich NeumayersErdgeschichte durchlas, die mir in der sechsten Gymnasialklassevom Gymnasialprofessor Koller geliehen wurde. Alles dasbrachte es mit sich, daß ich mich für die Geologie der Umgebungvon Szacsal (S|cel) zu interessieren anfing. Wie man sieht, hattenkleine Zufälligkeiten für mein ganzes Leben hervorragendeBedeutung. Nach meiner ersten Polemik gegen Halaváts erhieltich von diesem einen krasse Ignoranz des Themas bekundendenBrief, dann folgten mehrere Artikel pro und kontra, wobei ich diegegen ihn gerichteten Angriffe auf stets breitere Basis stellte.Einen Abschluß sollte diese Polemik erst drei Jahre später finden.

Auf der Universität hörte ich 1897 Suess und Fuchs. ImJahre 1898 frequentierte ich Suess, Hatschek, Lieben. Im Januar1899 forderte mich Suess auf, den Schädel von Telmatosaurus,den ich 1896 entdeckt hatte, zu beschreiben. Suess war als

Page 20: Nopcsa Reisen Balkan

Studienzeit und erste Reisen (1897-1905)

6

Vortragender superb, als Gelehrter einzig, als Lehrer hatte erjedoch kein geordnetes Seminar. Daher waren die Schüler, zumalals er älter wurde, im Praktischen auf sich selbst angewiesen. Eswar diese eine schwere, zeitraubende, aber selbständige Forscherheranziehende Methode, gleichzeitig aber auch die Ursache,weshalb Suess relativ wenig Hörer hatte. Als ich seineAufforderung, Telmatosaurus zu beschreiben als unmöglichbezeichnete, weil ich keine Osteologie kannte, und dieses Themaeben damals auf der Universität nicht vorgetragen wurde, sagteer, “also lernen Sie es”, und damit war die Sache für ihn erledigt.Selbst war Eduard Suess freilich diesem Prinzipe auch treu, dennmit 70 Jahren lernte er noch perfekt Russisch. Seine Vorträgelehrten, auf das Große schauen und synthetisch arbeiten. Ichfolgte seiner Aufforderung und meine Arbeit war im Juniabgeschlossen, freilich nicht, ohne daß meine GesundheitSchaden gelitten hatte. Den Abschluß dieser Arbeit benützte ich,um die Polemik, die ich, kaum Universitätshörer geworden, 1897gegen den ungarischen Chefgeologen Halaváts über das Alter derSchichten von Szentpéterfalva eröffnet hatte, zum Abschluß zubringen. Ich nahm den Telmatosaurusschädel nach Budapest undlegte ihn in einer Fachsitzung der Ungarischen GeologischenGesellschaft vor, wobei ich einen Vortrag über die Dinosaurierim allgemeinen, ihre stratigraphische Bedeutung u.s.w. hielt, sodaß Halaváts am Ende des Vortrages genötigt war, ohneUmschweife das Alter der Szentpéterfalvaen Schichten, aber aucheinige andere Sachen, wie das Alter der bei Puj (Puj) und Bajesidauftretenden Schichten, bezüglich derer ich mit ihm seit 1902polemisierte, zuzugeben. Zufolge meines aggressiven Charakterssollte dies nicht meine letzte Polemik bleiben, doch gereicht esmir zur Beruhigung, daß ich, wenn ein anderer die Richtigkeiteiner Ansicht bewies, dies bisher stets mit sachlicherGleichgültigkeit hinnahm, so z. B. als Gaál das Oligozän imHatzeger Tal nachwies und anderes. Vor meinem Wiener Vortrag

Page 21: Nopcsa Reisen Balkan

Studienzeit und erste Reisen (1897-1905)

5 Ludwig Josef Maria Graf Draškoviƒ von Trakostjan (1879-1909). Vgl. Robel 1966, S. 15.

7

über Telmatosaurus in der Akademie der Wissenschaften, der 24Stunden nach dem Budapester Vortrag stattfand, hatte ich mitProfessor Weiß, dem Direktor der Sternwarte, eine lustigeEpisode. Suess gelegentlich nach Hause begleitend, wie ich eswegen der interessanten Konversation häufig tat, begegnete unsProfessor und Akademiemitglied Weiß. Suess stellte mich ihmmit der Bemerkung vor, daß ich demnächst in der Akademieeinen Vortrag halten würde. Weiß blickte mich erstaunt an,musterte mich von oben bis unten und fragte einfach, “Wie altsind Sie?” Ich nannte mein Alter (22). Weiß quittierte dies mitder Bemerkung, “Also doch,” dann unterhielt sich Suess prächtigüber die Frage. Weiß entschuldigte sich damit, daß er mich nachmeinem Äußern für bedeutend jünger gehalten hatte.

Am 23. Juni fand mein Vortrag in der Akademie derWissenschaften statt. Darauf fuhr ich nach Bosnien, denn ichhatte mit meinem späteren einzigen Freund, Louis GrafDraškoviƒ5, der damals auf der Juristen-Abteilung desTheresianums Jus studierte, einen Ausflug nach Bosnienbesprochen.

In Bosnisch Brod ist der Bahnhof durchwegs in schönem,orientalischem Stile gehalten. Ich war etwas verschlafen, und dergut beleuchtete Wartesaal (elektrische Beleuchtung), derfarbenprächtige orientalische Stil und einige herumlungerndeTürken und Serben in ihren Nationaltrachten machten demungewöhnten Beschauer ganz den Eindruck eines persischenMärchens aus ‘Tausend und eine Nacht’. Die Bahn Bosnisch-Brod - Sarajevo ist eine Schmalspurbahn, die Waggons klein,haben nur einen Puffer in der Mitte, die Packwaggons sind nicht10.000 Kilo, sondern nur 5.000-6.000 Kilo schwer. Die

Page 22: Nopcsa Reisen Balkan

Studienzeit und erste Reisen (1897-1905)

8

Lokomotiven sind wie die Rangiermaschinen auf größerenBahnhöfen gebaut, und das ganze macht eher den Eindruck einerSpielerei für Minister und erwachsene Leute als den Eindruckeiner ordentlichen Eisenbahn. Dessen ungeachtet sind dieWaggons sehr rein.

In Sarajevo elektrische Tramway, elektrischeBeleuchtung und alles ‘fin de siècle’, Straßenpflaster sehrvariabel, Makadam, Asphalt, Steinpflaster, Rollsteine und garkein Pflaster. Auch an den europäischen Häusern bemerkt man anArabesken, Hufeisenbögen u. dgl. den Einfluß des Orients. DasGemisch von Zinshausstil und arabischer Verzierung verschöntdas Zinshaus, ist daher ganz nett. Der türkische Teil Sarajevosschaut so aus, als ob permanente Jahrmarktbuden nebeneinanderständen. Moderne Häuser schießen wie Pilze oder Riesenzwischen den Bretterbuden hervor, diese verschwinden, abermodifizieren sich nicht. Bemerkenswert an den türkischenHäusern, die fast durchgehend stockhoch sind, ist der inStockhöhe, in der Mitte der Fassade befindliche, viereckige, inder Regel vergitterte Erker.

In Sarajevo sieht man viele Turbans. Der Turban wirddadurch gebildet, daß ein langes farbiges Tuch um den Fezherumgeschlungen wird. Der Raum zwischen Fez und Tuch dientdann als eine Art Tasche für Kleinigkeiten. Bei einem sah ich einMesser, bei einem anderen ein Paar Brillen u. dgl. in demselbenstecken.

Das Rathaus in Sarajevo ist in orientalischem Stil mitherrlichen Arabesken, in- und auswendig ein Prachtbau ersterOrdnung. 720.000 Fl. Herstellungskosten. Das türkischePriesterseminar ist 400 Jahre alt. Jeder interne Schüler lernt hiertürkisch, arabisch und seine Muttersprache. Der Kurs dauert 8Jahre, worauf der eine Priester werden oder in eine Juristenschuleübertreten kann. Je zwei Zöglinge sind in einer kleinen Zelleuntergebracht, in der sich ein Tisch, ein Ofen und zwei Betten

Page 23: Nopcsa Reisen Balkan

Studienzeit und erste Reisen (1897-1905)

9

befinden. Abgesehen vom Seminar besuchte ich dasKunstgewerbliche Atelier, wo Ziselierungs-, Inkrustier- undEinlegearbeiten, die hauptsächlich nach Paris, weniger nachWien, wandern, erzeugt werden.

Von Sarajevo wollte ich nach Pljevlja. In der Diligencenach Pljevlja waren aber bereits alle vier Plätze besetzt. Ich gingmit meiner offenen Order zum Postdirektor Cimponeriu, unddieser befahl nun, daß der Besatzungsmann des Postwagens sichmorgen auf das Dach des Packwagens setze, damit ich amPostwagen neben dem Kutscher Platz finde, was auch geschah.Die Felsenpartie hinter Sarajevo bis zur sogenanntenZiegenbrücke war wunderbar. In Goražde ging ich zurGendarmerie und habe hier ein Pferd requiriert, um noch selbenTags nach „ajni…e zu kommen. Um sieben Uhr abends habe icheinen Klepper, der nicht in Trab ging, und einen Bosniaken, mitdem ich nicht reden konnte, bekommen und bin mit ihnen umzehn Uhr nachts in „ajni…e angekommen. Hier gab es einDilemma. Ich konnte nicht sagen, daß ich zum BezirksleiterBarišiƒ wollte. Der Bosniake wußte nicht, wohin er mich führensollte. Gendarmen begegnet. Diese haben mir geholfen. Barišiƒ,ein mir ganz fremder und unbekannter Mensch, wollte sichsoeben niederlegen. Ihn aufgestöbert. Er hat mir Essen (Braten,Salat etc.) bestellt. Um elf Uhr nachts gegessen. Barišiƒ ist einsehr lustiger und freundlicher Mensch. Ich habe mich bis zwölfUhr mit ihm sehr gut unterhalten. Am nächsten Tag weiter nachPljevlja Metaljka Sattelgrenze. Hier beginnt eine geologischunbekannte Welt. Wie die Reise ergab, sind im Sandschakdieselben Triaskalke und paläozoischer Schiefer wie in Bosnienvertreten, von Kreide keine Spur.

Dr. Karl Oesterreich, jetzt Universitätsprofessor inUtrecht, schrieb mir später (circa 7/VII.1899) über die weitersüdlich gelegenen Teile folgendes, “Die Triaskalke der Gegendvon Pljevlja liegen auf den paläozoischen Gesteinen, die ich in

Page 24: Nopcsa Reisen Balkan

Studienzeit und erste Reisen (1897-1905)

10

ihrer ganzen Breite von Bijelo Polje bis Mežica durchquert habe.Es folgen die Kalkmassen von Berane bis Peja (Peƒ). SichereVersteinerungen habe ich nicht. Am Gebirgesrand nördlich vonPeja aber vermute ich Flysch, und die Rogozna ist einSerpentinlager, wie die Bosnischen. Die einzige gesicherteKreidestelle ist Gjakova (Djakovica). Hier innerhalb des Zugesder albanischen Alpen sah ich einen Rest des ehemaligenallgemeinen Kreidegebirges.”

In Pljevlja sind überall an den Bergeshängen dasMonogramm des Kaisers und der Namenszug des Sultans mitSteinen ausgelegt und mit Kalk weiß aufgemalt. Ein solchesMonogramm (F.J.I.) ist über 100 Schritte lang. Dies sieht auf denPljevlja umgebenden Höhen sehr merkwürdig aus. UnsereSoldaten machten solche Monogramme zum Zeitvertreib. Damitdies jedoch kein Anrecht auf das Land gebe, wurde es von denmißtrauischen Türken sofort nachgemacht. Jetzt glänzenösterreichische und türkische Zeichen friedlich nebeneinander. InPljevlja habe ich außer Brigadier Goumoens auch KonsulJovanoviƒ kennengelernt und bin mit letzterem zu SulejmanPascha, dem Gouverneur von Pljevlja. Ich habe letzterem gesagt,daß ich gerne nach Bijelo Polje möchte. Er sagte jedoch, ichsollte lieber nicht gehen, da es gefährlich sei, er nicht garantierenkönne, es außerdem nicht mehr in seinem Machtbereich liege,u.s.w. Ich sah, mein Plan war ihm unangenehm, und gab dahernach. Sulejman Pascha ist ein ruhiger, überlegender, schlauerDiplomat. Er ist gleichzeitig Zivil- und Militärgouverneur vonPljevlja, ein älterer, mittelgroßer Herr mit graumelierten Haaren,der sehr freundlich ist. Die Einwohner von Pljevlja, so sagte miraber Goumoens, haben großen Respekt und große Angst vor ihm.Bei Pljevlja konnte ich Lignit feststellen, aber dieser wie vieleMineralschätze der Türkei werden nur darum nicht abgebaut, weilder Türke von dem Grundsatze ausgeht, wenn Erze undMineralien für den Menschen bestimmt wären, so hätte sie Allah

Page 25: Nopcsa Reisen Balkan

Studienzeit und erste Reisen (1897-1905)

11

nicht unter der Erde verborgen, sondern auf derselben verteilt.Wenn jemandem ein Haus abbrennt, so hat dies natürlich Allahebenfalls so gewollt, und daher baut man das abgebrannte Hausangeblich nicht wieder auf, sondern eher ein neues.

Da der Ausflug nach Bijelo Polje unmöglich war, ritt ichvon Pljevlja nach Prijepolje, nachdem ich durch unseren Konsulein angeblich gutes Pferd bekommen hatte. Das Pferd hatteallerdings einige kleine Nachteile. Es war 1.) hochgradigdämpfig, 2.) konnte nicht in Trab gehen, 3.) rutschte und stolpertemit den Hinterfüßen, und 4.) kroch in Schritt wie eine Schnecke.Sonst war es aber gut. Es hatte zwei Augen und vier Füße, einenSchweif und alles, was ein Pferd braucht. Es dauerte daher lang,bis ich Prijepolje erreichte. Prijepolje hat bedeutend mehr Waldals Pljevlja, wo derselbe fast ganz fehlt. Wenn jemand in derTürkei Holz haben will, so geht er in den nächsten Wald, es sichholen. Das war 1899 das wirkliche türkische Forstgesetz, dastheoretisch gewiß ganz gut war, und die Folge dessen war einegroße Waldverwüstung.

Am Rückwege von Pljevlja nach Prijepolje habe ich micham Karstplateau verirrt und war froh, als ich über den öden Karstschauend mit dem Fernrohre endlich die Telegrafenstangenzwischen Pljevlja und Prijepolje wieder entdeckte. Auf demKarst, wie er um Pljevlja ist, ist es schwer, sich auf der Karte zuorientieren, denn es gibt gar keine Anhaltspunkte im Terrain, unddie vielen Karstlöcher, die, alle in gleicher Distanz undEntwicklung, nur zum Teil in die Karte eingezeichnet sind,bringen einen in Verwirrung. Eine grasbewachsene Doline nebender anderen. Dieser Anblick dürfte für die Dauer langweiligwerden, fesselt aber anfänglich sehr stark. Wachholdegestrüpp istdas einzige, was im Bereiche der Triaskalke und Dolinen anBäume erinnert. Ein anderes von Wachholder bevorzugtesGestein ist, wie ich später sah, der Serpentin. Diese Bevorzugungentsteht dadurch, daß auf den beiden schwer Humus erzeugenden

Page 26: Nopcsa Reisen Balkan

Studienzeit und erste Reisen (1897-1905)

12

Gesteinen infolge der Auslese durch die fast alles fressendenZiegen nur der Wachholder fortkommt, den die Ziegenverschmähen.

Da ich von Pljevlja nach Rudo wollte, stellte mir nachmeiner Rückkehr von Prijepolje auf Goumoens InterventionSulejman Pascha einen Zaptieh zur Verfügung, der mich dorthinbegleiten sollte. Abends kam der Zaptieh, um sich vorzustellen,und fragte, um wieviel Uhr er morgen früh kommen solle. Ichsagte zeitig um sechs Uhr früh und meinte dabei ‘a la franca’.Sechs Uhr ‘a la turca’ war aber um diese Jahreszeit circa zehnUhr Vormittags ‘a la franca’. Es gab daher wegen der ‘a lafranca’ und ‘a la turca’ Zeitrechnung zuerst eine großeKonfusion. Ich wußte nicht, wieviel Uhr ‘a la turca’ sechs Uhrfrüh ‘a la franca’ sei. Er wußte das Gegenstück nicht, und erst mitZuhilfenahme einiger Offiziere, Ordonnanzen, Diener undanderer Leute regelte sich die Frage. Endlich sagten wir ihm, ersolle um zwei Uhr früh ‘a la turca’ kommen.

Nach dieser Episode ging ich in das Offizierskasino vonPljevlja, in das mich gleichfalls Goumoens eingeführt hatte, undschaute gerade einer Schachpartie zu, als meine Ordonnanz kamund die Ankunft eines ‘Herrn Alban’ meldete. Ich eilte hinausund fand vor den Offizier- Fremdenzimmern ein Pferd, türkischeSoldaten, Türken, unsere Soldaten sowie jemanden in Segeltuchoder so etwas mit dickem Knüppel und, wie sich später zeigte,mit entfärbter Lederkappe.

Es war Louis Graf Draškoviƒ, der aus Albaniengekommen war. Er erfuhr in Prijepolje, daß ich in Pljevlja sei undeine seiner ersten Fragen war, als er mich endlich in Pljevljaantraf, ob ich ein Pferd habe. Die Antwort meinerseits lautete,“nein.” Dann gingen Draškoviƒ, wie er war, und ich zuGoumoens. Erst jetzt in dem gut beleuchteten Zimmer sah man,wie vagabundenmäßig Draškoviƒ aussah, und dabei machte er aufmich doch einen guten Eindruck. Graue Hose mit Lederbesatz

Page 27: Nopcsa Reisen Balkan

Studienzeit und erste Reisen (1897-1905)

13

und ein weißes, d. h. ehemals weißes Flanellhemd, das vorneoffen eine abgebrannte Brust zeigte, dunkelbrauner Hals undebensolches Gesicht. Lederkappe, montenegrinische Opanken,um den Leib einen konstantinopolitanischen Sülah voll vonNotizbüchern, Tabakdose, Zigarettenspitze u. dgl. Dazu einenfesten Knüppel in der Hand und natürlich unrasiert. In dieserAdjustierung erregte Draškoviƒ im Offizierskasino, wohin wiruns mit Goumoens begaben, natürlich sehr viel Aufsehen, zumaler dabei knieweich und vorwärtsgebeugt ging. Ich war riesig überdas Wiedersehen erfreut. Draškoviƒ war seelig über seine Reise,zumal er 1½ Tage in Rožaj bei Kurtagiƒ Edhem Ibrahim Effendi,seinem Blutsbruder, gewesen war.

Von Draškoviƒ erfuhr ich, daß sein türkischer Zaptieh eingutes Pferd habe. Ich ging daher mit ihm am nächsten Tag zumZaptieh. Dieser zeigte uns sein Pferd. Es war ein echtesSandschakpferd mit ein wenig albanesischem Einschlag. Klein,eher kurz, Kopf auch nicht gerade klein, eckig gebaut, Halsansatzstark, kurzer dreieckiger Hals mit wunderbarer Mähne, breiterBug, starke Schulter. Kruppe etwas schwächer, ziemlich geradeaber etwas abfallend. Alles in allem starker, knochiger Bau.Starke Füße, einwandfrei. Das Pferd war beim Kaufe inschlechter Kondition und hatte einen Neubauch. Gangartenpassabel: Schritt gut, Paß und Trab schwach, Galopp, wie ichspäter bemerkte, ganz gut aber mit etwas schweren Bewegungen.In Schritt und Trab elastisch. Dieses Pferd war ein Brauner undhieß daher wie jeder Braun Dorat.

Ich erklärte mich bereit, Dorat für 70 Fl. zu kaufen. DerZaptieh verlangte 120 Fl. Wir einigten uns auf 106 Fl. Der Kaufwurde in Anwesenheit einiger anderer Türken durch Händedruckbesiegelt, und das Geld wurde sofort erlagt. Der Zaptieh nahm die106 Fl. bereitwillig in österreichischem Papiere an. Dorat ist 5½Jahre alt, aber ein Mistvieh. Man kann kaum in seine Nähekommen. Er beißt jeden, der nicht Türke ist. Gibt man ihm

Page 28: Nopcsa Reisen Balkan

Studienzeit und erste Reisen (1897-1905)

6 d. h. die Albaner.

14

Zucker, so frißt er ihn zwar, beißt jedoch sofort danach.Hoffentlich ändert er sich. Beschlagen waren sowohl er als auchLouis sein Pferd Djogat ‘a la turca’, das heißt mit einem sehrbreiten Hufeisen, das auch hinten schließt und, als eine ArtScheibe, die ganze Furt bedeckt. Nur in der Mitte bleibt einfingergroßes Loch offen. Dieser Beschlag schützt den innerenTeil des Hufes zwar vor scharfen Steinen, ist andererseits aberschlecht, weil die Pferde, da Stollen fehlen, nicht greifen könnenund rutschen. Im allgemeinen sind die türkisch-bosnischen Pferdeviel schlechtere Gebirgspferde als die siebenbürgischen, schauenjedoch viel schöner aus.

Nach dem Pferdekauf nach Hause gegangen und hier voneinem jungen Albanesen aus Peja, der bei einer Waffenhandlungbeschäftigt war, aufgesucht worden. Er kam, um uns Silberwarenzu verkaufen. Zuvor war ein anderer Händler in derselbenBranche bei uns gewesen, dem wir aber die Türe gewiesen hatten.Den jungen Albanesen Platz nehmen lassen, lange mit ihmgeplaudert, und Draškoviƒ hat schließlich eine Kleinigkeitgekauft. Er sagte, er sei nur gekommen, um den anderen Händlerzu ärgern. Ein aufgeweckter, schlauer Bursche. Die Arnauten6

haben im Lande eine große Überproduktion. Albanien ist einarmes Land , das im Verhältnis zu seiner Armut eine zu dichteBevölkerung hat, und jährlich kommen daher viele Albaner vonihren Bergen hinunter in die Ebenen, wo sie als sehr intelligenteund unternehmerische Kaufleute bis nach Karlstadt in Kroatien,ja bis Agram vordringen.

Mit Draškoviƒ allein zum Pascha gegangen, Draškoviƒum sich vorzustellen, ich um mich für den nicht gebrauchtenZaptieh zu bedanken. Hier fand nun ein unangenehmer undpeinlicher Zwischenfall mit unserem Konsul statt, was mir neu

Page 29: Nopcsa Reisen Balkan

Studienzeit und erste Reisen (1897-1905)

7 d. h. Herberge.

15

war, Draškoviƒ aber, der Jovanoviƒ seit 1898 von Belgrad her alsdumm, eingebildet und unangenehm kannte, nicht befremdete.Daß Jovanoviƒ dumm und eingebildet sei, sagte mir später auchBornemisza Gyula.

Am folgenden Tag ritt ich auf Dorat mit Draškoviƒ nach„ajni…e in Bosnien und verließ hiemit den Sandschak, den dieösterreichischen Offiziere nicht Sandschak, sondern wegen derschlechten Stationen ‘Schand-sack’ nennen. Der Sandschak, vonÖsterreich-Ungarn infolge der Berliner Kongreßbeschlüssebesetzt, bildet, oder soll wenigstens, einen Keil bilden zwischenSerbien und Montenegro. Die k. u. k. Besetzung, die diesbewirken soll, ist aber ein Schwindel. Erstens hat die dortigeBevölkerung vor unseren Soldaten gar keinen Respekt. Zweitenshalten wir in Wirklichkeit nur einen Weg („ajni…e-Prijepolje)besetzt. Unsere Soldaten sind allerdings im SandschakKulturträger und Kulturförderer ersten Grades (Wege, Häuser,Wasserleitung, Telefon, Friedhöfe, europäischer Komfort,Zeitungen etc.), jedoch bleibt die Kultur der Bevölkerung fremd,und dies hauptsächlich deshalb, weil wir mit der Bevölkerung ingar keinem Kontakt sind und übrigens auch gar keinen Kontaktsuchen.

Die Türken machen absolut nichts. Alles ist die Arbeitunserer Soldaten. Man reist zum Beispiel vierzig Kilometer odermehr durch eine steinige, wasserlose Wüste ohne Pferd, ohneFeldwagen. Je acht Kilometer oder noch weiter voneinandererheben sich einzelne, alte, manchmal halbverfallene Gebäude,wie eine alte Tanya, ein türkischer Han7, und mitten durch dieseEinöde windet sich eine wunderbare, breite Chaussee mitschönen, sorgfältig geordneten Schotterhaufen, ausgezeichnetenBrücken in großen Serpentinen. Man sieht, hier wurde weder

Page 30: Nopcsa Reisen Balkan

Studienzeit und erste Reisen (1897-1905)

16

Geld noch Zeit noch Arbeit gespart, nur um in die Wildnis eineHeeresstraße erster Ordnung hinein zu bauen. Am Rande desWeges sieht man eine doppelte Reihe Telegrafenstangen, die deninternationalen, den türkischen und den österreichisch-ungarischen Draht tragen, und manchmal sieht man die Reste deralten gepflasterten türkischen Heeresstraße, die bis Bosna-Serai(Sarajevo) führt, und die der Sage nach von einer Prinzessin, dieam Durmitor wohnte, gebaut worden war.

Wenn man nun weiß, daß auf Hunderte von Kilometernseitwärts dieser Straße nicht einmal ein Karrenweg anzutreffenist, dann macht diese Chaussee einen großartigen Eindruck. DerWeg scheint ein Faden zu werden, der unsere in die Wildnisvorgeschobenen Posten mit der übrigen Welt verbindet. Von Zeitzu Zeit sieht man ein großes, befestigtes weißes Gebäude, davoreinen Mastbaum mit dem kaiserlichen Doppeladler. Das sindunsere Militärstationen, die stets auf einem erhöhten Punktegebaut, die Chaussee bewachen, daß sie nicht zerstört oderunterbrochen werde. Dieser Weg und diese Gebäude, nur das sindunser Besitz im Sandschake, denn einige Kilometer seitwärts vomWege wird das Gebiet bereits unsicher, und da haben wir nichtszu suchen. Der deutlichste Beweis dessen war für mich, daß ich,obzwar das Sandschak-Gebiet fast bis Berane reicht, dennochnicht weiter als Pljevlja kommen konnte, ja sogar unsereOffiziere, wenn sie im Frühjahr größere Übungsritteunternehmen, dies nur mit Erlaubnis und unter Schutz desPaschas von Pljevlja tun dürfen. Man könnte ebenso gut ganzAlbanien als zur Monarchie gehörig bezeichnen wie denSandschak. Es ist ein unerhörter Betrug auf den Landkarten, daszwischen Lim und Tara befindliche Gebiet als von Österreich-Ungarn militärisch besetzt zu bezeichnen, wo doch einösterreichischer Soldat allein überhaupt nicht hinein darf. Wirwerden als harmlose Leute im nördlichen Sandschak eben nurgeduldet, haben aber absolut keinen Einfluß, sind nur Fremde

Page 31: Nopcsa Reisen Balkan

Studienzeit und erste Reisen (1897-1905)

17

oder Gäste. Deshalb konnte der Sandschak im Jahre 1908 ohneweiteres aufgegeben werden.

Merkwürdig und sehr schön sind die Trachten desSandschaks, manchmal wird nämlich bei Männern der ganzeKopf in ein leichtes, grelles bzw. feuerrotes Tuch eingewickelt,das man auch um den Hals schlingt, so daß nur ein scharfgeschnittenes Gesicht hervorschaut.

Aus dem Sandschak ritten wir über das bekannte „ajni…e,Sarajevo und Busova…a nach Travnik. In Sarajevo gab es nacheinem zweitägigen Ritt eine gründliche Körperreinigung. AnIlidža ritten wir vorbei, ohne es zu besuchen, und dann ging esweiter nach Busova…a. Gegen Busova…a wird das Land wenigerbergig als weiter im Süden, und es nimmt Hügelcharakter an. Dieniederen Hügel und feuchten Täler sind mit Erlen bewachsen.Von dem ‘Bosna ravna’ (Bosnische Ebene), wie Bosnien in denHeldenliedern genannt wird, bemerkt man aber gar nichts. Bosnaravna heißt Bosnien eben nur im Verhältnis zum gebirgigen,weiter südlich gelegenen Teil (Albanien, Sandschak,Montenegro). Bemerkenswert ist, daß in den bosnischenHeldenliedern unter dem Namen ‘Sibinjani Janko’ HunyadyJános eine Rolle spielt. Es heißt da unter anderem, “dessen Burgbeim bergigen Sibin ist” Dieses Sibin ist Nagy Szeben (Sibiu,Hermannstadt) damit zugleich der Beweis gegeben, daß nichtHermannstadt sondern Sibiu bzw. Szeben der ältere Name dieserStadt ist.

Abends begann es vor Busova…a sehr dunkel zu werdenund zu regnen, so daß wir acht Kilometer vor Busova…a in einenHan einkehrten. Wir gingen auf eine Art Dachboden, bei demjedoch die eine Hälfte noch mit einer Art Plafond zugedeckt war.An der einen Längsseite gab es in einem Kamin ein Feuer, in derMitte des Zimmers stand ein niederer, zwanzig cm. hoher, runderTisch, auf dem eine große Schüssel mit Erdapfelsuppe serviertwar. Um den Tisch saßen einige Bosniaken, alles fanatische

Page 32: Nopcsa Reisen Balkan

Studienzeit und erste Reisen (1897-1905)

18

Katholiken. Sie machten uns Platz, gaben uns Brot und einigeLöffel. Wir bekreuzigten uns vor dem Essen, und aßen aus dergemeinsamen Schüssel. Nach der Suppe gab es sauere Milch unddanach Kaffee. Nach dem Essen gingen wir in die Schlafkammerdes Wirtes selbst, da wir als bessere Gäste aus Protektion dieseStube bekamen, und legten uns dort nieder. Die Türe dieserStube, die ein sehr kleines Loch mit noch kleineren Fenstern war,führte direkt in den Stall. Der größte Teil der Stube wurde voneinem Podium eingenommen, auf dem wir schliefen. Auf dereinen Seite stand ein Holzbett, in dem kaum eine Person Platzhatte, in dem aber der Wirt mit einem kleinen Kind Platz fand.Daneben lagen am Boden der Stallbursche, dann ich und nebenmir Draškoviƒ. Hierauf kamen am anderen Ende der Stube unsereSattel, Bisagi, mein Rucksack usw. Wir lagen in der Nacht allewie Heringe nebeneinander. Über einige Pölster, die der Wirt unsspendierte, legten wir die nassen Regenmäntel, die gut mitZacherlin bespritzt waren (Wasser und Zacherlin bildeten, wiewir am nächsten Tag bemerkten, einen gelben Kot), legten unsdarauf und deckten uns zusammen mit Draškoviƒ seinembosnischen Mantel zu. Beim Niederlegen hatte ich michanfänglich gegen links, also gegen den Stallburschen gelegt, alser im Schlafe mir mit seiner Hand ins Gesicht fuhr. Hieraufwendete ich mich nach rechts. Trotz der Tatsache, daß diePodiumsbretter ganz bedenklich hart waren, haben wir bis in derFrüh sehr gut geschlafen. Nur haben Draškoviƒ und ich unsgegenseitig einige Male den Mantel ungewollt im Schlafeweggezogen.

Da Dorat bei Busova…a wieder krumm war, beschlossenwir, daß ich die Strecke Travnik-Jajce per Bahn zurücklegensolle. Wir erfuhren, daß der Zug von Travnik nach Jajce um einUhr abgehe, und beschlossen also, daß Draškoviƒ am folgendenTag schnell allein vorausreiten solle, um frühzeitig in Travnikeinzutreffen, um dort dann einen Wagen für Dorat zu bestellen.

Page 33: Nopcsa Reisen Balkan

Studienzeit und erste Reisen (1897-1905)

19

Ich sollte, Dorat am Zaume führend, folgen. Es geschah, wie wirbesprochen hatten, doch erfuhr Draškoviƒ, daß der Travniker Zugbereits um zwölf Uhr abgehen würde. Er ließ daher in einemHaus einen diesbezüglichen Zettel zurück, auf dem er michaufforderte, so schnell als möglich zu folgen, und so lief ich denndie letzten zwölf Kilometer vor Travnik in ein und einer halbenStunde. In Travnik kam ich bei strömendem Regen zwarrechtzeitig an, mußte aber, da kein Wagen zur Verfügung stand,bis zum folgenden Tag warten. Draškoviƒ ritt inzwischen weiter.

Ein orthodoxer Bosniake, also ein Serbe, der zwei Jahreund ein Monat in Wien als Soldat gedient hatte und daher einwenig deutsch konnte, hat mir interessante Aufschlüsse über dieBevölkerung Travniks gegeben. Die Katholiken nennen sich‘Horvat’ (Kroate), die Mohammedaner ‘Türke’ und dieOrthodoxen ‘Serbe’. Viele, die sich Türken nennen, weil sie ebenMohammedaner sind, können in den niederen Volksklassen, mitdenen wir verkehrten, gar nicht oder nur sehr schlecht türkisch.Osmanli gibt es keine in Bosnien. Die wenigen, die da waren, undviele Mohammedaner sind bei der Okkupation ausgewandert.Dies gilt für ganz Nordbosnien und, was Serben und Türkenanbelangt, auch für Südbosnien. Die Katholiken in Südbosniennennen sich jedoch nicht Kroaten, sondern Bosniaken, und dieserName stammt noch aus der Zeit der bosnischen Könige vor dertürkischen Okkupation, als im Süden auch der landläufige BegriffBosnien sich gar nicht mit dem jetzigen Bosnien deckte, sondernder territorialen Ausdehnung des alten Königreiches Bosnienentsprach. Die Landbevölkerung im Süden bezeichnet auch Teileder Hercegovina, des Sandschak und einen Teil von Albanien mitdem Namen Bosnien. Zur Hercegovina der Landbevölkerunggehören dann auch noch Teile von Montenegro. Dies alles habeich nicht nur von meinem Serben in Travnik, sondern auch vonanderen wiederholt gehört.

Page 34: Nopcsa Reisen Balkan

Studienzeit und erste Reisen (1897-1905)

20

Bosnien ist ein gutes Beispiel dafür, welchen Einfluß dieReligion auf den Charakter ausübt, und wie durch äußereUmstände ein und dasselbe Volk verändert werden kann, und wiein der Tradition des Volkes alte Tatsachen bewahrt bleiben. InTravnik habe ich am folgenden Tag Dorat zur Station geführt undim Waggon Stroh aufschütten sowie Heu und Hafer bringenlassen, so daß Dorat bis Jajce zu fressen hatte. Ich nahm einDritteklassebillett und fuhr im Pferdewaggon. Bei einer Station,deren Name mir entfallen ist, kam der Schaffner herein, meinBillett zu durchlochen. Neben mir war Dorat in nicht ebenästhetischer Beschäftigung versunken. Ich schlummerte, denSattel als Kissen benützend, im Heu. Der Schaffner hielt mich fürden Stallburschen des ‘Herrn Baron’ und fragte, “Fährt der HerrBaron auch mit diesem Zuge?” Der Wahrheit gemäß beantworteteich die Frage mit einfachem ‘Ja,’ worauf er ein Gespräch anfingund mich kameradschaftlich fragte, woher wir kämen, u. dgl.Jedoch dauerte die Unterhaltung nicht lang, da der Zug nur einigeAugenblicke in der Station hielt und der Schaffner keine Lustverspürte bis zur nächsten Station im Pferdewaggon zu fahren. InJajce mietete ich einen Wagen, band Dorat am Wagen hintenanund fuhr weiter gegen Tetrovo Selo.

Der Weg von Jajce nach Jezero führt fortwährend amRande eines Sees entlang, der infolge von Kalktuffbildungenentstanden ist. Durch Kalktuff wurde nämlich das Tal bei Jajceabgedämmt. Vorne entstanden Katarakte, die die Kalktuffbildungbegünstigten, und so wurde ein großer Teil des Tales unterWasser gesetzt. Gleich hinter Jajce bildet der Sinter kleineTerrassen, die durch Wasserfälle miteinander verbunden sind.Der Rand einer solchen Terrasse wird durch Kalktuffriffegebildet. Diese Riffe, durch den Niederschlag von Kalk auf eineMoosart entstanden, erheben sich circa zwanzig cm. über dasWasserniveau. Und auf ihnen wächst das besagte Moos, das sichan seiner Basis stets neu inkrustiert weiter in die Höhe. Mit der

Page 35: Nopcsa Reisen Balkan

Studienzeit und erste Reisen (1897-1905)

21

Zeit werden die Riffe größer, breiter und höher, bis sich endlichauf denselben Gräser, Büsche, ja sogar Bäume, namentlich Erlenund Weiden, einfinden. In der Regel sind die durch solche Riffegebildeten Bassins, wie bei allen Sinterterrassen, kreisförmig undenthalten schönes, blaues Wasser. Solche treppenartige,übereinander gelagerte Riffe erstrecken sich manchmal quer überden ganzen Fluß bzw. flußartigen See und werden nur durcheinige Querstellen unterbrochen, an denen das Wasser wie ausWasserschleusen hervor strömt. An diesen Stellen ist dieStrömung zu rapid, und es kann sich daher kein Moos ansetzen.An anderen Stellen stehen wieder große Bäume oder Büsche aufkleinen Inseln, daß sie ihre Unterlage vollständig bedecken undaus dem Wasser zu wachsen scheinen. Wo die Wasserflächegrößeres Gefälle hat oder Schleusen vorhanden sind, erheben sichmitten im Fluß auf hohen Pfählen primitive Mühlen. Schön siehtdiese vor allem dann aus, wenn aus den Kalktuffriffen hoheBäume wachsen und aus dem Grün des Laubes einige derprimitiven Mühlen, blaue Tümpel und weißer Schaum hervorlugen. Beim Entstehen eines solchen Stausees, wie jener vonJezero, sind drei Phasen bemerkbar. Erstens ein glatter Flußlauf.Zweitens einige weitentfernte Riffe. Drittens treppenartigeTerrassenbildungen. Wenn die Tuffbildung wirkt, wird der aufdiese Weise gestaute See immer größer. Aber Erdreich, Schlamm,Röhricht, Schilf, Büsche und Bäume arbeiten dem entgegen undschütten das hinter den Riffen liegende Terrain auf. Auch diesenVorgang kann man sehr genau auf dem Wege von Jajce bisJezero beobachten und so kann man endlich im See fünf gutgetrennte Regionen unterscheiden.1. Region der Wasserfälle, Katarakte und Kaskaden,2. Region des tiefen Sees,3. Region des Schilfes,4. Region des Schilfes und der Weidenbäume,5. Region der feuchten Wiesen.

Page 36: Nopcsa Reisen Balkan

Studienzeit und erste Reisen (1897-1905)

22

Der See von Jezero soll über hundert Meter tief sein.Jedenfalls muß seine Tiefe etwas geringer sein als die Fallhöhealler Kaskaden zusammen, und diese ist in der Tat wohl mehr alsfünfzig Meter. Dieselbe Art der Seenbildung wie bei Jezerowiederholt sich infolge des Kalkgehaltes des Wassers bei Bihaƒ,Plitvica und Slunj.

In Jezero bin ich stehengeblieben und habe zufällig voreinem villaartigen, recht hübschen Gebäude stehend einenEuropäer gefragt, welches hier das Hotel sei. “Ja, haben Sie keineAugen?” oder so etwas ärmliches war die Antwort, jedenfallsetwas Grobes. Ich wurde böse, sah auf das Hotel ohne Aufschriftund sagte ihm infolgedessen, “Sonst haben Hotels in EuropaAufschriften, woran man sie erkennt. Ich habe gedacht, daß auchhier westeuropäische, nicht aber türkische Verhältnisseherrschen.” Der Mann war durch diese Antwort gekränkt,verschwand in dem Gebäude, und ich sah bald, daß es derHotelier selbst war, dem ich das gesagt hatte.

Eine Spezialität und Berühmtheit von Jezero sindsogenannte ‘gebackene Forellen’. Ich glaube, dies ist weder eineSpezialität, noch sind die Forellen hier besser als anderswo. AmSee fuhren einige Bosniaken in einem Kahn einher, um einenSchwarm Gänse nach Hause zu treiben. Dies war originell, undich habe mich infolge ihrer Ungeschicklichkeit in den Einbäumen(Kanus) gut unterhalten. Und dasselbe taten übrigens auch dieanderen am Ufer befindlichen Bosniaken.

Von Jezero fuhr ich, bloß in Vacar Vakuf rastend, überNacht nach Klju…, wohin Draškoviƒ vorausgeeilt war. Draškoviƒhatte in einem Tage die Tour Busova…a-Jajce und am nächstenTag Jajce-Klju… gemacht. Dies war aber Djogat zu viel gewesen,und in Klju… hatte das Tier geschwollene Fesseln. Auch Doratwar etwas müde, sonst aber scheinbar gesund. Gegen zehn Uhrhaben wir beide Pferde gebadet und selbst Kaffee getrunken, undum zwölf Uhr etwas gegessen. Hierauf sind wir nach Petrovac

Page 37: Nopcsa Reisen Balkan

Studienzeit und erste Reisen (1897-1905)

23

aufgebrochen und am folgenden Tag nach Bihaƒ weitergeritten.In Han Begovac blieben wir stehen, haben Kaffee getrunken.

An jenem Ort trug sich ein Fiaker aus Bihaƒ an, unsdorthin zu fahren. Als wir sagten, wir könnten die Taxe nichtzahlen, fuhr er uns umsonst. Ein Mann sollte unsere Pferde zuFuß nach Bihaƒ bringen. Wir nahmen die Einladung vonDerwisch Hadži Abdiƒ (mir scheint, so hieß der Fiaker) mitFreuden an. Bihaƒ und Begovac waren dreißig Kilometer voneinander entfernt.

Wir bemerken, daß alle Leute (Bauern) hier in Bihaƒ denper…in (Zopf) tragen und zwar sowohl Mohammedaner als auchKatholiken und Orthodoxe. Vor Bihaƒ sind uns zahlreichemontenegrinische Kappen aufgefallen und, als wir unseren Fiakerdiesbezüglich fragten, sagte er, “Früher, das heißt vor einigenJahren, hat es hier keine gegeben. Jetzt nehmen sie aber infolgeder serbischen Propaganda zu, weil die Leute die Russen gernhaben.” Russisch, serbisch, montenegrinisch ist, wie aus diesemSatze hervorgeht, den Orthodoxen hier alles eins. Maßgebend istnur, daß diese alle orthodoxe Staaten sind.

In dieser ganzen Gegend gibt es bis Petrovac sehr schöneMenschen. Ibro Kaptanoviƒ war z. B. ein wunderschön gebauterMann, mit schön gebogener Nase, großen schwarzen Augen,schwarzen Haaren, überhaupt mit auffallend edlen angenehmenZügen und sehr schönem, geradem Körperbau.

In Bihaƒ sind Draškoviƒ und ich im Hotel Kaiser dieganze Zeit Gäste von Barcsay und Berks gewesen. Dieseerwarteten uns erst abends und wollten uns mit etlichen Fiakernund Privatwagen entgegenfahren, um uns zu treffen. Da wir aberum fünf Uhr nachmittags bereits selbst in Bihaƒ waren, unterbliebdie Wagentournee. Barcsay freute sich sehr, mich zu sehen, undbegrüßte mich als den ersten Siebenbürger, der ihn in Bosnienaufsuchte. Er war wie immer lustig, und auch Draškoviƒ fand ihnsehr sympathisch. Draškoviƒ ist mit Barcsay auf sehr

Page 38: Nopcsa Reisen Balkan

Studienzeit und erste Reisen (1897-1905)

24

eigentümliche Art bekannt geworden. Barcsay erwartete EndeJuli in Bihaƒ einige verdächtige Individuen und gab derGendarmerie Befehl, dieselben bei ihrer Ankunft sofortaufzuschreiben und ihm ihr Eintreffen zu melden. Tags darauferschienen wirklich die drei erwarteten Individuen. Außerdemkam Draškoviƒ an, der wie ein Vagabund ausschaute und keineAhnung hatte, daß Barcsay in Bihaƒ sei, ihn vielmehr nachmeinen Mitteilungen in „ajni…e glaubte. Denn als Louis und ichunsere Reise im Mai 1899 endgültig besprochen hatten, warBarcsay, von dem ich nach Bosnien eingeladen worden war,wirklich noch in „ajni…e gewesen. Er wurde erst Ende Juli nachBihaƒ transferiert, wovon ich aber Louis, der seine Reise bereitsEnde Juni antrat, nicht mehr verständigen konnte. In Bihaƒ wurdenun auch Draškoviƒ in der Gendarmeriemeldung als viertes,verdächtiges Individuum aufgeschrieben, und der Bericht wurdeBarcsay unterbreitet. Barcsay wußte von mir, daß ich einRendezvous mit einem Grafen Draškoviƒ in „ajni…e verabredethatte. Er erkundigte sich also, ob die vierte Person ein GrafDraškoviƒ sei, und als ihm dies gemeldet wurde, lernte er Louiskennen.

Vom Hotel Kaiser gingen Draškoviƒ und ich mit Günterund Lothar Berks (ehemaliger Theresianist) zuerst in den Konak(Amtsgebäude) zu Barcsay und hierauf zu Berks. Später mit denBerksbuben zum Kafedschi, Hassan „auš, einem alten Türken,der kaum ein Wort Slawisch konnte. Hassan war ein alter,breitschultriger, etwas gebogener, kleiner Mann mit schwarzemVollbart und krummer Nase, schmutzig ad infinitum, mit Turbanam Kopf und in zerrissenen Lumpen. Dort haben wir Kaffeegetrunken. Seinen Sohn Ali, einen intelligenten, schlauenBurschen, hat Draškoviƒ als Privatdiener angenommen.

In Bihaƒ gibt es einige merkwürdige, alte Häuser. Imallgemeinen ist die Stadt viel europäischer als diejenigen, die wir

Page 39: Nopcsa Reisen Balkan

Studienzeit und erste Reisen (1897-1905)

25

bisher passierten. Nebst Sarajevo soll Bihaƒ die am meisteneuropäische Stadt in ganz Bosnien sein.

Mit verschiedenen Beamten haben wir viel über Kállaygeredet. Von den Beamten wird ihm gar vieles vorgeworfen. Vorallem wird behauptet, daß er nur für den Augenblick arbeitet.Niemand leugnet zwar, daß er viel Dauerndes und Gutes schaffe,jedoch werden viele neue Einführungen verdammt, die das Augedes Fremden zwar blenden, den Türken aber fremd bleiben. Es istwahr, ein türkischer Bazar und daneben eine elektrische Tramway(Sarajevo) schauen komisch und abenteuerlich aus. Das einestammt aus dem vierzehnten, das andere aus dem neunzehntenJahrhundert, und fünf Jahrhunderte werden durch diesegewaltsame Entwicklung in Bosnien übersprungen. Ferner wirdKállay vorgeworfen, daß er zur Verwirklichung dieserblendenden Zwecke viel Geld aus der bosnischen Kassa, die leerbleibt, auf Ausstellungen u. dgl. verschwendet, was viel besseranderswo gebraucht werden könnte. Aber alle diese Vorwürfe,von denen ein Teil vielleicht wahr sein kann, finden ihre leichteund natürliche Erklärung. Kállay überlastet seine Beamten aufsHöchste und er nützt jeden aus, wie er kann. Während meinerReise konnte ich ein autokratisches Regieren konstatieren,allerdings auch sehen, daß viele Einführungen dem Volke fremdbleiben, weil sie eben zu schnell aufoktroyiert wurden.

Von Bihaƒ wurden einige Ausflüge nach Ostrožac, Ilidžaund Brenovo Tjesmo unternommen. Als nun bei so einerGelegenheit unser neuer Freund, Derwisch Hadži Abdiƒ, der vonBihaƒ einen Abstecher nach Bisag gemacht hatte, Draškoviƒentgegenfahren sollte, und Barcsay dem Demri dies sagte,erklärte dieser, daß er es umsonst tue. Berks aber, um jedenSchein eines Amtsmißbrauches zu vermeiden, ließ ihm durchBarcsay sagen, das gehe nicht an. Er werde ihm vielmehr dieTaxe (10 K.) bezahlen. Doch der Derwisch wollte nun plötzlichfür 10 K. nicht fahren, sondern verlangte 14 K. Von Barcsay

Page 40: Nopcsa Reisen Balkan

Studienzeit und erste Reisen (1897-1905)

26

darüber zur Rede gestellt, erklärte er, entweder fahre er umsonst,weil er den Grafen Draškoviƒ gern habe, oder er fahre des Geldeswegen. In diesem Falle aber tue er es nicht unter 14 K. Werde erbezahlt, so wolle er wenigstens gut bezahlt werden. Damit derDerwisch nicht umsonst fahre, blieb nichts anderes übrig, als ihmdie 14 K. zu zahlen. Daß bei dieser Sachlage an Stelle von demDerwisch nicht ein anderer gemietet wurde, hatte seinen Grunddarin, daß Draškoviƒ bei seiner Abreise besonders gebeten hatte,es möge ihm der Derwisch, der ihm wegen seines Plaudern sehrsympathisch sei, entgegengeschickt werden. Barcsay und Berksfühlten sich durch diese Bitte gebunden. Das Benehmen vonDerwisch Hadži Abdiƒ ist typisch für diese bosnischeBevölkerung und aus ihrem unabhängigen, natürlichen Charaktererklärlich.

Dieser arme Derwisch hatte aber bei einer anderen Fahrtmit uns bedeutendes Unglück, da ihm die hintere Achse desWagens brach. Wir fuhren im Schritt, als ich plötzlich einrhythmisches Schaben oder Schleifen des Rades gegen denWagenkorb hörte und dabei regelmäßige Stöße spürte. Ich bliebsitzen. Lothar sagte, “Du, wir sitzen auf dem Rade”. Woraufdieser heraussprang und den Achsenbruch konstatierte. Daraufsind wir zu Fuß weitergegangen. Der Derwisch hat seiner AchseHolzschienen eingelegt, diese verbunden und ist so am nächstenTag um Louis gefahren.

In Dremovo Tjesmo sah ich einige recht gute Pferde,zumal einen schönen Schimmel des Hadži Selman Beg Coroviƒ,Bürgermeister von Cazin. Es war dies ein wunderschöner, starkerSchimmel. Er erinnerte zwar stark an die kleinen, bosnischenPferde, war jedoch größer, und man erkannte darin den Araber.Er war größer und etwas schwerer als die albanischen Pferde, undseine Kruppe war gut entwickelt. Wenn alle bosnisch-arabischenPferde so schön wären, wäre es ein wunderschöner Schlag. Mansollte es auch in Siebenbürgen mit den rumänischen

Page 41: Nopcsa Reisen Balkan

Studienzeit und erste Reisen (1897-1905)

27

Bauernpferden versuchen, statt sie mit englischen Halbbluten zukreuzen.

Aber es geschieht etwas in Bosnien, und man sieht einezielbewußte Leitung, während in Siebenbürgen‘parlamentarische’, das heißt nichtstuerische Verhältnisseexistieren. Auch die Straßen zeigen dies. Ein Bezirksvorsteher inBosnien sollte versuchen seine Straßen in dem Zustande zuhalten, wie das Gros der Straßen in Siebenbürgen ist. Wehe ihm!Freilich werden die Beamten in Bosnien ernannt und in Ungarnbezahlt.

Der letzte Ausflug, den ich mit Louis, Barcsay und derganzen Familie Berks von Bihaƒ zu Pferd und zu Wagenunternahm, galt den Plitwitzer Seen, von wo ich mit Louis überKarlstadt und Agram nach Bisag sollte. Die Familie Berks fuhrmit Ausnahme von Lothar im Wagen voraus. Lothar und Barcsaybegleiteten Louis und mich, die auf Djugat bzw. Dorat ritten.

Der Weg bis Plitvica und dann weiter bis Slunj erstrecktsich durch die Lika, das ehemalige Grenzer-Gebiet. Es zeichnetsich durch hügeligen, mit Gebüsch, Wald und Wiesen bedecktenKarst aus, ist im höchsten Grade vernachlässigt (daherunfruchtbar) und spärlich von einem eigenen Menschenschlag,den Likanern, bevölkert.

Schon in Bosnien gibt es im Kreise Bihaƒ circa 50.000Likaner als Fremde, die Barcsay sehr viel zu schaffen macht. DieLikaner sind die Nachkommen der alten Grenzer. Sie hatten imJahre 1899 nur eine gute Eigenschaft: Loyalität. Sonst sind sieTrunkenbolde (die jedoch vorwiegend nur Wein trinken), rohe,raufsüchtige, gewalttätige, verlogene Menschen. In Bosnienkommen sie als Fuhrleute bis in den Sandschak und alsFeldarbeiter nach Bihaƒ. Sie unterscheiden sich leicht von allenanderen dortigen Einwohnern dadurch, daß sie einen niedrigen,schwarzen Kalpag oder Hut, ferner Kaiserbart und eineeigentümliche Weste aus Schafs- oder noch öfter Ziegenpelz

Page 42: Nopcsa Reisen Balkan

Studienzeit und erste Reisen (1897-1905)

28

tragen. Dieser Pelz ist lang. Er reicht fast bis zum Knie, dabeiärmellos, und wird bald mit den Haaren auswärts, häufiger abereinwärts getragen. Hauptsächlich letzteres ist scheußlich, da dannüberall am Rande von Innen lange schwarze Ziegenhaareherausragen. Bemerkenswert sind noch die schwarzen Strümpfeder Likaner, wobei oft ein kürzeres Paar über ein längeresgezogen wird, was ebenfalls scheußlich ist.

Von 1899 bis 1912 hat die Lika eine große Veränderungdurchgemacht, denn während dieser Zeit gelang es serbischenAgitatoren, die Loyalität der Likaner stark zu untergraben.

Bei Plitvica sind fünfzehn zum Teil bedeutende Seen vonverschiedener Größe, die zusammen eine Länge von circa achtKilometern haben. Vereint werden diese Seen nur durchWasserfälle, die oft dicht von Baumwuchs und Gestrüppumgeben, den Eindruck eines improvisierten, aber nichtnatürlichen Wasserweges machen. Durch die große Anzahl dieserkleinen Wasserfälle wird man stark über die Wassermengegetäuscht und man überschätzt sie leicht. Man glaubt, es fließenämlich auch überall zwischen den Bäumen Wasser, was abernicht der Fall ist.

Der im Wasser gelöste Kalk schlägt sich als feinerKalkschlamm auf alles, was im Wasser ist (Baumstämme, Moos,Gras und den Boden des Sees selbst), auch dann, wenn dieGegenstände dauernd vom Wasser bedeckt sind. Der Schlammnimmt allmählich eine körnige Struktur an, hierauf erhärtet er undüberzieht so alles als Rinde. Die Seen selbst sind grünblau undsehr schön. Von Plitvica ritten wir gegen Slunj.

Vor Slunj eine ergreifend schöne Landschaft gesehen.Ein scheinbares Plateau, in der Ferne einige große Pappelbäume,vorne eine schöne Ruine, daneben einige große Gebäude, imHintergrund einige Hügel, das ganze in der untergehenden Sonnemagisch beleuchtet, dabei ringsum eine wohltuende Ruhe, einigeKornfelder und ein ruhiger, blauer Fluß, was alles zusammen

Page 43: Nopcsa Reisen Balkan

Studienzeit und erste Reisen (1897-1905)

29

ganz den Eindruck einer idealen italienischen Landschaft machte.Dies war so schön, daß ich stehen blieb und das schöne Bildwenigstens fünf Minuten genoß, bis Louis von hinten kommendmich aus meinem Betrachten aufweckte.

Jenseits von Slunj ist mir und Louis der türkische Kaffeeabgegangen. Wir waren gewöhnt am Wege fast vor einem jedenHan stehenzubleiben, die Pferde ruhen zu lassen und ein bis zweioder auch mehr Schalen Kaffee zu trinken. Von Slunj an gab eskeine Hans sondern nur Wirtshäuser, wo man bloß Wein,Slibowitz, Sodawasser oder Mineralwasser, und manchmal Eierbekam. Stets gab es folgendes stereotype Gespräch: “Was kannman zu essen bekommen?” “Nichts.” Tableau: “Ist da Käse?”“Nein.” “Schinken?” “Nein.” “Was kann man bekommen?”“Brot, Wein, Slibowitz.” “Also geben sie uns Brot und Wasser.”

Von Slunj sind wir nach Karlstadt geritten, und habenden Bahngleis Fiume-Agram (Rijeka-Zagreb) gesehen. Jetzt wardie Reise eigentlich zu Ende, wir waren wieder in Europa. DieGegend von Karlstadt ist eine weite Ebene mit flachenErhebungen darin, die Bevölkerung fleißig und ordentlich. Siewohnt in hübschen, stockhohen Blockhäusern, die aber nicht ausviereckigen Balken, sondern aus Pfosten gebaut werden unddaher ganz an schwedische Blockhäuser erinnern. Alle Häuserhaben schöne, ordentliche, verglaste Fenster, sind zuweilen rechtgroß und schauen von abgewettertem Holz aschgrau gefärbt sehrhübsch aus.

Im allgemeinen machte Kroatien auf mich, mit Louis alsCicerone, einen guten Eindruck. Louis erzählte viel über dasVerhältnis zur Regierung, klagte über Unterdrückung seitensderselben, ferner daß man speziell seine Familie wegen ihrerOpposition künstlich pekuniär zugrunde richten wolle, usw.Wenn mit unparteiischen Augen betrachtet, auch nur die Hälftedessen den Tatsachen entspricht, so begeht die Regierung inKroatien große Sünden, die sich bitter rächen werden. Ich glaube,

Page 44: Nopcsa Reisen Balkan

Studienzeit und erste Reisen (1897-1905)

30

es ist wirklich so, wie Louis sagt. Industrie fehlt in Kroatien ganz.Warum? Louis meint, die Regierung will das Wohlhabendwerdendes Volkes verhindern, damit sie dasselbe ganz in der Hand habe,usw. Ob sich diese Armut wird aufrechterhalten lassen, ob dasVolk durch Zivilisation nicht trotzdem mit der Zeit jeneÜberproduktion und jene aus sich selbst kommende expansiveKraft erlangen wird, wie z. B. in Böhmen, und ob sich diesespäter nicht wieder wie jetzt in Böhmen geltend machen wird, dasläßt sich nicht leicht entscheiden. Wenn die Armut in Kroatienderzeit künstlich erzeugt wird, dann wird sich diese Expansionauf die Dauer nicht zurückhalten lassen. Bei den Wahlen sollenunglaubliche Schwindel vorkommen. Alle Oppositionellen sollenam Wahltag in Untersuchungshaft genommen werden, wobeiihnen allerhand an Kleinigkeiten vorgeworfen werde. Dannwerden natürlich alle nach der Wahl wieder entlassen u.dgl. Jetztsoll sich überall eine völlige Apathie gegen politische Vorgängebreitgemacht haben. Dies ist alles der Ursprung eines großenMagyarenhasses, der seine Zentren in Agram und in der Lika hat.

Von Karlstadt gelangte ich über Agram und Jaska nachBisag, und von Bisag fuhr ich nach Budapest, dann nach Szacsal.Vom 6. August bis zum 1. September hatte ich circa830 Kilometer zurückgelegt, davon 70 per Bahn, so daß fürWagenfahrten, Ritte und Märsche circa 760 verbleiben. Es ergibtdies einen Siebentagesdurchschnitt von etwas über 29 Kilometernoder, wenn man von der fünftägigen Rast in Bihaƒ absieht, eineTagesleistung von 34 Kilometern. Meine ganze Reise inklusivedem türkischen Pferde und der Reise von Szacsal nach Budapestund zurück nach Szacsal kostete mich 280 Fl. (560 K.).

Von Anfang September bis Jahresende war ichEinjährig-Freiwilliger im 2. Husarenregiment und zwar zuerst inNagy Disznod (Heltau) und dann in Nagy Szeben(Hermannstadt). Ich verkehrte mit Graf Bethlen Arpad und

Page 45: Nopcsa Reisen Balkan

Studienzeit und erste Reisen (1897-1905)

31

Baronin Bornemisza Tiwadar. Unser Kommandant warRittmeister Graf Reigersperg. Freiwillige waren unter anderenGraf Tisza Lajos, Graf Szechenyi Palli, Graf Nyari Ferencz, undGraf Bethlen Adam, Arpads Sohn. Den Weihnachtsurlaubverbrachte ich in Wien. Im Frühjahre von 1900 wurde ich nachNagy Disznod transferiert, dann kamen die Manöver. Am8. August gab die Garnison von Nagy Szeben unserem Regiment,da es den Garnisonsort endgültig verließ, ein großesAbschiedsessen, wo Korpskommandant, Probst von Ohsdorff,und die ganze Generalität anwesend waren. Dann erfolgte derAufbruch. Der Marsch führte zuerst längs des Marostales nachRadna Lippa, dann nordwärts nach Világos.

Es ergriff mich stark, an der Stätte zu sein, wo sich imSeptember 1849 die Geschicke Ungarns so entschieden hatten,und wo sich eine ungarische Armee ergeben hatte. Ich rittschweigend allein. Den meisten Husaren war die Begebenheitebenfalls bekannt, und diese erzählten es den übrigen, die davonnichts wußten. Man konnte “átkozott Világos” und ähnlicheziemlich starke Ausdrücke hören. Von Világos ging ich nachKisjenÅ.

Den Abend eines Rasttages benützte ich zu einem kleinenSpaziergang in der Ebene. Es gab einen wunderschönenSonnenuntergang. Die Ebene ist mir aber unsympathisch. Es gibtgar keinen Ruhepunkt für das Auge. In der Ferne sieht mandunkle, waldähnliche Baumbestände, die doch nichts anderes alsPappeln und Akazien sind, und überall wird der Horizont - oftallerdings in großer Distanz - auf diese Weise begrenzt. Dieideale, gerade Linie existiert jetzt fast nirgends. An diesenwenigen Stellen ist es allerdings recht schön. Psychisch undphysisch muß die Ebene Nomadenvölker erzeugen, Skythen,Hunnen, Magyaren, Tartaren und so weiter. Auf der Ebeneverspürt man einen Drang, einen Antrieb in die Ferne zuschweifen und weiter, weiter zu reiten, ohne stehenzubleiben, bis

Page 46: Nopcsa Reisen Balkan

Studienzeit und erste Reisen (1897-1905)

32

das Pferd ermattet, oder man am Rande der Ebene wiederumkehrt. Es ist dies eine Art Flucht aus der Ebene und doch ist eswieder einem dort Geborenen unmöglich, sich von ihr zu trennen.Sie rastlos zu durcheilen, ist sein steter Wunsch. Ein rastlosesWandern, das ist das Resultat der unermeßlichen Steppen, sowirkt die Ebene psychisch auf den Menschen. Auch physisch istder Hirt zum Platzwechsel gezwungen, und ihm ist es nun gleich,ob er langsam wandernd hundert Kilometer einher zieht. Überallbleibt die Ebene dieselbe. Auch kann er wandern, bis er ihrenRand erreicht, um dann wieder umzukehren, und sie von Neuemzu durchstreifen. Die Ebene hat auf diese Weise ihre Reize, aberöde ist sie für einen, der an solche Gegenden gewöhnt ist, wojeder Hügel eine andere Gestalt hat, wo jedes Tal eine andereKrümmung besitzt, und wo jeder Bach mit einem ganz anderenRauschen einher strömt. Öde ist die Ebene für denjenigen, dereine charakteristische Lokalfärbung erkannt hat, und der an eineindividuelle enge Heimat, an sein Tal gewohnt ist.

Von KisjenÅ führten mich die Manöver über Arad undTemeswar bis nach Iktar. Von technischen Truppen war keineSpur zu sehen, und doch operierte eine Kavallerietruppendivisiongegen eine Infanterietruppendivision. Von Schützengräben warnatürlich noch keine Rede. Bei Iktar haben die Manöver, dieschön lustig und interessant, allerdings nach der heutigenAuffassung total unmodern und wertlos waren, ohne Abschlußstattgefunden, was mir leid tat. Ich hätte es ganz gern gehabt,wenn sie noch vierzehn Tage länger gedauert hätten. Freilichwenn man so unbeholfen ist wie die meisten unserer Offiziere,wenn man es nicht versteht, sich mit Badewanne, Gig, Diener,Konserven usw. jede Situation so angenehm wie möglich zugestalten, wenn man gegen kleine Unannehmlichkeitenempfindlich ist und endlich in unvermeidlichen Fällen nicht eingewisses Phlegma hat, dann kann sogar ein Manöver zu einerQual werden. Sonst ist ein Manöver ganz angenehm, da es wie

Page 47: Nopcsa Reisen Balkan

Studienzeit und erste Reisen (1897-1905)

33

das ganze Militärleben der Subalternen ein gedankenlosesIn-den-Tag-hinein-leben bedeutet, Geldfragen ausgenommen.Man hat infolgedessen gar keine ernsteren Sorgen. Man setzt sichaufs Pferd. Der Oberst wird schon sagen, was man zu tun hat.Man beginnt zu rasten. Der Befehl wird schon kommen, wielange die Rast dauert. Es wird abgeblasen. Die Manöver sindbeendet. Wohin jetzt? Getrost, es wird der Befehl schon kommen,usw., usw. Dieses dumme Benehmen heißt im militärischenJargon “Dienst machen,” und zwar nicht nur im Manöver,sondern auch in der Kaserne. Das einzige, was beim Militärlangweilig ist, ist das Warten, denn mehr als der halbe Tag wirdmit Warten totgeschlagen und vergeudet. Wartet der Rittmeistereine Stunde, so warten die Husaren wenigstens zwei Stunden, undkommt der Oberstbrigadier, so hat naturgemäß der Oberstdementsprechend zu warten. Hat man sich einmal an das Wartengewöhnt, so ist alles gut. Verschiedenartiges Nichtstun soaneinandergereiht, daß es den Eindruck stetiger Tätigkeiterweckt, kann auch als guter militärischer Dienst bezeichnetwerden.

Nach den Manövern verbrachte ich den Rest desSommers in Szacsal und den Herbst in Wien, wo ich wieder aufder Universität inskribiert war. Im April nahm mich Papa nachVenedig. Es gab die obligate Museumsabgraserei. Was imBaedeker zwei Sterne hat, ist schön. Außerdem glaubte aber Papaviele ‘verborgene Schätze’ zu kennen, die nicht im Bädeckerstanden. Im Mai 1901 gab es eine Waffenübung in der Eskadrondes 1914 gestorbenen Rittmeisters Bruiƒ in Rozsnyo bei Brasso(Kronstadt, BraÕov). Im Juni studierte ich wieder in Wien. ImAnschluß an meine Tournee von 1899 wollte ich 1901 eine Reise

Page 48: Nopcsa Reisen Balkan

Studienzeit und erste Reisen (1897-1905)

8 Baron Agenor Go»uchowski (1849-1921), österreichisch-ungarischer Außenminister von 1895 bis 1906.

34

nach Albanien machen, und Minister Go»uchowski8 gab mir eineoffene Order, aber zwei Tage nach deren Empfang Ende Juniwurde ich in Wien schwer krank und blieb dann bis Ende Augustin Szacsal. Im September schrieb ich während meinerRekonvaleszenz meine Arbeit ‘Notizen über kretazischeDinosaurier’, die in den Sitzungsberichten der Akademie derWissenschaften in Wien 1903 erschien. Während der Krankheitlitt ich viel an schmerzhaften, großen Abszessen, dienacheinander an verschiedenen Körperstellen auftraten. ImOktober 1901 habe ich mich in Wien erneut inskribiert, dann inSzacsal geologischen Aufnahmen und der Jagd gehuldigt.

Von allen Jagdarten ist mir die Treibjagd auf Gemsenoberhalb der Waldregion in den Kesseltälern des Retezat diesympathischste, da man das Wild von weitem beobachten kann.Weniger sympathisch sind mir Treibjagden auf Gemsen oderanderes Wild in der Waldregion und zwar ist mir Trieb umsounsympathischer, je dichter der Wald oder das Gestrüpp ist, indem man sich aufstellt. Bären und Wildschweinjagden rangierendaher an letzter Stelle, denn plötzlich erblickt man das Wild vorsich und muß auch schon schießen. Man kann sich am Anblickedes Wildes nicht erfreuen, und der ganze Genuß konzentriert sichauf den kurzen Augenblick des Schusses. Meine erste Gemseschoß ich im Jahre 1899, als mich Baron Josika Samu auf denPertrile (im Retezatgebirge) mit sich genommen hatte. Meinenersten Bären schoß ich 1901 im Kudzsirergebirge, nachdem ichaber einige Wochen vorher die größere Freude gehabt hatte,einem von Herrn Simén im Tomeasa-Gebiet des Retezatverwundeten Bären nach dem Schweiß eine halbe Stunde lang zufolgen und hatte daher im Gestrüpp jeden Augenblick seinen

Page 49: Nopcsa Reisen Balkan

Studienzeit und erste Reisen (1897-1905)

35

Angriff erwartet. Leider war allerdings kein Angriff erfolgt, denndas schwer verletzte Tier trachtete zu fliehen und wurde von mirdaher auf der Flucht erschossen.

Da es übrigens im Hatzegertal Hasen, Füchse, Wölfe undRehe, alles freilich in bescheidenem Ausmaße gibt, war diesesGebiet vor 15 Jahren ein Paradies für solche Jäger, die einenatürliche Jagd einer Jagd in einem Wildpark vorziehen.

Da mich auch meine geologische Aufnahmen stark inAnspruch nahmen, kehrte ich erst Ende 1901 nach Wien zurück.Im Frühjahr 1902 habe ich von der Wiener Akademie derWissenschaften eine Subvention von 200 Fl. bewilligtbekommen, um in Mailand ein fossiles Reptil (Tribelesodonlongobardicus Bassani) zu untersuchen. Onkel Feri gab mirweitere 100 Fl., und damit fuhr ich eines Abends mit demSchnellzug gegen Innsbruck.

Bei Wörgl war alles weiß und tiefer Schnee. DieBauernhäuser dieser Gegend sind hier echte ‘Tiroler Häuser’ mitoft steinernem Unterbau. In der Höhe des ersten Stockes läufteine Veranda um drei Seiten des Hauses. Die Fensterrahmen sindalle grün, die Veranda jedoch gelbbraun angestrichen. Das flacheDach ist mit Steinen beschwert. So ein Haus endet an derHinterseite in einem wenig schönen aus Brettern gezimmertenSchupfen. Alle Häuser sind in der Regel mit dieser Rückseite derWetterseite zugewendet und mit der schönfenstrigen Front vonder Wetterseite abgewendet. Sie haben meistens einenrechteckigen Grundriß, wobei sich eine kürzere Seite gegen denWind wendet.

In Innsbruck habe ich in der Hofkirche das MausoleumKaiser Maximilians I. betrachtet. Längs der Wand stehen aufjeder Seite zwölf überlebensgroße Bronzestatuen, die von großerKonzeption zeugen. Es ist ein origineller und kühner Gedankeeine förmliche Allee von vierundzwanzig je zwei Meter hohen

Page 50: Nopcsa Reisen Balkan

Studienzeit und erste Reisen (1897-1905)

36

Statuen in eine kleine Kirche zu stellen, aber sie passen völlighinein und bilden in ihrer etwas starren, majestätischen Ruhe einewürdige Wache des kaiserlichen Grabes. Diese Ehrenmajestätensind so gut gegossen, daß es fast unheimlich ist an ihnenvorbeizugehen, da man beinahe befürchtet, sie könnten zu Lebenkommen, mit riesiger Gewalt von ihren Postamenten herabsteigenund den Störenfried ihrer Ruhe ergreifen. Diese Statuenreihe,starr aber nur so leblos wie eine Garde, ist ruhig, machtgewaltigen Eindruck, und hat mir sehr gut gefallen. VonInnsbruck fuhr ich mit dem Nordsüdexpreß mittags über denBrenner. Am Brennerpaß bin ich von tiefem Winter umgebeneingeschlafen und vor Bozen in Frühlingsumgebung aufgewacht.Mit einem Lokalzug fuhr ich dann nach Meran.

Hier traf ich Gräfin Bethlen Leopoldine, von der ich einerMenge Herren und Damen vorgestellt wurde, von denen so einemBaron Dornberg, der ungefähr 80 Jahre alt war, und dann seinenunverheirateten Töchtern, die beide zusammen circa 100-120Jahre alt waren, außerdem noch Damen, deren Namen ichvergessen habe. Bethlen spielte abends mit den Herren Whist,und ich als einziger Herr konnte nun fünf alte Damen undJungfrauen unterhalten. Alle fünf haben sich um michherumgesetzt, und jetzt ging es los. Ich brachte es doch irgendwiezu Wege. Alten Damen gegenüber brauchte man damals nur überIbsen, Klimt und Klinger zu schimpfen, dann Kunstphrasen zuverwenden, Walter Scott zu loben (über Dickens und Mark Twainentspann sich, wenn man sie erwähnte, unter den Damen selbstein Streit, wobei man dann schweigen konnte). Ferner mußte manüber Prag und Wien, Deutschland und Siebenbürgen, Bosnienund Böhmen, dann über Jagen und Reiten, über Kraut und Rübenreden, womöglich über Wagner die Bemerkung fallen lassen, ermache zu viel Lärm, außerdem mußte man noch verschiedeneandere unmenschliche Dinge erwähnen (Krankheiten,Dekadenztheorie, Religion und Spiritismus sind verpönt), dann

Page 51: Nopcsa Reisen Balkan

Studienzeit und erste Reisen (1897-1905)

37

geht die Konversation brillant. Ich habe die fünf Damen nachdiesem Rezept behandelt, und es scheint auch mit Erfolg, da dieganze Zeit alle ohne Unterbrechung lebhaft diskutierten. Sogarüber die Wiener Gasrohrenaffäre und den Wiener Schmutz, fernerüber Venedig und alles nur denkbare wurde bis neun Uhr dreißigMinuten geredet, worauf sich die Damen zurückzogen. Sonstgeschah dies, wie ich später erfuhr, um neun Uhr. Vorsichtshalbermuß man es in Österreich vermeiden, wenn man angenehm seinwill, als Ungar über Ungarn zu reden. Man kann ja die politischeEinstellung seines gegenüber nicht sofort erkennen.

In Meran besichtigte ich die Gif-Promenade, die aber garnichts bedeutendes ist. Wie in einer jeden Kuranlage ist jedereinzelne Stein sehr bekannt und wird als eins der näher gelegenenSchaustücke übermäßig bewundert. Bethlen, die mir einenEmpfehlungsbrief an eine Verwandte, Madame Friggerio, dieeine geborene Bethlen war, in Mailand mitgab, sagte mir, diegestrigen Damen waren mit mir zufrieden. Natürlich unternahmich bei Meran, um auch Eingeborene zu sehen, einenSpaziergang.

Die Burschen und Männer tragen Nationaltracht: Breite,unten dreiknöpfige, grüne Hosenträger, die fast eine Art halsloseund ärmellose Weste bilden, und lange, braune Lodenhosen.Vorne wird eine lange, sorgfältig gewaschene undzusammengelegt gewesene, weiße Schürze getragen, die bis anden Hals reicht, auf diese Weise die Hosenträger fast ganzverdeckt. Sie ist sehr breit, so daß sie auch zum Teil dieKörperseite bedeckt und durch ein Band am Bauchezusammengehalten wird. Auf diese Schürze zieht man einebraune eckig zugeschnittene Jacke, deren rote Fütterung auf dieBrust ausgeschlagen ist, und so vorne je ein halbes, grellrotesPlastron bildet. Ein brauner, halbspitzer Lodenhut mit ziemlichbreitem, rotem Wollschnurbesatz vervollständigt die Tracht. DerBesatz des Hutes ist vorne und hinten verschmälert, auf der Seite

Page 52: Nopcsa Reisen Balkan

Studienzeit und erste Reisen (1897-1905)

38

jedoch breiter. Die Farbenzusammenstellung, die sich von derFerne ergibt, weiß, braun und rot, wirkt günstig.

Außer der Tracht habe ich auch Bauernhäusertypenstudiert. Die Häuser sind sehr interessant. Es sind verstreuteGehöfte, wo das Haus, vielleicht infolge der mehrmaligenVeränderungen im Laufe der Generationen, ganz unregelmäßiggebaut ist. Alle Häuser sind aus dicken Steinmauern aufgeführt,und mit den mit starken Eisenstäben vergitterten Fenstern, dieganz unregelmäßig angebracht sind, machen sie einen fastburgartigen Eindruck. Alle diese Burgen sind ohne Ausnahmestockhohe, große, steinerne Bauernhäuser, an denen hölzerneFreitreppen nicht selten sind. An den Mauern vieler sindAllegorien oder religiöse Themata behandelnde Zeichnungenangebracht. Ein Vergleich der Meraner Bauernhäuser mit denmitteleuropäischen Häusern wäre, wie mir scheint, nicht ohneInteresse, da sich Konvergenzerscheinungen nachweisen lassendürften.

In Meran selbst habe ich mir die Laubengängeangeschaut. Diese alten Laubgänge sind deshalb interessant, daan ihnen oft in der Mitte ein flacher, vorspringender Erkerbemerkbar ist. Das Goldene Dachel ist auch ein solcher, nur vielgrößer, wie ich solche in Teilen von Sarajevo gesehen habe. DieLaubgänge von Meran erinnern nicht so sehr an alte,mitteleuropäische Städte wie Prag oder Eggenburg, und gar nichtan Alt-Wien, sondern eher an Klausenburg und noch viel eher andie „aršija in Sarajevo oder Pljevlja. Nur sollten die Gewölbenicht in den hinter den Arkaden gelegenen Zimmern sondern imjetzigen Wandelgange, eventuell von einander durch Brettergetrennt sein. Wäre beim Bau der Arkaden statt Stein Holzverwendet worden, wodurch sich der Arkadenbogen in geradeTraversen verwandelt hätte, wäre die Ähnlichkeit noch größer.Ein wärmeres Klima könnte leicht diese Veränderungen

Page 53: Nopcsa Reisen Balkan

Studienzeit und erste Reisen (1897-1905)

39

bewirken. Fast dreißig Jahre später sah ich die herrlichenArkaden Bolognas, die Heimat dieser Lauben.

Von Meran fuhr ich über Ala nach Mailand und hatte beiMailand einen deutschen Beamten oder Gymnasiallehrer ausPosen samt seiner Frau zu Reisegefährten. Der Herr konnte nurDeutsch und miserabel Italienisch, die Frau nur deutsch. Beideglichen ganz der Familie Buchholz. Sie waren ruhige, biederedeutsche Bürger. Die Frau führte das Regiment. Sie warenkinderlos. Als Adoptivkind hatten sie einen Mops, den sie aberzuhause gelassen hatten, was ihnen sehr leid tat. Außer demMops hatten sie seinerzeit einen Kanarienvogel besessen. Leiderwar dieser Vogel, den sie sehr gerne gehabt hatten, vor einigerZeit zur beiderseitigen, ehrlich gefühlten Trauer gestorben. DasAlter von Mann und Frau lag zwischen fünfzig und sechzig, unddies war die erste ‘italienische Reise’, die das Ehepaarunternommen hatte.

Noch im Coupé habe ich Herrn Buchholz über diePolenfrage in Posen ausgefragt. Er sagte mir, es gebe keine.Später habe ich ohne sein Beisein diesbezüglich Frau Buchholzinterpelliert. Diese sagte wieder, die ganze Bevölkerung und derganze Großgrundbesitz um Posen sei polnisch. Die Polen seienreich, die Deutschen seien nur arme Bürokraten, die man nur inden Städten antrifft. Daher sei die Polenfrage gar nicht soharmlos, wie es hieße. Ich sah, daß Herr Buchholz als‘Offizieller’ alles vertuschen wollte, während seine Frau aus derSchule plauderte.

Vorsichtigerweise hatte sich Herr Buchholz dienotwendigsten Ausdrücke wie ‘facchino’ u. dgl. auf einen Zettelgeschrieben, und immer hieß es nun entweder, “Ich will mal aufmeinem Zettel nachschauen,” oder ihrerseits, “Ich will meinenMann fragen. Er muß es ja aufgeschrieben haben.” Natürlich warder Zettel nie zu finden. Über diese Vorgänge habe ich mich miteinigen mitreisenden Italienern brillant unterhalten, zumal als es

Page 54: Nopcsa Reisen Balkan

Studienzeit und erste Reisen (1897-1905)

40

sich darum handelte, wie man in Verona einen Träger zu rufenhabe. Groß wurde die Aufregung beider, als sie erfuhren, daß inVerona, wo man umzusteigen hatte, zwei Bahnhöfe, Porto Nuovound Porto Vecchio, existierten, denn sie fürchteten in denunrichtigen umzusteigen. Sie fragten mich, aber ich wußte esnatürlich auch nicht. Denn mein diesbezügliches Prinzip ist ‘eswird sich schon finden’. Ich fragte ihrethalben einen schlechtfranzösischredenden Italiener, der als Antwort den NebenbahnhofPorto Nuovo angab. “Aber hält der Mailänder Schnellzug inPorto Nuovo?” war sofort ihre angstvolle Frage. Ich sagte, ichweiß nicht, da aber der Italiener wohl weiß, was er uns anrät,scheint es sehr wahrscheinlich. Je näher wir an Verona kamen,desto größer wurde die Aufregung der beiden Deutschen, undzuletzt lachte das ganze Coupé, als sie diese Frage hundertmalwiederholten. Lose Bemerkungen wie “Warum kommen Leute,die nicht italienisch können und Angst haben aufVergnügungsreisen nach Italien?” wurden hörbar. Endlich flehtenmich Buchholzens fast an, ich sollte ihnen einen Rat geben. Ichsagte, ich wollte absolut keine Garantie übernehmen, selbstwürde ich aber in Porto Nuovo umsteigen. Dies tat ich, undFamilie Buchholz folgte meinem Beispiel. In einem Coupé 2-terKlasse fuhren wir nach Mailand. Bald wurde es dunkel und esgab keine Aussicht. Die zweite Klasse Coupés sind in Italien sowie bei uns die der dritten Klasse. Buchholzens waren hierüberentrüstet. Später verfielen sie in große Aufregung, ob es amBahnhofe in Mailand Droschken oder Hotelwagen gäbe. Eswurde von Mitreisenden der Hotelomnibus anempfohlen. Dannwollte ich mich über sie lustig machen und redete von derMöglichkeit, daß das uns empfohlene Hotel überfüllt sei. Diesbrachte nun eine neue Krise. Buchholzens benützten denHotelomnibus, ich eine Droschke.

Die Mailänder Droschken sind hölzerne Kasten, beidenen eben nur der Sitz gepolstert ist. Die Wände und alles

Page 55: Nopcsa Reisen Balkan

Studienzeit und erste Reisen (1897-1905)

41

andere sind aus angestrichenem und lackiertem, weißem Holz.Das Pferd ist stets elend. Die Kutscher tragen einen langen,taubengrauen flatternden Radmantel und einen schwarzlackiertenPappeldeckelzylinder. Auf den Köpfen haben die Pferde gegenden Regen eine den Kopf und das Genick bedeckendeLederhaube, die sehr lächerlich wirkt.

Das eigentümliche Gepräge erhalten die StraßenMailands so wie Frankreichs überhaupt durch ihre Fuhrwerke.Diese sind wie übrigens auch alle anderen Fuhrwerke nurzweirädrige Karren und daher einspännig. Besonders schwereFuhrwerke wie Steintransporter oder Heuwägen werden mit zweivor einander gespannten Pferden gezogen. Dies ist ökonomischein großer Nachteil, denn, wenn der Wagen nicht gutausbalanciert ist, muß das hintere Pferd nicht nur ziehen, sondernwie in jedem Gig auch zum Teile tragen. Besonders Heuwägenschauen merkwürdig aus. Hochgeladen zeigen sie in der Mittedes Heus bloß einen halbkreisförmigen Ausschnitt für das tiefdrinnen steckende Pferd.

Dieser Karrentypus erstreckt sich von London und Parisüber Südfrankreich, Norditalien bis nach Shkodra (Skutari),wogegen von Prizren bis nach Bukarest, Moskau, Berlin undFrankfurt überall der vierrädrige Wagen vorherrscht. Offenbar istder vierrädrige Typus, wie er auch auf der Trajansäule undanderen alten Denkmälern vorkommt, altbarbarisch und derzweirädrige griechisch-römisch. So überleben unscheinbareKulturdenkmäler die größten, politischen Evolutionen.

Im Düstern habe ich zum ersten Male den großenMarmorberg Mailands, den Dom, erblickt. Der Mailänder Domist ein Spitzenwerk aus Marmor. Die Leichtigkeit, mit der hier derblendende Marmor geformt wurde, ist höchst bemerkenswert.Man vergißt, daß er ein hartes Material hat. Technisch ist derDom sehr vollendet, aber doch ist er kein Kunstwerk. Er ist einKuriosum.

Page 56: Nopcsa Reisen Balkan

Studienzeit und erste Reisen (1897-1905)

42

Mein erster Gang in Mailand galt dem Museo Civico, woDirektor Mariani das Objekt meiner Studien und das Ziel meinerReise, nämlich den Tribelesodon, schon vorbereitet hatte. DerTribelesodon schaute entsetzlich aus. Ich war anfangs ganzverzweifelt, denn ich konnte am schwarzen Gestein nur einunentwirrbares Etwas von schwarzen Knochensplittern sehen. Ichglaubte, nie etwas daraus machen zu können, und wußte wenigerals je, ob, wie Bassani behauptete, ein Pterosaurier, oder wie ichmeinte, ein Dinosaurier vorläge.

Diesen Tribelesodon habe ich später noch einmaluntersucht. Zur Veröffentlichung seiner Beschreibung habe ichmich erst 1923 entschlossen, nachdem ich eines Tages den Mutfand, das schon fast druckreife Manuskript, das wegen seines mirmißfallenden Aufbaus dreißig Jahre in meiner Schreibtischladegeschlummert und sogar den Weltkrieg verträumt hatte,herauszunehmen, zu zerreißen und mit geändertem Konzept vonAnfang an neu zu schreiben. Manchmal bleibt einem jeden etwasim Magen liegen. Leider enthielt die Arbeit große Irrtümer, die1931 aufgrund weiterer Funde von Professor Peyer berichtigtwurden.

Bald nach meinem Besuch bei Tribelesodon, besuchte ichauch Friggerio. Madame Friggerio ist eine ziemlich alte Dame,deren jüngster Sohn Girolamo (vulgo Momolo) einundzwanzigJahre alt ist. Ihre beiden Töchter haben einen Conte Borromeound einen Conte Greppi geheiratet. Ihre beiden älteren Söhnehatten in der italienischen Armee gedient und waren fastgleichzeitig, vier Wochen nacheinander, gestorben. Der eine fielim Kampfe gegen die Abessinier, der andere starb anLungenschwindsucht. Madame Friggerio konnte diesen doppeltenVerlust noch immer nicht verschmerzen, und obzwar sie vonNatur aus sehr lustig und sehr gütig ist, war sie völlig gebrochen.Ihr Mann Giovanni Friggerio war eine große, stattlicheErscheinung mit lichtbraunem eckig gestutztem Vollbart. Er war

Page 57: Nopcsa Reisen Balkan

Studienzeit und erste Reisen (1897-1905)

43

freundlich und ruhig. Überhaupt waren alle in der Familie sehrlustige und liebenswürdige Leute. Momolo war noch ein jungerLaffe.

Natürlich war ich in Mailand auch in der Scala und habedort das Ballett ‘Amor’ gesehen. Der Aufwand von Prunk warkolossal. ‘Excelsior’ in der Wiener Oper ist ein reiner Schmarrendagegen. Alles glitzerte und flimmerte, und ein Klang von Erzzitterte durch, da alle Pauker aus Metall und nicht ausPapiermaché waren. Es war etwas geradezu sinnenberaubendes.Man konnte sich stellenweise etwas schöneres gar nichtvorstellen. Friggerio freute sich sehr, daß mir dies so gut gefiel.Das Scala-Theater ist über 100 Jahre alt und wurde an der Stelleeiner Kirche (Maria della Scala) erbaut, daher der Name Scala.Früher erhielt es vom Staate, später dann vom Munizipium100.000 Francs jährliche Subvention. Seit Anfang 1902 ist aberauch dies sistiert, und man schaut in Mailand diesbezüglichbesorgt in die Zukunft. Auf meine Frage, ob das Theater etwa gargesperrt werden müßte, sagte mir Friggerio, es werde schonirgendwie gehen. Es scheint, als ob sich unter den reichenMailänder Bürgern eine Hilfsaktion vorbereiten würde.Überhaupt ist der Gemeingeist bei den reichen Mailändern starkentwickelt, und sie scheinen nicht weniger darauf stolz zu sein.Gemeingeist der Reichen fehlt in einer österreichischen oderungarischen Stadt, z. B. Wien oder Budapest, vollkommen, dahier die Bürger alles vom Staate bzw. von der Stadtvertretunghaben wollen, sich aber sämtliches Privateigentum niezusammentun würden, um zum Ruhme ihrer Stadt etwas zuunternehmen.

Viel wurde in Mailand auch über die politische LageÖsterreich-Ungarns ventiliert. Ich erkannte einen tiefgewurzeltenHaß gegen Österreich. Der Irredentismus hat festen Boden.Merkwürdig ist, wie gern alle Italiener, die ich sah, fremdes Lobhörten, ja danach haschten, und es vielleicht unbewußt sogar

Page 58: Nopcsa Reisen Balkan

Studienzeit und erste Reisen (1897-1905)

44

herausforderten. Sie wollten alle belobt und bewundert werden.Wer ihnen schmeichelt, den haben sie gern. Wenn man etwasspezifisch italienisches belobt, so sagen sie sehr auffällig, daß siesich darüber freuen.

Obzwar schon alle, mit denen ich verkehrte, genauwußten, daß ich das an und für sich nicht bemerkenswerte MuseoBorromeo schön fand, wiederholte jedermann die Frage, wie esmir gefalle, ja man fragte mich, ob es wahr sei, daß ich dies einerdritten Person gesagt hätte. Natürlich hatte ich hiedurch leichtGelegenheit, das Museum erneut zu loben.

Für Paläontologen erwähne ich einen in diesem Museumbefindlichen Sauropterygier und den im Museo Civicobefindlichen, noch nicht beschriebenen Megalloenemis Bassanis.Von letzterem habe ich folgendes notiert: Leib zylindrisch langgestreckt, Schädel spitz, Maxillare stabförmig, Intermaxillare sehrklein, im Maxillare zahlreiche, dicht gereihte, ziemlich große,spitze, kegelförmige Zähne, der Hals mäßig lang, dieRumpfwirbel so wie Brustrippen sehr schwach, die Diapophysender Schwanzwurzel sehr stark, Bauchrippen vorhanden, dieVorderextremitäten mäßig lang. Femur so lang wie Ulna, Tibiaviel länger und daher sehr lang, Schweif, so weit wie erhalten,kräftig. Es ist dies ein Proterosaurier oder Pseudosuchier.

Natürlich ging ich ins Refektorium, um ‘Das Abendmahl’von da Vinci anzuschauen. Man sieht an diesem Bild, daß eskünstlerische Intuition gibt. Der Mailänder Dom ist, wie auch dervon Florenz, das Produkt einer durchdachten, technischen Kunst.Er ist ein künstliches Produkt, aber nicht von einem Meister ineinem Augenblick gesehen. Das Abendmahl hingegen hat daVinci innerlich fertig gesehen, oder wenn man will, geträumt. Erhat es von innen heraus empfunden. Man kann Lenaus Versverwenden, “Denn drei Gestalten läßt ihn schauen eingeistdurchglühter Augenblick.” Christus ist im Bilde etwasgrößer als die übrigen Apostel gezeichnet. Er ist der Dulder. Es

Page 59: Nopcsa Reisen Balkan

Studienzeit und erste Reisen (1897-1905)

45

schwebt dabei eine gewisse Trauer, aber zugleich eine ruhigeEntschlossenheit auf seinen Lippen. Die recht Hand verrät etwasMüdigkeit wie nach einer vollbrachten Handlung. Er ist ganzMensch und durch seine Ruhe über den anderen im Bildeerhaben. Doch ist dabei an ihm nichts Göttliches bemerkbar wiebei Helios, sondern bloß eine tiefe, innere Ruhe. Der Tisch istsehr lang, daher scheinbar nicht abgegrenzt und verliert sich anbeiden Enden. Hinter Simon und Bartholomaeus lassen sich alleAnhänger, die die Predigten Christi gehört haben, dieZehntausende der Bergpredigten ahnen. Gerade die Ruhe Christihat die Apostel so in Aufregung versetzt. Es ist ein Leben, einAufruhr in der Gruppe, der in keiner Reproduktion wiedergegeben wird. “Nehmet ihn und esset.” Diese Worte sindunglaublich. “Meister, was meinst Du?” schwebt auf aller Lippen.Der Tisch ist vollgedeckt, aber das Essen ist gestört. Die weichenFarben geben dem Bilde eine Ruhe, wodurch sich der Sturmetwas legt. Echt jüdisch ist die entsetzte Gebärde von Andreas.Jakob schreit nicht wie auf den Reproduktionen, sondern seinMund ist ihm einfach offen geblieben. Nach diesen WortenChristi ist nunmehr der Weg auf den Ölberg möglich. Es ist dasGrößte vollbracht, und eine triviale, menschliche Handlung istnicht mehr am Platze. Keiner der Jünger versteht das Wort desMeisters, aber jeder glaubt an dessen Wahrheit, da es der Meisterso ruhig und ganz in sich aufgehend gesagt hat. Wäre es im Zornegerufen, der Effekt auf die Apostel wäre nicht so groß gewesen.So würden diese Worte das Einigende unter den Christen. Sieverstanden es nicht, aber es ist wahr, denn er hat es gesagt. Ohnediese Zufälligkeit hätte das Christentum niemals bestehenkönnen.

Das Abendmahl wurde das unverstandene, mystischeAllerheiligste der Christen. Beim Betrachten von da Vincis Bilderscheint das Abendmahl und nicht mehr die Kreuzigung oder dieAuferstehung als Höhepunkt der Lehre. Bei der Kreuzigung

Page 60: Nopcsa Reisen Balkan

Studienzeit und erste Reisen (1897-1905)

46

herrscht eine gewisse Dissonanz. Es macht sich bereits zu sehrder Einfluß der Außenwelt störend bemerkbar, während imCenacolo die Harmonie noch nicht gestört ist.

Leider ist dieses Wunder in späteren Jahren restauriertworden, wobei vornehmlich die Farben aufgefrischt wurden. Alsich es 1931 wiedersah, da war es nicht mehr ein Mysterium,sondern nur ein allerdings immer noch schönes Gemälde. Mitdiesem Gemälde kann sich aber jetzt das Portrait Kaiser Karl V.des Prado in Madrid schon messen.

Von Mailand fuhr ich nach Venedig. Die Ankunft dortwar, da sie in der Nacht erfolgte, sehr stimmungsvoll. Dieschwarz gedeckten Gondeln glitten wie geisterhafte Särgelangsam über das schwarze Wasser. Alles war ruhig. Nurmanchmal erschien in einem Kanal ein rotes Licht, und dann glittvom gleichmäßigen Geplätscher des Ruders begleitet, wieCharons Boot, ein langer, schwarzer Schatten vorbei. Das Bilderinnerte an das Venedig früherer Zeiten, und bei einigenschmalen Gäßchen glaubte man unwillkürlich einen leisen Schreizu hören, dem der Fall eines schweren Körpers folgte. Ein Mord,dessen Geheimnis die dunklen, undurchsichtigen Fluten wohlbewahren. Die Ruhe im Vereine mit der Herrlichkeit - dies sinddie Eigenschaften, derenthalben mir jener große Ballsaal, denman den Markusplatz nennt, so gut gefällt. Am Abend meinerAnkunft mißfiel mir einmal der unschöne Campanile, der zwardort, wo er steht, eigentlich gar nicht an seinem Platz ist, jetztaber dazu gut war, die Ecke der Piazza gegen die Piazzettaabzuschließen. Die Piazzetta ist zwar sehr schön und seewärts,aber nicht geschlossen, und hiedurch ist sie weniger heimlich alsdie Piazza San Marco. Die Piazzetta ist ein Quai oder ein Platz ineiner Großstadt. Man hat nicht dasselbe heimliche Gefühl wie aufder allseits geschlossenen Piazza.

Was mir an Venedig mißfällt, ist die geschäftsmäßigeAusbeutung seiner Pracht. Venedig ist eine relativ kleine, arme

Page 61: Nopcsa Reisen Balkan

Studienzeit und erste Reisen (1897-1905)

47

Stadt, die nur auf Fremdenverkehr basiert. Sie ist einmißbrauchtes Wunder und eine Ruine, die nur ausGeschäftszwecken von Fremden für Fremde erhalten undkonserviert wird. Die jetzige Bevölkerung paßt gar nicht in dieStadt, die durch eigene Kraft der Bevölkerung seinerzeit zu riesigwurde. Die jetzigen Einwohner füllen das leere Venedig nicht ausund machen im allgemeinen den Eindruck von Fliegen in einemSaal. Dies ist ein großer Gegensatz zu Mailand, wo dieKleinindustriellen die Stadt vollkommen erfüllen, zum Aufblühenbringen, ja durch ihre expansive Kraft fast zu sprengen drohen.Mailands schönstes und wahrhaft kolossales Gebäude, dieGalleria Vittorio Emmanuele, ist modern. Die Gewölbe inMailand dienen den Bedürfnissen seiner Bevölkerung, jeneVenedigs fast nur denen der durchreisenden Fremden. Ich habe inVenedig einen Huthändler aber keinen großen Schneider oderSchuster gesehen. Tapetriehandlungen gab es in großer Menge.Von Salviati kauft kein einziger Italiener. Die ganzen Gewölbeam Markusplatz dienen ausschließlich dem Fremdenverkehr. DieCafes daselbst müßten ohne Fremde fast augenblicklichschließen. Die einzigen für Venezianer bestimmten Geschäftesind kleine Gemüsehandlungen und Gastschenken dritten Ranges.Allerdings ist die venezianische Küche gar nicht übel. DerFremdenverkehr Venedigs ist übrigens auch aus der Zahl derHotels ersichtlich. In diesen wohnt natürlich kein einzigerItaliener.

Das heutige Venedig ist eine nur künstlich erhalteneAnsammlung von Palästen, sehr schön aber nicht sympathisch.Der Markusdom ist wunderschön, allerdings etwas bizarr, aberdurch seinen Reichtum imposant. Der Dom ist kein Werk einesGenies, aber auch kein gekünsteltes, technisch geschicktausgeführtes Prachtwerk wie der Mailänder Dom, sondern einkraftvoller Ausdruck des ehemaligen, mächtigen venezianischenEmporiums. Die Paläste am Canal Grande verlangen gerade einen

Page 62: Nopcsa Reisen Balkan

Studienzeit und erste Reisen (1897-1905)

48

solchen und keinen anderen Dom. Macht und Reichtum sind indiesem prunkvollen, byzantinischen Dome konzentriert, der,künstlerisch analysiert, vielleicht nicht gerade schön ist. Mandenke sich den Mailänder Dom auf dem Markusplatz undumgekehrt. Welche Dissonanz das wäre! Der Markusdom inMailand wäre ganz einfach bizarr. Der Mailänder in Venedigwürde durch den Canal Grande vernichtet! Er wäre zu arm und zuwenig gewaltig. Der Markusdom erzählt die Geschichte seinerStadt, der Mailänder Dom eine Episode der Geschichte. Ebenweil sich im Markusdom die ganze Geschichte Venedigs und dasganze Libro d’oro aufrollt wird und weil er so typisch undureigen ist, ist er in meinen Augen das heilige Wahrzeichen derprunkvollen, mit dem Meer vermählten Stadt. Man betrachte nachdem Dom eventuell auch noch die Säle im Palazzo Ducale unddie Ca’ d’oro. Dann wird man ohne Jahreszahlen die Geschichteder perfiden Republik innerlich verstehen. Man begreift dannauch die Macht der Patrizier und die Angst, die das Volk vor denPatriziern hatte, die solches bauten.

Interessant ist, wie sich der Geist der Zeit in der Kunstwiderspiegelt. Das durch die Borgias, Savonarola und andereunabhängige Individualitäten unruhige Cinquecento prägt auchder Kunst diesen unruhigen Zug auf. Von Giotto eingeleitetnehmen das Leben und die Bewegung in der Kunst desCinquecento immer mehr zu, bis sie in Michelangelo ihrenbrutalsten Vertreter finden (Höllensturz).

Diese jede Steifheit verleugnende Kunst steht nicht nurim diametralen Gegensatz zur steifen Gotik, sondern auch zurklassisch-hellenischen Kunst. Der Faltenwurf der gotischenKleider paßt sich genau so dem geraden Verlauf der gotischenSäulen an, wie der schöne Faltenwurf der griechischen Gewänderan die ebenmäßig kanellierten ionischen Säulen. Vergleicht manmit diesen Grundzügen den Geist der Zeit, so tritt einem in derGotik das ‘von Gott gewollte’ starr gegliederte, jeden größeren

Page 63: Nopcsa Reisen Balkan

Studienzeit und erste Reisen (1897-1905)

49

Gesichtskreis entbehrende Lebenswesen vor die Augen, und mitdem klassisch-griechischen Stil fällt die ruhige ‘Polis’ mit ihrenAmphiktyonien zusammen. Wie die Makedonier Hellas zugrundegerichtet hatten, ändert sich auch der Stil, und der sogenannteAlexander-Sarkophag steht zur klassisch-perikleischen Kunstungefähr in demselben Verhältnis wie ein Werk Giottos zu denvorgehenden Werken auf Goldgrund. Den perikleischen Statuenentsprechen die gemessenen Chöre des Aeschylus, sie sind aberhimmelweit von den Gesängen Homers entfernt. Letzteren kannman den Sänger der Natur, den Sänger des über den kretischenStier springenden Athleten oder ebenso gut den Sänger desVaphio-Bechers nennen. Er erinnert in manchem an einenbosnischen Guslar. Byzanz war der einzige Ort, wo sich nach derVölkerwanderung spät römischer Stil halbwegs erhalten konnte.Er persistierte dort wie aber auch die mit immer zunehmenderSteifheit von der Völkerwanderung unberührteBeamtenhierarchie mit ihrem Kaiser. Der Kunststil wurde daherimmer steifer und konventioneller.

Die Kunst der Diadochenzeit und die römische Kunstkann man ohne Übertreibung das Barock der hellenischen Kunstnennen, denn trotz seines fliegenden Mantels bewegt sich derThrakische Reiter vieler spät römischer Grabsteine ebenso wenigwie ein Engel des Barock, der vom Winde aufgeblaseneGewänder trägt. Es ergibt sich von selbst, daß mit demVersterben des die gerade Linie bevorzugenden, hellenischenStils in Rom auch der viereckige hellenische Tempelbauzurücktrat, und der Rundbau (Pantheon, Moles Hadriani) aufkam.Man denke im Anschlusse daran nur an die gerundeteLinienführung des Farnesischen Stiers oder der Laokoongruppe.

Eine ganz ähnliche Versteifung kann man auch nach derRenaissance bis zum Ausbruche der französischen Revolutionverfolgen. Die Unruhe dieser Revolutionszeit zittert in Kunst und

Page 64: Nopcsa Reisen Balkan

Studienzeit und erste Reisen (1897-1905)

50

Politik jetzt auch noch nach. Sollte der ‘Zweckbau’ derendgültige Ausdruck des neuen Maschinen-Zeitalters werden?

Fragen wir uns nun, welches die eigentlichen treibendenKräfte unruhiger Perioden sind, so finden wir sie in derplötzlichen Erweiterung des menschlichen Wissens. Rom verfiel,als die Römer in Erfahrung brachten, daß es außer ihren Götternauch andere Götter gäbe, Lukian war der Herold dieser Nachricht.Dem Mittelalter haben Galilei mit seinem heliozentristischenSystem, die Verbreitung des Wissens durch Gutenberg und dieEntdeckung neuer Welten ein Ende bereitet. Im XIX. und XX.Jahrhundert sind es der rapide Aufschwung derNa tu rwi s senscha f t en , de r Zusammenbruch de ranthropozentrischen Weltanschauung und der atheistische Begriffdes Kampfes ums Dasein, die alles umstürzen. Wäre es irgendwiemöglich, die neuen Erfahrungen allmählich zu sammeln, dannwürde es keine Revolution, sondern eine langsame Evolutiongeben. Wie die Sache steht, ist der Unterschied zwischen einemMenschen der ersten Hälfte des XX. Jahrhunderts und einem vomAnfange des XIX. Jahrhunderts größer als jener zwischen Leutendes XV. und XVIII. Jahrhunderts. Prometheus ist freilich dererste Revolutionär gewesen. Er ist aber deswegen auch von denkonservativen Göttern an den Felsen geschmiedet worden.

Der Unterschied zwischen der kretischen und derhellenischen Kunst ist mir namentlich anläßlich eines Besuchesim Athener Museum vor die Augen getreten. Obzwar die Kunstvon Knossos nicht auf jener technischen Höhe steht wie diespätere hellenische, weshalb manches verzeichnet ist, so ist siedoch naturalistisch und daher voller Bewegung. Nie hätte sich einhellenischer Künstler einen Stier darzustellen getraut, der sich ineinem ausgespannten Netze überschlägt, wie die amVaphio-Becher der Fall ist. Fliegende Fische sind derhellenischen Kunst gleichfalls fremd. Hingegen spiegelt sich inihr, sobald sie aus der primitiven Barbarei heraustritt und den in

Page 65: Nopcsa Reisen Balkan

Studienzeit und erste Reisen (1897-1905)

51

der Gigantomachia noch erkennbaren, aber mißverstandenenEinfluß der kretischen Kunst überwunden hat, edle Ruhe wieder.Dies gilt nicht nur für die berühmten Statuen von Zeus und PallasAthene, sondern sogar für die Hermes-Statue, obzwar sieBewegung veranschaulichen möchte. Freilich geht diesehellenische Kunst ähnlich wie die spätere byzantinische bald inein Kunstgewerbe über, und daher genügt oft ein Bruchstück, umeine Statue zu bestimmen. Der Unterschied besteht aber darin,daß sich ersteres immer noch an die Natur hält, wogegen letztereswohl unter dem Einfluß des Christentums mit derNaturbeobachtung bricht. In welchem Maße dieNaturbeobachtung sogar in dem XIII. Jahrhundert von demChristentum mißachtet wurde, zeigen die im Vergleiche zu denrömischen Karten dummen Mönchskarten und die Medizin. Zudieser Zeit wurde erst der beim Waschen von Wunden vielzweckmäßigere Alkohol durch das alles infizierende Wasser(Taufwasser!) verdrängt. Wer sich über das Mittelalter mehr alseinseitig informieren will, lese nicht nur die für und gegen diekatholische Weltanschauung jener Zeit eintretenden Werke,sondern auch das, was die byzantinischen Schriftsteller über dieKreuzfahrer geschrieben haben.

Von Venedig, wo ich nur zwei Tage blieb, kehrte ichnach Wien zurück. Dort war ich viel mit Louis Draškoviƒzusammen, mit dem mich seit der bosnischen Reise eine engeFreundschaft verband.

Von Wien unternahm ich eine Reise nachSüddeutschland, auf der ich die Sammlungen von München,Stuttgart und Tübingen kennen lernte. In München wirkte damalsder bedeutende Paläontologe C. von Zittel. Außerdem traf ichPompecky, ferner die Privatdozenten Brioli und Schlosser. DieLeute waren alle sehr nett. Ich studierte das Original vonCompsognathus, erkannte die Schädelbasis und durfte dieselbepräparieren und auch beschreiben. Als das Stück zwecks

Page 66: Nopcsa Reisen Balkan

Studienzeit und erste Reisen (1897-1905)

9 Friedrich Baron Huene.

52

Fotografiert-werden über die Straße zum nächsten Fotografengetragen wurde, glich sein Transport einer Prozession. Vorneging ein Institutsdiener. Als Wache kam dann ein zweiter mitdem Allerheiligsten in der Hand. Dann folgten ich und Brioli.Natürlich hielten wir scharf Ausblick, daß der zweite Diener nichtzufällig von einer elektrischen Tramway überfahren oder voneinem Wagen niedergestoßen werde. Beim Fotografen wurde dasStück während der Mittagspause in die Wertheimkassa versperrt.Das Resultat meiner Untersuchungen legte ich in meiner Arbeit‘Neues über Compsognathus’ nieder.

In Stuttgart traf ich Professor E. Fraas. Ich studierte dieAetosaurier. Dann fuhr ich nach Tübingen. Bei meiner Ankunftdort verzeichnete ich einige heitere Episoden. Schon einigeStationen vor Tübingen hatte sich einige Korpsstudenten zu mirins Coupé gesetzt und begannen mir über die heiteren Seiten desStudentenlebens und ganz speziell über ihrer Burschenschaft zuerzählen. Dann luden sie mich ein, ihre Burschenschaft zubesuchen. Damals wunderte mich ihre Freundschaft. Wie michaber Huene9 später aufklärte, waren dies Studenten gewesen, dieneu ankommenden, jungen Universitätshörer entgegenfahren undsich an solche in der Absicht heran pürschen, um sie für ihreBurschenschaft zu ködern. Da sowohl Huene als auch ich demBiergenuß abhold waren, leistet ich der Einladung dieserKorpsstudenten keine Folge.

In Tübingen selbst trat, als ich wegen des am Bahnhofherrschenden Mangels an Gepäckträgern mit meiner Reisetaschesichtlich verwirrt da stand, ein alter ehrwürdig aussehender Herrauf mich zu und fragte grüßend: “Heißen Sie etwa Meyer?” Nurseine ruhige, jeden schlechten Scherz ausschließende Art hindertemich daran, das Ganze als Spott aufzufassen und grob zu werden,

Page 67: Nopcsa Reisen Balkan

Studienzeit und erste Reisen (1897-1905)

53

und so antwortete ich denn höflich: “Nein, Meyer heiße ichnicht,” worauf er erneut grüßend um Entschuldigung bat und sichentfernte. Erst bedeutend später ging mir ein Licht auf, und ichkam auf den Gedanken, daß Herr X. offenbar einen Meyerheißenden, ihm bis dahin persönlich unbekannten Studentenerwartet und am Bahnhofe gesucht hatte. Ich mußte darübergerade, für einen Herrn Meyer gehalten zu werden, herzlichlachen. Es kam mir die Unzahl der Meyer-Witze in Erinnerung.

In Tübingen lernte ich Professor Koken - geistreich,lebhaft, unternehmungslustig, fast genial - kennen, ferner dengriesgrämigen Plieninger und Friedrich Huene. Letzterer wargerade mit der Bearbeitung des mich interessierendenDinosauriermaterials der Triasformation beschäftigt. Ich benütztedie Gelegenheit, um recht viele Skizzen zu machen. Im Übrigenwohnte ich in Tübingen in einem Mansardenzimmer bei Huene.Er nannte dies seine Bude. Aus einer nah gelegenenBurschenschaftsvilla drang jeden Abend das Gejohle ihresGesanges zu uns herüber. Dieser Bierkonsum der Studenten kanndem deutschen Volke wohl nicht nützen. Was dasStudentenwesen betrifft, so ist es dem deutschen Charakterf r e i l i ch kongen ia l he rumzukommand i e ren undherumkommandiert zu werden. Beide Züge sind mir aberunsympathisch und sind auch dem Engländer völlig fehl, ihmgeradezu verhaßt. Der Preuße sagt einem schnorrend, man müssemal schauen, dies und jenes zu tun oder zu erreichen. DerEngländer sagt, “Just try once to do this.”

Mit Huene machte ich einen Ausflug nach Sigmaringenund auf die Schwäbische Alp und konnte dabei konstatieren, daßich vom württembergischen Bauerndialekt kein Wort verstehe.Dieses Deutsch schien eine ganz andere Sprache. Ein zweitergleichfalls mit Huene unternommener Ausflug führte uns überetwas rhätisches Bonebed auf einen höheren Aussichtspunkt, vondem man gut beobachten konnte, wie die verschiedenen

Page 68: Nopcsa Reisen Balkan

Studienzeit und erste Reisen (1897-1905)

54

Landschaftsstufen der Tübinger Umgebung aus denpetrographisch verschiedenen Niveaus der fast horizontalliegenden Triasformation treppenförmig heraus modelliert sind.

Von Tübingen kehrte ich nach Wien zurück. Währenddieser Zeit schrieb ich den zweiten Teil meiner Monographie überdie Dinosaurierreste aus Siebenbürgen. Gleich dem ersten, derden Limnosaurus-Schädel behandelte, erschien er in denDenkschriften der Akademie. Den dritten Teil, der so wie derzweite Schädelreste von Rhabdodon (Mochlodon) behandelte,verfaßte ich im Jahre 1904. Er erschien in der nämlichenPublikation. Im Sommer 1902 fuhr ich nach Szascal undUmgebung und arbeitete fleißig an meiner Dissertation. Ichdurchstreifte das Szaczreberer Gebirge. Viel Wald, rundeKuppen, lange Bergrücken und wenig zusammenhängende,geologische Aufschlüsse. Solche gibt es nur in den Tälern. MitteNovember kam ich wieder nach Wien, wohnte bei meinen Elternin der Gluckgasse 3. Durch eine Polemik zwischen denPaläontologen Kornhuber und Gorjanoviƒ-Kramberger angeregt,verfaßte ich in einigen Tagen die größere Arbeit ‘Über dieVaranus-artigen Lacerten Istriens’, in der ich dem Ursprung derMosasaurier nachging. Dann schloß ich meine Dissertation abund meldete mich im Frühjahr 1903 zur Doktoratsprüfung.

Die Hauptprüfung fand am 12. Mai statt, dann fuhr ich,um mich zu zerstreuen und erholen auf eine Woche nachBudapest. Am 25. Mai fand die Nebenprüfung statt. Amernstesten hatte es bei der Hauptprüfung der Zoologe ProfessorHatschek genommen. Obzwar ich mehrere Arbeiten überReptilien-Osteologie auf den Prüfungstisch legte, fragte michHatschek nur über wirbellose Tiere. Es ging herzlich schlecht,und ich war dann über die einstmalige Auszeichnung erstaunt,doch Hatschek sagte mir erklärend, “Ich wollte sehen, was Sienicht wissen, was Sie wissen, habe ich ja aus Ihren Arbeitengesehen.” Die Nebenprüfung bestand aus zwei

Page 69: Nopcsa Reisen Balkan

Studienzeit und erste Reisen (1897-1905)

55

Philosophiefächern, wobei mich Professor Jodl und ProfessorMüller prüften. Nur eine Formsache.

Nachdem ich meine Doktoratsprüfung bestanden hatte,erhielt ich von Onkel Feri 2000 K., um eine Reise zu machen. Ichdachte zuerst nach Spanien zu fahren, entschloß mich aber imletzten Augenblick für Kreta, um dort Steinböcke zu jagen unddie Insel geologisch zu untersuchen.

Von Exzellenz Manos, dem griechischen Gesandten inWien, erhielt ich durch Go»uchowskis Vermittlung ein Laissezpasser an die Zollbehörden von Patras, damit ich in Griechenlandmit den Gewehren keine Schwierigkeiten habe. In Triest habe ichin der Lloydagentur Karten gelöst und dabei zum ersten Mal dieösterreichische Mißwirtschaft bewundert. Es ist ein Skandal, daßdie österreichische Lloydgesellschaft nicht gezwungen wird, inKronen zu rechnen, sondern ihre eigene Währung und ihreneigenen Münzfuß, den außer Gebrauch befindliche Goldgulden,hat. Außerdem, obzwar sie eine österreichische Gesellschaft ist,verlangt sie auf Goldstücke von zwanzig Kronen noch Agio. AnBord des mich nach Patras entführenden Dampfers waren u.a. eingriechischer Weinhändler, Kastriojanakis, aus Kreta, mit dem ichbis Kreta fahren sollte, und einige weniger interessante Leute wieein Amerikaner, Mr. Fries, und zwei Deutsche, etc. Es warenihrer gerade genug, um eine langweilige Konversation am Lebenzu erhalten. Am ersten Tag war mir die Seereise noch etwasneues, und ich brachte vormittags meinen Kodak heraus, um zuphotographieren. Aber schon am Nachmittag begann eslangweilig zu werden.

Interessant war nur die Verwunderung des Amerikanersüber die vielen Sprachen in Europa, über die verschiedenenGeldwährungen, über die sogenannten Vorurteile und über dieVerhältnisse von Religion und Staat zu hören. Er hat ja recht, undvieles muß ihm in der Tat äußerst unsinnig und unpraktischerscheinen, unter anderem versteht er oder meint nicht zu

Page 70: Nopcsa Reisen Balkan

Studienzeit und erste Reisen (1897-1905)

56

verstehen, was Nationalgefühl heiße. Ich habe ihm in manchenDingen rechtgegeben, bei anderen Sachen getrachtet, ihm dieSache zu erklären. Er sagte z. B., es sei drüben alles eins, ob einervon Geburt Franzose oder Deutsche sei. Er fühle sich drübenganz einfach als Amerikaner. Er sei nämlich Mitglied eines nurpolitischen Staates. Ich erklärte ihm, dies sei nur in Amerikamöglich, da die Nationalität dort leicht verschwindet, weilAmerika keine eigene Sprache und eine jungeEntstehungsgeschichte habe. Hätten die Vereinigten Staaten eineeigene Sprache und hätte jede Gegend ihre eigene Tradition, sowürde sich mit der Zeit auch schon ein Nationalgefühlentwickeln. Bezüglich der Aristokratie verglich ich dieselbe mitdem Vollblut, da Reichtum manche Tugend wesentlich befördere.Außerdem könne der Reiche eine bessere Erziehung genießen alsder Arme. Ferner würde dem Kinde in aristokratischen Kreisenstets Familientraditionen vor Augen gehalten. Bei derAristokratie würde auch a priori eine teilweise Garantie gegeben,daß aus dem Kinde eines Aristokraten etwas gutes werde,wogegen würden bei einem anderen Kinde jedenfalls alle für dieEntwicklung seines Charakters günstigen Vorbedingungenfehlen. Dies schien meinem Amerikaner recht plausibel. Imübrigen kann man nicht sagen, daß seine zum Teil vorurteilsfreieMeinung und Anschauungsweise antipathisch gewesen wären.Scharfer Beobachter im allgemeinen, zeigte er nur, wasAmerikanismus angelangt, große Naivität. Er war Chauvin biszum Exzeß. Für ihn war das Amerikanische stets das beste. Ermeinte, daß dies sogar für das Militär gelte und, um letzteres zubeweisen, berief er sich auf einen Toast, den der österreichisch-ungarischer Militärattaché in einem amerikanischen Militärkasinogehalten hatte. Daß Disziplin in der amerikanischen Armee fehle,gab er zu, aber anderseits meinte er, die Verwendung derIndividualität des Einzelnen sei aufs Höchste entwickelt, etc.Wiederholt sagte Fries, “We are the richest people. We have got

Page 71: Nopcsa Reisen Balkan

Studienzeit und erste Reisen (1897-1905)

10 ‘Ouida’, Marie Louise de la Ramée (1839-1908), populäreenglische Schriftstellerin und Journalistin der Zeit.

11 Sir Henry Rider Haggard (1856-1925), romantischerSchriftsteller aus Norfolk.

57

the greatest factories. Our wealth is steadily increasing. Ourtraffic is augmenting at a tremendous rate. English is spoken byso many millions of people and we have nobody to fear.”

Es war höchst langweilig, daß ich nichts mit zu lesenhatte. Einige Romane sind als unentbehrliche Ausrüstung zu einerSeereise zu bezeichnen. Kein Baedeker, in dem man immerwieder dasselbe findet, sondern so ein recht langweiliger Roman,den man nur liest, um sich die Zeit zu vertreiben. Etwasmodernes, englisches, eine Tauchnitzausgabe von Ouida10 aber janicht von Rider Haggard11 oder schweren Kaliber. Das würde zueiner gelangweilten Stimmung gar nicht passen. Es muß ein Buchsein, das man ohne weiteres weglegen kann, wenn eine Möwenäher fliegt als gewöhnlich, oder wenn einem ein Passagier fragt,“Wie viel Knoten, glauben Sie, daß wir jetzt machen?” In dieserStimmung ist man froh, wenn die langersehnte Table-d’hôte-Glocke läutet und das Essen einem endlich eine Abwechslungbietet. Das Essen ist am Bord wirklich ein Ereignis. Neugierigmustert man, ohne es jedoch zu Schau zu tragen, die Speisekarte,und für fünf Minuten sind die Gedanken nur darauf konzentriert,was man jetzt gelesen. Äußerlich wird diese geistige Arbeit durchdas Essen der Suppe größtenteils maskiert. Das Tischgesprächdreht sich natürlich um das Schiff, dann um das Wetter und dieGeschwindigkeit des Schiffes. Der Nachmittag ist wiederlangweilig und die Langeweile erleidet nur durch eine Jause, eineUnterbrechung.

Page 72: Nopcsa Reisen Balkan

Studienzeit und erste Reisen (1897-1905)

58

Während der Fahrt nach Patras wurde die See immerunruhiger, so daß ich mich am letzten Tag in der Frühe beimAufstehen zwar noch ganz wohl fühlte, mich während desAnziehens jedoch, da das Schiff schlingerte, unwohl zu fühlenbegann. Ich fand die Kabine eng und dumpfig, und die Lukekonnte wegen des Wellenganges nicht geöffnet werden. Schnellhabe ich mich angezogen und bin in den Speisesaal gestürzt, umetwas in den Magen zu bekommen. Es war jedoch zu spät. EineZeitlang ging das Essen noch. Ich brachte ein Ei, das mir nichtschmeckte, so wie etwas Tee hinunter. Darauf blieb jedoch derSpeichel aus, und eine Semmel konnte kaum hinunter gewürgtwerden. Vis à vis von mir saß ein Grieche, der sich gleichfallsunwohl fühlte, und so lächelten wir und schauten wir unsgegenseitig an. Dann stand ich auf, um eine Eruption zuvermeiden, ging in meine Kajüte und legte mich flach aufs Bett.Nachdem ich einige Zeit so gelegen, wurde es mir besser. Ichhabe Tee und Semmel kommen lassen, dann gefrühstückt,Hierauf ging ich auf Deck. Zu einer Explosion ist es auf dieseWeise nicht gekommen, und am Deck war ich von der frischenSeeluft bald ganz hergestellt, so daß ich mir nach einer halbenStunde eine Schinkensemmel kommen ließ und sie zur großenÜberraschung der Passagiere, die alle mehr oder minder unwohlwaren, mit gutem Appetit verzehrte. Nur beim ersten Brockenschienen mir meine Gaumen wieder außergewöhnlich trocken.Nach diesem Gabelfrühstück war ich wieder vollkommen wohlund lustig und gelangweilt wie immer. Der Kapitän sagte unssarkastisch, unten gäbe es eine ganze Menge Tote, das heißtKranke. In der Tat erschienen die meisten Passagiere erst gegenMittag, als die See bereits viel ruhiger wurde.

In Korfu habe ich das aus altem Material gebautenMaitlanddenkmal besichtigt. Maitland war großbritannischerGouverneur der ionischen Inseln. Dabei bin ich zahlreichenLandauern begegnet, die auf dem Türschlag das großbrittanische

Page 73: Nopcsa Reisen Balkan

Studienzeit und erste Reisen (1897-1905)

12 griech. D@*@*V6JL8" /fH ‘rosenfingerige Morgenröte’.

13 griech. $@äB4H !2Z<0 ‘großäugige Athene’.

59

Wappen hatten. Es waren alte Staatskarossen aus der englischenZeit. Von Korfu fuhr unser Dampfer nach Patras.

Ich bin am nächsten Tag erst im Golf von Patrasaufgewacht. Er war ein frischer, herrlicher Morgen. Die Bergenördlich von Patras, namentlich eine sehr schöne Kuppe, warenvor Sonnenaufgang wie in Silber gebadet. Knapp vorSonnenaufgang stiegen im Osten mächtige rosenrote, fingerartigauseinandergespreizte Lichtbündel von Horizonte aufwärts amlichtrosenroten Himmel. Der Kommentar zu rhododactyla Eos12

war in der Natur gegeben. Die Erklärung der alles rosenrotanstreichenden Eos konnte nur im Hirne eines stets um siebenUhr früh aufstehenden, in der Stadt lebenden Stubengelehrtenkeimen. Überhaupt Homer und seine Exegeten. Boopis Athene13

ist ein anderes Beispiel. Ein Stubengelehrter nimmt an dieserStelle Anstoß, doch gebe ich eine moderne Parallele.Zartgefesselte Füße gelten in Albanien als Zeichen adligerAbkunft. Dicke Fußfesseln charakterisieren den Plebejer. EinAlbaner wollte nun einst den zarten Fesselbau eines anderenMenschen loben. Er sagte, seine Fessel sei jener eines Maultieresähnlich. Ein Haustier ist für einen Stubengelehrten immer nur eindummes, schmutziges, inferiores Wesen. Der Naturmenscherkennt sogar in einem Haustier dessen Schönheiten und guteSeiten. Das ruhige, schwarze Auge eines Rindes kann bloß einemPhilologen häßlich scheinen.

In Patras gibt es breite, sich rechtwinklig kreuzendeStraßen, die wohl infolge der Beleuchtung etwas an Italienerinnern. Mit der Schmalspurbahn fuhr ich von dort nach Athen.Der erste Teil der Fahrt östlich von Patras war wunderschön. Auf

Page 74: Nopcsa Reisen Balkan

Studienzeit und erste Reisen (1897-1905)

60

der einen Seite lag der blaue Golf von Patras, auf der anderenSeite Waldland aus Pinien, Oliven, Eichen, Platanen undimmergrünem Gestrüpp. Dazwischen leuchteten 2-3 Meter hoherote Oleanderbäume in voller Blüte durch das glänzendeDunkelgrün der subtropischen, lederartigen Blätter. Was für einmatter Abglanz der Oleanderbäume des Peleponnes sind jeneOleander genannten Besenstiele, denen wir in unseremnördlichen Klima vor Restaurants und Kaffeehäusern begegnen.Auch die weidenartigen Ölbäume, die immergrün dazwischenvereinzelt standen, schienen nicht so kahl und ausgetrocknet wiegewöhnlich, sondern trugen mit ihrem Graugrün auch nur dazubei, die Farben dieses herrlichen Bildes zu vermehren. Der flacheRaum zwischen den einzelnen bewaldeten Hügeln war mit Rebenbepflanzt, die jedoch nicht wie in Italien und Südtirol aufLattengerüsten gezogen, sondern über dem Boden abgeschnittenwerden. Die emportreibenden Sprößlinge sind von kurzen, meistunsichtbaren Stöcken unterstützt.

Im blauen Golf von Korinth erschienen Dampfer undweiße Segel. Jenseits des Golfes erhoben sich dienordgriechischen Berge etc., und zur rechten Hand waren dieschneebedeckten Spitzen des Peloponnes sichtbar. Dieregelmäßige und leuchtende Farbenpracht dieser Landschaftentspricht der leuchtenden Götterlehre der Hellenen. DieseLandschaft dauerte eine Weile. Zwischen Patras und Korinth wirddie Erde dann etwas steinig. Die für Korinthen gezogene Traubenverschwinden. Einige Gerstefelder erscheinen. Der Golf vonKorinth wird breiter. Die nordgriechischen Berge werden wohlauch wegen der Beleuchtung fast unsichtbar. Die steilenKalkberge zur Rechten treten näher an das Geleise. TiefeSchluchten zeigen das entsetzliche Zerstörungswerk derErosionen auf unbedeckten Böden. Die isolierten Olivenbäumeerhalten nun die Physiognomie europäischer Weiden. DieseLandschaft dauert bis Korinth. Gegenüber der Insel Salamis ist

Page 75: Nopcsa Reisen Balkan

Studienzeit und erste Reisen (1897-1905)

61

auf der Höhe des Berges, wo Xerxes anno dazumal die Schlachtbeobachtete, ein Denkmal errichtet. Als Beobachtungspunkt fürdamals brillant gewählt, muß es für Xerxes jedenfalls ein höchstpeinliches aber aufregendes Schauspiel gewesen sein, zu sehen,wie die stolzen Trieren nacheinander von den Griechen gerammt,geentert oder anderswie vernichtet wurden. Die Erzählung, daßXerxes sich den Bart raufte, kann der vollkommenen Wahrheitentsprechen. Bei Korinth begann die öde, attischeKalksteinlandschaft mit mehr Stein als Humus.

Athen war damals schön, staubig und weiß, und zeigtegeweißelte Mauern in halbklassischem Stil mit vielen weißenMarmorfassaden oder Marmorimitationen. Es erinnerte insofernan München als jedes Gebäude die Individualität des Künstlers,richtiger gesagt des Baumeisters, zum Ausdruck brach.Kasernenbauten und der Zinshausschematismus sind unbekannt.Ich pilgerte zu den Zeustempelsäulen, die mir einenunauslöschlichen Eindruck machten. Es ist dies das imposanteste,was ich in dieser Art gesehen habe, und nicht einmal derSäulenwald des Parthenon, dem der durchstreichende WindKlagetöne entlockte, konnte diesen Eindruck irgendwieverwischen. Nach dieser Höhe und dieser Kühnheit der Gedankenschienen Propyläen und Parthenon, ja der Akropolishügel selbstin nichts zu versinken. Sie machten zumindest einen gedrücktenund fast kleinlichen Eindruck. Vom Zeustempel fuhr ich zumTheater, vorbei an Kaktus und Aloe in voller Blüte. Bei denPropyläen wurde ich von Ciceronen und Verkäufern allerhandantiker Imitationen angeekelt. Ihr Geschrei und ihreZudringlichkeit drangen mir bis ins tiefeste Herz. Dies kann fürschwärmerische englische Misses gut sein, die bei jedemZeuskopf in Ekstase fallen und bei jeder Athene-Statuette mitetwas geneigtem Kopf “Oh, how charming!” rufen, dann auch fürdie Halbgelehrte, die mit Baedeker in der Hand, das Los desSokrates beklagen, ohne je etwas über Sokrates selbst gelesen zu

Page 76: Nopcsa Reisen Balkan

Studienzeit und erste Reisen (1897-1905)

62

haben. Will man aber selbst so ganz in die Vergangenheitzurücksinken, will man unter dem Einfluß der goldigangehauchten Ruinen, sich das idealisierte Leben der damaligenZeit vor Augen führen, will man mit keinem Worte eineRuinenstätte genießen, wobei es einem dann irrelevant ist, obirgendein Tempel Bacchus oder Zeus geweiht war, dann werdenReklamegeschrei, Erinnerungsware und vor allem der hastende,beengende, störende und hochgelahrte Baedeker zuwider. Aucheiner der professionellen Akropolisführer, der jeden Stein miteinem klassischen Namen belegt, kann einen ebenfalls nur stören.Ich betrachte Ruinen, Bildergalerien und Gegenden nicht, umbelehrt zu werden, sondern um meine Phantasie zu ernähren undum das Genossene zu empfinden. Will ich etwas über dieAkropolis oder Griechenland lernen, so gehe ich nach Hause,setze mich in einen Stuhl und nehme mir eins dieser gelehrtenBücher, wie sie alle heißen, und lese und studiere. Wenn ich aberauf die Akropolis steige, so will ich die Akropolis empfinden.Gelehrsamkeit und hellenische Namen können dabei, da sie einenvom Empfinden zum Nachdenken verleiten, jedenfalls nur stören.

Allerdings gibt es wenige Bildungen der Menschenhand,die einen wirklich ergreifen. Einen wirklich großen Eindruckerzielten bei mir nur die Moschee von Cordova, die Thermen desCaracalla, das Colosseum und der Markusplatz. Neben diesensind eben noch die einen aufs Höchste verfeinerten, kapriziösenGeschmack verratende Alhambra, der Kreml mit seinen goldenenKuppeln, seine rosenroten Ziegelmauern und seinem blauenHimmel und endlich noch der Place de la Concorde zu erwähnen.Als Bauten eines ganz verschiedenen Charakters reihen sich nochdaran: der Dom und das Baptisterium von Pisa, der Dom vonMailand und der Dom von Florenz. Hierzu kommt noch dieChrist Church in England. Die gotischen Prachtbauten derdeutschen Städte sind viel zu sehr eingebaut, als daß sie zuGeltung kommen könnten.

Page 77: Nopcsa Reisen Balkan

Studienzeit und erste Reisen (1897-1905)

63

Von der Akropolis zu Spiro Delaporta, der mir versprach,nur im Bedarfsfalle, eine Jagderlaubnis für Antimolo zu erwirken.Dann bin ich mit dem Lloyddampfer nach Kreta gefahren. InChania besuchte ich den Onkel des Kastriojanakis, der dortBischof war und uns mit prächtigen Süßigkeiten aufwartete.Leider aber zu einem Besuch in Knossos keine Zeit. Hierauf nachCandia.

Wegen des mehr als merkwürdigen Benehmens unseresdortigen Vertreters mißglückte ein Jagdausflug auf Kreta, und aufgeologische Untersuchungen verzichtete ich in jenemAugenblicke, als ich in Erfahrung brachte, daß sich derfranzösische Geologe Lucien Cayeux mit der Erforschung derInsel beschäftigte. Für zwei Geologen schien mir die Insel zuklein. Cayeux hat sein Beobachtungsmaterial nun zwar nievollinhaltlich publiziert, für mich war das Zusammentreffen aberspäterhin insoferne von Vorteil, als ich mich dem, wie es sichzeigte, noch interessanteren Nordalbanien zuwandte, was beieiner Erforschung Kretas unterblieben wäre. Meine geologischenUntersuchungen auf Kreta beschränkten sich dermaßen auf dieBegehung des Gebietes zwischen Chania und der Suda-Bay.

Generalkonsul Pinter war der zweite österreichisch-ungarische ‘Diplomat’, von dem ich Unterstützung erwartet hatte,der sich aber als ein würdiger Kollege des Konsuls Jovanoviƒentpuppte. Er konnte oder wollte mir nicht einmal eine Jagdkartebeschaffen, wogegen ich eine halbe Stunde später durchIntervention meines Bekannten, Herrn Kastriojanakis, diese vomBürgermeister von Chania in zehn Minuten ausgefolgt erhielt. Ichwar boshaft genug vom Bürgermeisteramt schnurstracks zumGeneralkonsulat zu laufen und Pinter zu sagen, daß ich dieJagdkarte schon hätte!

Normalerweise schielte er. Vor Überraschung schaute eraber in jenem Augenblicke gerade, da er mir, wie er seineFassung wiedergewonnen hatte, mitteilte, daß ich bei einer

Page 78: Nopcsa Reisen Balkan

Studienzeit und erste Reisen (1897-1905)

64

etwaigen Jagd Unannehmlichkeiten haben würde. Ich konnteahnen, wer mir indirekt diese Unannehmlichkeiten bereitenwürde, und weil ich außerdem damals noch ein Grünschnabelwar, verzichtete ich auf das Jagen.

In Athen war Baron Burian österreichisch-ungarischerGesandter. Seine Frau war, so wie er, recht nett mit mir. Fernertraf ich den Professor der Archäologie, Dr. Wilhelm, und denAthener Geologen Skuphos. Über Saloniki fuhr ich nach Skopje.

Hier begann meine zweite Reise in der EuropäischenTürkei. Über diese Reise ist folgendes zu berichten. Es war zuZeit der bulgarischen Unruhen in Mazedonien, als ich mitunserem Militärattaché Giesel, dem späteren Gesandten inBelgrad, in Skopje mit dem Mittagszug eintraf, woselbst unsKonsul Bohumil Para mit einem Champagner-Dejeuner amBahnhof erwartete. Schon während der Fahrt hatte mir Gieselgeraten, meine Heimreise nach Budapest zu unterbrechen, um mirMazedonien und Skopje anzuschauen. Para brauchte gar nichtlange zu drängen, und ich verließ den Zug und stieg bei ihm imKonsulate ab. Giesel fuhr weiter nach Belgrad. Wie ich in Skopjewar, fragte mich nun Para, ob ich nach Prizren wolle. “Ja,natürlich,” sagte ich. Dank seiner Intervention wurde mir inFerizaj (Uroševac) ein Pferd und ein Zaptieh beschaffen. Alsofuhr ich nach Ferizaj und ritt hierauf nach Prizren. Dort warOffizial Muthsam Konsulatsgerant. Exzellenz Msgr. Troksi,Bischof von Prizren, hatte ich in Skopje kennengelernt. BisFerizaj fuhr ich mit Pfarrer Glasnovic, in dessen Pfarrei ich inFerizaj die Nacht verbracht hatte. Der nächste Abend sah michschon in Prizren. Der Weg führte über Shtime (Štimlje),Lutogllava (Ljutoglav) und Suhareka (Suva Reka). Im Hane vonLutogllava machte ich eine geologische Notiz, und sofort fragtemich der Handschi erregt, was ich schreibe. Ich sagte, daß ereinen ganz besonders guten Kaffee habe, und schreibe, damit erbei anderen Fremden bekannt werde. Nun war der Handschi ganz

Page 79: Nopcsa Reisen Balkan

Studienzeit und erste Reisen (1897-1905)

65

begeistert und umarmte mich, denn er hatte im erstenAugenblicke gedacht, daß ich etwas notiere, was ihm schadenkönnte. Muthsam, unser Konsularvertreter in Prizren, war sorecht der Typus eines strammen Unteroffiziers. Es ist einSkandal, solche Leute als Diplomaten zu verwenden!

Als ich in Prizren war, operierte gerade die Armee OmarRudži Paschas mit wechselndem Erfolg gegen die rebellischenAlbaner von Gjakova. Als die Albaner aber montenegrinischeHilfe gegen die Armee des Sultan anzurufen drohten, kam durcheinen Yildizbefehl eine Aussöhnung zustande. Warum dieOperationen überhaupt betrieben wurden, ist mir heute unklar.Nominell hatte Gjakova freilich ganz aufgehört der Pforte zuparieren. In Prizren blieb ich diesmal nur über Nacht.

Dann habe ich zwei Zaptiehs bekommen, bin in derFrühe bei Nebel aufgebrochen, über den Sardagh geritten undnachmittags in Tetovo eingetroffen. Dort fand ich zufällig einenWagen und fuhr gleich nach Skopje. Bei Skopje gab es geradeeine Überschwemmung. Der Lepenacbach hatte die Brückezerstört, und ich mußte in der Nacht mit meinem Wagen zuerstüber die Felder herumreiten, um eine Überfuhr zu suchen.Endlich wurde eine Furt gefunden, und gegen Mitternacht traf ichin Skopje ein.

Para forderte mich auf, ihn und den BotschaftsdragomanMandelstamm auf einer Inspektionsreise in Mazedonien zubegleiten, wenn ich wolle, und sagte, er habe schon allesarrangiert, ja auch Hussein Hilmi Paschas Zustimmung erhalten.Ich war hierzu sehr bereit und fragte, wie er das gemacht habe.Para sagte, Hilmi Pascha hatte ihm bei einer Besprechung unsererInspektionsreise darauf aufmerksam gemacht, daß es mit demEssen schlecht bestellt sein würde, worauf er ihm antwortete, daßer diesbezüglich gar keine Sorgen zu haben brauche, denn ichwürde die Herren begleiten und könne ausgezeichnet kochen.

Page 80: Nopcsa Reisen Balkan

Studienzeit und erste Reisen (1897-1905)

66

Damit war die Sache naturgemäß erledigt. Ich merkte mir dies alsein Beispiel dafür, wie man Türken vor faits accomplis stellt.

Hussein Hilmi Pascha, den späteren Großvezier undnachmaliger türkischer Botschafter in Wien, der sogar als Gegnereine sehr gewinnende Persönlichkeit war, hatte ich durch ParasVermittlung gleich bei meinem Eintreffen in Skopjekennengelernt. Er war ein bemerkenswerter Mensch. Stetspeinlich gut gekleidet, stets auch nach Mitternacht zu sprechen!Stets gleichmäßig, ruhig und liebenswürdig hatte er ein kolossalesGedächtnis, dabei war er erfindungsreich und unerschöpflich inder Wahl seiner oft freilich kleinlichen, zuweilen aber genialeinfachen Mittel. Als er noch jünger war, besaß er einen gewissenliebenswürdigen Sarkasmus. Als Generalinspektor vonMazedonien war ihm die unmögliche Aufgabe zugefallen, inMazedonien zu reformieren, das heißt dem christlichen Elementzu helfen, ohne den mohammedanischen irgendwie zu schaden,und er erledigte diese Aufgabe geschickt dadurch, daß er denIntentionen des Sultans gemäß jahrelang zum Scheinereformierte. Als Großvezier spielte er eine unbedeutende Rolle.Die Situation bei Abdul Hamids Sturz brauchte energischeCharaktere nicht aber Diplomaten. In Mazedonien hat er den Laufder Ereignisse zwar nicht hindern können, wohl hat er aber, solanger er dort war, dem Rad der Zeit in den Speichen gegriffenund es am Rollen nicht unbedeutend gehindert. Unterstützt wurdeer hierin von seinem Meister, dem großen Sultan Abdul Hamid.

Einige kleine Episoden beleuchten Hussein HilmiPaschas Tätigkeit in Mazedonien. Der österreichisch-ungarischenEntente Cordiale entsprechend kamen einst Para und derrussische Botschaftsdragoman Mandelstamm zusammen zu Hilmiund zwar angeblich, um ihm ihre ‘private’ Ansicht in einer Fragemitzuteilen. Hilmi hörte ihnen zuerst ruhig an, dann erklärte erihnen, es zu bedauern, daß er keinen schönen großen bis an denFußboden reichenden Scheibenspiegel in seinem Amtszimmer

Page 81: Nopcsa Reisen Balkan

Studienzeit und erste Reisen (1897-1905)

67

habe, denn dann könnten sich die Herren erblicken, wie siePaarweise ihm gegenüber säßen. Würden sie sich so in ihrervollen Größe sehen, wie er sie sehe, so würden sie dann vielleichtauch selbst glauben, wie sehr sie bloß deshalb gekommen seien,um ihre private Meinung bekannt zu geben. Immerhin wollte eraber, so schloß Hilmi seine Tirade, trotz ihres Anblickesannehmen, daß der Schein trüge. Natürlich konnten die Konsulnihm für seine Liebenswürdigkeit nur danken, fühlten sich abernaturgemäß betroffen. Noch ein anderer Schachzug, der HilmisGedächtnis vorführt. Auf seinem ausdrucklichen Befehl mußteihm tagtäglich die hundert Namen lange Liste sämtlicher perBahn durchreisender fremder Untertanen vorgelegt werden. Daentdeckte er einmal beim naturgemäß bloß flüchtigen Durchlesendieser indifferenten Listen dennoch den Namen eines ganzobskuren Menschen, den er vor mehr als einem Jahreausgewiesen hatte, und er erinnerte sich dessen. Zu so einemGedächtnis kam bei Hilmi noch große Geschicklichkeit,Verschlagenheit und Rücksichtslosigkeit in der Wahl seinerMittel. Einst ließ er zum Beispiel die letzten drei Jahrgänge derGefängnisregister von Saloniki kurzehand in aller Eile bloßdeshalb abschreiben und fälschen, damit er den Konsuln durchdie freiwillige und ganz exzeptionell liebenswürdige Vorlage der‘authentischen Register’ beweisen könne, daß der Name einesgewissen Bulgaren, der nach Meinung der Konsuln unschuldig imGefängnis war, im Register fehle. Durch diesen Vorgang war erdann der Notwendigkeit enthoben, den Mann in Freiheit zusetzen, und konnte ihn vielmehr dadurch, daß er ihn ermordenließ, zum Verschwinden bringen.

Die Gefährten meiner Reise in Mazedonien waren derösterreichisch-ungarische Konsul Para, der russischeBotschaftsdragoman Mandelstamm, unser später wegen seinerAffäre mit den Serben berühmter Vizekonsul Prochaska, eintürkischer Leutnant und zwanzig türkische Kavalleristen. Der

Page 82: Nopcsa Reisen Balkan

Studienzeit und erste Reisen (1897-1905)

68

Zweck der Reise war, die durch Türken und türkische Behördenan Bulgaren begangenen Greuel durch Augenschein festzustellen.Wie sahen ihrer etliche. Das Memorandum, das aus dieser Reisehervorging, führte dann zur Zweikaiserzusammenkunft vonMürzsteg unseligen Angedenkens. Damals verstand ich nochnichts von Diplomatie, resp. stand derselben wie der jungeOxenstierna gegenüber. Erst später sah ich, mit wie wenigWeisheit die Welt regiert wird.

Da ich wegen Waffenübung nach Brasso (Kronstadt)einzurücken hatte, ritt ich mit Pferdewechsel in Kratovo in einemhalben Tag von Ko…ani nach Kumanovo, wo ich rechtzeitigeintraf, um den Mittagszug nach Belgrad benützen zu können,und fuhr für zwei Tage nach Szacsal, dann nach Brasso.

Im Juli hatte ich Waffenübung bei Brasso und war beiRittmeister Baron Heszlova in Keresztenyfalu eingeteilt. Da ichwieder ein Trachom bekam, erlitt die Waffenübung einenvorzeitigen Abbruch. Am 21. Juli erfolgte meineDoktoratspromotion in Wien. Ich habe sie in der Uniform einesKadett-Wachtmeisters des 2. Husaren-Regiments abgelegt. Teilswegen meines Trachoms, teils wegen des Ende August in Wientagenden internationalen Geologenkongresses, an dem ichteilnehmen wollte, blieb ich bis Anfang September in Wien.September und Oktober verwendete ich zu Terrainaufnahmen inSiebenbürgen, um meine Doktoratsthese erweitert publizieren zukönnen.

Im November fuhr ich über Bulgarien in die Türkei. Daich von meinem Ausfluge nach Kreta wußte, daß man mitKugelgewehren im Orient immer Schwierigkeiten habe, diesmalaber meinen Mannlicher Karabiner geradezu nach Konstantinopelnehmen wollte, überlegte ich mir die Sache sehr gründlich. Ichging also zum türkischen Botschafter in Wien und bat um einLaissez passer für ein Jagdgewehr nach Konstantinopel. DerBotschafter, selbst ein großer Jäger auf Niederwild, war sehr

Page 83: Nopcsa Reisen Balkan

Studienzeit und erste Reisen (1897-1905)

69

liebenswürdig und erkundigte sich vor allem, ob es sich um einSchrot- oder Kugelgewehr handele, da letztere in der Türkeistreng verboten seien. Ich erklärte ausweichend, aber, da ich auchHasen und Enten mit der Kugel geschossen hatte, vollkommenwahrheitsgemäß, daß es sich um ein Gewehr handele, mit dem ichGemsen aber auch Wildenten und Hasen geschossen hätte, undder Botschafter gab hierauf - offenbar an Büchsflinten unddergleichen denkend - mir das gewünschte Dokument. Mitdiesem Dokumente, ferner verschiedenen paläontologischenBroschüren und Generalakten von Mazedonien, die ich später zugeologischen Aufnahmen verwenden wollte, fuhr ich nachKonstantinopel.

Da damals seitens bulgarischer Banden verschiedeneAnschläge gegen den Orientexpreßzug stattgefunden hatten, warich der einzige Reisende im ganzen Zuge. In Mustafa Pascha ander bulgarischen Grenze gab es trotz meines Laissez passergenaue Zollvisite, und da entspann sich zwischen mir und denZollbeamten über die drei zuvor erwähnten Arten vonGegenständen eine lebhafte Kontroverse. Vor allem handelte essich um das Gewehr. Mein Mannlicher wurde an seinemVerschlusse als Repetiergewehr erkannt und verboten. Ichprotestierte. Später traf meinen Karten als militärischer Natur dasgleiche Geschick, und ich protestierte wieder. Dann begann derBeamte die Drucksachen zu prüfen. “Ce sont des publicationsscientifiques,” erklärte ich besorgt um deren Schicksal.Hochnäsig erklärte mir der Türke, er würde dies - falls es derWahrheit entspreche - selbst erkennen. Nach dieser Erklärungließ ich ihn ruhig in denselben blättern. Als er aber eine Seiteaufschlug, auf der ein zerlegtes Schildkrötenskelett mit weit weggespreizten Beinen abgebildet war, konnte ich mich, einemplötzlichen Impulse folgend, nicht zurückhalten, ihn amWeiterblättern zu hindern und, auf das Schildkrötenskelettzeigend, sagte ich recht deutlich, “Voici le squelette de Boris

Page 84: Nopcsa Reisen Balkan

Studienzeit und erste Reisen (1897-1905)

70

Saravoff.” Boris Sarawoff war einer der gefürchtetsten,geschicktesten und verwegensten Bandenführer Mazedoniens,dessen die Türken, obzwar sie auf seinen Kopf einen hohen Preisausgesetzt hatten, nicht lebhaft werden konnten. Meine Erklärungwirkte wie eine Bombe. Der Beamte merkte, daß ich ihn vonoben herab behandele und ihn verhöhne. Er erkannte aber auch,daß ich ein großer Herr (distinguished foreigner) sei, und wütendschleuderte er alle Broschüren wieder in meinen Koffer.

Nach diesem ersten Sieg mußte ich unwillkürlich dieSituation ausnützen, um auch die Gewehrangelegenheit zuordnen. Ich erneuerte, mich auf mein Laissez passer berufend,meinen Protest. “Ich habe,” argumentierte ich, “die Erlaubnis, einJagdgewehr in die Türkei einzuführen. Diese Waffe ist einJagdgewehr, ergo habe ich die Erlaubnis, sie mitzunehmen.” DerBeamte replizierte, “Sie haben die Erlaubnis für ein Jagdgewehr.Dieses Gewehr ist kein Jagdgewehr, ergo dürfen Sie spezielldieses Gewehr nicht besitzen.” Nach dieser Erklärung begannenwir zu streiten, ob mein Gewehr ein Jagdgewehr sei oder nicht,und verloren darüber Zeit, bis der Schaffner kam und mich ohneirgendeine besondere Absicht an das Einsteigen gemahnte. Icherklärte, anfangs gleichfalls ohne besondere Absicht, ich sei nochdurch eine zollamtliche Angelegenheit gehindert, und nunsekundierte der Zollbeamte, um mich los zu werden, zufällig demKondukteur. In diesem Augenblicke erkannte ich die Linie, dieich in meiner folgenden Aktion zu befolgen habe. Ich blieb festund erklärte entweder mit meinem Gewehre oder überhaupt nichtnach Konstantinopel zu fahren. Der Zollbeamte redete auftürkisch mit dem Schaffner. Die Lokomotive pfiff, um mich zuerschrecken, doch wollte der Expreßzug seinen einzigenPassagier nicht zurücklassen. Es blieb also beim Pfeifen. Späterverzögerten auch die Zollbeamten die Abfahrt des Zuges, dennauch am Zollamte wollte man mich auf längere Zeit doch nichthaben. Daß ich eine angesehenere Persönlichkeit war und meine

Page 85: Nopcsa Reisen Balkan

Studienzeit und erste Reisen (1897-1905)

71

Anwesenheit am Zollamte daher nicht erwünscht sei, war amLaissez passer zu erkennen. Die Lokomotive pfiff also erneutvergebens. Die Situation entwickelte sich zu meinen Gunsten, siewurde aber komisch. Alle trachteten, mich zu überreden, meinenZug nicht zu versäumen. Die Beamten gingen so weit, mich zubitten, wegzufahren. Ich könne, sagten sie, die Angelegenheit desGewehres von Konstantinopel brieflich ordnen. Im Bewußtsein inso einem Falle mein Gewehr, das ich sehr gerne hatte, nie wiederzu erblicken, markierte ich allergrößtes Phlegma. Ich ließ michgar nicht stören und verlangte endlich in liebenswürdigster Weisefreundlich lächelnd gar Papier und Feder, um an unserenBotschafter, Baron Calice, nach Konstantinopel zu telegrafieren.Ich sagte, ich müsse ihn benachrichtigen, mich morgen beimEssen nicht zu erwarten, da ich unverschuldeterweise wegen einerZollangelegenheit in Mustafa Pascha schlafen müsse. DieserEntschluß brachte die Leute zur Verzweiflung. “Bemühen Siesich nicht, ein Telegramm zu schreiben. Wozu denn dieseMühe?” sagten mir die Beamten. Ich dankte für ihreLiebenswürdigkeit, mich dieser Mühe entheben zu wollen, meintedann aber ironisch, das Niederschreiben einiger Worte auf einBlatt Papier bereite mir keine besondere Mühe, da ich ja häufigschreibe. “Fahren Sie nach Konstantinopel. Wir werden allesordnen.” “Mein Entschluß steht fest in Mustafa Pascha beimeinem Gewehre zu verbleiben.” “Wir haben kein Bett, daß wirIhnen anbieten könnten.” “Seien Sie unbesorgt. Ich schlafe aufdem Boden.” Gegenseitiges Anblicken, dann Pause. Ichschmunzele, die Beamten machen verlegene Gesichter. DerKondukteur kommt wieder, der Zug muß abfahren. Die Krise wargekommen. Plötzlich entdeckte ein Zollbeamter ein Kompromißin dieser Sache. Man proponierte mir, das Gewehr offiziell indem Gepäckwagen zu verstauen und mit meinem Zuge unterZollverschluß nach Konstantinopel zu senden. Dort sollte esuntersucht werden. Würde man es dort als Jagdgewehr erkennen,

Page 86: Nopcsa Reisen Balkan

Studienzeit und erste Reisen (1897-1905)

72

so würde ich es gleich erhalten. Sonst würde es verfallen. Icherkannte, daß dieser Vorschlag das beste war, was ich erlangenkonnte, und nahm ihn an. Feierlich überzeugte ich mich, daß dasGewehr tatsächlich in dem Gepäckwagen deponiert wurde, unddann fuhren das Gewehr und ich, allerdings getrennt abergleichzeitig, nach Konstantinopel.

In Konstantinopel stürzte ich, ungewaschen wie ich war,auf die Botschaft, und erzählte Louis Draškoviƒ, was geschehensei. Dann gingen wir beide aufs Botschaftsdragomanat zumvierten Dragoman Leschanovsky. Diesem berichteten wir überden Vorfall. Da vierzehn Tage vor diesem Ereignis unseremBotschaftattaché, Grafen Deym, sogar harmlosere Waffen,nämlich Schrotgewehre in Mustafa Pascha konfisziert wordenwaren und angeblich infolge von Diebstahl in Verlust gerieten,schien Leschanovsky auch mein Mannlicher unrettbar verloren.Da er sich aber in Konstantinopel befand, wollte er seine Rettungimmerhin versuchen. Man verfaßte am Dragomanat einungeheueres Schriftstück und versah es unter anderem mit denunglaublichsten Siegeln und Stempeln. Dann rief man einenKhawassen und befahl ihm sofort auf den Bahnhof zu eilen unddas Schriftstück jenem Menschen vorzuzeigen, in dessen Händener das Gewehr, das ich ihm genau beschrieb, erblicken würde.Der Khawass tat, wie ihm befohlen, und nach einer halben Stundekehrte er zu unserem größten Erstaunen triumphierend mit demGewehr wieder. Wie sich herausstellte, war infolge der Rapiditätunserer, hinter Calices Rücken vorgenommenen Aktion noch keineinziger höherer Beamter Konstantinopels vom Eintreffen desGewehres avisiert gewesen. Und die niederen, denen das Gewehram Bahnhof in die Hände fiel, gerieten bei dem Anblicke desmächtigen Schriftstückes der k.u.k. Botschaft dermaßen außerFassung, daß sie widerstandslos in die Knien sanken. DasSchriftstück verlangte ja in klarer energischer Weise, daß daseinem gewissen Baron Nopcsa unrechtmäßig abgenommene

Page 87: Nopcsa Reisen Balkan

Studienzeit und erste Reisen (1897-1905)

73

Jagdgewehr sofort ausgeliefert werde. Leschanovskyseigenmächtige Aktion hatte auf diese Weise durchschlagendenErfolg, und so wurde denn einst trotz der Berliner Kongreßakteein Mannlicher Karabiner gewaltsam nach Konstantinopelgeschmuggelt.

Diese Zollepisode hat ihre Parallele im besten Fall injener wahren Begebenheit, wo ein Fremder und ein türkischerZollbeamter eine Handtasche ergreifen, dann eine Zeit lang beidedaran herumziehen, bis der türkische Zollbeamte den Fremdenaufmerksam macht, daß er stärker sei, da ihm noch weitereZollbeamte beim Ziehen helfen würden. Der Fremde läßt sichnicht beirren und macht nur die Bemerkung, daß er von seinerNiederlage bei so einer Kraftprobe keineswegs überzeugt sei.Dies löst die Situation zu seinen Gunsten. Aus beiden Fällenersieht man, wie die Türken behandelt werden müssen, undobzwar ich das zweite hier erzählte Zollereignis damals nichtkannte, genügen mir die Erfahrungen des ersten, um meinVerhalten den türkischen Behörden gegenüber auch künftig zuregeln. Ich betone, daß ich den gebräuchlichen Trinkgeldweg niebetreten habe. Er ist weniger animierend.

Den ganzen Monat November verblieb ich bei LouisDraškoviƒ in Konstantinopel. Draškoviƒ war seit 1899 mit BiancaBerks verlobt, und Biancas Bruder Lot war bei ihm inKonstantinopel. Ich wohnte auch bei Louis. Da ich kein türkischkonnte, sah ich in Konstantinopel außer Bauten nichtsInteressantes. Doch lernte ich die lebenslustige junge schöneMarquise Briedieux kennen.

Für das damalige Konstantinopel waren nicht nur diegroßen gelben, herrenlosen Straßenhunde charakteristisch,sondern auch, daß im Bazare ein Läufer mit einer Kindertrompetevor der Pferdebahn einher zu laufen und die Leute durchTrompetentöne auf die nahende ‘gemeingefährliche’ Maschineaufmerksam zu machen hatte.

Page 88: Nopcsa Reisen Balkan

Studienzeit und erste Reisen (1897-1905)

14 islamische Mausoleen.

74

Eine ähnliche Verquickung von westlicher Kultur undkindischer Barbarei sah ich erst im Jahre 1921 in Sofia, als dasStambuliski-Regime, um die Geschwindigkeit der in der Stadtverkehrenden Automobile zu regeln, am Platze vor demKöniglichen Schlosse ein großes, mit weit hervorstehendenNägeln gespicktes Brett neben einem Laternenpfahl aufstellenließ und dem diensthabenden Polizisten den Befehl erteilte, dasBrett mit aufwärts gerichteten Nägeln vor jedes zu schnellfahrende Automobil zu werfen.

Es gab keinen Fremden in Konstantinopel, dem nicht dervor der Pferdebahn einher laufende Trompeter gezeigt wurde undkeiner konnte Sofia verlassen, dem seine Freunde nicht die‘geniale Automobilfalle’ der Bauernregierung gezeigt hätten.

In Folge seiner Lage ist Konstantinopel natürlich vielschöner als Nizza, doch kommt dies nur aus der Ferne zurGeltung. Im Inneren war Konstantinopel mit seinen zahllosen,durch europäische Ausschußware noch nicht verunstaltetenNationaltrachten, seinen Moscheen, Palästen, Türbes14 undgefaßten Quellen vielerorts malerisch aber nirgends wirklichschön. Seit 1902 habe ich es nicht gesehen und will es auch nichtsehen, um mir nicht eine schöne Erinnerung zu verderben.

Während ich bei Draškoviƒ war, kam der mir von früherbekannte Konsul Para nach Konstantinopel, und da ich ohnehinnach Skopje wollte, lud er mich ein, ihn auf der Rückreise zubegleiten. Ich nahm Paras Einladung gerne an, besuchte auf dieseWeise zum zweiten Male Athen, dann kamen wir nach Saloniki,wo Generalkonsul Hickl unser Vertreter war und wo Para mich inden deutschen Club einführte. Die ganze Fahrt verlief ohneirgendein nennenswertes Ereignis. In und um Skopje betrieb ichgeologische und geographische Studien. Von Skopje ritt ich nach

Page 89: Nopcsa Reisen Balkan

Studienzeit und erste Reisen (1897-1905)

75

Prizren und zwar diesmal über den Paß Jezerce. Von dort sah ichin herrlicher Beleuchtung die nordalbanischen Alpen beiGjakova. Damals entschied ich mich, ohne mir über die Schwereder Arbeit klar zu sein, für ihre Erforschung.

In Skopje gewann ich manchen Einblick in die Art undWeise, wie man am Balkan Politik macht. Es genügt eineEpisode. Eine Anzahl Serben kam auf den Gedanken, in Wieneine antiserbische aber auch stark antitürkische Flugschrift zuverfassen, und ließ dann diese Flugschrift in Skopje auf eineWeise kolportieren, daß sie gleich von den türkischen Behördenkonfisziert wurde. Als man im Yildiz von dieser Broschüreerfuhr, geriet man im Hinweise auf den Druckort daselbst, wie ichdort einem offiziellen, diesen Vorfall behandelnden k.u.k.Aktenstück entnehmen konnte, in große Aufregung, denn, daCalice dem Yildiz gegenüber stets seine Türkenfreundlichkeitbetonte, meinte man daselbst, daß die Monarchie ein Doppelspieltreibe. Natürlich waren die Serben dann die Lacher.

Als ich in Skopje war, wurde noch immer reformiert.Nichts charakterisiert die Situation besser, als daß damals trotzder Reformaktion ein Albaner dem Vali Schakir Pascha denVorschlag machte, auf sein Geheiß hin zehn Leute zu ermorden.Als Entgelt hiefür verlangte er jedoch eine zehnschussigeMauserpistole.

Von Skopje begab ich mich, wie oben gesagt, nachPrizren. Dort erhielt ich drei Zaptiehs, um nach Shkodra zu reiten.Die erste Nacht schlief ich im Han von Brut und, als ich dort amfolgenden Tag bei Morgengrauen weg ritt, wurde ich bei einerWegkrümmung aus dem zur rechten Seite des Wegs befindlichenEichengestrüpp aus unmittelbarer Nähe angeschossen. Die Kugeldurchlöcherte meinen Hut und streifte meinen Kopf, ohne michjedoch zu verwunden. Ich sprang vom Pferde, suchte Deckungund wollte den Schuß quittieren, konnte den Übeltäter aber nichterblicken. Übrigens hatte ich in diesem Augenblick das höchst

Page 90: Nopcsa Reisen Balkan

Studienzeit und erste Reisen (1897-1905)

76

unchristliche Gefühl eines Jägers, der auf ein gutes Stück lauert.Ich hatte also meinen mit Fernrohr versehenen MannlicherKarabiner vergebens geladen am Sattel gehabt. Der Ritt von Urae Vezirit (Vesirbrücke) nach Shkodra verlief anstandslos. Meinerster Besuch in Shkodra galt unserem Konsul, BaronBornemisza Gyula.

Da ich mein Gewehr bei mir hatte, arrangierte unserKonsul, nachdem ich mit ihm beim Vali einen offiziellen Besuchgemacht hatte, in Shkodra für mich am Shkodrasee eine Jagd aufWasservögel. Wir ruderten in das Überschwemmungsgebiet desSees, und da mir das Jagdglück hold war, erlegte ich einenPelikan, einen Silberreiher und zwei kleine Kormorane, alles aufDistanzen zwischen 100 und 200 Schritt mit der Kugel. Durchdiese Leistung wurde in Albanien mein Ruf als Scharfschützebegründet, und dieser brachte mir unter den Bergbewohnerndieses Landes später noch viel Ehre und Nutzen.

Nach einigen Stunden hatten wir genug geschossen und,als wir wieder beim Zollamt von Shkodra landeten, sahen wireine Ehrenkompagnie mit Musik ausgerückt. Auf unsere Anfrageerklärte man uns, daß man feierlich die Ankunft Seiner Exzellenzdes K. Ottomanischen Gesandten aus Cetinje erwarte, der nachShkodra komme, um die Beiram-Feiertage zu verbringen. Wirbeschlossen, uns den Empfang anzusehen und kamen auch aufunsere Rechnung. Bei allen Vorbereitungen hatten die Festordnerbloß die eine Nebensache vergessen, daß die Hälfte der Straße,die der Held des Tages, Achmed Fevzi Pascha, zu passieren hatte,wegen der derzeitigen Überschwemmung unter Wasser gesetztwar. Des Übels wurde man erst im letzten Augenblicke gewahr,und so war nichts anderes übrig geblieben, als einen Holzstammherbeizuschleppen, über den dann der Gesandte vor dem zumEmpfange ausgerücktem Militär bei den Klängen der Sultans-Hymne und vor meinem photographischen Apparates balancierenmußte. Glücklicherweise gelang ihm das Unternehmen. Die

Page 91: Nopcsa Reisen Balkan

Studienzeit und erste Reisen (1897-1905)

77

Szene war grandios aber echt türkisch. Ein kleines aber, das indie feierlichsten Augenblicke eine unfreiwillige Komik bringt,oder die wichtigsten Angelegenheiten empfindlich stört, warüberhaupt für die Türkei stets charakteristisch. Die Soldatenhatten Uniformen, aber einige Knöpfe fehlten. Die Kavalleristenhatten Sporen, aber häufig nur den einen. Zwischen Shkodra undPuka gab es eine Telegrafenleitung, aber die Isolatoren warengebrochen und so ruhte dann der Draht auf den sonst dieIsolatoren tragenden eisernen Haken, oder der Draht war intakt,aber es waren die Telegraphenstangen gebrochen und durchHolzgabel ersetzt. In der Nähe von Gevgeli gab es über denVardar eine moderne, breite, aus Belgien stammende, eiserneBrücke, aber keinen Fahrweg, der zur Brücke führte. Es gabKriegsschiffe, aber sie hatten keine Geschütze oder Maschinenusw. Dieses böse kleine Wort aber war es, das in der Türkei beiallem guten Willen einzelner Leute jeden Fortschritt unmöglichmachte, jede Berechnung über den Haufen warf und denUntergang des Reiches zur Folge hatte. Es gab gute Gesetze, abersie wurden nur dazu benützt, um die Bevölkerung rücksichtsloszu bedrücken. Es gab Soldaten, aber keine Waffen. Auch zur Zeitder Jungtürken gab es noch auf der Hedschasbahn Lokomotiven,aber keine Werkstätten, um sie zu reparieren.

Als wir von unserem Jagdausflug und demSpektakelstück eines feierlichen Empfangs nach Hausezurückgekehrt waren, erfuhren Bornemisza und ich, der Vali seivon anderer Seite davon in Kenntnis gesetzt worden, daß ichangeschossen worden war, und habe während unserer Jagd seindiesbezügliches Bedauern beim Konsulate ausgedrückt. Wirließen sofort beim Vali einen feierlichen Besuch ansagen undgingen dann zu dem armen Teufel, den das Ankündigen unseresBesuches, weil er meinte, daß uns seine Entschuldigung nichtgenüge, in lebhafte Unruhe versetzt hatte. Ganz gegen seinErwarten bedankte ich mich nur wegen seiner Liebenswürdigkeit

Page 92: Nopcsa Reisen Balkan

Studienzeit und erste Reisen (1897-1905)

78

und bat die Sache nicht weiter zu verfolgen. Es geschah dies auchzum Teile, aber dennoch ist in gut türkischer Weise der rechtunbeteiligte Handschi von Brut für einige Wochen eingesperrtworden, während der Schuldige, dessen Name ich übrigens auchspäter nicht erfahren konnte, weiter frei herumlief. Nach Jahrensah ich mich genötigt, dem armen Handschi ein kleinesGeldgeschenk zukommen zu lassen.

Ende 1901 kam ich aus Albanien über Cetinje nachWien. Ich erzählte viel über meine Reise, und mein Versuch,mein albanisches Abenteuer vor meinen Eltern zu verheimlichen,mißlang völlig, denn die Nachricht “Attentat auf einenungarischen Reisenden” kam am 31. Dezember in die Neue FreiePresse, Frankfurt am Main. Wie die Frankfurter Zeitung ausShkodra berichtete, “ist auf den Baron Franz Nopcsa, der voneiner berittenen Regierungeskorte begleitet, aus Prizrenkommend, von einem Zaptieh aus Luma geschossen worden. EineKugel hat seinen Hut durchbohrt, doch blieb er selbst unverletzt.Der Zaptieh gehört zu denjenigen Gendarmen, die wegenEinführung der Reformen entlassen worden waren, um einemChristen Platz zu machen. Baron Franz Nopcsa ist Kadett derReserve im Husaren-Regiment Nr. 2.”

Um den türkischen Behörden zu schmeicheln, verfaßteich auf diese Nachricht hin ein jesuitisches, dem Wortlaute nachwahres, dem allgemeinen Eindruck nach freilich unwahresDementi. Die Neue Freie Presse publizierte es unter dem Titel“Ein angebliches Attentat.” “Wir haben,” hieß es in diesemArtikel, “im heutigen Morgenblatt eine Meldung der FrankfurterZeitung aus Shkodra reproduziert, daß auf Dr. Franz BaronNopcsa bei einem Ritt von Prizren nach Shkodra von einementlassenen Zaptieh geschossen worden sei. Mit Bezug daraufersucht uns Baron Nopcsa um Veröffentlichung folgenderZuschrift: Der in Ihrem heutigen Morgenblatt nach einem Berichtder Frankfurter Zeitung gemeldete Zwischenfall, der mich auf

Page 93: Nopcsa Reisen Balkan

Studienzeit und erste Reisen (1897-1905)

79

einem Ritt zwischen Prizren und Shkodra betraf, war bei weitemnicht so wichtig, wie es dem Telegramm des Frankfurter Zeitungnach den Eindruck macht, so daß ich offiziell hievon nicht einmaldie k.u.k. österreichisch-ungarischen Konsularämter verständigthatte. Was im Inneren Albaniens geschieht, schwillt, bis es zueines Reporters Ohren gelangt, leicht zu ungeheurer Größe an.Achtungsvoll, Dr. Franz Baron Nopcsa, jun.”

Nach dieser Reise wollte ich wieder Paläontologiebetreiben. Da es aber in Wien unmöglich war,Dinosaurierextremitäten zu bearbeiten, nahm ich mein ganzes,seit 1899 gefundenes Dinosaurier-Material im Frühjahr 1904nach Paris und arbeitete im Jardin des Plantes, wo ich denberühmten Paläontologen Professor Albert Gaudry kennenlernte.Kleine Ausflüge führten mich nach Brüssel zu Professor LouisDollo und nach Boulogne zu Professor Lennier. Ein für eineWoche geplanter Ausflug nach London bewegte mich endlich,mein Hauptquartier dorthin zu verlegen. Ich blieb bis Ende Aprilin London und ließ mir meine in Paris gebliebenen Sachen ausmeiner Wohnung in der Rue Caumartin nachsenden. Mein Debutin London begann damit, daß ich mich über das Original vonHypsilophodon hermachte und bald konstatierte, daß Hulke inden Philosophical Transactions of the Royal Society Knochenvon Hypsilophodon als Stirn- und Nasenbein beschrieben hatte,die Teile eines Unterkiefers waren. Die eben aus dem Gesteineherausschauenden Kauflächen der Zähne hatte er alsSklerotikalplatten des Auges gedeutet. Diese Richtigstellungen,die den englischen Paläontologen entgangen waren, bildetennebst Anderen den ersten Teil meiner ‘Notes on BritishDinosaurs’ im Geological Magazine. Nach Hypsilophodon kamenPolacanthus und Streptopondylus an die Reihe, die ich beiderekonstruierte. Bei letzterem beging ich aber in der Eile, wieHuene später nachwies, einige arge Fehler. Einige Jahre später

Page 94: Nopcsa Reisen Balkan

Studienzeit und erste Reisen (1897-1905)

80

erschienen in derselben Artikelserie meine Arbeiten überStegosaurus, Priscus und Craterosaurus.

In England gab es herrliche Arbeitsmöglichkeiten undsehr freundliche Menschen (A.S. Woodward, Andrews,Lydekker, Sherborn u.s.w). Ich verkehrte im Hause Woodwardganz ungeniert, wie zu Hause, ferner auch bei Lydekkers. DieLeute trachteten mir auch mein Privatleben in London angenehmzu machen. In Paris konnte ich nichts derartiges bemerken. Ichhabe die Engländer als Gesellschafter und England alsAufenthaltsort gern, die Deutschen sind aber größere Gelehrteund gründlicher in ihrem Fache. Den Mai und Juni verbrachte ichin Wien bei meinen Eltern. Der Aufenthalt war nur durch einenJagdausflug nach Schallaburg zu Baron Tinti unterbrochen. VomAnfang Juli bis 15. August war ich in Also- und Felsö- Porumbakund dem anliegenden Gebirge bei Grafen Leonce Oldofredi.

Der Zweck meines Besuches bei Oldofredi war, in demFogarascher Gebirge einen Bären zu schießen, und zwar wollteich dies dann erreichen, wenn der Bär in eine Schafherdeeinbrach. Allgemein erzählte man mir, daß ein Bär bei solchenGelegenheiten nicht wie gewöhnlich feig sei, sondern aggressivwerde. Auch dachte ich, daß das Herantreten an den Bären imDunkel der Nacht, während die Hunde um ihn bellten, die Hirtenschrieen, die erschreckten Schafe auseinanderstoben und er selbstmit den Tatzen schlagend brüllte und seine Beute zu verteidigenbereit war, besonders schön und Kaltblütigkeit herausforderndsein müßte. Da ein Bär besonders häufig die bei der AlmhütteBuna, bei der Almhütte Intreisvor und bei der AlmhütteRacovician befindlichen Herden besuchte, verbrachte ichvierzehn Tage bei diesen drei Sennhütten, kam aber mit demBären, der jedesmal bei der Herde Schaden anstiftete, wo ichnicht war, kein einziges Mal zusammen, bis endlich alle Hirtenlachten und mein Eintreffen bei einer Almhütte als unfehlbaresZeichen dafür ansahen, daß ihnen nun so lange ich dort bleiben

Page 95: Nopcsa Reisen Balkan

Studienzeit und erste Reisen (1897-1905)

81

würde, die Nachtruhe durch den Bären nicht gestört würde, wasauch richtig stets der Fall war.

Großes Entsetzen und Ärgernis erregte es unter derbürgerlichen und militärischen Hautevolee von Nagy Szeben(Hermannstadt, Sibiu), als Oldofredi und ich einst einen Hirten inseiner rumänischen Nationaltracht mit uns in das ‘elegante’Restaurant Zum Römischen Kaiser nahmen und uns zumNachtmahl öffentlich mit ihm an einen Tisch setzten. Unsererseitswar dies eine Art Demonstration gegen die Nagy SzebenerSachsen, die uns antipathisch waren, mit denen wir daher nichtverkehrten und die uns nun aristokratische Hochnäsigkeitvorwerfen wollten. Gemsen sah ich während meines kurzenAufenthaltes im wesentlichen Teile der Fogarascher Alpen keine,und wenn der jagdliche Teil des Ausfluges in jeder Hinsicht fehlschlug, so war der Ausflug als solcher, da ich mit demunglücklichen und bedauernswerten Leonce Oldofredi einigefröhliche Tage verlebte, doch ganz angenehm und heiter.

Landschaftlich bleiben die Fogarascher Alpen, da mandie relativ nahe Fogarascher Ebene stets vor sich hat, weit hinterdem Retezat-Gebirge zurück. Von Fogarasch fuhr ich nachHause, und dann zum internationalen Zoologen-Kongreß nachBern. Hier lernte ich Professor Osborn aus New York undMerriam aus San Fransisco kennen. Huene war auch dort. MitHuene und seiner Gattin wurde ein Ausflug ins Berner Oberlandunternommen.

Die Schweiz mißfällt mir, weil alles aufFremdenausbeutung eingerichtet ist. Die Gegend ist ja rechtschön, allerdings alles etwas zu massig und groß modelliert, ummir zu gefallen. Mir sind die detailreicheren Karpaten lieber. Undnun erst die in der Schweiz befindlichen Menschen! DieSchutzhütte, in der wir übernachteten, war voll gepropft mitFremden, und dazu kommt man nun doch gewiß nicht in dieSchweiz, um mit in Bezug auf Ansichten, Bildung und Charakter

Page 96: Nopcsa Reisen Balkan

Studienzeit und erste Reisen (1897-1905)

82

gleichmäßig unbekannten und ganz uninteressanten Fremden wiedie Heringe zusammen gepfercht zu schlafen. Und wenn mandavor flüchtet und bloß in den erstklassigen Schweizer Hotels zuleben vorzieht, so hat man wieder von der Schweiz wenig. Da istmir Albanien mit seinen Gefahren und Abenteuern, mit seinerherrlichen Farben und fast unmöglichen Beleuchtungseffekten,dann seinen lustigen und primitiven aber eben deshalbinteressanten Menschen trotz des Mangels an Komfort und gutenWegen tausendmal lieber.

Bald flüchtete ich aus der Schweiz nach Szacsal und vondort fuhr ich im Oktober 1904 wieder zu Louis Draškoviƒ nachKonstantinopel. Nur der Vollständigkeit halber erwähne ich, daßwährend dieses meines zweiten Aufenthaltes in Konstantinopel,einige von uns, nämlich Louis Draškoviƒ, Graf Stani Deym undich einen Ausflug zum sogenannten polnischen Çiftlik bei Rivaan der Küste des Schwarzen Meers machten, um dort zu jagen.Deym nahm ein Zelt mit. Nach Riva gelangten wir in einemgroßen Ruderboot bei prächtiger See und vor dort ruderten wir imÄstuarium eines Flusses ziemlich weit landeinwärts. Ich genoßdas stille Wasser und die Schilf- und Urwaldlandschaft zu beidenSeiten des Flusses.

Manchmal trat ein Büffel aus dem Schilf und verschwandim Wasser oder schob seinen Kopf langsam nach uns glotzendaus demselben. Als eine schon etwas dem Wasserleben angepaßteRinderrasse ist der Büffel zoologisch interessant, denn währendein Rind in der Ruhelage die stets stoßbereite Stirne fast vertikalträgt, so daß die Nasenregion steiler als mit 45 Grad gegen denhorizontalen Boden gerichtet ist, trägt der Büffel auch amFestlande die Stirne fast horizontal und hebt die Nüsternbedeutend gegen vorne. Die Ursache zu dieser Lageveränderungdes Kopfes ist offenbar in der Ruhelage des Kopfes des imWasser liegenden Tieres zu suchen.

Page 97: Nopcsa Reisen Balkan

Studienzeit und erste Reisen (1897-1905)

83

Endlich wurde der Fluß, in dem wir aufwärts fuhren, soseicht, daß unser Boot im Schlamme endgültig stecken blieb. Wirgingen dort ans Land. Unser Faktotum beschaffte für dennächsten Tag Treiber, und wir schlugen das Zelt auf. Draškoviƒ,der auch zigeunerisch reden konnte, besuchte ein Zigeunerlager,und der Abend verging ganz gut. Doch schliefen wir wenig, dennLouis war an das Schlafen in einem Zelt nicht gewöhnt, und aufmich wirkte das viele Gepäck, das wir mit hatten, störend.

Den nächsten Tag verbrachten wir in den Wäldern, diehier auf vulkanischem Tuffgestein prächtig wachsen. Es wurdenmehrere Treibjagden auf Rehe veranstaltet. So einkleinasiatischer Wald ist etwas ganz anders als ein Wald bei uns.Unseren Wäldern fehlt der Christdorn am Waldesrande, den dieSchlehendornen kaum ersetzen. Dann fehlen die immergrünenSträucher, namentlich die Lianen. Von Baum zu Baum ziehensich deren dünne, geschmeidige, zähe Sehnen, und in elastischenSpiralen hängen ihre stachelbewährten dünnen Enden von denZweigen, so daß man im Grün des Blattwerkes ihre Gegenwarterst dann wahrnimmt, wenn sie einem den Hut vom Kopfe zerren.Die letzten Vertreter dieser Schlinggewächse konnte ich in denHecken der Shkodra-Ebene finden. Während es hier nur einzelnePflanzen waren, auf die man erst dann aufmerksam wurde, wennman sie suchte, fand man sie in Kleinasien auf jedem Baume.

Die Jagd verlief vollkommen resultatlos. Am nächstenTag gab es bei der Rückfahrt am Schwarzen Meer einen solchenSturm, daß wir in Lebensgefahr schwebten und öfter denHorizont wegen der Wogen von unserer Barke aus überhauptnicht sahen. Der Nordwind drohte uns an die steinig felsigekleinasiatische Küste zu treiben und deshalb mußten unsereRuderer weit in das Meer hinaus rudern. Glücklicherweise warenes ihrer sechs, und so ging ihnen denn die Kraft nicht aus, uns indie Dardanellen in Sicherheit zu bringen, wo uns dann dieStrömung bald nach Yeniköy brachte.

Page 98: Nopcsa Reisen Balkan

Studienzeit und erste Reisen (1897-1905)

84

In Konstantinopel verkehrte ich viel mit dem mir bereitsbekannten Russen, Mandelstamm, einem gescheiten Juden undhervorragenden Kenner des internationalen Rechtes, der sichdarüber wunderte, daß ich, ‘Stirner der Einzige und seinEigentum’ las. Ferner lernte ich den affektierten Pierre Lotikennen. Außerdem besuchte ich oft Baronin Anna Kuhn,geborene Gräfin Raday, dann Baron Calice, denösterreichisch-ungarischen Botschafter, ferner seinen Sohn undendlich Generalkonsul Zepharovich, einen ehemaligenTheresianisten, der auf seinen Onkel, den Mineralogen, stolz war.

Knapp vor Abreise nach Skopje wurde ich inKonstantinopel krank, fuhr dann per Bahn krank nach Skopje.Dort wohnte ich bei Bohumil Para im Konsulate und unternahmAusflüge nach Prizren, woselbst ich mich sowohl praktisch imAlbanischen üben, als auch Geologie der Umgebung dieser Stadtstudieren wollte. Ferner fuhr ich nach Tetovo und Mitrovica. DieReise nach Prizren unternahm ich zusammen mit dem damals inSkopje anwesenden Ethnographen und Albanienreisenden, Dr.Paul Traeger, aus Berlin.

Bis Ferizaj, wo wir nachmittags ankamen, verlief dieReise ereignislos. In Ferizaj erhielten wir jedoch ganz besondersmiserable Pferde. Traeger seines war nicht gut. Meines ganzbesonders schlecht. Wir brachten gegen Prizren auf, aber rechtschon nach zwei Kilometern kehrte ich nach Ferizaj zurück, umam folgenden Tag mit einem besseren Pferd nach Prizren zureiten. Traeger war jedoch hierzu nicht zu bewegen. Die Folgewar, daß ich in Ferizaj gut übernachtete, Traeger aber unterwegsvon der Dunkelheit überrascht, in der Nacht erst in das Eis desCrnoljevo Baches einbrach und dann endlich in Crnoljevo ineinem elenden Han zu schlafen genötigt war. Prizren erreichtenwir fast gleichzeitig am nächsten Abend, ein Beweis, daß es beialler Verwegenheit und Unternehmungslust doch nicht gut ist,eine Sache zu forcieren, und daß vielmehr Geduld und zähe

Page 99: Nopcsa Reisen Balkan

Studienzeit und erste Reisen (1897-1905)

15 d.h. Aromune.

85

Ausdauer weiterführen. In Prizren quartierte ich mich, umgenötigt zu sein, albanisch zu reden, in einem ‘Hotel’ ein, dochergab sich bald, daß der Eigentümer nicht, wie ich dachte,Albaner, sondern ein Kutzowalache15 war. Ich verkehrte dahermit ihm nicht auf albanisch sondern auf rumänisch. DasWirtsgewerbe war, wie ich später bemerkte, im NordostenAlbaniens um 1900 hauptsächlich in kutzowalachischen Händen.Auch die Handschis von Crnoljevo und Shtime waren zum TeilKutzowalachen.

Die politischen Verhältnisse waren recht heiter. Vorkurzem hatten die Lumesen alle türkischen Behörden mitAusnahme des Kadis aus ihrem Gebiete vertrieben, und als sichdie Pourparlers des nun unabhängigen Luma mit der türkischenRegierung in die Länge zogen, marschierten sechshundertLumesen gegen Prizren. In Marsche wuchs ihre Zahl auf tausend,und die 2. Bataillon türkischer Truppen, die sich in Prizrenbefand und nach anfänglicher Disposition auf die Rebellen hätteschießen können, erhielt im letzten Augenblick einenGegenbefehl, so daß die Lumesen Prizren besetzen konnten,worauf sich die Stadtvertretung, um Plünderungen vorzubeugen,genötigt sah, den Lumesen pro Tag und Kopf zuerst vier und, alsdies den ‘Eroberern Prizrens’ zu wenig war, acht Pt. zu zahlen.Während die Lumesen Herrn von Prizren waren, begann der Valimit ihnen zu verhandeln, zog aber gleichzeitig Truppen umPrizren zusammen, und so sahen sich dann endlich die Lumesengenötigt, Prizren wieder friedlich zu verlassen und nach Hause zukehren, ohne jedoch ihren Behörden die Rückkehr in ihre leichtverteidigbaren Berge zu gestatten. Auch die türkische Regierungverspürte keine Lust, diese Rückkehr zu forcieren.

Page 100: Nopcsa Reisen Balkan

Studienzeit und erste Reisen (1897-1905)

86

Meine Ausflüge waren recht lehrreich, doch hatte ich, ummir überflüssig viele Zaptiehs vom Hals zu halten, zuerst inPrizren einen kleinen Strauß mit den Lokalbehörden zu fechten.Nachdem ich meinen ersten Ausflug nach Zym nur von einemKhawassen begleitet hinter mir hatte, beharrte derGendarmerie-Kommandant Prizrens darauf, daß ich für denfolgenden Ausflug in die Ebene von Prizren fünf beritteneZaptiehs mitnehmen müsse, und tatsächlich schlossen sich mir,als ich, um diesen Ausflug anzutreten, am nächsten Tag den Hanverließ, trotz meines Protestes fünf Zaptiehs an. Dies bemerkendkehrte ich heim und ging zum Mutasarrif, um mich allerdingserfolglos zu beschweren. So schienen denn die fünf Zaptiehsschon unvermeidlich, als ich auf eine meiner Listen verfiel. Ichließ durchblicken, daß ich mich vor allem nicht auf Ausflüge inder Ebene von Prizren zu beschränken gedenke, sondern auchgegen Luma vordringen wolle. Am folgenden Tag erschien ichdementsprechend beim Mutarrasif, um ihn um eine stärkereEskorte zu bitten, da ich das an Luma grenzende Gebiet Gora undOpolje zu besichtigen gedenke. Der Mutasarrif verständigte denGendarmerie-Kommandanten, und dieser gab mir wieder fünfZaptiehs. Ich nahm sie dankend mit der scheinbar harmlosenBemerkung an, daß ihre Zahl für Gora und Opolje wohl genüge,ich aber in einigen Tagen, wenn ich nach Luma gehen werde,noch mehr Zaptiehs brauchen würde, da es ja rationell sei, daßsich die Stärke der Bedeckung nach der Größe der Gefahr richte.Diese Bemerkung wirkte, denn es verstanden sowohl derMutasarrif wie auch der Gendarmerie-Kommandant, daß meineAusflüge gegen Luma nur als Demonstration gegen die lächerlichgroße Gendarmerie-Eskorte anläßlich des ganz ungefährlichenAusfluges in die Ebene von Prizren aufzufassen sei. Da ich aberkeine weitere, diesbezügliche Bemerkung machte, unterließen siees gleichfalls. Ich erledigte den Ausflug nach Opolje und einigeTage später verlangte ich erneut um eine Eskorte in die Ebene

Page 101: Nopcsa Reisen Balkan

Studienzeit und erste Reisen (1897-1905)

87

von Prizren. Meine Demonstration hatte gewirkt. Statt der fünfZaptiehs erschienen mit einem Male nur drei an ihrer Stelle. Auchdieser Ausflug verlief glatt, und nun ließ ich den Plan in dieLuma zu dringen, wozu wenigstens 50-60 Zaptiehs nötig gewesenwären, fallen.

Dergleichen kleine Späße, wie den eben geschilderten,pflegte man in der Türkei schetanlyk (Teufelei) zu nennen. IhreAnstifter waren, wie Vize-Konsul Lejhanec konstatierte, wahreSchetans (Teufel), die nur dazu auf die Welt kamen, um biedere,rechtsgläubige, mohammedanische Beamten das Leben zuverärgern.

Von Prizren kehrte ich nach Skopje zurück und von dortunternahm ich einen Ausflug nach Tetovo (Kalkandele), dergleichfalls mehrere Tage dauerte, aber insoferne höchstensinteressant war, als ich in Kalkandele im bunt bemalten, großen,reinen Kloster der Bektaschi-Derwische übernachtete. Da mir dasgute Verhältnis, das zwischen unserem Konsularvertreter undAdhem Baba, dem Scheich der Bektaschi in Prizren, bestand,bereits dort aufgefallen war, und ich in Tetovo erneut das guteVerhältnis beobachten konnte, das zwischen Para, unseremSkopjer Konsul, und den dortigen Bektaschis bestand, soerkannte ich, daß zwischen diesen beiden Körperschaften etwasbesonderes vorging, was mir freilich vor der Hand ein Rätselblieb. Als ich aber im Februar 1906 in Erfahrung brachte, daß dieBektaschi in Tirana eine geheime albanische Schule erhielten, daerkannte ich, daß sich die österreichisch-ungarische Regierungdieser Leute zum Entwickeln des albanischen Nationalgefühlsunter den mohammedanischen Albanern bediente. Da einigeBektaschis eine große, in Facetten geschliffene Glaskugel anihrem Gürtel tragen, vermute ich, daß sie dieselbe beihypnotischen Vorgängen gebrauchen, wie solche, die durch ihre,wie es scheint, mystische Güte und Duldung predigende Religionvorgeschrieben sein sollen. Aus merkwürdig gebogenem

Page 102: Nopcsa Reisen Balkan

Studienzeit und erste Reisen (1897-1905)

16 Isa Boletini (1864-1916), albanischer Patriot undFreiheitskämpfer.

17 Jovan Cvijiƒ (1865-1927).

88

Silberdraht hergestellte Ohrgehänge scheinen in dem Orden auchgewisse Bedeutung zu haben.

Über den Ausflug nach Mitrovica ist zu berichten, daßkurze Zeit vorher der später allbekannte Russenfeind, IsaBoletini16, das Gepäck des neu angekommenen russischenKonsuls durch seine Leute kurzerhand mit der Bemerkung auf dieBahn hatte transportieren und nach Skopje schicken lassen, daßer, Isa Boletini, in Mitrovica keinen russischen Konsul dulde,worauf eine geraume Zeit verstrich, bis ein neuer russischerKonsul in Mitrovica eintraf.

Von Skopje fuhr ich gegen Ende Dezember nachBelgrad, woselbst ich eine wenig einladende Universität antraf,den Botaniker, Dr. L. Adamoviƒ, kennenlernte, die Sammlungenbesuchte und einige Tage bei Professor Cvijiƒ17 verbrachte. MitProfessor Cvijiƒ hatte ich später, als ich seine Spekulationen übereine tektonische Scharung der Dinariden und Albaniden zubezweifeln wagte, einen wissenschaflichen Konflikt, den er auchauf das persönliche übertrug, da er als persönliche Beleidigungempfand, daß ich seine Hypothese nicht annahm. Dies führtedazu, daß meine Angriffe gegen Cvijiƒ, die endlich 1915 mitmeinem Siege endeten, nur immer heftiger wurden.

Da meine in Konstantinopel ausgebrochene Krankheit inBelgrad noch nicht geschwunden war, war ich zu Weihnachtenbereits in Szacsal, wo ich bis Ende Jänner verblieb. Von Szacsalfuhr ich dann für einige Tage nach Wien, wo ich meine bisher inAlbanien gemachten geologischen Beobachtungen verarbeiteteund meinen ersten Beitrag zur Geologie Albaniens verfaßte. Er

Page 103: Nopcsa Reisen Balkan

Studienzeit und erste Reisen (1897-1905)

89

schien im Jahrbuch der Geologischen Reichsanstalt in Wien,wurde aber in wissenschaftlich gelehrten Kreisen sehr kühlaufgenommen. Nach Jahren bemerkte man, daß dieser, allerdingsauf mangelhaftes Material basierende Artikel doch besser war, alsman anfangs meinte. Zufällig hatte ich eben durch kühneKombinationen das richtige getroffen.

Nach dem Erfassen meiner Arbeit über Albanienbegleitete ich Ende Jänner meine Mutter und meine SchwesterIlona nach Ägypten. Die Fahrt erfolgte am Bord des DampfersKleopatra des österreichischen Lloyd und war sehr unruhig. Dieerste Zeit verbrachten wir im Shepheard’s Hotel in Giseh undunternahmen Ausflüge auf die Zitadelle, besuchten dieMosesquelle und bestiegen die Pyramiden. Wir lernten auch inKairo Grafen Koziebrozky, einen hochnäsigen, aber destodümmeren österreichisch-ungarischen Diplomaten, kennen. BloßSzentivany Egon verhinderte, daß es zwischen ihm und mir nichtzu einem Duell kam.

Anfang Februar fuhren meine Mutter und meineSchwester nach Oberägypten. Ich stellte eine Karawanezusammen und begab mich mit sechs Kamelen von denPyramiden nach Faiyum und schlug mein Hauptquartier bei Qasr-al-Sagha auf. Qasr-al-Sagha ist ein kleiner, altägyptischer Tempelam Rande des ehemaligen Mörissees gelegen. Zwischen demheutigen Seeufer und diesem Tempel liegen die Ruinen derrömischen Stadt Dune. Der See nimmt also ab.

Bei Qasr-al-Sagha blieb ich mehrere Wochen undsammelte Reste fossiler Landwirbeltiere, die in den eozänen undoligozänen Deltabildungen eines alten Flusses anzutreffen waren.Ferner fand ich in marinen Schichten Reste von Meersäugern undExemplare von Kerunia. Außerdem studierte ich die Faktoren, diebei der Wüstenbildung wirken. Die durch den Flugsandausgeschabten Steine, die ohne Rücksicht auf ihre Härtestellenweise durch das Flugsandgebläse spitzenartig durchlöchert

Page 104: Nopcsa Reisen Balkan

Studienzeit und erste Reisen (1897-1905)

90

werden, und die verhärtete Wüstenrinde, der Wüstenlack, der alleGesteine überzieht, waren ebenso interessant wie die Gipsknollenund die metergroßen Gipsrosetten oder die vertikal emporstreichenden Klüfte, in denen Steinsalz auftrat. An dem Spiele derzarten Rippelmarks im Flugsand konnte man sich ebenso wenigsatt sehen wie an den Fährten, die von über die Sandflächeneinher hüpfenden, vom Winde getriebenen trockenenPflanzenresten hinterlassen wurden. Am Rande der Wüstefesselte der Kampf zwischen dem Flugsand und dem bewässertenKulturboden gleichfalls mein Interesse. Junge, üppigeDattelwälder stachen dann prächtig ab von ockergelbem Sande.

Am Wege von den Pyramiden nach Qasr-al-Sagha sindauch Reste zahlreicher Zeugenberge zu treffen. Tonschichtenzerfielen in solchen Fällen zu kuchenartigen Gebilden. Sandsteinoder kalkreichere Lagen zeigten die tafelbergartige Form.

Interessant war, daß ich in den prähistorischenTonschichten des Mörissees zusammen mit neolithischenSteinwerkzeugen auch subrezente Fukoiden antraf. DieseFukoiden waren aus hellem verfestigten Sande bestehende,stengelartige, frei herumliegende, schwach gewundene odergeknickte, fingerdicke und meterlange Gebilde. Offenbar habenwir in ihren Ausfüllungen Bohrgängen von Würmern undMuscheln zu erkennen.

Wo Feuersteinknollen am Boden lagen, konnte manderen Zerspringen zu oft eolithartigen Stücken konstatieren. Dieserfolgte durch die mit der Sonnenbestrahlung einhergehendeErwärmung, und oft war eine Schlagmarke (cône de percussion)vorhanden. Das sukzessive Abspringen kleiner randlicher Partienließ bei manchen Bruchstücken sogar einen retouchierten Randerscheinen. Zur Lösung der Eolithfrage wäre das Studium solcherStücke dringend zu empfehlen.

Im übrigen hätte ich über Ägypten wenig zu erzählen.Die Farben in der Landschaft sind gelb und lichtpastellblau.

Page 105: Nopcsa Reisen Balkan

Studienzeit und erste Reisen (1897-1905)

91

Zuweilen gibt es dazu noch rote Farben. In Albanien dominierenim Gegensatz hiezu orange und violette Töne. Das LondonerMilieu ist im besten Falle blaugrau. In den Karpaten ist die Luftmeist blau, nur bei Sonnenaufgang rosa. Orange, gar violetteFärbung ist in den Karpaten selten.

Für die Ruinen Altägyptens habe ich nur sehr wenigVerständnis. Nicht einmal die Größe ist imponierend, denn manvergißt, daß man ein Naturprodukt vor sich hat. Eine Kunststraßedes Faiyum, die aus Basaltblöcken gebaut ist, ist sogar erst voreinigen Jahren von einem deutschen Geologen als natürlicherBasaltgang beschrieben worden. Professor Stromer und ich habendem freilich widersprochen.

In Faiyum hatte ich auch das Glück, einen mäßigenSandsturm zu erleben. Die Feinheit des Materials, das dann in derLuft schwebt, kann nur jener begreifen, der so etwas mitangesehen hat. Überhaupt hat der Wüstensand die Fähigkeitüberall hineinzudringen. Auch die Trockenheit der Luft ist etwas,was einem auffällt. In der Frühe angeschnittenes Brot ist mittagsfest erhärtet, die Lippen springen und die Haut wird spröde.

Ende Februar besuchte mich meine Mutter in Faiyum,dann kehrten wir alle zusammen mit der Bahn nach Kairo zurück.Von Kairo fuhr ich, meine Mutter zurücklassend, anfang Märznach Athen und traf dort unseren Gesandten, Baron Burian. Umdie Seereise abzukürzen, fuhr ich nach Saloniki und von dortdann über Wien nach London.

Meine paläontologische Ausbeute aus Ägypten, derenbestes Stück ein Moeritherium-Schädel war, nahm ich mit nachLondon und schenkte sie dort dem Natural History Museum. DieUrsache, daß ich sie nicht dem Földtani Intézet (GeologischeAnstalt) in Budapest schenkte, lag in der Art, wie eine von mir inSiebenbürgen zusammengebrachte Sammlung, die ich dieserAnstalt seinerzeit geschenkt hatte, daselbst bewertet wurde. Manhatte die ‘brauchbaren’ Stücke der Sammlung ausgesucht und

Page 106: Nopcsa Reisen Balkan

Studienzeit und erste Reisen (1897-1905)

92

dann die Regel ‘einen geschenkten Gaul schaut man nicht insMaul’ vergessend, mich gefragt, was mit dem ‘unbrauchbaren’Material, das heißt jenen Gesteinesstücken, die nicht das dortvorgeschrieben Format hatten, zu geschehen habe. Ich antwortete,man solle es auf den Misthaufen werfen. Das Földtani Intézeterhielt aber von mir, solange Johann Böck Direktor war, keineweiteren Geschenke.

Meine Studien in London erlitten eine einwöchigeUnterbrechung, während welcher Zeit ich einen Erholungsausflugzu Fischern nach Sandown auf der Insel Wight unternahm. Dortbegleitete ich die Leute auf ihren nächtlichen Fischzügen und,knietief im Wasser stehend, half beim Einziehen der schwerenNetze gegen die Küste und am Tag beim Rudern, u.s.w. Eineermüdende aber gesunde, schwere Arbeit. Sonst blieb ich bisMitte Juni Dinosaurier studierend in London und verbrachte denJuli zu Hause in Szacsal.

Da ich in guter körperlicher Kondition war, beschloß ichim Sommer 1905 jenen Plan wiederaufzunehmen, den Krankheit1903 und 1904 zu Schaden gemacht hatte, und die GeologieNordalbaniens zu studieren. Den Anblick der nordalbanischenAlpen vom Passe Jezerce zwischen der Ura e Vezirit(Vezirbrücke) und Shkodra hatte ich noch immer nicht vergessen.Auch der beschneite Kegel der unerforschten Gjalica e Lumëswar mir noch in Erinnerung. Und tatsächlich sollte es mir imJahre 1905 endlich doch gelingen, meine seit 1902 gehegtenPläne zu realisieren.

Page 107: Nopcsa Reisen Balkan

93

Teil II

Forschungsreisen in Albanien

(1905-1910)

Page 108: Nopcsa Reisen Balkan

Forschungsreisen in Albanien (1905-1910)

Meine albanische Forschungsreisen begannen imSommer 1905. Anfang August fuhr ich nach Cetinje. Hier traf ichunseren Gesandten, Kuhn von Kuhnenfeld und seine Gattin, geb.Gräfin Anna Raday, wieder. Bei dieser Gelegenheit habe ichmich bei Fürsten Nikita eingeschrieben und nachmittags war ichmit Kuhns zur Prinzessin Jutta von Mecklenburg zum Tenniseingeladen. Es kamen auch der bäuerisch-schlaue Fürst Nikolausvon Montenegro und die Fürstin, denen ich vorgestellt wurde.Jutta war recht nett. Ich habe mit ihr gegen den französischenGesandten, Marquis Sarcey, und Anna Kuhn gespielt. Ich glaube,wir haben verloren.

Abends waren Jutta und der montenegrinische KronprinzDanilo bei Kuhns zum Essen, denn es war gerade Namenstag derGräfin Anna. Mit Danilo plauderte ich lange über die Jagd. Ererzählte mir, wie lustig es sei, Delphine mit der Kugel zuschießen. Ich erzählte über Gemsen u.s.w. Die Zeit vergingbrillant, und endlich kam das Gespräch auf London. Danilo,“Londres, c’est superbe. C’est un état.” Ich, “Eh bien, Altesse,c’est bien plus grand que quelques états européens.” In diesemAugenblicke fällt mir ein, daß ich den Thronfolger desZwergstaates Montenegro vor mir habe, und ohne den Satz auchnur zu unterbrechen, setze ich fort, “Par example la Norvège, quin’a que quatre millions d’habitants.” Die Situation war gerettet.Übrigens beschwerte sich am selben Abend Danilo bei der GräfinKuhn, daß er noch immer kein österreichisches Großkreuz habe,wogegen jeder deutsche feuchtohrige Prinz (Chaque blancbec deprince allemand) so eines besitze, und sagte, “Moi, l’admirateurloyale de Votre Souverain, me voici quatorze ans sansavancement.” Also Knopflochschmerzen in den höchstenSphären.

Page 109: Nopcsa Reisen Balkan

Forschungsreisen in Albanien (1905-1910)

18 August Kral (1859-1918), Generalkonsul in Shkodrazwischen 1905 und 1910.

19 Preng Doçi (1846-1917), Geistesführer und Politiker ausMirdita.

95

In Cetinje lernte ich den türkischen Gesandten, AchmedFevzi Pascha, kennen. Mit Kuhns und Achmed Fevzi nahm ich aneinen Ausflug auf dem Lovƒen teil und, als ich nun von Cetinjenach Shkodra wollte, gab mir Achmed Fevzi, der sich mit mir engbefreundet zu haben schien, einen Empfehlungsbrief an den Valivon Shkodra mit, chiffrierte aber, wie ich später erfuhr,gleichzeitig an denselben Vali, mich bei meinem Eintreffen inAlbanien ja nicht im Lande herum reisen zu lassen. Als ich einigeTage später in Shkodra beim Vali vorsprach, hielt sich letzterernach Übernahme des Empfehlungsschreibens an dasChiffretelegramm, war daher mir gegenüber sehr kühl und verbotmir in Albanien zu reisen. Als ich Konsul Kral18 von diesemunerwarteten Verbot des Vali informierte, bat er mich zu sich undsagte, “Hierauf gibt es nur die Antwort, daß Sie trotz desVerbotes des Vali schon heute abend außerhalb Shkodraübernachten und unverzüglich Ihre Reise antreten.” Gesagt,getan. Ich unternahm einen Ausflug nach Shoshi, wurde aberkrank und konnte nur mit Mühe in zwei Tagen von Shoshi überPrekal nach Shkodra transportiert werden. Dorthin gelangte ichunter Qualen und lag hierauf eine Woche krank in Shkodra beiCsáky Imre im Vizekonsulate. Konsul A. Kral ist sehr gut. Ernützt mich aus, ich nütze ihn aus, und damit ist die Sache inOrdnung. Ich lernte Msrg. Primo Doçi19, den infulierten AbbasNullius der Mirditen, kennen. Letzterer ist ein echterMenschenfischer, aber bloß für seine eigenen privaten Zwecke.

Page 110: Nopcsa Reisen Balkan

Forschungsreisen in Albanien (1905-1910)

96

Meine erste Reise nach Albanien war auf diese Weise,obzwar sie die Ausführung eines Projektes von 1901 gewesenwar, mißglückt, denn wieder hatte mich Krankheit an einerlängeren Reise gehindert. Doch ich ließ nicht nach, fuhr kranknach Szacsal, blieb August bis Oktober zur Erholung in denKarpaten und kam dann im November wieder über Cetinje nachShkodra, um dann endlich erfolgreich bis Dezember in Albanienzu bleiben.

Achmed Fevzi gab mir bei Antritt dieser neuen Reisewieder ein Empfehlungsschreiben, gleichzeitig aber dringendeBriefe an seinen Advokaten in Shkodra. Zum Vali ging ich mitFevzis Empfehlungsschreiben überhaupt nicht und die Briefe ließich erst, nachdem ich im Gebirge war, den Advokaten zustellen,denn ich vermutete, daß der kaiserliche ottomanische Gesandte,um ein Chiffretelegramm zu ersparen, diesmal zu dem Mitteleines Uriasbriefes gegriffen hatte. Fevzis Empfehlungsschreibenblieb auf diese Weise in meinem Besitz, und sollte mirzufälligerweise später noch recht gut nützen.

Über meine zweite größere Reise habe ich manches zuberichten. Als ich im Sommer 1905 nach Albanien gekommenwar, wußte ich naturgemäß noch nicht, wie man in Albanien zureisen habe. Ich hatte daher einen alten, deutschredenden AlbanerSantoja als Dolmetsch in meinen Dienst, außerdem einenPferdetreiber mit zwei Pferden, einem für Santoja und einem fürmich, gemietet, aber schon bei meiner Einkehr in Gjan hatte ichgemerkt, daß man mit den Pferden in Albanien Schwierigkeitenhabe, da es nicht leicht sei, für sie Obdach und Futteraufzutreiben. Außerdem sah ich, daß die Qualität der Wege einFortkommen mit Pferden erschwere, aber ich glaube, ich wäre nieauf die einzige, richtige Art in Albanien zu reisen gekommen,wenn mich nicht zufällig Steinmetz sein Buch NordalbanischeWanderungen auf seine Reisemethode aufmerksam gemachthätte. Ich entnahm dieser Arbeit, daß Steinmetz seine Touren zu

Page 111: Nopcsa Reisen Balkan

Forschungsreisen in Albanien (1905-1910)

20 Bewohner von Shkodra.

97

Fuß und zwar bloß in der Begleitung eingeborener Bergbewohnerzurückzulegen pflegte, und so beschloß ich, als ich im November1905 wieder nach Albanien kam, seinem Beispiel zu folgen.Seine Reisemethode modifizierte ich später insofern, als ich imGegensatze zu Steinmetz außerdem noch auf Prestige undSympathie baute. Prestige erhielt ich durch Ausgeben größererSummen, was mir und meinen Nachfolgern das Reisen zwarbedeutend verteuerte, mir aber sehr nützte, Sympathie durchfreundlichen, liebenswürdigen, lustigen Verkehr mit denGebirglern. Wegen meiner mangelhaften Kenntnis desAlbanischen nahm ich mir anfangs allerdings einen katholischenSkutariner20, Deli Shala, als Dolmetsch mit, dann ritt ich bis nachReç, sandte aber von dort das Pferd nach Shkodra zurück. Dorterbat ich vom Pfarrer von Reç, wo ich übernachtete, einenwegkundigen Begleiter, der mich nach Shkreli bringen sollte unddann ging ich so von Pfarrer zu Pfarrer weiter. Meine Reiseführte zuerst durch das Karstgebiet zwischen dem Cemtal undjenem des Proni i Thatë, dann über Theth und Plan nach Shkreli.Dann kam ich nach Shkodra.

Einen tiefen Eindruck machte auf mich eine Episode imCemtal bei der Brücke von Tamara im Gebiet der Kelmendi. Ichbat bei einem Hause um einen Trunk Wasser, statt mir aberWasser zu geben, trug mir der mir bis dahin unbekannte Hausherreine Schüssel saure Milch an, die ich bis auf den letzten Tropfenaustrank. Kaum war dies geschehen, so kam der mir gleichfallsunbekannte Bruder des Hausherren zufällig nach Hause undwollte sich, da es gegen Abend war und ihm sein Weg ermüdethatte, an der saueren Milch erlaben. Er fand aber naturgemäßbloß die leere Schüssel und, als ihn nun der Hausherr zuverstehen gab, wer die Milch getrunken hätte, war er keineswegs,

Page 112: Nopcsa Reisen Balkan

Forschungsreisen in Albanien (1905-1910)

98

wie man meinen sollte, ungehalten, sondern meinte vielmehr, essei ein Glück, daß er erst nach mir zu seinem Hause gekommensei, denn so sei seine Familie glücklicherweise nicht derNotwendigkeit ausgesetzt gewesen, einen Gast hungrig vondannen ziehen zu lassen.

Leider hatte während meiner ersten Fußtour in Albaniender Balg meines Kodaks ein größeres Loch, und so mißlangenmir denn alle die schönen Photographien, sechzig an der Zahl, dieich während dieser Tour gemacht hatte. Dies verekelte mir dasPhotographieren dermaßen, daß ich meinen Apparat beim zweitenAusflug gar nicht mitnahm, und erst beim dritten, zagendenHerzens, wieder zu photographieren anfing. Der zweite Ausflug,bei dem ich das Gebiet zwischen dem Drin und denNordalbanischen Alpen kennenlernte, verlief in gleicher Weisewie der erste, doch war ich, als ich von Shala nach Nikaj wollte,genötigt, meinem Dolmetscher, da er Angst hatte nach Nikaj zukommen, in Shala zurückzulassen, und als ich nun dann, trotzdemdaß ich kaum albanisch verstand, mit meinen Begleitern, einigenals wildverrufenen Nikaj und Shala auf der 1700 m. hohen Qafae Nermajës eine fröhliche Schneeballschlacht ausfocht, daerkannte ich, daß es sich bei diesen Leuten auch ohne Dolmetschgut und lustig leben ließe.

Der Glanzpunkt der zweiten Tour war derBeleuchtungseffekt, der sich damals einstellte, als ich von derQafa e Nermajës wieder nach Shala hinabstieg, denn imdunkelnden Shalatale blitzten aus dem blauen Talgrunde bloß dieGewehrschüsse, mit denen der Hochzeitszug, bei dem ich michbefand, begrüßt wurde. Die Dolomitberge der Nemanja-Ketteglühten karminrot, und jenseits der Qafa e Boshit sah man denglühenden Sonnenball in dem grell orangefarbenen Meerversinken. Es war ein Bacchanal von Farben. Von Shala besuchteich Dushman und Toplana und fand, daß mir Deli jeden Tagentbehrlicher, ja allmählich geradezu lästig wurde. Auf meiner

Page 113: Nopcsa Reisen Balkan

Forschungsreisen in Albanien (1905-1910)

99

dritten Tournee des Jahres 1905, die mich über das südliche Uferdes Drin orientierte, nahm ich Deli noch mit. Er wurde aberwährend dieses Ausfluges, da ich seine Überflüssigkeit immermehr einsah und er sich als großer Gauner entpuppte, zuWeihnachten, als ich in Mirdita war, endgültig entlassen.

Um bei Brut jene Stelle, wo ich vor einigen Jahren fasterschossen worden wäre, noch einmal zu sehen, unternahm ichvon Orosh und zwar diesmal, weil ich mit Albanern und nicht mitZaptiehs reiste, völlig ungefährdet einen Ausflug an die Ura eVezirit. Im übrigen erforschte ich bis zum Frühjahr 1906 dasGebiet von Puka und Mirdita, so daß ich im großen und ganzeneinen gleichmäßigen Überblick über das katholische BerglandAlbaniens gewonnen hatte.

Während dieser Reise geschah es, daß Qerim Sokoli vonBugjon mich bat sein Probatim (Blutsbruder) zu werden, worinich einwilligte. In Gegenwart von Qerim Sokolis Vetter, DeliNou, als Zeuge, unterbanden wir uns den kleinen Finger derrechten Hand, entzogen ihm mit einem Nadelstich einenBlutstropfen, befeuchteten hiemit zwei Zuckerstücke, die wir unsgegenseitig zum Essen gaben, dann umarmten wir uns zweimalunter dem Rufe për hair. Damit war die Zeremonie mitten imWalde unweit Flet, durch die ich ein Mitglied der Familie QerimSokolis wurde, vollendet. Außer Qerim Sokoli hat noch derBajraktar von Dragobia im Jahre 1914 mit mir unter Einhaltungdesselben Zeremoniells Blutsbruderschaft geschlossen.

Außer der Blutsbruderschaft gibt es in Albanien auch dieEinrichtung des kumbara (Pate). Kumbara wurde ich im Jahre1907 mit Sokol Shytani aus Shala und 1909 mit Nik Preloci ausGruda. Auch die Patenschaft ist in Albanien eine heiligeInstitution, und zwar wird man dann jemandes kumbara, wennman bei zunehmendem Monde an seinem Kinde den erstenHaarschnitt vornimmt. Wenn man kumbara ist, hat man dasRecht, die Mutter des Kindes fortab ndrikulla zu nennen. Das

Page 114: Nopcsa Reisen Balkan

Forschungsreisen in Albanien (1905-1910)

100

Pflicht der ndrikulla ist es, einem als Entgelt für den Haarschnittein Paar neue Strümpfe zu schenken, wogegen man selbst demKinde ein Geldgeschenk macht. Ich gab in beiden Fällen je einenNapoleon, außerdem ließ ich es mir nicht nehmen, für meinPatenkind etwas zu sorgen.

Um einen Überblick über die Sicherheitsverhältnisse inNordalbanien zu bekommen, sammelte ich 1905 und 1906 dieStatistik der in diesem Gebiete begangenen Morde, doch ist mirdie Publikation dieser Statistik von Msgr. Doçi, dem Abte derMirditen, übelgenommen worden.

Im Jänner 1906 wurde ich, da ich ohne Paß reiste, inPuka von den Lokalbehörden dieses Ortes gefangen genommen.Die Situation hätte anfangs unangenehm werden können, dennunweit einer Quelle sah ich mich samt meiner beiden Mirditenplötzlich von ca. dreißig Soldaten mit angeschlagenen,schußbereiten Gewehren halbkreisförmig umzingelt. Ein Führer(Çaush) sprang vor, um uns dreien die Waffen abzunehmen.Blitzschnell brachten zuerst mein Diener Gjok Prenga, dann derandere Mirditer und dann auch ich unsere Gewehre gegen denFührer in Anschlag, und dieser konnte sich nun, ohne sein Lebenzu gefährden, nicht rühren. Wir allerdings auch nicht. Es gabzuerst eine Pause, dann meinte endlich mein alter Recke Gjokgrimmig lächelnd, daß von den dreißig Gewehren eines leicht ausVersehen losgehen könnte. Er sagte dies dem Çaush und fügtedann hinzu, daß in so einem Falle wir zwar tot wären, aber auchder Çaush drei Kugeln im Leiben haben würde. Er schlage dahervor, die Soldaten möchten die Gewehre absetzen, dann würdenwir dasselbe tun. Der Führer akzeptierte diesen Vorschlag, unddamit begann das Parlamentieren, wodurch die Situation schoneinigermaßen verbessert wurde. Der Çaush sagte mir, derKaimakam wolle mich sehen. Ich solle also hin. Nun meinte ich,wenn mich der Kaimakam sehen wolle, solle er herkommen, dennvon uns zweien sei ich der größerer Herr, und Hin und Her seien

Page 115: Nopcsa Reisen Balkan

Forschungsreisen in Albanien (1905-1910)

101

gleich weit. Der Çaush wunderte sich über diese Proposition. Wirparlamentierten über deren Opportunität, dann beschloß ich aber,als der hievon informierte Kaimakam seinen Sekretär zu mirsandte, zum Kaimakam zu kommen und sagte dann, als mich derSekretär hiezu aufforderte, “Sehr gerne. Daß der Kaimakam einhöflicher Mensch ist, erkenne ich daran, daß er den ersten Schrittdurch Ihre Entsendung gemacht hat.” Ich entlud ostentativ meinbisher gegen den Çaush gerichtetes Gewehr und ging mit demSekretär nach Puka. Unsere Waffen wurden uns belassen.

In Puka hätte ich entwaffnet werden sollen, doch schonzuvor übergab ich freiwillig mein Gewehr beim Eintritt in dasRegierungsgebäude einem der dort stehenden Soldaten. Da esSitte ist, auch seinen Spazierstock beim Betreten einesRegierungsgebäudes dem Diener zu übergeben, war der Schein,daß ich entwaffnet worden wäre, dieser Art vermieden. Dieskonnte ich wieder als einen diplomatischen Erfolg notieren.

Ich begrüßte den Kaimakam kurz aber freundlich undfragte, was er wolle. Er meinte zuerst einen türkischenEuphemismus für Gefangenschaft rp. gelinde Haft benützend, ichmüsse bis auf weiteres mangels einer Legitimation ‘Gast derRegierung’ bleiben. Später wollte er mich aber hindern, meinKonsulat telegraphisch von dem ganzen Vorfall zu avisieren, undwollte mich am folgenden Tag gefangen nach Shkodra sendenund zwar deshalb, weil eine solche Glanzleistung, wie dieGefangennahme eines verdächtigen Fremden, ihm bei AbdulHamid seine ganze zukünftige Karriere gesichert hätte, wogegenmein Telegramm ihm dies eventuell hätte verderben können. Mirwar eine solche Lösung der Sache nicht unsympathisch. Es gabverschiedene Intermezzi. Der Kaimakam meinte, meineVisitenkarte könne, da auf ihr keine Personenbeschreibungbehördlich eingetragen sei, nicht als Legitimation gelten. Ich gabihm lächelnd vollkommen recht, dann ging er einen Schritt weiterund fragte, was ich in meinen Taschen habe. Dies meinte indirekt,

Page 116: Nopcsa Reisen Balkan

Forschungsreisen in Albanien (1905-1910)

102

ich solle ihm deren Inhalt zeigen. Ich sagte ihm, das gehe ihnnichts an, weigerte mich also energisch. Aber fünf Minuten späterzog ich aus der Tasche ein großes Messer, aus der anderen einenApfel, und sagte, “siehe auch das habe ich in meinen Taschen”,und begann, den Apfel zu schälen und zu essen. Ironisch fragtemich der Kaimakam, ob ich hungrig sei. Ich antwortete, “freilich,denn es ist schon Mittag,” und da ließ er mir nun Brot undEierspeise bringen, meinen Mirditen aber gar nichts. Ich gab dasBrot den Mirditen und machte mich bereit, die Eier ohne Brot zuessen. Einem Menschen zu essen zu geben, dem anderen abernicht, dies widerspricht nun der albanischen Gastfreundschaft. Esdauerte nicht lange, bis denn auch die Mohammedaner Pukas, diealle in das Regierungsgebäude gekommen waren, um zu sehen,was denn eigentlich los sei, dies dem Kaimakam auch vorwarfen.Infolge dieser Intervention bekamen dann auch meine Mirditenzu essen. Dies war für gefangene Albaner wieder ein niedagewesener Erfolg. Vor dem Essen machte ich, mich freilicheinem Ausbruch mohammedanischen Fanatismus und einermomentanen Ermordung aussetzend, das Kreuz und verrichteteein kurzes Tischgebet. Meine Mirditen folgten meinem Beispiel.Da dies in einem mohammedanischen Regierungsgebäude zuAngesicht des Kaimakams geschah, waren die Mohammedanerzwar aufgebracht, aber es imponierte. So gewann ich langsam anPrestige, und dies ist in persönlichem Verkehr, zumal im Orient,das größte Gut. Man bekommt es durch Pflanz-machen undüberlegene Ruhe.

Der Kaimakam wollte natürlich mehr als alles andere denInhalt meines Notizbuches kennenlernen, das er ganz richtig ineiner meiner Taschen vermutete. Je ruhiger ich mich benahm,desto weniger getraute er sich handgreiflich zu werden. EineUntersuchung meines Gepäckes ließ er zwar noch trotz meinesProtestes durch einen Soldaten vornehmen, weiter wollte er sichaber doch nicht trauen und er sann daher nach, wie er auf

Page 117: Nopcsa Reisen Balkan

Forschungsreisen in Albanien (1905-1910)

103

Umwegen an das Ziel gelangen konnte. Ein Versuch, dieMohammedaner Pukas gegen mich als österreichisch-ungarischenSpion aufzuhetzen, damit sie sich an mir vergreifen und ohne desKaimakams ausdrücklichen Befehl mit Gewalt meine Taschenuntersuchen, schlug fehl, denn ich gab, als der Kaimakam dieMohammedaner aufmerksam machte, daß ich ein Notizbuch mitallerhand kompromittierenden, hochverräterischen Notizen habe,dies ohne weiteres zu, fügte aber hinzu, es sei von mir nicht nuralles, was eine feindliche Armee interessieren könnte, sondernsogar schon der Name des nächsten Kaimakam von Pukaeingetragen worden. Der Kaimakam hielt dies für eine ernsteBedrohung und erschrak sichtlich, worauf ich ostentativ lachte.

Die Mohammedaner merkten, daß ich den Kaimakamzum Besten hielt, und lachten über seine Angst. Die Situation wargerettet, denn ich hatte die Lacher wenigstens für die nächsteViertelstunde auf meiner Seite. Freilich kam mir in erster Liniebei diesem Bluff das bisher mühsam erworbene Prestige zu Gute,das bei den Mohammedanern und auch beim Kaimakam denGedanken erweckte, daß ich ein besonders großer Herr seinmüsse, doch durfte ich auf mein Prestige nicht allzuviel bauenund, um eine Wiederholung einer so kritischen Situation zuvermeiden, änderte ich nun meinerseits meine Taktik. Ich sagtedem Kaimakam, daß ein Leibesvisitation ein höchst peinlicherVorgang, daher so etwas sei, was vor Zeugen nicht stattfindenkönne. Dadurch veranlasse ich vor allem, daß sich alleüberflüssigen Zuschauer aus dem Amtszimmer desRegierungsgebäudes entfernen. Nach diesem Erfolg forderte ichden Kaimakam auf, wenn er den Inhalt meiner Taschen sehenwollte, einige Soldaten herbei rufen zu lassen, und erklärteendlich, daß eine Leibesvisitation nur mit Gewalt möglich sei.Eine Hand steckte ich ostentativ in die Rocktasche, als ob ichmeinen Revolver in Bereitschaft bringen wollte. Der Kaimakamerkannte meine Entschlossenheit, es sogar auf eine Schießerei

Page 118: Nopcsa Reisen Balkan

Forschungsreisen in Albanien (1905-1910)

104

ankommen zu lassen, und so etwas war nun doch wieder nichtnach seinem Geschmack, denn bei so einer Sache konnte er nichtwissen, ob sein Verhalten nachträglich im unberechenbarenKonstantinopel doch gebilligt würde. Von der Leibesvisitationwollte er aber doch auch nicht absehen, denn dies war seine erstePflicht. Daß er mich am kommenden Tag nach Shkodra schickenwürde, stand für ihn auch schon fest. Er mußte also nur einenWeg finden, um die momentane Schwierigkeit zu lösen. Infolgedieses Dilemmas telegraphierte er also um Rat an den Vali, undso wurde denn indirekt mein Konsulat von dem ganzen Vorfallavisiert. Generalkonsul Kral half mir dadurch, daß er noch amselben Abend meine Freilassung durchsetzte. Es haben dieVerhandlungen allerdings von elf Uhr vormittags bis sechs Uhrabends gedauert, das heißt erst um sechs Uhr kam dietelegraphierte Antwort aus Shkodra, daß ich freizulassen sei. Alssie zum Leidwesen des Kaimakams eintraf, da sagte ich ihm,“Siehst Du, verehrter Freund, wie ich es durch Klugheit und aufUmwegen doch dazu gebracht habe, daß derösterreichisch-ungarischer Konsul avisiert wurde.” DerKaimakam änderte natürlich mir gegenüber sofort sein Benehmenund, da es schon zu spät war, um, wie ich ursprünglichbeabsichtigt hatte, von Puka bis nach Qerret zu gelangen,übernachtete ich als ‘wirklicher Gast’ freiwillig beim Kaimakamvon Puka.

In Puka war es, daß ich zum ersten Male Exemplare jenerzwanzig Kilo schweren Sträflingsketten erblickte, die man in derTürkei Gefangenen damals noch an die Füße zu schmiedenpflegte, und um einen Erinnerungsgegenstand an die Zustände derdamaligen Europäischen Türkei zu haben, beschloß ich mir einauthentisches Exemplar so einer Kette direkt aus einemGefängnisse zu beschaffen. Da es sich um Polizeigut handelte,war dies nicht so leicht, als ich mir anfangs dachte, und es solltenacht Jahre vergehen, bis ich ans Ziel gelangte.

Page 119: Nopcsa Reisen Balkan

Forschungsreisen in Albanien (1905-1910)

105

Während meiner ersten Reisen in Albanien bewog michmeine Vorliebe für Holzschnitzereien im März 1906 zu einerHandlung, die für mich leicht böse Folgen hätte haben können.Als ich in die Pfarre von Vela kam, erblickte ich in der Wohnungdes Pfarrers eine schöne, geschnitzte Holztür, deren ganzbedeutendes Alter ich sofort erkannte, und als mir der Pfarrersagte, daß ihm mancher sogar schon geraten hätte, diese Tür zuverkaufen, da überlegte ich nicht viel und fragte ihn bündig, umwie viel er geneigt sei, die Türe zu verkaufen. Der Pfarrer sagte,“drei Napoleon.” Ich griff hocherfreut in die Tasche und legte dasGeld ohne weiter zu handeln vor dem Pfarrer nieder. Dieseprompte Handlung hatte eine unerwartete Folge, denn der Pfarrerbegann, da ich das im Orient übliche Feilschen vermied, zuahnen, daß der Preis zu niedrig sei, und einen geordnetenRückzug anzutreten und, um den Kauf rückgängig machen zukönnen, erklärte er mir, er würde die Tür, falls sie ihm gehörenwürde, um den angegebenen Preis verkaufen, da sie aberKirchengut sei, sei es in diesem speziellen Falle Sache desBischofs von Kallmet, Msgr. Malczynski, den Preis zubestimmen. Ich erkannte aus dieser Rede, der Pfarrer, Don MarcoNegri, beabsichtigte infolge meiner unüberlegtenZahlungsbereitwilligkeit die Tür bei dem Bischof höher bewertenzu lassen als drei Napoleon, und nun war also die Reihe an mir,den Listigen zu überlisten. “Entschuldigen, Hochwürden,” sagteich ihm, “ich wußte, als ich das Geld antrug, nicht, daß es sich umKirchengut handelte. Nun da ich dies weiß und mir bekannt ist,daß Kirchengut für Pfarrer unverkäuflich ist, so reden wir nichtweiter über die Sache.” Negri ahnte nicht, worauf ich losging,und damit schien ihm denn die Angelegenheit erneut begraben.Meine Pläne bezweckten etwas anderes. Ohne daß Negri auch nuretwas ahnte, schrieb ich an Msgr. Malczynski, der mir persönlichbekannt war, teilte ihm mit, daß der Pfarrer von Vela bereit sei,mir eine geschnitzte Tür seiner Pfarre für drei Napoleon zu

Page 120: Nopcsa Reisen Balkan

Forschungsreisen in Albanien (1905-1910)

106

verkaufen, daß er dies aber ohne bischöfliche Erlaubnis nichtvermöge. Ich bat daher den Bischof, dem Pfarrer die Erlaubnis zuerteilen. Da mir bekannt war, daß der offenbar vom HeiligenStuhle strafweise nach Kallmet in Albanien verbannte polnischeBischof Malczynski alles, was albanisch war, haßte, fügte ichdem Brief, gleichsam um zu zeigen, um was für ein Objekt essich handele, das hinzu, daß die Tür deshalb schön sei, weil siealbanische Motive zeige. Wohl nicht unwesentlich durch denletzten Passus meines Briefes beeinflußt, befahl Msgr.Malczynski dem Pfarrer von Vela, mir seine Kirchentür zuverkaufen, und da ich das Geld sofort erlegte, konnte mir freilichnach einigen Schwierigkeiten die Tür durch das Konsulat nachSzacsal zugeschickt werden. Es geschah und noch heute ist dieTüre in meiner Wohnung.

Was ausständig war, waren die Folgen des Sakrilegs. DerPfarrer, der Bischof, das Konsulat und auch ich selbst solltendafür leiden. Der Verkauf der Vela-Tür wurde bald bekannt. Diedem Pfarrer wegen anderer Sachen feindlich gesinnte Partei desPfarrsprengels Vela bemächtigte sich der Affäre. Fama cresciteundo, und bald hieß es, der Pfarrer von Vela habe eine höchstwertvolle Kirchentür einem durchreisenden Fremden für 300Napoleon verkauft, von dieser Summe aber bloß drei an diePfarre abgeführt und den Rest unterschlagen. Vergebensbeteuerte der Bischof die Unschuld seines Pfarrers. DieAufregung der Pfarrgemeinde wuchs. Es kam zu einerZusammenrottung vor der Pfarre, und Negri mußte, umTätlichkeiten auszuweichen, seinen Pfarrhof in der Nachtfluchtartig verlassen. Damit war er nach albanischer Auffassungseines Pfarrhofes vertreiben und dessen verlustig. Nun mußteinfolge des Kultusprotektorates der Monarchie über diekatholischen Albaner das k.u.k. österreichisch-ungarischeGeneralkonsulat in Shkodra intervenieren. Es verwünschte alsowegen der resultierenden Komplikationen jenen Augenblick, wo

Page 121: Nopcsa Reisen Balkan

Forschungsreisen in Albanien (1905-1910)

107

ich die Vela-Tür erblickte. Der Pfarrer jammerte, denn sogar inanderen Pfarrbezirken wollten ihm die Gläubigen wegen desVorfalles nicht haben. Der Bischof mühte sich lange Zeitvergebens, ihn in einer anderen Pfarre unterzubringen und nurnach langem Parlamentieren gelang es endlich, die Angelegenheitaus der Welt zu schaffen, während ich natürlich an dieRückerstattung der Tür gar nicht dachte.

Was mich anbelangt, so sollte aber auch ich die Folgendes Sakrilegs 1907 in den Prokletijen zu spüren bekommen, dennals ich 1907 in der Sennhütte von Jezerce übernachtete und mich,um zu erfahren, was die Leute über mich reden, wie häufig,schlafend stellte, da hörte ich bald, wie sich das Gespräch darumdrehte, ob es vorteilhaft sei, wenn Fremde in das Innere vonAlbanien dringen. Der eine brachte dies, der andere jenes vor.Gegen mich hatten die Leute, da ich sympathisch sei, weil ich gutschieße, ferner mit allen Leuten freundlich verkehre undüberhaupt kein böser Mensch zu sein scheine, speziell nichtseinzuwenden. Jenen Fremden hingegen, der vor Jahren dieKirchentür in Vela gekauft habe, den müsse man freilich, hieß esim Laufe des Gespräches, wenn man gelegentlich seiner habhaftwerden konnte, prügeln, denn es sei doch ein Skandal, eineKirchentür zu profanieren. Ganz unvernünftig konstatierten alsodiese Kelmendi, man müsse die guten Fremden von den bösenunterscheiden, und ich hütete mich natürlich mitzuteilen, daß ichzu den ‘bösen’ gehörte. Erst viele Jahre nach diesem Gesprächeund erst nachdem sich meine Position in Albanien total veränderthatte, traute ich mich meinen albanischen Jezerce-Freunden,meine Identität als ‘Kirchenschänder’ und die Belauschung ihresGespräches zu verraten, worüber sie denn lachten.

Vom November 1905 bis Mai 1906 blieb ich in Albanien,bis ich endlich dort Trachom bekam und daher wegen meinerBehandlung an die Heimkehr denken mußte. Ich ging nachPrizren, da sich am Ende dieser zweiten Reise in Konstantinopel

Page 122: Nopcsa Reisen Balkan

Forschungsreisen in Albanien (1905-1910)

108

gegen mich solche Gewitterwolken zusammenzogen, daß eineRückkehr nach Shkodra nicht ratsam erschien. Da ich keinPassvisum hatte, mußte ich nun aber, um bei meinem Eintreffenin Prizren keine Schwierigkeiten zu haben, wieder zu einer Listgreifen.

Es war mir bekannt, daß Abdul-Hamidischen Prinzipienentsprechend, der Amtsbezirk Prizren, da er zum Vilajet Skopjegehörte, offiziell von dem, was im Vilajet Shkodra vorging,nichts wußte, und im übrigen galt auch für die verschiedenenösterreichisch-ungarischen Konsulate oft dasselbe. Darauf bauteich meine Pläne. Von Iballja schickte ich an Vizekonsul Lejhaneceinen Brief nach Prizren, in dem ich ohne Rücksicht auf den Preisum Entgegensendung des besten Reitpferdes von Prizren, fernereines Kawassen zur Brücke von Vlasna bat. Dann traf ich dort mitsechs bewaffneten Albanern, unter anderem auch dem NotabelPal Nika aus Flet ein und bestieg das Pferd. Hierauf setzte sichfolgender Zug gegen Prizren in Bewegung: vorne zu Pferd derKonsulatskawasse, dann paarweise sechs bewaffnete Albaner zuFuß, dann ich zu Pferd, dann ein Packpferd mit einem Kiradschi(Pferdevermieter). Von Prizren hätte der Polizeiposten amStadteingang meine Begleiter natürlich entwaffnen sollen, da aberder Zug mit dem Kawassen an der Spitze feierlich einher kam,glaubten alle Polizisten, daß es sich um etwas Besondereshandele, und sie ließen uns daher ohne unseren Paßabzuverlangen, passieren. Wir gelangten so in den StraßenAufsehen erregend zum großen Gaudium meiner Albanerungestört zum Konsulat, und von hier ging ich mit VizekonsulLejhanec zum General, Exzellenz Schemschi Pascha, um ihmeinen offiziellen Besuch zu machen.

Schemschi war trotz seines hohen Generalranges undtrotz seines Pascha-Titels Analphabet, hielt sich aber, um seinenOffizieren gegenüber seine Autorität wahren zu können, bloßeinen Zugsführer als Sekretär. Dieser energische, entschlossene,

Page 123: Nopcsa Reisen Balkan

Forschungsreisen in Albanien (1905-1910)

109

ja verwegene, in Bosnien gebürtige, fanatisch alttürkischeGeneral haßte instinktiv die Albaner. Er war ein treuer Dienerseines Herrn Abdul Hamid und von seinen Gegnern mit Rechtgefürchtet. Dies war auch der Grund, weshalb er von denJungtürken 1908 in Monastir (Bitola) ermordet wurde.

Für seinen persönlichen Mut war es charakteristisch, daßer einstens, als die Albaner wieder einmal Gjakova belagerten,seine berittenen Begleiter hinter sich ließ und allein durch denKreis der Belagerer hindurchritt, um der bedrängten Garnison vonGjakova die Nachricht zu bringen, daß die unter seinemKommando stehenden vier Infanteriebatallione demnächst zumEinsatze eintreffen würden. Die Albaner erkannten den durch ihreReihen galoppierenden General und machten einander sogar aufihn aufmerksam. Sie wußten auch, seine persönliche Tapferkeitzu achten, und feuerten keinen einzigen Schuß auf den einsamenReiter. So etwas kann man in der Ilias, in Coopers Lederstrumpfoder in einem Roman von Karl May lesen. Man würde es aber indem Europa des XIX Jahrhunderts sonst für unmöglich halten.

Bei Schemschi, dem ich a priori antipathisch war, ergabsich folgendes Gespräch. Der Pascha: “Wir waren während IhrerReise um Ihre Sicherheit sehr besorgt.” Ich: “Danke, Exzellenz,für meine Sicherheit sorge ich selber. Ich bin mit sechsBewaffneten ganz sicher bis in die Mitte der Stadt gekommen.”Im weiteren Verlaufe des Gespräches bat ich dann, damit ichnicht genötigt sei, auch weiterhin bewaffnete Eingeborenemitzunehmen, um Beistellung einer Regierungseskorte nachFerizaj. Schemschi bewilligte mir dies sofort. Hierauf unterbrachuns aber Konsul Lejhanec auf deutsch mit der Bemerkung,“Siehe, dann war ja Ihr Einzug nach Prizren eineDemonstration!” Ich: “Jawohl, und Sie, Herr Vizekonsul, habenmir dabei durch den Kawassen unbewußt geholfen.”

Über die Reise von Prizren nach Mitrovica ist nichts zuerzählen. Sie erfolgte per Bahn. Ihre Fortsetzung erfolgte zu

Page 124: Nopcsa Reisen Balkan

Forschungsreisen in Albanien (1905-1910)

110

Pferde. In Mitrovica gab man mir zwei berittene Zaptiehs, die ichbis Pljevlja mitnahm. In Sjenica verlangte mir ein eifriger Polizistden Paß ab. Da ich keinen besaß, und das Eingeständnis nichtschön wäre, während man mit Regierungseskorte reist,Polizeivorschriften zu mißachten, parierte ich die Frage, da esgegen Sonnenuntergang war, mit der Gegenfrage, “Ist derMutasarrif noch im Amte?” Der Polizist bejahte, und ich forderteihn hierauf, auf schnell zum Mutasarrif zu laufen und ihm zusagen, daß in zehn Minuten ein Fremder, der mitRegierungseskorte hier eingetroffen ist, kommen werde, seineAufwartung zu machen. Der Polizist tat wie geheißen. Ich machteden Besuch, und nach dieser Staatsvisite fiel es natürlich keinemPolizisten mehr ein, meinen Paß zu verlangen.

Diese Staatsvisite gehörte übrigens zu dem komischsten,die ich erlebt hatte. Ich setzte mich in einem saalartigen Zimmerdem Mutasarrif, Exzellenz X.Y., gegenüber nieder, aber schonnach den ersten Worten ergab sich, daß ich von allenBalkansprachen nur albanisch, der Mutasarrif nur türkischverstand. Da ich nun einen Zaptieh hatte, der albanisch undslawisch verstand, der Mutasarrif hingegen eben einen Polizistenzur Hand hatte, der slawisch und türkisch konnte, wurden diesebeiden hereingerufen. Sie stellten sich weit von unseren Plätzenentfernt bei der Tür in Habtachtstellung auf, und es wiederholtenun am anderen Ende des Zimmers der Zaptieh auf slawischalles, was ich den Mutasarrif anblickend dem Polizisten aufalbanisch sagte. Der Polizist übersetzte es dann auf türkisch. DerMutasarrif sagte, mich anblickend, die Antwort auf türkisch demPolizisten. Dieser wiederholte alles auf slawisch dem Zaptieh.Dieser gab es endlich mir albanisch weiter. Die Konversation warinfolge dieser Umstände eher schleppend und daher nichtbesonders geistreich. Da sie sich nur um ganz konventionelleSachen drehte, z. B. wie mir Sjenica gefalle, daß die Luft gut undgesund zu sein scheine, wie es mit dem Wasser beschaffen sei

Page 125: Nopcsa Reisen Balkan

Forschungsreisen in Albanien (1905-1910)

111

und dergleichen, erschienen die heroischen Anstrengungenunserer Dolmetsche noch besonders heiter. Übrigens erkannte ichwährend dieser Reise, daß man sich nördlich von Novi Pazar mitalbanisch nicht mehr verständigen konnte.

In Begleitung von Generalstabshauptmann Heller kammir Draškoviƒ von Pljevlja bis Sjenica entgegen, und ich ritt nunmit ihnen über Novi Pazar und Prijepolje nach Pljevlja.Geologisch war der Ritt sehr interessant. An Ereignissen gab esaber nichts besonders zu verzeichnen. In Pljevlja blieb ich einigeTage bei Louis Draškoviƒ und lernte Brigadier Langer, den späterSouschef des k.u.k. Generalstabes, kennen. In Pljevlja erfuhr ich,daß ich mit dem Ergänzungsbezirkskommando Szászváros aufschlechtem Fuße stand. Die Militärbehörden in Szászvároswollten mich deshalb beschimpfen, weil ich lange nicht aufdienstliche Zuschriften geantwortet hatte. Doch das Trachombesiegte alles.

Um mich gegen das Trachom von Professor Bergmeisterbehandeln zu lassen, fuhr ich nach Wien, woselbst ich jeden Tagmeinen Onkel Feri in Schönbrunn besuchte. Juli und Augustverbrachte ich in Szacsal und, Gemsen jagend, auch imRetyezátgebirge. Ich habe nie in meinem Leben so gutgeschossen, wie damals. Fay Viktor und andere wurden blaß vorNeid. Mit elf Kugeln sieben Gemse. Manche dabei aufdreihundert Schritte Distanz. Alle flüchtig und dazu ein Coupdouble. An den Jagden nahm auch der mir sehr sympathischeHorty Jenö teil.

Im Oktober war ich in Wien und trat dort mit demLandesbeschreibungsbureau des Kriegsministeriums, mit dem ichsei dem Sommer 1903 in Kontakt war, in enge Fühlung. DiesesBureau übernahm die Herstellung meiner Karten. Ich schriebmeine Broschüre Das katholische Nordalbanien und war imNovember in Szacsal.

Page 126: Nopcsa Reisen Balkan

Forschungsreisen in Albanien (1905-1910)

112

Mitte November fuhr ich nach Bukarest und Craiova. InBukarest hatte ich Gelegenheit zu beobachten, wie das dortigeitalienische Konsulat unter den zahlreichen in Bukarestbefindlichen Albanern tatkräftig agierte, und machte SzaparyLörincz auf diesen Umstand aufmerksam. Sonst habe ich inBukarest mit Alexis Catargiu verkehrt, wurde in den dortigenJockey Club eingeführt, lernte aber nur wenig Leute kennen.

Am 20. November habe ich in Bukarest Bajazid Elmaskennengelernt. Bajazid ist seither bei mir geblieben und nach demTode von Louis Draškoviƒ war er der einzige Mensch, der mirwirklich gern hatte, dem ich daher in allen und jeden vollstensVertrauen entgegenbringen konnte, ohne einen Augenblick zubefürchten, daß er es mißbrauchen würde. Auch er hatte zwarseine Fehler, aber diesem Vorteil gegenüber nahm ich sie gernemit in Kauf. Aus Haß gegen alles, was österreichisch-ungarischist und, da ich mich speziell in Albanien betätigte, aus Haß gegenmich ermordeten die Serben Bajazid seinen Vater und seinenBruder in Stirovica 1913.

Ende November, Dezember und Jänner 1907 war ich mitBajazid in Szacsal, und im Februar mit ihm in London. Ichwohnte im Bullingham Mansion 22. Vom 10. bis 13. Februar fuhrich auf einen Tag zum Begräbnis meiner Großmutter nachSzacsal. Später wurden nacheinander in London Bajazid mitInfluenza, und ich mit einem Tonsillenabszeß krank. Meinbehandelnder Arzt war Dr. Huxley, der Sohn des berühmtenNaturforschers. Er scheint seinem Vater nachgeraten zu sein unddies sowie der Umstand, daß der eine Sohn des großen Darwinguter Arzt ist, ist Lombrozos Ansichten berücksichtigend ebensomerkwürdig wie die hohe Begabung des zweiten Darwinsohnes,des Mathematikers Darwin. Bei dem Sohne des Geologen E.Suess, dem Geologen F. Suess jun., ist dies allerdings schon nichtder Fall. Übrigens war des großen Darwin Vater auch kein Idiot.Besonderer Verstand scheint also in der Familie Darwin erblich.

Page 127: Nopcsa Reisen Balkan

Forschungsreisen in Albanien (1905-1910)

113

Auch diesmal unternahm ich von London einen Erholungsausflugnach Sandown zu einem Fischer, Mr. Kemp. Dann war ich wiederbis Ende April in London und fuhr dann nach Brasso (Kronstadt)zur Waffenübung. Ich wurde dem Rittmeister Zoltan in FeketeHalom zugeteilt. Habe in Kronstadt viel im Hause des dortigenObergespanns Graf Mikes Zsigmond verkehrt. Seine Gattin, dieMutter mehrere Kinder, war eine bezaubernde Hausfrau.

Anfang August unternahm ich eine neue Reise nachAlbanien. Der Einbruch erfolgte wieder von Cattaro (Kotor) aus,doch stellte ich die Sache anders an, als bisher, denn ich wolltedie Grenze geheim passieren. Auf der Fahrt nach Cattaro hatte ichan Bord eines Dampfers der Ungaro-Croata mit einem Albaner,Mar Gjeku, Bekanntschaft gemacht, und da fragte er mich, wo ichdenn hinreise. “Nach Montenegro,” sagte ich. Dann fragte erweiter, ob ich auch nach Albanien kommen würde. Ich meinte,“Nein, denn bei Euch ist es zu gefährlich. Ihr Albaner seid alleRäuber und tötet alle Fremden.” Mar protestierte, ich lachte underklärte weiter, daß ich außerdem keinen für die Türkei gültigenPaß hatte, und daß man mit einem Gewehr die montenegrinisch-türkische Grenze auch nicht passieren durfte. Mar, dessenGastfreundschaftsgefühl durch die Insinuation, daß die Albaneralle Fremden töten, gekränkt war, lud mich, um das Gegenteil zubeweisen, zu sich ein und versprach, damit ich ihn nur besuche,mich samt meinen Waffen über die Grenze zu schmuggeln. Dieswar ganz nach meinem Geschmack, aber anfangs weigerte ichmich noch, die Einladung anzunehmen, gleichsam als ob ichAngst hätte und ihm immer noch mißtrauen würde. Endlichwilligte ich aber ein. Alles klappte brillant. Hätte ich aber Margleich anfangs gebeten, mich über die Grenze zu schmuggeln, sohätte er Verdacht gewittert, gesehen, daß ich von ihm profitierenwollte, daher Geld verlangt, und mich eventuell, da er meinenAbsichten mißtraut hätte, verraten und so weiter, wogegen er sofroh war, daß ich seine Einladung annahm. Abgesehen davon,

Page 128: Nopcsa Reisen Balkan

Forschungsreisen in Albanien (1905-1910)

114

daß ich über Mar keine Information hatte, wußte ich auch nicht,was ich von seiner Intelligenz zu halten habe, und ob es dahermöglich wäre, ihm begreiflich zu machen, daß ich zwar nachShkodra dürfe, in die Prokletijen aber höchstwahrscheinlichnicht.

Es war 37/ C im Schatten, als ich am 8. August 1907Podgorica verließ, um meinem Programm gemäß zum zweitenMale in die montenegrinisch-albanische Gebirgswildnis zudringen, wo im Bereich der noch unbestiegenen ‘VerfluchtenBerge’ seit jeher der Kulminationspunkt der NordalbanischenAlpen vermutet wurde.

Mar befand sich bei der Schar, mit der ich gegen dietürkische Grenze schritt. Es waren Angehörige des StammesGruda, die vom Markte in Podgorica heimgingen, und außerdemein Dutzend anderer Grudenser, die wie Mar in der Nähe vonBudapest in den Tótmegyerer Ziegeleien gearbeitet und sichdabei ein schönes Sümmchen verdient hatten, und nun nachhalbjähriger Abwesenheit in fröhlichster Laune nach Hausezurückkehrten.

Mark Gjeka, einer der angesehensten meiner neuenFreunde, hatte für den Transport meiner Habseligkeiten einstarkknochiges, struppiges albanisches Gebirgspferdaufgetrieben, daß außer meinen Packtaschen auch noch alleEffekten meiner Reisegefährten trug. Mais und Salz waren derwesentlichste Bestandteil der Ladung. Da sich aber die aus derFremde heimgekehrten Albaner mancherlei Sachen wieBettdecken, Töpfe, eine Laterne und anderes primitivesHausgerät angeschafft hatten, gab es auf dem Rücken des Pferdesein hochgetürmtes, buntes Durcheinander. Eine große Bratpfannemußte freilich zur allgemeinen Unterhaltung von ihremEigentümer getragen werden, und es gab einen Ausbruch vonHeiterkeit, als dieser, ein mit einem Martinigewehr bewaffneter,hochgewachsener Mann, aus der Bratpfanne einen wenig

Page 129: Nopcsa Reisen Balkan

Forschungsreisen in Albanien (1905-1910)

115

praktischen Sonnenschirm improvisierte. Meinen Begleitern gabdie unharmonische Ausrüstung hauptsächlich deshalb Anlaß zuBemerkungen, weil die meisten mit wirklichen, blau und rotgestreiften Schattenspendern paradierten. Von allenLuxusgegenständen Europas haben in Albanien dieSonnenschirme ohne Zweifel die weiteste Verbreitung gefunden.Sie können, was ihre Verbreitung anbelangt, beinahe mit dem‘Luxusartikel’ Seife konkurrieren.

Die durch einen leichten Südwind gemilderteMittagshitze beeinträchtigte die Stimmung der zu Fußmarschierenden Reisegesellschaft in keinerlei Weise. Mark Gjekaund die Seinen freuten sich, nach halbjähriger Abwesenheitwieder ihre Heimat zu sehen. Ihre zu Hause gebliebenenStammesgenossen, mit denen sie in Podgoricazusammengetroffen waren, freuten sich der Rückkehr derWagemutigen, und für mich war die Neuheit der Situation vonallerhöchstem Interesse. Ich kannte zwar Albanien und seinesympathische, wenn auch manchmal unzivilisierte Bevölkerungschon von früheren Reisen. Bisher war jedoch mein Aufbruchmeist von Shkodra aus erfolgt, und mein Reisen hatte dann häufignur in einem Wandern von Pfarre zu Pfarre bestanden. Diesmalhatte ich dagegen ganz plötzlich ‘Europa’ verlassen und warunmittelbar mit der Gebirgsbevölkerung in Kontakt getreten.Außerdem hatte ich noch einen anderen Grund guter Laune zusein. Für mich war ja alle Aussicht vorhanden, die höchsten, nochjungfräulichen Spitzen Nordalbaniens zu besteigen.

Die Ebene zwischen dem für Montenegro wichtigenPodgorica, das wir mit seinen zahlreichen albanischenGeschäftsläden im Rücken hatten, und Tuz, bzw. die Ebenezwischen Podgorica und unserem nächsten Marschziele, demtürkischen Grenzorte Dinosha, ist ein kahler, mit Kalkgeröllbedeckter Landstrich, der nur zur Zeit des Durchmarsches ab undzu bereits abgeerntete Getreidefelder aufwies. Außer der Ernte

Page 130: Nopcsa Reisen Balkan

Forschungsreisen in Albanien (1905-1910)

116

trugen die Dürre der letzten Woche und die bräunlichen, überallherumliegenden Kalkstücke dazu bei, der ganzen Gegend einewenig anheimelnde Farbe zu verleihen. Die im Ostenemporragenden, mäßig hohen, gerundeten Kalkberge zeigtenwenig interessante Formen und schimmerten in heller,weißlichgrauer Farbe.

Eine mit Diluvialschutt bedeckte Ebene ist wedergeographisch noch geologisch von besonderem Interesse. Sokonnte ich meine ganze Aufmerksamkeit auf das Gesprächmeiner neuen Freunde konzentrieren. Es gab vorzugsweise dieEindrücke wieder, welche die Gruda in Budapest empfangenhatten, und es war lehrreich anzuhören, wie diese Stadt zumanchem Vergleich mit Shkodra herangezogen wurde. Fragenwie die, ob der Budapester Basar ebenso groß sei wie derSkutariner, illustrierten in ziemlich klarer Weise denGedankengang deren, die über ihre eigene Landesgrenze niehinausgekommen waren. Als Augenzeuge kann ich berichten, daßdie Nachrichten, die auf diesem Marsche über Budapest und‘Europa’ überhaupt in schlichter Weise verbreitet wurden, auf dieHörer einen sehr nachhaltigen Eindruck machten und dazubeigetragen haben, den Gesichtskreis der Autochthoneneinigermassen zu erweitern.

Von Dinosha passierten wir eine kleine, auf derGeneralkarte (1:200.000) nicht ausgeschiedene Wasserrinne, dieoffenbar mit der von E. Schulz erwähnten identisch ist. Ihre aushorizontal l iegenden und verschiedenen festenKonglomeratbänken ausgebauten Seiten bilden infolge derunterminierenden Arbeit periodischer Hochwasser überhängendeWände und boten uns einen, wenn auch nicht gerade kühlen, sodoch immerhin schattigen Ruheplatz. Die Gelegenheit, imSchatten eine Zigarette rauchen zu können, wurde natürlich dennauch nicht versäumt. Schnell waren wir alle unter denUferrändern verkrochen, und große lederne, einen halben Liter

Page 131: Nopcsa Reisen Balkan

Forschungsreisen in Albanien (1905-1910)

117

fassende Tabaksbeutel kamen mit ihrem der OttomanischenTabakregie nicht unterworfenen Inhalt unverzüglich zumVorschein. Die uns begleitenden Frauen mußten sich mit einemweniger schattigen Plätzchen begnügen, erhielten aber aucheinige Zigaretten.

Mich überraschten meine Freunde damit, daß sie mir einegroße Flasche Milch anboten, die sie unbemerkt meinethalben ausPodgorica mitgebracht hatten und deren Ausrinnen eine ihrerMarschsorgen gebildet hatte. Unaufdringliche, stilleAufmerksamkeit, die sich in allerhand Kleinigkeiten äußert, isteiner der natürlichen Züge, die in Europa leider bereits häufigfehlen, bei den Bergbewohnern Nordalbaniens aber gar nichtselten angetroffen werden.

Frisch gekräftigt näherten wir um zwei Uhr nachmittagsder türkisch-montenegrinischen Grenze. Der Grenzübertritt, derunweit Omer Bozovci erfolgte, ist durch nichts zu erkennen, essei denn, daß zahlreiche wilde Granatsträucher und andere mehroder weniger dornige Gebüsche der Mittelmeerflora daraufschließen lassen, daß man sich hier einem Orte nähert.

Unweit von Dinosha zeigte man mir die Reste einerangeblich sehr alten Kirche. Leider waren gar keinebeschriebenen oder ornamentierten Steine vorhanden, aus denenman auf das Alter der Ruine hätte schließen können.

Ein Zollbeamter und ein Pikett regulärer, gutuniformierter Liniensoldaten, Nisam, repräsentierten in Dinoshadie Kaiserlichen Ottomanischen Behörden.

Als wir dorthin kamen, schliefen alle Polizeibeamten,denn wir waren, wohl wissend, daß türkische Beamte in derMittagshitze zu schlafen pflegen, absichtlich gerade gegen Mittagvon Podgorica aufgebrochen, und so war denn der einzigerBeamte, den wir wach antrafen, ein Koldži oder Zollwächter, derim Hane von Dinosha eben Kaffee trank. Der Koldži wolltenatürlich unser auf ein Pferd gestapeltes Gepäck, bei dem auch

Page 132: Nopcsa Reisen Balkan

Forschungsreisen in Albanien (1905-1910)

118

mein Gewehr war, untersuchen. Mar überredete ihn aber, zuerstdoch mit uns einen Himbeersirup zu trinken. Der Koldži tat es.Dem ersten Sirup folgte ein Kaffee, dem Kaffee ein weitererSirup, dem Sirup wieder ein Kaffee, u.s.w. und als endlich eineStunde und mehr vergangen war und der Koldži dann die Treppehinabging, um das Packpferd zu untersuchen, da erklärten ihmplötzlich die unten befindlichen Albaner, so lange hätten sie aufdie Zolluntersuchung doch nicht warten können und daher dasangeblich krumme Pferd, damit es noch bei Tageslicht in Selishtaeintreffe, bereits mit den uns begleitenden Frauenvorausgeschickt, denn es gehe sehr langsam und hätte Selishtasonst überhaupt nicht erreichen können, sich vielmehr amschlechten Weg in der Nacht gewiß den Fuß gebrochen. DerKoldži war vor ein fait accompli gestellt und mit derVersicherung, daß er nächstens umso genauer inspizieren würde,war die Sache erledigt. Schließlich war es allerdings auch demKoldži ja nicht unangenehm gewesen, eine Stunde lang mit Sirupund Kaffee traktiert zu werden, und als Koldži dachte er natürlichgar nicht daran, sich um meinen Paß zu erkundigen. Auch dieswar mir recht angenehm, denn es konnte mir zwar, da mein Paß,was Gjeku nicht wußte, für Shkodra visiert war, sogar falls michder Grenzposten aufgehalten hätte, nichts besonderes geschehen,doch fürchtete ich, daß man mir, falls ich nach Shkodra müßte,dort betreffs der Weiterreise Schwierigkeiten bereiten würde.Daher dachte ich gleich anfangs, besser gar nicht hingehen. MarGjeku hatte ich den Besitz eines nach Shkodra lautenden Passesdeshalb verheimlicht, damit er beim Passieren der Grenze ja nichtan der nötigen Vorsicht fehlen lasse. Außerdem hatte ich jaanfangs so gemacht, als ob ein Einbruch nach Albanien überhauptnicht in meinem Programm gewesen wäre. Ich mußte auch Margegenüber konsequent blieben. Dinosha passierte ich dank MarsVorsorge ungeschoren. Da ich die türkisch-montenegrinischeGrenze unerkannt passiert hatte, konnte ich mich eine Zeit lang

Page 133: Nopcsa Reisen Balkan

Forschungsreisen in Albanien (1905-1910)

21 Alb. malësor ‘Gebirgler, Gebirgsstamm.

119

im Hochgebirge Albaniens ungestört herumtreiben. Spätererfuhren die türkischen Behörden freilich, daß ich im Lande war.

Jenseits Dinosha änderte sich die ganze mittelbare undunmittelbare Umgebung. Das Cemtal nahm uns auf, und ausmeinen friedsamen Begleitern wurden dem Anblicke nachdurchwegs gefährliche Gesellen. Alle Albaner holten hier, bereitsauf heimatlichem Boden, ihre in befreundeten Häusernhinterlegten Martini- und Werndlgewehre hervor.

Im Übrigen glich aber der Einzug der heimkehrendenGrudenser in ihr Stammesgebiet einem Triumphzuge. Von allenHöhen und vom jenseitigen Cemufer wurden sie durch Zurufeund Freudenschüsse empfangen, und rasch verbreitete sich dieKunde, die Pioniere des Stammes Gruda, die es als die erstengewagt hatten, in die Fremde zu Erwerbszwecken auszuziehen,hätten das Wagnis glücklich überstanden und seien gesund undvollzählig wiedergekommen. Die 25 Napoleons, die Mark Gjekavorzeigte, sprachen mehr als alles andere für den finanziellenErfolg des Unternehmens. Allerdings rief der in Grudaungewohnte Anblick einer schwieligen Männerhand beimanchem Neugierigen ein nicht geringes Entsetzen hervor, dennschwere Arbeit ist keine Lieblingsbeschäftigung derMalessoren21.

Da uns jeder der Begegnenden mit hoÕ gelden, der inGruda üblichen Anrede, begrüßte, sofort aber auch etwas über dieHeimkehrenden und deren Aufenthalt in Budapest erfahrenwollte, wir daher an keiner Niederlassung vorbeikommenkonnten, ohne ein Glas Milch, eine Schale Kaffee oderwenigstens einen Schluck Wasser zu trinken, gelangten wir nurlangsam unserem Ziele näher.

Page 134: Nopcsa Reisen Balkan

Forschungsreisen in Albanien (1905-1910)

120

Das Cemtal, in dem wir von Dinosha bis nach Selishtazogen, ist durch seine noch im Gebrauch stehenden undwahrscheinlich schon in grauer Vorzeit benütztenHöhlenwohnungen von Interesse. Wie in der Wasserrinne vonDinosha ragen auch hier am Flußufer durch Regenwasserverfestigte, härtere Diluvialschichten über ausgewaschene hervorund bilden Hohlräume, die nur durch ein Geflecht oder eineniedere Trockenmauer abgeschlossen zu werden brauchen, um alsWohnstätten zu dienen. Sie gewähren Schäfern während derSommermonate Unterschlupf. Doch ist ein großer Teil dereigenartigen Siedler durch Raummangel gezwungen, tagsüber imFreien zu kampieren. Besonders diese modernen, aber wederbösartigen noch sonderlich unzivilisierten Troglodyten waren es,die uns begrüßen und bewirten wollten.

Außer den Hirtensiedlungen gab es für uns im Cemtaleaber auch andere freundlich gemeinte Hemmungen zuüberwinden, denn überall, wo am Flußufer ein ebener Fleck Erdeanzutreffen ist, kann man gut bebaute Felder treffen, die Tabak,Mais und Getreide liefern. An den Hecken gedeihen vielerortsWeinreben, die, obzwar keineswegs herrenlos, ihre Trauben fürjedermann zu tragen scheinen, denn niemand würde es auch nureinfallen, es übel zu nehmen, daß der Vorübergehende von ihnenpflücke. Im Gegenteil, man würde es sonderbar finden, wenn mansich an dem fremden Gute nicht gütlich täte.

Hirten, Kulen, Häuser und Weintrauben verzögertenunsere Reise, und so kamen wir recht spät nach Selishta. Knappvor Mark Gjekas Haus mußte der Cem auf einemlebensgefährlichen, bloß aus Rutengeflechte bestehenden Stegenoch überquert werden.

Am 9. August zog ich von Mark Gjekas traulichemHäuschen weiter zu der in 320 m. Meereshöhe gelegenen Pfarrevon Gruda und dann im Gebiete von Kastrati nach Trabojna.

Page 135: Nopcsa Reisen Balkan

Forschungsreisen in Albanien (1905-1910)

121

Die Unterkunft in Gruda war, da sich das neue Pfarrhausim Bau befand und das alte bereits aufgelassen war, nichtglänzend. Die Liebenswürdigkeit des Pfarrers half aber über diekleinen Miseren hinweg.

In Trabojna fand ich in Don Luigj Bushti oder Pater Nou,wie ihn seine Pfarrkinder in Nikaj nannten, einen alten Bekanntenund sehr aufmerksamen Hauswirt.

Die Bevölkerung des Ortes war wegen des Versiegen dereinzigen in diesem Karstterrain existierenden Quelle in nichtgeringer Erregung und nahm sofort meine geologischenKenntnisse für die Wiedergewinnung des Wassers in Anspruch.Es ließ sich aber leider nichts machen, denn es wurde bald klar,daß wir es hier mit einer dünnen Wasserader zu tun hatten, dieeine unterirdische Ableitung gefunden hatte. Da infolge derSommerdürre auch die dreiviertel Stunden nördlich der Kirchevon Trabojna entspringende Quelle Kroni i zi versiegt war,proponierte ich den Leuten, die noch etwas weiter im Nordenbefindliche Höhle Shpella e Prenkut auf Wasser zu untersuchen.Auf dem Marsche von Gruda nach Trabojna hatte ich nämlich ander abwärts führenden Mündung der Höhle größere feuchteFlächen und Sinterbildungen gefunden. Ob mein Rat befolgtwurde, ist mir unbekannt geblieben.

Von meiner erfolglosen geologischen Expertise zurKirche zurückgekehrt, hatte ich Gegebenheit eines der Albanieneigentümlichen Mannweiber, virgjinesha, kennenzulernen, überdie in neuester Zeit Dr. E. Schulz, früher schon Hahn undSteinmetz, geschrieben haben. Die virgjinesha, die ich antraf, warein junges Mädchen, das, um sich nicht vom Vater trennen zumüssen, seinem Geschlechte entsagt hatte. Nichts verriet an dembildhübschen, bewaffneten Jungen, der rauchend unter denMännern saß, daß er in der Gesellschaft ein anderes Elementrepräsentierte.

Page 136: Nopcsa Reisen Balkan

Forschungsreisen in Albanien (1905-1910)

122

Von Trabojna im Gebiete der Kastrati führte mich meinWeg am folgenden Tag (10. August) nach Brixha im Gaue Hoti.

In Brixha kam ich gerade zurecht, um der Messebeizuwohnen und an dem hierauf folgenden Mittagsmahle desPfarrers teilnehmen zu können. Dieser besorgte mir dann einenortskundigen Begleiter, mit dem ich über die mir bereits bekannteFushë Rrapsha nach der im Gebiete des Veleçik gelegenenSennhüttengruppe Gropa e Ahut marschierte. Hier war es, wo ichmeine erste Nacht unter den Schafhirten des albanischenHochgebirges verbrachte. Daran, daß statt des TrinkwassersFirnschnee, statt des schwarzen Kaffees ein Gemisch vonFirnschnee und Schafmilch verabreicht wurde, konnte man vorallem erkennen, daß man sich nicht in einem Dorfe, sondern ineiner temporären Niederlassung befand, denn die Bauart einesarmseligen Hauses im Dorfe und einer Sennhütte ist ungefährdieselbe.

Da die Sennhütten Bun i Thorës ungefähr auf dem halbenWege zwischen Okol i Bogës und Theth liegen, waren sie wiegeschaffen, um hier Mittagsrast zu halten. Es war schwer, sich füreine der Hütten zu entscheiden. Jede wollte uns bewirten. Ichüberließ die Wahl meinen Begleitern. Die Aufnahme war überausherzlich. Nach dem Mahle, das aus Maisbrot, gegorener Milchund einem maza genannten, aus Butter, Käse und Maismehlkomponiertem Gemisch bestand, legten sich meine Leuteschlafen, während ich es vorzog, mich in dem noch von keinem‘Europäer’ betretenen Gebirgswinkel umzusehen.

Ein drohendes Gewitter zwang mich bald, meineBeobachtungen zu unterbrechen und zu den Sennhütten zuflüchten. Das Gewitter verzog sich. Wir konnten wieder ins Freieund, da die Sennhütten infolge ihrer Unreinlichkeit zumÜbernachten nicht besonders einluden, beschloß ich noch amselben Tag bis nach Theth zu gehen, dessen wohnliches Pfarrhausohnehin mein Hauptquartier für die Exkursionen der folgenden

Page 137: Nopcsa Reisen Balkan

Forschungsreisen in Albanien (1905-1910)

22 Kurt i Ducajve?

123

Tage bilden sollte. Theth hatte außer der komfortablen Wohnungden Vorteil einer zentralen Lage und das für sich, daß ich vonmeinen früheren Reisen her mehrere Bekannte hatte.Unangenehm berührte mich jedoch freilich wieder die Geldgierseiner Bewohner.

Ein größeres Hindernis für meine weitere Reise war, daßzur Zeit meiner Anwesenheit der Stamm Shala, zu dem dieShoshi gehören, nicht bloß mit seinen östlichen Nachbarn, denNikaj, in der herkömmlichen Feindschaft lebte, sondernmomentan auch eine Fehde mit den Shkreli auszufechten hatte, dabeide Stämme das Weiderecht auf dem Troshaniberge für sich inAnspruch nahmen. Wie ich beim Eintreffen in der Pfarre erfuhr,wurde durch diese Umstände das Begehen des Kakinjastockeserschwert, das des Troshanibergs leider ganz unmöglich.

Mein erster Ausflug von der 780 m. über dem Meeregelegenen Thethkirche galt in Begleitung von Zog Sokoli undLek Curri der Maja e Boshit.

Ein unangenehmes Erlebnis hatten wir während diesesAusfluges, als wir in der auf 1230 m. gelegenen, bloß aus Reisiggeflochtenen Sennhütte von Kurt i Dudavet22 einkehrten. DasMaultier des Senners stand gerade um, und von allenAutochthonen wurde dies als böses Omen für unsere weitere Tourgedeutet. “Wenn wir gewußt hätten, daß dein Maultier krank ist,so wären wir überhaupt nicht gekommen,” damit entschuldigtensich meine sichtlich niedergeschlagenen Begleiter bei dem ebensoniedergeschlagenen Senner. Und fast wäre die Prophezeiung zurWahrheit geworden, denn als wir uns der Qafa e Dnelit (etwa2000 m.) näherten, hielt uns ein ältlicher Hirt des Stammes Shalafür herum streifende Nikaj und machte sich bereit, da er einenÜberfall unsererseits befürchtete und den Angriff für die beste

Page 138: Nopcsa Reisen Balkan

Forschungsreisen in Albanien (1905-1910)

23 Eid des Hirten.

124

Verteidigung hielt, uns zu beschießen. Die besa e çobanit23, d. h.der Waffenstillstand, dessen sonst Hirtenschichten teilhaftig sind,bestand derzeit nicht zurecht. Es war nicht leicht, den Mann vonseinem Irrtume abzubringen und uns vor einigen unliebsamenBohnen zu bewahren. Es half uns nur ostentativ zur Schaugetragene Ruhe. Später gestand uns Dod Prela i Prel Marashit,daß ihm die Angst so in die Glieder gefahren sei, daß er ihrernoch jetzt nicht Herr werden könne. Meine an seinem Schreckeneigentlich unschuldigen Begleiter wußten nicht besseres, als denAlten gutmütig zu hänseln. Grund, sich zu fürchten, hatte DodP r e l a w e g e n e t l i c h e r n o c h u n e r l e d i g t e rBlutrachenangelegenheiten hinlänglich.

Das Gebiet von Nikaj ließ sich, wie mir auf der Maja eDrenit klar wurde, von Shala aus leider nicht bereisen. Der Plan,über Shala und Curraj zum Valbonapasse zu erlangen, mußtedaher aufgegeben werden. In Shala erfuhr ich, daß der Bajraktarvon Shoshi mit zwei Genossen über Aufforderung der türkischenBehörden drei Tage auf mich in Shala lauerte, um mich zuermorden, und daß dieser Versuch, von dem ich nicht rechtzeitigin Kenntnis gesetzt worden war, nur deshalb mißlang, weil ichzufällig vier Stunden nach dem Abzuge des Bajraktars in Shalaeintraf, wo mich dann der Pfarrer aufmerksam machte, in welcherGefahr ich geschwebt hatte.

Meinen Aufenthalt in Shala verwendete ich dazu, einigesüber die Vergangenheit des Stammes zu erfahren. Dann wandteich mich nach Aufzeichnung einiger für die Vergangenheit vonShala recht aufschlußreichen Überlieferungen wieder nach Shesh.Von hier aus bestieg ich am 19. August die bloß 1630 m. hoheMaja Praça und besuchte dabei das unbekannt gewesene DorfKapreja im Nerlumza-Tale. Dann unternahm ich abermals in

Page 139: Nopcsa Reisen Balkan

Forschungsreisen in Albanien (1905-1910)

125

Begleitung Zog Sokolis und Lek Curris meinen ersten Vorstoßgegen Gucinje, nachdem durch allerhand Spitzfindigkeiten eineganze Reihe zudringlicher Begleiter abgeschüttelt worden war.

Das Programm war, da mir die Erforschung desTalgrundes von Ropojani-Vruja wegen seiner geringenÜbersichtlichkeit wenig Erfolg versprach, der Besuch derSennhütten Bun i Jezercës, wo sich einige bis jetzt unbekannteAlpenseen befinden sollten.

Der Weg war nicht lebensgefährlich, aber erbärmlichgenug. Zu wiederholten Malen gab es Felsabsätze, die nur mitHänden und Füßen zu erklettern waren. Gummischuhe oderOpanken, welch letztere Steinmetz auf seinen kühnen Tourenvorzieht, bewähren sich auf derartigen Partien ganz vorzüglich.Schneefelder wurden, abgesehen von einem kleinen Fleck unweitder Qafa e Pejës erst am Nordwestabhang des Mali i Shorës, derdie Qafa e Jezercës im Süden begrenzt, im 1820 m. angetroffen.

Einzig war wieder ein Beleuchtungseffekt auf der Qafa eJezercës. Die vorgeschrittene Tagesstunde hinderte leider, dieAussicht auf die vor mir liegende und in ihrer Starrheitimposante, rauhe, vegetationslose Schnee- und Felswildnis langezu genießen. Die Sonne ging schon unter. Alle höheren Spitzenerglühten in einem wunderbaren, satten Rosenrot, während ausden Tälern tiefblaue und violette Schatten zum Bergesrandemporstiegen. Ans Fotografieren war trotz aller landschaftlichenSchönheit nicht zu denken.

Beim Anbruch der Dämmerung eilten wir, unsereAnkunft durch Rufe und Schüsse ankündigend, zu den tief unteruns liegenden Sennhütten von Jezerce. Bald klangen aus demDunkel der Nacht Willkommenschüsse uns entgegen. Wir wußtennun, daß die Bewohner der Hütten Mark Kola und Zef Toma vonunserer Ankunft unterrichtet hatten, eine Sennhütte in Standsetzten, Kaffee bereiteten und unserer harrten.

Page 140: Nopcsa Reisen Balkan

Forschungsreisen in Albanien (1905-1910)

126

Vor dem Einlangen in dem Nachtquartier hatten wir nochein Jagdabenteuer. Wir passierten in 1880 m. Höhe bei fastvölliger Finsternis gerade ein Firnfeld, als, durch unsaufgeschreckt, einige ziegenartige Tiere plötzlich hoch wurdenund im Galopp davon sprengten. Gemsen! war der momentaneGedanke. Das Notizbuch fallen lassen und das ohnehin geladeneGewehr an die Wange reißen, waren bei mir instinktiveBewegungen, von denen die letzte, wenn auch in etwaslangsamerer Weise, auch meine Gefährten machten. Es fehltenicht viel, und eine Salve hätte auf die dahin stürmenden Tieregekracht. Im allerletzten Momente wurde aber unsere Jagdkunstabgekühlt. Es waren langhaarige Hausziegen, die sich von derHerde getrennt hatten. Der Irrtum hätte uns leicht in einenKonflikt mit dem Eigentümer der ‘Gemsen’ bringen können.Ohne einen Vorteil war die Episode jedoch nicht. Der Fremdestieg, wie ich nachträglich erfuhr, im Ansehen, weil er in einementscheidenden Augenblicke nicht vergessen hatte, wozu er dasGewehr trägt. In den Augen der Malessoren ist überhaupt nurderjenige ein Mann, der seine Waffe zu führen weiß. Tamamshqiptar ‘ganz wie ein Albaner’, das ist das höchste Lob, das mandann einheimst.

Es war schon recht spät, als wir nach Bun i Jezercësgelangten, deren Meereshöhe ich mit 1710 m. bestimmte.

In Jezerce machte das Erscheinen des ersten Fremden indiesem bis jetzt von Europa unbehelligten Teile des Kelmendi-Gebietes nicht geringes Aufsehen. Außer meiner Person undmeinen Kleidern fesselten hauptsächlich zwei Gegenstände dieallgemeine Aufmerksamkeit. Das Fernrohr meines Jagdgewehresund die dicken Gummisohlen meiner Schuhe. Beide seien allenmeinen Nachfolgern wärmstens empfohlen. Sie heben dasPrestige ihres Eigentümers ungeheuer.

Page 141: Nopcsa Reisen Balkan

Forschungsreisen in Albanien (1905-1910)

24 Joghurt.

127

Für Essen war in Jezerce gut gesorgt. Fleisch, maza,Maisbrot, Milch, Käse, kos24 und Zwiebel bildeten mein erstesNachtmahl, und während meines ganzen dortigen Aufenthaltesgab es diese Speisen in Hülle und Fülle. Das einzige, womit esschlecht bestellt war, war das Wasser, denn die Albanerbehaupteten steif und fest, das Wasser aller in der Nähe derSennhütten liegenden Weiher sei ungesund, und so blieb nichtsanderes übrig, als sich der Landessitte zu fügen, und das wenigeinladende Schneewasser zu trinken. Man gewann dieses hier,wie in vielen anderen Sennhütten der Kelmendi und Kastratimitten im Wohnraume, indem man das Schmelzwasser einesgroßen Schneeblockes in einem Holztroge auffängt. Da dieHütten keinen Rauchfang haben, ist der Schneeblock undinfolgedessen auch das Wasser, durch Rauch, Ruß undAschenpartikel meist verunreinigt. Das Herbeischleppen desSchnees besorgen ausschließlich die Frauen.

Nach dem, wie erwähnt, vorzüglichen Begrüßungsmahleerzählten sich meine Gastfreunde in Bun i Jezercës diepolitischen und nichtpolitischen Ereignisse des Tages. Daß ihnender Appetitmangel des einen oder des anderen Schafes vielwichtiger erschien als alles andere, gab über das Geistesleben derLeute interessanten Aufschluß und war nicht verwunderlich, dennes entsprach eben ihrer Lage. Erst um vier Uhr türkischer Zeit,was im Sommer etwa unserer 11. Nachtstunde entspricht, legtenwir uns zur Ruhe. Mir breitete man eine Decke aus, zumZudecken hatte ich meinen Mantel. Trotzdem daß auf dieseWeise für das Nötigste gesorgt war, konnte ich lange Zeit keinenSchlaf finden, denn abgesehen von der empfindlichen Kälte,verscheuchte die Neuheit meiner Situation jeglichen Schlummer.Ich war doch mitten unter den als wild verschrienen Kelmendi.

Page 142: Nopcsa Reisen Balkan

Forschungsreisen in Albanien (1905-1910)

25 Ein Hirt.

128

Bunte Gedanken, Betrachtungen und Träume waren es, die meineerste Nacht in der Sennhütte von Jezerce ausfüllten, und ichwußte fast gar nicht, daß ich fest geschlafen hatte, als sich beimersten Morgengrauen die Bewohner der Hütte wieder regten undmich auf diese Weise weckten.

Der Besuch von Bun i Jezercës war der Mühe wert.Wohin man blickte, neue topographische Aufschlüsse,Vervollständigung und Umwandlung des Kartenbildes.

Am 22. August konnte wegen andauernden Regens nichtsunternommen werden. Ich mußte in Bun i Jezercës verbleiben,dabei hatte ich jedoch Gelegenheit, einige unsere Sennhütte alsNachtquartier benützende Männer des mohammedanischenStammes Krasniqi, dem ein sehr bedeutender Teil desValbonatales gehört, kennenzulernen. Die mir wohlwollendenKelmendi stellten mich als Italiener vor! Ich mußte rechtausführlich über die Herrlichkeiten Roms und Italiens, ja sogarüber das kalabrische Erdbeben Rede stehen. Über die Zuneigungder Interviewer blieb ich nicht im unklaren.

In der Nacht vom 22. auf den 23. August war auf denBergen südlich von Bun i Jezercës Neuschnee gefallen, und sobrach ich mit Zog Sokoli, Lek Curri und Zef Toma bei kühlem,aber vollkommen heiterem Wetter auf, um die oberste Valbona zubesuchen. Da in der Mulde Lugu i Gradës Gemsen häufig seinsollten, improvisierten wir eine Jagd. Lek Curri bestieg die Majae Paplukës, Zog Sokoli den Hang der Maja e Lisit, ein Çoban25

wurde auf Unwegen auf die Qafa e Gradës geschickt, und ichdrang von Westen in Lugu i Gradës ein. Gemsen warenvorhanden, wir kamen aber leider nicht zum Schuß. Nach allem,was ich hörte, sind die Gemsen in diesem Teile Albaniensoffenbar wegen der guten Waffen der Leute derzeit im

Page 143: Nopcsa Reisen Balkan

Forschungsreisen in Albanien (1905-1910)

129

Aussterben begriffen. Noch einige Jahre und man wird sie in dembaumlosen Prokletijen nur mehr vom Hörensagen kennen. Besserscheinen sie sich in den bewaldeten Gebieten des Cukal undMunella erhalten.

Von der Qafa e Gradës wandten wir uns, erneut anausgedehnten Schneefeldern vorbei, am Gehänge der Maja eJezercës, dem markanten, wenn auch kleinen Doppelkegel derMaja e Rragamit zu. Dabei lagen einige Hundert Meter unter unsdrei schneeerfüllte Mulden, die sich noch tiefer unten zu einergroßen, in das Valbonatal führende Furche vereinigten.

Die Nacht vom 23. auf den 24. August schlief ich amUrsprunge der Valbona in Bun i Valbonës (2550 m.). Am 24. zogich über die Alm Zog Sokolis wieder in dem demValbonaursprung nun so nahe gerückten Ndreaj ein. Am 25.August gab ich Zog Sokoli, der von den bisherigen Märscheneinigermassen ermüdet war, seinen wohlverdienten Lohn. LekCurri, stets heiter und unverwüstlich, blieb auch fernerhin meinBegleiter. Außerdem nahm ich noch Sadri Luka aus dem nahenOkol in meinen Dienst, einen wegen seiner Intelligenz undUnerschrockenheit bekannten Mann, den auch seine zahlreichenBekanntschaften mit den Kelmendi für die nächsten Tourenempfahlen. Da es gerade Zog Sokoli und Sadri Luka gewesenwaren, deren gegenseitiger Haß Steinmetz in Lebensgefahrgebracht hatten, und auch ich, gerade so wie Steinmetz, imBegriffe war, Zog Sokoli zu entlassen, um Sadri Luka alsBegleiter aufzunehmen, mußte mit Vorsicht zu Werke gegangenwerden, einerseits um Zog Sokoli vor den Augen seinerStammesgenossen nicht zu kompromittieren, anderseits um einenetwaigen Zornausbruch bei ihm selbst rechtzeitig zu verhüten.Die Sache gelang mit Hilfe eines entsprechenden Trinkgeldesprächtig, und am 26. August konnte daran gegangen werden, dieerst auf meiner Karte auch Maja e Radohimës genannte Maja e

Page 144: Nopcsa Reisen Balkan

Forschungsreisen in Albanien (1905-1910)

130

Kozhnjes, den Kulminationspunkt der westlichen Prokletijen, zuersteigen.

Die Tour gelang ohne Zwischenfall, doch war sie schonvon Okol aus recht beschwerlich. Bei ca 1750 m. querte ich denSteig, der, schon von Steinmetz und Liebert erwähnt, von derQafa e Pejës zur Qafa e Shteguqenës führt. Das letzte Stück desAufstieges auf der Südseite des Bergkolosses konnte nur mitLebensgefahr genommen werden, da uns hier eine fastsenkrechte, nur von einigen tiefen Wasserrillen gefurchte Wandentgegentrat. Ganz hervorragend bewährte sich in dieser SituationLek Curri, dessen Geschicklichkeit bewunderungswürdig war. Erschien wie eine Fliege an den Felsen zu haften. An besondersglatten Stellen kletterte er voraus und zog nacheinander unsereHabseligkeiten, mich und Sadri Luka empor. Ich war unter unsdreien nicht der einzige, der froh war, als wir endlich spät amNachmittage der glatten, grauenvollen Felswand glücklichentronnen waren und müde und hungrig den einsam in die Lüfteragenden, langgestreckten, schmalen Rücken erreichten.

Wir gönnten uns zunächst eine kurze Rast. MeineBegleiter holten das Maisbrot und den Schafskäse hervor, andenen wir schon seit der Frühe zehrten. Wir verschlangen gierigdie letzten Reste, tranken aus der flachen Höhlung eines Felsensetwas Wasser, und dann ging es ans Notieren.

Das Thermometer zeigte im Schatten 10/ C. Das Aneroidergab zu meiner nicht geringen Enttäuschung bloß 2430 m. ImJahre 1906 hatte ich die Höhe auf 2800 m. geschätzt und sie fürden Kulminationspunkt Nordalbaniens gehalten. Die Besteigunglehrte nun, daß sie hinter der Maja e Jezercës zurückbleibt. Es tatmir nun aufrichtig leid, letztere, vor deren Gipfel ich vor einigenTagen kaum einige Hundert Meter entfernt gewesen war,unbestiegen gelassen zu haben. Wenn ich doch damals nur ihredominierende Stellung geahnt hätte! Dr. Liebert schätzt ihre Höhenach mündlicher Mitteilung auf ca. 2600.

Page 145: Nopcsa Reisen Balkan

Forschungsreisen in Albanien (1905-1910)

131

Der Abstieg erfolgte zuerst über einen steilen, schmalenFelsgrat im Nordosten. Dann gelangten wir auf die 2310 m. hoheQafa e Radohimës, wo wir ein sehr steiles Firnfeld trafen. Wirpassierten es in sausender Fahrt, indem wir alle drei meinenLodenrock als gemeinsamen Schlitten benützten. SolcheVergnügungen scheinen in der Malësia e Shkodrës allgemeinverbreitet zu sein. Lek Curri wenigstens wußte mir von mehrerenderartigen Talfahrten zu erzählen. Schneereifen und Steigeisensind hier ebenfalls bekannt.

Am 26. August war es infolge der Dunkelheit leiderunmöglich gewesen, die zwischen der Maja e Radohimës undBun i Livadhit gelegene Strecke geologisch zu untersuchen. Ichwar deshalb genötigt, dies am folgenden Tage nachzutragen,wobei ich den Radohima-Gipfel nochmals, nun von Nordostenerstieg. Außerdem untersuchte ich an diesem Tage die ausjurasisch-kretazischem Kalkstein zusammengesetzte Gropa eLivadhit të Bogës.

Von Bun i Livadhit të Bogës zog ich wieder gegenNorden, mit dem Vorhaben, auf der westlichen Lehne desRopojani-Tales soweit, als es ratsam schien, gegen Gucinje zugehen. In diese Stadt einzudringen beabsichtigte ich schondeshalb nicht, um vornherein jede Möglichkeit einer Kollisionmit den dortigen Mohammedanern, und daher auch dieMöglichkeit jeder daraus für die ottomanische Regierung, unsererKonsularämter oder für mich resultierenden Unannehmlichkeitenzu vermeiden.

Ich und meine Begleiter beschlossen in Rreth i Vukoçëszu übernachten. Schnee und Milch waren, wie gewöhnlich, dieersten Erfrischungen, die uns angeboten wurden. Diesmal aberhatten sie so böse Nachwirkungen, daß mir die Exkursionen dernächsten Tage recht vergällt wurden. Das übliche Abendessen -maza, kos, Maisbrot und schwarzer Kaffee - verschlechterte dieSache noch mehr. Um mich bei dem Mangel an Medikamenten

Page 146: Nopcsa Reisen Balkan

Forschungsreisen in Albanien (1905-1910)

132

halbwegs zu restaurieren, schränkte ich meine Nahrung amfolgenden Tage soweit als möglich auf warmen Milchkaffee ein.Er wurde mir in der bereitwilligsten Weise geboten. DieBereitung des neuen Getränkes war aber mit nicht geringenSchwierigkeiten verbunden, denn es fehlte ein für das Erwärmeneiner größeren Menge an Milch geeignetes Gefäß. MeineGastgeber entschlossen sich, die innen und außenrauchgeschwärzte und fettriefende sonst zur Maza-Bereitungdienende Bratpfanne dazu zu verwenden. Als Trinkgefäß dientedas kleine Näpfchen, in dem sonst der schwarze Kaffee gereichtwurde. Das Mischen von Kaffee und Milch und das Nachfüllendes Näpfchens waren infolge dieser Umstände alles rechtkomplizierte Prozeduren und erregten das Interesse, aber auch diestille Heiterkeit der Malessoren.

Von Bun i Rrethit të Vukoçës begab ich mich inBegleitung einiger Hirten nach der nächsten Sommeransiedlung,nach Bun i Kodrës së Niçit. Die Verbindung zwischen den beidenÖrtlichkeiten wird Weg genannt, ein Euphemismus, den man mitdem Leben bezahlen kann. Ein schmaler, abschüssiger Stegzwischen einer senkrechten Felswand auf der einen Seite undeinem mehrere Hundert Meter tiefen Abgrunde auf der anderen,von dem unter jedem Tritte zur Erprobung der Nervenleichtbewegliches Kalkgeröll in die Tiefe rieselt. Bei Shkalla eDanit (1700 m.) wird der ‘Weg’ noch unbehaglicher. Der schmaleAbsatz verengt sich immer mehr und mehr, die obere und dieuntere Feldwand gehen ineinander über. Der steil emporsteigendePfad benützt schließlich eine gegen den Abgrund offeneEinhöhlung, die wohl 1.5 m. tief, aber so niedrig ist, daß man siefast nur auf dem Bauche kriechend passieren kann. Dabei ist dertalwärts abfallende Felsboden glatt und bietet der Hand nurwenige Anhaltsstellen. Sogar die unmittelbare Umgebung der aneine überhängende, etwa 60 m. hohe, glatte Felswand

Page 147: Nopcsa Reisen Balkan

Forschungsreisen in Albanien (1905-1910)

133

angeklebten Sennhütte von Kodër e Niçit kann nur vonSchwindelfreien besucht werden.

Die Hütte selbst war elend. Durch das klaffende Dachschaute der Himmel auf uns herab, und durch das elende, mitMoos ausgefüllte Mauerwerk fuhr der Wind in Stößen herein, daßRauch und Funken keinen Winkel verschonten.

Der Abendessen war auch nicht glänzend. Bald nach demEssen zogen die Hirten eine Pelzweste oder einen xhurdi an,schnallten sich die während des Mahles abgelegtenPatronengürtel um und schulterten die geladenen Martini-Gewehre, um außerhalb der Sennhütte bei den Schafen zuschlafen. Für die Zurückgebliebenen wurden Felle ausgebreitet.Uns bot man außerdem noch Kleider und Decken an. Bald waralles in tiefem Schlummer. Bloß der Schein der rotglühendenKohlen beleuchtete die durcheinander gewürfelte Gruppe.

Kaum graute der Morgen, so regte es sich in allenWinkeln. Der Kaffee wurde gekocht, und bald fanden sichdurchfröstelt und taubedeckt nacheinander auch die Hirten wiederein, um sich beim Feuer und einer Schale dampfenden Kaffees zuerwärmen.

Wir hielten eine kurze Beratung ab, auf welchem Wegeich am besten in die Nähe von Gucinje gelangen könnte. Eswurde beschlossen, statt des gewöhnlichen Talweges über Vushaj(Vusanje) einen Steig hoch oben auf der Lehne zu benützen. Esging denn auch alles glatt vor sich, und ich war sehr befriedigt,als ich nach verhältnismäßig kurzer Wanderung zu der Maja ePotkajs gelangte und von einer Felsnase derselben plötzlichGucinje vor mir sah.

Das ganze schöne, fruchtbare Gebiet atmete idyllischeRuhe. Ich blieb, während meine Gefährten gegen nahendeMohammedaner scharfe Wache hielten, Notizen machend, etwaeine halbe Stunde auf der Felsnase, auf die das Hundegebell von

Page 148: Nopcsa Reisen Balkan

Forschungsreisen in Albanien (1905-1910)

134

Vushaj nur gedämpft herauf klang. Dann kehrten wir wieder nachBun i Kodrës së Niçit zurück.

Um die an Gucinje grenzende Bezirke genauer zuuntersuchen, war es meine Absicht gewesen, von Bun i Kodrës sëNikçit geradewegs nach Nikç zu gehen. Meine Begleiter undbesonders Prenk Olumi, der Eigentümer von Bun i Rrethit tëVukoçës, wußten aber in langer Debatte so viele Gründe dagegenvorzubringen, daß ich am 30. August nach Bun i Rrethit tëVukoçës zurückmarschierte und am 31. die Route über die Qafae Koprishtit einschlug.

Vor dem Aufbruche von Bun i Rrethit të Vukoçes gab esnoch eine recht originelle Szene. Zu meinem nicht geringenEntsetzen zeigte es sich nämlich, daß meine Pirschschuhe unterden Anstrengungen der letzten Tage gelitten hatten, und sich diedicke Gummisohle von der dünnen Ledersohle loszulösen drohte.Da dies unterwegs höchst unangenehme Folgen haben konnte, somußte dem Unheil im letzten Augenblicke zuvorgekommenwerden. In hellem Wetteifer bemühten sich die ‘wilden’ Albaner,die auseinander strebenden Teile wieder zu vereinigen. Lek Currimachte die dazu unbedingt notwendigen Teufeleien und ganzmiserablen Witze. Daß die Söhne der Berge, wenn sie wollen, mitNadel und Bindfaden ebenso gut umzugehen verstehen wie mitdem Gewehre, bezeugte ihre Flickarbeit. Die Schuhe leisteteneine Zeitlang wieder vortreffliche Dienste. Als Necessaire zumAufbewahren von Nadel und Zwirn dient zumeist die Innenseitedes Filzkäppchens.

Nach Beendigung der Schuhreparatur brachen wir zuviert auf. Eine Sennerin trug, während die Männer nur mit demGewehr paradierten, meine mit Gesteinsproben recht beschwertenPacktaschen bis zur Paßhöhe (2190 m.).

Mittags erreichten wir die Sennhütten von Koprisht.Nach dem Mittagsmahle, das auch hier, wie überhaupt seiteinigen Tagen, aus maza bestand, gingen wir über einen nördlich

Page 149: Nopcsa Reisen Balkan

Forschungsreisen in Albanien (1905-1910)

135

der Sennhütten befindlichen, relativ niedrigen, absolut aberimmerhin 1900 m. hohen Rücken und stiegen von dort über dieMaja e Ropunës nach Jama.

Nach der vieltägigen Wanderung über fast steriles, hartesKalkgestein tat es den Füßen, Augen und dem Gemüte wohl, alswir von der Maja e Ropunës ab wieder Wiesen sahen undweichere, erdige Terrainformen betraten. Beim Abstiege nachJama bemerkte ich interessante kretazische Versteinerungen.Zuerst sammelte ich nur mit Lek Curri, da aber Enthusiasmusansteckend ist, wurden bald auch alle anderen Begleiter von derSammelwut erfaßt, legten die Gewehre beiseite, zerschlugenKalkblöcke und brachten von allen Seiten die Erstlingswerkeihrer paläontologischen Studien. Wäre doch einer von denSkribenten zugegen gewesen, die es so gut verstehen, über dieAlbaner Schaudergeschichten zu erzählen!

Ein mehrfacher treppenartiger Abfall brachte uns vonJama nach Nikç, und von dort gelangten wir nach Vukël.

Der alte Pfarrer von Vukël, ein Franziskaner, war mirsamt seinem recht baufälligen Pfarrhause schon von einerfrüheren Reise bekannt. Ich wurde liebreich aufgenommen undfühlte mich sehr bald bei ihm behaglich. Er beschaffte mir schonfür den nächsten Tag einen Mann, der mich über Osonja nachSelca geleiten sollte.

Am 2. September ging ich in Begleitung eines Mannesaus Selca nach Budaç und am Nachmittag saß ich schon Kaffeeschlürfend, in dem aus Tannen gezimmerten Häuschen des LaniTurkut in Budaç und lernte die Leute kennen, bei denen ich vollefünf Tage verbleiben sollte. Der Hausherr selbst, der Bajraktarvon Nikç, war leider abwesend, dafür machte mir sein Bruder dieHonneurs, und ich fühlte mich in kürzester Zeit hier soangeheimelt wie in keinem anderen Orte der albanischen Berge.Die öffentliche Sicherheit war hier, wie die Bewegungsfreiheitder Leute erkennen ließ, größer als in anderen Gebieten. Die

Page 150: Nopcsa Reisen Balkan

Forschungsreisen in Albanien (1905-1910)

136

Leute sind reiner und gesitteter, und das Essen kann mit dem inmanchem albanischen Pfarrhaus rivalisieren. Ohne daß ich etwasmerkte, wurde, als der Abend kam, ein Lamm geschlachtet, dasnebst zahlreichen anderen Speisen ein vorzügliches Nachtmahlgab.

Ausflüge, schlafen, essen und trinken, das war meineTätigkeit in Budaç. Eine Exkursion führte mich nach Leshnica,eine andere zur Qafa e Godijës, und auf der dritten wurde am 5.September der Trojan bestiegen.

Bei dieser Besteigung fand ich eine Taschenbussole, die,wie ich später erfuhr, Herr Steinmetz wenige Wochen vorherverloren hatte. Leider konnte ich sie dem Eigentümer nichtzurückstellen, denn einige Tage später, kam sie mir bei meinemhastigen Aufbruche aus Paja neuerlich abhanden.

Schnee und schneidender Ostwind luden nicht zumlängeren Verweilen auf dem Trojangipfel ein. Wir alle verließenihn gern recht bald. Um nicht die gleiche Tour zweimalzurückzulegen, beschlossen wir die Nacht nicht in Budaç,sondern in dem mir noch unbekannten Paja zu verbringen.

Nach dem Mahle wurde die Zukunft erforscht. Man hieltdie Schulterblätter der verzehrten Lämmer gegen das Feuer undstudierte in durchfallendem Lichte die hellen und dunklenFlecken. Auf einer ominösen Stelle waren zahlreiche kleine,schwarzrote Tupfen erkennbar. Sie bekundeten das Herannahenvon Bewaffneten. Von Räubern oder Soldaten? Es war eine übleProphezeiung. Sie würde auf das Herannahen montenegrinischerRäuberscharen bezogen, und wirkte, da man von ihrerUnfehlbarkeit überzeugt war, deprimierend.

Paja gefiel mir so ausnehmend, daß ich hier trotz dervorgerückten Jahreszeit zu verweilen beschloß, um das nochunbekannte Gebiet von Dolja und Berishdol zu untersuchen.Doch ein unerwartetes Ereignis durchkreuzte alle meine Pläne.

Page 151: Nopcsa Reisen Balkan

Forschungsreisen in Albanien (1905-1910)

137

Die Schulterblätter der Tags zuvor verzehrten Lämmer hattennicht gelogen.

Während ich in Paja war, schickten nämlich dietürkischen Behörden 300 Soldaten nach Budaç, um mich zufangen. Dieser Überfall mißglückte zufällig, da ich in Paja war,doch nahmen die türkischen Truppen an meiner Stelle dreiGeiseln und unter diesen auch einen gewissen Gjok Doda ausShkreli gefangen, der auch sonst von der Polizei gesucht wurde,um verbannt zu werden. Durch diese Geiseln hofften die Soldatenvon den Stämmen Kelmendi und Shkreli meine Auslieferung zuerzwingen. Fast wäre dies gelungen, denn Gjok Dodas mirdamals noch nicht genauer bekannter Bruder Syni Doda warzufällig mein Begleiter. Dies war mir natürlich recht peinlich. Umzu erfahren, ob Syni, um seinen Bruder los zu bekommen, nichtetwa gar mich den türkischen Behörden ausliefern wolle, meinteich vor allem, daß ich, um mich zu fassen, eine Viertelstundeschlafen müsse. Die Albaner fanden dies natürlich, und so hatteich nun Muse, ihre weiteren Pläne zu belauschen. Ich hörte nun,wie Syni den anderen Albanern folgendes sagte, “Gjok werde ichnicht mehr wiedersehen, aber eher soll Gjok verschwinden alsunser Gastfreund.” Durch dieses Gespräch war ich über dieSituation orientiert. Ich brauchte keine Auslieferung zubefürchten. Anstandshalber mußte ich nun aber um jeden PreisGjok befreien. Zuerst protestierte ich brieflich beim Konsulatgegen die Art, wie die türkischen Behörden nach mir fahndeten.Ich schrieb, ich sei dadurch, daß man mich nicht ordnungsgemäßauf Konsulatswege aufgefordert habe nach Shkodra zu kommen,sondern mich trotz meiner sozialen Stellung einem Verbrechergleich verfolgte, schwer beleidigt, verlangte Satisfaktion undsandte den Brief noch in der Nacht durch einen Eilboten nachShkodra. Dann eilte ich selbst in einem Tage von Nikç über dieKapa e Brojës zur Pfarrkirche von Shkreli. Am nächsten Tag gingich weiter nach Shkodra und gelangte mit Krals Hilfe noch im

Page 152: Nopcsa Reisen Balkan

Forschungsreisen in Albanien (1905-1910)

138

letzten Augenblick eine mir entgegengeschickte Polizeipatrouille,die mein Notizbuch erbeuten sollte, vermeidend, glücklichnachmittag in die Stadt.

Hier ging ich mit unserem Konsul selbst zum Vali, umvon ihm mündlich und persönlich Genugtuung zu verlangen. DerVali mußte sich, als ich mein Passvisum vorzeigte, natürlichentschuldigen. Seine Bemerkung, daß das Empfehlungsschreibenaus 1905 sei, also anderthalb Jahre alt, parierte ich mit derBemerkung, sein Vorgänger sei, als ich ihm im Sommer 1905 einEmpfehlungsschreiben desselben Gesandten vorzuweisen dieEhre hatte, mit mir so grob gewesen, daß ich es für unmöglicherachtet hatte, im Herbst 1905 erneut mit einem neuenEmpfehlungsschreiben vor ihn zu treten, und deshalb sei diesesSchreiben in meinem Besitze geblieben. Erst jetzt könne ich es,ohne mich persönlich Grobheiten auszusetzen, sinngemäßverwenden. Die weitere Ausrede des Vali, nicht gewußt zu haben,wer ich sei, denn ich sei auf Schleichwegen über die Grenzegekommen, widerlegte ich schlagend mit Hinweis auf dieTatsache, daß ich über Dinosha eintraf, und endlich schob ich dieSchuld, daß die türkischen Behörden über mich nicht informiertwaren, auf die türkische Regierung, resp. deren zu Mittagschlafende Polizei von Dinosha. Auf Grund dieser Tatsachenmußten alle die Geiseln in Freiheit gesetzt werden. Die türkischeRegierung war glücklich wieder im Unrecht, und ich konnteweiterreisen. Der Generalkonsul Kral sekundierte mir währenddes ganzen Rededuells prächtig.

Eine interessante Episode war, als einige Zeit nach demZwischenfall in Budaç der Vali von Shkodra mir das Reisen inAlbanien wieder offiziell verbot, privatim aber sagte, er würde,wenn ich Mirdita bereisen wolle, ein Auge zudrücken. Gerade umdiese Zeit hatte mich aber Zef Nozi aus Spaç in Mirdita bereitsgewarnt, daß im Verein mit anderen Leuten ein gewisser MyslimëLezi aus Luma irgendeinen Fremden gefangen nehmen wollte,

Page 153: Nopcsa Reisen Balkan

Forschungsreisen in Albanien (1905-1910)

139

um in einer Privatangelegenheit eine Handhabe gegen dietürkische Regierung zu haben. In dieser Angelegenheit hattensich Myslimë und Konsorten an einige Mirditen gewandt. Ichvermutete daher gleich, daß auch der Vali von dieser SacheKenntnis hatte und mich eben deshalb reisen ließ, damit ichgefangen werde und er hierauf in großer Pose dem Konsul nachmeiner Gefangennahme sagen könne, “Sehen Sie, das kommtdavon, wenn Fremde das Land gegen den Willen der türkischenRegierung bereisen.”

Ich nahm des Valis Angebot an, reiste in Mirditaallerdings mit äußerster Vorsicht. Die ganze Reise verlief glatt,und nichts geschah. Als einige Mirditen aber an meiner Stelle denPfarrer von Laç gefangen nahmen, was außer dem Pfarrerübrigens auch dem Vali gar nicht recht war, und ich wohlbehaltennach Shkodra kehrte, da sagte mir der Vali plötzlich, daß er mirjetzt leider dennoch wieder das Reisen verbieten müsse und auchdie Augen nicht mehr zudrücken könne, denn er habediesbezüglich sehr strenge Befehle aus Konstantinopel. Freilichhat auch dieser Schlich Bedri Pascha nichts genützt. Ich sagte ihmzwar, es tue mir sehr leid, sein Wort zu hören, dann setzte ichaber meine Ausflüge unbeirrt fort.

Nach der Erforschung der Prokletijen bereiste ich imJahre 1907 vorwiegend Mirdita. Während dieser Reisen bestiegich die höchsten Berge Mirditas, nämlich die Munella, den Gurii Nusjes und die Zeba, ferner untersuchte ich aber auch dieZadrima.

Da eine kleine Episode, die sich im Jahre 1907 mit mir ander Bojana-Brücke bei Shkodra zutrug, die damaligen Zuständebeleuchtet, will ich sie hier erwähnen. Ich war mit meinemgetreuen Kiradschi, Pjetër Dushi, und meinem alten Diener, GjokPrenga, spät nachmittag aus Nënshat aufgebrochen und erreichtedaher erst spät nach Sonnenuntergang die bei Nacht mit zweimächtigen hölzernen Gittertoren verschlossene Drinbrücke bei

Page 154: Nopcsa Reisen Balkan

Forschungsreisen in Albanien (1905-1910)

140

Shkodra. Vorschriftsgemäß durfte diese in der Nacht nur vonRegierungsbeamten passiert werden. Da ich kein Beamter war,hätte ich außerhalb Shkodra schlafen und das Öffnen desBrückentores in der Frühe erwarten müssen. Dies war aber nunnicht nach meinem Geschmack. Ich ritt daher bis an das Tor undbefahl mit dezidierter Stimme dem Wachposten, das Tor zuöffnen. “Bist du ein Beamter?” fragte dieser, “Nein, ein Nemce(Österreicher),” tönte meine Antwort, “öffne augenblicklich.”Das Entschlossene meines Auftretens imponierte. Der Soldatinformierte die Wache, daß jemand Einlaß verlange, das Torwurde geöffnet, und ich passierte die Brückentore samt meinerBegleitung.

Jenseits der Brücke fand nun die obligateGepäcksrevision statt, und auch diese verlief ohne Anstand.Allerdings schien den türkischen Finanzbeamten mein in derdamaligen Türkei verbotenes Taschen-Aneroid verdächtig. Alsich aber die Frage des Finanzbeamten, was dies sei, mit derGegenfrage quittierte, ob er denn eine Taschenuhr nicht erkenne,schämte sich der Beamte ob seiner Unwissenheit und ließ dasAneroid passieren. Ich schwang mich wieder in den Sattel, und dageschah es, daß mein Karabiner, der bisher allerdings auch nichtsichtbar an meiner Schulter hing, auffallend gegen den Himmelragte und so die Aufmerksamkeit der Polizisten auf sich zog. “Erhat ein Gewehr,” bemerkte der eine der Polizisten, und schonfragte ein zweiter, ob ich einen Waffenpaß hätte. Schon schwebtemir, da ich keinen Paß hatte, eine Notlüge auf den Lippen, dochein dritter Polizist ersparte mir das Lügen. “Freilich wird er einenPaß haben, wenn er sein Gewehr so offen trägt, und dazu einenguten,” rief er im Brustton der Überzeugung. Alle beruhigten sichauf diese Bemerkung, und ich konnte unbehindert weiterreisen.

Als ich um zehn Uhr nachts mit meinem Gewehr amRücken plötzlich unvermutet im Grand Hotel Mi…iƒ eintraf,

Page 155: Nopcsa Reisen Balkan

Forschungsreisen in Albanien (1905-1910)

141

staunte hauptsächlich unser Vizekonsul über mein Glück undmeine Frechheit.

Gefährlicher als das Abenteuer auf der Brücke war einAbenteuer in Kalis. Im November 1907 wollte ich von Shkodraüber Kalis auf den Korab und von da nach Stirovica wandern,und so wandte ich mich um Rat an den Abt der Mirditen. VomAbte wußte ich, daß er über Kalis und dessen Umgebung ganzgut informiert war. Der Abt empfahl mir, mich in Kalis an einengewissen Mustaflita zu wenden, von dem er angab, daß er seinFreund sei. Mit dieser Angabe begann ich denn diese Reise.Zwischen Fan und Arrën habe ich mich als Mirdite verkleidet.Als wir auf der Zeba rasteten und dort zu Mittag aßen, sollte icheinen Einblick in das mirditische Räuberleben bekommen. Eskamen zwei Katholiken mit acht Schafen. Als der Vorausgehendeuns sah, erschrak er heftig und nahm in unsere Nähe sein Gewehrauf uns in Anschlag. Die Schafe waren am Rücken im Rechteckegeschoren, und dies war ein Beweis, daß sie aus Reka gestohlenwaren. Die Eigentumsmarke war ihnen eben aus der Wolleherausgeschnitten worden. Nach diesem Intermezzo gingen wirdann weiter.

Mark, einer meiner Begleiter, war seinerzeitGefolgsmann Mustaflitas gewesen. Er hatte wie alle oder vieleFanesen viel in Dukagjin und Reka geraubt und am Wege nachKalis gab er mir über diese Gegend Aufschluß. Das Landzwischen Arrën-Reç und dem Korab heißt, so wie das Gebiet vonPuka, Dukagjin, und auch die Leute nennen sich Dukagjinen undwerden auch so von ihren Nachbaren genannt. Auf der Zeba gabes zwischen Arrën und Guri i Nusjes große Buchenwaldungen.Aussicht gab es auf der Zeba keine, dafür gelangte ich mit meinenBegleitern bei Regen ziemlich unbemerkt nach Ujmisht. BeimAbstiege gegen den Drin gingen wir an der Sennhütte einesMenschen vorbei, der Fanesen ohne Arrënioten sehend fragte, obwir Freunde hätten. Bajazid bejahte es. Später aber sah unser

Page 156: Nopcsa Reisen Balkan

Forschungsreisen in Albanien (1905-1910)

26 Alb. kulla, ein festungsartiges Wohnhaus oft mit Wehrturm.

27 türk. nizam ‘Soldat’.

28 Auswanderer, Arbeiter, die zeitweilig im Ausland arbeiten.

29 Verkäufer des Getränkes boza.

30 Verkäufer von orientalischen Süßwaren.

142

Mann, daß wir gegen seine leer stehende Kula26 gingen, undsofort stürzte er uns nach, denn er fürchtete, wir seien Räuber.Ohne von dieser Verfolgung auch etwas zu ahnen, bogen wirinzwischen von dem Wege ab und kürzten ihn über einige Felderab. So gingen wir, als unser Verfolger uns erreichte, nicht mehrgegen seine Kula. Zuerst gab es eine erregte Konversation,endlich erkannte aber unser Gegner in einem meiner Begleiter,Nikoll Xhuxhaj, seinem kumbara. Er begleitete uns daher nachUjmisht zu Mahmud, einem anderen kumbara von NikollXhuxhaj. Dort beschlossen wir zu übernachten. Der Hausherr warnicht zuhause, wurde aber gerufen. Das Gespräch drehte sich amAbend nur um Raubzüge der Fanesen und Dukagjinen insRekagebiet und um Kämpfe mit dortigen Nisam-Posten27. Ichentnahm dieser Konversation, daß die nach Reka dringendenBanden oft 200 Mann stark sind, daß es meistens Tote undVerwundete gibt und, daß die Beute häufig auf Schleichwegennach Gjakova gebracht und dort verkauft wird. Die Raubbeutesind oft Hunderte von Schafen und fünfzig bis sechzig Pferde.Der Anführer so einer Bande heißt kallauz. Außer Räuber sinddie Ujmisht Leute meist Kurbetgänger28 (Bozadschi29,Halvadschi30 etc.).

Page 157: Nopcsa Reisen Balkan

Forschungsreisen in Albanien (1905-1910)

31 türk. çakÕ2r ‘Hosenart’.

32 langärmlige Jacke oder Nachthemd.

33 schwarze, wollene Männerjacke.

34 Haarschopf.

35 Freund, Gast.

143

Die Männertracht der Ujmishti besteht aus weißen,halbweiten unter engen Tschakschir31 und darüber gezogenenStrümpfen, die bis an die halben Waden reichen, oft rot gemustertsind und durch die Opankenschnüre zusammengehalten werden.Am Körper wird eine anteri32 und ein dünner rückwärts nichtbefranster xhurdi33 getragen, der bis an die Hüften reicht. Alletragen den perçe34.

Wir schliefen in Ujmisht recht gut. Die Häuser dort sindfern stehende, getrennte Kulen. In Vila gibt es dichter gebauteKulen und aus Bruchstein jedoch ohne Kalkwurf aufgeführteHäuser. In Ujmisht konnte ich Einblick in das Kurbetwesenerlangen, denn gerade am Weg gegen Vila begegneten wir Leute,die eine Braut abholen gingen. Ich wurde von einigen als Fremdererkannt, aber die Erklärung Mahmuds, ich sei ein mik35, beglichalles. Später trennte sich der Hochzeitszug von uns, und wirbeobachteten aus der Ferne, wie derselbe vor dem Brauthausstehen blieb. Es begann eine Schießerei, dann gingen dieBrautleute ins Brauthaus, aßen und nahmen anschließend dieBraut mit. Im Gegensatz zu diesem Zeremoniell wird in Reç dasBrauthaus nicht betreten. Mahmud begleitete uns bis Vila. AlsAlbanese reisen ist viel angenehmer als in europäischer Kleidung,denn erstens gaffen einen die Leute nicht so an und außerdem ist

Page 158: Nopcsa Reisen Balkan

Forschungsreisen in Albanien (1905-1910)

36 Moschee.

144

man mit den Leuten mehr in Kontakt. Vor Vila ist Mahmud, da erdort in Blut war, nach Hause gekehrt. In Vila gab es eine schönexhamija36, aber jeder Einwohner war ein Räuber, der jedoch imDorfe selbst nicht rauben durfte. Im Dorfe, das heißt im Inlande,mußte Ordnung herrschen. Von Vila wurde Mark nach Kalisvorausgeschickt, um Mustaflita von unserer Ankunft zuverständigen. Mustaflita hat in Vila und Kalis mehrere Kulen, dieaus dem Zusammenbau von verschiedenen großen Häusern undKulen resultieren und umfriedet sind. Mustaflita war nichtzuhause, kam jedoch Abends nach Kalis zurück. Bis zu seinemEintreffen galt ich als Skutariner, saß jedoch am Ehrenplatz beimFeuer. Infolge des Regens war ich bei der Ankunft in Kalis so wieam vorigen Tag gründlich naß, doch beim offenen Feuer baldgetrocknet.

Der gemeinsame Aufenthaltsraum in Mustaflitas Hauswar ein großes Zimmer im Erdgeschoß, in das man durch einenVorraum eintrat. Dieses Zimmer war ganz leer und hatte der Türegegenüber einen Kamin. An beiden Längseiten war der Bodenmit Teppichen belegt. Links vom Kamin war der Platz desHausherren, rechts der Ehrenplatz des Gastes. Dem Feuergegenüber und nahe bei diesem war ein Lammsfell ausgebreitet,auf dem der mit der Kaffeebereitung betraute GefolgesmannMustaflitas Platz nahm. An den Wänden gab es Hacken für dieGewehre. Außer Mustaflita seinem bulgarischen Infanteriegewehrblieben aber alle anderen Gewehre im Vorraum.

Mustaflita selbst war dick aber sehr agil und schnell inseinen Bewegungen, dabei offenbar muskelstark. Er hatte einengrauen, starken Schnurbart, kam immer mit einigen schnellenübergroßen Schritten ins Zimmer und eilte stets hastig an seinenPlatz, wobei sich alle erhoben. An seinem Platze wurde er von

Page 159: Nopcsa Reisen Balkan

Forschungsreisen in Albanien (1905-1910)

37 Türkisch binbaÕl2k ‘Grad eines Majors’.

145

seinem Gefolge prompt bedient. Einer zog ihm die Strümpfe aus,ein anderer brachte ihm Wasser zum Füßewaschen, ein andererreichte ihm die meterlange Pfeife mit Zigaretten und ein anderergab ihm Feuer. Mustaflita redete relativ wenig und warselbstbewußt, jedoch ohne es zu sagen. Er hatte ziemlich großestahlfarbene Augen, die wenig Gedanken lesen ließen. EinErkennen seiner Gedanken war bei ihm am Tonfalle seinerStimme und an seinen Gesten möglich. Er war nicht ruhig aberdoch nicht sehr lebhaft, seine Manieren dezidiert. SeineKonversation hatte meist einen etwas befehlenden Ton. Daß ichMustaflita so genau zu schildern bestrebt bin, ist, weil er einer derverwegensten dibranischen Räuber war, die die Türkei damalsaufzuweisen hatte, und weil er mich nicht unbeträchtlich an dieSchilderungen gemahnte, die wir von Ali Pasha Tepelena, demHerrscher Janinas, besitzen. Ich sagte zu Mustaflita, ich seigekommen, um ihm zu helfen, einen Wunsch zu erfüllen, den ichfreilich nicht genauer angab. Nun gestand mir Mustaflita, daß erden Abt gebeten hatte, ihm ein Bimbaschlyk37 zu beschaffen, daßdies jedoch vom General-Inspektor vom Mazedonien, HusseinHilmi Pascha, vereitelt worden wäre. Dann redeten wir überirrelevante Sachen. Bald wuschen wir uns die Hände zum Essen,und nachdem der Speisetisch hereingebracht worden war, setztesich Mustaflita allein hin, brach das Brot und legte es jedem aufseinen Platz. Alle anderen im Zimmer Anwesenden warteten aufihren Plätzen, bis sie Mustaflita zu sich rief, um mit ihm zu essen.Auch beim Essen schien Mustaflita sich zu beeilen. Der Abendverging recht gut.

Am nächsten Tag war aber das Wetter nicht besonderes,und Osman, Mustaflitas Sohn, sagte uns, der Weg nach Stirovicasei verschneit. Er meinte, wir sollten in einem mit Teppichen

Page 160: Nopcsa Reisen Balkan

Forschungsreisen in Albanien (1905-1910)

146

belegten oberen Kulazimmer bleiben, in dem seiner Zeit auchSchemschi Pascha übernachtet hätte, damit die zahlreichen Leute,die unten waren, uns nicht sähen. Osman erzählte ferner, daß hiereinst auch drei Männer aus Topojan gefangen gehalten wurden,die über Nacht in dem Dachboden gesperrt worden waren. Erbewunderte meinen Mannlicher Karabiner, noch mehr aber meinScheckbuch und mein Fernrohr. Dann zog er sich zurück.Während wir in Schemschis Zimmer waren, flogen zwei Spatzenin das Zimmer. Wir fingen dieselben und gaben sie dem kleinenSohn Mustaflitas, und sagten uns dabei scherzend, daß wir selbstin Mustaflitas Kula geflogen und nun auch gefangen seien.Abends kam Mustaflita zum Essen in unser Zimmer. Auch derfolgende Tag verging mit Besuchen von Osman und Dalip, aberauch das schlechte Wetter hielt an. Am dritten Tag war es in derFrühe schön, und so sagten wir Osman, wir wollten an dem Tagunbedingt nach Stirovica gehen. Man möge uns Begleiterbeschaffen. Osman verschwand und erschien erst Mittags wieder.Jetzt war es, meinte er dann zu spät. Doch wir meinten, daß auchdas nichts mache, wenn wir in Stirovica nachts ankommen.Osman meinte nun, er würde mit Mustaflita darüber reden, aberbald kam er wieder mit der Antwort, Mustaflita finde heute garkeinen Begleiter. Morgen würde aber er, Osman, selbst uns mitvielen Leuten nach Stirovica führen.

Die vielen Ausreden wollten weder Bajazid noch mirgefallen und beide begannen wir böses zu ahnen. Nachmittagsläßt Mustaflita Bajazid rufen, sagt ihm, wir beide seien seineGefangenen, und verlangt von uns 10.000 türkische PfundLösegeld. Im Falle, daß seine Kula irgendwie infolge unsererGefangennahme Schaden leiden sollte, setzt er eine weitereForderung von 10.000 Pfund in Aussicht. Gleichzeitig versucht eraber durch Versprechen von 2000 Pfund, Bajazid auf seine Seitezu ziehen. Bajazid widersteht und erschrickt, proponiert aberdennoch geschickt, Mustaflita sollte kein Lösegeld verlangen,

Page 161: Nopcsa Reisen Balkan

Forschungsreisen in Albanien (1905-1910)

147

sondern mich, da ich verkleidet bin, als Spion nach Prizrenführen. Mustaflita wittert darin böses und lehnt es ab. Bajazidkommt herauf zu mir ins Zimmer und teilt mir die Sache mit.Mein erster Impuls ist, Mustaflita zu erschießen und so derganzen Sache ein Ende zu bereiten, dann besinne ich mich einesbesseren. Mustaflita kommt in unser Zimmer, ich benehme michrecht unbefangen. Er wiederholt mir das, was er Bajazid gesagthat und fügt hinzu, er tue dies nicht, um mir zu schaden, sondernum den Sultan deswegen, weil er ihn nicht zum Bimbasch ernannthabe, zu ärgern. Falls seine Kula infolge dieses seines Vorgehensvom türkischen Militär verbrannt würde, sagt mir Mustaflita,würde er in konsequenter Weise genötigt sein, 20.000 Pfund zuverlangen. Ich erkläre, ob zehn oder zwanzigtausend Pfund, seimir irrelevant, da ohnehin nicht ich sondern der Sultan zahlenwerde, füge aber wohl hinzu, daß das Verbrennen seiner Kulaauch mir unangenehm sei, da im Winter das Flüchten vorSoldaten und das Überwintern in irgendeiner elenden Hütte mitUnannehmlichkeiten verbunden sein würde. Ich verspreche, daßich also trachten würde, eine Verfolgung zu hintertreiben.Mustaflita gibt mir recht. Ich sage Mustaflita, er habe einen sogroßen Fisch gefangen, daß er ihm nicht aus dem Wasser werdeziehen können. Nachdem wir das Thema gründlich durchgekauthaben, proponiere ich ihm über etwas Anderes zu reden.Mustaflita kann nur schwer von dem Thema ablassen. Endlichverlange ich fünf Tage Bedenkzeit, um zu entscheiden, wen ichvon meiner Gefangennahme zu verständigen habe, wobei ich denAbt Doçi, das Skutariner Konsulat, das Prizrener Konsulat,Hussein Hilmi Pascha, meinen Vater und die k.u.k. Botschaft inKonstantinopel erwähne. Zufällig sage ich, ich glaube, ich werdeHilmi schreiben. Darauf meint nun aber Mustaflita, daß man indiesem Falle gewiß Soldaten schicken werde. Ich sehe an seinerMiene, daß ihm dieser Gedanke unangenehm sei. Ich bleibe daher

Page 162: Nopcsa Reisen Balkan

Forschungsreisen in Albanien (1905-1910)

38 ‘treuloser’.

148

dabei, und so gibt er mir die erwünschte Bedenkzeit. Er sagt mir,“sa duket,” und verschwindet.

Bald nach Mustaflitas Abgang kommt ein gewisser Doda,dessen Bruder in Rom zu Priester ausgebildet wird. Ich lasse ihnschnell ein Kreuz machen. Er läßt mich ein Pater noster beten,dann fragt er Teile der Messe, um zu sehen, ob ich tatsächlichKatholik sei. Ich entspreche seinem Verlangen, dann erzähle ichihm von Mustaflitas Verrat und gebe ihm einen Brief an den Abtder Mirditen, den er sofort absenden solle. In diesem Brief bitteich den Abt um 500 bewaffnete Mirditen oder Opium undzwanzig Leute. Doda geht ab und Osman kommt ins Zimmer. Ichbegrüße Osman, rede mit ihm aber kein ernstes Wort und fragenur im Scherz, wer denn eigentlich unsere ganze Verhaftunggeplant habe. Er sagte, er selbst. Darauf meine ich, daß er vonseinem Vater gut gelernt habe, werfe ihm aber lachend “pabesë”38 vor. Er errötet bis an die Haarwurzel. Dann veranstaltenwir auf Osmans Aufforderung ein Scheibenschießen. Ich schießebesser als Osman, der bald weggeht. Nun kommt Dalip zu uns.Dalip ist über Mustaflitas Benehmen empört und sagt, daß so eineSchweinerei in Kalis noch nie geschah, und angibt, daß er unshelfen wolle. Ich sehe, Dalip geht auf Eigengewinn los, und redemit ihm daher recht ernst. Er fragt mich, wie diese ganze Sacheenden werde. Ich sage so, daß Mustaflita kein Geld bekommt,seine Kula zerstört werden wird und im Endkampfe er, nämlichMustaflita, dann Osman, Mustaflitas zweiter Sohn Ali, aber auchBajazid und ich sterben würden. Es wird, sage ich, die ganzeMalësia von Shkodra, ganz Mirdita, Mat und Lura von Westenherkommen. Aus Dibra, Gostivar und Prizren werden Truppengeschickt werden, und Mustaflita wird dermaßen zermalmtwerden. Dalip meint, daß nicht einmal ganz Kalis Mustaflita

Page 163: Nopcsa Reisen Balkan

Forschungsreisen in Albanien (1905-1910)

149

seine Partei ergreife, denn Mustaflitas Benehmen werdeallgemein verurteilt. Es ergab sich also die Frage, was zu tun sei.Nach mannigfachem Beraten formuliere ich mit Dalip dreiPropositionen. Erstens, Mustaflita verlangt 10.000 Pfund, dannkommen meine albanischen Freunde und türkische Truppen; seinHaus ist entehrt, und es gibt ein großes Morden. Zweitens,Mustaflita verlangt für meine Loslassung ein Bimbaschlyk. Ichwerde in diesem Falle meine Freunde beruhigen und auchtrachten, alle Truppen von Kalis ferne zu halten und mit denBehörden zu verhandeln. Das Resultat ist aber in diesem Fallenicht gewiß. Drittens, Mustaflita führt mich als Spion nachPrizren. Hiedurch kommt er bei der Regierung in Gnaden, undich werde mich nach wie vor für sein Bimbaschlyk verwenden.Dalip verspricht, diesen Vorschlag Mustaflita zu unterbreiten.Um für den Fall, daß Dalip sein Plan mißlingt, daß Mustaflita unsgefangen hält, daß ein Wächter mit uns schlafen soll, und daß unsWaffen und Messer abgenommen werden, haben Bajazid und ich,um am Tage der Flucht etwas unserem Wächter gegenüber in derHand zu haben und um uns dann nach Tötung des Wächters anzusammengebundenen Leintüchern und Teppichen ausMustaflitas Turm hinab lassen zu können, ein Rasiermesser unterdem Teppiche versteckt.

Dalip schläft bei uns und redet in der Frühe mitMustaflita. Er läßt uns aber zuvor merken, daß er für seineIntervention ein Bakschisch zu erhalten hoffe. Während derganzen Zeit ist Bajazid recht niedergeschlagen. Ich trachte ihm,Mut einzuflößen. Nach Dalip seinem Gespräch mit Mustaflitakommen außer Mustaflita auch Ali und Osman in unser Zimmer,ebenso Dalip. Mustaflita sagt uns, unsere ganze Verhaftung seibloß ein Schein gewesen, um uns zu prüfen, und erklärt, wirkönnen nach Stirovica gehen. Ich wittere aber eine Falle underkläre, ich bleibe bei der Proposition, die ich freiwillig am erstenTage machte und die darin bestand, Mustaflita zu seinem

Page 164: Nopcsa Reisen Balkan

Forschungsreisen in Albanien (1905-1910)

39 Die türkische Regierung.

150

Bimbaschlyk zu helfen. Jetzt, da alle von unserer Gefangennahmewissen, sage ich, sei dies mehr dann möglich, wenn er mich alsösterreichisch-ungarischen Spion den türkischen Behörden inPrizren übergibt. Die Proposition wird angenommen und zwarsoll Bajazid als Gefolgsmann Mustaflitas nach Prizren kommen.Ich soll mit meinem Mannlicher Karabiner den türkischenBehörden in Prizren übergeben werden.

Die Übergabe meines Mannlicher Karabiners hielt ichangeblich deshalb für wichtig, weil Mustaflita michverabredetermaßen an der Güte meines Gewehres als angesehenePersönlichkeit erkannt hätte. In Wirklichkeit wollte ich es Osmanunmöglich machen, mein Gewehr als ‘Andenken’ zu behalten.Osman war unvorsichtig genug gewesen, mir seinendiesbezüglichen ‘Wunsch’ zu äußern.

Dafür verspreche ich Mustaflita zu seinem Bimbaschlykzu helfen, Osman sagt uns nach dem Abgang Mustaflitas, Daliphabe uns geholfen. Ich sage Osman, er sei dumm gewesen, weiler jetzt auch den Mannlicher Karabiner nicht bekomme, denn derMannlicher würde vom Hükümet39 konfisziert werden. Knapp vorunserem Abgange aus Kalis bittet mich Mustaflita, den Abt zuinformieren, daß in Kalis nichts vorfiel. Doda bekommt daherzum geheimen Ersten noch öffentlich einen zweiten Brief an denAbt, und dann werden wir beide von Mustaflita aufgefordertunten zu speisen und uns aufzuhalten. Während unseres ganzenAufenthaltes in Kalis waren Mustaflitas Sohn Ali und eingewisser Rrahman überhaupt nicht zu uns gekommen, da sie sichob Mustaflitas Verrat allzu schämten.

In Kalis existieren isolierte Häuser von mittelalbanischerBauart und kleine Dörfer rp. zusammengebaute Hausgruppen.Blutracheangelegenheiten zwischen den einzelnen Familien

Page 165: Nopcsa Reisen Balkan

Forschungsreisen in Albanien (1905-1910)

151

werden bald beglichen. Das langjährige Einsperren wie in Lurakommt nicht vor. Die Dukagjinen stehlen in Reka. Die Leute ausReka rauben von Skopje und Mazedonien, aber auch aus derGegend von Adrianopel, ja sogar aus Anatolien.

Am fünften Tag nach meiner Ankunft in Kalis erfolgtemein, Bajazids und Mustaflitas Aufbruch von Kalis mit zweiPferden nach Prizren. Auf einem Pferde ritt Mustaflita, dasandere war für Bajazid und mich bestimmt. Die Pferdebegleiteten uns bis auf ein Hochplateau bei der Qafa e Restelicës,wo tiefer Schnee deren weiterkommen hinderte. Hier aßen wir einfrugales Mahl aus Käse und aus Maismehl, Kornmehl und Gerbehergestelltem Brot.

Dann ging es am Nachmittag weiter gegen Restelica. Esgab am Wege gegen Restelica Nebel und Schnee, und deshalbhaben wir den Weg fast verloren, aber endlich gelangten wir dochglücklich nach Kepi, und dann nach Restelica. Mustaflita, AbdulRrahmani, Dalip, Bajazid und ich schliefen im Hause von MollaSadiku, die übrigen in einem anderen Haus. Das Zimmer war gutund mit Teppichen belegt. Es gab sogar einen eisernen Ofen, aberdie Fenster waren klein und die Glasscheiben eingemauert. Bevorwir zum Hause Molla Sadikus gegangen waren, hatten wir imKaffeehaus Kaffee getrunken, bis uns Molla Sadiku einlud. Zuunserem Hausherrn kamen naturgemäß gleich viele Besucher,darunter ein rumänisch redender Hadschi und andere Geistlichen.Mit dem Hadschi habe ich etwas geredet, sonst blieb ich aberzurückgezogen in einer Ecke und habe mit Dalip weiteresgeplant. Die Leute sind recht gebildet und können meist Lesenund Schreiben.

Restelica ist auf einem Plateaurand oberhalb eines steileingeschnittenen Tales gelegen und ist ein Massendorf mit vielenKrämerläden und Kaffeehäusern. Die Dorfstraßen sind zivilisiert.Die Steinhäuser, denen allerdings der Kalkbewurf fehlt, sind gutgebaut. Restelica hat über 300-400 Häuser und mehr als 100

Page 166: Nopcsa Reisen Balkan

Forschungsreisen in Albanien (1905-1910)

40 “Sag nichts”.

41 Abend.

152

Pferde, und die Bewohner sind keineswegs arm. Hier wird auchziemlich viel slawisch gesprochen. Die Leute fragten relativwenig, wer ich sei, nur der Hadschi war neugierig. Bajazid sagtemir aber auf ungarisch “ne mondjon semmit”40 Später habe ichmit Mustaflita das weiter für den morgigen Tag besprochen. Ichproponierte, damit meine Einlieferung nicht zu viel Aufsehenerrege, am aksham41 nach Prizren gebracht zu werden, und dort ineiner Einzelzelle des Gefängnisses zu übernachten.

Im übrigen war der folgende Tag gerade ein Bazartag.Wir vermuteten daher, daß das Hükümet wahrscheinlichgeschlossen sein würde. Außer diesem Hauptpunkte wurde aberauch festgesetzt, daß ich nicht mit meinem Mannlicher Karabinersondern mit Bajazids Martini abgeliefert werden sollte. Auf dieseWeise wurde auch mein getreuer Mannlicher Karabiner deretwaigen Konfiskation entzogen.

Programmgemäß wurde am nächsten Tag Restelica in derFrühe verlassen, und dann sind wir in einem Dauermarsch nachPrizren. Ich war in diesen Tagen fast fortwährend zu Fuß, undBajazid war trotz des Reitens kaputt. Das Mittagsmahl bestandaus Käse und Brot. Am vorigen Tag hatte es abends in RestelicaBohnen mit Fleisch und türkischen Speisen gegeben, die allerecht gut waren, doch hatte ich schrecklich Sodbrennen. Als ichbeim Passieren des Ortes Zli Potok einen Apfel auf offener Straßeessen wollte, war Bajazid hierüber sehr aufgebracht und sagtemir, etwas auf offener Straße zu essen, gelte in Ostalbanien alsManierlosigkeit und Schande.

Von Karaula Guri Dervent war mir der Weg von früherher bekannt. Anderthalb Stunden vor aksham gelangten wir nach

Page 167: Nopcsa Reisen Balkan

Forschungsreisen in Albanien (1905-1910)

153

Prizren. Knapp vor der Stadt wurden mir aber Gewehr undPatronengürtel abgenommen und ein Strick um die Leibbindegebunden. Das andere Ende des Strickes erfaßte ein Kalis,wodurch meine Gefangenschaft markiert war. Mustaflita hattegroße Angst, ich könnte ihm in Prizren irgendwie verraten.Bajazid bekam von mir in einem unbewachten Augenblick eineKarte an das Konsulat. Mein Gepäck nahm Mustaflita zu sich undsollte es erst am folgenden Tag in der Frühe persönlich auf dasHükümet bringen. Bajazid durfte gar nicht auf das Hükümetkommen, so sehr fürchtete sich Mustaflita vor einem etwaigenVerrat. Mein Einmarsch in Mirditatracht erregte schon in denStraßen von Prizren etwas Aufsehen. Im Hükümet ebenso, abernirgends übermäßig. Mustaflita erzählte dem Bimbasch derPolizei, er habe mich am Wege Vila-Kalis getroffen, mich alsverkleideten Fremden erkannt, dann in sein Haus gelockt. Ichhätte Fluchtversuch unternommen, er habe mich dannwiedereingefangen und deshalb liefere er mich hier ab. Ich wurdedem Bimbasch vorgeführt, den ich von früher kannte, der michaber nicht wieder erkannt. Darauf wurde ich zum Mutasarrifgeschickt. Dort setzte ich mich, um Mustaflita zu imponieren, mitgekreuzten Beinen aber à la franca und sprach mit dem Mutasarriffranzösisch. Ich bestätigte Mustaflitas Aussagen und bat denMutasarrif, das Konsulat zu avisieren. Der Mutasarrif kam inVerlegenheit und beglotzte meinen Paß, bis ich ihm sagte, “Neregardez pas toujours ce passeport, les lettres restent toujours lesmêmes.” Dann wiederholte ich meine Bitte aber in einerschärferen Tonart. Ich wurde wieder zum Bimbasch, dann zumGefängniskommandanten, einem Mylazim, geführt und solltedort übernachten. Bajazid hatte inzwischen das Konsulat avisiert,und dieses intervenierte nun. Der Mutasarrif und das Konsulattelegrafierten nach Saloniki. Vizekonsul Prochaska schickte miraußerdem Essen und Decken ins Gefängnis. Nach dem Essen kamein Telegramm von Hilmi Pascha, später eins vom Vali von

Page 168: Nopcsa Reisen Balkan

Forschungsreisen in Albanien (1905-1910)

154

Skopje, und ich wurde mit gebührenden Ehren dem Konsulatüberwiesen. Den Abend verbrachte ich am Konsulat. Prochaskawar über die Sache sehr erheitert. Er ist ein guter Mensch, aberkein Genie. Ich blieb mehrere Tage in Prizren. Hilmi Pascha hattemir ein weiteres Reisen in der Türkei telegrafisch verboten. AlsMustaflita mein Gepäck in das Hükümet brachte, und man es garnicht anschaute, da war er recht enttäuscht, denn er hatte sichvom Aneroid etc. goldene Berge versprochen. DerPolizeikommissär brachte alles andere, ja sogar den abgeliefertenMartini, aufs Konsulat. Soweit war in Prizren alles gut gegangen.Von der ganzen Affäre mit Mustaflita hatte aber auch BajazidsVater in Stirovica gehört und plötzlich erschien er nun mit zehnbewaffneten Männern in Prizren. Weitere vierzig Männer hatte erin Restelica gelassen. Er wollte Mustaflita ursprünglich bei Kepiüberfallen, hatte sich jedoch verspätet, und nun wollte erMustaflita in Prizren erschießen. Dies haben Bajazid und ichverhindert. Wir erzählten aber Doda und Bajazids Vater inPrizren alles, was in Kalis vorgefallen war. Die Wahrheit wurdein Prizren und Mitrovica bekannt, und so mußte Mustaflita nacheinigen Tagen schleunig nach Kalis zurück. Natürlich konnteauch ich ihm nicht mehr helfen.

Einige Tage später ritt ich mit Suvaris und Bajazid nachFerizaj und fuhr von dort mit der Bahn nach Skopje, wo ichanfangs Gast bei Vizekonsul Lukes war, einem eingebildetenPflanzmacher, aber nicht dumm, jedoch blasiert und affektiert.Drei Tage habe ich es als sein Gast ausgehalten, dann bin ich insHotel Turati übersiedelt.

Das Jubiläum Seiner Majestät Franz Josef traf mich inSkopje. Zu dessen Feiern bestellte ich, da es nicht angeht,häuslichen Zwist überflüssigerweise in der Fremde zu Schau zutragen, in der Messe der österreichisch-ungarischenReformgendarmen, bei denen ich meine Mahlzeiten einnahmen,naturgemäß Champagner.

Page 169: Nopcsa Reisen Balkan

Forschungsreisen in Albanien (1905-1910)

155

Während ich in Skopje war, brannte in einer Nacht diegroße serbische Schule. Der serbische Arzt Šuškaloviƒ meinte,der Brand sei von den Bulgaren gelegt worden. Der Vali war umelf Uhr nachts auf der Brandstätte, aber es gab weder Wassernoch Spritzen. Šuškaloviƒ betonte besonders, daß die Kassagerettet wurde. Auf meine Frage, ob viel Geld darin war, wurdeer aber recht verlegen, denn er fühlte, daß ich aufAgitationsgelder ausspielte. Er antwortete also, “Aber was solldenn drinnen gewesen sein? Ich weiß nicht, aber wahrscheinlichsehr wenig.” Übrigens sagte mir Šuškaloviƒ, daß jetzt auch inMonastir Brandstiftung modern sei, eine neue Variante der aufSchädigung des serbischen Elementes hinzielenden Aktion.

Im Anschluße daran erzählte er mir eine prächtigeEpisode aus dem Kosovo Polje. Ein albanischer Räuber triebeinst aus dem Hofe eines Serben vier Ochsen. Da damals aber inder Türkei gerade reformiert wurde, begann er sich vor denFolgen seiner Handlung zu fürchten und brachte daher dieOchsen nach drei Tagen dem Eigentümer zurück, erklärte, sie beieinem bekannten Räuber gesehen und diesem mit Gewaltabgenommen zu haben, was freilich nicht wahr war, undverlangte dann aber vier Pfund Finderlohn. So wurden ausOchsen melkbare Kühe.

Die Geschichte ist wohl wahr und enthält vielenköstlichen Humor. Sie zeigt auch in welchem Ausmaßereformiert wurde. Alles, was die Reformoffiziere vorschlugen,wurde von der k.u.k Botschaft in Konstantinopel abgelehnt, undein Vorgehen gegen die Albaner natürlich erst recht.

Einem Mohammedaner wurde einst von einem eifrigenReformator ein Revolver konfisziert. Der Mohammedanerprotestierte, und es erfolgte auf Befehl der Regierung dieRückgabe der Waffe. Der betreffende diensthabende Offiziersollte zuerst auch kassiert werden. Später begnügte man sich, ihnaus Skopje strafweise in die entlegenste Vilajetsecke zu

Page 170: Nopcsa Reisen Balkan

Forschungsreisen in Albanien (1905-1910)

42 Don Juan Aladro Castriota y Perez y Velasco

43 Leopold Freiherr von Chlumecky: Das westbalkanischeProblem und Italiens Kampf um die Vorherrschaft in der Adria. 2.Auflage, (Wien, Leipzig 1907).

156

transferieren. Weder die Zivilagenten noch die k.u.k Botschaftwollte sich 1907 für Reformen einsetzen. Schon 1904 waren dieTürken vor der Reformaktion erschreckt. Im Jahre 1907 waren sieaber wieder beruhigt, denn sie erkannten, daß die ganzeReformierung nur ein Scheingefecht auf Papier sei und daß manan höheren Stellen gar nicht auf den Kern der Sache dringenwollte. Der österreichische Konsul Para, der wirklich arbeiteteund eine Arbeitskraft war, wurde kalt gestellt. AndereSchwächlinge kamen an seine Stelle. Es galt die Parole, denStatus quo am Balkan rp. in Mazedonien zu erhalten. Freilichgelang dies der österreichisch-ungarischen Diplomatie nurscheinbar, denn in Wirklichkeit drang Italien im ganzenmohammedanisch-albanischen Gebiete, so in ganz Kalis, Reka,Opolje, aber auch in Krasniqi vor. Ja sein Einfluß vergrößertesich sogar unter den katholischen Geistlichen, die alleAladro-Anhänger und italophil wurden. In Aladro42 sahen sie denVerwirklicher des kleinen katholischen Albaniens. Der SkopjeKonsul Lukes aber auch Prochaska unterschätzten Italien undwogen sich in gefährlicher Sicherheit. Lukes war z. B. überChlumecky sein die italienische Frage beleuchtendes Buch43 sehrentrüstet. Es scheint von oben die Parole ausgegeben zu sein, manmüsse dem Publikum vormachen, daß Österreich-Ungarn amBalkan total desinteressiert sei.

Page 171: Nopcsa Reisen Balkan

Forschungsreisen in Albanien (1905-1910)

44 Alois Lexa Baron (Graf) von Aehrenthal (1854-1912),Außenminister Österreich-Ungarns von 1906 bis 1912.

45 János, Markgraf von Pallavicini (1848-1941), Diplomat.

157

In Mazedonien machte Aehrenthal44 auf Kosten dermazedonischen Reformen durchaus Yildizfreundliche Politik.Unsere Offiziere blieben aber konstant in Unkenntnis, daß sieeine Sisyphusarbeit zu verrichten hatten. Das Resultat diesesDoppelspieles war die ‘Sandschakbahn-Konzession’.

Der um 1908 in englischen und anderen Zeitschriftenaufgekommenen Behauptung, daß die österreichisch-ungarischeDiplomatie im Jahre 1907 ein Doppelspiel getrieben und zumScheine zwar die mazedonische Reformaktion unterstützt, inWirklichkeit aber gegen sie gearbeitet hätte, ist später vonösterreichisch-ungarischer Seite offiziell in feierlichenErklärungen entgegengetreten worden. Doch sind dieseErklärungen nur diplomatische Notlügen gewesen, denn, daß manim Jahre 1907 trotz aller Reformen um die Gunst desreformfeindlichen Sultans buhlte, bloß, um dieSandschakbahn-Konzession zu erhalten, ist mir später vomdamaligen österreichisch-ungarischen Botschafter, MarkgrafenPallavicini45, erzählt worden. Er sagte mir ja auch, daß er dieseKonzession, so zu sagen, einer Überrumpelung des Sultans zuverdanken habe und daß sie nur widerstrebend erteilt wurde.

Die Nachricht der Sandschakbahn-Konzession faßte ichals Zeichen einer aktiveren Balkanpolitik auf, was mich sehrerfreute. Ich war der Meinung, daß die sich fortwährend zwischenÖsterreich und Ungarn ergebenden Reibereien nur durch eine dieInteressen beider Teile fördernde expansive Außenpolitik aus derWelt geschafft werden könnten. Das Vorhandensein gemeinsamerInteressen ist ja nicht nur für den Zusammenhalt eines jeden

Page 172: Nopcsa Reisen Balkan

Forschungsreisen in Albanien (1905-1910)

158

Staates sondern sogar für das Zusammenhalten einerRäuberbande nötig. In jedem Augenblicke, in dem der Führereiner beliebigen, realdenkenden Einheit den Mitgliedern keinegemeinsame Vorteile sichern kann, fällt jede Einheit, sei sie einStaat, ein Kompagnongesellschaft oder auch nur eine Bande,naturgemäß auseinander.

Da mir Hussein Hilmi Pascha infolge meinesZwischenfalles in Prizren jedes weitere Reisen in der Türkeiverboten hatte und seitens der Vertreter der Monarchiedementsprechend an mich und, wie sich später zeigte, mitFreuden die Aufforderung ergangen war, meine Reisen zuunterbrechen und über Zibes…e nach Ungarn zurückzukehren, ichandererseits aber doch nicht gewillt war, meine Forschungenendgültig aufzugeben, so handelte es sich bald für mich nurdarum, dem Wortlaute dieser Aufforderungen genüge zu leisten,aber sie doch irgendwie zu umgehen.

Ich verließ daher die Türkei über Zibes…e und betrat beiSemlin (Zemun) ungarischen Boden. Von Semlin fuhr ich sofortüber Bosnisch-Brod, Sarajevo, Ragusa (Dubrovnik) und Cattaro(Kotor) nach Cetinje und verlangte nun dort, da Achmet FevziPascha über die Vorgänge in Prizren gewiß nicht informiert war,ein türkisches Visum, um nach Shkodra zu fahren. Das Visumwurde erteilt. So gelang ich wieder zu dem Ausgangspunktmeiner Reise nach Kalis, und nun handelte es sich also bloß mehrdarum, das Verbot in der Türkei zu reisen irgendwie zu umgehen.

Durch Mieten einer Jahreswohnung war dies auchmöglich, denn jetzt konnte ich das Land nicht mehr als einzufällig reisender Fremder sondern als ein in der Türkeiansässiger Ungar bereisen. Die Ausflüge aus Shkodra konntennicht mehr als ganz besondere Reisen gelten.

In Shkodra blieb ich nun bis Mitte Januar, dann fuhr ichnach Wien und blieb bis 11. März dort. Während dieser Zeitlernte Alfred Pallavicini meine Schwester kennen. Mama gab

Page 173: Nopcsa Reisen Balkan

Forschungsreisen in Albanien (1905-1910)

46 Rémy von Kwiatkowsky, Konsularbeamter in Shkodra.

159

mehrere Feste und später zwei Tanzabende im Hotel Bristol. Ichhalf beim Arrangieren dieser Feste, hauptsächlich beimZusammenstellen der Menüs. Das ganze hatte die Verlobung vonIlona und Alfred mit großem Dinner und Tanz zum Abschluß.

Meinen Aufenthalt in Wien und namentlich dievorjährige Bereisung der bis dahin noch unerforschten Prokletijenbenützte ich, um in Wien und Budapest einen Vortrag überNordalbanien zu halten. In beiden Städten fanden die Vorträgeunter den Auspizien der betreffenden geographischenGesellschaften statt, und dennoch war ihr Verlauf ein ganzanderer. In Budapest fand sich als Notabilität bloß GrafSzéchenyi Béla ein, in Wien hatte ich in meinem Auditoriumzwei Erzherzoge, Erzherzog Rainer und Erzherzog FranzSalvator, ferner eine solche Anzahl von Exzellenzen, daß dieVersammlung zu den glänzendsten der Saison gehörte. An derZusammensetzung meines Auditoriums konnte man klarerkennen, was für Fragen Budapest und was für Fragen Wieninteressierten.

Auch Monsignore Primo Doçi, der Abt der Mirditen, warerschienen. Aus Rücksicht auf Generalkonsul Kral tat ich aberseiner nicht erwähnen, und dies besiegelte endgültig unsere schonkeimende Feindschaft. Der erste Anstoß hiezu lag darin, daß ichKral zuliebe in meiner Arbeit Das katholische Nordalbanienmich nicht seiner albanischen Orthographie angenommen hatte,mich vielmehr über den albanischen Alphabetstreit lustiggemacht hatte, daß ich ferner sogar so vermessen war, einenPfarrer von Mirdita wegen Wuchers öffentlich an den Pranger zustellen, ja dies über Aufforderung des Abtes nicht revoziert hatte.All dieses wurde von Konsul Kwiatkowsky46 aus noch zuerwähnenden Gründen ausgenützt, und führte endlich zu einem

Page 174: Nopcsa Reisen Balkan

Forschungsreisen in Albanien (1905-1910)

47 Dom Ndoc Nikaj (1864-1951), albanischer Schriftsteller undVerleger.

48 Prenk Bib Doda Pasha (starb 1920), Kapidan der Mirditen.Vom 28. Mai 1914 bis zum 22. Juni 1914 war er albanischerAußenminister.

49 Theodor Anton Ippen (1861-1935), Autor und österreichisch-ungarischer Konsul in Shkodra in den Jahren 1897-1904.

160

offenen, sechs Jahre dauerndem Bruche zwischen mir und Doçiund zu einem stillen Kampfe, während dessen ich dem Abteimmer höhnischer zusetzte, bis er endlich das Vergebliche seinesZornes einsah und durch Intervention seines Vertrauensmannes,Pfarrer Dom Ndoc Nikaj47, im Jahre 1914 eine formelleVersöhnung erlangte. Eine gut gemeinter VersöhnungsversuchPrenk Bib Dodas48 hatte noch im Jahre 1910 einen Mißerfolg zuverzeichnen.

In Punkto Kwiatkowsky ist folgendes zu bemerken.Nachdem Th. Ippen49 Generalkonsul geworden und nachlangjähriger erfolgreicher Tätigkeit Shkodra verlassen hatte, undKwiatkowsky als Vizekonsul provisorisch das SkutarinerKonsulat führte, sollte an die endgültige Besetzung dieser Stellegeschritten werden. Es gab für diesen Posten nur zwei ernsteKandidaten: Kwiatkowsky, der schon in Shkodra war, sich dortganz auf den katholischen Klerus stützte, rein klerikale Politikbetrieb, mit den türkischen Behörden dem Klerus zuliebemanchen sehr scharfen Konflikt hatte, und unter dem sich dieKluft zwischen katholischen und mohammedanischen Albanernzu erweitern drohte, und Konsul Kral, der damals in Monastiramtierte, in erster Linie mit den dortigen mohammedanischenPatrioten Albaniens Beziehungen hatte, und dahin arbeitenwollte, die Mohammedaner Shkodras für die albanische Sache zu

Page 175: Nopcsa Reisen Balkan

Forschungsreisen in Albanien (1905-1910)

50 Gjergj Pekmezi (1872-1938), albanischerSprachwissenschaftler.

161

gewinnen, was freilich nur durch ein schwächeres Einstehen fürden katholischen Klerus erzielt werden konnte. Das Ministeriumdes Äußeren entschied sich für Krals Ernennung undKwiatkowsky wurde, so zu sagen, aus Entschädigung alsReferent für albanische Angelegenheiten ins Ministeriumberufen. Kwiatkowsky war mit dieser Lösung nicht zufrieden under benützte seine Stellung, um gegen Kral zu intrigieren. Ich hieltes in Shkodra für meine Pflicht, unseren dortigen Vertreter, alsoKral, zu unterstützen. Kwiatkowsky war also unter meinenGegnern.

Während meines Vortrages über Albanien setzte er sichneben Doçi, der sein Freund war, und erklärte ihm die Stellen,die, wie er meinte, Doçi mit mir verfeinden könnten. Dies hattedementsprechend auch beinah böse Folgen, doch erschrak ichnicht, und so war nur die langdauernde Verfeindung mit demAbte der Mirditen das einzige Resultat dieser Übersetzung.Freilich zahlte ich, um den von Kwiatkowsky inszenierten Sturmzu beschwichtigen, einen anderen Albaner, G. Pekmezi50, sofortnach dem Vortrag 250 Kronen und zwar nominell, um ihm dieHerausgabe seiner Albanischen Bibliographie zu erleichtern.

Außer wissenschaftlichen Arbeiten beschäftigte ich michauch mit sonstigen Albanien betreffenden Fragen und, da damalsals Antwort auf die Sandschakbahn-Konzession auch der Bau derDrintalbahn erörtert wurde, setzte ich mich mit SektionschefRiedel, der für den Bau einer von Cattaro nach Dibra führendenBahn eintrat, in Verbindung. Ich proponierte im Anschluße an dieSandschakbahn den Bau einer Bahn, die von Ferizaj über Spasund Orosh nach Ndërfandina reichen sollte und einer weiteren,die von Cattaro über Ndërfandina nach Dibra zu führen hatte. In

Page 176: Nopcsa Reisen Balkan

Forschungsreisen in Albanien (1905-1910)

51 Ein Vorort von Arad im rumänischen Banat.

162

der Österreichischen Rundschau publizierte ich, allerdingsanonym, einen diesbezüglichen Artikel.

Mitte März fuhr ich nach Szacsal und blieb bis EndeApril dort. Im Mai kehrte ich nach Wien zurück, wo ich bis Juliblieb. Anfang Juli fuhr ich wieder nach Shkodra, doch bekam ichdort eine Beinhautentzündung des rechten Oberkieferknochens.Dort sammelte ich in Kçira Triasmaterial und kam am 18. Julinach Wien, wo mich Dr. Karolyi behandelte. Einige Tage nachmeiner Abfahrt aus der Türkei brach die JungtürkischeRevolution los. In Shkodra war einiges darüber schon früherbekannt, denn mit mir hatte jemand schon bei meiner Abreisegewettet, daß große Sachen vorgehen. Ich wollte es nicht glaubenund verlor die Wette. Anfang September fuhr ich auf einige Tagenach Ujárad51, dann in Eleck seinem Automobil über Temeswar,Lugos (Lugoj) und CaransebeÕ nach Szacsal, wo damals dieHochzeit meiner Schwester mit dem Markgrafen AlfredPallavicini stattfand. Mir gefiel es, daß zu der Hochzeit auchrumänische Bauern geladen waren, denn so etwas ist politischklug.

Ende September fuhr ich wieder nach Albanien. Hurrah!Keine Reiseschwierigkeiten seitens der neuen türkischenRegierung. Es herrschte Flitterwochenstimmung im ganzenLande. Ich lernte den nach Mirdita zurückgekehrten Prenk BibDoda kennen. Er ist infolge neuroser Prädisposition sexuellimpotent, und die bewirkt einen unentschlossenen wankelmütigenCharakter, außerdem hat er ein Glasauge, was er vor den Mirditenverheimlicht. Sonst ist er eben nicht dumm und hat in Mirditasehr großen Einfluß geerbt. Er ist der Stammesfürst diesesGebietes. Sein Einfluß läßt sich am besten dadurch illustrieren,daß er im Jahre 1912 nach öffentlicher Gerichtsverhandlung

Page 177: Nopcsa Reisen Balkan

Forschungsreisen in Albanien (1905-1910)

163

einen Mann zu Tode verurteilen und hinrichten ließ, also eineHandlung vornehmen konnte, die man sonst als das Privilegiumregierender Fürsten ansieht. Ich untersuchte während meinerReisen vorwiegend Shala und Nikaj und während dieser Reisetrug ich und nun schon zum zweiten Male albanische Kleider.Zum Unterschiede zu 1907 ließ ich mir diesmal auch das Haar bisauf einen perçe, das heißt eine Haarquaste am Scheitel rasieren.Mit Mehmed Zeneli aus Shala, seinen Bruder Keçan Deda undGjelosh Rama aus Curraj i Epërm hauste ich damals einemRäuber gleich in der vereisten Shpella e Bravnikut, wohin wirzwei Hammel und entsprechenden Proviant, ferner Pelzemitgenommen hatten. Von der Shpella e Bravnikut ausunternahm ich Ausflüge in das Gebiet der Krasniqi, doch nötigtenuns schlechtes Wetter und Schnee bald zum Rückzuge nachCurraj i Epërm. Von hier kehrte ich, trotzdem daß ich mitschweren engen Schafswollkleidern und Opanken bekleidet war,bei Regen und Schnee zurück, was man sonst als eine ziemlicheTagesleistung zu gelten pflegte. Freilich habe ich meinenBegleitern bei dieser Gelegenheit nur einmal so lange Zeit zumRasten gewährt, daß sie sich Zigaretten drehen und dieselbenanzünden konnten. Ein späterer mehrtägiger Aufenthalt in Curraji Epërm gehörte zu den angenehmsten Perioden meineralbanischen Reisen. In Curraj gab es ein leerstehendes Gebäude,das eine große, zur Zeit meines Besuches freilich alsGetreidespeicher verwendete Kirche und mehrere allerdingsunmöblierte Zimmer mit ungeweißelten Mauern aufwies. Indiesem Gebäude quartierte ich mich mit Mehmed Zeneli ein. Wirbereiteten aus Heu zwei insektenfreie Lager. Die Curraj erfuhrenvon meiner Anwesenheit. Sie wußten außerdem, daß es in derPfarre nichts zu essen gab, und so lud mich jeden Abend eineFamilie zum Abendessen ein. Ich nahm die Einladungen an undkehrte darauf in der Nacht bei Fackelbeleuchtung von dembetreffenden Hause zu meinem Quartier zurück. In der Frühe

Page 178: Nopcsa Reisen Balkan

Forschungsreisen in Albanien (1905-1910)

164

kamen regelmäßig verschiedene Curraj-Leute mich besuchen.Jeder brachte etwas zum Essen mit: Fische, Fleisch, Salz,Zwiebel, Sauerkraut, Äpfel, Schnaps u. dgl. Mit diesem Materialebereitete Mehmed ein Mittagsmahl. Für mich und meine Gästediente dann ein Tuch als Tisch, und so speisten wir alle auf dieseWeise, ich und alle meine mich verproviantierenden Besucher, inopulenter Weise. Die Curraj gehörten im Jahre 1908 nebst denMerturi zu den unverdorbensten Leuten, die ich in Albanienantraf. Die Grauslichsten waren schon damals die geldgierigenThethi.

Besonders interessant war es, wie die Tatsache, daß ichwährend dieser ganzen Zeit albanische Kleider an hatte undlandesüblich rasiert war, auf die primitiven Curraj wirkte.Anfangs, als ich nach Albanien gekommen war, hätte ich eswahlweislich vermieden, albanische Kleider anzuziehen, denn ichsagte mir, dies würde die Leute in ihrem Verdachte, daß ich etwasbesonderes vorhätte, nur bestärken. Außerdem hätte es alsZeichen der Furcht meinem Ansehen geschadet. Später aber, alsmich alle kannten und alle mir schon sagten, daß ich infolgemeines langen Aufenthaltes im Gebirge selbst ein malësorgeworden wäre, da glaubte ich mir, diesen Luxus leisten zudürfen. Wenn es zu nichts anderem gut gewesen wäre, so führtees wenigstens dazu, daß ich viele albanische Märchen hörte.Wenn früher, als ich europäisch gekleidet einherging, einGebirgler in meiner Gegenwart ein Märchen zu erzählen anfing,und dann zufällig sein Blick auf mich fiel, so verstummte eraugenblicklich und zwar einfach deshalb, weil er durch denAnblick meiner fremden Kleider unwillkürlich zum Bewußtseinkam, daß ich als Fremder anwesend sei und seinen Märchenlausche. Es geschah ja, daß er wirklich verlegen wurde und michbat, den eben gehörten ‘Dummheiten’ kein Gewicht beizulegen.Wenn ich jedoch in albanischen Kleidern da saß, so pflegte meineGegenwart, sogar wenn alle über mich im Klaren waren, doch

Page 179: Nopcsa Reisen Balkan

Forschungsreisen in Albanien (1905-1910)

52 Franz Graf Conrad von Hötzendorf - österreichisch-ungarischer Feldmarschall-Leutnant und Generalstabschef.

165

nicht zu stören, und zwar einfach deshalb, weil sich dann dieTatsache, daß ich ein Fremder sei, infolge meiner Tracht dochnicht so ungestüm vor ihr geistiges Auge drängte. Ganz analogepsychologische Vorgänge beobachtete ich übrigens später auchunter den rumänischen Schafhirten Siebenbürgens. Daß ich inAlbanien auch das Wahrsagen aus den Schulterblätterngeschlachteter Ziegen und Schafen und dergleichen‘Kleinigkeiten’ erlernte, versteht sich von selbst.

Die Annexion Bosniens und der Herzegovina durchÖsterreich-Ungarn erfuhr ich freilich als zwei Wochen alteTatsache hoch oben auf der Qafa e Mrethit an der Grenzezwischen Curraj und Vrana. Ich feuerte fünf scharfe Schüsse abund erklärte den Nikaj und Shala, die bei mir waren, was dies zubedeuten hatte.

Mir schien diese der Sandschakbahn-Konzession schnellfolgende Nachricht ein Zeichen dafür zu sein, daß die Monarchiezu einer aktiven Balkanpolitik übergehen wolle.

Ende Dezember 1908 und Anfang 1909 verbrachte ich inFamilienangelegenheiten in Ujárad. Mitte Jänner fuhr ich nachWien, wo ich wegen einer im Kriegsfalle gegen Montenegro zuunternehmenden Aktion mit dem mir bis dahin unbekanntenGeneralstabschef, Exzellenz Conrad52, zu verhandeln hatte.

Exzellenz Conrad war impulsiv, jäh, leidenschaftlich,sein Gedankengang klar, genial, sein Auffassungsvermögenrapid, dazu war er durch und durch Idealist, als solcher gütig, undfür alles Schöne und Gute sehr empfänglich. Seine Liebe zuseinem alten Mütterchen (einer Porzellanfigur ‘vieux saxe’) warstets rührend. Spätere Kämpfe haben ihn rasch gebrochen, dennsie nagten an seinem Herzen und infolge seines Idealismus und

Page 180: Nopcsa Reisen Balkan

Forschungsreisen in Albanien (1905-1910)

53 István Graf Tisza von Boros-Jenö (1861-1918) - ungarischerPolitiker und Ministerpräsident.

166

seiner Impulsivität litt er so stark, daß er sich selbst verzehrte.Infolge seiner Güte trat durch diese Veränderung eine gewisseSchwäche in den Vordergrund seines Wesens, und hiedurchwurde er von seiner Umgebung öfter leicht und unvorteilhaftbeeinflußt. Als Idealist war er nie ein Menschenkenner gewesen,da er alle Menschen nach sich zu beurteilen pflegte, und da er nunin späteren Jahren von seiner Umgebung beeinflußbar war, sokonnte man sich auf ihm nicht verlassen. Er beging alsounbewußt ebenso ‘Sachen’, wie jene Leute seiner Umgebung, beidenen einem dies auch sonst nicht überrascht.

Seiner Umgebung hatte es auch Conrad zu verdanken,daß er als Feldherr keine durchschlagenden Erfolge erzielenkonnte. Nur einmal hatte er da Glück, daß ein von ihmentworfener Plan von deutschen Truppen und deutschenOffizieren durchgeführt wurde. Dann blieb aber auch der Erfolgnicht aus. Dies war bei Gorlice, als die russischen Reihendurchbrochen wurden. Die mit österreichischen Offizierendurchgeführte südtiroler Offensive verlief in den Sand oder blieb,genauer gesagt, stecken. Österreich-Ungarn war eben bloß einKonglomerat in dem ‘weitergewurstelt’ wurde (AusspruchTaffes).

Graf Stefan Tisza53 nannte Conrad gelegentlich einen‘merkwürdigen Menschen’. Der jeden Schritt wohl überlegendeGraf Tisza konnte den impulsiven General, dessen Genialität ihmjedenfalls nicht entgangen war, naturgemäß nicht anderscharakterisieren. Nach dem Niederbruche schrieb Conrad wie einhiezu verurteilter Galeerensklave seine Memoiren, aber seinehelle und begeisterungsfähige Seele war schon lange vorher tot.

Page 181: Nopcsa Reisen Balkan

Forschungsreisen in Albanien (1905-1910)

54 Karl Baron von Macchio - österreichisch-ungarischerDiplomat, später österreichisch-ungarischer Botschafter in Rom.

55 Alexander Freiherr von Krobatin - österreichisch-ungarischerFeldmarschall-Leutnant und Kriegsminister.

167

Im Gespräche mit Conrad wurde folgendes fixiert. ImFalle eines gegen Serbien und Montenegro gerichteten Kriegeswäre auch in Nordalbanien eine gegen Montenegro gerichteteAktion zu unternehmen, und zu diesem Zwecke wären also schonvor Kriegsausbruch die Nordalbaner zu bewaffnen. Zu diesemZwecke wären noch vor einer Kriegserklärung 10.000Mannlicher Karabiner und eine Million Patronen nach Albanienzu schmuggeln und den Albanern zu übergeben. Außerdem solltedort, um für uns Stimmung zu machen, die Summe von 30.000 K.verteilt werden. Vorauszusehen war, daß infolge der türkischenKüstenwache und des Mangels an Transportmitteln und derschlechten Wege dieses Waffenquantum nur sukzessiv in dasLand gebracht werden könne. Es wurde daher von mir und denMilitärbehörden noch ausgerechnet und bestimmt, daß zu soeinem Schmuggel wenigstens anderthalb Monate nötig seien. Dererste einer solchen Aktion dienende Waffentransport hatte alsoAnfang Februar in Albanien zu landen. Diesem militärischenProgramme stimmte im Namen des Ministeriums des Äußerenauch Exzellenz Macchio54 bei. Die Waffen sollte ich vom Arsenalerhalten. Wegen der Verpackung der Waffen trat ich also mit demdamaligen Arsenaldirektor Krobatin55, dem späterenKriegsminister, in Berührung. Als Landungsort der Waffen wardie Küste bei Bregumatja in Aussicht genommen. Nachdem ichauf diese Weise in Wien die Angelegenheit geordnet hatte, kamich am 13. Jänner, 600 scharfe Mannlicher-Patronen am Leib mitschmuggelnd, was 25 Kilo wog, nach Shkodra, und begann im

Page 182: Nopcsa Reisen Balkan

Forschungsreisen in Albanien (1905-1910)

168

Vereine mit dem Generalkonsulate bald zu handeln. Die 600Patronen hatten nämlich eine starke Wirkung.

Ende Jänner erhielten wir beide, also Kral und ich,meinen Besprechungen mit Conrad zuwiderlaufende Befehle.Gerade als ich in Bregumatja war und den Landungspunktunserer Waffen durch Winkelmessungen bestimmt hatte, also ca.10 Tage nach der endgültigen Wiener Unterredung, erreichtemich ein Bote von Konsul Kral und brachte mir die Nachricht,sofort nach Shkodra zu kommen. Als ich richtig dorten eintraf,sagte mir der Konsul, es sei aus Wien vom Ministerium desÄußeren eben der Befehl gekommen, daß unserWaffenschmuggel erst nach der Kriegserklärung zu beginnenhabe. Ich fand diese Verordnung unbegreiflich und schrieb dahersofort an Exzellenz Macchio, daß ich dies für einen Unsinn hielt.Erstens würden die ohnehin mit den Serben sympathisierendenJungtürken bei Kriegsausbruch ihre Neutralität erklären, daherdie albanische Küste strenger denn je bewachen, zweitens würdedie erste Erregung unter den Albanern bald nach derKriegserklärung ablaufen, und es würde sogar dann, wenn dervollkommen unmögliche Waffenschmuggel gelänge, später wohlsehr schwer sein, die Albaner gegen Montenegro aufzuhetzen.Dies schien mir zu genügen. Auf die Schwierigkeit desSchmuggels nach der Kriegserklärung bezug habend stand inmeinem Briefe folgendes zu lesen: “Es würde mich interessierenzu erfahren, wie sich Exzellenz unter solchen Umständen einenSchmuggel eigentlich vorstellen.” Statt Macchio antworteteOppenheim an Generalkonsul Kral. Es blieb aber bei derVerordnung. Der Schmuggel begann nicht. Wir erhielten aber30.000 K. Während wir nun alles möglichst geheim betrieben unddie Agitationsgelder verteilend eine solche Erregunghervorriefen, daß Montenegro an der ihm befreundeten türkischenGrenze 3.000 Soldaten aufstellte, und man die von unsausgegebenen Gelder auf Millionen schätzte, und während wir

Page 183: Nopcsa Reisen Balkan

Forschungsreisen in Albanien (1905-1910)

169

uns über das Ausbleiben der Waffen ärgerten, konnten wir beidezu unserer Überraschung eines Tages in der Zeit die Nachrichtlesen, daß ungarische Finanzbehörden an Bord des DampfersSkodra der Ungaro-Croata in Fiume (Rijeka) mehrere Kisten mitmodernen, nach Albanien bestimmten Gewehren konfiszierthätten. So waren unsere Pläne in die Öffentlichkeit gedrungen.Die Schuld war ausschließlich auf den Ballhausplatz zu schieben.Offenbar hatte man dort unseren Schmuggel ganz besondersgeheim betreiben wollen. Man hatte es daher unterlassen, dieungarische Finanzbehörden in das Geheimnis einzuweihen, unddies war dann die Folge. Es zeigte sich, daß die Leute amBallhausplatz schlechte Schmuggler seien. Ich ahnte dies schondamals. Die Richtigkeit meiner damaligen diesbezüglichenVermutung wurde mir vom Delegationsreferenten fürAuswärtigen Angelegenheiten, Graf Thoroczkay Miklos, imJahre 1915 bestätigt. In Anschluße an die Ivánka-Interpellation,auf die wir noch zurückzukehren haben, erklärte er mir damals,daß Sucht nach Geheimnistuerei das Ministerium des Äußeren imJahre 1909 dazu bewogen hatte, die ganze Bewaffnung derAlbaner sogar vor dem ungarischen Minister des Inneren, F.Kossuth, geheim zu halten. Ich war boshaft genug, um ein Jahr nach der Annexion ExzellenzConrad eingehend zu fragen, ob er seine von den ungarischenFinanzbehörden konfiszierten Waffen je zurückbekommen hätte,und da zeigte es sich wieder, daß man ihm den ganzen Vorfall derKonfiskation verheimlicht hatte. Mir stellten infolge meinerAgitation unter den Albanern zuerst die türkischen Behördeneinen Polizisten vor das Haustor. Nach einem Protest meinerseitserschien später ein als Bettler verkleideter Polizeiunteroffizier anderselben Stelle. Meine Diener erkannten auch den Unteroffiziertrotz seiner Verkleidung, und so grüßte ich ihn und ließ ihm einenSessel offerieren. Nach dieser Demaskierung mußte natürlichauch der Bettler verschwinden. Als Folge wurde nun der ganze

Page 184: Nopcsa Reisen Balkan

Forschungsreisen in Albanien (1905-1910)

170

Häuserblock, in dem sich mein Haus und das Konsulat befanden,beim Eingange der vier Straßen von mehreren Polizistenblockiert, und die Namen aller Leute, die zu uns kamen, wurdenvon der Polizisten aufgeschrieben. Natürlich ist aus derBewaffnung der Albaner nichts geworden. An der ganzen Aktionzeigte sich schon damals, wie der Ballhausplatz marastisch unddabei inkonsequent und dumm war. Natürlich war auch wegenmeines Briefes zwischen mir und Exzellenz Macchio einemerkliche Spannung zurückgeblieben.

Es versteht sich von selbst, daß der antiösterreichischeBoykott, den die Annexionskrise mit sich brachte, auch inShkodra und Lezha in voller Blüte stand. Hier wurde ernamentlich von Sadri Keçe, einem Mohammedaner des StammesKelmendi, gefördert.

Da ich gerade damals durch die Vermittlung derAustro-Orientalischen Handelsgesellschaft eine größereLinoleumsendung erhalten hatte, hätte fast auch ich unter demBoykott leiden müssen. Das Linoleum war angekommen, undnun hätte Herr Nesavdal, der Vertreter der Firma, es mir in dieWohnung zustellen sollen, doch es verging ein Tag nach demanderen, und das Linoleum kam nicht. Nesavdal sagte mir,“Morgen, morgen”, er konnte es aber wegen des Boykottes nichtaus dem Zollamte bringen. Als mir die Sache zu dumm wurde,beschloß ich selbst zu handeln und zu diesem Zwecke teilte ichmeinen Dienern mit, daß sie demnächst genötigt sein würden, indas Gebirge zu gehen, um mir von dort zwanzig bis dreißigtapfere, bewaffnete Leute herabzubringen, denn ich hätte dieAbsicht, mich demnächst an der Spitze einer bewaffneten Schaarins Zollamt zu begeben, um mein Linoleum selbst mit Gewalt zuholen. Meine Diener erzählten ihren Auftrag weiter und, als nundas Gerücht flügge war und allen Leuten zu Ohren gedrungensein mußte, da begab ich mich persönlich, allerdings noch ohneLeibgarde ins Zollamt, um die Zollformalitäten zu erfüllen.

Page 185: Nopcsa Reisen Balkan

Forschungsreisen in Albanien (1905-1910)

171

Gesprächsweise sagte ich dem Zolldirektor, daß ich das Linoleumdieser Tage abholen würde. Er erklärte mir, zu seinem Bedauernsei dies wegen des Streikes der Lastträger (Hamals) nichtmöglich. Doch ich dankte verbindlich lächelnd für die Mitteilung,beruhigte seine Sorge und versicherte ihm, alles würde sichglätten. Ich hätte, meinte ich en passant, schon die nötigenMaßregeln getroffen. Gegen die Gewalt der Boykottleute würdeich Gegengewalt benützen. Da ich kurz vor diesem GesprächeMehmed Pardo Effendi, einen skutariner Mohammedaner, dermir nahe getreten war, durch einige Leute in seiner Apothekemitten in Shkodra, freilich so, daß man es mir nicht nachweisenkonnte, sehr gründlich verhauen hatte lassen, und da auch einkatholischer Pfarrer konstant in Gefahr war vom gleichenSchicksal betroffen zu werden, und da ich auch sonst in Shkodraals Schetan (Teufel) bekannt war, hielt man mich auch einergewalttätigen Handlung gegen die Boykottleute für fähig.Vierundzwanzig Stunden nach meinem Besuche ging Nesavdalerneut ins Zollamt zu reklamieren, worauf die Hamals meinLinoleum ordnungsgemäß auf zwei Ochsenkarren verluden undich es unversehrt in meiner Wohnung zugestellt erhielt. Natürlichversäumte ich nicht dem Zolldirektor meinen verbindlichen Dankausdrücken zu lassen, und damit war unser freundschaftlicherVerkehr auch für die Zukunft gewahrt geblieben. Hätte unserJubelgreis in Konstantinopel, Botschafter Markgraf Pallavicini,gleich beim Ausbruch des Boykotts in Konstantinopel ähnlicheGegenmaßregeln ergriffen, wären momentan 200 fremdeLastträger am Schauplatze erschienen, und hätte er auch seinKonsulat in diesem Sinne instruiert, so hätte der Boykott einenganz anderen Verlauf genommen.

Die Türken waren ja fast immer zu allem fähig, aberdennoch zögerten sie meist, eine Sache allzu sehr zu vergiftenund es auf einen in Bezug auf Ausgang ungewissen akutenKonflikt ankommen zu lassen. Dies war der Grund, weshalb ein

Page 186: Nopcsa Reisen Balkan

Forschungsreisen in Albanien (1905-1910)

172

kluger, dabei aber doch entschlossener Mensch bei nur halbwegsgünstigen Aussichten in der Türkei meist reüssierte. Er mußte nurbereit sein, alles auf eine Karte zu setzen und seine Energie zurGeltung zu bringen, ohne das türkische Ehregefühl demonstrativund öffentlich zu kränken. Im letzteren Falle war freilich derGekränkte und öffentlich Bloßgestellte nolens volens zumAufbäumen genötigt. Gelang es, einen Beamten sacht zuignorieren, hatte so etwas gar keine weiteren Folgen, indem esder beiseite geschobene Beamte einfach als eine Fügung desSchicksals hinnahm. Erniedrigungen unter vier Augen ertrugendie Türken infolge der bei ihnen geltenden Willkürherrschaftbedeutend leichter, als wir ‘Europäer’.

Die Annexionskrise verlief, und bis zum 15. Juli blieb ichin Albanien. Während der ganzen Zeit war Bedri Pascha Vali,und ich hatte mit ihm manches Scharmützel.

Einst ließ er mir vormittags durch einen Polizisten sagen,daß er nach seinem Essen an diesem Tag ausnahmsweise einehalbe Stunde früher ins Amt gehen würde, denn er hätte mit mirdort ungestört zu reden. Ich sagte dem Polizisten, “Melde demVali, daß ich seine Botschaft gehört habe,” dann ging ich abernatürlich nicht zum Vali hin, ließ ihn vielmehr bis Abendszappeln. Abends erfolgte eine Intervention des Konsuls, wie derVali es eigentlich wagen könne, einen österreichisch-ungarischenUntertan kurzerhand und durch einen Polizisten zu sich zu rufen.Der Vali sagte, es war keine Vorladung, sondern eine Einladungauf einen schwarzen Kaffee, und auf diese Erklärung erhielt derVali von mir folgendes Schreiben, “Ayant compris par leDrogman de votre consulat que l’agent de police ne m’a pas, cetaprès-midi, cité par devant l’autorité, mais que Votre Excellencea eu l’amabilité de m’inviter chez elle par voie privée et commeami, je regrette d’avoir manqué cette occasion de m’entreteniravec Votre Excellence. Je me ferai un devoir de vous rendre visiteprochainement et me permets en attendant de vous présenter

Page 187: Nopcsa Reisen Balkan

Forschungsreisen in Albanien (1905-1910)

173

quelques unes de mes publications. Veuillez agréer, Excellence,l’assurance de ma plus haute considération.”

Ein anderes Mal versuchte der Vali ein anderes Mittel. Ersagte mir, ich dürfe in Albanien reisen, müsse aber einen Zaptiehals Begleiter nehmen. Die Falle war nicht übel, denn alle Zaptiehsmußten stets, wenn sie nicht selbst in Verdacht kommen wollten,sie seien von den Reisenden bestochen, den Behörden melden,daß dieser oder jener Reisende irgendwie agitiert habe. AufGrund dieser Rapporte konnte die Regierung dann jedermann dasReisen verbieten, außerdem war aber ein Reisen mitRegierungseskorte in Albanien, wie ich selbst erfahren hatte, sehrgefährlich, und viele verzichteten daher gern auf eine solcheReise. Es gab also Gründe genug, weshalb ich Bedris Offerteablehnen wollte, und so gerne ich nun auch statt eines Zaptieheinen Diener von Prenk Bib Doda mitgenommen hätte, so wardoch auch dies nicht möglich, denn, da Prenk Bib Doda Katholikwar, dem die Türken mistrauten, so wäre dies aufgefallen und mirdaher vom Vali, wenn ich ihn darum gebeten hätte, höchstwahrscheinlich nicht bewilligt worden. Ich mußte gute Mienezum bösen Spiel machen und Bedris Proposition akzeptieren.Aber ich beschloß, meine Ziele auf Umwegen zu erreichen.Programmgemäß trat ich meine Reise nach Mirdita mit einemZaptieh an, veranlaßte aber, durch Vermittlung des Franziskanersvon Gomsiqe und Pal Nikas, den Mirditen Nue Laska in Dush iPoshtër sowohl gegen meinen Zaptieh als auch mich Stellung zunehmen. Nue tat es und weigerte sich, auf unsere diesbezüglicheBitte, uns weiter zu begleiten. Ich markierte heftiges Erschrecken,der Zaptieh erschrak gleichfalls aber aufrichtig und ehrlich, dannunterbrach ich meine Reise, eilte nach Shkodra und beklagtemich beim Vali. Der Vali kam in Verlegenheit, erkannte, daß erschuld war und, um sich aus der Klemme zu ziehen, meinte ernun endlich, ich solle, wenn ich Mirdita bereisen wolle, statt einesZaptieh einen Diener des Mirditenprinzen Prenk Bib Doda als

Page 188: Nopcsa Reisen Balkan

Forschungsreisen in Albanien (1905-1910)

174

Begleiter mitnehmen. Es geschah, sowie ich wollte. Ich verließShkodra ostentativ mit Prenk Bib Dodas Diener, konnte dann sehrbald auch diesen entlassen, und dann reiste ich allein weiter. Sohatte ich das, was mir auf geradem Wege abgeschlagen wordenwäre, auf Umwegen erreicht. Außer großen Gefechten gab es mitdem Vali auch kleine Duelle. Bei einer Gelegenheit sagte mirBedri doch ausdrücklich betonend, daß er nicht als Vali sondernals mein Freund rede, daß mein langer Aufenthalt in ShkodraAufsehen hervorrufe und daß es daher für mich gut wäre, dieTürkei für einige Zeit zu verlassen. Ich nahm seinen Rat sofort anund erklärte in sechsunddreißig Stunden nach Cetinje zu fahren.Der Vali war erfreut aber er fragte weiter, wann ichzurückzukommen gedenke. Ich sagte, “Übermorgen.” Daraufschwieg der Vali.

Sehr lustig war es, als ich einst in einer dem Valiunangenehmen Angelegenheit zu ihm ging, und dieser, demZwecke meines Besuches wohl ahnend, mich zwar empfing, dannaber gleich über die Schmerzen, die er infolge seiner Krankheitauszustehen hätte, herzerweichend zu klagen anfing. Er hoffte,ich würde es nicht über mich bringen, einem so schwer leidendenMann, wie er zu sein angab, eine Unannehmlichkeit zu sagen. Daich vom Generalkonsul Kral bereits informiert war, daß der Valigerade dann stets von heftigen körperlichen Schmerzen gepeinigtzu sein angab, wenn man mit einer Rekrimination zu ihm kam,verbrachte ich mehr als eine Viertelstunde damit, den Vali zubedauern. Endlich sagte ich aber, gleichsam um ihn zu trösten,daß jedermann auf dieser Welt Unannehmlichkeiten hätte, brachteihm dann auf diese Weise endlich auch meinen Fall vor und bat,er möge, da er selbst die Unannehmlichkeit körperlicherSchmerzen spüre, auch mir in meiner unangenehmen Lage helfen.Mit anderen Worten forderte ich Bedri Pascha auf, das, was erschlau eingefädelt hatte, wieder zu annullieren.

Page 189: Nopcsa Reisen Balkan

Forschungsreisen in Albanien (1905-1910)

56 Lazër Mjedja, bzw. Mjeda (1869-1935), Erzbischof vonShkodra.

175

Meine Reisen des Jahres 1909 betrafen zuerst daszwischen dem Hauptwege Prizren-Shkodra und dem Dringelegenen Gebiet, dann ging ich bei Raja auf das Nordufer desDrin über und arbeitete mich gegen Westen, bis ich Mazrekunweit Shkodra erreichte. Von Mazrek wollte ich gegen Nordendringen, um zuerst den Südfuß, dann den Kamm dernordalbanischen Alpen zu untersuchen, doch hinderte mich meinealte Krankheit an der Ausführung dieses Planes.

Im Jahre 1909 wurde ich übrigens in eine albanischeLiebesangelegenheit verwickelt. Der Bruder meines Probatim,Sokol Shytani, aus Shala war mit einem Mädchen aus Dardha eShoshit verlobt und, als die für die Hochzeit verabredete Zeitherbei kam, brachten ihm die Shoshileute das schöne zu einemluderlichen Lebenswandel inklinierende Mädchen in seine Kula.Um den Shala nicht heiraten zu müssen, verzögerte das Mädchen,auch nachdem es im Hause des Bräutigams war, unter allerleiVorwänden den Gang in die Kirche. Es lebte einige Tage also imKonkubinat. Zuletzt täuschte es Krankheit vor und bat SokolShytani bei mir zu intervenieren, damit es bis zu seiner Genesungdurch meine Protektion im österreichischen Spital in Shkodraaufgenommen werde. Sokol Shytani brachte also nichts ahnenddas Mädchen zu mir in meine Wohnung. Ich versprach, SokolsWunsch zu erfüllen, und außerdem versprach ich ihm, dasMädchen nach der Ausheilung sicher zurückzuerstatten. WieSokol Shytani nun aus Shkodra fort war, und das Mädchen alleinbei mir blieb, da erklärte es zu meiner Überraschung mir undErzbischof Monsignore Mjedja56, daß es gar nicht krank sei,daher auch nicht in den Spital wolle, und daß das Ganze vielmehrnur eine Finte gewesen sei, um aus dem Hause Sokol Shytanis zu

Page 190: Nopcsa Reisen Balkan

Forschungsreisen in Albanien (1905-1910)

176

entkommen. Es bat uns beide, es nicht wieder dorthinzurückzugeben, um weder zu einem Konkubinate oder noch, umdiesem zu entgehen, zu einem Selbstmord gezwungen zu werden.Meine Lage war prekär. Gab ich das Mädchen dem Shala nichtzurück, so würde ich der Beihilfe and der Flucht einer nachStammesgesetzen getrauten Gattin schuldig befunden werden undwäre also der Blutrache der Shala und Shoshi verfallen. Lieferteich das Mädchen hingegen dem Bräutigame aus, so wäre ichwieder dem großen in Albanien noch mit Feierlichkeitenverhängten Kirchenbann verfallen. Dann hätte ich den ganzenKlerus und dazu auch noch die meisten in puncto Aberglaubenden Pfarrern ergebenen Bergbewohner gegen mich gehabt. DaSokol Shytani das Mädchen mir übergeben hatte und es von mirzurückverlangen würde, durfte ich es auch aus meinem Hauseweder in ein Kloster noch überhaupt sonst wohin fliehen lassen.Obwohl ich nur männliche Dienerschaft hatte, mußte ich dasMädchen förmlich gefangen halten und bewachen. Ich ließ alsovor allen, das Mädchen bei mir einsperren, und trachtete, dieSache in die Länge zu ziehen. Der Satz, “Zeit gewonnen, allesgewonnen” hatte sich mir allzu oft bewährt. In einerBraunkohleangelegenheit fuhr ich um diese Zeit nach Durrës undwar daher, als Sokol das erste Mal um das Mädchen kam, wiezufällig nicht zu Hause. Meine Sekretär Bajazid weigerte sichwegen Mangel an Bevollmächtigung, das Mädchen Sokol zuübergeben. Dies überraschte naturgemäß Sokol Shytani. Ererkannte, daß etwas nicht ganz in Ordnung sei. Das erste Gefechtin diesem Strauße war also geliefert und gewonnen. Ich konntenun hoffen, die Sache noch weiter zu verzögern. Bei meinerRückkehr aus Durrës forderte mich aber das k.u.k.österreichisch-ungarische Konsulat in Shkodra unvermutet auf,das bei mir gefangen gehaltene Mädchen zu entlassen, undmotivierte dies damit, daß dies auf mich ein schlechtes Lichtwerfe. Diese Aufforderung komplizierte die Situation und, als

Page 191: Nopcsa Reisen Balkan

Forschungsreisen in Albanien (1905-1910)

177

nun außerdem Sokol Shytani von meiner Rückkehr nach Shkodrain Kenntnis gesetzt wurde und zum zweiten Mal um die Brautseines Bruders kam, und als endlich das Benehmen meiner Dienerdem hübschen Mädchen gegenüber zwar weit entlegene, aberbedenkliche Folgen nach sich ziehen drohte, war die Krise da. Esgelang mir, Sokol Shytani, den Chef des Hauses in Dardha eShoshit und den Erzbischof Mjedja in meiner Wohnung zuversammeln.

Das Mädchen fühlte im Nebenzimmer, daß dieEntscheidung nahe sei. Es heulte und weinte und machte daherSzenen. Während dieser Kommotion fragte ich alle Anwesenden,was ich nun zu tun hätte, da ich ratlos sei. Sokol Shytani undMjedja beharrten jeder auf seinem Standpunkt und erklärtenbeide, ich müsse ihrer Anschauung genüge leisten. Da sie fürmich auf diese Weise die Situation nicht klären konnten und diesendlich auch erkannten, bat ich beide sich meiner Entscheidungzu unterwerfen. Mit einem gewissen Vorbehalt taten es beide.Mjedja meinte anzunehmen, soferne die Entscheidung nichtgegen die Kirchengesetze verstoße, und Sokol wiederholtedasselbe in Bezug auf das albanische Gewohnheitsrecht, denKanun von Lekë Dukagjini. Ich erklärte, ein beide Teilebefriedigenden Kompromiß vorschlagen zu können, und fügtehinzu, daß ich, falls es nicht angenommen würde, genötigt wärenach meinem Gutdünken, den einen oder den anderen Teil völligunbefriedigt ziehen zu lassen. Beide Parteien erkannten, daßWiderstand nichts nutzte, und so konnte ich mein Kompromißfolgendermaßen formulieren: Sokol Shytani nimmt das Mädchenfür vierzehn Tage in seine Kula, verspricht mir aber feierlich vorZeugen, das Mädchen, wenn es nach vierzehn Tagen dieEinwilligung zur Eheschließung immer noch nicht erteile,unbehelligt nach Hause zu entlassen, resp. dem bei diesemVersprechen anwesenden Bruder des Mädchens zu übergeben.Der Erzbischof verspricht hingegen vierzehn Tage lang mit dem

Page 192: Nopcsa Reisen Balkan

Forschungsreisen in Albanien (1905-1910)

178

Kirchenbann zu warten und nur in dem Falle, daß Sokol seinVersprechen breche und das Mädchen nach vierzehn Tagen nochimmer mit Gewalt zurückbehalten würde, den Bann zuschleudern. Außerdem wurde beschlossen, daß dieZurückbehaltung des Mädchens als gewaltsame Entführunggelten solle. In diesem Falle hätte dann der Bruder des Mädchensdas Recht, an Sokol Shytani Blutrache zu üben. Alle Parteiennahmen das Kompromiß an. Sokol erhielt noch von mir den Rat,das Mädchen diese vierzehn Tage gut zu behandeln und ihmSüßigkeiten zu kaufen. Dann nahm er das Mädchen in seineBerge. Der eigentliche Bräutigam war mir überhaupt nicht zuGesicht gekommen. Noch vor Ablauf der vierzehn Tage tratSokols Bruder mit seiner Braut zum Altare, und seither bin ichmit beiden Familien, nämlich jener in Shala und jener in Shoshieng befreundet. Ich habe seither oft bei ihnen übernachtet.

Diese Reise vom Jahre 1909 zeitigte auch die einzigeGelegenheit, daß ich mit einem Albaner grob werden müßte. Eswar dies, als ich in Iballja einem mit Gewehr und Revolverdastehenden Mann, der mich frotzeln wollte, samt seinen Waffenmit Gewalt und eigenhändig aus dem Zimmer warf. Es wargefährlich nun jedoch, weil Prestigefragen riskiert wurden.

Geologische und archäologische Studien sowieethnographische Notizen nahmen während meiner Reise 1909bedeutend zu, und infolge körperlicher und geistigerÜberanstrengung wurde ich im Juni krank. Bis zum 13. Augustlag ich krank in Shkodra.

Während meiner Krankheit erfuhr ich zufällig an einemTage von dem Tod von Vay Mussi, einem guten Freund von Dr.Julius Enderle, der ein Universitätskollege von mir war, und vonmeinem einzigen wirklichen Freund, Graf Louis Draškoviƒ, derals k.u.k Dragoman elendig in Konstantinopel zu Grunde ging.Für Louis war bei seiner hochgespannten, idealen Veranlagungsein Tod ein Glück, denn es wäre für ihn fürchterlich gewesen,

Page 193: Nopcsa Reisen Balkan

Forschungsreisen in Albanien (1905-1910)

57 Gemeint ist Rijeka Crnojeviƒa am Nordende desShkodrasees.

179

die folgenden Jahre zu erleben und den Niederbruch der von ihmgeliebten Türken mitzumachen. Ich glaube, er wäre als Soldat indie türkische Armee eingetreten und am Schlachtfelde gestorben.Solche Leute wie er werden nur selten geboren. Ihr frühzeitigerTod ist aber nur für die Mitwelt ein Verlust, denn sie selbst leidenzu viel für ihre Ideale. Was ich an Louis verloren habe, und wieer mir auch heute noch abgeht, darüber kann ich nicht sprechen.Mein einziger Trost ist, daß es für ihn besser war zu sterben.

Da ich in Shkodra zweimal rezidiv wurde, zog sich meineKrankheit in die Länge. Geistig ganz frisch, war ich körperlich sonieder gebrochen, daß ich wochenlang täglich kaum 5-6Kubikzentimeter Flüssigkeit zu mir nahm und daher allmählichbei klarem Bewußtsein zu verhungern drohte. Meine Dienerwaren von rührender Anhänglichkeit. Bajazid blieb, oft dasAussetzen meines Atems befürchtend, die ganze Nacht in meinemZimmer. Gjok und Mehmed weinten. Dieser Zustand dauerteeinige Wochen und später, als ich etwas Aspik zu essen anfingund gar zwei Eßlöffel Aspik in vierundzwanzig Stunden zuschlucken vermochte, da dünkte dies uns allen prächtig. WieProfessor Steyskal bei einem späteren Anfalle feststellte, bestandmeine Krankheit in nervösen Anfällen des autonomenNervensystems, wodurch die Herztätigkeit bis aufsechsunddreißig Schläge in der Minute herabgesetzt und Darmund Magen krampfhaft verschlossen wurden, so daß keine Speisehinab konnte. Seitdem mir Steyskal Belladonna verschrieb, sinddiese Anfälle weniger häufig und meist können sie schnellbeseitigt werden.

Auf einem Motorboot der Compagnia di Antivari brachteman mich noch immer krank nach Rijeka57 und vor dort per

Page 194: Nopcsa Reisen Balkan

Forschungsreisen in Albanien (1905-1910)

58 Carl Patsch (1865-1945) - österreichischer Gelehrter.

59 Stefan Graf Burián von Rajecz.

180

Automobil über Cetinje nach Cattaro (Kotor) und endlich perSchiff nach Ragusa (Dubrovnik). In Cetinje waren Kuhns zu mirsehr gut. Auf mein Telegramm hin war auch meine Mutter nachRagusa gekommen. Mehmed Zeneli begleitete mich bis nachRagusa. Lustig war, daß Mehmed, der sich in Ragusa sehrlangweilte, seine Abreise nach Albanien damit begründete, daß erschon so lange keine Ziegen gestohlen habe und dies doch sehrlustig sei.

In Ragusa erholte ich mich im dortigen guten Spitale undgenesen fuhr ich weiter nordwärts. Auf der Fahrt von Ragusanach Wien nahm ich mich in Sarajevo lebhaft des von Patsch58

gegründeten Balkaninstitutes an, das ich auch finanziell etwasunterstützte. Ich wollte es hauptsächlich der ErforschungAlbaniens dienstbar machen.

Hier will ich nun eine dieses Institut betreffende rechtzopfige aber lustige Episode aus der späteren Zeit erzählen. Ausfinanziellen Gründen wollte Patsch seine Broschüren in derStaatsdruckerei in Sarajevo drucken lassen. Er bat mich daherbeim Minister für Bosnien, Baron Burian59, diesbezüglich zuintervenieren. Ich tat es, und Burian sagte mir, Patsch solltedarum bitten. Augenblicklich verständigte ich Patsch und, als nunMonate vergingen und Patsch ruhig war, da glaubte ich, alleswäre erledigt. Zufällig sollte ich das Gegenteil erfahren. Ichfragte daher Burian, was denn mit der Sache los sei, und da hießes nun, von Patsch liege überhaupt noch kein diesbezüglichesGesuch vor. Infolge dieser Nachricht fragte ich nun bei Patsch,warum er noch immer kein Gesuch eingereicht habe, und erhieltdann die Antwort, daß so etwas zu bitten, so lange verboten sei,

Page 195: Nopcsa Reisen Balkan

Forschungsreisen in Albanien (1905-1910)

60 Ludwig von Thallóczy (1854-1916) - österreichisch-ungarischer Balkanforscher.

181

bis man von Sektionschef Thalloczy60 hiezu ermächtigt werde.Ich erzählte dies Thalloczy und Burian, und das ganze löste sichin Wohlgefallen und Gelächter auf.

Natürlich wurde die Druckbewilligung erteilt, doch dieEpisode erinnerte mich stark an eine Automobilfahrt, die amHatzeger Berg stattfand. Baron Leopold Bornemisza kam vonDeva nach Boldogfalva, um Kendeffys zu besuchen. DasFahrzeug blieb jedoch bei Plop noch jenseits des Hatzeger Bergesstecken. Deshalb schickte er also nach Hatzeg und bat von GrafenKendeffy Gabor telefonisch Hilfe. Gabor kam sofort mit seinemAuto, das aber nun diesseits des Berges niederbrach. Währenddieser Zeit kam ein Fuhrmann von Plop nach Hatzeg, sah Gaborsein bei Hatzeg steckendes Auto und sagte ihm nun tröstend, “Nebúsuljon nincs egyedül túl Plopen is még akadt egy” (Seien Sienicht traurig. Sie sind nicht allein. Auch jenseits bei Plop stecktein Auto).

Von Sarajevo fuhr Mama nach Ujárad und ich nachWien. September und Oktober blieb ich in Wien. AnfangNovember war ich in Ujárad und Szacsal, dann begleitete ichMitte November zuerst Bajazid nach Skopje und fuhr hieraufwieder nach Shkodra. Das Ziel meiner diesmaligen Reise war inerster Linie, das unmittelbar östlich und nordöstlich vomShkodrasee emporragende Gebiet der Stämme Hoti und Gruda zuerforschen.

Ich ging über Rrjoll und Kastrati nach Tuz, dann um denspäter bekanntgewordenen De…iƒ nach Qafa e Kronit, hieraufnach Gruda und kehrte über Trabojna, Vuksanlekaj und Rrjollnach Shkodra zurück.

Page 196: Nopcsa Reisen Balkan

Forschungsreisen in Albanien (1905-1910)

182

Da ich schon im Jahre 1909 einige Konnektionen mitGucinje hergestellt hatte, hoffte ich im Sommer 1910 nachGucinje zu gelangen. Einerseits war nun dies aber nur inalbanischen Kleidern möglich, anderseits, als ich 1907 in dasPrizrener Gefängnis abgeliefert worden war, war aber gerade derUmstand, daß ich als Albaner verkleidet gewesen war, in denAugen der türkischen Behörden besonders verdächtig undgravierend. Es mußte, da in Gucinje türkische Behördenexistierten, bei Zeiten ein Mittelweg gefunden werden, der beidenAnforderungen entsprach. Ich beschloß hiefür den Dezember.Ohne Gucinje zu erwähnen, redete ich mit dem Vali über meineReisepläne. Der Vali trachtete mir mit Hinweisen auf schlechtesEssen und Kälte, jegliche Reise überhaupt abzureden, oderwenigstens viel Gepäck mitzunehmen, was bei Wegmangelnatürlich meine Reise behindert hätte. Im Allgemeinen gab ichdem Vali nicht eben unrecht, versicherte ihm aber, daß er sichwegen der Kälte keine Sorgen zu machen brauche, denn dieKleider, die ich im Sommer hatte, seien auch jetzt noch warmgenug und, was das Essen anbelangt, versprach ich ihm, daß icheiniges mitzunehmen gedenke. Der Vali gab mir, was Proviantbetraf, recht, mich aber in so dünnen Kleidern reisen zu lassen,wollte er nicht. Ich mußte, meinte er, mir etwas wärmeresbeschaffen, und hoffte, da so etwas in Shkodra schwer war, aufdiese Weise in mir meine Reisepläne zu erschüttern. Ichreplizierte, ich glaubte, daß meine Sommerkleider genügten,versprach aber dennoch, falls dies doch nicht der Fall wäre, ihmzu liebe, wenn nötig, sogar dicke albanische Schafwollkleider zukaufen, da diese Kleider dann sicher warm genug wären. Da diealbanischen Wollkleider nun tatsächlich gut gegen Kälteschützen, blieb denn dem Vali nach dieser Erklärung nichtsanderes übrig, als seine Bewilligung zu geben. Er konnte nurnoch wiederholen, daß ich achtgeben solle, mich ja nicht zuverkühlen. Von diesem Augenblick an konnte ich, da ich das

Page 197: Nopcsa Reisen Balkan

Forschungsreisen in Albanien (1905-1910)

61 Jak Serreqi (1861-1921).

183

Wetter für meine europäischen Kleider natürlich sofort für zu kaltfand, mit Wissen der türkischen Regierung in albanischenKleidern reisen. Diese Schwierigkeit eines Eindringens inGucinje wäre also beseitigt gewesen. Leider verhinderten aberspäter andere Sachen meine diesbezüglichen Pläne.

In Shkodra bat mich anfang Jänner 1910 GeneralkonsulKral, einen Bericht über die kirchlich-politischen Zustände derDiözese Sappa, wo Msgr. Sereggi61 Bischof war, zu verfassen.Ich tat dies in einigen Zügen und lasse hier den etwasumgestellten Bericht, da er auf die damaligen Zustände desKlerus in Albanien einiges Licht wirft, folgen.

Msgr. Sereggis Grundsatz ist ‘Je fünfzig Familienbrauchen einen Pfarrer.’ Da er die Pfarrer nicht aus eigenerTasche zu subventionieren hat, ist es ihm gleichgültig, wievieldiese Marotte dem k.u.k Ministerium kostet. Er arbeitet aberdarauf los und suggeriert dann diesen Gedanken auch denPfarrern. Ebenso suggeriert er ihnen, daß die kirchlichenAngelegenheiten in der Gegend von Iballja nur deshalb soschlecht stehen, weil in Mila kein von Österreich-Ungarnbezahlter, das heißt ernährter bischöflicher Vikar residiert. BeideGedanken sind den Pfarrern recht, da sie dann weniger weitausgedehnte Pfarreien hätten und weniger weit bis zum Bischofezu gehen haben würden. Außerdem hat der Vikar dem Konsulatja auch die Bittgesuche zu senden. In der Zadrima hat Sereggi dasPrinzip der kleinen, dicht gehäuften Pfarren bereits durchgeführt.Während im Bistum Shkodra Pfarren von mehr als zwanzigWegstunden Durchmesser existieren, sind in der Zadrima Pfarrenvon zwanzig Minuten Durchmesser entstanden. Kommt man demWunsch Sereggis nicht nach, heißt es gleich, ‘Österreich tutnichts.’ Will man Sereggis Wunsch nach kleinen Pfarren dadurch

Page 198: Nopcsa Reisen Balkan

Forschungsreisen in Albanien (1905-1910)

184

verhindern, daß man weniger Eleven in das Priesterseminaraufnimmt, als Sereggi verlangt, um durch Beschränkung desPfarrernachwuchses die Errichtung neuer Pfarren zu verhindern,so sendet Sereggi ‘entrüstet’ seine Eleven nach Italien, die danndort italophil werden. Das Geld, um dies tun zu können, erhält erallerdings dabei von Österreich-Ungarn.

In der ganzen Gegend ist die intransigente Haltung desKlerus die Ursache des katholisch-mohammedanischenAntagonismus. ‘Von einem Türken zu stehlen, ist keine Sünde.’Dieser Satz billigt stillschweigend auch der Klerus.

Die Berichte über den Stand der Pfarren, die Sereggi demKonsulate zukommen läßt, sind unrichtig und wohl mit Absichtgefälscht. Das Pfarrhaus von Iballja ist z.B. in ziemlich gutemZustande. Sereggi verlangt aber seine Renovierung und zwarwohl deshalb, weil der Pfarrer ein Italiener ist. Die Kirche vonIballja ist sehr reparaturbedürftig. Davon profitiert der Pfarreraber nichts, und daher wird sie nicht repariert. Die ganzbesonders elende Pfarre von Qelza, wo man fest den Himmeldurch die Mauersprünge erblicken kann, wird auch nicht zurReparatur vorgeschlagen, da dies ein wirksames,anti-österreichisches Agitationsmittel ist. Daß die Kirche vonFierza seit drei Jahren kein Dach hat, wird auch nicht gemeldet,denn der Pfarrer ist ein guter Freund von Qerim Sokoli, undQerim ist ganz wie Thaçi austrophil, etc., etc.

Im ganzen Gebiete von Dardha bis Apripa ist eineStrömung gegen die Franziskaner und für die Weltpriesterbemerkbar, was früher nicht der Fall war. Es heißt, daß nurTaugenichtse und Kinder armer Leute ins Kloster geschicktwerden. Kein einziger Franziskaner aus guter Familie seiimstande Ratgeber zu sein. In Wirklichkeit hat kein einzigerPfarrer jetzt Einfluß auf die innere Angelegenheiten im Gebietezwischen Qelza, Qafa e Malit, Dardha und Fierza.

Page 199: Nopcsa Reisen Balkan

Forschungsreisen in Albanien (1905-1910)

185

Msgr. Sereggi erteilt den Pfarrern Befehl auf Befehl. DiePfarrer haben ohnehin kein Ansehen, können daher nichtsEffektives leisten, versuchen die Befehle des Bischofsauszuführen, zanken sich mit ihren Gemeinden wegen derunsinnigen Befehle des Bischofs, und so sinkt ihr Ansehen,während ihre Unbeliebtheit wächst.

Hochgeblasenheit und Eigendünkel verhindern Sereggidaran, sich mit den Angelegenheiten der Malessoren zubeschäftigen. Herrschsucht läßt ihm seine Rolle alsSchutzbefohlener Österreich-Ungarns vergessen. Er verwechseltSchützer und Beschützten oder meint, daß der Beschützte dasRecht besitzt, dem Anderen zu befehlen. Die Phrasen, “ich binböse aufs Konsulat,” die mit den Worten zu ergänzen ist, “weil esnicht nach meinen Befehlen tanzt,” und “Österreich tut nichts füruns” habe ich zum ersten Male 1907 von Sereggi in Nënshatgehört. Jetzt pfeifen sie alle Pfarrer im Bistum Sappa.

Die einzige Remedur ist, eine Zeit lang eine eiserne Faustgegen den Klerus zu zeigen, mit Strafen nicht zu sparen und denBrotkorb höher zu hängen. Die Albaner kann man mit halbenMitteln nie leiten.

Über die folgenden Pfarren ist folgendes zu bemerken.Der Pfarrer von Berisha ist ein eigensinniger Hitzkopf, der sichnicht zu mäßigen weiß. Er führt alle Befehle Serregis aus. Weil insechs Häusern uneheliche Frauen wohnen, wird die ganze PfarreBerisha exkommuniziert und jede geistliche Funktion mitAusnahme des Taufens und Einhebens des Kirchenzehnten dortaufgehoben, um so die Pfarrgemeinde zu zwingen, dieKonkubinat treibenden Familien aus dem Stammesgebiet zuvertreiben und deren Häuser zu verbrennen. Gleiche Befehleergehen von Sereggi an die Pfarrer von Iballja und Fierza. Ergeschieht nichts, aber die Leute Berishas werden auf den Pfarrerböse und erklären, sie können sich des Bischofs zuliebe nichtbeschießen lassen. Hierauf will Sereggi mit Regierungstruppen

Page 200: Nopcsa Reisen Balkan

Forschungsreisen in Albanien (1905-1910)

186

gegen Gemeinden vorgehen und unternimmt diesbezüglich,freilich erfolglos, Schritte beim Kaimakam von Puka. Ich agitierewieder in dem Sinne, daß die Gemeinde dem Bischof denGebrauch von Truppen verwehre, denn dies würde zu einemKonflikt mit der Regierung führen. Um sein Prestige zu retten,kann dann schließlich der Pfarrer den Malessoren erzählen, derBischof habe von Konsulat zu Ehren Christi österreichischeSoldaten verlangt, um die Häuser der Exkommunizierten zuverbrennen. Diesem Wunsche sei das Konsulat jedoch nichtnachgekommen, weil es ja überhaupt nichts zu Ehren Christi undder katholischen Religion unternehmen wolle. So ist dannglücklich das nicht willfährige Konsulat der Sündenbock undnicht der Bischof.

Qerim Sokoli sagte mir, “Schau dir die dicken Fesselnder Franziskaner an, dann weißt du, wer sie sind.” Ein schlankgefesselter Fuß gilt als Zeichen von Adel. Von Pfarrern vonBerisha speziell heißt es, wie kann er denn hier Achtung habenwollen, wo wir alle wissen, daß er als Kind genötigt war, imHause Prel Mehmetis in Iballja wegen Armut Gnadenbrot zuessen und von schlechterer Familie ist als der Ärmste in Berisha.Diesen Mann als Pfarrer nach Berisha zu senden, das an Iballjaangrenzt, zeigt von wenig Verständnis des Bischofs für dieAngelegenheiten des Malessoren.

Der Pfarrer von Shllak sagte, er habe seine schöne Kircheausschließlich mit italienischen Geldern gebaut. Auch derBischof Sereggi bekommt, sagt er, 500 Napoleon jährlich vonItalien. Im ganzen Lande existiert, sagt er ferner, keine einzigePfarre, die von österreichischem Geld erbaut worden sei. Daherkönne man auch auf keine eine diesbezügliche Inschriftanbringen, während hingegen die Pfarre von Shllak mit einer dieitalienische Hilfe hervorhebenden Tafel versehen werden konnte.Überhaupt ist das Losungswort der Pfarrer “Österreich tut nichtsfür uns.” Einige sagen sogar, “es wäre gut, wenn

Page 201: Nopcsa Reisen Balkan

Forschungsreisen in Albanien (1905-1910)

187

Österreich-Ungarn das Protektorat anläßlich der Annexionskriseaufgegeben hätte, dann wäre dasselbe von Italien übernommenworden. Ich wies auf den Irrtum in dieser Annahme und sagte denMalessoren, vor denen einige Pfarrer dies mit mir besprachen,wenn Österreich-Ungarn das Protektorat wegen der italophilenAgitation des Klerus aufgibt, so erhält es nicht Italien sondern dieTürkei.

Die schlechte Administration der Pfarre von Qelza ist ausfolgendem sichtbar geworden. Der Malessor Luk Malosientführte die Schwester des Pfarrers. Sie erklärte zuerst, Lukheiraten zu wollen, später sagte sie aber das Gegenteil. Nichtohne Zutun des Pfarrers rächte die Gemeinde die dem Pfarrerzugefügten Schäden, und erschoß Luk, der sechszehnSchußwunden hatte. Der Pfarrer ging nach Nënshat. Der Bischofsand ihn trotz Abraten des ganzen Klerus wieder nach Qelza, unddie erneute Anwesenheit des Pfarrers, der die Schuldigen,nämlich den Hauptschuldigen zu schützen bestrebt war, reizte dieRächer dermaßen, daß der Bruder Luks mit zwölf anderen LeutenRache nahm, indem er den Hauptschuldigen nebst zwei Brüdernaus dem Hinterhalt erschoß. Noch ein weiterer Begleiter derSchuldigen wurde dabei erschossen, und einer der zwölf Rächerverwundet. Der Pfarrer begab sich hierauf wieder nach Nënshat,und in Qelza wurden einige Häuser vom Kaimakam von Pukastrafweise verbrannt.

Der Pfarrer von Qelza agitiert für Italien. SeinePfarrwohnung ist eine Ruine. Er ist aber auf das Konsulat böseund solange Generalkonsul Kral in Shkodra ist, will er nicht insKonsulat, um Subventionen zum Bau der Pfarre zu verlangen.Andererseits erzählt er Österreich sei schuld, daß die Pfarre in soschlechtem Zustand sei, weil Österreich für Katholiken nichts tue.Es sei daher höchste Zeit, sich an Italien zu wenden.

In Iballja ist ein Italiener Seelsorger aber infolge seineranti-albanischen Gesinnung und, da er wenig mit Leuten

Page 202: Nopcsa Reisen Balkan

Forschungsreisen in Albanien (1905-1910)

188

verkehrt, stiftet er wenig Schaden an. Zuweilen gerät er mit seinerGemeinde wegen Konkubinen in argen Konflikt.

Unmündige Kinder verehelichen, ohne dieselben zubefragen, ist landesüblich. Das albanische Konzil von 1893verdammte dies zwar aber nur platonisch. Trotz dieser Sitte solltein Iballja auf Anstiften des Pfarrers während meiner Anwesenheitein Haus zerstört und sein Einwohner vertrieben werden, weilletzterer seine Tochter an einem Türken in Gjakova verheiratethatte. Es gelang mir, Hausverbrennen, voraus Stammesfehdenentstanden wären, zu verhindern und den Leute klar zu machen,daß der Bischof sie Kastanien aus dem Feuer holen läßt.

In Dardha wurde ich gefragt, wer Albanien okkupierenwürde, die Monarchie oder Italien. Vor drei Jahren war der NameItaliens dort fast unbekannt, oder wenn man davon sprach, so wares nur zu sagen, daß Pater Deda deshalb von Österreich-Ungarnabgesetzt worden war, weil er Italiener war. Auch sonst hörte ichan anderen Orten heuer viel mehr von Italien reden, als vor dreiJahren.

Die Ursache ist Msgr. Sereggi, denn das italienischeKonsulat hat mit den dortigen Malessoren keine direktenKonnektionen, wogegen allerdings das italienische Konsulat inPrizren seine Fäden bis Gjakova spinnen durfte.

Der Pfarrer von Fierza hatte vor einigen Jahren einescharfe Kollision mit dem Dorfe Bugjon, so daß damals eine Zeitlang die Seelsorge in Bugjon vom Pfarrer von Iballja ausgeübtwerden mußte. Seither hat sich der Pfarrer diese Lehre zu Herzengenommen. Er wurde im Verkehre mit den Eingeborenenfreundlich, und im Allgemein steht er sich mit seinem Dorfe nocham Besten. Sogar seine ehemaligen Gegner müssen dieszugestehen. Zum Teil von Fierza, zum Teil von weitab gelegenenBerisha wird die Seelsorge auch in Apripa ausgeübt, wo infolgeder Polygamie vieler der dortigen Familien der Konflikt mitSereggi am stärksten zur Geltung kommt.

Page 203: Nopcsa Reisen Balkan

Forschungsreisen in Albanien (1905-1910)

189

Sereggi hat hier zu allerhand Mittel gegriffen, um sichAnsehen zu verschaffen, ja hat er sogar verschiedeneGeldspenden, die erflossen waren, um in Apripa eine Kirche zubauen, jahrelang zurückgehalten, und jetzt ist auch noch ein Teildieses Geldes beim Pfarrer von Berisha, der unter demVorwande, die Leute hätten nichts gemacht, die Herausgabeverweigert, während die Leute, die mir den Bau zeigen wollten,behaupteten, Geldmangel hindere sie an die Vollendung desBaues ihrer Kirche. Den Bau einer Kirche zu verhindern, weileinige ohnehin exkommunizierte Familien in einer PfarreKonkubinen haben, ist jedenfalls ein wenig zweckdienlichesMittel.

Wie Konkubinen zu vertreiben sind, und daß es auch inIballja und Apripa möglich ist, hat Msgr. Mjedja als Bischof vonSappa bewiesen, als dies ihm mit einem theatralischen Coup voreinigen Jahren glänzend gelang. Nach der feierlichen Ostermesseentledigte er sich coram publico seiner Messkleider, warf Mitraund Krummstab plötzlich zu Boden und, statt zu segnen, fluchteer öffentlich den konkubinattreibenden Familien. Der Eindruckdieses unerwarteten Vorganges war so groß, daß er, ohne Häuserzu verbrennen und die ohnehin große Armut noch zu vergrößern,sein Ziel sofort erreichte.

Im Sommer 1909 begann Aehrenthal albanerfeindlichePolitik zu machen. Speziell im Falle Qerim Sokolis zeigte sichdie neue Richtung. Qerim gehörte zu jenen Albanern, die sich imFrühjahr 1909 für unsere militärischen Vorbereitungen besondersexponiert hatten. Er war daher bei den uns damals feindlichenJungtürken ziemlich kompromittiert. Unter falscherBeschuldigung kam er dann im Sommer 1909 ins Gefängnis.Keinen Zweifel, daß dies wegen seiner notorisch austrophilenGesinnung geschah. Da Qerim unschuldig war, hätte dasKonsulat wie oft in ähnlichen Fällen erfolgreich intervenierenkönnen, doch dies paßte nicht in Aehrenthals neue

Page 204: Nopcsa Reisen Balkan

Forschungsreisen in Albanien (1905-1910)

190

türkenschmeichlerische Politik. So blieb dann Qerim bisWeihnachten 1909 im Gefängnis. Die Lehre hat sich Qerimnaturgemäß gemerkt und, wenn er sich auf meine Aufforderunghin auch später österreich-ungarischer Sachen annahm, sogeschah dies stets nur soweit, als er sich nicht kompromittierte.Im Jahre 1913 klagte mir deshalb Rossman, daß ihm Qerim nichtentsprechend geholfen hätte.

In Voraussicht, daß in Shkodra die zu Weihnachten stetsverbotene Christnachtschießerei wieder losgehen würde und, umnicht dabei sein zu müssen, denn für mich war Schießen oderNichtschießen immerhin ein Dilemma, ging ich in albanischenKleidern unbemerkt nach Kolaj, wo ich mich natürlich an derWeihnachtsschießerei beteiligen konnte, ohne mich zukompromittieren. In Shkodra begann die Schießerei im HofePrenk Bib Dodas, und in Unkenntnis meiner Abwesenheit zeigtenmich nun meine Gegner beim Vali augenblicklich an, daß inShkodra ganz bestimmt ich die Weihnachtsschießerei begonnenhätte. Als ich nach Weihnachten nach Shkodra zurückkehrte,machte mir der Vali deswegen Vorwürfe und fragte mitheuchlerisch betrübter Miene, ob diese Beschuldigung wahr sei.Ich antwortete wörtlich, “Jawohl, Exzellenz, ich gebe zu, dieSchießerei angefangen zu haben.” Des Vali Auge leuchtete. Jetzthatte er endlich einen Grund gegen mich vorzugehen, eventuellmeine Ausweisung zu verlangen. “Warum haben Sie das getan?”war seine schadenfrohe Frage. “Exzellenz,” sagte ich, “ichglaubte, daß man meine Schüsse in Shkodra nicht gehört hätte,denn ich habe in Torovica, unweit Kolaj, und nicht in Shkodrageschossen. Meines Wissens ist es dorten nicht verboten, denChristabend zu feiern.” Der Vali machte ein überraschtes Gesichtund meinte, man habe ihm etwas ganz anderes gemeldet. “Ichweiß, Exzellenz,” antwortete ich, jedes Wort markierend. “Manbeschuldigte mich des Schießens, denn man wußte nicht, daß ichfort war. Übrigens ist dies nicht das erste Mal, daß man mich bei

Page 205: Nopcsa Reisen Balkan

Forschungsreisen in Albanien (1905-1910)

191

Ihrer Exzellenz anzeigt. Jetzt können Sie selbst die Wahrheit allerüber mich kursierenden Geschichten klar erkennen.” Der Valiwar augenscheinlich verlegen, und die ganze Kampagne wurdedie Reinwaschung eines Mohren.

Page 206: Nopcsa Reisen Balkan

192

Teil III

Zwischen der Annexion und demBalkankrieg

(1910-1912)

Page 207: Nopcsa Reisen Balkan

Zwischen der Annexion und dem Balkankrieg (1910-1912)

62 Rudolf R. von Zambaur, österreichisch-ungarischer Konsulin Shkodra ab Herbst 1909.

193

Generalkonsul Kral wird im Jänner 1910 von Shkodratransferiert, und er sagt mir schon im Voraus, daß mir meinReisen in Albanien unter seinem Nachfolger erschwert seinwürde. Mitte Jänner verlasse auch ich Shkodra, ohne zu ahnen,daß es lange dauern würde, bis ich dazu komme dort erneut zugeologisieren.

Bald nach der endgültigen Abreise des GeneralkonsulsKral verließ auch ich Albanien und, da mir unter seinemNachfolger, Generalkonsul Zambaur62, das Reisen in Albanientatsächlich unmöglich gemacht wurde, und ich zu politisierenanfing, so scheint es an der Stelle zu sein, hier mein damaligesVerhältnis zum Ballhausplatz rp. zu den Beamten und späterenLeitern des Ballhausplatzes zu skizzieren.

Solange Aehrenthal albanienfreundliche Politik machteund Generalkonsul Kral in Shkodra war, hatte ich mit demBallhausplatz wenig zu tun, und obzwar es vielleicht dem einenoder dem anderen Beamten unangenehm war, daß ich zumjeweiligen Minister des Äußeren infolge meiner sozialen Stellungfreien Zutritt hatte, war dies für mich bedeutungslos, denn ichkonnte meinen Studien obliegen, und Kral wurde, obzwar ermeinethalben manche kleine Unannehmlichkeiten hatte, dafürvon mir über vieles informiert. Da ich keine Konsular- sonderneine Geologenkarriere machen wollte, war mir Krals sonstigepolitische Benehmen, solange er meine geologische

Page 208: Nopcsa Reisen Balkan

Zwischen der Annexion und dem Balkankrieg (1910-1912)

63 Leopold Anton Graf, Freiherr von Berchtold (1863-1942),Außenminister Österreich-Ungarns von 1912 bis 1915.

194

Forschungsreisen unterstützte, höchst willkommen. Eine Handwäscht die andere. Daher kamen wir miteinander sehr gut aus,und dies ist auch jetzt noch der Fall. Vizekonsul Fillungererzählte mir später, Kral habe in seinen Berichten meinen Namenstets unterdrückt. Auf jeden Fall fand ich es von Fillungergräßlich, mir über seinen ehemaligen Chef, bloß um diesen zuschaden, so etwas zu erzählen. Es läßt sich aber denken, inwelchem Maße sich ein Konsularkorps in dem mehrere Fillungersexistieren konnten, um das Wohl und Wehe desösterreichisch-ungarischen Handels im Auslande gekümmerthaben.

Als Zambaur nach Shkodra kam, änderte sich die Lage.Dem Herrn Zambaur war es stets sehr unangenehm, wenn sichein Untertan der Monarchie in seinem Amtsbezirk aufhielt, denneinerseits machte ihm dies Arbeit, andererseits war es ihm aberunangenehm, wenn ihm jemand in die Karten sah und erfuhr, wasvorging. Dann war Zambaur in seiner Alleinherrlichkeit bedroht,ja es hätte sich sogar ergeben können, daß man ihn kritisierte.Grafen Berchtold63 habe ich 1913 vergebens auf Zambaursdiesbezügliche Tendenzen aufmerksam gemacht. In einem Briefeging ich sogar so weit, um vom Minister schriftlich dieEinvernahme diesbezüglich unvoreingenommener Zeugen desZivil- und Militärstandes zu verlangen. Es war natürlich allesvergebens, denn Berchtold war bei allem guten Willen schwach,und die Bande am Ballhausplatz, über deren Tätigkeit ich nochandere Belege erbringen werde, arbeitete sich in die Hände.

Page 209: Nopcsa Reisen Balkan

Zwischen der Annexion und dem Balkankrieg (1910-1912)

64 Alfred Rappaport von Arbengau (1868-1918), österreichisch-ungarischer Vizekonsul in Shkodra, später Konsul in Mazedonien.

195

Genau von gleichem Kaliber wie Zambaur warGeneralkonsul Rappaport64, der ja schon 1907 anläßlich meinerAffaire mit Mustaflita durch blinde Annahme von HilmisPropositionen meine Ausweisung aus der Türkei zu erlangengehofft hatte. Denn daran, daß ich damals über Semlin (Zemun),Sarajevo und Cetinje wieder in die Türkei zurückkehren würde,dachten weder er noch Hilmi Pascha. Sowie Zambaur nachShkodra kam, wußte er schon genau, wie ich über die Vorgängeim Amtsbereiche Shkodra informiert war, und da machte er nungleich Anfangs unserem Botschafter in Konstantinopel, demMarkgrafen Pallavicini, den Vorschlag, es wäre gut, mich vonAlbanien zu entfernen. Rappaport war damals Referent überalbanische Angelegenheiten im Ministerium des Äußeren inWien. Auch er hielt Untertanen der Monarchie gerne ausAlbanien fern, was man aus der Tatsache ersieht, daß er z. B.1913 bei Begutachtung eines nach Albanien lautendenUrlaubsgesuches des Kavallerieoffiziers, Grafen Pachta, dieÄußerung fallen ließ, daß man in Albanien keinen Generalspiondes Kriegsministeriums brauche. Diese Äußerung wurde damalsallerdings durch den Generalstabshauptmann, Baron FranzMirbach, dem Grafen Pachta mitgeteilt, und Herr Rappaport hattedann eine peinliche Szene mit Pachta. Zambaur, Rappaport undeinige mir unbekannte Hintermänner brachten nun ihr Systemgegen alle Zivilisten, dann aber auch systematisch gegen solcheBeamte des Ministeriums in Anwendung, die sich in albanischenSachen auskannten und daher eine eigene Meinung hatten. Ichwurde bald aus Albanien entfernt, dann kam A. Kral alsGeneralkonsul nach Smyrna, und der Albanienkenner,Generalkonsul Th. Ippen, kam nach London. An ihrer Statt

Page 210: Nopcsa Reisen Balkan

Zwischen der Annexion und dem Balkankrieg (1910-1912)

196

schickte man Neulinge nach Albanien. Später, als Petrovic ausDurrës abberufen werden mußte, kam zwar Kral 1914 wiedernach Albanien. Dies war aber, da Petrovic nur infolge einerLiebesaffaire aus Durrës abberufen wurde, ebenso ein Zufall wieder Umstand, daß die Friedenskonferenz von 1913 in Londontagte, weshalb dann der Generalkonsul Ippen nolens volens zu ihrals Fachmann für albanische Angelegenheiten herangezogenwerden mußte. Sein Beiseiteschieben wäre nämlich in so einemFalle allzu auffällig gewesen. Als eine mit Rappaport undZambaur eng befreundete einflußreiche Persönlichkeit amBallhausplatz ist nun doch der damalige Sektionschef Macchio,der spätere österreichisch-ungarische Botschafter am Quirinal inRom, zu erwähnen. Sektionschef Macchio grollte mir nochwegen des Briefes von Jänner 1909, und Zambaur, Macchio undRappaport arbeiteten sich daher in die Hände. Macchio war mitZambaur noch von jener Zeit her gut befreundet, da ihn Zambaurals ehemaliger Offizier während seiner Gesandtschafttätigkeit inCetinje im Inneren Montenegros begleitet hatte und für ihn jene,für einen Zivilisten auffallend guten militärischen Berichteverfaßt hatte, für die Macchio ausgezeichnet worden war, was ichnebenbei bemerkt von Baron Gundenus, dem ehemaligen AthenerAttaché des damaligen Gesandten in Athen, nämlich Macchio,erfahren habe. Rappaport hatte, als er von Saloniki nach Wien indas Ministerium einberufen worden war und mit seinemskandalösen Saloniki-Benehmen hatte brechen müssen, seineMaitresse geheiratet und war nun mit der Familie Zambaur gutbefreundet, da die einer angesehenen Familie entsprossene FrauZambaur aus Klugheit als erste seine jetzige Frau besucht und siedadurch in Beamtenkreisen sozusagen hoffähig gemacht hatte.Alle diese Herren wandten sich nun an einen vom Ministeriumdes Äußeren beschäftigten Albaner, Herrn G. Pekmezi, undgetrauten diesen, alle nach Wien kommenden Albaner von mirabzuhalten, um mir das ‘Informiertwerden’ über albanische

Page 211: Nopcsa Reisen Balkan

Zwischen der Annexion und dem Balkankrieg (1910-1912)

197

Angelegenheiten möglichst zu erschweren, Ferner agitierten sieauch sonst gegen mich bei den sogenannten ‘albanischenPatrioten’. Auch dies setzte ich im Laufe der nächsten JahreGrafen Berchtold auseinander, allerdings in puncto Pekmezilieferte ich den Nachweis, daß dieser Wiener Ärzte, zu denen erAlbaner, also Landsleute, zur Behandlung zuführte, aufgeforderthatte, von diesen unerfahrenen Fremden außerordentlich hoheHonorare zu verlangen und die Beute mit ihm zu teilen. Aberauch alle diese Beweise blieben ohne Wirkung. Zur Ehre derWiener Ärzte muß hervorgehoben werden, daß von ihnen dasAnsinnen Georg Pekmezis mit Entrüstung zurückgewiesenwurde. Bei so einer Lage hatte ich nicht lange auf einen Konfliktmit dem Minister des Äußeren selbst zu warten, denn Macchiound Konsorten agitierten heftig, und die Folge war nun die, daßich den Ballhausplatz darauf fast in toto gegen mich hatte. Baldkonnte mir der Souschef des Generalstabschefs, Exzellenz RudolfLanger, sagen, “Baron, ich kann Ihnen versichern, schon Ihrbloßer Name wirkt am Ballhausplatz wie ein rotes Tuch.” Aufden Augenblick, wo dieser Konflikt ausbrach, werde ich noch zusprechen kommen. Daß ich aber 1910 mit meinen relativharmlosen Forschungsreisen in Albanien aufhörte und zumLeidwesen von gar manchen Diplomaten seit 1910 in punctoAlbanien mit Politik abgab, das haben alle jene, die später untermeinen Angriffen gelitten haben, nur sich selber und ihremdamaligen Benehmen zu verdanken. Leider sind einige dieserHerren meinem endgültigen Angriffe durch den Tod entgangen.Lebende Gegner sind mir viel lieber als tote.

Im Jänner war vom drohenden Gewitter noch nichts zuspüren. Im Jänner und Februar 1910 war ich in Wien, Ujárad undSzacsal, vom 10. Februar bis zum 7. Mai blieb ich in Wien undbearbeitete meine 1908 und 1909 gesammeltes archäologischesAlbanien betreffendes Material. Suess sein Wort: “also lernen Siees” gab mir die Kraft, diese mir völlig neue Disziplin anzupacken,

Page 212: Nopcsa Reisen Balkan

Zwischen der Annexion und dem Balkankrieg (1910-1912)

198

mich in sie einzuarbeiten und mein Material zu beschreiben. Ichwiederholte, was ich wegen eines anderen Themas 1899 getanhatte, und studierte ca. 600 auf die Archäologie Südosteuropasbezughabende Werke, aus denen ich Exzerpte machte. Dann lasoder überflog ich noch ca. 1000 andere, in denen ich nichts aufmein Thema bezughabendes fand. Das Resultat meiner Arbeit istdie in den Wissenschaftlichen Mitteilungen aus Bosnien und derHerzegowina publizierte Abhandlung zur Vorgeschichte undEthnologie Nordalbaniens. Ich verfechte in dieser Arbeit die vonPatsch in Sarajevo lancierte Aussicht, daß sich in Albanienarchäologisch eine tiefere, der Bukëmira-Kultur entsprechendethrakische und eine jüngere, der Hallstatt-Glasinac-Kulturentsprechende illyrische Bevölkerung nachweisen lassen. Danntrachte ich, die Spuren beider Völkerschaften in den heutigenAlbanern nachzuweisen, weshalb ich außer den archäologischenDaten auch folkloristisches wie die in Albanien noch existierendePolyphemsage dann die Stammestraditionen, die Stammbäumeder jetzigen albanischen Stämme, ja auch somatische Daten überdie Albaner und linguistische Angaben heranziehe. Ichkonstatierte während dieser Arbeit, daß Paläoethnologie alsEndresultat aller Archäologie und Linguistik interessant ist, daßaber gerade sie als historische mit Hypothesen arbeitendeWissenschaft in der Hand der meisten Gelehrten chauvinistischgefärbt wird. Bei den Franzosen gilt alles alte in Europa gleichfür gallisch, bei den Deutschen alles für germanisch, bei denTschechen alles für slawisch. Die Italiener preisen diemittelländische kleine dolichokephale Rasse. Wir Europäer sindeben noch eitle kindische, technisch hochstehende Barbaren.

Mitte Mai besuchte ich nach einem kurzen Aufenthalt inUjárad den kranken Kendeffy Gabor in Herkulesbad und machtedort mit Inkey Bela einige geologische Ausflüge, deren Resultateich in einer kurzen Notiz im Földtani Közlöny in Budapestpublizierte. Mein Aufenthalt in Herkulesbad dauerte bloß zehn

Page 213: Nopcsa Reisen Balkan

Zwischen der Annexion und dem Balkankrieg (1910-1912)

199

Tage, doch es verlohnt sich zu erwähnen, daß gerade damalseiner jener zwei großen Kometen am Himmel stand, die von derLandbevölkerung als Vorzeichen eines großen Krieges angesehenwurden, und tatsächlich folgten die Balkankriege von 1912-1913und der Weltkrieg diesen beiden Sternen. Im Mittelalter hättendie nach dem Kometenjahr eintretende Kriegswirren jedenfallsals Beweis dafür gegolten, daß die Kometen unbedingt von Gottgeschickt wurden, um Krieg zu verkünden. Ich bin froh, daß dieSpektralanalyse bei diesen luftigen Herren ihre wahre Naturerkannt hat. Man sieht aber, wie es den Leuten im Mittelalterschwer gewesen sein muß, sich von dem Glauben amÜbernatürlichen zu befreien, und welches Kopfzerbrechen dieoffenkundigen Ungereimtheiten der Welt freidenkendenMenschen bereitet haben müssen. Wir verzeihen den altengutgläubigen Astrologen. Betrügerische Astrologen gibt es auchheute noch immer.

Von Herkulesbad nach Ujárad und Kronstadt. Dannbeschloß ich, mich nach Albanien zu begeben. Bevor ich nachShkodra fuhr, ging ich wegen des Passvisums in das türkischerecte jungtürkische Generalkonsulat in Budapest und, währendman hier meinen Paß vidierte, redete ich mit dem Generalkonsulüber dies und das und kam auch auf die Schulfrage zu reden. DerGeneralkonsul entwarf ein großartiges Programm und sagtewörtlich, “Nous fonderons maintenant des miliers d’écoles”. Ichwußte, daß man die Fähigkeit der Türken zu reagieren am bestendaran würde erkennen können, ob in Europa einige Kilometerwirklich guter Wege gebaut werden würden, das heißt, ob dieneuen Jungen Türken die Fähigkeit haben würden, Geld in ernstgemeinter, gemeinnütziger, fruchtbringender Arbeit zuinvestieren. Als ich nun dieses hochtönende Geflunker desjungtürkischen Konsuls hörte, da erblickte ich darin die erstenZeichen dafür, daß auch die Türkei, da alles bei den alten leerenPhrasen bleibe, trotz aller Reklame unrettbar verloren wäre. Hätte

Page 214: Nopcsa Reisen Balkan

Zwischen der Annexion und dem Balkankrieg (1910-1912)

200

der Generalkonsul weniger gesagt und bloß von der Gründungeiner ganz beschränkter Anzahl von Schulen geredet, so hätte ichan das Rinascimento der jungen Türkei geglaubt. Im Herbst 1910erzählte ich dies alles Baron Burian in Sarajevo und, als ich danndort erfuhr, daß in den im Frühjahr 1909 den Türken intaktübergebenen Kasernen Pljevljas bereits mehr als die Hälfte derFensterscheiben e ingeschlagen se ien , und mirGeneralstabshauptmann Heller ferner erzählte, daß auf sämtlichenBrücken der zwischen der bosnischen Grenze und Pljevljaverlaufenden Chaussee die Brückendecken ebenfalls schonfehlten - weil die Türken die Schande nicht vertragen könnten,eine gut gebaute Chaussee im Reiche zu besitzen, da war meinUrteil über den Untergang der europäischen Türkei trotz allergegenteiligen Berichte aus Konstantinopel im Herbste 1911 fixund fertig. Mein Sekretär brachte mir auch die Nachricht, daß dergroße Brand in Konstantinopel 1911 bloß deshalb von denJungtürken gelegt worden wäre, um die Straßenregulierung aufbillige Weise durchzuführen. Endlich die Art, wie eine seinenBruder Kadri betreffende Angelegenheit unter den Jungtürken inalttürkischer Manier aus der Welt geschafft werden konnte. Dieswaren weiter überzeugende Indizien, die ich allerdings imSpätsommer des Jahres 1911 erhielt. Im allgemeinen ist dieTürkei von niemandem besser definiert worden als von Dumont,der das Wort prägte, “La Turquie est campée en Europe” (DieTürkei lagert in Europa). Diese Definition erklärt auch zurGenüge, warum das Kriegervolk der Osmanen fast immer eingutes Heer und die zu einem guten Heer unbedingt nötigenMaterialien, dabei aber immer eine schlechte Zivilverwaltunghatte. Die ausnehmend elende Qualität des Heeres zur Zeit desSultans Abdul Hamid war eine sogar für die Türkei abnormaleErscheinung. Sie basierte auf der Einsicht des Sultans, daß dieTürkei ohnehin nicht mehr mit roher Gewalt sondern, so lange eseben ginge, nur mit diplomatischer Schlauheit zu halten sei. Von

Page 215: Nopcsa Reisen Balkan

Zwischen der Annexion und dem Balkankrieg (1910-1912)

201

so einem Gesichtspunkte aus konnte ihm ein modernes Heer alsüberflüssig und ein modernes Offizierskorps geradezu alsgefährlich erscheinen.

Abdul Hamid war der letzte große Sultan. Das Schicksalhatte ihn vor die titanische und schier unlösbare Aufgabe gestellt,ein nicht kulturfähiges Volk vor der Kultur zu retten. Lange Zeitkonnte er, freilich mit fast unmöglichen Mitteln, diese auf dieDauer unmögliche Aufgabe erfüllen. Wie er es, ohne aus demYildiz herauszutreten, verstand, die Großmächte und auch dieihm ausgesprochen feindlichen benachbarten Reichegegeneinander auszuspielen, war ein Meisterstück ohne Gleichen.Rumänische Schiffe wurden in Piräus vom griechischen Mob fastgeplündert, Griechen im bulgarischen Philippopel (Plovdiv)erschlagen, Serben und Bulgaren mordeten sich gegenseitig inMazedonien, und Albaner drangsalierten die Serben undBulgaren. Dabei saß Abdul Hamid wie eine Spinne in seinerEcke.

Das erste, was die in dieser Beziehung alt-osmanischenTraditionen getreuen Jungtürken taten, war das Heer zureformieren. Die Gefahr, daß ihre diesbezüglichen Bestrebungenscheitern würden, lag aber darin, daß ein modernes Heer, um vomAusland unabhängig zu werden, in viel höherer Weise aufZivilverwaltung, Bahnwesen und komplizierte Technik, also aufFaktoren der bürgerlichen Zivilisation basiert ist, als es noch vordreißig Jahren der Fall war, und in der Türkei mußte auch nochzur Zeit der Jungtürken jedes Pfund Dynamit und jeder Magneteines militärischen Telegrafenapparates vom Auslande importiert,und jene verdorbene Lokomotive vom Auslande ersetzt werden.Diese jungtürkische Politik mußte dann natürlich zumsogenannten ‘Balkanbunde’ führen.

Ende Juni 1910 gelangte ich nach Albanien. Hierüberredete nun aber Konsul Zambaur im Einvernehmen mitMacchio u. Co., den Vali, Bedri Pascha, mir meine Reisen zu

Page 216: Nopcsa Reisen Balkan

Zwischen der Annexion und dem Balkankrieg (1910-1912)

202

verbieten. Den Namen eines jener Berufsdiplomaten, die aufMacchio und Co’s Rat aufgesessen ist und sich nachträglich auchdieser Handlung noch brüstete, will ich deshalb verschweigen,weil er später (nach 1920) Ungarn relativ gute Dienste geleistethat.

Ich erfuhr von Zambaurs Handlung durch den Leibarztdes Valis, Dr. Saleddin, der in Fräulein Martha, einemAdoptivkind Margelas, der Mutter Prenk Paschas, verliebt war.Mit mir wollte Sadeddin auf gutem Fuße leben, denn er hofftevon dieser Freundschaft, daß ich meinen Einfluß auf FräuleinMartha, deren Bruder ich öfter aus Gefahren gerettet hatte, zuseinen Gunsten geltend machen würde. Martha galt als dieSchwester des Bajtaktars Lezh Prenga. Böse Zungen wollten aberetwas anderes Wissen. Man sagte, sie sei einem geheimenVerhältnis des Abtes der Mirditen, Primo Doçi, mit Davidika,einer Tochter Margelas und der Schwester Prenk Paschasentsprossen. Da einstens mir Margela auf meine Proposition,Prenk Bib Doda solle Martha heiraten, am ganzen Leibe bebenderwiderte, daß dies unmöglich sei und sie in so einem FalleMartha eher mit ihren eigenen Händen erwürgen würde, undDavidika außerdem vor ihrem Tode einen durchausmatronenhaften und nicht jungfräulichen Eindruck machte, undda schließlich zwischen Martha, der angeblichen ehemaligenGespielin Davidikas, und Davidika selbst ein Altersunterschiedvon wenigstens zwanzig Jahren bestand, so konnten diegenannten bösen Zungen mehrere Argumente ins Treffen führen.Marthas angeblicher Bruder Lezh Prenga, der Bajraktar vonKthella, war ein mir sehr sympathischer Jüngling, an den ichnoch sehr oft denke. Er wurde leider noch in jungen Jahren um1911 erschossen.

Während ich mich in Shkodra aufhielt, war TorghutShefket Pascha mit seiner Armee von Gjakova im Anzug, umnach den mohammedanischen Albanern die katholischen zu

Page 217: Nopcsa Reisen Balkan

Zwischen der Annexion und dem Balkankrieg (1910-1912)

203

entwaffnen. Im Hinweise auf ihre Bereitwilligkeit zu einer Aktionim Jahre 1909 baten nun diese katholischen Albaner die k.u.k.Regierung zu ihren Gunsten zu intervenieren. Dedë Gjo’ Luli,Chef der Hoti, ging zum Konsul Zambaur und bat, dieösterreichisch-ungarische Regierung möge dahin wirken, daß diekatholischen Albaner, denen man im Frühjahr 1909 Gewehregegen Montenegro versprochen hatte und die in der Tat bereitgewesen waren, Montenegro anzugreifen, wenn sie auch schonkeine Waffen erhalten hatten, jetzt wenigstens ihre eigenenGewehre behalten dürften, da angeblich die Jungtürken darangingen, alle Albaner zu entwaffnen. Dedë Gjo’ Luli wurde ausdem Konsulat so zu sagen hinausgeworfen, und Zambaurerklärte, daß alle Albaner ihre Waffen abzugeben hätten, da dieJungtürken ihnen nichts zu Leide machen würden. Mir sagteZambaur freilich lachend, “jetzt geht es noch, den Leuten etwasvorzumachen. Ich bin aber nur neugierig, was ich den Leutendann vorzulügen habe, wenn die Jungtürken anfangen werden, siezu prügeln.” Dedë Gjo’ Luli kam zu mir. Weinend klagte er mir,daß er nirgends vor den Türken Rettung finde, und daß er deshalbgenötigt sein würde, Montenegro um Hilfe anzurufen. Ich sahgleich, daß ich ihn hievon nicht abbringen konnte, und so sagteich ihm denn, daß ich ihn nicht zurückhalten wolle. Hiemitbegann jener von 1910 bis 1913 dauernde Abschnitt dernordalbanischen Lokalgeschichte, während dessen diekatholischen Stämme Albaniens von ihren alten Feinden, denMontenegrinern, gegen die Türken scheinbar effektiv unterstützt,in Wirklichkeit aber gegen die Türken ausgenützt wurden. Zuerstging Dedë Gjo’ Luli mit dem Stamme Hoti nach Montenegro,dann folgten die Shkreli, die Kastrati und zum Teil die Kelmendi.Dies war die erste sogenannte ‘friedliche Auswanderung’ derAlbaner.

Da ich alle diese Komplikationen und auch die nochspäter folgenden voraussah, fuhr ich nach Wien, um mich bei

Page 218: Nopcsa Reisen Balkan

Zwischen der Annexion und dem Balkankrieg (1910-1912)

204

Aehrenthal über Zambaur zu beschweren und Aehrenthalgleichzeitig aufmerksam zu machen, daß er die Albaner nachMontenegro treibe. Aehrenthal wollte mich, wie ich in sein Bürotrat, beschimpfen. Er sagte mir, “Baron, ich muß Ihnen sagen, daßich mit Ihrem Benehmen sehr unzufrieden bin.” Ich antwortetewörtlich, “Sie vergessen, Exzellenz, daß Sie keinen Vizekonsulvor sich haben.” Aehrenthal sah, daß er einen Fehlschrittbegangen habe, aber er billigte Zambaurs Verhalten. Wirpolitisierten, unser Dialog bewegte sich in fast leidenschaftlicherForm. Aehrenthal sagte, “Die Jungtürken sind mir mehr wert alsdie Albaner.” Ich wollte auf den Verfall der Türkei hin.Schließlich meinte er, “Baron, ich appelliere an IhrenPatriotismus, daß Sie Ihren Skutariner-Haushalt auflösen.” Zuvorhatte er mich freilich vergebens durch die Aussicht auf eineOrdensauszeichnung ködern und seinen Willen gefügig machenwollen. Auf Aehrenthals Appell verlangte ich vierundzwanzigStunden Bedenkzeit und willfuhr seinem Appelle, wovon ich ihnschriftlich verständigte.

Aehrenthal war zielbewußt, brutal, und eigensinnig. Erduldete keinen Widerspruch, war befehlshaberisch, aber gescheit,nur wurde der Verstand, nachdem er Graf geworden war, von derBegierde um jeden Preis recht zu behalten, vollkommenunterdrückt. Wenn durch Bezweifeln seines Verstandes seineEitelkeit gekränkt wurde, wurde er sogar kleinlich, daher ergabsich sein Feder- und Primaballerinenkrieg mit Iswolsky. DieserSohn des dem Judenvolke angehörenden Barons Lexa hatte es nurder Protektion des auf Chlumets begüterten Grafen ZdenkoKinsky zu verdanken, daß er in die Diplomatie kam. Baron Lexahatte als Getreidegroßhändler, wie mir Graf Zdenko Kinsky selbsterzählt hat, vielfach in Chlumets zu tun, und bei einer solchengeschäftlichen Zusammenkunft versprach ihm Graf Kinsky, demjungen Lexa, der später dann das besser klingende Prädikat‘Aehrenthal’ als Familienname verwendete, bei der Aufnahme in

Page 219: Nopcsa Reisen Balkan

Zwischen der Annexion und dem Balkankrieg (1910-1912)

205

das diplomatische Korps behilflich zu sein. Mit seiner jüdischenAbstammung ist die Tatsache, daß Aehrenthal, recte Lexa, zumAugenblicke, daß er Graf wurde, sehr aktiv war, später abernichts mehr unternahm, sehr gut vereinbar.

Im Anschluß an mein Gespräch mit Aehrenthal hatte ichauch eine Unterredung mit Macchio, von der ich folgendenDialog erwähne. Ich: “Exzellenz, was Sie (i.e. das Ministeriumdes Äußeren) mit den Jungtürken machen, ist reine A....leckerei!”Er (ernst): “Was wollen Sie? Die anderen tun dasselbe. Wirmachen es wenigstens mit Würde.”

Als ich Bajazid die Auflösung meines Haushaltestelegraphierte, erhielt er auch die Weisung in meinem Namenüber Aehrenthals dumme Albanienpolitik zu schimpfen.

Von Aehrenthal kommend besuchte ich GeneralstabschefConrad in seiner Wohnung in der Reisnerstraße und machte ihnauf die zukünftigen fatalen Folgen von AehrenthalsAlbanienpolitik aufmerksam und sagte ihm gleichzeitig, was ichBajazid aufgetragen hatte. Ich motivierte mein Vorgehen damit,daß ich wenigstens mich bei den Albanern konservieren wollte,da dereinst der Augenblick kommen würde, wo wir die Albanerbrauchen würden und wo ich vielleicht durch meinenpersönlichen Einfluß die Fehler Aehrenthals würde reparierenkönnen. Dann berichtete ich auch über den genauen Verlaufmeines Gespräches mit Aehrenthal, denn ich hatte diesem allerleiArgumente gegen seine Politik vorgebracht, worauf er mir stattweitere Gegenargumente endlich nur sagte, “Gestatten Sie,Baron, ich betrachte die Sache von einem höheren Standpunkt.”Conrad gab mir in Bezug auf die Albanerfrage vollkommen recht.Dann fragte er mich, was ich von Aehrenthals ‘höheremStandpunkt’ halte. Ich sagte, “ich halte diese Phrase für leeresGewäsch.” Conrad antwortete, “Wenigstens haben Sie das Kindbeim Namen genannt.” Mich wunderte damals diese entschiedeneStellungnahme Conrads.

Page 220: Nopcsa Reisen Balkan

Zwischen der Annexion und dem Balkankrieg (1910-1912)

65 Marian Freiherr Varešanin von Vareš, General der Infanterie.

206

Der Augenblick, den Conrad und ich in der Albanerfrage1910 vorausgesehen hatten, kam auch wirklich und zwar vierJahre später im Jahre 1914. Anläßlich des Großen Krieges hatteman in Wien plötzlich die Ereignisse von 1910, 1911 und 1912vergessen, und man wollte von Wien aus die Albaner erneutgegen Montenegro hetzen. Kein Versuch führte zu einemgreifbaren Resultate und, da ich selbst an diesen Versuchenteilnahm, bereitete mir dieser Mißerfolg eine arge Enttäuschung.Ich verstand aber diese Leute. In Wien entblödete man sich aber- und zwar naturgemäß namentlich am Ballhausplatz - in keinerWeise, sich über die Albaner zu entrüsten und sie als treulos zubezeichnen. Wogegen die Albaner schon 1900 erkannt hatten,daß Österreich-Ungarn rp. dessen Diplomaten sie mehr alsSchachfigur benützen als beschützen wollten. Noch 1914 sagtenmir mehrere Albaner, “Vergiß Du nicht, daß wir die Tatsache,daß unsere Söhne heute am Leben sind und nicht tot im Jemenliegen, nur der Unterstützung Montenegros im Jahre 1911verdanken.” Auch die Befreiung von der mohammedanischenOberherrschaft erfochten die katholischen Albaner untermontenegrinischer, nicht österreichisch-ungarischer Führung,wenn sie auch achtgaben, dieses Ziel möglichst billig zuerreichen.

Das Auflösen meines Skutariner Haushaltes nötigte michmehr denn je zuvor zuhause und in Wien zu leben. Juli undAugust war ich in Ujárad, wo ich mich sehr gelangweilt habe.Ende August fuhr ich auf einige Tage nach Wien und inSeptember endlich nach Bosnien. Hier war ich öfter bei Burian inIlidže, wo auch Thallóczy war. Dort habe ich Varešanin65 sowie

Page 221: Nopcsa Reisen Balkan

Zwischen der Annexion und dem Balkankrieg (1910-1912)

66 Moritz, Freiherr Auffenberg von Komárow.

207

den späteren Kriegsminister, General Auffenberg66,kennengelernt und meinen alten Bekannten, Ali Begoviƒ,getroffen. Mit Ali machte ich in nicht allzu eleganter Kleidungeine Fußtour in die bosnische Serpentinzone, und zwar führte derWeg von Zavidoviƒi nach Hajderoviƒ, wo wir uns bei Nacht undRegen verirrten und endlich im Stalle eines serbischen Knesenschliefen. Von dort ging es in das orthodoxe Kloster Ozren, dannnach Maglaj, wo ich Gast des Bezirksvorstehers, BaronKettenburg, war. Kettenburgs Frau war Bianca Berks, dieehemalige Verlobte von Louis Draškoviƒ. Von Maglaj ging ichgegen Tuzla und schlief die folgende Nacht bei einemmohammedanischen Bauern, dem Vater mehrerer sympathischerSöhne zwischen achtzehn und vierundzwanzig Jahren, unweitTuzla. Dann ging ich nach Doboj und schlief im Hotel dort.Während dieser Wanderung konstatierte ich die völligegeologische Identität der bosnischen Serpentinzone mit derSerpentinzone Albaniens. Allenthalben konstatierte ich ferner beiden Bauern am flachen Lande eine rege Bautätigkeit, was einBeweis für viel flüssiges Geld ist, aber auch dafür, daß dieBewohner ein bequemeres und luxuriöseres Leben zu führenbegannen. In Verhältnis zu dem 1899 Geschehenen war dieshöchst erfreulich, doch waren die Leute weniger fröhlich undweniger guter Laune.

Während der ganzen Tourné redeten alle Bauern, die wirtrafen, über die damals in Schwebe befindliche Kmetenablösung,und aus dem Umstande, daß sich jedermann damit befaßte,entnahm ich, daß das serbische Schlagwort der obligatenKmetenablösung die Gemüter heftigst erregt hatte. Nach Sarajevozurückgekehrt machte ich Burian auf die Gefährlichkeit diesertiefen Erregung aufmerksam und hatte die Genugtuung, daß

Page 222: Nopcsa Reisen Balkan

Zwischen der Annexion und dem Balkankrieg (1910-1912)

208

schon vierzehn Tage später, allerdings als ich schon in Wien war,die Zeitungen Nachrichten über Agrarunruhen inNordwestbosnien und auch in Doboj brachten, gegen die Militäraufgeboten wurde. In einer Volksmenge kann eine Agitation mitnoch so rationellen Mitteln und mit noch so guter oder böserAbsicht betrieben werden. In der Regel verhält sich jede Mengeeiner Agitation gegenüber so lange passiv, bis es nicht einemAgitator gelingt, ein auf die Phantasie und das Gefühl der Mengewirkendes Schlagwort zu prägen. So ein Schlagwort brauchtweder geistreich noch rationell zu sein, es wirkt aber dennochhypnotisierend. Diese Tatsache läßt sich bei ungebildeten Massenauf politisch-sozialem Gebiet und bei gebildeten Leuten aufkünstlerischem Gebiet konstatieren. Dem verdanken diesogenannten ‘Schläger’ im Theaterleben ihre Entstehung. Die‘obligatorische’ Kmetenablösung im Gegensatze zur‘fakultativen’ war für die serbische Raja Bosniens nahezu so einSchlagwort. Ein anderes war das Wort Kuferasch, worunter manden mit leerem Koffer nach Bosnien gekommenen und mitvollem Koffer, also reich, aus Bosnien abgehendenösterreichischen Beamten - ungarische gab es sehr wenige -verstand.

Ebenso interessant wie die Gespräche mit dem MinisterBosniens, Baron Burian, war ein Gespräch mit den Mönchen imOzrener Kloster, wobei Said scheinbar den ungetreuen, auf Seiteder Mönche stehenden Dolmetsch spielte und mich erstnachträglich über das eigentliche Gespräch informierte.Namentlich folgendes war bemerkenswert. Ein Mönch sagte,“Das will ein Kulturstaat sein, der hier in Bosnien mehrGendarmeriekasernen unterhält als Schulen.” Ich (lachend), “Nunwährend der Annexionskrise war es doch sehr gut, daß es sowar.” Der Mönch (erregt), “Was sagt der Schwaba?” Saidübersetzt es ihm, worauf nun der Mönch heftig auffährt, “Was!Lachen will der Schwaba und auch noch darüber spotten! Er soll

Page 223: Nopcsa Reisen Balkan

Zwischen der Annexion und dem Balkankrieg (1910-1912)

209

nur sehen, was wir in einigen Jahren machen.” Ich (zu Said),“Was sagt Hochwürden? Warum ist er so erregt?” Said (derherausbekommen hatte, daß der Mönch etwas deutsch verstand,zu mir), “Seine Hochwürden ist entrüstet, daß Sie sich auch aufeinen so barbarischen Standpunkt stellen.” Das Jahr 1914 zeigte,was der Mönch 1910 gemeint hatte.

Die Rückfahrt aus Bosnien nach Wien erfolgte überJajce, wo ich mir diesmal den Wasserfall und die alte Königsburganschaute und an Louis Draškoviƒ dachte, dann weiter über BanjaLuka. Von dort kam ich nach Agram und blieb einige Tage beider Familie Draškoviƒ. Es sind der Vater - ein bedauernswerter,kranker, daher irritabler, sonst aber eher schwacher Greis, Louisseine Schwester Mädi und der jüngste Sohn zuhause. Alle warenmit mir, als einem alten Freund von Louis sehr nett. Man zeigtemir die Fotografien seines Grabes in Konstantinopel. “Erinnerungan Schönes berührt so sanft das Herz,” hatte Louis einmal ineinem Gedicht geschrieben. Es wurde mir so weh. MädiDraškoviƒ gab mir die hinterlassenen Papiere ihres BrudersLouis, damit ich dieselben publizistisch verwerte, denn Louishatte Patsch eine Arbeit über den Sandschak von Novi Pazarversprochen. Außerdem schenkte man mir einen alten Hut vonLouis, den er viel getragen hatte. Von Agram fuhr ich nach Wien,wo ich Oktober und November verbrachte und aus Oppositiongegen Aehrenthal mit der Zeit in Kontakt trat. Ich übergabKanner ein Memorandum über den Balkan. Professor Singer undDr. Kanner haben mich höflich hinauskomplimentiert, dasMemorandum jedoch behalten und wollten nicht glauben, daß ichvom Fach nicht Politik sondern Geologie betreibe. Ich verlangteals politisches Programm ein autonomes Albanien so schnell undso groß wie möglich, damit sich dieses beim unvermeidlichenNiederbruch der Türkei automatisch in einen unabhängigen Staatverwandele.

Page 224: Nopcsa Reisen Balkan

Zwischen der Annexion und dem Balkankrieg (1910-1912)

210

Ende November fuhr ich auf einige Tage nachBoldogfalva dann wieder nach London. Das Neujahr 1911 fandmich in England. Ende Jänner folgte ich einem Rufe nach LeHavre zu kommen, um dort befindliche Dinosaurier zubeschreiben. Ich hielt bei dieser Gelegenheit dort einen Vortragauf französisch über dieses Tier und Dinosaurier im allgemeinenund beschloß meinen Vortrag über den Kampf ums Daseinredend mit den Worten, “Et si maintenant, en sortant dans la rue,vous voyez la lutte quotidienne, ne soyez pas attristé, car c’est lalutte pour l’existence qui a developpé chaque éspèce, qui aennoblie la race humaine, et c’est la lutte pour l’existence qui faitque la France marche à la tête de la civilisation et du progrès.”Diese dummen Worte entfesselten bei den eitlen und leichterregbaren Franzosen einen Sturm der Begeisterung, zumal sieauf die sozialen Zustände der Arbeiter und der Hafenstadt LeHavre zu zielen schienen. Der Maire (Bürgermeister) von LeHavre forderte mich auf, meinen Vortrag im Theater vor einemgroßen Publikum zu wiederholen, aber ich war klug genug zurefusieren.

Von Le Havre fuhr ich wieder nach London und hielt inder Geological Society of London auf englisch einen weiterenVortrag über die Geologie Albaniens. Um in London nebst dembürgerlichen Privatleben auch das Clubleben kennenzulernen,ließ ich mich durch den Diplomaten Khuen Sandor, den Sohn desehemaligen ungarischen Ministerpräsidenten, GrafKhuen-Héderváry, als Gast für einen Monat in den St. JamesClub (Piccadilly) einführen. Repräsentanten des englischenVolkes lernte ich in den Fischern der Isle of Wight (Sandown)kennen. Der interessanteste Kreis war jener der bürgerlichenGelehrten, wo ich die Familien des Musealdirektors, A. S.Woodward, des Professors Seeley und ferner des ehemaligenMusealdirektors, H.B. Woodward, sowie Lydekkers, Boulengers,eines in England angesiedelten Belgiers, und Pycraffts öfters

Page 225: Nopcsa Reisen Balkan

Zwischen der Annexion und dem Balkankrieg (1910-1912)

211

besuchte. Ich suchte außerdem Mr. Sherborn in seinerGarçonwohnung auf. Pycrafft wohnte mit Frau und Kind ineinem Zinshause, Woodward und Boulanger mit ihren Familienin je einem kleinem Hause, und Lydekker auf dem Lande inHampton in der Nähe von London. Lydekker erfreute sich wegenseiner zoologischen Studien der besonderen Gunst des Duke ofBedford (Lydekker nannte ihn immer nur kurz ‘the duke’), unddieser hatte ihm billig ein schönes Etablissement (The Loge) miteinem sehr gut gepflegten Garten überlassen. Übrigens hatteLydekker, der die Zoologie als Sport betrieb, auch etwas eigenesVermögen, weshalb er im Natural History Museum eineunbesoldete Stelle hatte. Er hatte mehrere Söhne und Töchter,und ich verbrachte, die opulenten englischen Frühstückegenießend und größere Spaziergänge unternehmend, öfter zuOstern mehrere Tage bei ihnen.

Von gelehrten Korporationen, deren Sitzungen ichbeiwohnte, sind die Geological Society, die Zoological Society,die Geographical Society und die Royal Society zu erwähnen.Die Sitzungen der beiden letztgenannten frequentierte ich abernur zuweilen. Fast regelmäßig wurde ich zum Essen des DinnerClub der Geological Society und öfter zum Dinner Club derZoological Society zu Gast geladen. Die Clubmitglieder kamenim Kriterion (englisch natürlich Kreitierjen auszusprechen) undim Café Royal zusammen. Das Essen war in beiden Restaurantssehr gut. Woodward und, so lange Professor Seeley noch lebte,auch die Familie Seeley bewohnten, wie schon gesagt, je einesder kleinen drei Stock hohen aber nur drei Fenster Front undSäulen getragenen Porticus aufweisenden Häuser, die alsGroßstadthaus für London so typisch sind, freilich aber so wieder englische Baustyl im allgemeinen und die Anlage mancherStädte überhaupt stark an den alten Stil in Nordwestfrankreichgemahnen. Bei Woodwards war unten vorne ein Salon und hintenneben der Stiege das Speisezimmer. Im Halbstock neben der

Page 226: Nopcsa Reisen Balkan

Zwischen der Annexion und dem Balkankrieg (1910-1912)

212

Stiege war das Badezimmer. Dann kamen Schlaf- undKinderzimmer. Ganz oben hatte Woodward noch einArbeitszimmerchen für sich. Die Küche war im Souterrain, dieDinnerzimmer waren z.T. auch dort, z.T. in der Mansarde. DieBedienung bestand aus einer Köchin, einem Stubenmädchen, dasauch servierte, und eine Aushilfskraft für die schwere Arbeit, wieScheuern u. dgl. Bei Seeleys war die Einteilung ähnlich. Auch ichmietete mir bei einem späteren Aufenthalt so ein Haus. SolcheHäuser kann man möbliert oder unmöbliert in London relativbillig für kürzere oder längere Zeit, also von drei Monate bisneunundneunzig Jahre leicht mieten, und zwar geschieht dies, wieauch bei Wohnungen (Flats), durch Vermittlung eines Agenten,so daß man den Eigentümer gar nicht zu Gesicht bekommt.Handelt es sich um möblierte Räume, so entsendet jede derParteien außer dem Vermittler auch noch einen Agenten, unddiese nehmen dann ein doppeltes Inventar derEinrichtungsgegenstände auf, doch ergibt sich trotzdem beimAusziehen stets, daß angeblich oder wirklich einige Gegenständefehlen. Derzeit geht man in London von denEinzelhaus-Wohnungen auf Wohnungen in Zinshäusern über, dadiese weniger Bedienung erfordern. Der Garten, der auch in denbewohnten Zentren Londons mit jedem Einzelhaus verbunden ist,fällt freilich bei einem Zinshaus weg, und man ist dort nicht soungestört wie in seinem eigenen Haus. Darüber, daß das ZentrumLondons, die City, kein Wohnort sondern wie die orientalischenBazare nur ein riesiges Comptoir ist, das sich in der Frühebevölkert und abends entvölkert, ist schon viel geschriebenworden. Ein Entvölkern des Zentrums ist übrigens in jederGroßstadt, auch in Wien, bemerkbar. Dies hängt mit dem teuerenMietzins und den guten Radialverlaufenden Bahnen zusammen.Das sogenannte ‘Weekend’, das heißt der Feiertag von Samstagmittag bis Montag früh übergehe ich gleichfalls so wie manchesandere. Es rentiert sich aber die Monotonie der englischen

Page 227: Nopcsa Reisen Balkan

Zwischen der Annexion und dem Balkankrieg (1910-1912)

213

bürgerlichen Küche vor dem Weltkriege, in der die sog.‘Einbrenne’ und das Dünsten und Gewürze unbekannt sind, zuerwähnen. Der ganze Speisezettel setzt sich aus folgendenSpeisen zusammen: gekochter oder gebackener Fisch, gekochtesoder gebratenes Fleisch, gekochtes Grünzeug u. a. Erdäpfel, gelbeRüben, Kohl, Sprossenkohl, Karfiol und Spinat, ferner gebrateneKartoffeln, aber alles ohne Ingredienzien, außer Salz, Fett undWasser. Süße Mehlspeisen gibt es eigentlich nur drei: ‘tart,’ einesüße gebackene Teigkruste über irgendeinem Kompott, z. B.Rhabarber oder Aprikosen; ‘custard,’ ein Gemisch vonBackpulver und Ei, gleichfalls mit Kompott; und dann denseltenen feierlichen ‘plum pudding’. ‘Fish pie’ (Fischpurée mitBechamel) gilt schon als komplizierte Speise, die nicht jedeKöchin zustande bringt.

Humoristisch sind einige am Kontinent weniger bekannteenglische Gesetze, z. B. das Gesetz, das Sonntags vormittag dieVerabfolgung von Alkohol sogar in London nur an Reisendegestattet, wobei aber als Reisender jener gilt, der den Beweiserbringen kann, einige Meilen zurückgelegt zu haben. Heute istdies damit gleichbedeutend, daß derjenige aus einem anderenViertel der Riesenstadt herkommt. Einem anderen englischenGesetz zufolge kann jeder Tuch- und Leinwandverkäufer genötigtwerden, das verkaufte Material an dem irgendwo in der Citybefindlichen ‘Yard’-Urmasse abzumessen und die Ware vor demVerkauf dorthin zu senden. Endlich darf jedermann gegenHonorar wohl jedem anderen Menschen ärztlichen Rat erteilen.Mit dem Heilen von Tieren dürfen sich aber nur geprüfteTierärzte befassen.

In den Kreisen, wo ich verkehrte, galt ich teils als‘distinguished foreigner’ teils als ein Kollege aus dem Ausland.Für die Bezeichnung von Fremden hat die Sprache der viel mitFremden verkehrenden Engländer viele dem Sinne nach genauunterscheidbare Worte: ‘stranger,’ ‘native foreigner,’ ‘foreign of

Page 228: Nopcsa Reisen Balkan

Zwischen der Annexion und dem Balkankrieg (1910-1912)

214

distinction’ und ‘distinguished foreigner.’ Endlich gibt es nochdas Wort ‘alien.’ ‘Stranger’ ist jedermann, den man nicht kennt,‘native’ ein Mensch, den man unter Umständen auch genauerkennt, der aber nach englischer Auffassung einem der meist inNationaltracht einhergehenden und merkwürdigen Sittenhuldigenden Völkern angehört, denen die Fähigkeit abgeht, sichzu einem wirklichen Kulturelemente zu entwickeln. Es bestehtalso zwischen einem Engländer und einem ‘native’ etwa jenerGegensatz, den man aus dem lateinischen Satze “ego civesromanus sum, ille barbarus” heraushört. Als ‘foreigner’bezeichnet man jene individuell sympathischen undantipathischen Leute, die aus einem der als kulturfähigerachteten, auch durch Kleidung und Sitte an Westeuropagemahnenden Völker entstammen. Unter den ‘foreigners’ machtman dann je nach der sozialen Stellung, die sie daheim und daherauch in englischen Kreisen einnehmen, Differenzen, daher dahersteht der ‘foreigner of distinction’ sozial noch höher als der‘distinguished foreigner’ bezeichnet werden. Steht ein ‘foreigner’infolge individueller Eigenschaften unter dem Kulturniveau einesgebildeten Engländers, so gehört er in die Klasse der ‘aliens’.

Als Gelehrter galt ich im Kreise der englischen Gelehrtenals einer jener zahlreichen, über die ganze Welt zerstreutenIndividuen, die die sogenannte internationale Gelehrtenwelt (aufdeutsch die sogenannte ‘Gelehrtenrepublik’) ausmachen und dieuntereinander fast freimaurerartig verkehren, und dies deshalb,weil man im Verkehre mit ihnen oft vom Individuellen absiehtund in der einem entgegentretenden Person nur den Träger einerIdee oder einer Ideengruppe erblickt. Dieser letzte Umstandbringt es mit sich, daß sich zwischen Gelehrten stets eine freilichin erster Linie ihr Fach betreffende, lebhafte und interessanteKonversation mit Leichtigkeit einstellt.

Eine die Gelehrten Englands, Deutschlands undFrankreichs etc. schildernde Anekdote ist so charakteristisch, daß

Page 229: Nopcsa Reisen Balkan

Zwischen der Annexion und dem Balkankrieg (1910-1912)

215

ich sie hier wiedergebe. Ein Engländer, ein Franzose und einDeutscher waren vor der Aufgabe gestellt, ein Kamel zuschildern. Der Engländer fuhr nach Afrika, beobachtete dortlängere Zeit die Kamele, erlegte auch eins und berichtete überseine Beobachtungen und deren ökonomische Bedeutung ineinem wortkargen Brief nach Hause. Der Franzose ging in denJardin des Plantes in Paris und beschrieb, allerdings recht genau,das dort befindliche Kamel, das, weil es in Paris war, von nun anfür das Prototyp aller Kamele galt, und auch in Zukunft alssolches gelten mußte, wogegen alle bei anderen Kamelenbeobachteten Abweichungen ‘exceptions de la règle’ waren. DerDeutsche blieb zu Hause, las mit Bienenfleiß alle die bisherigendie Kamele behandelnden Werke von Aristoteles herwärts,machte seine Notizen, schrieb ein dickes Buch und rekonstruiertedann, ohne je eine Kamel gesehen zu haben, das Tier aus derTiefe seines Gemütes.

In Wien erzogen und zum Gelehrten herangebildet warauch ich in Gefahr der deutschen Methode zu verfallen. Seitmeinen Londoner Besuchen trachtete ich jedoch die englischeund deutsche Forschungsmethode zu verbinden. Für ‘le chameau’der Franzosen habe ich mich nie begeistern können. Der bekannterussische Diplomat und Völkerrechtler Mandelstamm machte mirgegenüber einst übrigens die höchst treffende Bemerkung, daß erals Russe und erst gar als russischer Diplomat gegen dieFranzosen gar nichts einzuwenden hätte, wenn sie sich nur nicht‘la grande nation’ sondern ‘une grande nation’ nennen würden.

Was die englischen Gelehrten sonst betrifft, so wäre zuerwähnen, daß auch sie wie alle Engländer ihren Sinn für daspraktische Leben bewahren und daß sie nicht nur für das geistigesondern auch für das körperliche Wohl ihres Gastes sorgen undjeden daher nicht nur ihrer Musealschätze unter freilichmanchmal verschnörkelten Vorsichtsmaßregeln teilhaftig werdenlassen, sondern auch daß sie den physischen und materiellen Teil

Page 230: Nopcsa Reisen Balkan

Zwischen der Annexion und dem Balkankrieg (1910-1912)

216

der Forschung fördern, was durch Erleichterungen im Gebraucheder Bibliothek durch Zuweisen von genügend Raum u.s.w.geschieht.

Über die Leichtigkeit des Arbeiten im Natural HistoryMuseum in London ist es schwer zu schreiben, denn es sindtausend Kleinigkeiten, die mitwirken und dieses fördern. Auf denBücherregalen der Bibliothek, die man mit Erlaubnis desDirektors ohne Zuhilfenahme des Personals benützen darf, waseine große Zeitersparnis bedeutet, liegen weiße Papierblocks zumAbreißen und Bleistifte frei herum. Hiedurch ist man in die Lageversetzt, wenn man etwas Interessantes liest, sofort auch danneine Notiz zu machen, wenn man zufällig weder Papier nochBleistift bei sich hat, ohne wie anderswo, wenn man schon dasbesondere Privilegium der freien Bibliothekbenützung hat,dennoch in so einem Falle drei Zimmer bis zum Bibliothekardurcheilen zu müssen, dann warten zu müssen, bis man denBibliothekar oder gar das noch unnahbare Bibliothekfräuleinansprechen kann, und dann genötigt ist, jenen oder dieseliebenswürdigst um ein Stück Papier und, sofern in der Bibliothekkeine Tintenfässer mit Tintenschlamm und verrostete Federaufliegen, auch noch um einen Bleistift zu bitten. Ist dies allesgeschehen, so sieht man sich gezwungen, freundlich lächelnd dieZeit geduldig tot zu schlagen, bis die um Papier angegangenePerson sich wegen der absonderlichen außerhalb ihrerAmtstätigkeit fallenden Bitte zurechtgefunden hat und endlichnach Herumstöbern in ihrer hierüber im Unordnung geratendenTischlade das gewünschte Material auftreibt. Erst nach all diesenVorgängen ist man in der Lage triumphierend zu seinem Buchezurück zu eilen (drei Säle weit), um auf das Papierstück vielleichtzwei Worte aufzuschreiben. Nach alle dieser eminenten Tätigkeiterfordert es dann der Anstand, daß man den Bleistift wieder unterfreundlichem Lächeln dem schon wieder in andere Arbeitvertieftem Fräulein mit Dank und, ohne sie bei ihrer Arbeit

Page 231: Nopcsa Reisen Balkan

Zwischen der Annexion und dem Balkankrieg (1910-1912)

217

empfindlich zu stören, zurück erstatte, zu welchem Behufe mansich genötigt sieht, in angemessener, die übrigenBibliothekbesucher berücksichtigender Ruhe je drei Zimmer nochzweimal zu durcheilen. Bei dieser Schilderung schweben mir dieVerhältnisse in den prunkvollen Sälen des Wiener k.u.k.Hofmuseum vor Augen.

Erleichterung der Arbeit unterscheidet nun das BritishMuseum von allen anderen mir bekannten ähnlichenInstitutionen. Gerade am Wiener Hofmuseum sah ich mich einstwegen der unsinnigen Bibliothekordnung genötigt, dem HerrnKustos Kittl folgendes zu sagen: “Hoffentlich werde ich niewieder genötigt sein, die Bibliothek der geologischen Abteilungdes Hofmuseum zu benützen,” worauf Kustos Kittl allerdingserregt zugab, daß möglicherweise die englischenwissenschaftlichen Anstalten liberaler seien als die Wiener.

Zieht man zu diesem kleinen Vorteil noch dasungeheuere Vergleichsmaterial des Natural History Museum inBetracht, das einem gleichfalls, sofern man dort arbeitet, in seinerGesamtheit vollkommen zur Verfügung steht (innerhalbvierundzwanzig Stunden stellte man mir z. B. Geschlechtsruteeines afrikanischen Straußes gratis mit der Erlaubnis zurVerfügung, das Stück nach Belieben zu zerschneiden), soerscheinen nun die Arbeitserleichterungen geradezu einzigartig.Jenen, die sich einen Aufenthalt am British Museum auf dieDauer nicht leisten können, ist freilich deshalb, weil man leichtverwöhnt wird und unter kleinlicheren Verhältnissen die Arbeitnur schwer wieder aufnimmt, vom Benützen dieses Museumsentschieden abzuraten. Im British Museum in Bloomsbury, woich in der kartographischen Abteilung an der Bestimmung der inmeinem Besitze befindlichen alten Albanien behandelndenLandkarten arbeitete, machte ich genau die nämliche Erfahrung.Es zeigt sich also, daß das Natural History Museum diesbezüglichnicht isoliert da steht. So viel über die Museen Englands.

Page 232: Nopcsa Reisen Balkan

Zwischen der Annexion und dem Balkankrieg (1910-1912)

218

Die Tatsache, daß die Geological Society in BurlingtonHouse in Piccadilly untergebracht ist, genügt, um den dortherrschenden Luxus ahnen zu lassen. Die GeographischeGesellschaft und die Zoologische besitzen sogar eigene Gebäude.In dem stets zentralistisch organisierten Frankreich sind alle dieseGesellschaften im Quartier Latin zusammen in einem großenZinshause untergebracht. In Wien stehen die meisten gelehrtenGesellschaften in freundschaftlichem Verhältnis zur Universitätoder anderen verwandten öffentlichen wissenschaftlichenAnstalten, die ihnen Gastrecht gewähren. Dadurch werden aberdiese Gesellschaften zu Filialen der betroffenen Anstalten. Dieshängt ausschließlich damit zusammen, daß das geistige LebenÖsterreich-Ungarns und Deutschlands von den Professorenmonopolisiert wird, die die Dilettanten, wenn sie noch so tüchtigsind, aus Brotneid und aus Eifersucht verdrängen, wogegen inEngland eben diese ‘Dilettanten’ das wissenschaftliche Leben aufbreitere Basis stellen. Daß der Afrika- und SüdamerikaforscherGraf Coudenhove nicht Mitglied der Wiener GeographischenGesellschaft ist, wogegen die Stubenhocker Prof. Oberhummerund Prof. Brückner abwechselnd ihre Präsidenten sind, ist ebennur in Wien möglich.

Wegen ihres durchaus logischen Denkens sind dieEngländer viel eher zu einem beide Teile befriedigendenZusammenarbeiten zu haben als jene zivilisierten Völker, die sichmehr durch ihre Gefühle leiten lassen und bei denen Sympathie,Kränkung, Eitelkeit u. dgl. eine größere Rolle spielen. DasÜbertragen des Gefühlsmomentes tritt übrigens auch bei Kindernund Naturvölkern hervor, und deshalb sind die Naturvölker vonden meisten Reisenden mit Kindern verglichen worden.

Aus naturwissenschaftlichem Standpunkt ist dasVortreten der Logik als vorgeschrittener Zug zu bezeichnen, dennvon den am tiefsten stehenden Tieren weiß man, daß sie nur auf‘Tropismen’ (Phototropismus, Geotropismus, Chemotropismus

Page 233: Nopcsa Reisen Balkan

Zwischen der Annexion und dem Balkankrieg (1910-1912)

219

etc.) reagieren, während bei höher stehenden Tieren noch dersogenannte Instinkt hinzutritt. Das Wesen des Instinktes bestehtnun darin, daß er oft die Spontanreaktion auf einen Eindruckhemmt. Als Beispiel genügt es, wenn ich darauf weise, daß sichhöhere Pflanzenfresser instinktmäßig vom Genuß giftigerPflanzen enthalten, wogegen den tief stehenden Einzelligen ihrChemotropismus oft zum Verderben gereicht. Offenbar haben wirin den Instinkten genau so wie in den Reflexbewegungen(Schließen der Augenlider u. dgl.) individuell erworbene unddann erbliche fixierte Erfahrungen zu erblicken, deren Sitz abernicht im Großhirne, sondern in tieferen Hirnregionen zu suchenist. Im Gegensatze hiezu kommt für das Aufspeichern derpersönlichen und daher noch überhaupt nicht, oder fast noch nichterblich gewordenen Erfahrungen und der auf ihnen basierendenHemmungen das Großhirn in Betracht. In dieser Beleuchtung istes von höchster Bedeutung, daß Baron Economo auch für denSchlaf, das heißt für das Rasten des Hirnes und damit des ganzenKörpers auch zwei Schlafzentren gefunden hat, von denen daseine im Großhirne, das andere aber in einer tieferen Hirnregionliegt. Da nun das ‘logische Denken’ auch aus nicht anderen alsaus einer Reihe von vom Großhirne ausgehenden Hemmungenbesteht, die vor falschen Schlüssen oder unüberlegtenHandlungen bewahren, versteht man, daß die Zunahme der Logikeiner Zunahme der Funktion des Großhirnes entspricht. Gefühlesind ja nicht anders als stark modifizierte Tropismen. Je nach derGeschwindigkeit des Denkvorganges kann man Grübeln, ruhigesÜberlegen und Intuition unterscheiden. Beim Grübeln werden diemeisten, bei der Intuition die wenigsten Nebensächlichkeiten inBetracht gezogen. Intuition kann daher leicht irren, Grübeln führtzu keinem Resultate.

Mit der Erleichterung der wissenschaftlichen Arbeit gehtdann in London unter besonderen Umständen, das heißt, wennman es verstanden hat, sich in den Rahmen des englischen

Page 234: Nopcsa Reisen Balkan

Zwischen der Annexion und dem Balkankrieg (1910-1912)

220

Gesellschaftslebens einzufügen und die englische Sprachebeherrscht, auch das Öffnen der privaten Häuser der einzelnenenglischen Gelehrten Hand in Hand.

Wird man zu Essen geladen, so sagt einem der Hausherrin der Regel, wer mitgeladen ist, oder er fragt einen, ob mandiesen oder jenen ‘interessanten Menschen’ kennenlernen wolle.Man trifft bald Leute aus Australien, bald aus Kanada oderArgentinien und das Weltumspannende des Britischen Imperiumsläßt sich an keinem Zuge besser erkennen, als daß man an derTafel einfacher Bürger die Frage, ob dieser grünliche australischeoder rote südafrikanische Apfel besser sei, mit demselbenGleichmute erörtert wie Binnenbewohner Europas, wenn sie ineinem besseren Hause über den Budaer oder Dalmatiner Rotweinreden. Möglicherweise stammte das Suppenfleisch irgendeinerbürgerlichen Mahlzeit, bei der sich die Konversation um denkanadischen Apfel drehte, aus Argentinien, das Brotmehl ausOdessa, die Banane von den Azoren, der Käse aus Frankreich,und der Wein aus Portugal oder Spanien. Der Fisch kamhöchstwahrscheinlich aus der Nordsee, und vielleicht befand sichder Sohn des Hausherrn gerade in Indien oder am Kapland.

Als einen der interessanten Menschen, den ichkennenlernte, erwähne ich den ungarischen Zentralasienforscher,Dr. Stein Aurel, Professor in Oxford, der in England vielbekannter ist als in Ungarn. Ich habe später mit ihm gelegentlichim Travellers Club dejeuniert.

Fröhlich darf man in England sein. Natürlich muß mansich benehmen, stets ungezwungen aber doch korrekt. Man darf,wenn man mit Kindern spielt, sich also wohl auf den mitTeppichen belegten Boden setzen aber natürlich nicht auf einenSessel steigen, denn erstens würde der Sessel beschädigt undbeschmutzt werden und zweitens muß man streben, alle seineBewegungen zu mäßigen. Natürlich ist auch Gestikulieren strengverboten. “Binde einen Franzosen,” sagt ein englischer Spruch,

Page 235: Nopcsa Reisen Balkan

Zwischen der Annexion und dem Balkankrieg (1910-1912)

221

“die Hände, dann kann er nicht reden.” Daß man sich unterUmständen auf den Boden setzen darf, erwähne ich spezielldeshalb, weil so etwas am Kontinente streng verpönt ist. Freilichwird der Fußboden in London trotz des Rauches oder vielleichtnotgedrungen infolge des Rauches stets reiner gehalten als amFestland.

Die Engländer unterhalten sich gerne und verstehenSpäße, die sich in ihrem humoristischen Niveau bewegen, sie sindaber in ihren Unterhaltungen sehr naiv, primitiv und oft fastkindisch. Für raffinierte französische Komik oder solche mitätzendem, boshaftem Beigeschmack sind sie nicht empfänglich.Gerade durch die für Engländer typische, kindliche Späße findensich ernste Deutsche in ihrer Würde oft gekränkt.

Mir ist aber die einfache englische Komik und derenglische Humor, sogar wenn man ihn dumm nennen kann,sympathisch. Der englische Humor ist von dem stets kraßaufgetragenen und daher antipathischen amerikanischen Humorsehr verschieden. Dem Engländer bietet sich auch häufig derverschnörkelte englische Konservatismus als Quelle vonBelustigungen, doch hüten sie sich infolge ihres freilichHypokrisie erzeugenden Begriffen von öffentlichem Anstand,dies öffentlich zu zeigen. Ich erwähne nur, daß der ehrenwerterSpeaker im House of Commons stets angehalten wird, sein Hauptzu bedecken, und hiebei kommt es dann zuweilen vor, daß er inseiner Aufregung und Eile einen unrichtigen und gar etwas zugroßen oder zu kleinen fremden Hut aufsetzt, was Heiterkeithervorruft und was zuweilen sogar absichtlich provoziert wird.Von diesem Gesichtspunkte betrachtet leben die meistenEngländer auf diese Weise ein doppeltes Leben, das formaleöffentliche und das private. Die Existenz des letzteren wirdnatürlich wieder öffentlich geleugnet.

In einem ernsten, wissenschaftlichen Vortrag in derZoological Society über die Entstehung des Flugvermögens

Page 236: Nopcsa Reisen Balkan

Zwischen der Annexion und dem Balkankrieg (1910-1912)

222

konnte ich mir, ohne den Ernst der Situation zu gefährden undohne mich auszusetzen, der Trivialität bezichtigt zu werden,schon im Jahre 1907, als Automobile noch etwas relativ seltenwaren, den Satz erlauben, “Stellen Sie sich also die erstenFlugversuche der Urvögel so vor wie die einer Schaar Gänse, dieschnatternd und mit den Flügeln schlagend vor einemAutomobile einherläuft.” Meinen bereits erwähnten Vortrag überdie Geologie Albaniens in der Geological Society in Londonleitete ich mit dem allerdings wahren aber verblüffenden Satzeein, “the reason why I venture to read a paper on the geology ofAlbania this evening is because I am perfectly convinced that youknow nothing at all about it.” Nicht nur, daß keiner der beidenSätze einen Anstoß erregte, sondern sie wurden sogar mitzufriedenem Lachen hingenommen und nach dem Vortragbeifällig kommentiert. Innerlich machte es den Leuten einekindlich große Freude, daß sie sich bei einem öffentlichenVorgange hatten irgendwie unterhalten können, ohne daß dasöffentliche Anstandsgefühl oder der Ernst der Lage verletztwurde. In deutschen Gelehrtenkreisen hätte ich mir solche Sätzeinfolge der ernsteren, zu Scherzen weniger geneigten Anlage derDeutschen nicht erlauben dürfen, denn den ersten Satz hätte manals des wissenschaftlichen Ernstes ermangelnd, den zweiten alseingebildet und frech bezeichnet.

Das elegante London frequentierte ich wenig und auchauf unserer k.u.k. Botschaft zeigte ich mich selten. Einige Malewar ich bei unserem Botschafter Mennsdorf, dann beiMilitärattaché Prinz Liechtenstein und Generalkonsul Ippen zuDejeuner geladen, doch vermied ich dergleichen gerne, weil esmeine Tageseinteilung und mein Arbeiten am Museum störte.

Das Londoner Clubleben genoß ich aber immerhin,insofern ich allabendlich in den St. James Club essen ging. Im St.James Club verkehrte die internationale Diplomatengesellschaft,außerdem waren auch Engländer dort zu treffen. Ich sah dort

Page 237: Nopcsa Reisen Balkan

Zwischen der Annexion und dem Balkankrieg (1910-1912)

223

zuweilen den Richter Coseus Hardy, den ich von Siebenbürgenkannte, und eine Reihe wenig interessanter Leute, u. a. auchBaron Szentkereszty Bela aus Siebenbürgen. Der St. James Clubist nicht besonders exklusiv, also nicht wie Whites undMarlborough aber doch ein guter Club Londons, wenn er auchklein ist. Dem albanischen Räuber der Shpella e Bravnikutservierten hier immerhin Lakaien mit goldenen Fangschnüren,Kniehosen, Seidenstrümpfen und mit Goldschnallen verziertenHalbschuhen. Nach dem Essen ging ich in das Rauchzimmer, umbeim Kamin in guten Clubmöbeln ruhend die Zeitungen zu lesen,dann in die Bibliothek, wo ich bis 1-2 Uhr nachts blieb, jedeNacht ein Buch nichtnaturwissenschaftlichen Inhaltes verdauend,dann spazierte ich längs Piccadilly und Cromwell Road nachHause. Damals wohnte ich in einem möblierten Hause ganz nahezum Natural History Museum.

Im Anschlusse an das Clubleben will ich die Dinnerclubserwähnen. Jeder Dinnerclub besteht aus einer begrenzten Anzahlvon Mitgliedern, die sich in regelmäßigen Intervallen zu einemDinner versammeln. Auch eine Anzahl von Mitgliedern derGeologischen Gesellschaft hat so eine soziale Vereinigunggegründet, und diese vereinigen sich stets vor den Sitzungen derGeologischen Gesellschaft zu einem Essen, worauf sie nach demEssen zur Sitzung gehen. Über die Aufnahme in die Tafelrundeentscheiden beim Freiwerden eines Platzes die persönlichenEigenschaften der Bewerber. Ob man Ausschußmitglied derGeologischen Gesellschaft ist, ist ohne Belang. Die Aufnahmeerfolgt durch Wahl. Die Dinners sind feierlich. Der Obmannpräsidiert (“N.N. is in the chair”), und der Kassier ist für dieQualität des Essens und auch namentlich für die der Weineverantwortlich. Die Tafel ist blumengeschmückt, und der Preiseine Couverts beträgt ein Pfund. Jedes Mitglied hat das Recht,einen Gast einzuführen. Am Ende des Essens bringt der den Titel‘Mr. President’ führende Obmann des Clubs den Toast auf den

Page 238: Nopcsa Reisen Balkan

Zwischen der Annexion und dem Balkankrieg (1910-1912)

224

König aus. Er lautet, “Gentlemen, the King!” Dann sagen allestehend, “The King.” Darnach erklärt der Obmann, “Now,gentlemen, you may smoke.” Erst darauf beginnt man mit demRauchen, und es folgen dann eventuelle weitere Toaste auf Gäste.

Die Zoologen haben einen ähnlichen Club, wo ichgleichfalls oft zu Gast war. Ähnliche Institutionen fehlen denGelehrten des Kontinents völlig. Infolge ihrer gewissenFeierlichkeit sind die Clubdinners recht sympathisch, undentschieden sind diese Essen der kontinentalen Gewohnheit, sichnach einer wissenschaftlichen Sitzung mit den übrigen Gelehrtenin ein rauchiges lärmendes Restaurant zweiter Klasse zu begeben,vorzuziehen.

Mein Privatleben in London floß, da Bajazid für meinetäglichen Bedürfnisse wie strawberry jam u. dgl. sorgte, ruhigund ereignislos dahin. Das einzige lustige Ereignis war, daßBajazid mit meinem irischen Diener MacDonald aufs Postamtging, um dort für zehn Shilling für seinen Revolver einenWaffenpaß (firearm licence) zu lösen, statt dessen aber nachErlag von 7 sh. 6 d. aus Versehen eine ‘dog licence,’ d. h. dieErlaubnis erhielt, einen Hund zu halten, worauf er gegenNachzahlung von 2 sh. 6 d. den Paß umtauschen konnte. DaßBajazid, der damals nur wenig englisch konnte, das Wort ‘dog’verstand, aber der Meinung war, der Schein besage, daß er mitseinem Revolver keine Hunde schießen dürfe, erhöhte die Komik.Für jene, denen es bekannt ist, daß in Österreich Waffenpässe nurvon den höchsten Polizeibehörden verabfolgt werden, füge ichhinzu, daß in London der Betrieb der Postämter, die dieWaffenpässe verabfolgen, meist Gemischtwarenhändlernüberlassen wird, damit das Publikum, wenn es in der Frühe seineEinkäufe besorgt, gleich auch seine Postangelegenheiten undauch seine Waffenpässe besorgen könne. Daß man geradeGemischtwarenhändler bevorzugt, geschieht, weil diese Art von

Page 239: Nopcsa Reisen Balkan

Zwischen der Annexion und dem Balkankrieg (1910-1912)

225

Kaufläden im Durchschnitt vom Publikum am meistenfrequentiert wird.

Im März fiel ein Besuch bei meiner alten Gouvernante,Miss Stephenson, jetzt Mrs. Maugham, bei Carlisle, die michnach siebenundzwanzig Jahren auf den ersten Blick aus derMenge der mit dem Zuge angekommenen Leute erkannte.

Was mir während meines Aufenthaltes in Englanddiesmal aufgefallen war, war daß alle Engländer den AufstiegDeutschlands fühlten, weshalb sie, wenn man mit ihnen über dieMöglichkeit eines deutsch-englischen Krieges redete, die Antwortgaben, “The sooner the better.” Ich erzählte einige Wochen späteram Ballhausplatz, daß ich an die nahe Zukunft einesdeutsch-englischen Krieges glaubte, wurde jedoch, da damalseben eine englisch-deutsche diplomatische Versöhnungsaktion imZuge war, ausgelacht. Während meines Aufenthaltes in Londonfragte ich übrigens, da in Nordalbanien erneut ein Aufstandauszubrechen drohte, im Ministerium des Äußeren in Wien an, obich heuer in Albanien würde reisen können. Die Antwort lautete,“Nein.”

Ende März verließ ich London und fuhr nach Berlin, dasmir hoch fremd war. In Berlin hielt ich einen Vortrag in derdeutschen Geologischen Gesellschaft Berlin über die GeologieAlbaniens und lernte bei dieser Gelegenheit Professor Braca,Professor Tornier und die preußischen Geologen kennen,außerdem sah ich die Dinosaurierreste aus Deutsch-Ostafrika. Beimeinem Vortrag war auch der türkische Botschafter anwesend.Während der auf den Vortrag folgenden Diskussion fragte michein Geologe, wie ich denn eigentlich in Albanien gereist sei, denndies gelte allgemein als schwierig. Ich wies darauf, daß dieseFrage mir eigentlich eine gewisse Verlegenheit bereite, bat dannden anwesenden Botschafter nicht zu zürnen, wenn ich dieWahrheit sagen würde, und erklärte endlich, daß mir bei meinenReisen zur Zeit Abdul Hamids mehr die albanischen Räuber als

Page 240: Nopcsa Reisen Balkan

Zwischen der Annexion und dem Balkankrieg (1910-1912)

226

die kaiserlichen Behörden, seit Anbruch der jungtürkischen Ärahiebei jedoch mehr die Behörden als die albanischen Räubergeholfen hatten. Später fragte mich nach dem Vortrage einanderer Geologe, ob ich mit dem Dinosaurierforscher BaronNopcsa verwandt wäre.

Im Übrigen besuchte ich in Berlin den alten schlauenSzögyeny-Marich, der österreichisch-ungarischer Botschafter inBerlin war, sah Apponyi Magi und wohnte für dreißig Mark sehrgut im Hotel Kaiserhof. Die berüchtigte ‘Siegesallee’ habe ichmir natürlich angeschaut. Für die Ordnung in Berlin ist escharakteristisch, daß einem bei der Ankunft am Bahnhof einWachmann als Anweisung für den Gebrauch einer Droschke eineBlechmarke in die Hand drückt, die eine Droschkennummer trägt.Hiedurch entfällt jedes hastige Suchen und Rufen nach einerDroschke. Es weist dieser Zug auf die drillmäßige Ordnung.

Von Berlin kehrte ich nach Wien zurück und ging hierzur Zeit-Redaktion. Da die Voraussagungen meines vorjährigenMemorandums eingetroffen waren, begrüßten mich Singer undKanner und stellten mir ihr Blatt zur Verfügung. Ich begannmeine Polemik gegen Aehrenthal in der Zeit und später benützteich hiezu auch das Vaterland und die Reichspost. Während dieserZeit telefonierte Erzherzog Franz Ferdinand unaufgefordert anPallavicini, der Aehrenthal damals zeitweilig als Minister desÄußeren vertrat, man möge mir bei meinen Reisen in Albanienkeine Schwierigkeiten bereiten. Ich fand dies von FranzFerdinand recht hübsch. Schon einige Zeit vor diesemTelefongespräch hatte mir Exzellenz Conrad gesagt, daß sichErzherzog Franz Ferdinand für meine Reisen sehr interessiere.Auch wußte der Erzherzog von Conrad, welche Schwierigkeitender Ballhausplatz mir stets bereitete, und, als der Erzherzog nuneines Tages auf der Durchreise von Ungarn auf den Semmeringmit Pallavicini zu tun hatte, telefonierte er unter anderen Sachendiesem, es wäre ihm sehr angenehm, wenn ich meine Reisen in

Page 241: Nopcsa Reisen Balkan

Zwischen der Annexion und dem Balkankrieg (1910-1912)

227

Albanien fortsetzen könnte. Am Nachmittag wurde ich von derMilitärkanzlei über diese Liebenswürdigkeit des Thronfolgersavisiert. Abends speiste ich im Hotel Krantz mit dem nebenbeibemerkt wegen meiner Albanienpolitik auf mich recht bösenPallavicini. Unvermutet sagte mir nun Pallavicini recht pikiert,“Du hast aber einen sehr hohen Protektor gefunden, der sichdeiner Reisen annimmt.” Ich sagte ruhig und nebensächlich, “Ja,ja, ich weiß es.” Pallavicini meinte infolge meines Phlegmas, daßich an meinen Gönner Conrad dachte, und wiederholte dahererneut pointierend, “Ja, ja, wirklich einen allerhöchstenProtektor!” Ich antwortete womöglich noch phlegmatischer alszuvor, “Ja, ich weiß, den Erzherzog Thronfolger.” Auf dieseAntwort erklärte Pallavicini nun plötzlich bremsend, “Weißt du,so ganz besonderes hat er sich für dich ja nicht eingesetzt, aberwie er mir heute vormittag telefonierte, hat er auch deinen Namenso nebenbei erwähnt.” Ich erklärte, dies sei mir schon von derMilitärkanzlei heute nachmittag mitgeteilt worden, und da sagtenun Pallavicini, ich dürfe aber ja nicht glauben, daß derErzherzog irgendeinen Einfluß auf die äußere Politik ausübte.”Mit diesem letzten Satz hat Pallavicini auch recht behalten, dennFranz Ferdinand seine persönliche Intervention half mir bei derFortsetzung meiner Reise gar nicht. Das einzige, was er erzielte,war daß diese Intervention ihm nützte, denn infolge dessenbegann ich ihn einige Monate lang über die Verhältnisse inAlbanien zu informieren. Er erfuhr durch mich manches neue.

Daß ich Franz Ferdinand trotz seines angeblichenUngarnhasses informierte, geschah deshalb, weil ich in FranzFerdinand das Haupt der Kriegspartei blickte und derÜberzeugung war, daß es für die Monarchie vorteilhafter wäre,wenn es möglichst schnell zu einem Waffengang mit Serbien undRußland käme. Wie weit die Kriegspartei recht behalten hat,haben die Ereignisse bewiesen, und dennoch trauen sich auchheute noch einige Anhänger der Aehrenthal’schen Friedenspolitik

Page 242: Nopcsa Reisen Balkan

Zwischen der Annexion und dem Balkankrieg (1910-1912)

228

(sie muß doch, wenn auch vom Kaiser geleitet, nach Aehrenthalgenannt werden, da Aehrenthal verantwortlicher Minister war) zusagen, daß die Monarchie erst 1914 zu einem Feldzuge gerüstetgewesen wäre. Dies ist natürlich Schwindel, denn 1914 war nichtdie Monarchie sondern Rußland gerüstet und nach der Meinungder kompetentesten Persönlichkeit, nämlich des GeneralstabchefsConrad, war die Monarchie bereits 1909 hinlänglich gerüstet.Auch Conrad zählte deshalb so wie ich von 1909 an zurKriegspartei. Daß der Weltkrieg seinen jetzigen Verlauf nahm, istseiner Verzögerung zu verdanken. Von Erzherzog FranzFerdinand versicherte ich seinerzeit Exzellenz Conrad, daß er nurdie ungarischen Juden haße, und dies wurde mir auch vonmeinem Onkel, dem Antisemiten Graf Zselensky Robert, dergleichfalls ein Anhänger Franz Ferdinand war, bestätigt. Dieungarfeindlichen Pläne des Erzherzogs Franz Ferdinand gehörendaher vielleicht ins Reich der Fabel. Vielleicht trachtete erallerdings durch seinen Antisemitismus nur gewisse Ungarn zuködern. Ob er übrigens, falls er ungarfeindliche Gefühle besaß,diese, ohne die Monarchie zu gefährden, hätte durchführenkönnen, scheint mir bei dem komplizierten Bau der Monarchiegleichfalls fraglich. Die Struktur der Monarchie gemahnte in derjüngsten Vergangenheit infolge ihrer vielen Nationalitäteneinigermaßen an die Türkei, wobei den Deutschen die Rolle derOsmanen, den Ungarn jene der Albaner zufiel. Die Deutschenspielten wie die Osmanen die dominierende Rolle. Die Ungarnund die Albaner waren jedoch wiederum die einzigenNationalitäten, die keinen außerhalb der betroffenen Reicheliegenden nationalen Schwerpunkt hatten. Als Folge ergab sichalso für beide Reiche, daß sogar von zentralistischem Standpunktdie einzige richtige Politik die sein konnte, bei allenverschiedenen Nationalitäten eine von außen herbeigeführteAgitation zu erschweren und finanzielle Vorteile sowie politischeund nationale Vorrechte den Ungarn und Albanern einzuräumen.

Page 243: Nopcsa Reisen Balkan

Zwischen der Annexion und dem Balkankrieg (1910-1912)

229

Der Unterschied zwischen der zentralistisch aufgefaßtenMonarchie und der Türkei war darin gelegen, daß diedominierende Rasse in der Türkei ein jeder Kultur unfähigesElement, in der Monarchie jedoch ein kulturfähiges Element war.Schon ein arabisches Sprichwort sagt von den Osmanen: “Wo derTürke hintritt, verdort das Gras.” Möglicherweise hatte sich FranzFerdinand solchen Argumenten nicht verschlossen. Allerdingsscheint sicher, daß er nebst dem Hasse gegen die ungarischenJuden eine Vorliebe für verschiedene Nationalitäten hegte. Seineübrigens absolutistisch-konservativen Gelüste waren mirAnbetracht der Parlamentsschweinereien fast eher sympathisch.Wie mich Graf Hadik János versicherte, war er sehr eigensinnig,wurde von vorgefaßten Meinungen beherrscht. Dann war er vonseinem Gottesgnadentum überzeugt. Er sah im katholischenKleruse eine Stütze des Thrones und frönte in abnormaler Weiseder Jagdlust, wobei es ihm nicht auf waidgerechtes Jagen,sondern bloß auf das Töten von Wild ankam. Einige Monate vorseiner Ermordung kamen Gerüchte auf, daß er epileptischeAnfälle habe und zuweilen irre rede. Er war jedenfalls sehrjähzornig veranlagt, hatte aber Energie. Vor seiner Ermordungtrachtete der k.u.k Generalstab dadurch im Weltkriege zuprofitieren, daß er von ihm Transparentbilder anfertigen ließ, umhiedurch die russischen Soldaten zu erschrecken.

Bis Anfang Mai blieb ich in Wien und publizierte z.T.unter eigenem Namen z.T. als ein ‘Kenner Albaniens’ signiertmehrere Artikel. Sie erregten am Ballhausplatz lebhaftesMißfallen. Ein Abdruck meiner Artikel ist in der Beilagegegeben. Ende Mai war ich in Ujárad und wollte dann Mitte Juniin die Karpathen, aber ein alle Welt überraschender Leitartikeldes Fremdenblattes gegen die Jungtürken veranlaßte mich nachWien zu kommen. Ich hoffte auf Grund diese Artikels, daß inWien ein politischer Umschwung eintreten würde. In Wienveranlaßte vor allem ich die Zeit und das Vaterland, den

Page 244: Nopcsa Reisen Balkan

Zwischen der Annexion und dem Balkankrieg (1910-1912)

230

Fremdenblattartikel zu loben. Es ging schwer aber dann doch. Icherreichte diese Sache auf folgende Weise. Einige Wochen vordem kritischen Tage hatte mir Pallavicini, der AehrenthalsStellvertreter am Ballhausplatz war, eines Abends im HotelKrantz, um mich von der Zeit zu trennen, erzählte, daß die Zeiteine ganz gemeine Zeitung wäre, die deshalb auf Aehrenthal unddas Ministerium des Äußeren schimpfe, weil sie keineSubvention erhalte. Diese Tatsache hatte ich zur Kenntnisgenommen, darauf freilich gar nicht reagiert, aber sie auch nochnicht verwertet. Jetzt war der Zeitpunkt gekommen. Ich versuchtezuerst durch Argumente der Logik, die Zeit rp. ihrenChefredakteur Kanner zum Lobe Aehrenthals zu bewegen. Alsaber Kanner, da bei ihm auch gekränkte Eitelkeit im Spiele war,unbeweglich blieb, spielte ich meinen Trumpf aus. “Wissen Sie,Herr Chefredakteur,” sagte ich überlegend, “daß man Sie vomBallhausplatz aus verleumdet und daß von ihrem Blatte daserzählt wird, daß es nur deshalb gegen Aehrenthal zu Felde ziehe,weil es von ihm kein Geld erhalte?” Kanner, der davon wohlschon früher etwas erfahren haben dürfte, zog zuerst sein Gesichtin die Länge, dann öffnete er etwas den Mund und machte großerunde Augen. “Ja, sagen sie, da hört sich doch alles auf,” fuhr erendlich, Erregung markierend, in die Höhe. Ich ließ mich, einenHinauswurf aus der Redaktion auf ewige Zeiten riskierend, nichtbeirren und fuhr weiter. “Überlegen Sie die Lage. Durch denFremdenblattartikel vom 21. Juni hat Aehrenthal eben das getan,was die Zeit bis jetzt wochenlang verlangt hatte. Lobt die Zeitmorgen den Fremdenblattartikel, so kann sie auf Aehrenthalübermorgen bei irgendeiner anderen Gelegenheit umso ärgerschimpfen und sich auf ihre Unparteilichkeit berufen. Lobt sie ihnaber morgen nicht, so erhalten die vom Ballhausplatz gegen dieZeit lancierten Behauptungen neue Nahrung.” Kanner war zuerstsprachlos, dann telefonierte er an Professor Singer, und eine halbeStunde später rollte ich in meinem Auto mit einer Kopie des am

Page 245: Nopcsa Reisen Balkan

Zwischen der Annexion und dem Balkankrieg (1910-1912)

231

Morgen des folgenden Tages Aehrenthal lobend erwähnendenZeitartikels zu Dr. Sieberts, der das klerikal-konservativeVaterland herausgab. Auch Sieberts, der ansonsten ein guter,ehrlicher, nicht zu kluger, begeisterungsfähiger, aber allzuoptimistischer und ziemlich leicht lenkbarer Mensch war, wolltezuerst von einem Lob auf Aehrenthal und seinenFremdenblattartikel nichts wissen. Als ich ihm aber denZeitartikel vorzeigend darauf aufmerksam machte, wie nötig essei, dem Ausland die Einheit der öffentlichen Meinung derMonarchie in der Albanerfrage demonstrativ zu zeigen, daerklärte auch er sich bereit, Aehrenthal zu loben. Ich brachte ihnja so weit, daß er mir versprach, den Zeitartikel lobend zuerwähnen, und dies fiel nun umsomehr ins Gewicht, als die Zeitdamals ein demokratisch-liberales Blatt war, das allmählichfreilich trotz seines Demokratismus eine Zeit lang Anlehnung andas Kriegsministerium und dort auch Subvention gefunden hatte.Im Jahre 1913 wurde der Zeit die Subvention desKriegsministeriums, wie mir Kriegsminister Exzellenz Krobatinselbst sagte, endgültig entzogen. Mit diesem Gelde gründete manim Kriegsministerium, wie mir Oberstleutenant Spaits vomliterarischen Bureau des Kriegsministeriums bekannt gab, anStelle der Vedette die Militärische Rundschau, und da nun dieSubvention von Kriegsministerium ausblieb, so schwenkte dieZeit, die angeblich aus Belgrad Geld erhielt, im Frühjahr 1913 insserbische Lager.

Leider war ich nicht anwesend, als man Aehrenthaldavon in Kenntnis setzte, daß er von der Zeit gelobt wurde unddaß das Vaterland den Zeitartikel ihm zustimmend zu Abdruckbrachte. Jedenfalls muß er aber das Gefühl gehabt haben, daß erirgendwie eine große Dummheit begangen hatte. In der Tat warendie Jungtürken, um deren Gunst Aehrenthal gebuhlt hatte, durchden von der Zeit und dem Vaterland unterstrichenenFremdenblatt-Artikel viel mehr aufgebracht, als Aehrenthal

Page 246: Nopcsa Reisen Balkan

Zwischen der Annexion und dem Balkankrieg (1910-1912)

232

erwartet hatte. Die seit Mai bestehende Revolution der Albanerwird immer größer.

Nach diesem Streich fuhr ich als nichtoffiziellerZeitungskorrespondent nach Albanien. In Albanien trat ich soauf, als ob ich allmächtig wäre, und viele glaubten infolge dessen,ich sei vom Ballhausplatz bevollmächtigt. Man glaubte inmeinem Auftreten eine Fortsetzung des im Fremdenblattangeschlagenen neuen Tones zu erkennen. Ich behauptetenatürlich nicht vom Ballhausplatz geschickt worden zu sein, dochsagte ich jedermann, der es hören wollte, daß sich meineAnsichten mit dem im schnell berühmt gewordenenFremdenblattartikel vertretenen vollkommen deckten.

Mein Eingreifen in die Malessoren-Angelegenheit desJahres 1911 war übrigens das riskanteste politische Experiment,da ich je unternehm. Zambaur, unser Konsul in Shkodra, war mirseit 1910 feindlich gesinnt. Aehrenthals Politik war trotz des bloßeine freundliche Mahnung sein wollenden Fremdenblattartikelsalbanerfeindlich und jungtürkenfreundlich. In Montenegro hatteich infolge meiner antislawischen Aktion von 1909 an nurFeinde. Die Jungtürken haßten mich infolge meinerausgesprochenen albanophilen Tendenzen und, was dierebellischen Albaner betraf, so waren sie mir zwar anhänglich,doch hatten sie in Montenegro Zuflucht genommen und wurdenvon diesen mit Mehl, Gewehren und Patronen allerdings nichteben hinlänglich unterstützt. Wie groß mein Anhang in Albanienwar, ist daraus ersichtlich, daß beim Ausbruche desAlbaneraufstandes dieses Jahres sich das Gerücht, ich sei mitfalschem, schwarzem Bart angetan sofort den Rebellen zu Hilfegeeilt, mit solcher Gewißheit verbreitete, daß Aehrenthal, dermich in London wußte, sich veranlaßt sah, bei der Londonerösterreichisch-ungarischen Botschaft anzufragen, ob ich wirklichnoch in London wäre. Mein Einfluß bei den Rebellen warjedenfalls das einzige Kapital, das ich ausnützen konnte. Ich

Page 247: Nopcsa Reisen Balkan

Zwischen der Annexion und dem Balkankrieg (1910-1912)

67 Hilë Mosi (1885-1933), albanischer Politiker und Dichter.

68 Ismail Qemali oder Kemal (1844-1919), auch Ismail Qemalbej Vlora genannt, albanischer Politiker.

69 Luigj Gurakuqi (1879-1925), albanischer Politiker undSchriftsteller von Shkodra.

233

mußte also bluffen. Nun saßen aber in Cetinje zwar einigeAlbanerführer, die es wie Hilë Mosi67 mit den Rebellen wirklichgut meinten, dann andere, die von der Situation profitierenwollten, z.B. Ismail Qemali68 und Luigj Gurakuqi69, u.a. und ganzim montenegrinischen Sinne leitete die Sachen endlich der vorJahren aus Gruda nach Montenegro geflüchtete Albaner, SokolBaci. Ich fuhr von Kotor nach Shkodra und erkannte bei dieserGelegenheit im Gespräche mit den Malessoren am Bord desDampfers, daß mein Einfluß bei ihnen die Krise von 1910überdauert hatte und, als ich daher endlich nach Shkodra kam,wußte ich, wo ich den Hebel anzusetzen hatte.

Beim Zollamt aussteigend fragte ich mit lauter herrischerStimme, “Wo ist Torghut Pascha? Ich habe mit ihm zu reden.” DaShkodra damals im Belagerungszustande war, wo selbst dieKonsuln der Großmächte Belästigungen ausgesetzt waren,machte dieses selbstbewußte Auftreten riesigen Eindruck. “BeiKoplik,” lautete die Antwort. Vom Zollamt ging ich sofort zuPrenk Bib Doda. Mit Prenk konnte nichts unternommen werden.Ich nahm mir daher einen türkischredenden Diener Prenks, der alsDolmetsch dienen sollte, und ging also, unser Konsulatabsichtlich ignorierend, geradeaus zum Obmann desJungtürkischen Komitees, Halil Bey, den ich einige Monatefrüher, als er mit Prenk Bib Doda von Konstantinopel nachShkodra fuhr, in Wien kennengelernt hatte. Da ihm Bajazid einst

Page 248: Nopcsa Reisen Balkan

Zwischen der Annexion und dem Balkankrieg (1910-1912)

234

im Ronacher einen Rausch angetrunken hatte und sich dasSprichwort ‘in vino veritas’ noch stets bewährt hat, wußte ich ausBajazids Bericht, daß Halil ein fanatischer, eingebildeter Menschwar. So einem Fanatiker, das wußte ich, konnte nur Grobheitimponieren. Er empfing mich sofort. Er gab eine kurzeBegrüßung, darauf stellte ich ihm durch meinen Dolmetsch dienicht eben allzu nette Frage, “Sagen Sie mir, was denn dieJungtürken eigentlich hier in Albanien für Dummheitenmachen?” Mein Dolmetsch, ein katholischer Mirdite, übersetztedie Frage nicht ohne Freude Wort für Wort und ganz genau, undnun wurde dieser saubere Obmann des jungtürkischen Komitees,als er aus dem Munde eines untergeordneten Menschen dieseFrage vernahm, recht perplex, denn er wußte, der Mirdite würdenicht ermangeln, sofort in der Stadt jedermann zu erzählen, wasfür grobe Fragen Baron Nopcsa an Halil stellte. Vor allemtrachtete Halil also eine Fortsetzung des Gespräches zuverhindern, und ließ mir durch den Dolmetsch also sagen, dieserDolmetsch sei zur Besprechung solcher Fragen nicht geeignet. Erwürde abends mit einem anderen Dolmetsch zu mir ins Hotelkommen. Ich sah, Halil nahm mich ernst. Abends kam ertatsächlich mit dem Vilajets Dragoman zu mir ins Hotel, um mitmir die politische Lage zu erörtern. Aus meinem selbstbewußtenAuftreten glaubte er, daß ich irgendeine geheimeBevollmächtigung Aehrenthals in der Tasche habe. Noch amselben Abend hielt ich ihm das Wahnsinnige des Benehmens derJungtürken in allergröbsten Form vor die Augen und wiederholtees am nächsten Tag dem Zivilgouverneur gegenüber in gleicherWeise. Dies imponierte diese Leute. Dann ließ ich mich beiTorghut in Koplik telegrafisch ansagen. Im übrigen besuchte ichErzbischof Sereggi, dann den Jungtürken und nachmaligen

Page 249: Nopcsa Reisen Balkan

Zwischen der Annexion und dem Balkankrieg (1910-1912)

70 Mikel Kodheli (1870-1940), bekannt auch unter dem NamenKel Marubi. Kodheli war Leiter des Fotostudios Marubi in Shkodra nachdem Tod seines Begründers Pietro Marubi (1834-1904).

235

albanischen Patrioten, Kodheli70, der der Chef desPhotographischen Instituts Marubi war, dann auch andere Leutewie Nassuf und Osman Tepelia, Skuteriner en gros Kaufleute,und endlich auch Zambaur. Bei den Albanern schimpfte ichnatürlich so wie voriges Jahr auf Aehrenthal. Während meinerAnwesenheit in Shkodra und einen Tag vor meinem Ritt nachKoplik wird eine Amnestieproklamation Torghut Paschaserlassen und vor ihrer Veröffentlichung zeigt mir der VilajetsDragoman mit hoffnungsfrohem und freudenstrahlendem Gesichtein Exemplar. “Qu’est-ce que vous dites de ça?” fragte er mich inErwartung, daß ich das Schriftstück loben würde. Ich:“Dites-moi, est-ce que Torghut Pacha est fou? Ça irritera lesMalesores encore plus! Ils ne l’accepteront jamais. Au contraire.Comment peut-on s’imaginer que ça aura un effet? Ne m’en parleplus!”

Einen Tag nach dieser Kritik ließ mir Torghut Paschasagen, daß er mich nachmittags in Koplik empfangen würde.Sofort ließ ich Filip Kol Kauri, dem Bruder des Erzbischofs vonShkodra, Msgr Sereggi, bitten, mir für das allgemeine Wohl zumRitte nach Koplik für einen Nachmittag sein gutes Reitpferd zuüberlassen. Das erste, was der reiche Filip als echter Skutarinerfragte, war, was ich dafür zahle. Mein Bote beruhigte Filip. Dietürkische Regierung gab mir ferner zwei nebenbei bemerktexquisit elend berittene Zaptiehs, und mittags ritt ich in einemTrab und Galopp von Shkodra nach Koplik. Der eine Zaptiehblieb mit seinem Krampen naturgemäß gleich beimStadtausgange zurück.

Page 250: Nopcsa Reisen Balkan

Zwischen der Annexion und dem Balkankrieg (1910-1912)

236

In Koplik hatte ich ein langes Gespräch mit demkommandierenden General Torghut Shefket Pascha. TorgutPascha erklärte mir, daß er die Ausrottung der Malessorenb e a b s i c h t i g t e u n d a n i h r e r S t e l l e a n d e rtürkisch-montenegrinischen Grenze bosnische Emigrantenansiedeln wollte. Im übrigen sei es der Plan der türkischenRegierung, die Albaner zu entnationalisieren, dann über einenslawischen Balkanstaat nach dem anderen herzufallen, um soeinen nach dem anderen zu vernichten. Nach dieserprogrammatischen Erklärung erkundigte ich mich über die vondem türkischen Militär geplünderten und zerstörten Kirchen, undda proponierte mir Torghut, ihn nach Rjoll zu begleiten, um michzu überzeugen, daß die dortige Kirche vollkommen intakt sei.Wir würden, meint er nebenbei, zu unserer Sicherheit auch etwasMilitär mit uns nehmen. Einem instinktiven Impuls folgendlehnte ich diese Einladung ganz entschieden ab.

Dann kam das Gespräch auf die Affaire des BergesDe…iƒ. Mit der De…iƒ-Sache hatte es nach Torghut PaschasSchilderung folgende Bewandtnis. Die türkischen Truppen hattenwiederholt den Berg De…iƒ zu stürmen versucht, waren aberabgeschlagen worden. Dann wurde zwischen Torghut und denAlbanern ein Waffenstillstand geschlossen, und während nunTorghut den Kampfplatz verließ, näherten sich türkische Truppenerneut dem De…iƒ. Angeblich geschah es, um bei einer Quelleeinen besseren Lager beziehen zu können. Einige Albanermerkten den Vormarsch gegen die vergebens bestürmtealbanische Stellung. Sie schossen trotz des Waffenstillstandes aufdie vorrückenden Truppen, alarmierten hiedurch die Besatzungvon De…iƒ, und darauf zogen sich nun die Truppen, obzwar imÜbermacht von den paar Albanern, die sie beschossen hatten,ohne das Feuer zu erwidern, erneut zurück, worauf es beiderseitswieder Ruhe eintrat. Trotz der neuerlichen Ruhe gab TorghutPascha in der Nacht unvermutet den Befehl, den De…iƒ nun zu

Page 251: Nopcsa Reisen Balkan

Zwischen der Annexion und dem Balkankrieg (1910-1912)

237

stürmen, und es gelang ihm, die Albaner überrumpelnd, den Bergzu nehmen. Von diesem Augenblick an beschuldigten sich dieTürken und Albaner gegenseitig, den Waffenstillstand gebrochenzu haben.

Torghut bat mich bei den Rebellen in Podgorica auf einenFrieden hinzuwirken. Ich versprach es und brach abends vorSonnenuntergang von Koplik auf, um nach Shkodrazurückzukehren. In der Fusha e Shtojt gab das Pferd meineszweiten und nunmehr einzigen Zaptiehs zuerst Zeichen vonMüdigkeit, dann stürzte es zu Boden. Ich wußte nicht, was ichnun machen sollte, und fragte den Zaptieh. Er meinte, ich solltenur allein nach Shkodra weiterreiten. Mir war dieser Gedankenun nicht besonders angenehm, denn ich dachte, man hätte mirabsichtlich schlecht berittene Zaptiehs gegeben, um dieseSituation künstlich herbeizuführen und mich, wenn ich alleinnach Shkodra ritte, zu erschießen, um diesen Mord den Rebellenin die Schuhe schieben zu können. So blieb mir aber nichtsanderes übrig als seinem Rat zu folgen. Daß ich Angst hatte,wollte ich nicht zeigen, und so ritt ich denn im Dunkeln weiter.Der Ritt verlief ohne Zwischenfall, doch war es, zwischen dendunklen Brombeerhecken jeden Augenblick eine Kugelerwartend, nicht gemütlich. Um ein Zielen etwaiger Gegner zuerschweren, trachtete ich meist in Trab zu reiten. Nach Aufhaltendurch die Wache und Passierscheinformalitäten kam ich in dieStadt.

Als ich in meiner Wohnung eintraf, da sagte mir meinDiener, Mehmed Zeneli, er habe in Erfahrung gebracht, daß dastürkische Heer trotz der Amnestieproklamation oder besser gesagtunter ihrem Schutze gerade am folgenden Tag von Koplik überRrjoll gegen Shala aufzubrechen habe, um Shala zu verwüsten.Wie ich dies hörte, verstand ich, weshalb mich Torghut nachRrjoll eingeladen hatte, denn wenn ich an der Spitze destürkischen Heeres mit Torghut gegen Rrjoll marschiert wäre,

Page 252: Nopcsa Reisen Balkan

Zwischen der Annexion und dem Balkankrieg (1910-1912)

238

wäre ich für immer bei den Albanern kompromittiert gewesen.Ich verstand auch nun, weshalb er meinen Empfang in Koplik biszu dem Momente verschoben hatte, wo alle Vorbereitungen zumVormarsche getroffen waren. Grund zum Zorn auf Torghut hatteich vollkommen genug, denn auf seine Aufforderung hin hatte ichihm zugesagt, meinen Einfluß bei den Malessoren in Podgorica inversöhnlichem Sinne zur Geltung zu bringen. Ob derBallhausplatz von all diesen Vorgängen irgendwie informiertwar, ist mir unbekannt geblieben.

Als der Tag anbrach, an dem die Truppen gegen Shalavormarschieren sollten, stürzte ich in der Frühe wütend zumVilajets Dragoman und hielt ihm die ganze Schweinereiunverblümt vor Augen, dabei habe ich so geschrien, daß man esauf der Gasse hörte und verstand. “Eh bien, je m’en vais et jepeux vous dire que c’est la fin de la Turquie.” Dies waren dieletzten Worte, die ich vor dem Ausbruche des Balkankriegeseinem türkischen Beamten in der Türkei ins Gesicht geschleuderthabe.

Mit dem nächsten Dampfer fuhr ich sofort nach Plavnicaund von dort mit Wagen nach Podgorica zu den Malessoren.Wohl wissend, daß alle wichtigen in Montenegro aufgegebenenTelegramme König Nikita vorgelegt werden, hielt ich es für gut,von Podgorica folgendes an Torghut zu telegrafieren: “Puisque lacoincidence de la proclamation de l’amnestie avec l’avancementdes troupes vers Shala me prouve que Votre Excellence est entrain de répéter une affaire comme sur le De…iƒ, mais en plusgrand style, je vous prie de ne plus prendre en considération lesparoles que nous avons échangées puisque je ne veux pas quemes paroles pacifiques soient desavouées par vos actionsbelliqueuses. Baron Nopcsa.”

In Podgorica teilte ich sofort viel Geld an die Rebellenaus, dann fuhr ich nach Cetinje, wo ich in der Gesandtschaftmeinen ersten Bericht an Franz Ferdinand verfaßte. In diesem

Page 253: Nopcsa Reisen Balkan

Zwischen der Annexion und dem Balkankrieg (1910-1912)

239

Bericht betonte ich einerseits die Absicht Torghuts, diekatholischen Malessoren zu vernichten, und andererseits, daßnach der Lage im Jahre 1909 die Monarchie und das HausHabsburg jetzt die moralische Verpflichtung habe, denMalessoren zu helfen. Der Bericht hatte eine richtig guteWirkung, denn diplomatischem Drucke folgend, mußte TorghutPaschas Heer auf der Qafa e Bishkashit halten. Die Malësia eVogël war gerettet, und noch heute meinen die Shala, daß sie ihreRettung teilweise mir verdanken. Von Cetinje kehrte ich nachPodgorica zurück.

Mein Plan war folgender. Erstens galt es mit den wildenAlbanern gut zu bleiben, um meinen Einfluß zu behalten,zweitens auf die albanischen Politiker Einfluß zu gewinnen, umsie zu politischer Mäßigung zu ermahnen. Drittens war es, diePosition der kämpfenden Albaner den Jungtürken gegenüber zustärken, viertens der Einfluß der montenegrinischen Hetzer beiden Albanern zu untergraben, fünftens gleichzeitig gegen dieextremradikalen Jungtürken, namentlich deren HauptvertreterShefket Torghut Pascha, vorzugehen. Sechstens und letztensmußte der Kontakt mit den scheinbar gemäßigten Türken (demtürkischen Gesandten in Cetinje, Sadeddin) aufrecht erhaltenwerden, um eine Versöhnung zu vermitteln. Daß dieser Kontaktüberhaupt möglich wurde, verdanke ich einem Zufall, denn denletzten Programmpunkt hätte ich durch mein Ungestüm fastverdorben. Den ersten Punkt des Programms erfüllte ich durchdie bereits erwähnten Geldspenden, die infolge der Art, wie siegegeben wurden, sogar unserem nüchtern denkendendiplomatischen Vertreter, Baron Giesl, zum Glauben verleiteten,als ob ich an die Albaner in einigen Tagen wenigstens 10.000Kronen ausgegeben hätte, bis ich ihn auf Grund meinesScheckbuches den Beweis erbrachte, daß es kaum 1500 K. waren.Dem zweiten Punkte trachtete ich durch Unterredungen mitIsmail Qemali und anderen Leuten genug zu tun. Um Punkt drei

Page 254: Nopcsa Reisen Balkan

Zwischen der Annexion und dem Balkankrieg (1910-1912)

71 Mary Edith Durham (1863-1944), englische Reisende undPublizistin.

240

durchzuführen, öffnete ich Ismail Qemali und Preka Gjeta Zogudie Augen über die verzweifelte Lage der Albaner und sagte, siekönnten ihre Leuten nur dann retten, wenn so etwas geschehe,was den Eindruck erwecke, als ob auch die in diesem Jahreruhigen mohammedanischen Albaner des Berglandes zwischenPeja (Peƒ) und Gjakova (Djakovica) sich wieder erheben würden.

Daß sie sich im Jahre 1911 in Wahrheit nicht würdenrühren können, hat mir Bajazid im Winter 1910-1911 gemeldet.Punkt vier meines Programms war mir recht sympathisch, und ichwar in so ferne erleichtert, als mich Miss Durham71 bereitsaufmerksam gemacht hatte, daß Sokol Bacis Sohn, die für dieAlbaner einfließenden Hilfsgelder unterschlage, was ich auchbald erkennen konnte, denn er legte mir nahe, die Rebellen nichtmit Proviant und dgl. zu unterstützen, sondern ihm vielmehrBargeld zu übergeben, damit er in der Lage sei, die nötigenEinkäufe zu besorgen. Im übrigen war aber gerade dieser Punktrecht schwierig, da er bald einen Konflikt zwischen mir und dendie Albaner aufhetzenden Montenegrinern provozieren mußte.Ich verzichtete daher in diesem Punkte auf Finessen und packteden Stier gleich bei den Hörnern. In einer öffentlichenVersammlung warf ich, den guten Willen sowie die Hilfe desKönigs Nikolaus lobend, Sokol Bacis Sohn öffentlich vor, daß ervom Aufstande profitiere, und machte dann, als schließlich meinKonflikt mit der montenegrinischen Regierung offen ausbrach,alle meine Anhänger unter den Albanern unverhohlen daraufaufmerksam, daß Montenegro, dem sie auf Gnade und Ungnadeausgeliefert waren, ihr Verderben plane. Durch dieses Redenebnete ich auf albanischer Seite den Boden zu einer Versöhnung.Auf dem türkischen Konsulat hatte ich deshalb, weil der türkische

Page 255: Nopcsa Reisen Balkan

Zwischen der Annexion und dem Balkankrieg (1910-1912)

241

Konsul sich bei der montenegrinische Regierung darüberbeschwert hatte, daß ich die Rebellen unterstütze, einen argenSkandal, aber eine halbe Stunde nach diesem Skandal war der ausCetinje in Podgorica eingetroffene Gesandte Sadeddin mit mirdennoch in Kontakt getreten, so daß ich ihm ein Memorandumüber die Versöhnungsmöglichkeiten vorlesen konnte. Diesirritierte nun freilich Ismail Qemali gar gewaltig. Torghut Paschatrachtete ich dadurch, daß ich, als Sadeddin über ihn zu redenanfing, mit den Worten: “Ne m’en parlez pas de Torghut!Torghut, c’est un cochon!” unterbrach, und auch sonst auf jedeWeise aus dem Sattel zu heben. Im Vertrauen auf die Wirkungmeiner Berichte an Franz Ferdinand wagte ich bei denMalessoren sogar das va banque Spiel, ihnen zu sagen, daßTorghut Pascha gar nicht mehr lange in Shkodra bleiben würde.Einigen meiner Freunde sagte ich, daß ich Torghut Pascha inmitten seiner Soldaten in Koplik getötet hätte und, als sie meineWorte wörtlich auffaßten und sich darüber wunderten, daß ich amLeben geblieben war, sagte ich auf meinen Bleistift zeigend:“Seht, dies ist mein Revolver.” Durch solche Tätigkeit leistete ichden Forderungen der Punkte 5 und 6 genüge. Was ich für dieBasis einer Versöhnung hielt, war aus einem Memorandum anExzellenz Sadeddin erkennbar. Ich hatte die Genugtuung, daßmeine Propositionen kurze Zeit darauf tatsächlich diewesentlichsten Punkte jener Propositionen waren, die dietürkische Regierung an die Rebellen adressierte. Infolge vonMangel an Applomb blieb diese Aktion allerdings erfolglos.

Einen besonders tiefen Einblick in den Untergrund desganzen Malessoren-Aufstandes und der ganzen Situationüberhaupt gewährte es, als mir 4000 K., die ich von zu Hausetelegrafisch zugeschickte erhielt, von einem einfaltigenmontenegrinischen Postbeamten in Cetinje in englischem Goldeausgezahlt wurden. Ich erkannte, daß nicht nur die Aufstände inJemen sondern auch die Malessoren-Bewegung von englischem

Page 256: Nopcsa Reisen Balkan

Zwischen der Annexion und dem Balkankrieg (1910-1912)

242

Gelde genährt wurde. Für die Jungtürken war dies eine Antwortauf ihre deutschfreundlichen Haltung.

Für mich war diese Entdeckung ein Hinweis, daß ichmich für eine Zeitlang wenigstens auch der englischen Pressezumal der Times würde bedienen können. Ich trat daher mit demTimes-Korrespondenten Bouchier in Beziehung, und es gelangmir, einen so guten Kontakt herzustellen, daß später alle meineZeitartikel z.T. so wörtlich telegrafisch an die Times übermitteltwurden, und dort erschienen. Freilich dauerte diese Freundschaftnicht zu lange, denn später bemerkte Stead in Wien, daß ich trotztemporärer Zusammenarbeit mich doch nicht leiten lasse, unddaher brach er den Verkehr ab. Bouchier hatte bis 1914 hievonnoch nichts erfahren und so leistete er mir, mich im Jahre 1913noch immer für einen Gesinnungsgenossen haltend, auch späternoch unbewußt gute Dienste. Auf diese Weise wirkte ich in jederRichtung. Als endlich die in Cetinje akkreditierten Diplomatenvon Miss Durham aufmerksam gemachten wurden, daß sich derText der an die Malessoren erlassenen Proklamation TorghutPaschas nicht vollkommen mit dem ihnen zugeschickten Textedeckte, als ferner der Times, die Zeit und der Sole und auch ichoffen und energisch gegen Torghut Stellung nahmen, da wurdedie Stellung dieses Generals erschüttert, gleichzeitig wurde aberauch meine Lage in Montenegro schwierig.

Zuerst hatte man mir, nachdem ich eines Tages in derFrühe von Cetinje weggefahren und mittags in Podgoricaeingetroffen war, dort dann sofort ein Pferd auftrieb undnachmittags in Trepsh eintraf und abends wieder in Podgoricawar, und den Montenegrinern diese meine Beweglichkeit mißfiel,verbaten sie mir, Podgorica zu verlassen. Als ich erneut in Cetinjeeintraf, ließ mich Miuskovich, der damals Minister des Innerenwar, zu sich rufen und verbat mir nach Podgoricazurückzukehren, denn er hoffte, mich auf diese Weise von denAlbanern zu isolieren. Zufällig ergab es sich, daß damals die

Page 257: Nopcsa Reisen Balkan

Zwischen der Annexion und dem Balkankrieg (1910-1912)

243

Albanerchefs gerade nach Cetinje zu kommen hatten und so hatteauch die Maßregel nur halben Erfolg, doch zog sie aber immerhindas nach sich, daß ich den Malessoren sagen ließ, ich wurdedurch die montenegrinische Regierung daran gehindert, die fürsie in Aussicht genommene Getreide zu kaufen. Das Entgehen derfür den Getreidekauf bestimmten Summe schmerzte Sokol Baciheftig, und da er wußte, daß ein Albaner, Mar Gjeku, noch von1907 her mein Freund sei, wollte er diesen überreden, mich ineine Falle zu locken, um mich dort zu berauben. Mar ließ sichvon Sokol scheinbar überreden, da er aber von mir allerdingsgrundlos und nur zum Beweise meiner Freundschaft in der Frühedesselben Tages zufällig 160 Kronen bekommen hatte, so kam ernach der Unterredung mit Sokol noch um Mitternacht zu mir insZimmer, und während die 3000 K. am Nachtkasten nebenmeinem Bette lagen, so daß er bloß die Hand hätte nach ihnenauszustrecken brauchen, berichtete er mir von Sokol Bacis Plan.Er fügte noch hinzu, daß Sokol Baci ihm die Hälfte des bei mir zufindenden Geldes versprochen hätte. Ich beruhigte Mar Gjeku,sagte ihm, daß ich nie mit größeren Summen in meiner Tascheausgehe, und daß er daher um den Preis seiner Ehre höchstens einpaar Napoleons erwischen würde. Dann entwarf ich einen Plan,um Sokol Baci zu kompromittieren. Mar Gjeku und Sokol Bacisübrige Spießgesellen sollten mich Programm gemäß überfallen,andererseits würde aber ich dafür Sorge tragen, daß dieÜberfallenden selbst während des Überfalles von meinenAnhängern überfallen würden. Dann würde es leicht sein, SokolBaci wegen Anstiften eines Raubüberfalles gegen einen Untertander Monarchie vor Gericht zu ziehen. Diese ganze Angelegenheitwar mir um so lieber, als hiedurch auch der vierte Punkt meinesProgrammes, das heißt die Kaltstellung Sokol Bacis, wesentlichgefördert werden konnte. Nach meinem Gespräch mit Mar gingich am nächsten Tag in der Frühe zu Exzellenz Giesel underzählte ihm alles. Statt aber mich zu unterstützen, bat er mich,

Page 258: Nopcsa Reisen Balkan

Zwischen der Annexion und dem Balkankrieg (1910-1912)

244

die ohnehin verworrene Lage nicht weiter zu komplizieren, undversicherte mich, daß er, der Gesandte, sogar falls Sokol Baci desAnstiften eines Raubüberfalles überführt werden könnte, dochnicht den Einfluß habe, um diesen Vertrauensmann und Lieblingdes Königs von Montenegro vor Gericht zu bringen. Dazu riet ermir noch, um eine Ausweisung zu vermeiden, Montenegro zuverlassen. Hiemit war die Sache natürlich begraben. Ich befolgteGiesels Rat und fuhr am nämlichen Tag wieder nach Wien.

Nach Wien zurückgekehrt erfuhr ich daselbst, daß ich,damit bei der Tragödie das Satyrspiel nicht fehle, während ich inMontenegro politisierte, in Wien fast ein Ehedrama provozierthatte. “Mein Mann war fürchterlich aufgeregt,” sagte mir, als ichin Wien eintraf, eine Tippmamsell der Zeit und, als ich weiterforschte, hörte ich folgende Gerüchte.

Um mit Kanner auch von Montenegro aus intelegrafischem Verkehr zu bleiben und ihm, da ein offenesTelegrafieren politischer Angelegenheiten in Montenegroverboten war, im Geheimen über die Vorgänge an deralbanischen Grenze informieren zu können, hatten wir eineChifferkorrespondenz verabredet. Sie bestand darin, daß derganze Sinn des Telegramms in der Anordnung der Adressen- undUnterschriftsworte verborgen lag, während der Inhalt desTelegramms irrelevant war, weshalb der Text meinerTelegramme dann, ohne uns zu schädigen, sogar verstümmeltoder verstellt werden konnte. Freilich mußte ich in Montenegrodas motivieren, warum ich täglich zwei bis drei Telegrammeaufgab. Da ich als bekannte Persönlichkeit nicht zwei bis dreiHandelsdepeschen aufgeben konnte, andererseits als ledigerJüngling leicht mit irgendeinem Fräulein verlobt und bis über dieOhren verliebt sein konnte, so einigte ich mich mit Kanner, jedenTag mehrere Liebestelegramme an eine in der Zeitredaktion(Wipplingerstraße 38) angestellte Tippmamsel namens AnnaKistner zu senden. Diese sollte meine Telegramme sofort Dr.

Page 259: Nopcsa Reisen Balkan

Zwischen der Annexion und dem Balkankrieg (1910-1912)

245

Kanner übergeben. Dem Sinne gemäß variierte natürlich dieAdresse der Telegramme, denn bald hieß es “Fräulein Kistner,Wien, Wipplingerstraße, 38" bald “Anna Kistner, 38Wipplingerstraße, Wien” u.s.w. So ein Telegrafieren konnte inMontenegro nicht besonders auffallen, und so war dann Kannerüber alles prächtig orientiert, bis eines meiner allersüßestenTelegramme Sonntag vormittag in Wien, in der Zeitredaktion, zueiner Stunde eintraf, wo genannte Kistner nicht im Amt war, undder eifrige Redaktionsdiener den unglückseligen Gedanken hatte,ihr dieses Telegramm in die Wohnung zuzustellen. Hier fiel es indie Hände des rechtmäßigen aber leider in die ganze Sache nichteingeweihten Gatten der genannten Kistner. Es wurde - horribiledictu - von ihm gelesen und hierauf und zwar scheinbar mit Rechtals flagranter Beweise eines unter der Deckadresse derRedaktionsstube betriebenen Ehebruches gedeutet. Unter Tränenbeschwor die Kistner ihren Gemahl der Sache nicht zu glaubenund sie erklärte ihm nun alles. Er wollte sich aber doch nichtüberreden lassen und, da Sonntag Nachmittag Dr. Kanner, dereinzige, der hätte Aufklärung geben können, auch nicht in derRedaktion der Zeit war, so vergingen für beide Eheleute bisMontag Vormittag fürchterliche Stunden. Dann schleifte HerrKistner seine Gattin an den Haaren zu Dr. Kanner, worauf sichdann freilich die ganze Sache in Wohlfallen löste. DieEhetragödie war vorläufig das einzige handgreifliche Resultatmeiner Reise nach Albanien.

In Wien veröffentlichte ich eine Reihe vonjungtürkenfeindlichen Artikeln, darunter auch die folgenden.

Reiseeindrücke aus Albanien. Äußerungen von Baron Nopcsa. Wien. Juli 1911.

“Die albanische Frage nimmt von Tag zu Tagdas Interesse der Öffentlichkeit immer mehr in Anspruch.

Page 260: Nopcsa Reisen Balkan

Zwischen der Annexion und dem Balkankrieg (1910-1912)

246

Einer unsere Mitarbeiter hatte nun Gelegenheit mit Dr.Franz Freiherren von Nopcsa, einem hervorragendenKenner Albaniens, der zurückgekehrt ist, Rücksprache zunehmen. Baron Nopcsa hatte die Liebenswürdigkeit, sichfolgendermaßen zu äußern:

Die Revolution in Nordalbanien ist nur einlokales Symptom der allgemeinen von Janina bisMitrovica herrschenden Unzufriedenheit mit demjungtürkischen Regime. Abgesehen von derUngeschicklichkeit, die Zivilisation mit Bajonetten zufördern, haben die Jungtürken den Fehler gemacht, denAlbanern überhaupt nicht zu zeigen, welchen Vorteil dieZivilisation für sie bringt. Die einzigen Vorteile derZivilisation, deren die Albaner bisher teilhaftig wurden,waren Steuerzahlen und Rekrutenstellen. Durch dieseBajonettwirtschaft wurde die Armut der Bevölkerung,die ohnehin schon bedenklich war, gesteigert, und es istbekannt, daß zunehmende Armut immer Unruhenhervorruft.

Wie ist das Verhältnis Montenegros zuAlbanien?

Montenegro war bisher immer ein Gegner derTürkei. Es ist natürlich, daß Montenegro jedeUnzufriedenheit in der Türkei in seinem Interesseausnützt. Montenegro war außerdem auch immer einGegner der der Türkei ergebenen Albaner und es siehtsich plötzlich in die Möglichkeit versetzt, diealbanisch-türkische Feindschaft zu seinem Vorteilauszunützen. Je nachdem ob man sich auf denStandpunkt stellt, daß Montenegro eine Vertilgung desalbanischen Elements wünscht, oder daß Montenegrosich mit Albanien verbinden möchte, kann man dasjetzige Verhalten Montenegros in einem zweifachen

Page 261: Nopcsa Reisen Balkan

Zwischen der Annexion und dem Balkankrieg (1910-1912)

247

Licht betrachten. Sicher ist, daß die montenegrinischeRegierung die Unruhen in Nordalbanien derzeit gernsieht und fördert. Welches Ziel sie aber dabei verfolgt,muß von diesem doppelten Standpunkte aus erwogenwerden. Ich für meine Person glaube nicht, daßMontenegro eine Versöhnung oder eine Verbindung miteinem starken, wohlhabenden, autonomen oder halbwegsautonomen Albanien anstreben kann, denn in diesemFalle müßte es auf jede Gebietsvergrößerung an seinerSüdgrenze verzichten. Außerdem scheint es mir nichtwahrscheinlich, daß die orthodoxen Montenegriner sichauf die Dauer mit den größtenteils mohammedanischenAlbanern befreunden können. Aus diesem Grunde glaubeich, daß Montenegro eine Schwächung oder Vernichtungdes albanischen Elements zumal an seiner Südgrenzeganz recht wäre. Anstandshalber will es aber dieHenkerarbeit Torghut Pascha überlassen. Da man, sogarwenn man Torghut Pascha ist, Leute nicht erschießenkann, wenn sie nicht selbst schießen, so hetztMontenegro die Albaner nur deshalb zum Kampfe, damitdiese von der Türkei vernichtet werden können undMontenegro darauf der Weg gegen Süden offen stünde.Infolge der absolut korrekten NichteinmischungÖsterreichs und Italiens in innere Angelegenheiten derTürkei ist es nicht möglich, daß die Jungtürken ihreselbstmörderische Absichten durchsetzen.

Sie hatten, Baron Nopcsa, auch eine Unterredungmit Torghut Pascha?

Ja. Ihn betrachte ich als lokales Haupt der gegendie Albaner gerichteten Vernichtungspolitik. Torghut isteine sehr selbstbewußte, energische, rücksichtslose, inder Wahl ihrer Mittel durchaus skrupellosePersönlichkeit. Sein Selbstbewußtsein ist, da er mit ca.

Page 262: Nopcsa Reisen Balkan

Zwischen der Annexion und dem Balkankrieg (1910-1912)

248

60.000 Mann und entsprechender Artillerie gegen 4000schlecht bewaffnete Albaner im Felde steht, nichtunbegründet. Für einen politischen Kopf halte ichTorghut Pascha entschieden nicht. Die Unreife seinerpolitischen Anschauungen erkannte ich am bestendaraus, daß er mir gegenüber, der ich am besten dochSiebenbürgen kenne, die Behauptung vertrat, in 25Jahren würde es der ungarischen Regierung unbedingtgelingen, sämtliche Rumänen Siebenbürgens zumagyarisieren. Der Mann, der sich eineEntnationalisierungspolitik so leicht vorstellt, muß auchin Albanien Schiffbruch erleiden. Es ist merkwürdig, daßsich solche politische Ansichten bei einem Mannvorfinden, der türkischer Militärattaché in Bukarest warund dabei vermöge der vollkommenen Beherrschung derfranzösischen und rumänischen Sprache offenbar miteiner internationalen, hochgebildeten Gesellschaft dort inVerbindung trat, wodurch er gewiß einiges hätte lernenkönnen. Sein Programm ist, wie er mir ausdrücklichbetonte, aus Nordalbanien eine Wüste zu machen unddiese Wüste dann mit mohammedanischenAuswanderern aus Bosnien zu bevölkern. Daß speziell anbosnische und nicht an anatolische Auswanderer gedachtist, hat er mir gegenüber auch ausdrücklich betont.

Sie kamen auch mit dem türkischen Gesandten inCetinje in Berührung und lernten auch diemontenegrinischen Hilfskomitees kennen?

In Podgorica konnte ich mit dem türkischenGesandten in Cetinje, Sadeddin, mit den Häuptern derRebellen und den verschiedenen Hilfskomitees inVerbindung treten. Gerade im Gegensatz zu TorghutShefket Pascha interessiert sich Sadeddin schon seitlanger Zeit für eine dauernde Versöhnung der Albaner

Page 263: Nopcsa Reisen Balkan

Zwischen der Annexion und dem Balkankrieg (1910-1912)

249

und Türken, damit jene die ihnen zugefügte Unbillvergessen und ihre bisherige Rolle wieder aufnehmen,die darin bestand, daß sie das Wilajet Shkodra gegensüdslawische Aspirationen schützten. Infolge derTraditionen und des religiösen Unterschiedes derkatholischen Albaner und der orthodoxen Montenegrinerist die Verwirklichung dieser Absicht sogar in Shkodraals derzeit nicht unmöglich zu bezeichnen. Freilichgehört dazu, daß die mohammedanische Bevölkerungdieses Gebietes sich auch zu dieser Ansicht bekehre. Ichglaube, daß alle Faktoren in der Monarchie diesenBestrebungen den besten Erfolg wünschen können.

Wie äußert sich die österreichische Politik inAlbanien?

Was die Monarchie anbelangt, so ist sie durchdie Unruhen, unter denen gerade die Katholiken leiden,also Leute, über die die Monarchie ein sehr ungenaudefiniertes Kultusprotektorat ausübt, infolge der neuestenPolitik in einer recht mißlichen Lage. Infolge derungenauen Fassung des Kultusprotektorates wurdennämlich seinerzeit von der Monarchie auf Grund diesesProtektorates Dinge durchgesetzt, die der Monarchie zumVorteile gereichten, jedoch streng genommen nichteigentliche Kulturangelegenheiten sind. Vor Jahrenintervenierte die Monarchie manchmal in Fällen, wo bloßein Katholik ungerechterweise eingesperrt oder verbanntwurde. Heute sind nicht e inmal wegenKirchenplünderungen energische Schritte unternommenworden. Die Albaner hatten sich an die Zustände derfrüheren Zeit gewöhnt und, da die Monarchie derzeitnicht einmal ihre berechtigten Minimalforderungen derTürkei gegenüber betont, so hat eine starke Reaktiongegen die Stellung der Monarchie Platz gegriffen. Jeder

Page 264: Nopcsa Reisen Balkan

Zwischen der Annexion und dem Balkankrieg (1910-1912)

250

Rivale der Monarchie, und es gibt ihrer genug, hatinfolge dieser veränderten Verhältnisse eine sehr leichteHandhabe gegen diese, sofern ihm daran liegt, um dasAnsehen Österreich-Ungarns am Balkan zu untergrabenoder sich um die Sympathie der Albaner zu bewerben.Ganz besonders wird diese unglückliche Stellung derMonarchie wichtig, wenn man an die Beendigung destürkisch-albanischen Konfliktes denkt. Erreichen dieMontenegriner ihr Ziel, nämlich die Vernichtung derAlbaner, so haben wir eine Kräftigung Montenegrosdurch Gebietserweiterungen gegen Süden zu erwartenoder müssen zumindest dann bestrebt sein, dies durchalle Mittel zu verhindern, was uns gewiß nicht leichtfallen wird, und vielleicht durch diplomatischen Notenüberhaupt nicht zu erreichen ist. Setzen aber die Albanerihre Autonomie durch, dann haben wir auch nicht vielgewonnen, denn Sympathie und Prestige sind jedenfallsverloren gegangen, und infolge der von Baron Gautschseinerzeit hervorgehobenen ‘Auslandscheu’ unsererJugend können wir auch nicht erhoffen, wirtschaftlicheVorteile in dem zukünftigen autonomen Albanien zuerlangen, das in der Autonomie einen großenAufschwung nehmen dürfte, woran wahrscheinlichItalien am meisten partizipieren wird. Ja sogar einbleibender Erfolg der Jungtürken kann uns nicht vielhelfen, denn die wahre Natur der jungtürkischenFreundschaft kann man an der Art und Weise erkennen,wie bisher die wohlgemeinten Ratschläge des GrafenAehrenthal in Konstantinopel befolgt werden, wobei ichauf den Fremdenblatt-Artikel vom 8. Juni verweise.”

Sind die Türken zivilisationsfähig? Acht Fragen und siebenAntworten.

Page 265: Nopcsa Reisen Balkan

Zwischen der Annexion und dem Balkankrieg (1910-1912)

251

Von einem Kenner der Türkei. Wien, am 9. Juli 1911

“Da die letzten Ereignisse am Balkan, zumal dasbarbarische Benehmen der kleinasiatischen Horden inAlbanien (als Soldaten kann man Menschen, die alteWeiber verbrennen und Kirchen plündern, nichtbezeichnen) das Vertrauen Europas an dieZivilisationsfähigkeit der Türken wohl einigermaßenerschüttert haben dürfte, darf sich vielleicht einaufmerksamer Leser der Zeit, der die Osmanen aus derGeschichte und auch aus eingehender eigenerBeobachtung gut zu kennen glaubt, gestatten, achtFragen über die Rolle der Osmanen im Orient zu stellen,deren sieben er selbst beantworten, deren achte aber erder Entscheidung der Türkenfreunde überlassen will, zudenen, wie gleich bemerkt werden mag, er sich selbstnicht zählt.

Erste Frage: Haben die Horden Osmans, als sienach Europa und Arabien drangen, hier andereZivilisationen vorgefunden, und welche? Antwort: Siefanden die byzantinische, die arabische und in SerbienAnsätze zu einer südslawischen Kultur vor.

Zweite Frage: Haben sie diese Kulturen bewahrtoder vernichtet? Antwort: Sie haben sie vernichtet.

Dritte Frage: Haben die Osmanen, als sie auf derHöhe ihrer Macht standen, die durch sie vernichtetenZivilisationen in Konstantinopel, Arabien oder Serbiendurch eine eigene gleichwertige Zivilisation ersetzt?Antwort: Nein.

Vierte Frage: Ist es wahrscheinlich, daß eineRasse, die auf dem Zenit ihrer politischen Macht keineZivilisation annehmen oder keine Kultur entwickeln

Page 266: Nopcsa Reisen Balkan

Zwischen der Annexion und dem Balkankrieg (1910-1912)

252

konnte, fähig sein wird, eine solche während der Periodeihres Niederganges zu entwickeln? Antwort: Nein.

Fünfte Frage: Haben Griechenland, Serbien,Bulgarien und Rumänien und sogar Montenegro heuteeine höhere Zivilisation als die Türkei? Ist Hab und Gutin diesen Ländern gesicherter als in der Türkei? Gibt esdort bessere Wege und bessere Schulen als im Reiche derOsmanen? Antwort: Zweifelsohne.

Sechste Fragen: Haben diese Balkanstaaten ihreKultur vor oder nach ihrer Befreiung vom Türkenjocheentwickelt? Antwort: Nach ihrer Befreiung.

Siebte Frage: Ist es nach dem Gesagtenwahrscheinlich, daß die nichttürkischen VölkerschaftenMazedoniens und Albaniens, solange sie unter derHerrschaft der Türken sind, in der Lage sein werden, eineZivilisation anzunehmen oder entwickeln? Antwort:Nein.

Achte Frage: Ist das Verlangen der Albaner, sichzumindest teilweise von der türkische Oberhoheit zuemanzipieren, vom Standpunkt der Zivilisation, daherauch vom Standpunkt des europäischen Friedens und derRuhe auf der Balkanhalbinsel zu verwerfen? Die Antwortauf diese Frage wird den Türkenfreunden überlassen.”

Schon am 10. Juli ärgerte sich Aehrenthal dermaßen übermeine Tätigkeit, daß er sich veranlaßt sah, mich im Pester Lloydangreifen zu lassen.

Ein ‘Politiker’ auf eigene Faust. Wien, 10. Juli 1911

“Einige russische und andere auswärtige Blätterversuchen auf eine etwas merkwürdige Art, den Beweis

Page 267: Nopcsa Reisen Balkan

Zwischen der Annexion und dem Balkankrieg (1910-1912)

253

zu führen, daß Österreich-Ungarn auf den Balkan einedoppelzüngige Politik treibe. Sie behaupten nämlich, einBaron Nopcsa habe als Agent der Monarchie dieAufgabe, die Türkei und Montenegro zu entzweien unddie Bewegung in Albanien zu schüren.

Dieser angebliche Agent ist der Geologe Dr.Franz Freiherr von Nopcsa, der seit mehreren Jahrenwissenschaftliche Forschungsreisen in Oberalbanienunternimmt, über deren Ergebnisse er einige Werkepubliziert hat. In diesem Jahre ließ sich der Genanntedurch den Aufstand der Malessoren nicht aufhaltenwieder nach Albanien zu reisen, obwohl ihm von seitender hiesigen Behörden davon eindringlich abgeraten under aufmerksam gemacht wurde, daß angesichts derSituation jede Verantwortung für die Durchführbarkeitseiner Reise und für seine persönliche Sicherheitabgelehnt werden müsse. Auf dem Schauplatz derblutigen Ereignisse angelangt schien Baron Nopcsa vonseinen wissenschaftlichen Zielen durch die Politikabgelenkt worden zu sein. Wenigstens erfuhr man hierzur großen Überraschung, daß er sich plötzlich als derberufene Vermittler zwischen der Türkei und Albaniengebärdete. Es gelang ihm allerdings nicht seine neueRolle mit Erfolg zu spielen, da sich alle maßgebendentürkischen Stellen, so auch Torghut Shefket Pascha,seiner Aktion gegenüber vollständig ablehnendverhielten. Nicht besser ist es ihm in Montenegrogegangen, wo sich nicht nur die Behörden, sondern auchdie dort auf der Flucht befindlichen Malessorenweigerten mit ihm in Verbindung zu treten. Vielleichtwar es Ärger über all das, was ihn veranlaßte, seine sowenig glückliche Tätigkeit mit den heftigsten Vorwürfengegen die österreichisch-ungarische Politik zu begleiten.

Page 268: Nopcsa Reisen Balkan

Zwischen der Annexion und dem Balkankrieg (1910-1912)

254

Das allein hätte die Gewährsmänner jener Blätter, dieBaron Nopcsa als Agenten der Monarchie schilderten,hindern können, ihre Zeitungen dem Fiasko einer solchenMeldung auszusetzen.”

Einen Augenblick dachte ich diesem Artikel zuantworten, überlegte mir aber die Sache und fuhr unbehindert fortgegen die Jungtürken zu agitieren.

Torghut Shefkets Kriegsführung. Von einem nichtalbanischen Augenzeugen. 11. Juli 1911

“Weil man in Konstantinopel die Amnestiefristwieder verlängert, glaubt gewiß ein großer Teil derDiplomaten und der Presse, in Unkenntnis der wahrenVerhältnisse, alles sei schon geordnet, und TorghutShefkets diabolischer Plan, ca. 100.000 katholischeAlbaner auszurotten und zu vernichten (diese Wortebefinden sich in Torghut Shefket PaschasAmnestieproklamation an die Rebellen) um deren Gebiet,wie er es Baron Nopcsa ausdrücklich mitteilte, mitAuswanderern aus Bosnien zu besiedeln, zunichtegeworden sei. Um alle katholischen Bergstämmeausrotten zu können, trieb er zuerst jenen Teil, den ernicht in seine militärische Schlinge einfangen konnte,über die Grenze nach Montenegro und zog hierauf einenstarken Militärkordon von der Adria bis Gucinje. Sowiedieser Kordon komplett war, ließ er, um jene Gebirgler,die in Shkodra als friedliche Tagelöhner beschäftigtwaren, ebenfalls ausrotten zu können, alle diese aus derStadt ausweisen und zwang sie so, sich zu ihren imGebirge lebenden Verwandten zu begeben. Vor dieserZeit erklärte Torghut Shefket freilich, daß er nur die

Page 269: Nopcsa Reisen Balkan

Zwischen der Annexion und dem Balkankrieg (1910-1912)

255

Malessorenstämme als Rebellen betrachte. Kaum warenaber die größtenteils dem Stamme Shala und Shllakuangehörenden Tagelöhner in ihren Heimatdörfernangelangt, so erklärte er auch die Shala als Rebellen undschnitt ihnen, angeblich um sie zur Ablieferung ihrerWaffen zu zwingen, den Proviant, das heißt dieMehlzufuhr aus Shkodra, ab. Da der im Stammesgebietvon Shala vorhandene Mehlvorrat bloß auf einigeWochen ausreicht, die Leute aber genau wissen, daß sienach Ablieferung ihrer Waffen von Torghut Pascha heuergenau so mißhandelt und geprügelt werden, wie vorigesJahr, ist es natürlich, daß sie an eine Waffenablieferungnicht denken, (Sie sollen Torghut Pascha lapidargeantwortet haben: Komm, nimm sie!) und, um nichthungers zu sterben, sind sie, ganz nach Torghuts Absicht,genötigt, ihre Herden zu schlachten und sich dadurchsogar im Falle eines späteren Friedenschlusses selbst anden Bettelstab zu bringen, da ihre Herden ihr einzigesKapital sind. So wird Torghut ca. 8.000 Katholiken(nicht 3.000, wie die türkischen Zeitungen sagen) ruiniertund zur späteren Auswanderung gezwungen haben. Daßihnen der Proviant ausgeht, hat er selbst triumphierendgemeldet. Der Kampf der Shalaleute bei Trabjona warauch nichts anderes als ein verzweifelterDurchbruchsversuch durch den türkischen Kordon, umfür ihre an Hunger sterbenden Frauen und Kinder Brotaus Montenegro zu erlangen. Dieser Vorgang ist imVerhältnis zur Raffinement, mit dem Torghut Pascha inBregumatja ca. 16.000 der türkischen Regierung nochloyale Katholiken mordet, noch gar nichts. Einer altenSitte folgend begibt sich jährlich im Herbst ca. die Hälftealler Malessorenstämme mit Kind und Kegel zumÜberwintern in die Sumpfgebiete der Adriatischen Küste

Page 270: Nopcsa Reisen Balkan

Zwischen der Annexion und dem Balkankrieg (1910-1912)

256

und zieht, da im Juni Moskitowolken (nichtMoskitoschwärme) diese Gegend unbewohnbar machen,auf die Almen im Gebirge. Da diese Leute am Wege vomGebirge in die Ebene samt ihren Herden die StadtShkodra, namentlich aber auch die soldatenbewachteDrinbrücke passieren müssen, daher einen Konflikt mitder Regierung vermeiden müssen, sind sie nicht nurgenötigt, ihre Steuer (80 Heller jährlich für ein 16Kronen wertes Schaf) prompt zu erlegen, sondern auchauf geheime Waffen zu verzichten. An eine halbwegserfolgreiche Rebellion können die derzeit in Bregumatjabefindlichen Stämme daher überhaupt nicht denken,weshalb es Torghut Pascha unmöglich wird, gegen sievorzugehen. Um die Leute aber doch vernichten zukönnen, verbot ihnen der Pascha, beim Einsetzen desSommers auf die Alm zu ziehen. Da er genau weiß, daßein Sommeraufenthalt in Bregumatja für Menschenwegen der dortigen Malaria unmöglich ist und daß auchdie dort internierten Herden wegen des schlechtenTrinkwassers in kürzester Zeit zugrunde gehen müssen,hofft er durch diese Maßregel, diese Leute auch nochzum Äußersten, das heißt zu einem Verzweiflungskampf,zu treiben. Der Sommer hat schon begonnen, und dieMalaria ist in Bregumatja bereits eingezogen. Einhöherer türkischer Beamter aus Shkodra, Ibrahim EfendKjori, erklärte ganz öffentlich, die türkische Regierungbeabsichtige, die Malessoren in Bregumatja “wieSchweine in den Sümpfen” krepieren zu lassen. TorghutPascha ist im Begriffe, sein Ziel zu erreichen. In Shalamordet er Frauen und Kinder, in Bregumatja loyaleUntertanen des türkischen Reiches - und beide nur, weilsie katholischer Religion sind. Wenn die europäischeDiplomatie sich der Katholiken Nordalbaniens nicht bald

Page 271: Nopcsa Reisen Balkan

Zwischen der Annexion und dem Balkankrieg (1910-1912)

257

energisch annimmt, wird sie sich in kürzester Zeit dessenrühmen können, durch ihre Noten dem mörderischenWerke des kaiserlichen ottomanischen Generals, TorghutShefket Pascha, an ca. 40.000 Albanern Vorschubgeleistet zu haben.”

Da Mr. Steed den Bürstenabzug des letzten Artikelserhalten hatte, telegrafierte er ihn nach London, und er erschienaußer in der Zeit gleichzeitig auch in der Times. Dort war ihmjedoch noch folgende Einleitung gegeben worden:

The Times, July 11, 1911(From our own correspondent, Vienna)

“I am indebted to the editor of the Zeit for anadvanced copy of an important article entitled ‘TorghutShefket’s method of warfare by a non-Albanianeye-witness’, which that journal will publish tomorrow.I have reason to believe the competence of the author tobe beyond question.”

Dann folgte der Artikel. Am 12. Juli ließ sich die Zeit dieTatsache, daß die Times den Artikel der Zeit über dieKriegsführung Torghut Shefket Paschas im vollem Wortlautabgedruckt hatte und auch sonst die albanischen Artikel der Zeitin Regierungskreisen sehr beachtet werden, nochmals aus Londonmelden.

Während ich auf diese Weise gegen die Jungtürken loszog und mit dem in Wien anwesenden Ismail Qemali verkehrte,fuhr nun zufällig der bekannte Herausgeber der Review ofReviews, Mr. Stead, der bald darauf in der Titanic-Katastrophesein Leben verlor, im Auftrage des englischen Ministers desÄußeren, Lord Grey, nach Konstantinopel. Steed und Ismail

Page 272: Nopcsa Reisen Balkan

Zwischen der Annexion und dem Balkankrieg (1910-1912)

258

benachrichtigten mich von der Sache. Wir fuhren alle drei auf denWestbahnhof und konnten nun Stead, der im Orientexpreß fuhr,bis auf den Ostbahnhof begleiten. Wir benutzten die Gelegenheit,Stead gegen die Jungtürken zu hetzen, und zwar mit Erfolg. Ernotierte sich unsere Angaben, verfaßte ein Telegramm an Greyund betraute Steed, es im Wege der Wiener englischen Botschaftweiter zu senden.

Außer den Engländern trat ich auch mit dem ungarischenReichstagsabgeordneten Ivánka Imre in Kontakt. Ich informierteihn über das, was im Frühjahr 1910 in Albanien vorgegangenwar, und bewog ihn darüber sowie über die Rückwirkung dieserVorgänge auf die jetzige Lage im ungarischen Abgeordnetenhauszu interpellieren.

Da damals die oppositionellen ungarischen Abgeordnetenin ihrem Kampf gegen den ungarischen Ministerpräsidenten,Grafen Karl Khuen-Héderváry, Anlehnung an den ErzherzogThronfolger suchten und ich auch diesen von meiner Absichtinformieren ließ, glaubte Ivánka die Interpellation vorbringen zukönnen. Franz Ferdinand ließ mir übrigens für meine bisherigenBerichte danken.

Da Ivánka erst am 20. Juli interpellieren wollte, hatte ichbis dahin Zeit, noch eine ganze Reihe von Artikeln gegen dieJungtürken zu lancieren. Es standen mir hiezu außer der Zeit undden klerikalen Blättern auch noch die Reichspost und dasVaterland zur Verfügung.

Der nächste Artikel, nach meiner Unterredung mit Stead,der übrigens auf mich einen recht unsympathischen Eindruckgemacht hatte, erschien in der Reichspost.

Die Situation in AlbanienWien, 13. Juli 1911

Page 273: Nopcsa Reisen Balkan

Zwischen der Annexion und dem Balkankrieg (1910-1912)

259

“Sozusagen als Bestätigung unserer Telegrammevom 23 v. M. bringt die Zeit heute einen Artikel einesAugenzeugen über die Art und Weise, wie TorghutShefket Pascha darangeht, sämtliche Katholiken desVilajets Shkodra zu vernichten. Sein Vernichtungswerkist ein seit langem voraus geplantes und besteht darin,statt Feuer und Schwert andere Mittel, nämlich Hungerund Malaria, in Anwendung zu bringen. Da er vor allemhiezu Zeit braucht, erklärt der ehemals so kriegerischeGeneral, um Zeit zu gewinnen, daß die Amnestiefrist vonWoche auf Woche verlängert werde, denn Hunger undMalaria sind zwar sichere, aber langsam wirkende Mittel.Zum Hungertode sind von Torghut Pascha jene südlichseines gegen die Malessoren aufgestelltenTruppenkordons und nördlich des Drin, im Flußgebietdes Kiri und der Leshnica wohnenden Stämme verurteilt,deren Seelenzahl infolge des Zuflusses von Leuten ausDushmani, Toplana und Shala auf ca. 8.000 belaufendürfte. Es sind dies sämtliche Angehörige der StämmeShala, Shoshi, Planti, Gjani, Suma, Shllaku, Dushmaniund Toplana. Diese Leute sind von Truppen zerniert, ihreMehlzufuhr ist abgeschnitten, und sie sind so genötigt,ihre Herden zu schlachten, sich also selbst wirtschaftlichzugrunde zu richten. Wenn die Männer dieser Stämmenach Montenegro durch den Truppenkordon zu gelangentrachten, um für ihre an Hunger sterbenden Frauen undKinder Brot zu holen, so werden sie, wie z.B. am 8.dieses Monats von den kaiserlich türkischen Truppennach Tunlichkeit erschossen.

Auf perfidere Weise richtet Torghut ShefketPascha in Bregumatja 16.000 andere nicht rebellischeLeute ihrer katholischen Religion halber zugrunde. DieseLeute verbringen den Winter samt Kind und Kegel in den

Page 274: Nopcsa Reisen Balkan

Zwischen der Annexion und dem Balkankrieg (1910-1912)

260

Sümpfen an der Adria, zahlen prompt Steuer und ziehenjedes Jahr, wenn in Bregumatja die Malaria auftritt, samtihren Herden ins Gebirge. Umsonst drängt der kaiserlichetürkische Gesandte in Cetinje, Sadreddin, TorghutPascha, diese Leute auch heuer wie gewöhnlich aufsGebirge ziehen zu lassen. Torghut weiß genau, daß dieHerden dieser Leute in den Sümpfen von Bregumatjaüber den Sommer unfehlbar zugrunde gehen müssen. Erweiß auch, daß es keinen Menschen gibt, der imstandeist, dem Sumpffieber dieser Gegend zu widerstehen. Ausdiesem Grunde entläßt er die Leute einfach nicht aus denSümpfen, sondern zieht die Verhandlungen in Podgoricaund die Amnestiefrist so lange hinaus, bis die Malaria inBregumatja, die dort schon wütet, ihre Pflicht imjungtürkischen Sinne getan hat. Solange es sich umRebellen handelt, läßt sich noch ein Deckmantel für diejungtürkische Perfidie finden, sobald es sich aber umloyale türkische Staatsbürger handelt, die nur deshalbverfolgt werden, weil sie katholischer Religion sind,dann verschwindet auch dieser Deckmantel.

Wie lange noch werden die Kulturstaaten diesenSchändlichkeiten ruhig zusehen?”

Am selben Tage brachte auch das Vaterland einen ‘DieAutonomie Albaniens’ betitelten ‘von besonderer Seite’stammenden Artikel aus meiner Feder.

“Der Kampf, der in Albanien immer mehrzuspitzt, dreht sich, wie bekannt, darum, daß die Albanervon den Türken eine mehr oder weniger ausgesprocheneAutonomie verlangen. Durch diese Vorgänge, werden, dasie sich an der Ostküste der Adria abspielen, auch dievitalsten Interessen unserer Monarchie berührt.

Page 275: Nopcsa Reisen Balkan

Zwischen der Annexion und dem Balkankrieg (1910-1912)

261

Seit Jahrzehnten ist der Antagonismus derMonarchie und Italiens um die Vorherrschaft an derOstküste der Adria ein Grundprinzip der äußeren Politikgewesen und, wenn wir die neue konstitutionelle Türkeimit Sympathien begrüßten, so geschah es deshalb, weilunsere Politiker durch eine starke, geeinte Türkei dasalbanische Problem, so wie manch anderes Problem fürendgültig geregelt hielten.

Solange der türkische Halbmond in Vlora wehte,hatten wir naturgemäß eine Störung des adriatischenGleichgewichtes nicht zu fürchten, und eine starkeTürkei konnte uns auch eine Garantie gegen allesüdslawische Aspirationen gewähren. Leider ist diePrämisse dieser Politik, nämlich eine starke, einenRuhefaktor des Balkans repräsentierende Türkei, bis jetztunerfüllt geblieben. Die Türkei hat es nicht verstanden,durch friedliche, kulturelle Arbeit ihre Macht zu stärken,ja, im Gegenteil, die neue Regierung in der Türkei hat esverstanden, die aus Abdul Hamids Zeit ererbten Übel wiedie ‘Jemenfrage’, ‘Mazedonische Frage’, ‘Finanzfrage’und ‘Bakschischfrage’ durch eine neue, sehr bösartigeFrage, die ‘Albanische Frage’, zu vermehren. DieZustände in der Türkei haben sich nicht gebessert. DieZeit ist nun wieder da an das Erbe der Türkei und anderen Verschwinden aus Europa zu denken. Ob wirwollen oder nicht, haben wir infolge dieser trübenVerhältnisse die albanische Autonomieforderungen mitRücksicht auf das adriatische Gleichgewicht erneut zubetrachten.

Es ist evident, daß solange eine schwache Türkeibesteht, die Gefahr existiert, es könnte bei ihremunvermuteten Zusammenbruch sich Österreich oderItalien genötigt sehen, wider seinen Willen albanische

Page 276: Nopcsa Reisen Balkan

Zwischen der Annexion und dem Balkankrieg (1910-1912)

262

Küstenpunkte besetzen zu müssen, oder Montenegro, sowie jetzt, in Versuchung kommen, einen Siegeszuggegen Süden zu unternehmen, was alles das adriatischeGleichgewicht stören und sehr schwere Konflikteprovozieren könnte. Das einzige Mittel, einenunvermuteten Konflikt zu verhindern, bietet dieKreierung eines starken, autonomen Albaniens, denn indiesem Falle ist die Gewähr gegeben, daß sich dasautonome Albanien im Falle eines Zusammenbruches derTürkei zwar von dieser loslösen, sein Gebiet aber schonim eigenen Interesse gegen die Aspirationen allerNachbarn verteidigen würde. Daß es dieser Aufgabegewachsen ist, lehrt der heurige Aufstand. DieReligionsgemeinschaft der meisten Albaner und derO s m a n e n s o w i e d e r e n e t h n o g r a p h i s c h eInteressengemeinschaft allen Slawen gegenüber läßt es jasogar wahrscheinlich erscheinen, daß ein von der Türkeibefreites Albanien noch auf lange Zeit hinaus sich an dieletzten Trümmer der Türkei anlehnen würde. Wie wir dieFrage auch betrachten, ist vom Standpunkt derMonarchie jede Autonomie Albaniens, da sie dieStabilität der Verhältnisse in der Adria erhöhen abernicht vermindern würde, mit Freuden zu begrüßen, janoch gerade zu befördern, denn, ob das alte BannerSkanderbegs oder der türkische Halbmond in Vlora undShkodra weht, kann uns wohl gleichgültig sein, sofernediese Flaggen nicht durch den montenegrinischen Adleroder das italienische Kreuz ersetzt werden.

Befreit sich Albanien durch eineaustro-italienische Kooperation, so ist nichts verloren.Befreit es sich aber bloß durch italienische Hilfe, so hatItalien offenbar das Recht, vom befreiten Albanien eine‘Gefälligkeit’ zu verlangen.

Page 277: Nopcsa Reisen Balkan

Zwischen der Annexion und dem Balkankrieg (1910-1912)

263

Je früher man in Wien für die zukünftige Lageder Dinge in Albanien vorarbeitet, desto besser, denn,daß die Türkei in ihrer jetzigen Art nicht weiterwirtschaften kann, dürfte schon jedermann klar sein.”

Als die Nachricht in die Zeitungen gelangte, daß dieRugovesen einen türkischen Pascha angeschossen und verwundethatten, erkannte ich in diesem Ereignis das Eingreifen des vonmir gegen Peja abgeschickten Preka Gjeta Zogu und ichkonstruierte daraus sofort einen freilich nur in meiner Phantasieexistierenden Aufstand der Rugovesen. Preka hatte seine Aufgabeso gelöst, daß er sich, allerdings als ich schon nicht mehr inMontenegro war, mit Bajram Daklani aus Gjakova in einenHinterhalt legte und in Rugova einen nichts ahnenden türkischenKommandanten, Edhem Pascha, tödlich verwundete. Späterkonnten die Türken, da sie den Tod Edhem Paschas zugegebenhatten, die Aufstandsbewegung nicht leicht widerlegen, und außermir wußte in Europa wohl kaum jemand, wie sehr diesermohammedanische Stamm durch den Aufstand von 1910hergenommen war. Den dieses Thema behandelnden Artikelbrachte ich in der Reichspost unter.

Der Albanesenaufstand. Die Teilnahme mohammedanischerAlbaner an der Rebellion.

Von einem Kenner der Rugovesen. Reichspost, 19. Juli, 1911

“Die Pforte ist tagtäglich bestrebt, dienordalbanische Rebellion als einen rein katholischenAufstand darzustellen. Die Nachricht von dem Überfallauf Edhem Pascha zeigt aber klar, daß von dem ebenfallsflüchtigen Mohammedaner, Isa Boletini, abgesehen, sichauch andere mohammedanische Stämme dem Aufstandeangeschlossen haben, und wenn die Pforte auch in

Page 278: Nopcsa Reisen Balkan

Zwischen der Annexion und dem Balkankrieg (1910-1912)

264

Zukunft die Teilnahme von Mohammedanern amAufstande leugnet, so wird dies doch nicht genügen, umdie mit den Ortsverhältnissen Vertrauten hinters Licht zuführen.

Der Überfall auf Edhem Pascha erfolgte eineStunde weit von Peja, das heißt an jener Stelle, wo eineenge Schlucht die Ebene von Peja gegen das vonMohammedanern bewohnte Gebiet von Rugova absperrt.Hier konnte nur ein Mohammedaner an einen Überfallauf Edhem Pascha denken. Die Häuser der Rugovesensind vor zwei Jahren von Dschavid Pascha zum größtenTeil verbrannt worden. Im vorjährigen Aufstand warRugova neutral. Im Herbste vorigen Jahres sind dieseLeute, um gegen die Montenegriner verwendet zuwerden, von den Jungtürken bewaffnet worden. Heuer imFrühjahr gelang es denselben, sie für einen Augenblickgegen die katholischen Kelmendi auszuspielen. Jetztsehen die Rugovesen aber, daß auf die Jungtürken dochkein Verlaß ist, und stellen sich wie ihre Glaubens- undStammesgenossen von Gjakova, Peja, Prishtina,Mitrovica usw. offen auf die Seite der katholischenMalessoren.

Edhem Paschas Verwundung ist die erstegreifbare Frucht des Sultansbesuches am Kosovo Polje.”

Ivánka erledigte sich seiner Interpellation in rechtungeschickter Weise und hatte nur den Erfolg, daß sich der eineungarische Minister über die Interpellation sehr erregte und Kuensofort nach Wien telefonierte. Jedoch war das Thema derInterpellation auch für die eigenen Parteigenossen Ivánkas eineunangenehme Überraschung, da sie während des Annexionskrisein Ungarn zwar am Ruder gewesen aber von Aehrenthal übernichts verständigt worden waren.

Page 279: Nopcsa Reisen Balkan

Zwischen der Annexion und dem Balkankrieg (1910-1912)

265

Kuen konnte also die Interpellation einfachunbeantwortet lassen. Allerdings wurde die Tatsache, daß dieMonarchie in Albanien engagiert sei, jedermann offenkundig.

Mitte Juli wurde ich krank und lag bis zum 19. Augustzuerst in Wien, dann im Semmering. Als Rekonvaleszent verließich den Semmering. Bajazid fuhr nach Wien, ich nach Szemere,wo ich bis Anfang September bei meinem Schwager, AlfredPallavicini, blieb und etwas arbeitete und etwas jagte. Nachbarnwaren die Söhne des Botschafters, Janos Pallavicini, nämlich dieOffiziere, Arthur, Antal und Jhonny, drei recht nette Leute.Jhonny wurde mir später, weil er ein guter Kamerad ist,außerordentlich sympathisch.

Mich abwechselnd in Szemere, Szacsal und Ujáradaufhaltend, bearbeitete ich Graf Louis Draškoviƒ seinehinterlassenen Papiere. Da die Arbeit zahlreiche politischeBemerkungen enthielt, und Louis bei seinen Lebzeiten durcheinen Amtseid gebunden gewesen war, sandte ich den politischenTeil mit beiliegendem Briefe an Aehrenthal.

“Exzellenz! Im Begriffe eine aus der Feder desverstorbenen Grafen Draškoviƒ hinterlassene, für dieÖffentlichkeit bestimmte Schilderung des SandschakNovi Pazar, wo Draškoviƒ k.u.k. Zivilkommissär war,herauszugeben, der auch zahlreiche hinterlassene Briefeund Tagebuchblätter beigefügt werden, erlaube ich mir,da einiges auf die äußere Politik der Monarchie Bezughat, eine Kopie der wichtigsten politischen Teile EurerExzellenz zu übersenden, und bitte mir bekanntzugeben,welche Partien eventuell Anstoß erregen könnten, damitich sie Anbetracht der ehemaligen Stellung desVerfassers partiell unterdrücken oder modifizierenkönne.

Page 280: Nopcsa Reisen Balkan

Zwischen der Annexion und dem Balkankrieg (1910-1912)

266

Eine vollkommene Unterdrückung des von mirohnehin stark reduzierten politischen Teiles halte ichjedoch deshalb für nicht recht durchführbar, weil dadurchdie beabsichtigte Publikation, deren Kritik ja gerade dasInteressanteste ist, ungemein an Wert verlieren würde.

In nicht geringem Maße sehe ich mich zurZusendung dieser Publikation an Eure Exzellenz durchden Umstand bewogen, daß Sie im Laufe des heurigenSommers wohl in höherem Interesse durch das Ihnenunterstehende Pressebureau eine meinen guten Rufschädigende Nachricht im Pester Lloyd und Osman.Lloyd verbreiten ließen, von deren Unwahrheit Sie selbstüberzeugt waren, und ich jetzt durch diese ZusendungIhnen, Exzellenz, den besten Beweis erbringen zukönnen glaube, daß meine Auffassung von Pflicht durchkeine wie immer gearteten Zwischenfälle alteriert wird.

Ich bitte Eure Exzellenz in der anbeiübersendeten Kopie jene Stellen, deren Streichung oderModifikation Sie für absolut unumgänglich notwendighalten, mit Rotstift markieren zu lassen und mir dann dieArbeit möglichst bald an die Adresse ‘Hotel Krantz,Wien’ zukommen zu lassen, damit die Publikation, dieim November stattzufinden hat, keine Verzögerungerleide, und ich in der Lage sei, ein rektifiziertesManuskript in die Druckerei zu senden.

Indem ich diese Belästigung Eurer Exzellenzdurch meine patriotischen Bedenken zu entschuldigenbitten, mit dem Zeichen vorzüglicher Hochachtung,Baron F. Nopcsa.”

Ich erhielt die Antwort, daß das Manuskript von Louisseinem Vater übergeben worden sei, der es auf WunschAehrenthals zurückbehält, damit es nicht publiziert werde. Jetzt

Page 281: Nopcsa Reisen Balkan

Zwischen der Annexion und dem Balkankrieg (1910-1912)

267

besitzt es Louis’ Bruder, der im Ministerium des Äußerenangestellte Pepi Draškoviƒ. Durch Verhinderung der Publikationtat er seinem verstorbenen Bruder sehr Unrecht. Pepi endetedurch Selbstmord.

Im Oktober war ich wieder in Wien, denn der Ausbruchdes türkisch-italienischen Krieges hatte die Lage kompliziert. Esbestand eine Gefahr, daß die katholischen Albaner, da sie jetzt inden Italienern einen mächtigen Bundesgenossen hatten, dieGelegenheit benützen würden, gegen die Türken zu rebellieren.Ich setzte mich mit dem damals eben in Graz weilendenGeneralstabschef Conrad ins Einvernehmen, dann ergriff ich, daauch Conrad der Meinung war, daß ein Losschlagen derkatholischen Albaner unseren Interessen schädlich wäre, meineMaßregeln, um die Albaner zu beruhigen. Offenbar hatteAehrenthal, der wohl das Namentliche anstrebte, keine Ahnung,wer ihm helfe. Da es mir klar war, daß ich von den katholischenAlbanern nichts derartiges verlangen konnte, was mir zwarangenehm war, ihnen aber nicht nur nicht nützlich sonderngeradezu schädlich erscheinen mußte, und da ich mich ihnengegenüber auch nicht auf Aehrenthals albanerfeindliche undtürkenfreundliche Politik berufen konnte, so konnte ich nurdadurch ans Ziel gelangen, wenn ich mich scheinbar auf denalbanischen Standpunkt stellte und die Katholiken überredenkonnte, daß ich nur ihr Interesse vor Augen hätte. Mein Freund,der einflußreiche Mirdite, Zef Noci, weilte damals gerade in Bariin Italien. Ich schrieb ihm also, berief mich auf die heftigeAktion, die ich gegen Torghut Pascha und die Jungtürken geführthatte, was ein gewaltiges Argument war, das weder Zambaurnoch Aehrenthal den katholischen Albanern gegenüber insTreffen führen konnte, und teilte ihm mit, daß er der albanischenSache dadurch, daß er nach Mirdita zurückkehrte, viel mehrnützen könnte, als wenn er in Bari bliebe. Als Zef Noci meinemRate folgte, schrieb ich ihm erneut, daß mir ein Losschlagen der

Page 282: Nopcsa Reisen Balkan

Zwischen der Annexion und dem Balkankrieg (1910-1912)

268

Mirditen zugunsten der Italiener, da sie sich bei der jetzigen Lageder Dinge mit den mohammedanischen Albanern überwerfenwürden, und da außerdem jetzt der Winter vor der Türe stehe,nicht zweckmäßig schiene, daß es vielmehr besser wäre, sichzuerst mit den mohammedanischen Albanern zu verständigen, umdann später im Frühjahr mit den mohamedanischen Albanernvereint nicht im Interesse der Italiener sondern im Interesse deralbanischen Sache einen Aufstand gegen die Jungtürken zuerregen. Zef Noci schloß sich meiner Ansicht an, und zum Teilauf seinen Rat hin beruhigte sich Mirdita. Da es bekannt war, daßZef zu den heftigsten Gegnern der Jungtürken zählte, folgte manin Mirdita gerne seinem Rate. Nach der Beruhigung Mirditas gingZef mit dem Bajraktar von Orosh und einigen anderen Mirditennach Gjakova, um mit den Mohammedanern Gjakovas einBündnis gegen die Jungtürken zu schließen, und berichtete mir ineinem langen Brief über den Erfolg seines Unternehmens.

“Eure Herrschaft hat mir geschrieben, daß wiruns nicht belügen lassen sollen von den Italienern. Essind nicht viele Tage her, daß ich einen Brief erhielt,wenn möglich in der Mirdita eine Schießerei gegen dieRegierung zu beginnen, und es hieß weiter im Briefe, daßman uns einige Italiener mit Dynamit u. a. Sachenschicken würde. Ich habe geantwortet: Ihr habt uns imSommer gute Worte und weiter nichts geschickt, aberwisset, zum Krieg braucht man Sachen, nicht Worte, umnicht das Volk aufzuhetzen und dann drinnen zu lassen.”

Im weiteren teilte er mit, daß er die Behörde hatte wissenlassen, daß ich die Leute zur Ruhe mahne, bat aber gleichzeitig,wenn dereinst die Zeit zum Kriege gekommen sein würde, ihm zuschreiben etc.

Page 283: Nopcsa Reisen Balkan

Zwischen der Annexion und dem Balkankrieg (1910-1912)

269

Die Rückkehr dieses Mannes aus Italien hatte ichdadurch erreicht, daß ich ihm sagte, für die Einigung Albanienszu arbeiten sei mehr wert, als einige Patronen aus Italien zuschmuggeln. Er berichtete auch, was er diesbezüglich getan hatte.Leider bin ich jetzt in Wien nicht in der Lage, den bezeichnetenTeil des Briefes auf seine Glaubwürdigkeit zu prüfen. Sicherhaben sich aber die Nachrichten dieses Mannes stets bewährt, undder übrige Teil des Briefes ist stets als glaubwürdig zubezeichnen. Außerdem erhielt er soeben von mir 100 Kronen, hatalso keinen Grund nachträglich zu lügen.

Da dieses Bündnis von den Gjakovaren mit einembestimmten Zweck angenommen wurde, erkannte ichgleichzeitig, daß es im Frühjahr 1912 zu neuerlichenAlbaneraufständen bei Gjakova kommen würde, und BajazidsBerichte aus Prizren bestärkten diese meine Vermutung.

Für all seine Mühe sandte ich Zef 100 Kronen, wodurcheben seine Reisespesen gedeckt wurden. Fragt man sich weshalbZef, der sonst wie jeder gebildetere Albaner von Leuten, denen ermißtraute, ganz gerne Geld für politische Aktionen annimmt,seine Aufgabe aber dann doch nicht durchführte, sondern sichbloß ins Fäustchen lachte, in diesem Falle, ohne von mir Geld zuverlangen, alle meine Ratschläge befolgte, nun so ist die Antworteinfach darin gegeben, daß Zef mir blindlings traute undüberzeugt war, daß ihm meine Ratschläge zum eigenen Heilegereichen würden. Hätte die österreichisch-ungarische Regierunges verstanden, sich von Anfang an das blinde Vertrauen derAlbaner zu erwerben und es zu behalten, dann hätte man inAlbanien stets andere Erfolge zu verzeichnen gehabt, als dieerzielten. Freilich wollte man am Ballhausplatze stets ‘klüger’handeln, und infolge der Dummheit und des Eigendünkels derösterreichisch-ungarischen Diplomaten kamen dann freilich sowie alle anderen Balkanbewohner auch die Albaner einzeln undals Volk bald dahinter, daß man sie am Ballhausplatz nur als

Page 284: Nopcsa Reisen Balkan

Zwischen der Annexion und dem Balkankrieg (1910-1912)

270

Werkzeuge betrachtete, die man gegebenenfalls in die Handnehmen, gegebenenfalls aber auch in die Rumpelkammer werfenkönnte. In dem dieser Erkenntnis folgenden Schachspiele des‘Sich-gegenseitig-ausnützens’ zeigten sich dann die einzelnenAlbaner, die wie Monsignore Doçi, der Abt der Mirditen, undPrenk Bib Doda, die vom Ballhausplatze bloß eine Jahresrentevon 24.000 Kronen bezogen, den Ballhausplatzleuten überlegen.Übrigens kann sich nicht nur Doçi sondern der letzte albanischeBajtraktar seinem lokalen Ansehen angemessen, derselbenÜberlegenheit über die Ballhausplatzleute rühmen. An und fürsich ist ja das Bestreben, jemanden auszunützen, recht löblich,nur muß man es stets so anstellen, daß es der Betreffende nichtmerke.

Weiter schrieb ich noch einen Bericht an Franz Ferdinandund blieb auch sonst literarisch nicht untätig.

Als der italienische Krieg ausbrach, begann ichAehrenthals Politik erneut zu kritisieren.

Italien und AlbanienDas Vaterland, Wien, Dienstag, 3. Oktober.

“Es gibt Sachen, die man wirklich nicht weißund auch nicht zu wissen braucht, dann solche, die manweiß, aber nicht wissen will, endlich aber auch solche,die man nicht weiß, aber unbedingt wissen müßte.

In den verschiedensten Artikeln haben wir imVaterland im Laufe der letzten drei Jahre besonders aberim verflossenen Sommer die Auffassung vertreten, daßdie Jungtürken in ihrem wahnsinnigen Vorgehen denAlbanern gegenüber Selbstmord begehen. Immer wiederhaben wir an unser k.u.k. Ministerium des Äußeren dieAufforderung gerichtet, im ureigenen Interesse derTürkei an diesem Selbstmorde, wenn nötig mit Gewalt,

Page 285: Nopcsa Reisen Balkan

Zwischen der Annexion und dem Balkankrieg (1910-1912)

271

zu hindern. Alle diese Mahnungen, die bloß von Leutenstammten, die keine Beamten waren und nach desAuswärtigen Amtes Auffassung ‘auf eigene Faust’Politik betreiben, begegneten am Ballhausplatz nurständiger Ablehnung, jedoch schneller, als geahnt werdenkonnte, haben jene, die solche vom Ballhausplatz ausvertretene Vogelstrauß-Politik für unangebracht hielten,recht bekommen.

Die Rubrik ‘Albanesische Rebellion’ war zwarseit einiger Zeit aus den Zeitungskolonnenverschwunden. Der Haß namentlich der katholischenAlbanern gegen die Türken, die keine einzige der imSommer den Albanern gegenüber übernommenenVerpflichtungen ausführten, ist aber, wie dieZwischenfälle in Vlora, Mirdita, Gjakova und Prishtinabeweisen, der gleiche, alte, unauslöschliche geblieben.So mußte es denn kommen, daß heute der Türkei nichtnur ein Kampf mit einem rücksichtslosen äußeren Feindaufgedrängt worden ist, sondern, daß auch die albanischeFrage wieder ebenso akut wurde, wie sie im letztenFrühjahre war. Mit wohlüberlegter Berechnung läßtItalien zum Schutze seines Handels gerade dort seineSchiffsgeschütze erdröhnen, wo sich die malkontentenAlbaner, um ihre Autonomie zu erkämpfen, seit einigenWochen zu einer neuen Rebellion rüsten, und wo dieitalophile Strömung so stark ist, daß trotz desjungtürkischen Auftrages nicht einmal einantiitalienischer Boykott möglich wurde. Kommt es,infolge der italienischen Schießerei bei Prevesa nun zueinem Aufstande in Albanien, so ist diesmal seinAusgang außer Zweifel. Freilich kann Italien, insofernees den Aufständischen offiziell weder Waffen nochMunition schickt, dann den Unschuldigen spielen und

Page 286: Nopcsa Reisen Balkan

Zwischen der Annexion und dem Balkankrieg (1910-1912)

272

sich hinter der Ausrede verbergen, daß es mit dieser‘inneren Angelegenheiten der Türkei’ nichts zu tun habe.Was einige private Italo-Albaner machen, sei ja nichtSache der Regierung. Dafür aber, daß die Türkei diesenWaffenschmuggel zu See nicht hindern könne, ist ebengründlich gesorgt worden. Die italienische GesellschaftPuglia ist wegen ihres Handels mit Waffen, der jetztdurch die ‘Seeschlacht von Prevesa’ erleichtert wurde,ohnehin schon lange in keinem guten Rufe gewesen, aberjetzt sieht man klar.

Ob ein unter italienischen Auspizien erfolgreichdurchgekämpfter albanischer Aufstand im Interesseunserer Monarchie ist, ist jetzt die Frage, die sich unserAuswärtiges Amt allen Ernstes überlegen muß. Wirfragen deshalb die Leiter unserer Balkanpolitik, derenEinfluß sich in Albanien freilich während des Sommersauf Null reduziert hat, wie sie die Albaner davonabzuhalten gedenken, sich im Widerspruche zu unserenInteressen gegen jene Leute zu kehren, die noch imheurigen Sommer die Ausrottung und Vernichtung derAlbaner zum Programme hatten, und die katholischenAlbaner in ihren heiligsten religiösen Gefühlen durchKirchenschändungen verletzten. Wir fragen, ob es dannin unserem Auswärtigen Amte niemand für nachteilighält, wenn die Albaner ihre Autonomie aus den HändenItaliens empfangen. Und endlich wäre es gut zu wissen,ob unser Auswärtiges Amt es jetzt einsieht, daß esunklug war, es sich im Sommer den Jungtürken zuliebemit den Albanern, namentlich den katholischenAlbanern, auf lange Zeit zu verderben, zumal deshalbweil heute schon wieder in Konstantinopel Said undKiamil, die alten Gegner der Monarchie, zur Oberhandgelangten.

Page 287: Nopcsa Reisen Balkan

Zwischen der Annexion und dem Balkankrieg (1910-1912)

273

An der Verhinderung einer gegen die InteressenÖsterreichs gerichteten Rebellion in Albanien wird diediplomatische Geschicklichkeit unserer auswärtigenPolitik zu erkennen sein. Etwas anders ist es, eingeordnetes Staatswesen, wie Serbien oder Montenegrovor einem unbedachten Schritt zurückzuhalten, etwasanders wieder, ein unterdrücktes Volk zurückzuhalten,das nach Freiheit lechzt und nichts zu verlieren hat, aberalles zu gewinnen.”

Hands off! Von einem Kenner Albaniens. 3. Oktober 1911

“Als zur Zeit des Grafen Go»uchowski unsereMonarchie in Albanien eine aktive Politik befolgte, dieden in diesem Gebiet vordringenden Italienern sehrpeinlich war, wurde die Gefahr eines Konflikteszwischen uns und Italien von Tag zu Tag größer. Umeinem solchen Konflikt vorzubeugen, trafen sich GrafGo»uchowski und der damalige italienische Minister desÄußeren Tittoni in Venedig. Die Vereinbarung vonVenedig lief darauf hinaus, daß die Landung eineseinzigen Soldaten in Albanien seitens des einen hohenKontrahenten für den anderen eo ipso einen Casus bellibedeute. Graf Go»uchowski stürzte, und Graf Aehrenthalübernahm in Wien die Führung der Geschäfte. UmItalien für die Annexion Bosniens zu gewinnen, traf GrafAehrenthal mit dem italienischen Minister des Äußerenin Desio zusammen, und es wurde gar manche nicht fürdie Öffentlichkeit bestimmte Vereinbarung getroffen.

Was alles sonst in Desio besprochen wurde, istmomentan irrelevant. Interessant wäre nur zu wissen, obwie so manches andere auch die Vereinbarung von

Page 288: Nopcsa Reisen Balkan

Zwischen der Annexion und dem Balkankrieg (1910-1912)

274

Venedig der glatten ungestörten Annexion von Bosniengeopfert wurde. Äußerungen von Funktionären imMinisterium des Äußeren möchten zwar fast denEindruck erwecken, als ob wir uns einer italienischenOkkupation von Vlora desinteressiert erklärt hätten, dochscheint dies fast unglaublich. Nach der Annexion erfolgteim Jahre 1910 infolge des verrückten Vorgehens derTürken die erste Revolution in Albanien, zu derenblutigen Unterdrückung unser Botschafter inKonstantinopel, Markgraf Pallavicini, um sich dieFreundschaft der Jungtürken zu bewähren, letzterenwärmstens gratulierte. Den Profit der Unterdrückung derersten Revolution hatten die Serben, da von den Türkenja gerade die ärgsten Serbenfeinde dezimiert wurden.

Die zweite albanische Revolution brachteniemandem einen Vorteil. Für die Albaner bedeutetederen Ende, da ja von den Jungtürken weder Straßennoch Schulen gebaut, das Waffentragen hingegen partiellgestattet wurde, die Herstellung des Status quo. GrafAehrenthal hat sich aber weder den Dank der Albanernoch den der Jungtürken gesichert. Die Unzufriedenheitin Albanien über das Vorgehen der Türken wuchs überalle Maßen und, um Rache zu nehmen, wird für eineneue Erhebung eifrigst gerüstet. Die Modalitäten dieserErhebung sind jüngst auf geheimen albanischenKongressen in Bari und Rom besprochen worden. Diesist die heutige Situation in Albanien und bei diesergespannten Situation traut sich Italien angesichts derohnehin einer neuen Rebellion zusteuernden Albaner dietürkische Torpedobootflottille des Adriatischen Meeresan der albanischen Küste zu vernichten. Wir fragen, werwird den seit Jahren auf den Schiffen der italienischenGesellschaft Puglia betriebenen Waffenschmuggel nach

Page 289: Nopcsa Reisen Balkan

Zwischen der Annexion und dem Balkankrieg (1910-1912)

275

Albanien, der eben jetzt wieder floriert, anhalten können.Wer wird nach Abreise der italienischen Konsuln ausDurrës, Shkodra, Janina usw. den Albanern dem MarquisSan Giuliano seine Depeschen über den Status quoverlesen, und wer wird in Albanien darauf hinwirken,daß die aus Italien eingeschmuggelten Gewehre bei derUnzufriedenheit der Bevölkerung und derUngeschicklichkeit, Lügenhaftigkeit und Feindseligkeitder türkischen Behörden nicht eben gegen die türkischenBehörden losgehen? Selbst wenn kein einzigeritalienischer Soldat in Prevesa landet, wird der Donnerder italienischen Schiffsgeschütze bis in die entferntestenGebirgstäler des Tomorr und der Prokletijen rollen undin den Herzen der malkontenten Albaner einendröhnenden Widerhall erwecken. Wenn heute inAlbanien erneut eine unzähmbare Revolution losbricht,so hat Italien allein die Verantwortung zu tragen. Freilichkann es, wenn die Türken an die Unterdrückung deralbanischen Revolution schreiten, die indirekt von ihmaufgehetzten Albaner infolge seiner Proklamation derErhaltung des Status quo ohne Gewissenbisse im Stichelassen. Italien spielt mit einem Pulverfaß und dem Feuer.Die Ausrede, daß es an dem Eintreten einer Explosionnicht Schuld sei, hat es aber auch schon im Munde. Dergleisnerischen Versicherung der Erhaltung des Status quoam Balkan widerspricht die Sprache seiner Kanonen vorPrevesa und Durrës. Italien sollte sich seinerHandlungsweise schämen, denn was es in Tripolis undAlbanien vornimmt, das ist zwar in den weltabgelegenenGebirgstälern des Piemont vielleicht ganz gutpraktikabel. In alten Kulturstätten, wie Rom oderVenedig, muß man solche Unaufrichtigkeiten vermeiden.Albanien gehört zu mindesten eben so sehr in die

Page 290: Nopcsa Reisen Balkan

Zwischen der Annexion und dem Balkankrieg (1910-1912)

276

Interessensphäre unserer Monarchie wie in jene Italiens.Unsere Monarchie hat für die Erhaltung des Status quo inAlbanien die allergrößten, vielleicht sogar allzu großeOpfer gebracht. Der Status quo in Albanien ist gefährdet.Der Donner italienischer Geschütze wird aber in denBergen Albaniens nur dann kein Echo finden, wenn sichdie italienischen Schiffe augenblicklich von deralbanischen Küste entfernen und sich während desselbstprovozierten Raubkrieges im Adriatischen Meereauf die Defensive beschränken. Italien hat den Krieggewollt. Italien hat, wenn es in der Adria leidet, keinenGrund zur Klage. Zu Intrigen und zu Länderraub ist inTripolis Gelegenheit genug. Hands off in Albanien!”

Erregung in Albanien. Von einem Kenner Albaniens.5. Oktober 1911.

“In einem vorigen Artikel haben wir nur mitdürren Worten auf die Unzufriedenheit in Albaniengewiesen. Heute wollen wir aus zwei von verschiedenenLeuten stammenden, vom 22. und 24. Septemberdatierten naiven, aber genauen Situationsberichteneiniges mitteilen, was die Lage im Vilajet Shkodra grellbeleuchtet. Wir vermerken, daß beide Berichte, die wirhier zusammenziehen, von gut informierten Leutenstammen, und der Inhalt des einen wenigstens unseremMinisterium des Äußeren bekannt sein dürfte oderbekannt sein sollte. Da heißt es unter anderem:

In der Großen Malesia (wo Torghut die Häuserverbrannt hat) steht die Sache sehr schlecht. Die Männermit Frau und Kind sind obdachlos im Freien, und es hatangefangen sehr kalt zu sein und zu regnen. DieRegierung hat mit dem Wiederaufbau der Häuser noch

Page 291: Nopcsa Reisen Balkan

Zwischen der Annexion und dem Balkankrieg (1910-1912)

277

nicht begonnen und kein Geld für den Wiederaufbau derHäuser verteilt. Die Malessoren haben das Konsulatdarauf aufmerksam gemacht, daß die türkische Regierungihre Europa gegenüber übernommenen Versprechungennicht einhalte. Ich habe gehört, daß die Regierung mitdem Bau eines Weges von Shkodra nach Lezhabegonnen hat, aber im Gebirge hat sich weder den Bauvon Wegen noch von Schulen in Angriff genommen. Inder Großen Malesia erhält jedermann sechshundertGramm Mais (eine halbe Oka) täglich, sonst aber wirdnichts gemacht.

In Mirdita wollten die Einwohner ursprünglichmit Feindseligkeiten gegen die Regierung vorgehen. Jetzthat man aber infolge des Eingreifens von Außen eine ArtWaffenstillstand geschlossen, dem zufolge türkischeSoldaten nicht beschossen werden sollen. Durch Kaufund Schenkung haben sich die Mirditen aus Italien einigeGewehre beschafft. Es verlautet, daß in Mirdita 2.000Gewehre zur Verteilung gelangten, aber wer sie lieferte,ist unbekannt. Es verlautet ferner, daß die Regierungnach dem Bajram daran geht, Rekruten auszuheben, aberdie Mirditen haben nicht die Absicht, sich zu stellen. DieSteuer wurden bisher in Mirdita nicht gefordert, aber dieRegierungsbeamten sind sehr erbittert auf dieBevölkerung.”

Ein weiterer Absatz schildert die Erbitterung derBevölkerung darüber, daß die Regierung erneut daran geht,Rekruten zu verlangen, obzwar noch nicht einmal das Geld zumHausbau an die Malessoren verteilt wurde. Es heißt dann: “VonShllaku, Temali und Dushmani begann die Regierung Steuer zuverlangen, und diese beschweren sich darüber, da ja auch siearme Bergbewohner sind, und nicht in der Lage sind, Steuern zu

Page 292: Nopcsa Reisen Balkan

Zwischen der Annexion und dem Balkankrieg (1910-1912)

278

zahlen. Jetzt sage ich Dir, daß die Stämme von Puka ein Bündnisgeschlossen haben und aus je einem Hause einen Repräsentantennach Shkodra schicken, um eine Geldentschädigung für die imvorigen Jahr abgelieferten Waffen zu verlangen. Es waren ca.2.500 Leute (wohl zu hoch geschätzt), und sie blieben eineWoche in Shkodra, und die Regierung forderte alle auf, bis zumEintreffen der Antwort aus Konstantinopel, nach Hause zu gehenund aus jedem Stamm bloß zwei Repräsentanten bis zumEintreffen der Antwort in Shkodra zu lassen, was auch geschah,”u.s.w.

Ein Kommentar zu diesen Berichten ist überflüssig. Diekalte Witterung wird die Erbitterung der Malessoren in dennächsten Wochen noch mehr steigern. Der Schmuggel wird nochbesser florieren, und das sinkende Prestige der Türkei wird denTatendurst der Albaner noch weiter anfeuern, so daß viele vonihnen glauben werden, jetzt sei die Stunde der Erlösunggekommen. In der Tat ist es schwer von einem Volke Loyalität zuverlangen, das von seiner Regierung stets nur durchRekrutenforderungen, Steuereintreibung, Häuserverbrennung,Irreführung und ununterbrochene Lügen drangsaliert wurde.Wiederaufbau der Häuser, Steuerfreiheit, Wege und Schulbautenwaren den Albanern hoch und heilig vor ganz Europaversprochen worden. Von alledem ist gar nichts eingehaltenworden. Caveant consules!

Während des italienisch-türkischen Krieges erfolgte aufBetreiben des Ministers des Äußeren, Grafen Aehrenthal, derSturz Exzellenz Conrads vom Posten eines Generalstabschefs.Die erste Kollision zwischen Aehrenthal und Conrad datierte vomJahre 1909, da letzterer der Meinung war, daß die Annexionskrisedurch einen militärischen Eingriff gelöst werden müsse, währendAehrenthal, damit der Erfolg ihm anheim falle, für ihre, wie sichspäter zeigte, unrichtige diplomatische Begleichung war. GrafJulius Andrassy war, wie er mir nach Jahren selbst sagte, im Jahre

Page 293: Nopcsa Reisen Balkan

Zwischen der Annexion und dem Balkankrieg (1910-1912)

279

1909 in einem Memorandum an Seine Majestät Franz Josefgleichfalls für eine gewaltsame Lösung der ganzen südslawischenFrage gewesen. Nach seiner Meinung war der ganze Wirrwarr derAnnexion überflüssig. Conrad war im Jahre 1909 bereit nicht nurgegen Serbien sondern auch gegen Italien zu kämpfen und, als ichim Jänner 1910 mit Aehrenthal über die internationale Lageredete, konnte dieser nicht einmal verleugnen, daß auch ihm diekalabresische Erdbebenkatastrophe sehr gelegen käme.

Einen neuerlichen Konflikt hatte Conrad im Frühjahr1911 mit dem Kriegsminister Schonaich, da dieser, ohne mitConrad Rücksprache zu halten, um mit den Delegationen inschönem Lichte dazustehen, aus dem ConradschenKostenüberschlag für Verteidigungszwecke einige MillionenKronen strich, und Conrad dies erst davon erfuhr, als die Sachepublik wurde. Auch über diesen Vorgang wurde ich von Conradselbst bald nach dem Ereignis informiert und, als ich ihn daraufaufmerksam machte, daß er nach so einer Desavouierung durchden Kriegsminister eigentlich demissionieren müßte, sagte er mir,daß er auch sofort demissioniert hatte, Seine Majestät seineDemission jedoch nicht annahm.

Der dritte und letzte Konflikt Conrads und gleichzeitigsein zweiter mit Aehrenthal erfolgte deshalb, weil er SeinerMajestät ein militärisches aber auch politisches Memorandumvorlegte, das der Monarch dann behufs Begutachtung despolitischen Teils dem Grafen Aehrenthal übergab. Nach eineräußerst ungünstigen Beurteilung durch diesen Minister teilteSeine Majestät dem Erzherzog Thronfolger mit, daß er Conradwegen seiner politischen Ziele entlassen würde. Conrad wurdezur Audienz befohlen. Franz Ferdinand hatte vor der Audienzeben Zeit, Conrad zu informieren, daß ihn der Monarch entlassenwürde. Conrad betrat das Audienzzimmer, und der Monarch teilteihm in der keine fünf Minuten dauernden Audienz mit, er seientlassen. Die Entlassung erfolgte unter allen Zeichen der

Page 294: Nopcsa Reisen Balkan

Zwischen der Annexion und dem Balkankrieg (1910-1912)

280

Ungnade. Mit Conrad zusammen wurden alle seine engerenMitarbeiter ihrer bisherigen Posten enthoben, und nur mit Mühekonnte es der Erzherzog durchsetzen, daß drei von letzteren vorihrer Enthebung eine Ordensauszeichnung erhalten. DerErzherzog Franz Ferdinand griff offen für Conrad Partei und ließin allen Tagesblättern ein auffallendes Abschiedsschreibenpublizieren.

Da mir seit dem Sommer 1911 das zwischen Aehrenthalund Conrad existierende schlechte Verhältnis bekannt war, undich vollkommen auf Conrads Seite stand, schrieb ich ihm sofortund teilte ihm mit, daß ich mich ihm jetzt, da er gestürzt sei,vollkommen zu seiner Disposition stelle. Conrad antwortete mirin einem die Situation hell beleuchtenden Briefe, in dem er mirsagte, daß gewisse Leute das Alter des Monarchen für ihreeigennützigen Zwecke mißbrauchen.

Im Konflikte Aehrenthal-Conrad hatte auf diese Weisezum Wohl Italiens Aehrenthal gesiegt. Conrads Nachfolgerwurde der mir bis dahin unbekannte General Blasius Schemna.Ich ließ ihm durch Exzellenz Langer sagen, ich wolle mit ihm nurdann in persönliche Beziehungen treten, wenn er Conrads Erbevollinhaltlich übernehme, wobei ich hervorhob, daß darunterauch die Fortsetzung der Kampagne gegen Aehrenthal zuverstehen sei. Langer richtete die Botschaft aus und brachte mirdie Antwort, ich sei von zu prononcierter politischer Färbung.Schemna wolle sich nicht gleich anfangs mit Aehrenthalüberwerfen, dies würde aber eintreten, wenn er mich empfange.

Der übrige Teil des Jahres verfloß für mich ereignislos.Ich studierte Archäologie und Ethnologie in Wien und verfaßteMitte Dezember, da damals gerade die Delegationen in Wientagten, für die Zeit einen Artikel, in dem ich die letztenMißerfolge der Balkanpolitik Aehrenthals in gedrängter Formrekapitulierte. Um dem Der Status quo am Balkan betiteltenArtikel mehr Nachdruck zu verleihen und um ihn Aehrenthal

Page 295: Nopcsa Reisen Balkan

Zwischen der Annexion und dem Balkankrieg (1910-1912)

281

gegenüber zu unterstreichen, zeichnete ich ihn mit meinemNamen.

“Vor zwanzig Jahren war das mit der Monarchieverbündete Italien eine am Balkan unbekannte Größe.Dann trat es in verwandtschaftliche Beziehungen zumKönig von Montenegro, dann baute italienisches Kapitalin Montenegro, also an der Ostküste der Adria, eine Bahnlandeinwärts, dann monopolisierte es die VerbindungMontenegros und des der Monarchie zunächst liegendenTeils Albaniens mit der übrigen Welt dermaßen, daß dieitalienischen Verbindungen aus rein praktischen Gründensogar von der k.u.k. österreichischen Post benütztwurden. Weiterhin gründete die italienische Regierungallenthalben in Albanien solche Schulen, die denpraktischen Bedürfnissen der Bevölkerung nachkamen.Ferner verstand es das nichtoffizielle Italien allenalbanischen Patrioten klar zu machen, daß außer derMonarchie in der albanischen Frage auch - wie es GrafAehrenthal selbst anerkannt - Italien mitzureden habe.Dann entwickelte sich in Italien endlich eine gewaltigepopuläre Strömung, die die Adria ausschließlich für einitalienisches Meer hielt. Mit Serbien hat Italien noch seitder mazedonischen Reformaktion, offenbar als‘Extratour’, gegen unsere Monarchie gerichteteBeziehungen angeknüpft (sein Geheimzirkular vom 20.Juni 1904). Seither haben sich die Beziehungen zwischenSerbien und der Monarchie, wie aus König Petersunterbliebenem Besuche bei uns erkennbar, nichtverbessert. Man kann sich daher, auch ohne an denBesuch dieses Monarchen in Rom zu denken, vorstellen,wie sich seither die serbisch-italienischen Beziehungenweiter entwickelt haben. An der Ostküste der Adria hat

Page 296: Nopcsa Reisen Balkan

Zwischen der Annexion und dem Balkankrieg (1910-1912)

282

der italienische Handel in den letzten zwanzig Jahren insolcher Weise zugenommen, daß er den Handel, also dieQuelle des Reichtums unserer Monarchie ernstlichgefährdet, und auf den in Montenegro mit dem Gelde derMonarchie erbauten Chausseen sind 1909 in Italiens o i - d i s a n t ‘ g e k a u f t e ’ m o n t e n e g r i n i s c h eBelagerungsgeschütze gegen eine Grenzfestung unsererMonarchie (Cattaro) aufgefahren worden. Jetzt währenddes türkisch-italienischen Krieges agitiert trotz derfeierlichsten Versprechungen der italienischen Regierungdas italienische Element unter den katholischenAlbanern, in dem es diesem Kriegsmaterial und Dynamitverspricht.

Was sind dieser aktiven Bilanz Italiensgegenüber die Errungenschaften der Monarchie in denletzten zwanzig Jahren am Balkan gewesen? DieBahnverbindungen der Monarchie mit dem außerhalbvon ihr liegenden Teile der Balkanhalbinsel haben sicht r o t z d e r u n a u s g e f ü h r t g e b l i e b e n e nSandschakbahn-Phantasie in keiner Weise verbessert.Der Handel der Monarchie ist trotz einer großangelegten, programmatischen Delegationsrede des k.u.k.Ministers des Äußeren in Serbien stetig zurückgegangen,in der Türkei im Verhältnis zu dem der übrigen Mächtenur wenig gestiegen. Das Vertrauen der Türken hat GrafAehrenthal trotz des an und für sich guten, leider abergeheim durchgeführten Einschlafenlassens der denBulgaren und Serben nützenden Reformaktion imSommer 1907, dann trotz des plötzlichen Fallenlassensder Bulgaren 1909 und des Fallenlassens derkatholischen Albaner 1910, ferner trotz der Beteiligungder Monarchie an einer türkischen Anleihe doch nichterwerben können, denn mit Recht oder Unrecht

Page 297: Nopcsa Reisen Balkan

Zwischen der Annexion und dem Balkankrieg (1910-1912)

283

verdächtigt man uns in der Türkei noch immer, daß wirnach Saloniki gravitieren, da ja die eingeweihten Kreisennichtssagende Räumung des Sandschak Novi Pazar dochnicht imstande ist, das Gegenteil zu beweisen. Revalheißt der erste Mißerfolg, den Graf Aehrenthal aufwiesund, daß daraus der Monarchie nicht eine Katastropheerwuchs, haben wir nicht ihm sondern den Jungtürken zuverdanken. Die unter anderem mit der Kanonade beiPrevesa und Medua (Shëngjin) erstrebte Rolle desVorkämpfers des christlichen Elements im Osten derBalkanhalbinsel hat Graf Aehrenthal Italien überlassen.Die Jungtürken, auf die unsere Monarchie gerechnet hat,haben sich selbst und uns im Stiche gelassen. DasSeepolizeirecht in den montenegrinischen Gewässern hatunsere Monarchie den i ta l ienischen undmontenegrinischen Herrscherhäusern zulieb geopfert,und heute stehen wir auf dem Standpunkt, daß wir unsgegenüber dem zwanzigjährigen steten zielbewußtenVordringen Italiens im Osten der Balkanhalbinsel reindefensiv verhalten, ja daß es als Errungenschafthingestellt wird, wenn sich bisher die politischenGrenzen nicht zu unseren Ungunsten verschoben haben,denn die Verschiebung der Reichsgrenze in Bosnien istdoch wohl nur für einen Staatsrechtler von Bedeutung.Vom praktischen Standpunkt aus ist die Verschiebungder Reichsgrenze bei Bosnien vollkommen belanglos.Bosnien war de facto doch schon mehr als zwanzig Jahrevor der Annexion kraft einer militärischen Eroberungunser. Dies sind, von einem Federkrieg mit Iswolskyabgesehen, Graf Aehrenthals Erfolge. Aber unsereReichsgrenze nach Belieben schützen und inspizieren zudürfen, können unsere Militärs nicht mehr wagen, denn

Page 298: Nopcsa Reisen Balkan

Zwischen der Annexion und dem Balkankrieg (1910-1912)

284

es könnte diese ausschließlich innere Angelegenheit derMonarchie dem Grenznachbare mißfallen.

Alles hat sich auf der Balkanhalbinsel in denletzten zwanzig Jahren zu unseren Ungunsten geändert,nur die wirklichen politischen Grenzen haben sich nichtverschoben, und jede Grenzverschiebung verhindert zuhaben, das rechnet sich leider das k.u.k. Ministerium amBallhausplatz als Verdienst an. Leider vergißt dasselbek.u.k. Ministerium, daß alle politischen Grenzen zwarausnahmslos den jeweiligen Änderungen der politischenLage folgen, selbst aber nicht imstande sind, aufgeschichtliche Ereignisse einen ausschlaggebendenEinfluß zu üben. Staatsrechtler haben sich vorRealpolitikern zu beugen. Bosnien war ein Beispiel.

Italien hat durch seine zahlreichen Extratourenhinlänglich bewiesen, daß ihm die Existenz desDreibundes und unsere Freundschaft nicht viel wert ist.Italien will, heißt es allenthalben, in bezug auf dieBalkanhalbinsel sein jetziges Verhältnis zur Monarchiegewährt wissen. Das glaube ich gerne, da ja Italien vondem jetzigen Verhältnis auf Kosten der Monarchieprofitiert hat. Wenn man aber die Ereignisse der letztenJahre, die vom Ministerium des Äußeren in keiner Weisedementiert werden können, zusammenfassend in Betrachtzieht, so macht es doch fast den Eindruck, als ob Italiensein Bündnis mit uns nur deshalb geschlossen hat, umuns in Sicherheit zu wiegen und um unter demDeckmantel der Freundschaft unsere Stellung auf demBalkan zu unterminieren. Weit entfernt einen Krieggegen Italien befürworten zu wollen, wäre ich hocherfreut, wenn durch Ereignisse, nicht Worte, bewiesenwerden könnte, daß eine solche Schlußfolgerung falschist. Aus dem Studium der Vergangenheit Italiens,

Page 299: Nopcsa Reisen Balkan

Zwischen der Annexion und dem Balkankrieg (1910-1912)

285

namentlich dem Studium der bisherigen Geschichte desHauses Savoyen, konnte ich mich aber bisher noch nichtüberzeugen.”

Im Dezember 1911, bald nachdem meine Angriffe aufdiese Weise gegen Aehrenthal mit erneuter Heftigkeit eingesetzthatten, geschah es, daß mich Sieberts im Hotel Krantz aufsuchteund aufforderte für eine neue Wochenschrift Österreich-Ungarn,die er mit 1. Jänner 1913 an Stelle des eingegangenenVaterlandes herausgeben wollte, einen politischen Artikel zuschreiben. Als mich Sieberts besuchte, lag ich gerade krank imBett. Ich versprach aber dennoch den gewünschten Artikel. Dannnahm ich trotz Kopfweh und Fieber Papier und Bleistift ins Bettund schrieb und schrieb, bis ich, ohne eigentlich zu wissen, wasich geschrieben hatte, erschöpft dalag. Daß es gut war, das fühlteich, denn die Gedanken schossen nur so durch den Kopf. Siebertswar am folgenden Tage höchst zufrieden. Es war ein politischesProgramm, das die letzte Existenzmöglichkeit der Monarchie aufder Balkanhalbinsel besprach. Der Artikel entstand in einer jenerEkstasen, wie sie einem manchmal überkommen.

Außerdem besprach ich im Dezember in der Zeit eintürkenfreundliches Buch eines Reichsdeutschen, Herrn Jäckh.

Im Jänner 1912 kam ganz unerwartet Prek Gjeta Zogu zumir und brachte mir einen geöffneten Brief Aladros an IsaBoletini. Ich verwendete Aladros Brief, um Aehrenthal einenHieb zu versetzen, und schrieb ihm folgenden Brief, den ich vordem Absenden Conrad und dem Kriegsminister Auffenbergvorlas, wozu ich für einige Tage aus Ujárad nach Wien kam.

Ujárad , 15/I 1912Exzellenz!

“Obzwar Sie mir im Sommer 1911 mitteilenließen, daß Sie von mir keine Information über Albanien

Page 300: Nopcsa Reisen Balkan

Zwischen der Annexion und dem Balkankrieg (1910-1912)

286

wünschen, glaube ich doch, daß Sie der beiliegende BriefAladros an Isa Boletini dermaßen interessieren dürfte,daß Sie gerne bereit sind, Ihren selbstbewußtenPrinzipien untreu zu werden, Ihre Anschauung vorigenSommers zu ändern, und den beigefügten Brief lesenresp. durch Ihre Organe lesen zu lassen. DenOriginalbrief, den ich beilege, ersuche ich mir tunlichstbald zu retournieren, da ich selben noch dem einen oderdem anderen Herrn in Wien zur Einsichtnahme zusendenmöchte, da sich, wie ich weiß, in Wien außer EurerExzellenz auch andere Leute für die Verhältnisse inAlbanien interessieren.

Gleichzeitig mit dem in einem offenen Couvertin meinen Besitz gelangten Briefe wurden mir 100Ansichtspostkarten übergeben, die, Aladro in vierverschiedenen Ausführungen darstellend, offenbar beiMitrovica zu Agitationszwecken verwendet werdensollten und von denen ich gleichfalls Muster beifüge, aufdie ich keinen Wert lege und die sich Exzellenz daherbehalten können.

Hocherfreut als ein ‘Politiker auf eigene Faust’Eurer Exzellenz etwas Interessantes mitteilen zu können,mit vorzüglicher Hochachtung.”

F. Baron Nopcsa

Um eine Quittung zu haben, daß Aehrenthal meinen Briefin der Hand hatte, verlangte ich von ihm, mir Aladros Brief zuretournieren, was auch eintrat.

Ende Jänner und Anfang Februar 1912 verblieb ich sonstmit Preka in Szacsal. Später ging dann Preka mit Wissen desKriegsministers als mein Konfident nach Rom. Sein Bericht überdie Albanienpolitik Italiens war gut und zutreffend, und ichsandte ihn an den Kriegsminister ein. Preka berichtete auf Grund

Page 301: Nopcsa Reisen Balkan

Zwischen der Annexion und dem Balkankrieg (1910-1912)

287

eines Gespräches mit dem Abgeordneten Chiesa, daß sich Italienin diesem Jahre für die Albaner nicht einsetzen würde. Da ausAlbanien allerlei böse Nachrichten eintrafen, setzte ich diese ineinem warnenden Berichte dem Erzherzoge Franz Ferdinandauseinander.

Der Erzherzog ließ mir durch seine Militärkanzleimitteilen, daß ihm der Bericht sehr gut gefallen habe. Leiderblieben die darin entwickelten Gedanken am Papiere.

In der zweiten Hälfte Februar fuhren Preka und ich aufeinige Tage nach Wien. Graf Aehrenthal starb, und GrafBerchtold wurde sein Nachfolger. Ich fragte Grafen Berchtold,was ich mit dem aus Rom zurückgekehrte Preka, der nachAlbanien zu den rebellischen Albanern zurück wollte, anfangensollte. Berchtold sagte mir, ich sollte ihm hievon abreden undnahelegen, den türkischen Konsul aufzusuchen, um sich mit dertürkischen Regierung auszusöhnen und um seine Repatriierung zubitten. Recht widerstrebend tat dies Preka, und ich forderteRappaport und Berchtolds übrige Beamten nun auf, Prekas Bittebei den ihnen bekannten türkischen Vertretern zu unterstützen.Bloß um Preka, der mein Freund war, eine Unannehmlichkeit zubereiten und in ihm den Gedanken aufkommen zu lassen, daß ichihm etwas Dummes geraten hatte, entfielen irgendwie alle Prekasdienstlichen Schritte. Preka wartete wochenlang vergebens. Ergab während des vergeblichen Wartens in Wien eine Menge Geldaus und fuhr dann doch zu den Rebellen nach Albanien. Schondamals schien es nun, als wäre an dieser Intrige Rappaport, derReferent für alle albanischen Angelegenheiten, dann Zambaur,unser Konsul, dessen Amtsbezirk für Preka zuständig war, undmöglicherweise andere Leute beteiligt. Berchtold war zuschwach, um den passiven Widerstand seiner Beamten zubrechen, die ihn zu hintergehen begannen und ihm nichtgehorchten. Dies war gleich anfangs ein bedenkliches Symptom.

Page 302: Nopcsa Reisen Balkan

Zwischen der Annexion und dem Balkankrieg (1910-1912)

288

In Wien publizierte ich wieder einen politischen Artikel. Eserschien in der Zeit am 25. Februar 1912.

Bedenkliche Zeichen in Albanien. Von einem KennerAlbaniens.

“Die Lage in Nordalbanien läßt wieder auf einenneuen Albaneraufstand schließen, dessen Ursachen imwesentlichen darin zu suchen sind, daß diese Leutewieder von montenegrinischen Agitatoren verhetztwerden, daß die türkische Regierung die eingegangenenVersprechen nicht einhält, daß die Dummheit undAufgeblasenheit der türkischen Behörden überallZwischenfälle hervorruft, und daß endlich und letztlichdie den Türken ohnehin feindlichen und von Natur ausschießlustigen Albaner, wieder in den Besitze mehr oderweniger guter Waffen gelangten.

Abgesehen von einer Spannung im VilayetKosovo, die zu kleinen Zwischenfällen führt, ist dasganze mohammedanische Bergland von Dibra, woSchießereien zwischen Truppen und Albanern an derTagesordnung sind, in offenem Aufruhr. VierundzwanzigDörfer der Umgebung von Tirana und Durrës haben sichgleichfalls gegen die Regierung aufgelehnt, und endlichhaben am vierzehnten dieses Monats knapp bei denäußersten Mäusern von Shkodra (Lokalität Tre Alberi,Zalli i Kirit) Leute des Stammes Shllaku einen Überfallauf ottomanischen Truppen unternommen, wobeifünfzehn Soldaten getötet wurden.

Die Nachricht der italienischen Zeitungen, daßbei Tre Alberi 400 türkische Soldaten getötet wurden, isteine Übertreibung. Das Benehmen der Leute von Shllakuverdient größte Beachtung, denn es bringt, da es durch

Page 303: Nopcsa Reisen Balkan

Zwischen der Annexion und dem Balkankrieg (1910-1912)

289

Töten mehrerer türkischer Soldaten einen moralischenErfolg aufweist, die türkische Regierung in eine mißlicheLage. Reagiert die Regierung darauf, daß amExerzierplatz von Shkodra Soldaten von Albanernerschossen werden, gar nicht oder nur unbedeutend, soist es gewiß, daß den Albanern der Kamm schwillt undsich solche Zwischenfälle wiederholen werden.Unternimmt jedoch die Regierung eine Strafexpeditiongegen die Shllaku, so kann sie gewiß sein, daß sofort alleübrigen Bergstämme, die an der besa von Shkodrabeteiligt sind, den Shllaku zu Hilfe eilen werden, unddann wird man in einigen Tagen von einem Aufstandsämtlicher katholischer Albanerstämme gegen dieRegierung lesen können. Das Prognostikon, wie heurigerAufstand verlaufen wird, läßt sich bereits stellen. Es istaber leider nicht solcher Natur, da es nicht die allergrößteBeachtung unserer Monarchie verdienen würde.”

Bald darauf übergab ich Berthold ein Memorandum überAlbanien. Anfang März war ich wieder in Szacsal und verbrachtedort mit Jhonny Pallavicini selten fröhliche Tage. Jhonny, dersich im Jänner mit einer Baroness Solymossy verlobt hatte, fuhrEnde März von Szacsal nach Konstantinopel zu seinem Vater. Ichging für einige Tage nach Demsus, um bei ValioraDinosaurierknochen auszugraben. Der Erfolg war gut.

Da ich die Situation in Albanien für kritisch hielt, kamich Ende März nach Wien und publizierte am 5. April wiedereinen die Lage beleuchtenden Artikel.

Die Gärung in Albanien. Von einem Kenner der Türkei.

“Obzwar von albanischer nationalistischer Seiteschon lange über eine zunehmende Unzufriedenheit

Page 304: Nopcsa Reisen Balkan

Zwischen der Annexion und dem Balkankrieg (1910-1912)

290

berichtet wird, ist es in Nordalbanien, von denSchießereien bei Gjakova und Ura e Vezirit abgesehen,trotz der Schneeschmelze noch immer zu keinemgrößeren Konflikte der Albaner mit türkischen Truppengekommen, und zwar liegt die Ursache darin, daß dieNationalisten den Zeitpunkt zum bewaffneten Vorgehengegen die Jungtürken infolge tief liegender Gründe nichtfür geeignet halten, daß im Gebirge keine Truppendisloziert sind, die Bergbewohner daher keinenaheliegende, billige Angriffsobjekte vor sich haben, undendlich, daß diese Leute es bei aller Unzufriedenheitdoch nicht wagen, einen Angriff auf die hinterStacheldraht verschanzten, bei Shkodra in guterDefensivstellung konzentrierten türkischen Truppen zuunternehmen.

Die türkische Regierung steht nach wie vor aufdem Standpunkte, den albanischen Nationalisten garkeine Konzessionen zu machen, ja, sie gibt nicht einmaldie Notwendigkeit von Konzession in Albanien zu. Sieerkennt aber ganz gut die Gefahr, die ihr infolge diesesPrinzips in Albanien droht, und trachtet daherunaufhaltsam, jede Aktion der Nationalisten zukonterkarieren, was dadurch geschieht, daß sie an dieeinflußreicheren Elemente der Gebirgsbevölkerung imVilajet Shkodra Geld und Waffen verteilt, um einen Teilder albanischen nationalen Sache indifferent gegenüberstehenden Leute für sich zu gewinnen. Als einflußreiche,von der türkischen Regierung durch Geld und Waffen fürsich gewonnenen Leute sind im Vilajet Shkodra unteranderem Çun Nika und Binak Vata in Shala, Ndoc Dedaund die Söhne von Ndue Pali und Dod Prela in Shoshi,und Ndue Prela in Planti zu bezeichnen. Alle dieseSymptome beweisen, daß die türkische Regierung zwar

Page 305: Nopcsa Reisen Balkan

Zwischen der Annexion und dem Balkankrieg (1910-1912)

291

auf lange Zeit hinaus darauf verzichtet hat, im GebirgeAlbaniens Steuern einzutreiben oder Rekrutenauszuheben, aber auch Wege zu bauen oder albanischenationale Schulen zu errichten. Ob es ihr aber gelingt,den an und für sich klugen Plan auszuführen und dendurch die vorjährige und vorvorjährige Revolutionengestärkten Einfluß der toskischen Nationalisten unter dergegischen Bergbevölkerung bei Zeiten zu brechen und soden Nationalisten das wehrhafteste Element Albaniensabwendig zu machen, dies läßt sich noch nicht ermessen.Heute ist der Bergbewohner noch so gereist, daß einrelativ geringfügiger Konflikt zu Weiterungen führenkann, zu deren Eindämmung die Macht der von derRegierung gewonnenen Häuptlinge nicht ausreicht.Voriges Jahr ist zum Beispiel der Fahnenträger desStammes Shkreli, Vat Marashi, wegen Parteinahme fürdie Jungtürken von Stammeswegen seines Amtes entsetztworden.

Ob die albanischen Nationalisten in Erkenntnisder neuen ihnen drohenden Gefahr an dem von ihnen seitlangem festgesetzten Zeitpunkte durch blutige Konfliktemit der türkischen Regierung eine allgemeine albanischeRevolution provozieren werden oder ob die türkischeRegierung geschickt genug sein wird, solchenProvokationen vor der Hand auszuweichen,beziehungsweise solche zu ignorieren, dies sind diebeachtenswertesten Momente der nächsten Zeit.Abgesehen davon ist das Verhalten des derzeitwohlbewaffneten Stammes Mirdita von Interesse, woderzeit die Nationalisten mit den Jungtürken ergebenenPrenk Bib Doda Pascha um die Oberhoheit ringen. DieTatsache, daß viele Mirditen eine Bedrückung (lies:Besteuerung) der Zadrimesen bei Shkodra von seiten der

Page 306: Nopcsa Reisen Balkan

Zwischen der Annexion und dem Balkankrieg (1910-1912)

292

türkischen Regierung als Casus belli betrachten würden,läßt auf einen ziemlichen Einfluß der Nationalisten inMirdita und darauf schließen, daß sie die Absicht haben,sich nicht einmal dort defensiv zu verhalten. Das Schürendes religiösen Fanatismus der Mohammedaner in denmohammedanischen Gebieten Albaniens ist, wie dennaus diesen Auseinandersetzungen hervorgeht, gleichfallsnur ein Versuch der Jungtürken, die ungebildetenmohammedanischen Albaner für ihre Sache zu gewinnen.Für ganz Nordalbanien kann man erkennen, daß dieJungtürken bestrebt sind, nach den altbewährtenhamidischen Grundsätzen zu handeln. Abdul Hamidredivivus!”

Am 10. April fuhr ich für einen Tag nach Fiume, wo ichden Kelmendi Chef, Ded Zogu, traf. Dann kehrte ich wieder nachWien und traf Berchtold und Auffenberg. Ich sagte ihnen, daß esnoch im Sommer zu einer Balkankonflagration kommt, undBerchtold speziell, daß er noch in diesem Jahre die AutonomieAlbaniens wird verkünden müssen. Des weiteren teilte ichBerchtold mit, daß ich jetzt auf zwei Monate nach London fahren,dann aber zurückkommen würde, weil die Situation dann wiederinteressant sein würde, da die Türkei niederbreche. Seine Antwortlautete wörtlich: “Das glaube ich in fünf oder sechs Jahren, aberfrüher nicht.”

Graf Hoyos, Berchtolds Kabinettschef, ist derliebenswürdigste Mensch. Es tut ihm herzlich leid, wenn er etwasmacht, worüber man ihm einen Vorwurf machen kann, denn er istder personifizierte ‘gute Wille’, der nicht die Kraft hat, sich inHandlung umzusetzen. ‘The way to hell is paved with goodintentions.’ Er ist nicht dumm, aber seiner Unfähigkeit bewüßt.Man erzählt in der Wiener Gesellschaft, daß er sich prinzipiellTag für Tag ohne nachzudenken beim Schlafengehen die Worte

Page 307: Nopcsa Reisen Balkan

Zwischen der Annexion und dem Balkankrieg (1910-1912)

293

vorsage, “Leopold, du hast heute schon wieder eine Dummheitgemacht.”

Wie sicher ich war, daß es 1912 zum Balkankriegekommen würde, ersieht man daraus, daß ich, obzwar ich nurselten zu wetten pflege, dem Diplomaten Pepi Draškoviƒ, LouisDraškoviƒ seinem Bruder, der im Frühjahre 1912 die Behauptungaufstellte, daß in diesem Jahre der Status quo aufrecht erhaltenbleiben würde, eine Wette proponierte, daß die europäischeTürkei den ersten Oktober nicht überdauern würde. Derverlierende Teil sollte dem Gewinner und einer dritten Person(wir einigten uns auf Grafen Fritz Vanderstraaten) eine Diner imHotel Bristol geben. Da die großen Schlachten des erstenBalkankrieges nun zufällig erst im Oktober stattfanden und derNiederbruch des Status quo am Balkan erst Anfang Novembersichtbar wurde, hatte ich dem Wortlaute der Wette entsprechenddas Diner zu zahlen. Pepi gab aber, da er für den Status quogewettet hatte, selbst zu, daß ich die Wette ihrem Sinne gemäßgewonnen hätte.

Mit Auffenberg über das kommende Balkangewitterredend, sagte mir dieser, ein Mobilisieren “wäre ihmunangenehm.” Übrigens habe König Nikita anläßlich seinesBesuches in Wien versprochen ruhig zu bleiben. In diesem Fallehätte ich mich also geirrt. Meine Antwort auf diese Nachricht:“So? Dann schlägt er erst gewiß los!”

Interessant ist, daß im Sommer 1912 auch derösterreichisch-ungarischer Vizekonsul in Niš nach Wien meldete,daß es im Herbste 1912 zu einem Kriege zwischen Serbien undder Türkei kommen würde, und dies damit begründete, daß dieserbischen Bäuerinnen auffallend viele für Männer bestimmteWinterkleider anfertigten. Statt eines Lobes erhielt er eine Rüge,und es wurde ihm angedeutet, sich mit dem Nišer Handel undnicht mit politischen Fragen zu befassen, von denen er nichts

Page 308: Nopcsa Reisen Balkan

Zwischen der Annexion und dem Balkankrieg (1910-1912)

294

verstünde. Unangenehme Nachrichten wollte man amBallhausplatze nicht hören, da sie die Ruhe störten.

Da ich vor Anfang Juli keine Balkankomplikationenerwartete, fuhr ich Ende April über Monte Carlo, Marseille undLyon nach London. Während dieser Reise untersuchte ichwissenschaftliches Material in den Museen von Marseille undLyon. Im ersteren waren die Leute damals recht unfreundlich (beieinem Besuche im Jahre 1932 konnte ich zu meiner Freude dasGegenteil feststellen). In Lyon, dessen Museum damals unter derLeitung von Prof. Déperet stand, ließ sich aber gut arbeiten.Meine Untersuchungen betrafen die südfranzösischenDinosaurier. Die Resultate konnte ich aber erst im Jahre 1926verwerten.

Mai und Juni verbrachte ich mit paläontologischenStudien am British Museum und wurde während dieser Zeit zumauswärtigen Korrespondenten der Londoner GeologischenGesellschaft erwählt. Dies war meine erste wissenschaftlicheAuszeichnung. Mehrere Jahre später wurde ich auswärtigesMitglied dieser Gesellschaft, Ehrenmitglied der Gesellschaft derLondoner Zoologischen Gesellschaft, der Akademie vonBologna, der Geographischen Gesellschaft in Wien und derGeologischen Bundesanstalt in Wien. In Ungarn erwählten michspäter die Ungarische Geologische Gesellschaft und dieUngarische Geographische Gesellschaft gleichfalls zu ihremEhrenmitglied und die Ungarische Akademie der Wissenschaft zuihrem ordentlichen Mitglied. Die ungarische GeologischeGesellschaft verlieh mir außerdem die Szabo-Medaille, doch habeich alle die ungarischen Auszeichnungen zurückgestellt und zwardeshalb, weil mich im Jahre 1927, als ich Direktor derköniglichen Ungarischen Geologischen Reichsanstalt war, dieungarische Regierung in einer Fachangelegenheit desavouierteund nachträglich jene auszeichnete, die sich offenkundig geirrt

Page 309: Nopcsa Reisen Balkan

Zwischen der Annexion und dem Balkankrieg (1910-1912)

295

hatten. Anläßlich dieses Vorganges trat aber keine einzigewissenschaftliche Korporation Ungarns für mich ein.

Speziell die hydrologische Abteilung der ungarischenGeologischen Gesellschaft ging so weit, sich zu einem ganzunwürdigen Spiel herabzulassen, weshalb ich dieser Gesellschaftmein Ehrendiplom zerrissen zuschickte. Freilich war derVorstand dieser Gesellschaft damals ein gewisser Professor BélaMauritz, der es verstanden hatte, ohne irgend einer bedeutenderenArbeit schon nach achtzehnjähriger Tätigkeit ordentlichesMitglied der Ungarischen Akademie der Wissenschaft zu werden,wogegen im Auslande anerkannte Gelehrte Ungarns wie z.B. derBotaniker Degen, der Geograph Cholnoky und Dr. Hutyra erstnach 30-40-jähriger Tätigkeit Akademiker geworden waren. Diesbeleuchtet die Fähigkeit des Professor Mauritz.

Freude bereitete es mir, als ich bei einem Besuch inOxford konstatierte, daß jenes Stück, das Professor Seeleyseinerzeit für ein Schädelfragment eines Dinosauriers gehaltenund als Craterosaurus beschrieben hatte, und das ich vor Jahrenauch nicht bestimmen konnte, nichts anderes war als dasBruchstück eines Rückenwirbels eines Stegosauriers. DieGenugtuung, die ich über diese Konstatierung empfand, warumso größer als nebst mir auch viele Paläontologen das Stückschon in der Hand gehabt hatten, ohne seine Natur zu erkennen.Ich publizierte diese Umdeutung als fünften Teil meiner Notes onBritish Dinosaurs, die alle den Charakter einer Nachlese hatten.

Im übrigen präparierte ich vorwiegend das im vorigenJahre bei Szentpéterfalva und in diesem Jahre bei Valioragefundene Material. Das bemerkenswerteste Stück war einallerdings nur teilweise erhaltenes Schädel von Struthiosaurus,das mein Sekretär, Bajazid Elmas, mit einigen dazugehörigenSkeletresten bei Szentpéterfalva gefunden hatte. Das Stück wardeshalb bemerkenswert, denn es war der erste halbwegskomplette Schädel eines acanthopholididen Dinosauriers. Leider

Page 310: Nopcsa Reisen Balkan

Zwischen der Annexion und dem Balkankrieg (1910-1912)

296

kam ich erst im Jahre 1929 dazu, diese jetzt in dem BritishMuseum befindliche Stück zu beschreiben.

Ende Juni verließ ich Programm gemäß London, trafAnfang Juli in Wien ein und ging am 5. Juli zu Berchtold.“Exzellenz,” sagte ich als Begrüßung, “es sind genau zweiMonate und sieben Tage, daß wir uns zuletzt gesehen haben. Ichglaube, die Situation ist interessant.” Er konnte es nicht leugnen.Nebenbei machte ich ihm darüber heftige Vorwürfe, daß PrekasRepatriierung unterblieben war, resp. weshalb er michaufgefordert hatte, Preka so etwas zu raten. Er erklärte, es täteihm leid, mich in Prekas Augen kompromittiert zu haben, was mirfreilich wenig nützte. Ich ersah aber, daß am Unterbleiben derRepatriierung tatsächlich, wie ich geahnt hatte, der von Berchtoldherbeigerufene Rappaport schuld war.

In Wien propagierte ich, ehe noch der Albaneraufstandsiegreich abschloß, die Idee, daß die Albaner, noch ehe sieErfolge haben, mit Waffen zu versehen wären, denn ich wußte,ein bewaffnetes Albanien würde der Monarchie nie schaden, einunbewaffnetes jedoch den Erfolg aller Gegner der Monarchieerleichtern. Diese Frage mit Sieberts besprechend, sagte mirdieser, daß ihm einige Waffen, ja sogar Kanonen, zur Verfügungstünden, nur könne er ohne besonderer Erlaubnis über dieselbennicht verfügen. Als mir Sieberts, der gute brave Sieberts, vonKanonen redete, war ich anfangs verblüfft, unterdrückte abermein Erstaunen, und redete einiges auf Albanien bezughabendes,möglicherweise konfuses Zeug, grübelte aber inzwischenfortwährend nach, wieso Sieberts zu Kanonen komme. Endlichglaubte ich, Sieberts seinem Klerikalismus mit denverschiedenen, eben damals in Portugal stattfindendenroyalistisch-klerikalen Putschen in Zusammenhang bringen zudürfen, und ich riskierte, als die Sprache auf das Verladen derKanonen kam, die Bemerkung, man könne mit den für Portugalbestimmten Kanonen am besten dieses und jenes machen. Ich

Page 311: Nopcsa Reisen Balkan

Zwischen der Annexion und dem Balkankrieg (1910-1912)

297

bemerkte, wie Sieberts erschrak. Er leugnete jedoch prompt,etwas mit Portugal zu tun zu haben, da aber hiedurch meinVerdacht bestärkt wurde, machte ich nun so, als ob ich die ganzeSache schon längst wüßte. Ich sagte ihm, er könne sichberuhigen, da ich die ganze Sache genau kenne und ebendeswegen gerade zu ihm gekommen wäre. Sieberts ließ sichüberlisten und erklärte mir endlich, daß er und mit ihm dieklerikale Partei in Österreich, die Erzherzogin Maria Theresia ander Spitze, in den portugiesischen Angelegenheiten verwickeltseien. Dann versicherte er mir, daß er nachfragen würde, ob mandas Kriegsmaterial statt nach Portugal nach Albanien sendenkönne. Daß Sieberts nicht gelogen hatte, und sich die ErzherzoginMaria Theresia, die selbst in ihrem Auto Kriegsmaterial ausÖsterreich-Ungarn nach Spanien geschmuggelt hatte, in dieserAngelegenheit tatsächlich seiner bediente, erkannte ich später anden zahlreichen, endlich auch fernerstehenden auffallendenGnadenbeweisen, durch die später Sieberts seitens dieserErzherzogin ausgezeichnet wurde. Hier will ich nun dem Laufeder Zeit vorgreifen und die weiteren Details, die ich später überdie ganze Aktion erfuhr, schildern. Im Jahre 1913 wurde ich mitHerrn ‘Cavaliere de Mayerhöfer,’ dem römischenKorrespondenten der Reichspost, einem jungen Spring-ins-Feld,bekannt, und, da ich vermutete, daß er als Erzklerikaler auch indie Sache eingeweiht gewesen sein dürfte, lenkte ich dasGespräch auf dieses Thema. Herr Mayerhöfer, der meinInformiertsein bemerkte, bestätigte mir Sieberts seine Aussagen,ja mehr als das, er erzählte mir, daß er selbst der Führer einerjener schlecht ausgerüsteten, mit Knüppeln bewaffneten Bandenwar, die nach Portugal einzudringen hatten, deren Aktion aber zunichts anderem als zur Gefangennahme des Rittmeisters Almeidaführte. Almeida ist nach Jahren infolge österreichisch-ungarischerdiplomatischer Intervention freigelassen worden. Öffentlich hattesich ganz speziell die Reichspost für ihn eingesetzt, im Geheimen

Page 312: Nopcsa Reisen Balkan

Zwischen der Annexion und dem Balkankrieg (1910-1912)

298

die Erzherzogin Maria Theresia. An und für sich waren ja dieseauf das ferne Portugal bezughabenden Nachrichten damals nichtinteressant, sie zeigten aber, wie mit dem Herrscherhausverwandte Faktoren infolge des Alters des Monarchen in dieäußere Politik der Monarchie eingriffen und, da drängt sich denndie Frage auf, ob Portugal, wenn diese Versuche unterbleibenwären, während des Weltkrieges heute nicht gar dem Dreibundefreundlicher gesinnt gewesen wäre und ob es für die zukünftigeLage besser oder schlechter gewesen wäre, wenn ExkönigManuel oder einer seiner Verwandten wieder auf demportugiesischen Throne säße. Sogar die Annahme ist nicht vonder Hand zu weisen, daß die in ihrer Religiosität verblendetenWiener klerikalen Damen, Markgräfin Crescence Pallavicinimiteinbegriffen im Jahre 1912 gar nur etwa das Werkzeug einesanderen schlaueren Faktors waren, und nur beigetragen hätten,mit Manuel wieder den englischen Einfluß in Portugal zu stärken.

Ursachen der albanischen Revolution. Von einem KennerAlbaniens.

Erschienen am 6. Juli 1912

“Die neuesten Nachrichten aus Albanien, so jenevom Anschluß der Malessoren an die albanischenPatrioten, lassen keinen Zweifel mehr aufkommen, daßwir uns an der Schwelle eines neuen blutigenAlbaneraufstandes befinden. So sehr die Jungtürken auchbemüht sind, diesen Aufstand als lokale Erscheinunghinzustellen und totzuschweigen, um ihn ungestörterunterdrücken zu können, so wenig läßt auch leugnen, daßer existiert und sich von Tag zu Tag weiter ausdehnt.Schon heute züngeln die Flammen in Janina, Dibra,Gjirokastra, Mat, Tirana, Mirdita, Peja und Mitrovica,also in fast ganz Albanien, und wenn darüber nur wenig

Page 313: Nopcsa Reisen Balkan

Zwischen der Annexion und dem Balkankrieg (1910-1912)

299

in die Öffentlichkeit hinausdrängt, so ist die Schuld nurdaran gelegen, daß die türkische Regierung, die aus demAufstandsgebiet eintreffenden Telegramme verheimlicht,und die österreichische Regierung es scheinbar gernsieht, daß auch die heimliche Presse und dieKorrespondenzbureaus nur vage informiert sind. Trotzdieses Übelstandes läßt sich für Beobachter, die übereigene Quellen verfügen, folgendes erkennen: zwischender türkischen Militärrevolte und dem albanischenAufstande besteht nur insoferne ein Konnex, als sich allealbanische Offiziere naturgemäß an der Militärrevoltebeteiligen, und andererseits die in albanischen Gebietenrevoltierenden Offiziere sich an die Albaner anlehnenmüssen. Durch den Synchronismus und teilweisenParallelismus erhöht sich die Wichtigkeit beiderRebellionen. Wenn man jede von ihnen für sich losgelöstbetrachtet, so ist die albanische Bewegung durch dieInteressen der Monarchie stärker in Mitleidenschaftgezogen worden. Ob in Konstantinopel Jungtürken oderAlttürken regieren, kann uns bis zu einem gewissenGrade alles eins sein. Die Existenz eines schwachenAlbanervolkes an der Ostküste der Adria ist hingegen füruns von allergrößter Bedeutung. So wie in den Jahren1910 und 1911 ist auch an dem heutigen Albaneraufstandausschließlich die jungtürkische Regierung schuld, undwie jeder große Aufstand, hat auch der heurigeAlbaneraufstand mittelbare und unmittelbare Gründe.Die mittelbaren Gründe sind in dem Erwachen einesdurch jungtürkische Fehler und Torghut PaschasRücksichtslosigkeit geförderten albanischenNationalbewußtseins, die unmittelbaren Ursachen ineiner Verkettung verschiedener anderer Ursachengelegen.

Page 314: Nopcsa Reisen Balkan

Zwischen der Annexion und dem Balkankrieg (1910-1912)

300

Der vorjährige Malessorenaufstand hatte miteinem militärischen Siege, jedoch mit einerdiplomatischen Niederlage der Jungtürken geendet. DieJungtürken mußten fast alle Postulate der Rebellenannehmen, und mit den Waffen in der Hand konnten dieMalessoren jene Gebiete wieder betreten, aus denen sieTorghut Paschas Übermacht vertrieben hatten. DieFolgen des Friedensschlusses konnten nicht ausbleiben.Wäre die türkische Regierung daran gegangen, guteMiene zum bösen Spiel zu machen, und hätte sie, durchihre diplomatische Niederlage gedemütigt, ihreverschiedenen Versprechen gehalten, ja den katholischenAlbanern großzügig mehr geschenkt, als diese forderten,dann wäre eine Aussöhnung der katholischen Albanermit dem türkischen Reichsgedanken immerhin möglichgewesen, und die einzige Schwierigkeit, die sich daherheuer zu den kritischen Zeiten der Schneeschmelze fürdie türkische Regierung ergeben hätte, hätte darinbestanden, den voriges Jahr mehr oder weniger treugebliebenen, mohammedanischen Albanern das zugewähren, was voriges Jahr rebellischen Katholikentheoretisch gewährt werden mußte. In meisterhafterWeise hat es die türkische Regierung verstanden, geradeentgegengesetzt zu verfahren. Sie erfüllte weder ihrevoriges Jahr den Malessoren gegebenen Versprechungennoch kam sie den mohammedanischen Albanernentsprechend entgegen, wohl aber hat sie durch allerleiSchikanen heuer sogar jene bei Lezha wohnendenkatholischen Stämme zur Rebellion getrieben, die sichvoriges Jahr am Malessorenaufstand nicht beteiligthatten. Infolge ihrer Loyalität sind die bei Lezhawohnenden Malessoren voriges Jahr den ganzen Sommerhindurch von Torghut Pascha in den wegen Malaria fast

Page 315: Nopcsa Reisen Balkan

Zwischen der Annexion und dem Balkankrieg (1910-1912)

301

unbewohnbaren Sumpfgebieten von Bregumatjainterniert worden. Später nämlich im heurigen Frühjahrwurde der Versuch unternommen, von diesen durchFieber geschwächten Stämmen, die in den Sümpfenobendrein einen großen Teil ihrer Herden durchKrankheiten verloren hatten, Steuern einzutreiben, undals dies wegen des Protestes verschiedener europäischerKreise nicht gelang, da sollten diese Stämme, um sie jazur Verzweiflung zu treiben, auch heuer erneutgezwungen werden, den Sommer in den Malariasümpfenzu verbringen und nicht wie sonst Ende Juni oderanfangs Juli mit Kind und Kegel auf die Almen zuziehen. Dies ist die unmittelbare Ursache, weshalb es voreiner Woche bei Lezha zu einem Kampfe kam, und diesgibt auch die Erklärung dafür ab, warum der heurigeMalessorenaufstand für Ende Juni anfangs Julivorausgesagt werden konnte, während es nicht so leichtwar, das Datum der rein albanisch-nationalen Bewegungim übrigen Teil Albaniens in voraus zu fixieren.

Überblickt man die Ereignisse, die sichnamentlich im Vilajet Shkodra abspielten, in der hierangegebenen Folge, so kann man sich des Gedankensnicht enthalten, daß das, was die türkische Regierunggegen die Albaner im allgemeinen, speziell aber gegendie katholischen Albaner unternahm, nicht auf Mißgriffezurückgeführt werden kann, sondern den weiteren Zweckverfolgt, nicht nur das albanische Element imallgemeinen zu schwächen, sondern auch die derMonarchie zunächst liegenden katholischenAlbanerstämme vom Erdboden zu vertilgen, denn, daßsie nicht einsehen, daß konstante Mißhandlung jedesVolk zum Aufstand treibt, das kann man den Jungtürkendoch nicht zumuten. Wem der Plan der Jungtürken, die

Page 316: Nopcsa Reisen Balkan

Zwischen der Annexion und dem Balkankrieg (1910-1912)

302

Albaner zu vernichten, zu scheußlich erscheint, derbedenke, daß dieselben Jungtürken in Konstantinopelauch davon nicht zurückscheuten, Stambul zwei Jahrehintereinander, um Stadtverschönerungsplänedurchführen zu können, anzünden zu lassen, und wemwieder die neronische Idee, Stambul niederzubrennenund die Schuld den in Europa verhaßten Alttürken in dieSchuhe zu schieben, unmöglich erscheint, dessenAufmerksamkeit will ich dahin lenken, daß derAlbaneraufstand des Jahres 1910 von dem Vali vonSkopje dadurch provoziert wurde, daß er eine für dieVerschönerung der Stadt Skopje bestimmte Oktroisteuereinhob, obzwar gerade damals sehr viel anderenützlichere, einen durchreisenden Fremden aber wenigerblendende Ausgaben notwendig gewesen wären.”

Nach diesem Artikel fuhr ich am 25. Juli nach Ujárad. Dain Wien gerade große Vorbereitungen zum EucharistischenKongreß getroffen wurden, machte ich Berchtold am 27. Julifolgende Proposition.

“Exzellenz! In Anschluß an den Gedanken, einBalkankomitee ins Leben zu rufen und Anbetrachtdessen, daß gewisse andere Maßregeln unmöglichscheinen, erlaube ich mir, die Aufmerksamkeit EurerExzellenz darauf zu richten, daß der heuer in Wientagende Eucharistische Kongreß der albanischenPropaganda dienstbar gemacht werden könnte. Es wärenur darauf zu achten, daß sämtliche albanische Bischöfeund möglichst viele Pfarrer an dieser rein katholischenAktion teilnehmen, was Anbetracht dessen, daß SeineMajestät am Kongreß teilnehme, anderseits derSchirmherr des albanischen Klerus ist, durch das

Page 317: Nopcsa Reisen Balkan

Zwischen der Annexion und dem Balkankrieg (1910-1912)

303

Kultusprotektorat motivierbar ist. Desgleichen eineHuldigung des albanischen Klerus vor Seiner Majestät.Sehr gut wäre es, ca. 100 oder mehr Stammeshäupter(wilde aus dem Gebirge bevorzugt!) am Kongresseteilnehmen zu lassen, und sie dermaßen in formellunanfechtbarer Weise die Herrlichkeit Wiens sehen zulassen und ihnen die Begünstigungen allerKongreßmitglieder zu gewähren.

Dies und Tausend ähnliche Kleinigkeitenergeben sich aus dem Protektorate und werden bei denkatholischen Albanern sehr großen Eindruck machen,zumal Anbetracht der feierlichen Form des Kongresses.Natürlich müßte die Presse den Albanern Interesseentgegenbringen, und es müßte für deren Verpflegunggesorgt werden.

Mit Zeichen vorzüglichster Hochachtung, F. Baron Nopcsa.P.S. Falls Eure Exzellenz den Plan für ausführbar

halten (er kann auch durch die Kongreßorganisatoren inSzene gesetzt werden), möchte ich mir erlauben, eineListe einiger meiner Kandidaten behufs Rücksichtnahmeeinzusenden.”

Einige Tage später erhielt ich eine zustimmende Antwort,in der Berchtold den Plan billigte. Trotz dieser Zustimmung desMinisters ist aus der ganzen Sache wieder nichts geworden undzwar einfach deshalb, weil einige Beamten im Ministerium desÄußeren, primo loco Rappaport, sich darüber ärgerten. Daß dieSache von mir und nicht von ihnen entdeckt worden war und mirden moralischen Erfolg, den mir das Heraufkommen von hundertalbanischer Gebirgler nach Wien gebracht hätte, mißgünstigenRappaport und Konsorten. Sie packten die Sache also möglichstungeschickt an, und dies veranlaßte mich denn, als ich auf die

Page 318: Nopcsa Reisen Balkan

Zwischen der Annexion und dem Balkankrieg (1910-1912)

304

Schliche dieser Leute kam, Berchtold später folgendes zuschreiben.

20. Oktober 1912“Exzellenz! Das es mir mündlich leider nicht

möglich war, sehe ich mich veranlaßt, Sie schriftlich aufdie Dummheit jenes Beamten aufmerksam zu machen,der damit beauftragt war, vorzusorgen, daß möglichstvielen Albanern Gelegenheit geboten werde, sich amheurigen Eucharistischen Kongreß zu beteiligen.

Wie ich erfuhr, glaubte dieser Herr eine solcherege Beteiligung dadurch zu erreichen, daß jedemalbanischen Bischof seitens des zuständigen Konsulatsfür je 10 Albaner Freikarten zur Verfügung gestelltwurden.

Da die Unverzüglichkeit des albanischen Klerusund Episkopats sogar in normalen Zeiten Eurer Exzellenznicht unbekannt seine dürfte, werden Eure Exzellenz esumso natürlicher finden, wenn das albanische Episkopatheuer, wo es in seinen Bestrebungen von der k.u.k.Regierung nicht unterstützt wird, weniger denn je geneigtist, sich in Interesse der k.u.k Regierung coram publicozu exponieren, zumal es bei der Lage der Dinge zur Zeitdes Kongresses nicht einmal darüber im Klaren gewesensein dürfte, ob es nicht demnächst auf das Wohlwollenund die Hilfe Italiens oder Montenegros angewiesenseine werde.

Von den albanischen Bischöfen unter solchenUmständen das zu verlangen, daß sie sich durch dieMitnahme von je 10 Albanern nach Wien, vor Italien undMontenegro offen kompromittieren, scheint mir auf einebedauernswerte Naivität hinzuweisen. Möglicherweisewurde die Tatsache, daß die albanischen Bischöfe eine

Page 319: Nopcsa Reisen Balkan

Zwischen der Annexion und dem Balkankrieg (1910-1912)

305

geschickte Ausrede benützend keine Albaner nach Wienbrachten, ihnen sogar von den Gegnern der Monarchie zuGute geschrieben. Ein weiterer Fehler war im ganzenArrangement des Albanerbesuches in der Wahl derMarschroute gelegen. Daß die Albaner über Sarajevo undBudapest hätten nach Wien gebracht und über Cetinjehätten nach Hause zurückbefördert werden müssen, warmir so evident, daß ich es für vollkommen überflüssig, jafast für beleidigend hielt, Eure Exzellenz daraufaufmerksam zu machen. Leider scheine ich auch indiesem Punkte den Scharfsinn des von Eurer Exzellenzmit der Durchführung des Albanerbesuches betrautenMinisterialbeamten überschätzt zu haben. Im Anschlußan all dies und nach dem glänzenden Schiffbruch derganzen Sache sehe ich mich außerdem jetzt auch nochdazu veranlaßt, die Aufmerksamkeit Eurer Exzellenz aufdas Postscriptum meines Briefes vom 27. VII. zu lenken,worin ich mich - freilich ohne Angabe von Gründen -bereit erklärte, Eurer Exzellenz erwünschten Falles eineNamensliste solcher Leute zu unterbreiten, die nachWien zu bringen wären. Heute ist der Zeitpunktgekommen, diese P.S. zu motivieren. Der Grund hiezuwar die Überzeugung, daß infolge der mir hinlänglichbekannten Unbeholfenheit im k.u.k. Ministerium desÄußeren die Sache ohne meine Mithilfe ohnehinmißlingen würde, und ich, dies voraussehend, Ihnendaher die Namen solcher Albaner bekannt geben wollte,von denen ich wußte, daß sie einer diesbezüglichenAufforderung nachkommen würden. Freilich konnte ichdiesen Grund ohne eines erachtlichen Eigendünkelsbezichtigt zu werden, am 27.07. Eurer Exzellenz nochnicht unterbreiten.

Page 320: Nopcsa Reisen Balkan

Zwischen der Annexion und dem Balkankrieg (1910-1912)

306

Dem lebhaften Bedauern Ausdruck verleihend,daß dieser Brief vielleicht einige Härten enthält, die sichim Gespräch vielleicht hätten vermeiden lassen oderwenigstens nicht so kraß hervorgetreten wären, mitvorzüglicher Hochachtung,

Franz Baron Nopcsa.

Daß Berchtold von der Richtigkeit dieses Briefesüberzeugt war, ist daraus zu entnehmen, daß er trotz desabsichtlich groben Tones dieses Schreibens den Verkehr mit mirkeineswegs abbrach, allerdings wurde, wie gewöhnlich, gegen dieSchuldigen nichts unternommen, und sie konnten ihre Geschäftein Ehren weiter führen.

Das Humoristische am Wiener Eucharistischen Kongreßwar, daß er von zwei Juden, Reitzes und Guttmann, finanziertwurde. Beide Herren wurden später dafür in den Freiherrenstanderhoben. Die Tatsache der Finanzierung mußte aus begreiflichenGründen sowohl von der klerikalischen wie auch von derjüdischen Tagespresse totgeschwiegen werden, was die Komikdieses öffentlichen Geheimnisses noch erhöhte.

Von Ujárad schrieb ich an Auffenberg und verlangtedringend die Bewaffnung der Albaner. Meine Proposition anAuffenberg war folgende.

Ujárad, 14. VII. 1912“Exzellenz! Die letzten Nachrichten aus

Albanien weisen darauf, daß die Rebellen demnächstbedeutende Erfolge aufweisen dürften u. z. dies leiderohne Zutun der Monarchie oder mit der k.u.k. Regierungirgendwie in Verbindung stehender Kreise. Ein solcherErfolg der Rebellen ist gegen unsere Interessen. Das esuntunlich ist, in Albanien eine albanerfeindliche Politikzu inaugurieren, bleibt nichts anderes übrig, als bei den

Page 321: Nopcsa Reisen Balkan

Zwischen der Annexion und dem Balkankrieg (1910-1912)

307

Albanern noch in der zwölften Stunde den Glauben zuerwecken, als ob man immer ihr Interesse vor Augengehalten hätte. Dies ist heute nurmehr dadurch möglich,daß man die Rebellen mit Waffen, Munition undArtillerie versieht u. z. naturgemäß nicht von Seite dermit der Türkei befreundeten k.u.k. Regierung, sondernauf privatem Wege. Es ist zu betonen, daß heute, infolgedes Anschlusses von ottomanischen Offizieren undTruppen an die Rebellen sogar dieses höchst radikaleMittel nicht mehr den Wert besitzt, den es noch vor 14Tagen besessen haben würde, und daß dieses Mittel umso mehr an Wert verliert, je mehr Erfolge die Albaneraufweisen können.

Um der k.u.k. Regierung keine Schwierigkeit zubereiten, müßten Albaner in die Lage versetzt werden,ein küstennahes k.u.k. Munitionsdepot zu plündern. Inbeiden Fällen wäre darauf zu achten, daß die Albaner inder Überzeugung bleiben, diese Taten gegen den Willender k.u.k. Regierung vollbracht zu haben. Freilich wäreein offenes mannhaftes Eintreten der k.u.k. Regierung fürdie Rebellen noch bedeutend besser. Allein so etwas istfür die k.u.k. Beamten, wie denn jede entschiedeneHandlung meines Wissens nach unmöglich.

Für den Fall, daß eine geheime Unterstützung derRebellen durch Waffen in nächster Zeit diskutabelerscheint, bitte mich zu verständigen, damit ich behufsweiterer Rücksprache Eure Exzellenz aufsuche.

Meine offene Stellungnahme gegen die k.u.kRegierung, wie selbe aus meiner publizistischenTätigkeit hervorgeht, dürfte der k.u.k. Regierung genugRückendeckung bieten und wäre ich daher bereit, besagteUnternehmung gegen die Garantie, daß eventuelleUntersagungen in den Sand verlaufen, zu unternehmen.

Page 322: Nopcsa Reisen Balkan

Zwischen der Annexion und dem Balkankrieg (1910-1912)

308

Es tut mir leid genötigt zu sein, Eurer Exzellenz soradikale Mittel wie Schmuggel von Artilleriematerialvorschlagen zu müssen. Leider weiß ich kein Mittel, dasnoch radikaler wäre.

Indem ich Eure Exzellenz bitte, mir die Antwortso bald wie möglich zukommen zu lassen, denn in dieserSache ist jeder Schritt je früher desto besser, verbleibeich,

mit vorzüglichster Hochachtung.”

Um die Sache möglichst rasch in Fluß zu bringen, schriebich auch an den Grafen Nemes im Ministerium des Äußeren, demFachreferenten für albanische Angelegenheiten.

Igen tisztelt Barátom!Van szerencsém Veled tudatni, hogy az albán revolúció

komoly és úgy látszik sikeres fejlÅdése folytán az albánokatfegyverekkel ellátandó propozíciót tettem irásban Auffenbergnek.Válaszát várva, kérlek lennél Te oly szíves errÅl Berchtholddalbeszélni, hogy e dologban, ha létre jönne, késedelem be ne álljon.Bis dat, qui cito dat, már pedig azt szeretném, hogy minélkevesebb fegyvert kellhessen szállítani, mert ez nem könnyádolog. Ha e terv lehetetlennek tánne szemedben, kérlek értesíts,hogy hiába ne figyeljem az albán ügyeket, mert egy étel nézésétÅlmég nem hízott meg senki.

Hogy a terv keresztülvitelénél officiell a külügyihivatallal rossz lábon kell hogy álljak, természetes dolog, amirÅlmár gondoskodtam, amint az újságnak küldött sürgönyömbÅlbizonyára észrevetted. Äszinte tisztelettel,

Page 323: Nopcsa Reisen Balkan

Zwischen der Annexion und dem Balkankrieg (1910-1912)

72 “Mein sehr geehrter Freund! Ich habe die Ehre Dirmitzuteilen, daß infolge der ernsten und, so scheint es, erfolgreichenEntwicklung der albanischen Revolution ich Auffenberg schriftlich denVorschlag gemacht habe, daß die Albaner mit Waffen ausgerüstetwerden sollten. In Erwartung der Antwort bitte ich Dich, so gut zu sein,darüber mit Berchtold zu sprechen, damit in dieser Sache, wenn siezustande käme, keine Verzögerung eintritt. Bis dat, qui cito dat (=zweimal gibt, wer schnell gibt), ich jedoch hätte gern, daß so wenigWaffen wie möglich transportiert werden müßten, weil das keine leichteSache ist. Wenn Dir dieser Plan unmöglich scheint, bitte ich Dich umBescheid, damit ich die albanischen Angelegenheiten nicht umsonstverfolge, denn vom Anblick eines Essens ist noch niemand dickgeworden. Daß ich bei der Durchführung des Plans offiziell mit demAußenministerium nicht auf gutem Fuße stehen kann, ist eine natürlicheSache, für die ich schon Vorsorge getroffen habe, wie Du bestimmtmeiner Depesche entnommen hast, die ich an die Zeitung geschickthabe. Mit aufrichtiger Hochachtung, Nopcsa.” (Übersetzung von JuditBaróti, Bukarest).

309

Nopcsa72

Von beiden Seiten liefen Antworten ein, und der Zufallwollte es, daß ich sie genau zu gleicher Zeit erhielt. Auffenbergteilte mir auf einer Visitenkarte mit, daß er meinen Bericht anBerchtold weitergeleitet habe. Nemes schrieb mir, er könne mitmir in so einer Sache nicht korrespondieren. Ich mußte über dieallzu große Vorsicht des letzteren, der, obzwar bloß Sektionschef,an Beamtengrößenwahn zu leiden schien, herzlich lachen. EinigeTage nach eintreffen dieser Antworten mußte ich freilich selbstan Auffenberg telegraphieren, daß es zu jeder militärischenAktion bereits zu spät sei, denn die Albaner hatten Erfolgeaufzuweisen und standen bald darauf in Skopje. Dies war für dieGegner der Türkei das Signal zum Losgehen. Recht gut ist

Page 324: Nopcsa Reisen Balkan

Zwischen der Annexion und dem Balkankrieg (1910-1912)

310

übrigens die Einleitung zum Balkankriege, so ferne sie das Gebietvon Shkodra betrifft, in Durhams Buch The Struggle for Scutarigeschildert worden. Ich bin daher der detaillierten Schilderungenthoben.

Page 325: Nopcsa Reisen Balkan

311

Teil IV

Zwischen Balkankrieg und Weltkrieg

(1912-1914)

Page 326: Nopcsa Reisen Balkan

Zwischen Balkankrieg und Weltkrieg (1912-1914)

312

Der Balkankrieg kam langsam wie eine schwereKrankheit. Die Einnahme von Skopje durch die revoltierendenAlbaner gehört noch in die Periode vor dem Kriege. AlsKriegsausbruch kann eine Schießerei zwischen türkischen undmontenegrinischen Truppen bei Berane gelten. Sowie dieseSchießerei in Wege der Zeitungen bekannt wurde, telegrafierteich der Zeit, daß dies den Ausbruch des Balkankrieges bedeute.

Die Jungtürken hatten unklugerweise das türkischeStaatsgelände in seinen Grundfesten erschüttert und zurGründung des Balkanbundes geführt. Die an und für sichschwachen Albaner brachten die Türkei durch ihren Sieg beiSkopje teilweise zum Einsturz. Nun gingen stärkere Faktorendaran, an die Tragfähigkeit der geschwächten Mauern nocheinmal rücksichtslos die stärksten Anforderungen zu stellen.

Der Niederbruch des Geländes war nicht mehr zuverhindern. Der Zeit gegenüber führte ich nun dieselben Gründean, die ich Erzherzog Ferdinand schon früher angegeben hatte.Das diesbezügliche Telegramm an die Zeit lautete:

Vordringen Montenegros nach Shkodra. Wien, 6. August 1912

“Baron Nopcsa, der Kenner Albaniens, unser geschätzterMitarbeiter, telegrafiert uns. Das Zusammentreffen derZusammenstöße im Gebiet der an Montenegro grenzendenAlbanerstämme Gruda, Hoti, Kastrati und Kelmendi mit denmontenegrinischen Angriffen bei Aršanica, Mojkovac undKolašin zeigt, daß Montenegro nach Shkodra vorzudringenbeabsichtigt. Der Plan dürfte infolge der Unterstützung seitensder katholischen Albaner in kürzester Zeit gelingen.

Der von Montenegro angeblich als Friedensstifter nachKolašin entsendete General Wukotitsch drängte schon während

Page 327: Nopcsa Reisen Balkan

Zwischen Balkankrieg und Weltkrieg (1912-1914)

313

des vorjährigen Aufstandes der Malessoren zu einem Vorstoßnach Shkodra. Wukotitsch ist bei den Albanern sehr populär.”

Zwei Tage später, den 9. August, erschien von mir einenlängeren Montenegrinische Intrigen betitelten Artikel.

“Montenegro agiert bereits seit mehr als fünfzehn Jahrenunter den katholischen Albanern. Daß voriges Jahre Montenegrodie rebellischen Malessoren mit Kriegsmaterial unterstützte, isteine mir von den Malessoren selbst mitgeteilte Tatsache.Besonders tätig war hierin General Wukotitsch. Daß Montenegroeine Gebietserweiterung gegen Süden anstrebt, ist ein weiteres,sogar in Diplomatenkreisen bekanntes Faktum. Früher wollte derKönig der Schwarzen Berge sein Reich bloß bis an den SuhiPotok (Proni i thatë) ausdehnen. Voriges Jahre wurde die Parole‘bis an den weißen Drin’ ausgegeben.”

Als die politische Lage bald immer komplizierter wurde,fuhr ich nach Wien und fragte den Präsidialchef Hoyos, wann ichvon Berchtold empfangen werden konnte. Hoyos sagte mir, daßer Berchtold fragen und mich hierauf von der Antwort brieflichverständigen würde. Es vergingen aber zehn Tage, und ich erhieltnoch immer keine Antwort. Infolge dieser Unart telefonierte ichan Hoyos und sagte ihm, er könne den Minister informieren, daßes mir zwar Wurst sei, ob ich den Minister sprechen könne, unddaß ich mich bloß seinethalben bereits vor zehn Tagen habeanmelden lassen, daß ich aber annehme, es könne dem Ministernicht alles eins sein, von mir informiert zu werden. Hoyos teiltewohl absichtlicherweise seinem Chef bloß den ersten Teil desTelefongespräches mit. Berchtold war gekränkt und empfingmich gar nicht.

Den Schaden hatte später freilich bloß er zu tragen. VonWien fuhr ich im Oktober zur Verlobung meines Bruders Elek

Page 328: Nopcsa Reisen Balkan

Zwischen Balkankrieg und Weltkrieg (1912-1914)

314

mit Catherine Coudequerque nach Budapest, machte dann einenkleinen Abstecher, um Mama finanzielle Ratschläge zu geben,nach Ujárad. Dann fuhr ich nach Temeswar, wo ein alterTheresianist, Generalstabshauptmann Baron F. Mirbach, inGarnison war. Lernte Mirbachs Freund, Ivo Per…eviƒ, einenenergischen, rücksichtslosen, mir sehr sympathischenGeneralstabshauptmann kennen. Dann fuhr ich wieder nachWien. Unvermutet ließ mich während der ersten Phase desBalkankrieges Generalstabschef Exzellenz Schemua zu sichbitten und seither ist er stets in guter Beziehung zu mir geblieben.Schemua war bis zu seinem Tode der einzige Mensch in höhereröffentlicher Stellung der dualistischen Monarchie, der mirgegenüber stets anständig, ehrlich und aufrichtig war, obzwar ichaus Anhänglichkeit an Conrad gerade ihm gegenüber anfangsrecht grob war. Offenbar wußte aber Schemua, was man sonst inWien nicht weiß, daß man Treue nur durch Treue erwerben underhalten könne.

Ende Oktober fand die Hochzeit meines Bruders Elek mitCatherine Coudequerque Lambrecht in Budapest statt, und beidieser Hochzeit lernte ich den berühmten MinisterpräsidentenUngarns, Graf Tisza István, kennen. Tisza ist trockene Logik,abstoßend und rauh, aber unerbittlich wie die gewissenscholastischen Logikformeln ‘Barbara, Celarent Darii’ etc., dabeiebenso streng und eindeutig. Er ist die personifizierte Logik mitallen ihren Licht- und Schattenseiten und ihrem Mangel anWärme. Dazu hat er die nötige Courage, das logisch Richtigeund, wenn nötig, mit Gewalt durchzusetzen, ferner auch dieunbewußte oder unbeabsichtigte Courage, jedem Menschen dieWahrheit zu sagen. Es ist schwer zu sagen, ich habe ihn gern,aber es gefällt mir seine Art. Er ist ein Herr. Man kann ihn nichtgerne haben, aber er gehört zu jenen, denen man gerne zugibt,daß sie recht haben, und denen man folgt.

Page 329: Nopcsa Reisen Balkan

Zwischen Balkankrieg und Weltkrieg (1912-1914)

315

Der in die Mitte November dieses Jahres fallende ersteAnnäherungsversuch Rußlands an Rumänien bereitete mir EndeOktober Anfang November nicht geringe politische Sorge, und sobeschloß ich zum Vorteil des Ungarntums in Siebenbürgen dieseFrage genauer zu studieren. Wenn ich auch bisher stets scheinbarösterreichische Politik gemacht hatte, so war dies doch nurdeshalb geschehen, weil ich in einer starken Armee und in derStärke der Monarchie die beste Gewähr für die politischeIntegrität Ungarns erblickte. Um also die rumänischenVerhältnisse durch Autopsie kennenzulernen, verbrachte ich denNovember als gewöhnlicher Hirt zuerst bei einem Schafherde inSeleuš bei Petrovo Selo, dann bei Opovo an der Donau, undschließlich kam ich über Semlin (Zemun) und Pantschowa nachTemeswar.

Die rumänischen Schafhirten, denen ich michanzuschließen beschloß, kannte ich vom Sommer vom Retezather, und sie befanden sich damals mit ihren Herden zum größtenTeil bei Alibunar und Seleuš. Ich fuhr also mit der Bahn nachAlibunar, ging auf gut Glück, mein Gepäck im Wirthaus lassend,auf die dortigen Stoppelfelder und traf dort einen Hirten. Dieser,ein Bekannter vom Sommer her, gab mir aus Freude in derFremde einen siebenbürger Bekannten getroffen zu haben, gleichunaufgefordert zu Essen, das heißt, er nötigte mich förmlichhierzu, dann sagte er mir, wo sich jene Herde befand, die ichsuchte. Ich kehrte nach Alibunar in die angegebene Richtung. Beieinbrechender Dunkelheit traf ich unterwegs einen Flurwächter,nahm diesen auf den Wagen auf, und er wies uns nun an diegewünschte Stelle. Bei der gesuchten Herde angekommen entließich Wagen und Flurwächter, zog über Nacht rumänischeBauernkleider an und sagte den übrigen Hirten, daß auch ich beiihnen als Hirt eintreten wollte, um ihr Leben im Banat, von demSie mir während meiner Gemsejagden in den Karpaten soofterzählte hatten, aus eigener Anschauung kennenzulernen. Damit

Page 330: Nopcsa Reisen Balkan

Zwischen Balkankrieg und Weltkrieg (1912-1914)

316

alles glatt ablief, hatte ich mir eine auf den Namen PeterGorlopan lautende Legitimation verschafft, die als meinen Beruf‘Hirte’ angab. Sonst hatte ich keine Papiere bei mir. Die Leutewaren mit meiner Proposition einverstanden. Den ersten Tagfragten sie noch höflich, ob ich dies oder jenes tun wolle. Nachdem Beisammensein von einigen Tagen und Nächten schicktensie mich aber genau so Maisstoppeln sammeln oder Wasserholen, als ob ich schon längst einer der ihrigen gewesen wäre.Dies verdankte ich natürlich bloß dem Umstande, daß ichrumänisch konnte und rumänische Hirtenkleider anhatte.Welchen Einfluß der Anblick einer Tracht auf einen primitivenMenschen ausübt, erkennt man daran, daß, als ich einst zweiJahre später in meinen Bauernkleidern in Malomviz (Malov|Û)mit dem westeuropäisch gekleideten Grafen Kendeffy Gaborbeisammen stand und die Leute auch von mir genau wußten, werich sei, ein Bauer mit einem 100 Kronenschein zu mir trat undmich bat, ich möge Gabor bitten, ihm dieses Geld zu wechseln,und dies alles, obzwar er Gabor eben so gut kannte wie mich undihn auch direkt hätte bitten können. Durch die kollegialeBehandlung seitens der Hirten drang ich in den Geist der Leuteschnell ein, und sie offenbarten mir ohne Scheu alle ihreGedanken. Da ich meine europäischen Kleider nach Temeswarzurückgeschickt hatte, so war ich also ganz von der Kulturabgeschnitten. Ich konnte daher nicht anders, als mich so schnellwie möglich in der neuen Lage zurechtzufinden. Freilich ist eseine alte Tatsache, daß man dann am schnellsten schwimmenlernt, wenn man plötzlich in ein tiefes Wasser fällt.

Was die äußere Form meines Lebens als Hirt anbelangt,so will ich, da ja das Wanderhirtentum in Siebenbürgenschwindet, darüber einiges berichten. Die Eigentümer der Herde,wo ich ‘diente’, waren in Pojana bei Hermannstadt zuhause. DieHerde hatte den Sommer am Retezat verbracht. Den Herbstverbrachte sie auf dem Plateau von Seleuš-Alibunar und den

Page 331: Nopcsa Reisen Balkan

Zwischen Balkankrieg und Weltkrieg (1912-1914)

317

Winter sollte sie in dem sogenannten Ungarischen Ried, in denSümpfen an der unteren Donau bei Opovo verbringen. Die Hirtenwaren Rumänen aus der Gegend von Pojana, dann Motsen, d.h.Rumänen aus den Dörfern unweit Alvincz westlich der Maros.Endlich gab es auch mehrere Flüchtlinge, Deserteure und dgl. ausdem Königreiche Rumänien. In der Frühe wurde vorTagesanbruch Polenta gekocht, dieselbe warm verzehrt, dannwartete man, bis der Tag anbrach. Dann wurden die beide bei denHerden befindlichen Esel gesattelt, das ganze Gepäck auf deneinen Esel aufgepackt, wobei sogar die drei mit einem Drahtverbunden ca. 1.5 m. langen Hölzer, die man über das Feuer stelltund an denen man den Polentakessel aufhängt, nicht vergessenwurden. Auf den zweiten Esel befestigte man die beidenWasserfässer, und dann trieb man die Herde mit dem das Gepäcktragenden Esel in ihrer Mitte auf die Weide. Den anderen Eselmußte ein Hirt täglich in das ca. 1.5 Wegstunden entfernte Seleuštreiben, um dort die Wasserfässer zu füllen, denn mit Ausnahmeder in den weitliegenden Dörfern befindlichen Brunnen gab es inder ganzen Gegend kein Wasser. Wenn das eine oder das andereMal wegen anderweitiger Arbeit der Hirten vergessen wurde, denEsel um Wasser nach Seleuš zu senden, oder der den Eseltreibende Hirt infolge des Winternebels die ihren Standort imLaufe der Stunden beträchtlich wechselnde Herde bei seinerRückkehr nicht finden konnte, denn gab es für die bei derbetreffenden Herde befindlichen Hirten auch für vierundzwanzigStunden kein warmes Essen und nur Pfützenwasser zu trinken.Mittags wurde stets nur kalte Polenta und etwas Käse gegessen.In der Fastenzeit aß man statt dessen etwas Zwiebel und Zucker.Abends gingen ein oder zwei Hirten beide Esel mit sich treibendin irgend eine flache Mulde, um dort etwas Feuermaterial, meistMaisstoppeln, zu sammeln, und dann kochten sie Polenta,während der andere Hirt später die Herde herbei trieb, die sichauch unweit des Feuers dicht gedrängt zur Ruhe legte.

Page 332: Nopcsa Reisen Balkan

Zwischen Balkankrieg und Weltkrieg (1912-1914)

318

War genug Feuerungsmaterial vorhanden, so versuchteman sich beim Abendmahl einen bulzu zu machen. Ein bulzu istein Knödel aus Polenta, das im Inneren mit Käse gefüllt wird unddas man dann in der Glut solange braten läßt, bis es sichdurchwärmt und der weich werdende Käse Fette abläßt. Derwegen seiner schwarzen Kohlenkruste auch ursu genannter bulzuist schon ‘bessere Kost’. Würde ein Hirt tagtäglich auf seinembulzu bestehen, so würde man ihn Gourmand nennen und ihmdiesen Sybaritismus übel nehmen.

Nach den Abendessen verteilen sich die Hirten um dieHerde, jeder Hirt rammt seinen Stock schräge in die Erde, hülltsich in seinen bloß umgehängten Pelz, legt sich nieder, faltet denunten liegenden Ärmel des Pelzes auf den Stock zusammen,improvisiert sich so ein Polster und schläft ungeachtet derBodenbeschaffenheit und des Wetters einige Stunden am bloßenErdboden neben der gleichfalls ruhenden Herde. Die Stille derNacht wird bloß durch vereinzeltes Blöken und Wiederkaulauteunterbrochen.

Nach dieser Rast beginnt die eigentlich unerlaubteNachtweide der Herde auf jenen besseren Weideplätzen, die mannicht gepachtet hat. Meist kommen hiebei Maisfelder in Betracht,auf denen das Maisstroh noch aufrecht steht. Natürlich muß manaber bei diesem nächtlichen Weiden, da Flurwächter in der Nähesein können, die Herde nur durch leise Pfiffe lenken. Aufverdächtige Laute und Gestalten muß man bei dieser Gelegenheitgenau Ausguck halten und jeden Augenblick gegenwärtig sein,entweder zum Knüppel zu greifen oder fliehen oder sich zuverbergen. Vor Morgengrauen treibt man, nachdem man dieganze Nacht auf den Beinen war, die Herde aus dem verbotenenGebiet heraus, hat erneut einige Stunden Schlaf und dann beginntmit dem anbrechenden Tag das nomadenhafte Wandern. Heute,wo Kulturschranken diese Wanderungen regeln, bewegen sie sichnaturgemäß mehr oder weniger auf einem bestimmten Kreise,

Page 333: Nopcsa Reisen Balkan

Zwischen Balkankrieg und Weltkrieg (1912-1914)

319

man versteht aber, daß es vor Tausenden von Jahren den Hirtenganz alles eins war, wohin sie mit ihren Herden zogen. So istzwischen Wanderhirt und Bauer ein Gegensatz zu merken, dochsind auch Zusammenhänge vorhanden.

Da alle die Häute von den getöteten Tieren aufbewahrtwerden müssen, um den Eigentümern zurückgegeben zu werden,haben die Hirten einer jeder Herde mit je einem Bauer einesNachbardorfes eine meist mündliche Vereinbarung, der zufolgeder Bauer alle Häute und sonstiges Gepäck der Hirten inAufbewahrung übernimmt. Bei diesen gazda genannten Leutenhat dann der eine oder der andere wohlhabendere Hirt auch einzweites Hemd oder eine Wollhose deponiert. DieReservefußfetzen werden jedoch nie in der Ferne deponiertsondern, um stets bei der Hand zu sein, auf dem Packeselaufgepackt, wo sie bei schönem Wetter gleichzeitig auchtrocknen. Über die Tatsache, daß jede Herde beim Überwinternauch mit Produkten der Landwirtschaft ernährt wird und so dieprimitive Viehzucht und Landwirtschaft in Mittel- undNordeuropa sich gegenseitig ergänzen, darüber bekam ich späterAufschluß.

Wie aus dieser Schilderung hervorgeht, kommt ein Hirtwährend des ganzen Winters trotz Regen und Schnee und trotzseiner schmutzigen, zerrissenen und durchnäßten Kleidern keineinziges Mal unter Dach. Dies bewirkt denn sogar, daß sichmanche Hirten des Schlafen in einem Zimmer zuweilen ganzentwöhnen. Ich kenne einen rumänischen Deserteur, JuonRoman, der jetzt schon achtzehn Jahre lang nicht zwei Nächtehintereinander in einem Haus geschlafen hat, und ichbeobachtete, da er bei einem Fischer in Opovo zu einemAbendessen geladen und zum Übernachten in der Kücheaufgefordert, daß er von letzterem regelmäßig Kopfweh bekam,weshalb er stets dann in der Nacht aus dem gastfreundlichen Haushinausschlich und sich unbemerkt in den Hof legte. Übrigens

Page 334: Nopcsa Reisen Balkan

Zwischen Balkankrieg und Weltkrieg (1912-1914)

320

konstatierte ich auch an mir selbst, als ich später mehrererMonate Hirt gewesen war, daß mich der Schlaf im Freien vielmehr erquickte als jener in einem Zimmer mit geschlossenemFenster. Man kann nicht sagen, daß dem Hirtenleben, wenn manvon dessen Entbehrungen absieht oder sich an dieselben gewöhnthat, eine gewisse Poesie - die Poesie der Sorglosigkeit, derUngebundenheit und Ruhe - fehle. Wahrscheinlich sind dieseFaktoren nicht ohne Einfluß auf die Entstehung dereigentümlichen klagenden, traurigen, gefühlvollen rumänischenHirtenlieder gewesen, die mir sehr gefallen. In seiner täglichenMonotonie ist dies Leben, da es doch Beschäftigung bietet, fürNervenkranke wärmstens zu empfehlen, und auch sonst ist es,wie der wohlgenährte Anblick aller Hirten zeigt, sehr gesund.Man führt dies auf den reichlichen Genuß roher Milch zurück.

Auch den Diebstahl armer Leute lernte ich übrigens beiSeleuš, als ich bei Nordwind in der Nacht am offenen Felde lagund fror, verstehen. Zusammen mit den Hirten stahl ich mich indas nächste Maisfeld, jeder nahm in Ermangelung von Holz einenBund Maisstroh auf den Rücken. Mit dem Stroh gingen wirhierauf zur Herde und dann legten wir uns neben den den Windabwehrenden Strohbündeln nieder. Da uns als legitimesFeuerungsmaterial nur die gefrorenen Maiswurzelstoppeln zurVerfügung standen, so kochten wir, wenn es regnete, häufig inder Frühe mit diesen Strohbündeln unsere Polenta und außerdembrieten wir darauf auch unsere Fleischstücke, die freilich außenvon den verkohlten und angeklebten Maisblättern schwarz waren,im Inneren jedoch fast roh und kalt blieben. War das Wettertrocken, so sammelten wir die Maisstoppeln, schlugen dieErdeballen von den Wurzeln und machten mit diesen Feuer. Diehalbe Nacht wurde, wie ich schon erwähnte, damit verbracht, dieHerde geräuschlos in die verbotenen Maisfelder zu treiben, wosie mehr Nahrung fand als auf den Stoppelfeldern. Auch dies wareine Art Diebstahl, für den wir, wenn man uns erwischt hätte,

Page 335: Nopcsa Reisen Balkan

Zwischen Balkankrieg und Weltkrieg (1912-1914)

321

gewiß geprügelt worden wären. Doch erhielten der Dorfrichterund der Flurwächter von uns Hirten je ein Schaf als Geschenkund deshalb konnten sie, zum Ärger der Dörfler selbst trotz allerin der Frühe sichtbaren Fährten die der nächtlichen Übergriffeschuldige Herde nie finden. Einst nach meinem Abgange ausSeleuš ermannte sich das ganze Dorf, erwischte die Übeltäter,trieb sämtliche Hirten und Schafherden ein und pfändete dieHirten. Man ersieht aus diesen Episoden, wie Leute, denen diezum Beschaffen mancher notwendigen Kleinigkeiten nötigenMittel fehlen, unbedingt zum Diebstahle getrieben werden. Eingroßer Zyniker und Menschenkenner sagte einst, es sei für einenReichen leicht, sich des Diebstahls zu enthalten. Stets werde ichmich daran erinnern, wie mich einige Hirten, als ich, zufällig überDiebstahl redend, zu erkennen gab, daß ich noch nie gestohlenhatte, anstarrten und fragten, ob ich wirklich noch nie gestohlenhätte. Da jeder Hirt zum Diebstahl genötigt ist und das Stehlennicht als entehrend betrachtet, konnte man dies nicht begreifen.Seither bin freilich auch ich mit dem erwähnten allerdings geheimgebliebenen Strohdiebstahl belastet. Ebensowenig wieHolzdiebstahl gilt es übrigens bei Schäfern als Schlechtigkeit ausHerdenbeständen von 1000 und mehr Schafen sich von einerNachbarherde ein Schaf zu holen und es zu schlachten und zubraten. Man riskiert dabei halb tot geschlagen zu werden. DerSchaden, den man anrichtet, ist relativ klein, der eigene Nutzenaber dadurch, daß man sich satt ißt, ist wirklich groß. Bei denHirten von Seleuš blieb ich vierzehn Tage, dann mietete ichzusammen mit einem anderen Hirten, der auch nach Opovowollte, einen Bauerwagen, und wir fuhren bei so elendem Wetter,daß mein Schafpelz innen und außen naß wurde, nach Opovo, umeinige Zeit bei Juon Roman seiner Herde resp. genauer bei jenerHerde, wo Juon Roman erster Schäfer war, zu verweilen.

Der Zufall wollte es, daß in Opovo in dem besserenZimmer des kleinen, grün angestrichenen Wirtshauses, in dessen

Page 336: Nopcsa Reisen Balkan

Zwischen Balkankrieg und Weltkrieg (1912-1914)

322

Ausschank ich am Boden liegend übernachtete, eben währendmeiner Anwesenheit eine nächtliche hochverräterischengroßserbischen Plänen dienende Versammlung stattfand. Dererste Punkt der Versammlung betraf nun zufällig die Frage, obder in der Schänke liegende fremde Mensch, womit natürlich ichgemeint war, tatsächlich ein Hirt oder nicht jemand sei, der alsunerwünschter Zeuge beseitigt werden müsse. Da sich an derVersammlung auch der Notar und andere Notabilitäten vonOpovo beteiligten, so wäre es ihnen leicht geworden, meinVerschwinden vor den Behörden zu verdecken. Man begreiftdaher, daß ich zwar Schlafen markierte, meineneisenbeschlagenen Hartriegelstock, eine nebenbei bemerktlebensgefährliche Waffe, aber umso fester packte. Wenn manmich schon erstechen wollte, so wollte ich mein Lebenwenigstens so teuer wie möglich verkaufen. Die Hunnen hatteneine Sage, daß einem die erschlagenen Feinde im jenseitigenLeben als Sklaven zu dienen hatten. Die Sage gefällt mir, undeinen Sklaven wollte ich nur sichern. Neben der Gefahr einesÜberfalles lag allerdings auch die Gefahr nahe, vom Notarverhaftet zu werden und dann auf sein Geheiß im Gemeindekotterzu verschwinden. Glücklicherweise zogen alles diese Gefahren,als sich die Versammlung dafür aussprach, daß ich doch nur eindummer Hirt sei, harmlos vorüber. Als Entgelt für diese pikanteEinleitung hörte ich einige politisch recht interessante Sachen.

Von Opovo gelangte ich in das damals von einer kleinenungarischen Kolonie bewohnte Ungarische Ried, wo ich JuonRoman antraf. Da ein Jahr nach meinem letzten Besuche das demÄrar gehörende Ried seinen ungarischen Pächter gewechselt hatteund ein Serbe an seine Stelle kam, begann dieser die aus ca.fünfzehn Häusern bestehende ungarische Kolonie durchSchikanen zu vertreiben, was ihm vollkommen gelang, und sokonnte ich den an einem kleinen Beispiele erkennen, wie dasu n g a r i s c h e E l e m e n t i m g e m i s c h t e n

Page 337: Nopcsa Reisen Balkan

Zwischen Balkankrieg und Weltkrieg (1912-1914)

323

serbisch-ungarisch-rumänischen Gebiet sogar auf ärarischemBoden verschwinde. Den Serben war keine Angelegenheit zugeringfügig, um nicht mit Aufmerksamkeit verfolgt zu werden,und dieser Detailarbeit hatten sie endlich alles das zu verdanken,was von seiten der Monarchie endlich nur um den Preis einesgroßen Krieges verdorben werden konnte.

Ich blieb mehrere Tage bei Juon Roman und übersetzte ineinem Nachen auch zweimal die Donau, um ihm natürlich nur alssein Handlanger beim Mehleinkaufen in der Dampfmühle vonBanavitza behilflich zu sein, den Sack zu tragen u. dgl. Alleshatten wir deshalb verabredet, weil ich in Banavitza nicht erkanntwerden wollte, und alles verlief programmgemäß. Ich wurdesogar von Juon, dem es auch ein Vergnügen machte, die Müllerzum Besten zu halten, weil ich ungeschickt war, programmgemäßbeschimpft u.s.w., worüber wir dann in das Ried zurückgekehrtherzlich lachten.

In Opovo war das Leben anderes als in Seleuš. DieWeideplätze waren besser, es gab nämlich Gras und Schilf, fernerWeidenbäume, daher auch Brennmaterial und Hüttenbaumaterial.Roman hatte sich daher aus Ästen und verfaultem Stroh eineHütte von ca. 70 cm. Höhe und mehr als 2 m. Breite gebaut undfast wasserdicht zugedeckt, worauf ich den Bau vollendete. DieHerde brauchte bei Opovo weniger nach Futter herum zu streifenals in Seleuš. Eine Nachtweide war überflüssig, und so nahm dasLeben auf jede Weise einen zivilisierteren Verlauf. Ja man konntein der Hütte sogar abendlich seine tagsüber infolge der Sümpfefreilich stets nassen Fußlappen trocknen, was bei Seleuš, da dasFeuer dort kaum zum Kochen genug war, nicht anging. BeiSeleuš mußte man mit dem Trocknen auf einen der im Winterseltenen schönen sonnigen Tage warten. Abgesehen von allendiesen Kommoditäten gab es im Ried die bereits erwähnteungarische Kolonie. Es gab auf höchstens eine halbe Stunde vomWeidegebiet entfernt sogar einen Wirt. Man konnte sich daher

Page 338: Nopcsa Reisen Balkan

Zwischen Balkankrieg und Weltkrieg (1912-1914)

324

kleine Einkäufe erlauben, und zu all dem kam noch, daß der eineKolonist, Jóska mit Namen und Herr eines Wagens und zweierPferde, der außerdem ein geschickter Fischer war, Roman schonvor Jahren lieb gewonnen hatte und ihn und später auch michöfter zum Abendessen einlud. Es gab dann Halaszlé oder, wennRoman ein krankes Schaf abgeschlachtete, Gulasch. Da in derHerde viele Fälle von Drehkrankheit vorkamen, so war letzteresnicht eben selten und, obzwar sich nun ein besonders geschickterHund manches Fleischstück zu erbeuten wußte, blieb doch auchfür uns einiges übrig. Wenn wir bei Jóska zu Gast waren, soschlief die Herde in der Nähe von Jóskas Haus, und bloß einSchäfer, Juon Dersan, blieb bei ihr. An Juon war dem Jóskadessen traurige, bescheidene, ruhige Art sympathisch. Er wußte,daß Juon seit achtzehn Jahren von seinen in Rumänien lebendenEltern keine Nachricht hatte.

Juon war übrigens recht feinfühlig (ruÕinos). Er schämtesich oft von Jóskas Einladung Gebrauch zu machen, weil erschmutzige Kleider hatte oder weil er Jóskas Einladungen nichterwidern konnte u.s.w. Dieses Schamgefühl Herren gegenüberfand ich übrigens bei rumänischen Analphabeten relativ häufig.In gewisser Hinsicht war Roman ein ‘Herr’, denn ein Herr ist inseinen Augen nur jener, der keine solche Handlung begeht, vorder er sich, wenn er allein ist, zu schämen braucht. Die Qualitätder Handlung fällt weniger ins Gewicht. ‘Herren’ in diesem Sinnegibt es aber auf der Welt nur sehr wenige. An mir hatte dem Jóskagefallen, daß ich, obzwar scheinbar rumänischer Bauer, dochetwas ungarisch reden konnte, was ich während meinerMilitärdienstzeit bei den Husaren erlernt zu haben vorgab.

Wie man sieht, hängt das winterliche Stadium desHirtenlebens mit dem Ackerbau zusammen. Es läßt sich miteinem gewissen Seßhaftwerden vergleichen. Wäre Roman nichtHirt sondern Eigentümer der Herde gewesen, so hätte er hierdurch Heirat etwa mit Jóskas Tochter leicht bei Opovo festen Fuß

Page 339: Nopcsa Reisen Balkan

Zwischen Balkankrieg und Weltkrieg (1912-1914)

325

fassen können. Ein ähnliches Seßhaftwerden der Hirten imWinterquartiere kann man übrigens auch bei den Kelmendi inAlbanien in Bregumatja bemerken. Ich habe dies in meinemBuche Aus Šala und Klementi erörtert. Auch die BesiedlungSiebenbürgens durch die Rumänen läßt sich auf diese Weiseerklären, und zwar dadurch, daß die über Sommer aus derrumänischen Tiefebene auf die Karpaten ziehenden Hirten ihreWinterquartiere vom Südhang allmählich in die näher gelegenenTäler des politisch ruhigeren Nordhanges verlegten. Derumgekehrte Vorgang nämlich eine Besiedlung Rumäniens ausSiebenbürgen scheint hingegen wegen der unruhigen politischenVerhältnisse an der Donau kaum annehmbar.

Jóska war übrigens der typischste Vertreter des Ungarn:stolz, unternehmungslustig, fröhlich, aufbrausend, stützig,schneidig, dabei ein gutes Herz, gastfreundlich aber befehlend.Ähnliche Charakterzüge habe ich später bei ungarischen Bauernbei Szegedin und Kecskemét gefunden, wenn es mir gelungenwar, jene Scheidewand zu übertreten, die zwischen einemReichen und einem Armen besteht. Jóska fand die Rumänen alleeher dumm und langsam, und dieses sein Urteil deckt sich mitdem der gebildeten Ungarn in Siebenbürgen. Ich finde dieungebildeten Rumänen gut. Infolge ihrer Langsamkeit undUnentschlossenheit scheinen sie aber oft dumm. Diebstahl gilt inSiebenbürgen wenig, in Rumänien dagegen als ein Zeichen vonVerstand. Allgemein sind die SiebenbürgerrumänischenAnalphabeten nicht mehr unsympathisch. Anderen Charakterssind die sogenannten zivilisierten Rumänen. Diese sind in ihrerFalschheit und ihrem Großwahn ausgesprochen antipathisch.Feigheit ist den meisten gemeinsam. Auch bei den Rumänen istwohl auch zum Teil die Halbkultur an diesem Charakterwechselschuld.

Als ich zu Roman ins Ried gekommen war, hatte ich bloß10 K. in der Tasche, was zwar für einen Hirten mit 100 K.

Page 340: Nopcsa Reisen Balkan

Zwischen Balkankrieg und Weltkrieg (1912-1914)

326

Jahresgehalt relativ viel war, was im Ried aber wegen des Brotund Grünzeug und Schnaps liefernden Wirtshauses bald ausgingund, da ich nun in Semlin im Wege einer auf den Namen PeterGorlopan lautenden Postanweisung etwas Geld zu erhalten hoffte,so sammelten ich und ein anderer Hirte, Nikolaj Zsavla, unsereletzten Kreuzer. Wir mieteten einen Wagen und fuhren nachSemlin. Groß war unsere Enttäuschung, als der Hirt PeterGorlopan auf Postamt ging, sich dort legitimierte und erfuhr, daßfür ihn kein Geld da war. Wie sich später herausstellte, war derBrief, in dem ich um Geld geschrieben hatte, in Verlust geraten.Da saßen wir nun zu zweit bei Regen in einer fremden Stadt mit20 Kreuzer in der Tasche. Auch um nach Pantschowa zukommen, wo ich Bekannte hatte, brauchte einer von unswenigstens 30 Kreuzer, um den Dampfer zu bezahlen. Außer derReise nach Pantschowa wollten wir nun aber auch noch etwasessen und, um nicht im Kot auf der gepflasterten Straße schlafenzu müssen, wo uns noch die Polizei aufgegriffen hätte, hätten wirnoch einige Kreuzer einem Wirten zahlen wollen, damit er uns inseiner Schänke schlafen lasse. Man sieht, mit den 20 Kreuzer ließsich nicht viel machen. Die Tatsache, daß ich nur eine auf denNamen Peter Gorlopan lautende Legitimation in der Tasche hatteund diese mich zum Hirten stempelte, besiegelte unsere Lage,denn ich durfte, wollte ich mich nicht langen Erklärungen bei denBehörden aussetzen, nicht einmal verraten, daß ich nicht der HirtPeter Gorlopan sei. Mein und Zsavlas Essen bestand mittagsnatürlich aus Brot und Wasser und, als es zum Zahlen kam,sagten wir dem Wirten, daß wir zusammen nur 10 Kreuzer hatten,aber doch bereit wären, unser Brot zu bezahlen. Statt uns dieletzten 10 Kreuzer abzunehmen, erließ uns der Wirt unsereSchuld. Vom Wirtshaus gingen wir zur Gendarmerie undtrachteten von dieser als angeblich gerichtlich nach Pantschowavorgeladene Leute dorthin abgeschoben zu werden. Dies hatteaber, da wir keine Vorladung hatten, nach vielstündigen Bitten

Page 341: Nopcsa Reisen Balkan

Zwischen Balkankrieg und Weltkrieg (1912-1914)

327

und Warten keinen Erfolg. Da man uns bei der Gendarmerieg e s a g t h a t t e , d a ß d e r D i r e k t o r d e rDonaudampfschiffahrtgesellschaft in Semlin Rumäne sei und sichseiner Landsleute annähme, baten wir diesen, da wir als Zeugenzu einem Prozeß nach Pantschowa müßten, uns Freikarten zugewähren. Statt der Freikarten gab uns seine Frau 10 Kreuzer. Sohatten wir 30 Kreuzer in der Tasche und mit einem Teil konntenwir nun auf Kosten unseres Nachtmahls unser Übernachtensichern. In der Frühe wollte ich nach Pantschowa schreiben.Zuerst gingen wir aber, einem raffinierten Plane folgend, zuunserem Wirte von gestern Mittag und wollten ihm, da wir jetzt,wie wir sagten, etwas Geld geschenkt bekommen hätten, unseregestrige Schuld bezahlen. Die rührte den Wirt dermaßen, daß eruns noch 10 Kreuzer schenkte, und ich auf diese Weise wiederdie nötigen 30 Kreuzer beisammen hatte, um III. Klasse nachPantschowa zu fahren, was ich auch tat. Nachdem ich auf dieseWeise in Semlin vierundzwanzig Stunden unfreiwillig als Bettlergelebt und auch diesbezüglich Erfahrungen gemacht hatte, konnteich in Pantschowa alles ordnen. Zsavla blieb, von mir Gelderwartend, ohne Geld in Semlin, traf aber bald zu meinerÜberraschung auch in Pantschowa ein. In Semlin hatte er zufälligeinen ihm bekannten wohlhabenden serbischen Bauern getroffen,welcher ihm mit 10 Kr. über seine momentanenGeldschwierigkeit hinweg half. Da ich nicht lange in Pantschowableiben wollte, erhielt, sowie ich zu Geld kam, Zsavla von mirGeld, um in Semlin alles ins Reine zu bringen, außerdem einTrinkgeld dafür, daß er mich in Semlin nicht verraten hatte.Endlich wurde ihm der Auftrag zuteil, im Frühjahr ein Lamm zukaufen und dieses zur Rehabilitierung der Ehre aller Schafhirtenjenem Semliner Wirte zu schenken, der uns geholfen hatte.Zsavla tat, wie ihm geheißen, und der Wirt konstatierte:“Wohltun bringt tausendfache Zinsen.”

Page 342: Nopcsa Reisen Balkan

Zwischen Balkankrieg und Weltkrieg (1912-1914)

328

Mein Eintreffen in Temeswar gab infolge des Plaudernseines Gendarmen zu dem Gerücht Anlaß, daß bei Petrovo Seloein als rumänischer Schafhirt verkleideter serbischerGeneralstabsoffizier gefangen genommen und nach Temeswareingeliefert worden wäre. Das Gerücht fand seinen Weg in dieTemeswarer, dann in die ungarische, und dann auch in dieWiener Presse, und das Kriegsministerium fragte darauf inTemeswar an, was die Sache bedeute. Abgesehen von dernächtlichen Versammlung hatte ich serbische Propaganda auch inSemlin und anderen Orten beobachten können, und dies sollte inSemlin nicht ohne Folgen bleiben. Die großserbische Bewegungwar nämlich von den k.u.k. Militärbehörden nach Wien schongemeldet, von den ungarischen Zivilbehörden aber bishergeleugnet worden.

Von Temeswar kam ich nach Budapest und, da michBerchtold im Sommer dieses Jahres nicht hatte empfangenwollen, ließ ich mich, sowie ich nach Budapest gelangte,dementsprechend bei Berchtold überhaupt nicht anmelden,sondern ging acht Uhr früh ins Hotel Bristol, wo ich den wegender eben in Budapest tagenden Delegationen dort befindlichenKriegsminister Auffenberg beim Frühstück antraf. Ich sagte ihm,daß ich aus dem Banat komme und dringend mit ihm zu sprechenhätte. Auffenberg bat mich, ihn um zwölf Uhr in der Delegationaufzusuchen. Ich tat dies, erzählte ihm alles im BanatBeobachtete, und er meinte nun, ich sollte es Berchtold berichten.Ich sagte ihm, ich hielt es zwar für Berchtolds Pflicht, mich zuempfangen, da er dies aber nicht tue, könne ich nichts machen.Auffenberg sagte mir, er würde alles arrangieren. Dann ging ichins Nemzeti Casino. Einen größeren Kontrast als zwischenmeinem jetzigen Leben und dem vor vier Tagen konnte man sichnicht denken. Vor vier Tagen noch schmutzig und ungewaschenals Bettler der niedrigsten Volksklasse angehörend und genötigtim freien Feld zu schlafen, und heute in dem elegantesten und

Page 343: Nopcsa Reisen Balkan

Zwischen Balkankrieg und Weltkrieg (1912-1914)

329

exklusivsten Club Ungarns, wo große Politik gemacht undKartenpartien um Millionen gespielt wurden. Freilich halte ichAnpassungsfähigkeit für das Endziel jeder Zivilisation, dennwenn ein plötzlich unter Wilde versetzter Kulturmensch sich dortverloren fühlt, so ist er meiner Ansicht nach ebenso wenigzivilisiert, wie ein Wilder, der sich plötzlich in einemKulturmilieu nicht auskennt. Schließlich und endlich soll alleunsere Kultur und Zivilisation doch nur darauf hinauslaufen, unsden Kampf ums Dasein zu erleichtern und uns für diesen Kampffähig zu machen, was alles nur durch Anpassungsfähigkeit erzieltwird.

Im Club begegnete ich zufällig Grafen Hoyos, und diesersagte mir, ich würde wohl einsehen, daß mich Berchtold nachunserem letzten Telefongespräch nicht empfangen könnte. Ichsagte Hoyos, dies sei nicht der Rede wert, er solle sich mit dieserSache nicht weiter abgeben, alles sei schon geordnet. Abendsfand ich im Hotel Hungaria einen Brief von eben demselbenHoyos vor, in dem er mir bekannt gab, daß mich Berchtold fürden folgenden Tag um neun Uhr früh in der Ofener Königsburgerwartete. Für Hoyos war Berchtold seine Aufforderung, diesenBrief zu schreiben, jedenfalls eine Überraschung.

Berchtold empfang mich sauersüß und sagte, es täte ihmleid, daß er mich das vorige Mal nicht hatte empfangen können,doch sollte ich telefoniert haben, daß es mir Wurst sei, ob ich ihmspreche. Offenbar hoffte Berchtold, ich würde dies leugnen, undso wäre eine Aussöhnung recht leicht zu Wege gekommen. Großwar seine Enttäuschung, als ich ihm statt des Erwarteten ungefährfolgendes sagte: “Diese Nachricht entspricht vollkommen derWahrheit. Ich habe wirklich gesagt, daß es mir Wurst sei, ob ichSie sehe, doch habe ich in demselben Telefongespräch mit Hoyosauch hinzugefügt, daß ich wohl wisse, daß es Eurer Exzellenznicht Wurst ist, von mir informiert zu werden, und eben deshalbließ ich mich bei Eurer Exzellenz anmelden.” Berchtold war

Page 344: Nopcsa Reisen Balkan

Zwischen Balkankrieg und Weltkrieg (1912-1914)

330

perplex aber er antwortete nicht ohne Geschick: “Na ja, beitelefonischen Gesprächen entstehen immer Mißverständnisse.”Ich sekundierte ihm kräftig mit der Bemerkung: “Freilich, dasTelefon ist an allem allein Schuld.” Der gesuchte Sündenbockgefunden, der formelle Teil unseres Gespräches war erledigt, unddie Aussöhnung herbeigeführt. Diese ganze Geschichte gleichtder Anekdote von jenem Juden, der seine Frau an Ehebruchertappend sich nicht gegen den Liebhaber wendet sondern dasschuldtragende Kanapee aus seine Wohnung hinauswirft.

Einige Minuten nach dieser Einleitung zu unsererKonversation erschien Auffenberg, und dann begann dersachliche Teil der 3/4 Stunden dauernden Konferenz, die ich mitfolgender an Berchtold gerichteten Frage einleitete: “Exzellenz!Als ich Ihnen im Frühjahr sagte, daß Sie noch heuer dieAutonomie Albaniens proklamieren würden, wollten Sie mirnicht glauben. Nun, sagen Sie mir, wer hat recht behalten, Sieoder ich?” In Auffenbergs Gegenwart, oder genauer gesagt,wegen Auffenbergs Gegenwart mußte Berchtold “Sie, Baron”antworten. Sein Rückgrat damit gebrochen, konnte ich in derfolgenden Unterredung die Oberhand behalten. Ich erzähltebeiden Herren, was ich an großserbischer Agitation in Südungarnbeobachtet hatte, kam dann auf die Rumänenfrage zu sprechen,und meinte, man sollte den Rumänen Bessarabien und dieTimokecke versprechen und tatsächlich geben, um Rumänien auflange Zeit hinaus mit den Slawen zu verfeinden, und sogewaltsam an den Dreibund zu ketten. “Exzellenz,” sagte ich,“Ich fürchte, Rumänien schwenkt ab. Gehen Sie mit Rumäniendurch dick und dünn.” Berchtold und Auffenberg schickten michzu Exzellenz Lukács, dem ungarischen Ministerpräsidenten,einen wenig einnehmenden Menschen armenischer Abstammung.Diesen machte ich gleichfalls aufmerksam, daß man im Banateam Vorabend einer Revolution stünde, schilderte dann dieschlechten dortigen Bahnverbindungen und die Qualität der

Page 345: Nopcsa Reisen Balkan

Zwischen Balkankrieg und Weltkrieg (1912-1914)

331

Bahnen. Dann kam ich auf die Zivilbehörden und dieGendarmerie zu sprechen. Im Laufe des Gespräches ergab sichhierbei folgendes. Ich: “Exzellenz, die Gendarmerie funktioniertim Banat auch nicht.” Er: “So eine schwere Anklage darf manohne Beweise nicht vorbringen.” Ich: “Der Beweis besteht darin,daß ich in diesem gefährlichen Gebiete als Schafhirt verkleidetvierzehn Tage lang herumstreifen konnte, und weder arretiertnoch aufgefordert wurde, mich zu legitimieren. Was mir, einemFremden, gelang, kann jedem serbischen Agitatoren noch leichtergelingen.” Lukács schwieg. Dann gab es im Banat ein großesHallo und Gegenmaßregeln, die sich in der Form einerGendarmeriekonzentrierung kundgaben.

Den Dezember des Jahres 1912 verbrachte ich zum Teilin Wien, doch fuhr ich von hier, der Einladung einer katholischenStudentenvereinigung Folge leistend, für einen Vortragallgemeinen Inhaltes über Albanien auch nach Bonn, woselbst ichauch den Geologie- und Paläontologieprofessor Steinmannkennenlernte. Man kann sich mein Erstaunen vorstellen, als ermeine Aufmerksamkeit darauf lenkte, daß einige Vögel einenkompletten oberen Jochbogen haben, und mir dies amAuerhahnskelett demonstrierte. Seither fand sich diese Jochbogenauch an verschiedenen anderen Vögeln, so z. B. dem Truthahnwieder, war aber bisher von allen Zoologen konstant übersehenworden. In allen zoologischen Lehrbüchern ist heute noch zulesen, daß bei Vögeln nur ein Jochbogen und zwar der unterevorkommt. Für die Verwandtschaft der Vögel und Dinosaurier istdies natürlich von eminenter Bedeutung. Im Übrigen hatte ich mitProfessor Steinmann eine angeregte Konversation über seine‘verrückte’ Deszendenzhypothese, die das, was wir heuteWirbeltierklassen nennen, nur als Entwicklungsstufen und das,was wir sonst heute als Konvergenzerscheinungen betrachten, alskonstante Entwicklungsreihe verschiedener Tiergruppen ansieht.Nach Steinmann repräsentieren also die Gruppen

Page 346: Nopcsa Reisen Balkan

Zwischen Balkankrieg und Weltkrieg (1912-1914)

332

Fisch-Ichthyosaurier-Delphin eine Ahnenreihe und nicht paralleleEntwicklungstypen.

Ende Dezember erging an mich, während ich in Wienwar, von der Urania die Aufforderung für ihre Zeitschrift, dievom 1. Jänner an in erneuerter Form erscheinen sollte, einenArtikel über Albanien zu schreiben. Ich kam der Aufforderungnach, und so entstand der Artikel Die Albaner. Der erste Teilbehandelte den Ursprung dieses Volkes, der zweite Teil seinePsyche. Diesen zweiten Teil schrieb ich hauptsächlich, umBerchtold diesbezüglich zu orientieren, und sandte ihmdementsprechend eine Kopie.

Bis 6. Jänner 1913 war ich in Wien, dann fuhr ich, da mirdie siebenbürgische Rumänenfrage Sorge machte, bis zum 22.Jänner nach Schäßburg. Die dortigen Rumänen sagten mir offen,daß sie mit einer Revolution gegen die Ungarn nur bis zum TodeKaiser Franz Josefs warten wollten, denn sie meinten, wennFranz Ferdinand auf den Thron komme, hätten sie die Armeenicht mehr zu fürchten, denn Franz Ferdinand sei ein guterFreund der Rumänen und Aurel Vlads. Nach Wien zurückgekehrterzählte ich dies Exzellenz Conrad. Eine Vorliebe für dieRumänen hatte der Erzherzog schon vor Jahren offen an den Taggelegt denn, als er nach Rumänien fuhr, ließ er sich an der Grenzedemonstrativ empfangen. Mit Popovits, dem Verfasser desBuches die Vereinigten Staaten Groß-Österreichs stand er aufgutem Fuße, und endlich hatte auf sein Betreiben hin derseinerzeitige ungarische Minister des Inneren Kristoffy dieRumänen Siebenbürgens gegen ungarische Oppositionmobilisieren müssen. Wie sehr die Rumänen damals im Frühjahr1905 aufgewiegelt worden waren, geht daraus hervor, daß michim Sommer desselben Jahres ein rumänischer Bauer fragte, wiesoes komme, daß die Ungarn Siebenbürgens im Frühjahre nichterschlagen worden wären, obzwar der Pope seines Dorfes diesbereits in Aussicht gestellt hatte. Bei einem Oberstuhlrichter

Page 347: Nopcsa Reisen Balkan

Zwischen Balkankrieg und Weltkrieg (1912-1914)

333

erblickte ich ferner eine von Kristoffy stammende Depeschedesselben Frühjahres, die anordnete, daß, um die ungarischeoppositionelle Partei zu erschrecken, sogar aus solchen GebietenRumäniens Unruhen zu melden wären, wo keine existierten.

Ein großes Ereignis des Jahre 1913 war ConradsRehabilitierung, und bei dieser Gelegenheit konnte ichkonstatieren, wie zuweilen Leute, von denen man es gar nichterwarten sollte, über ganz geheime politische Vorgängeauffallend gut informiert sind. Eines schönen Tages war um zweiUhr ganz unvermutet die entscheidende Audienz in Schönbrunn,bei der Conrads Rehabilitierung und Schemuas Entlassungbeschlossen wurden. Um sechs Uhr erfuhr ich es, als großesGeheimnis im Präsidialbüro des Kriegsministeriums, und um halbacht abends erzählte es aber schon der Zahlkellner des HotelKrantz meinem Sekretär Bajazid und wiederholte es dann mir umneun Uhr. Um elf Uhr nachts fragte die Redaktion der Zeit beimir telefonisch an, ob ich etwas über das Gerücht wisse. ZwölfUhr nachts traf ich Bajazid, der es mir als ihm vom Zahlkellnerdes Hotel Krantz mitgeteilte Nachricht meldete. In der Nachtwurde es offiziell verlautbart, und in der Frühe war es in allenBlättern zu lesen. Woher es der genannte Zahlkellner erfahrenhatte, ist mir heute noch unklar. Bei dieser Gelegenheit wurdenauch Exzellenz Krobatin zum Kriegsminister ernannt. Krobatinkannte ich seit Jänner 1908. Seine Wahl war, da unsere Artilleriedadurch gehoben wurde, ein Glück für die Monarchie.

Eine andere Sache, die mich Anfang 1913 beschäftigte,war die Gründung des Albanienkomitees. Schon im Jänner hattesich unter dem Vorsitze des Universitätsprofessors Oberhummer,eines echten rechten Herrn ‘Adabei’ (ließ ‘auch dabei’) einKomitee gebildet, um Herrn Sieberts einen Vortrag über Albanienzu ermöglichen. Das Einkommen dieses Vortrages solltezugunsten des österreichischen Spitals in Shkodra verwendetwerden. Als man mich nun zu einer Sitzung dieses Komitees

Page 348: Nopcsa Reisen Balkan

Zwischen Balkankrieg und Weltkrieg (1912-1914)

334

einlud, proponierte ich, dieses Komitee solle sich nach Siebertsseinem Vortrage nicht auflösen, sondern in ein permanentesAgitationskomitee umwandeln. Da auch andere Herren genaudasselbe hatten proponieren wollen, und ich ihnen bloßzuvorgekommen war, fand der Gedanke Anklang. Es wurdeinfolgedessen eigens eine Versammlung zur Besprechung dieserProposition einberufen, und unter Oberhummers Ägidekonstituierte sich ein engeres Komitee, das sofort mit Chlumeckyjunior in Berührung trat und dann mich, Herrn Stein undChlumecky mit der Ausarbeitung der nötigen Statuten betraute.Genannte beiden Herren beauftragten wieder mich mit demEntwerfen der Statuten, und so entstand ein Elaborat, in dem icheinen Verein ins Leben zu rufen trachtete, der aus mehreren voneinander unabhängigen politischen, halbpolitischen und nichtpolitischen unter einem Namen vereinten Sektionen bestehensollte, was deshalb geschah, damit in gewisse Sektionen auchMilitärs und Staatsbeamte eintreten könnten. Jede Sektion sollteihre eigenen Mitglieder und Organe haben, und derVereinspräsident wäre bloß ein Ornament gewesen, das dazugedient hätte, den Verein nötigenfalls als Einheit erscheinen zulassen. Dieses Programm legten ich, Stein und Chlumecky denübrigen Herren vor. Es wurde aber prinzipiell verworfen, undman beauftragte uns drei, neue Statuten zu entwerfen. Nachmannigfaltigen Beratungen, an denen wieder hauptsächlichChlumecky, Stein und ich beteiligt waren, kamen jene Statutenzustande, die das Albanienkomitee von 1913 aufwies. Über dieWirksamkeit des Albanienkomitees weiß ich nichts zu berichten,denn der Zufall wollte es, daß die von mir durchgearbeitetenStatuten gerade an jenem Tage von der k.u.k.niederösterreichischen Statthalterei gutgeheißen wurden, an demdurch den Beschluß der Londoner Botschafterreunion festgestelltwurde, daß Gucinje, Peja, Gjakova, Prizren und Dibra zu Serbienund Montenegro zu gehören hätten, weshalb ich mich dann von

Page 349: Nopcsa Reisen Balkan

Zwischen Balkankrieg und Weltkrieg (1912-1914)

335

jeder weiteren Albanien betreffenden Aktion zurückzog. MeinenAustritt aus dem Albanienkomitee genannten Verein zeigte ichmit der Bemerkung, daß ich eine weitere Agitation in Albanienfür mit der Sicherheit der Monarchie unvereinbar halte. Durchdiesen Entschluß machte ich mit einem Federzug meiner ganzenTätigkeit von 1905-1913 als unzeitgemäß ein Ende.

Noch vor diesem Rücktritte war ich vom 27. Februar bis6. März beim Albaner-Kongreß in Triest gewesen. DieserAlbanerkongreß war eine merkwürdige Sache. Im Frühjahr 1913war der albanische Thron noch vakant, und die Leitung deralbanischen Angelegenheiten lag in den Händen Ismail Qemalis,der zuerst in Budapest bei Exzellenz Hadik Janos mit Berchtoldzusammen gekommen und dann im Auftrage und mit derUnterstützung Berchtolds nach Vlora gefahren war, wo er zuerstdie Provisorische Regierung des neugegründeten Albaniens insLeben gerufen hatte, hierauf aber als langjähriger FreundGriechenlands und als dessen bezahlter Agent diesem, für denFall, daß er Chef Albaniens bleiben würde, die Einnahme Janinaszu erleichtern versprochen hatte. Daß Ismail Qemali Chef einerprovisorischen Regierung bleiben wollte, schien, da so etwas oftviel Geld einbringt, selbstverständlich. Wenigerselbstverständlich war aber, daß sich Berchtold, wie aus seinemTête-à-tête mit Ismail Qemali ersichtlich, die Fähigkeit zugetrauthatte, Ismail Qemali zu überlisten. Natürlich ist ihm dies auchmißlungen. Daß Ismail Qemali Albanien an Griechenlandverraten würde, konnte ich, da mir Stead einiges im Jahre 1911über das Verhältnis Ismail Qemalis zu Griechenland und jenerSchriftsteller Ular, der zusammen mit Insabato das Buch der

Page 350: Nopcsa Reisen Balkan

Zwischen Balkankrieg und Weltkrieg (1912-1914)

73 Alexander Ular & Enrico Insabato: Der erlöschendeHalbmond. Türkische Enthüllungen (Literarische Anstalt, Frankfurt1909).

74 Ferdinand François Bourbon Orléans-Montpensier.

336

‘Erlöschende Halbmond’73 geschrieben hatte, einiges über IsmailsBenehmen als Gouverneur von Tripolis erzählt hatten, leichtvoraussehen. Auf Berchtolds Frage, was ich von Ismail Qemalihalte, sagte ich ihm übrigens schon zwei Wochen, nachdemIsmail die Provisorische Regierung gegründet hatte, Wort fürWort, “Ismail Qemali ist ein Schwein.” Der Verrat IsmailQemalis an Albanien wurde mir später von Eqrem Bey Vlora, derder Sohn des albanischen Gesandten in Wien, Sureja Bey, undNeffe Ismail Qemalis war, voll inhaltlich bestätigt. Ob man inGriechenland Ismail Qemali gegenüber nach der BesetzungJaninas nach dem Rezept handeln wollte, ‘Der Mohr hat seineSchuldigkeit getan; der Mohr kann gehen’, was mirwahrscheinlich erscheint, oder nicht, kann ich nicht entscheiden.Auf jeden Fall wurde aber, während der freilich nur mit großenSummen bestechliche Ismail Qemali in Vlora Chef deralbanischen Provisorischen Regierung war, in Europa heftig fürdie verschiedenen albanischen Thronkandidaten agitiert.

Albert Ghika, der früher selbst albanischerThronprätendent gewesen war, hatte es zu Wege gebracht, denHerzog von Montpensier74 für die Krone Albaniens zuinteressieren. Er trat ihm seine bisherigen, freilich vonniemandem anerkannten ‘Rechte’ ab und gegen eineentsprechende Renumeration agitierte er für diesen Herzog. Sehrleicht wurden für Montpensier der geizige Fazil Pascha Toptaniund einige andere Albaner gewonnen, und so entstand denn derPlan, Montpensier durch einen Albanerkongreß zum Herrscher

Page 351: Nopcsa Reisen Balkan

Zwischen Balkankrieg und Weltkrieg (1912-1914)

337

Albaniens ausrufen zu lassen. Inzwischen sollte Montpensierselbst die griechische Blockade brechen und sich in den BesitzVloras und Ismail Qemalis setzen. Da man wegen MontpensiersVerwandtschaft den Widerstand der Monarchie fürchtete, sozeigte es sich als angezeigt, wenn der zu berufendeAlbanerkongreß von Österreich-Ungarn gefördert würde, unddeshalb beschloß man, um ein schönes diplomatischesKuckucksei zu legen, ihn in der Monarchie abzuhalten. AlsStrohmann zum Berufen dieses Kongresses benützte man in ganzgeschickter Weise den nichts ahnenden, gutmütig-dummen, abernaiv-strebsamen und am Ballhausplatze gut angeschriebenenStefan Zurani, der aus Eitelkeit den Plan eines Albanerkongressesin Triest am Ballhausplatz als seine Idee ausgab. Da eineDemonstration der Albaner für ihr Vaterland auf österreichischemBoden dem Ballhausplatz recht war, so wurde dieser Planangenommen und von Wien gefördert. Außer Albanernerschienen auf diesem Kongreß auch Italo-Albaner und mit ihnenauch der Marchese Castriota samt seinen Söhnen aus Neapel.Anwesend waren ferner Albert Ghika, dann der CzernowitzerUniversitätsprofessor und Historiker Baron Dungern, ferner zweichristlichsoziale Abgeordnete Graf Taaffe und Herr Pantz vonWien, dann der römische Korrespondent der Reichspost,Cavaliere Mayerhöfer, und ich. Ich brachte noch Dr. L.Freundlich, einen ehemaligen sozialistischen Abgeordneten ausWien, mit, der in dem Augenblicke, als Albanien modern wurde,mit großer Geschicklichkeit eine Albanische Korrespondenzgegründet hatte, und nun ‘imperialistische Eroberungspolitikmachte’. Hassan Arnaut war als mein Privat-Detektiv gleichfallsin Triest. Die Presse war durch verschiedene Blätter vertreten,außerdem erschien in Triest ein Herr Jovo Weis aus Belgrad, derangeblich den Albanern Gewehre zum Preis von 90 Kr. per Stückverkaufen wollte, in Wirklichkeit aber ein serbischer Agent war.

Page 352: Nopcsa Reisen Balkan

Zwischen Balkankrieg und Weltkrieg (1912-1914)

75 Faik bey Konitza (1875-1942), albanischer Publizist undPatriot.

76 Dervish Hima (1873-1928), albanischer Publizist und Patriotaus Struga.

338

Der Vertreter der österreichischen Regierung warRegierungsrat Makavetz, ein kluger, ruhiger, energischer Kopf,den man nicht leicht außer Fassung brachte. Nach einemBegrüßungsabend wurden am folgenden Tag Marchese Castriotazum Ehrenpräsident und Faik Bey Konitza75 zumKongreßpräsidenten gewählt, ferner Hilë Mosi, Fazil Toptani undDerwisch Hima76 in das Präsidium berufen. Die Wahl Konitzaswar nicht nach dem Plane Ghikas, denn als dieser plötzlich dieFrage der Thronkandidatur auf das Tapet bringen wollte, dawurde er von Faik, seinem alten Gegner, geschickt darangehindert. In geschickter Weise hatte sich übrigens Ghika, derwie mancher Rumäne eine Hochstaplerkarriere hinter sich hatte,um einen Trumpf in der Hand zu haben, in den Besitz des einengeistig minderwertigen Sohnes Ismail Qemalis gesetzt. Er warschon vor dem Kongreß nach Nizza gefahren, wo die FamilieQemalis, da Qemali selbst blockiert war, in schlechtenGeldverhältnissen lebte, und hatte den Sohn Tahir auf eigeneKosten, das heißt ganz genau gesagt auf Kosten Montpensiers,zum Albanerkongreß nach Triest gebracht. Da Tahir keinenKreuzer in der Tasche hatte, weshalb ihm alles, ja sogar dieZigaretten, von Ghika gekauft wurden, Tahir also ohne Ghikaoder dessen Stellvertreter keinen Schritt bewegen konnte, warTahir eigentlich Ghikas Gefangener. Was Ghika mit Tahirbezweckte, wurde erst später sichtbar. Die äußere Form desKongresses war folgende: Rechts von dem auf einer mit deralbanischen Fahne geschmückten Estrade befindlichen Tische des

Page 353: Nopcsa Reisen Balkan

Zwischen Balkankrieg und Weltkrieg (1912-1914)

339

Präsidiums war ein Tisch für die ‘Presse’, links ein Tisch für dieGäste. Da das Präsidiumsmitglied Derwisch Hima, das je nachBedarf in Europa Freimaurer, in der Türkei jedoch fanatischerMuselmann war, mit der Neuen Freien Presse gute Beziehungenhatte, ich aber wollte, daß die Presseberichte durch meine Händegingen, so setzte ich es durch, daß mit der offiziellenKongreßberichterstattung als einzige die AlbanischeKorrespondenz betraut wurde. Dies kränkte nun die gleichfallsanwesende ‘politische Korrespondenz’ dermaßen, daß sie sichbeschwerte, doch wurde ihr infolge meiner Intervention von Wienaus mitgeteilt, sich zu fügen. Infolge dieses Schachzuges konnteDerwisch Hima die Neue Freie Presse nur mehr in dem Sinneinformieren, wie es der weil in albanischen Sachen unerfahrene,daher auf mich angewiesene Herr Freundlich tat. Um FreundlichsVorzugsstellung zu markieren, setzte man vor allen Journalistenbloß ihn an den Tisch der Gäste. Die Entfaltung der albanischenFlagge wurde natürlich stehend und mit Jubel begrüßt, und derKongreß entsandte natürlich gleich bei der Eröffnung je eingleichlautendes Begrüßungstelegramm an Berchtold und SanGiuliano. An die Monarchen zu telegrafieren wurde auf meinenRat deshalb verzichtet, da in diesem Falle der Text wegenÖsterreich-Ungarns prononcierterer Haltung nicht hättegleichlautend sein können. San Giuliano antwortete sofort, wasbrillanten Eindruck machte, Berchtold erst, nachdem ich denStatthalter von Triest, Fürsten Hohenlohe, aufgefordert hatte,Berchtold zu urgieren. Daß sich Berchtolds Antwort verzögerte,machte natürlich schlechten Eindruck und, um diesauszugleichen, proponierte ich dann Hohenlohe, dasKongreßpräsidium zu einem Dejeuner zu sich zu laden. MitBerchtolds Erlaubnis und unter Heranziehung des italienischenKonsuls von Triest geschah dies auch. Das Essen war brillant, dieTafel schön mit Blumen dekoriert.

Page 354: Nopcsa Reisen Balkan

Zwischen Balkankrieg und Weltkrieg (1912-1914)

340

Da die Italo-Albanesen, die am Kongresse zahlreichvertreten waren, sich allerdings nur italienische Reden haltend zubemerkbar machten, ließ ich mich als alter Freund der Albanerbei der Eröffnung des Kongresses von Faik begrüßen. Dann hatteich einige Minuten Zeit mir meine Antwort zu überlegen, bestieghierauf das Podium und hielt eine Stehgreifrede auf albanisch.Mit Ausnahme Generalkonsuls Kral und einiger österreichisch-ungarischer und italienischer Konsuln werden mir vieleMitteleuropäer dies wohl kaum nachgemacht haben. Abgesehenvon einem Konflikt zwischen Kutzowallachen und Albanern, beidem das offiziell sozusagen überhaupt noch nicht geboreneNationalitätchen der Kutzowallachen bereits erbauliche Beweiseseines Fanatismus und balkanischen Größenwahnes erbrachte,und einem weiteren Zusammenstoße zwischen dem PräsidentenFaik Bey Konitza und dem mehr gaunerartigen Nikolla Ivanaj,der bloß, um die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, denPräsidenten fordern wollte, damit aber nicht durchdrang, gab esim Kongreß nur sinnlosen Wortschwall und, als aus dieserRedewüste nichts Kluges herauskam, sah ich mich am Abend desvorletzten Kongreßtages veranlaßt, Faik Bey Konitza beiseite zurufen und ihm aufmerksam zu machen, daß der Kongreß bishergar keine Arbeit geleistet hatte, während doch das mindeste, wasman von einem politischen Kongreß erwarten müsse, eineResolution sei. Faik stimmte mir bei, und ich diktierte ihm alsoeine Resolution, die der Kongreß am folgenden Tag telegrafischan sämtliche Großmächte zu übermitteln hätte. In einer halbenStunde war die Sache erledigt, und Faik legte am nächsten Tagdas Schriftstück dem Kongreß als Resolution vor. Nach einer dieStellung der Kutzowallachen im Kongreß und im zukünftigenAlbanien betreffenden Debatte, die Faik dadurch, daß er an dieKutzowallachen sozusagen ein Ultimatum stellte, zugunsten derAlbaner erledigte, wurde die Sache angenommen, und sogelangte mein Diktat als Kongreßbeschluß an die Großmächte.

Page 355: Nopcsa Reisen Balkan

Zwischen Balkankrieg und Weltkrieg (1912-1914)

77 Fan Noli, eigentlich Theofan Stylian Noli (1882-1965),albanischer Politiker, Kirchenfürst und Schriftsteller. Ministerpräsident1924 und später Gründer der albanischen Autokephalen OrthodoxenKirche.

341

Während des Kongresses erfuhr Cavaliere Mayerhöferund zwar von Tahir, dem Sohne Ismail Qemalis, daß sich derMontpensierputsch vorbereitet. Er teilte es mir mit, sonst erfuhres kein Fremder am Kongreß, also nicht einmal Freundlich oderDungern. Wir beide avisierten Makavetz, dieser denBallhausplatz. Dort wurden nun alle Gegenmaßnahmen ergriffen.Ghikas Plan, die Thronfrage auf dem Kongreß vorzubringen, warzwar bereits fehlgeschlagen, immerhin war, da Montpensier übereine seeklare Jacht verfügte, noch ein Handstreich zu befürchten.Zwei Tage blieben wir in Triest ohne Nachricht, ob dieKandidatur Montpensiers wegen seiner Verwandtschaft mit derErzherzogin Maria Dorothea nicht gar etwa in Wien genehmwäre. Die Albaner, unter anderen sogar Faik Bey, begannen nununs zu fragen, wie sie sich dieser Kandidatur gegenüber zuverhalten hätten. Auf eigene Verantwortung sagte ich:“Feindlich! denn ich glaube nicht, daß Montpensier ein WienerKandidat ist.” Endlich kam eine meine Vermutung bestätigendeAntwort. Es konnte also gegen Montpensier offen vorgegangenwerden. Zufällig gaben die Wiener Abgeordneten dem Kongreßim Palace Hotel ein Bankett, und da sagte ich denn in einerKonversationspause mit lauter Stimme: “Ich höre, Montpensierwill König von Albanien werden, und es gibt auch schongedruckte Proklamationen! Hat zufällig einer der Herren so einein der Tasche? Sie wissen ja, meine Herren, daß auch ich aufAlbanien bezughabende Drucke sammele.” Große Überraschung,große Stille. Doch Fan Noli77 vergaß sich, zog eine Drucksacheaus der Tasche und überreichte sie mir. Montpensiers Geheimnis

Page 356: Nopcsa Reisen Balkan

Zwischen Balkankrieg und Weltkrieg (1912-1914)

342

war verraten. Abends fuhr die Proklamation per Post anBerchtold. Unsere Sorgen waren geringer aber noch nichtverschwunden. Es trat dann, als sich am folgenden Tag imKongresse plötzlich das Gerücht verbreitete, daß ein Bote deralbanischen Provisorischen Regierung aus Vlora in Triesteingetroffen sei, und einige Minuten später ein von der Reiseermüdeter hochgewachsener, aber gebeugter schwerfälliger Greisunter sichtbarer Aufregung in den Saal geleitet wurde, eingeradezu dramatischer Moment ein. Der Ankömmling war deralbanische Minister, Kristo Meksi. Er kam geradewegs aus Vlora.Frenetischer Jubel, alle waren wie elektrisiert. Faik wurdeleichenblaß, denn er fühlte, das Präsidium hatte jetzt jedenEinfluß auf den Kongreß verloren. Hier präsidierte jetzt dieProvisorische Regierung. Er wußte nicht, was für eine NachrichtMeksi mit sich brachte. Proponierte Kristo Meksi infolge irgendeiner geheimen Verabredung als Abgesandter der albanischenRegierung von Vlora den Herzog von Montpensier zum Fürstenvon Albanien, so war seine Wahl sicher. Ich setzte mich zumVertreter der österreichischen Regierung, Makavetz, und sagte:“Sie! Wenn Kristo Meksi jetzt die Kandidatur Montpensiersaufstellt, sind wir verloren, denn er wird einstimmig proklamiert.”Makavetz blieb äußerlich ruhig aber jede Faser war gespannt. Erwar bereit, es auf einen Skandal ankommen zu lassen und denKongreß zu schließen. Kristo Meksi beginnt zu reden. Erentbietet dem Albanerkongreß den Gruß der ProvisorischenRegierung und teilt den Anwesenden mit, daß die Mitglieder derRegierung alle ganz gesund sind, und dann verläßt er, ohne zuahnen, welche Entscheidung in seinen Händen gelegen war, untererneutem, frenetischem Applaus das Podium. Die Wolke warvorüber. Wir erkannten, daß Ismail Qemali von MontpensiersVorhaben noch nicht unterrichtet war, und nun hieß es, Tahir vonGhika zu trennen. Ein Zufall erleichterte unsere Pläne. Ghikawollte sich das Zahlen von Tahirs Hotelauslagen ersparen. Er

Page 357: Nopcsa Reisen Balkan

Zwischen Balkankrieg und Weltkrieg (1912-1914)

343

wandte sich an andere, und sehr bald kam denn auch einalbanischer Patriot. Ich glaube, es war Mark Kakarriqi oder Koci,der zu mir kam und sagte, Tahir, der Sohn des Präsidenten deralbanischen Regierung, sei in Geldnöte geraten. Da er mich alsFreund der Albaner zu erkennen angab, fragte mich dieser Patriot,ob ich nicht bereit sei, helfend einzugreifen, um Tahirs Schuldenzu bezahlen, denn, wenn dies bekannt würde, würde es auf ganzAlbanien ein schlechtes Licht werfen. Tahir brauchte 500 bis 600Kronen. Er genierte sich jedoch, mich persönlich darum zu bitten.Ich war zur Hilfe sofort bereit und versprach schon amNachmittag alles prompt zu regeln. Mittags speiste ich mit Tahirund Mayerhöfer und zeigte Tahir, daß er ein Werkzeug, ja eineGeisel in Ghikas Händen sei, durch die man in Vlora seinenVater, um das Leben seines Sohnes zu retten, zwingen könntezugunsten Montpensiers von der Provisorischen Regierungzurückzutreten, worüber Tahir naturgemäß erschrak. Er beichtetealles, was er wußte, sagte aber, er habe kein Geld, sich von Ghikalos zu machen. Ich versprach, alles zu ordnen, zahlte amNachmittag Tahirs Hotelrechnung und erlegte auch die bis zumnächsten Tag früh nötige Summe. Später traf ich den die 500-600Kronen verlangenden albanischen Patrioten und sagte ihm, daßich Tahirs Schulden bereits gezahlt hatte, daß er sich aber in derSumme geirrt hätte, da diese nicht 500-600 Kronen sondern nur190 Kronen betragen habe. Auf diese Weise ist ein albanischerPatriot um einen Gewinnst von 300-400 Kronen gekommen.Tahir lud ich auch abends zum Nachtmahl ein und, damit erferner, da er mit Ghika in demselben Hotel wohnte, auch in derNacht nicht mehr verhandeln könne, brachte ich ihm einenschweren Rausch bei. So brachte ich ihn taumelnd umMitternacht in sein Hotel, wo wir im Vestibül Ghika trafen.Dieser durchschaute nun die Situation und erkannte, daß seinePartie, soweit sie Tahir betraf, verloren sei. Auf mein Geheißsagte ihm Tahir außerdem noch, daß er jetzt nach Wien fahre, wo

Page 358: Nopcsa Reisen Balkan

Zwischen Balkankrieg und Weltkrieg (1912-1914)

344

er bei mir wohnen würde. Hiedurch war jede weitereKorrespondenz zwischen Ghika und Tahir unmöglich geworden.In der Frühe ließ ich Tahirs Gepäck abholen, dann fuhr er, wiederohne Geld in der Tasche, diesmal also als mein Gefangener, nachWien, wo ich ihn in einem Hotel unterbrachte. Später löste ichihm eine Fahrkarte nach Nizza, gab ihm etwas Reisegeld in dieHand und schickte ihn zu seiner Mutter. Damit sich so eineGeschichte nicht noch einmal wiederholte, sandte auch derBallhausplatz an die Frau Ismail Qemali eine größere Summe,wodurch an ihrer momentanen Geldverlegenheit geholfen wurde.Um Tahirs geistiges Niveau zu charakterisieren, genügt dieAngabe, daß er unter Abdul Hamid türkischer Marineoffizier war,denn dies sagt schon alles. Dies war meine Tätigkeit bei demAlbanerkongresse in Triest.

Der Wahrheit zuliebe muß ich aber noch betonen, daßmir meine Auslagen vom Ministerium des Äußeren vergütetwurden. Im Ganzen bin ich viermal von den k.u.k Behördenpekuniär unterstützt worden. Das erste Mal erhielt ich nach derAnnexionskrise jene Summe, die ich im Jahre 1909 während derMonate Jänner, Februar und März aus Eigenem zur Agitation inAlbanien ausgegeben hatte, zurückerstattet. Das zweite Malermöglichte mir das Ministerium Said während des Balkankriegesnach Montenegro und Albanien zu schicken. Das dritte Malwurden mir aus dem von Ali Arnaut zurückgebrachtem Gelde dieAuslagen am Albaner-Kongreß vergütet. Das vierte Mal erhieltich, da ich am Anfang des Weltkrieges in besondererdiplomatischer Mission in Bukarest verwendet wurde, einebesonders hohe Gage. Alle übrigen Reiseauslagen,Agitationsgelder, Gelder für Informationen etc. zahlte ich auseigener Tasche. Eine Zeit, wo ich politisierte aber doch sparte,war die, als ich mich als Schafhirte herumtrieb.

Eine recht interessante Episode des Albanerkongresseswar, als Pfarrer Pjetro Tushaj dem Herrn Mayerhöfer die

Page 359: Nopcsa Reisen Balkan

Zwischen Balkankrieg und Weltkrieg (1912-1914)

345

Mitteilung machte, daß er und der Erzbischof von Shkodra,Mosignore Sereggi, im Herbste 1912 mit Montenegro gegen dieTürken zusammengearbeitet hätten, und mir Mayerhöfer diesevon mir längst vermutete Tatsache jetzt mitteilte. Humoristischwar, wie ich dem serbischen Agenten Weis in Verlegenheitbrachte. Herr Weis, auf dessen dubiosen Charakter mich AliArnaut aufmerksam gemacht hatte, wollte mit mir bekanntwerden und, da ich ihn wieder auf diese Weise am bestenentlarven konnte, hatte ich auch nichts dagegen. Sowie ich Weisseine Absicht erfuhr, ging ich sofort auf ihn zu, machte einebesonders tiefe Verbeugung, stellte mich Herrn Weis vor, undfragte ihn sehr dienstbeflissen, womit ich ihm dienen könne.Diese Höflichkeit überraschte, wie ich ja erwartet hatte, den altenHerrn, bei dem ich wegen seines Alters und seines Wesenslangsam Geistestätigkeit voraussetzte. Er wurde verwirrt, wolltesich schnell vorstellen und sagte: “Jov,” dann sich verbessernd“Johann Weis.” “Sagen Sie,” beruhigte ich ihn, “nur Jovo. Ichsehe, Sie kommen aus Belgrad.” Auf diese Weise gefangengestand mir Herr Weis in Serbien gelebt zu haben, erklärte mirhierauf allerdings sich gleich fassend jetzt eben wegen einesGrundstückes mit der serbischen Regierung einen Prozeß zuhaben, und gab endlich an, als Vertreter einer Waffenfabrik nachTriest gekommen zu sein, um den Albanern rp. ihrem neuenStaate Waffen zu offerieren. Die Ausreden des Herrn Weis warennicht übel, nur glaubte er, daß ich den Zweck seines Daseins nichtkannte. Dieser war zu beobachten, ob die Albaner nicht von derösterreichisch-ungarischen Regierung mit Waffen versehenwürden.

In erster Linie erklärte ich dem Herrn Weis, daß geradesein automatisches Gewehr wegen des großen Munitionskonsumsfür die Albaner ungeeignet sei, dann fügte ich aber noch hinzu, essei von seiner Firma nicht eben besonders klug gewesen, geradeihren Belgrader Vertreter, also jenen Menschen nach Triest zu

Page 360: Nopcsa Reisen Balkan

Zwischen Balkankrieg und Weltkrieg (1912-1914)

346

geschickt zu haben, der die Todfeinde der Albaner, nämlich dieSerben, mit Waffen versah, und endlich riet ich Herrn Weis, umweder sich noch seine Firma zu kompromittieren, Triest bald zuverlassen und seine Ware erst später, wenn sich die Animositätzwischen Serben und Albanern etwas gelegt haben würde, denAlbanern erneut zu offerieren. Es begreift sich, daß Herr JovoWeis über diese scheinbar wohlgemeinte Rede, deren Pointe eraber ganz gut verstanden hatte, wenig erbaut war. Er verschwandauch bald vom Schauplatz.

Schon von Triest hatte ich am 3. März Conrad folgendesgeschrieben:

“Exzellenz! Von dem geplanten Streich desHerzogs von Montpensier, sich des albanischen Thronszu bemächtigen, werden Sie schon gehört haben. Seineauf albanische gedruckte Biographie habe ich Berchtoldheute früh zugeschickt. Für den Fall, daß Sie mich wegender folgenden Proposition für verrückt halten, kann ichnichts dafür. Doch Anbetracht der Gefahren, die unsinfolge unserer untätigen Politik umgeben undunvermutet hervorbrechen können, möchte ichfolgenden, wenn auch abenteuerlichen Plan vorlegen.

Angeblich auf meine Kosten kaufe ich zweikleine, sehr schnelle Lloyddampfer, die mit einigenGeschützen armiert werden, darauf 300 in Zivilgekleidete Soldaten als meine Freiwilligenschaar undlande unter Mitnahme entsprechenden Kriegsmaterialsund unter albanischer Flagge nördlich von Durrës. Derandere Dampfer dringt hierauf nach Vlora, - diegriechischen Schiffe dürften sich aus Angst vor der‘Hamidie’ verkrochen haben, womit Montpensier offenrechnet, - um die albanische Regierung zu informieren,die jawohl mit Wien in freundschaftlichen Kontakt ist

Page 361: Nopcsa Reisen Balkan

Zwischen Balkankrieg und Weltkrieg (1912-1914)

347

und die ich als freiwilliger Helfer ohnehin anerkennenwerde.

Alles dies müßte während der Zeit inszeniertwerden, daß der Ballhausplatz über Montpensier seinerAbsicht Zetter und Cordio schreibt und den entrüstetenspielt.

Anbetracht dessen, daß mich die wilden Albaner- also jene, die Gewehre besitzen, - gut kennen, kann mirsogar ein eventuelles Geschrei der albanischen Literatenund Politiker teilweise alles eins sein, was z. B. beiMontpensier nicht der Fall sein darf.

Entschuldigen, Exzellenz, wenn ich Ihnen inaller Eile etwas schreibe, was vielleicht Ihrem geübtemAuge, das die Schwierigkeiten besser beurteilen kann,kindisch erscheint, doch glaube ich, wenn ein Franzose,der nicht einmal albanisch kann, an einen Handstreichdenken darf, so kann ich es auch.

Mittwoch werde ich, so ferne Exzellenzgestatten, in dieser Angelegenheit in Wien persönlichvorsprechen, und bleibe bis dahin mit den Zeichenvorzüglicher Hochachtung,

F. Baron Nopcsa”

Von Triest kam ich wieder nach Wien. Bei dieserGelegenheit jammerte mir Berchtold, als ich die bösen Folgeneiner langen Vakanz des eben errichteten albanischen Thronesvoraussehend, die Besetzung desselben urgierte, daß er keinenThronkandidaten finde. Es gab zwar eine große Zahl vonKandidaten. In erster Linie kam damals Graf Urach vonWürttemberg in Betracht, dann hatten sich ein ägyptischer Prinz,Achmed Fuad, und sogar der Sohn des Marchese Castriota ausNeapel gemeldet. Unter solchen Umständen beschloß ich einenSchritt zu unternehmen, der mich allerdings leicht lächerlich

Page 362: Nopcsa Reisen Balkan

Zwischen Balkankrieg und Weltkrieg (1912-1914)

348

machen und meine ganze bisherige albanophile Arbeit in einschiefes Licht stellen konnte, den ich in Anbetracht der Umständeaber dennoch wagte. Ich teilte Exzellenz Conrad mündlich mit,daß auch ich, falls ich vom Ballhausplatz unterstützt würde, bereitwäre, unter die Zahl der Thronkandidaten zu treten, und erklärteihm, daß ich hiezu bloß einmal eine größere Summe brauche, umdie sogenannten albanischen Patrioten zu kaufen, was, wie mirder Montpensier-Putsch gelehrt hatte, nicht schwer war, um michvon ihnen zum Fürsten proklamieren zu lassen. Einmalregierender europäischer Fürst, sagte ich, würde es mir einleichtes sein, mir die übrigen notwendigen Geldmittel durch diemir sonst entschieden antipathische Heirat mit einer reichen aufeinen Fürstentitel aspirierenden Amerikanerin zu beschaffen. DerZustimmung der Bewohner des nördlichen Teiles war ich infolgemeiner Haltung in den Jahren 1910 und 1911 sicher, und in Wienkonnte ja außerdem gehofft werden, daß auch der damals vonBerchtold unterstützte Ismail Qemali keine Schwierigkeitenmachen würde.

Einige Tage später, am 22. März, folgte folgender Brief.

“Exzellenz! Infolge der erfreulichen Zuspitzungdes Verhältnisses der Monarchie zu Montenegro ist dermich betreffende Teil unseres letzten Gesprächesbelanglos geworden und würde ich Sie bitten, falls SieGrafen Berchtold gegenüber die Sache noch nicht zurSprache gebracht haben, überhaupt nichts von meinerKandidatur zu erwähnen, damit auch der bloße Scheinvermieden werde, daß ich eigennützige Ziele verfolge.Vor unserem aktiven Eingreifen schien mir dieser Schrittals der einzige Ausweg, glücklicherweise schien sich derBallhausplatz zu einem besseren entschlossen zu haben.

Was den Herzog von Montpensier betrifft, so ister noch immer eine Gefahr, und es scheint mir, da er

Page 363: Nopcsa Reisen Balkan

Zwischen Balkankrieg und Weltkrieg (1912-1914)

349

unter englischer Flagge ist, kein anderes effektives Mittelgegen den von ihm geplanten Handstreich zu geben, alsdaß seine Jacht, sei es bei der Ausfahrt aus Brindisi, seies beim Einlaufen in Vlora, zufällig mit einemLloyddampfer einen heftigen Zusammenstoßkatastrophaler Natur hat, so daß sich die Notwendigkeitergibt, den schiffsbrüchigen Herzog nach Triest oderCattaro (Kotor) zu retten. Wie ich höre, soll er erneuttrachten, mit Ismail Qemali in Kontakt zu treten.

Indem ich um Entschuldigung bitte, Ihrekostbare Zeit in den letzten Tagen so sehr in Anspruch zunehmen, mit vorzüglicher Hochachtung,

F. Baron Nopcsa.”

Vielleicht wurde meine Kandidatur in kompetentenKreisen bloß belächelt. Als ich mich aber einige Wochen spätervon jeder weiteren Albanien betreffenden Aktion angeekeltzurückzog, meinten viele Eingeweihte, dies geschehe bloßdeshalb, weil sich meine hochfliegenden Pläne nicht realisierthätten, während ich als Ursache das angab, daß Albanien in derWeise, wie es aus der Londoner Konferenz hervorging, eineTotgeburt repräsentiere. Gegen diese verleumderischeUnterschiebung, die von meinen Gegnern natürlich weidlichausgenützt wurde, versuchte ich mich gar nicht zu verteidigen,denn ich wußte, daß die kommenden Ereignisse meine besteApologie sein würden. Der Niederbruch des albanischenStaatsschiffes im Jahre 1914 zeigte, daß ich 1913 in der Tat rechthatte, mich vom sinkenden Schiffe zu entfernen. Mein einziger‘Fehler’ war der, daß ich die Ereignisse lange vor meinen

Page 364: Nopcsa Reisen Balkan

Zwischen Balkankrieg und Weltkrieg (1912-1914)

78 Wilhelm, Fürst zu Wied (1876-1945).

350

Gegnern vorausgesehen hatte. Während die Londoner Konferenznoch tagte, gelangte der Fürst Wied78 auf den Thron Albaniens.

Um diese Zeit trat auch Prenk Bib Doda auf, derzwischen Wien und Rom hin und her pendelte. Seine den Serbenund Montenegrinern freundliche Gesinnung, durch die er dieAnerkennung seiner Fürstenansprüche auf Mirdita erhoffte, warmir schon längst kein Geheimnis, hatte er doch schon beimAusbruch des Balkankrieges mit Montenegro gemeinsame Sachegemacht und dann später im Verein mit Marka Gjoni beimVormarsch der Serben gegen Lezha sein Gebiet ihren Truppenfreiwillig geöffnet. Es überraschte mich nach diesenAntezedensien wenig, als er mich für seinen persönlichen Freundhaltend bei einem opulenten Nachtmahle im Hotel Sacher dieMitteilung machte, daß er nicht über Durrës sondern über Belgradnach Mirdita zurückkehren wollte, ja in seinem Vertrauen so weitging, mich zu bitten, in dieser Angelegenheit Berchtold zusondieren.

Bald nach dem Albanerkongreß trat ich, wie schongesagt, infolge der Festlegung der Londoner Grenze auch ausdem Albanienkomitee aus und zog mich vor jeder politischenTätigkeit zurück. “Dieses Albanien ist nicht lebensfähig. Einnicht lebensfähiges Albanien, weil es einer der beidennachbarlichen Großmächte unbedingt zum Opfer fallen muß,schlechter als gar nichts. Ich halte eine weitere Agitation fürAlbanien mit der Sicherheit der Monarchie für unvereinbar. Einneues Schleswig-Holstein. Diese Albanien ist höchstens dazu gut,um mit dereinst die Neutralität Italiens zu erkaufen.” Dies sinddie Sätze, die ich damals aufstellte und Conrad brieflich mitteilte.Mein Austritt aus dem Albanienkomitee wurde mir sehr verübelt.Ich stellte aber doch jede weitere albanophile Aktion ein und

Page 365: Nopcsa Reisen Balkan

Zwischen Balkankrieg und Weltkrieg (1912-1914)

351

teilte meine Gründe Exzellenz Conrad, Berchtold, ExzellenzBaerenreither und allen mit, die es hören wollten.

Am 2. April fuhr ich nach Temeswar, von dort nachPantschowa, zog mich dort als Schafhirte an, fand dann einenserbischen Bauern, der mich für einen Hirten haltend mit seinemWagen gegen Opovo nahm und mich in einem hübschen Dorfebewirtete. Dieser Bauer war wie alle dortigen ein wohlhabenderSerbe. Nach der Bewirtung nahm ich mein Gepäck auf denRücken und ging nach Opovo und von dort mit einem Hirten, derin Opovo eben Maismehl eingekauft hatte, in das mir schonbekannte Ried. Da die Schafe eben Junge warfen, waren diemeisten Eigentümer von Pojana in das Ried gekommen undhatten hier mehrere Koliben gebaut. Das Ried war also dichtbevölkert. Infolge der Nähe der rumänischen Ostern gab esstrenges Fasten. Die grünen Weideplätze waren von spielendenLämmerscharen erfüllt, das Wetter war gut, die meisten Leutefroher Laune, doch fühlten sich die Hirten, da sie fortwährendunter den Augen ihrer Dienstgeber waren, nicht übermäßig wohl.Kurz das Ried hatte seinen Habitus gewechselt. Eine längereKrankheit nötigte mich Opovo rp. das Ried zu verlassen und michzuerst nach Pantschowa dann nach Weißkirchen zurückzuziehen.Wieder genesen nahm ich aber mein ganzes in wallachischenSatteltaschen verstautes und aus einem Plaid einem PaarReservefußfetzen, einer Wollhose und einem Hemd bestehendesGepäck erneut auf den Rücken, hängte mir den Schafpelz um,drückte die große Lammsfellmütze aufs Haupt, ergriff meineneisenbeschlagenen Stock und machte mich mit einigen Kronen inder Tasche in der Nacht auf, um eine der mir bekannten Herdenauf ihrem Marsche gegen den Retezat anzutreffen. Früh morgensverzehrte ich am Straßenrand mein Brot mit Speck und Zwiebel,schlief ungefähr eine Stunde, dann ging ich gegen Werschetz.Dort, wo die nach Iktar führende Straße von der Werschetzerabzweigt, erfuhr ich, daß eine der wandernden Herden in der

Page 366: Nopcsa Reisen Balkan

Zwischen Balkankrieg und Weltkrieg (1912-1914)

79 “Diese sollte man alle erschlagen, denn sie sind es, die in ‘48den Aufstand gemacht haben.”

352

Nähe sei. Ich wollte deshalb ins Wirtshaus etwas ausruhen undsie erwarten, wurde aber als Rumäne von einer ungarisch-jüdischen Wirtin abgewiesen. Auf ungarisch sagte sie folgendeszu ihrer Schwester: “Eseket (gemeint waren meinesgleichen)mind agyon kellene ütni, mert ezek csinál ták negyven nyolcbana lázadást79.”

Wie überall auf der Welt gebärdeten sich auch in Ungarndie Juden stets als die größten Patrioten. Allerdings nicht ausÜberzeugung, sondern um mit den Zentralbehörden auf gutemFuße zu stehen und hiedurch materiell zu profitieren. Daßletzteres der Grund ist, läßt sich dadurch beweisen, daß dieselbenLeute in jenem Augenblicke, als sie in eine neue Umgebung undeine neue Strömung kommen, sich so weit wie möglich alsExtremisten der neuen Richtung gebärden. In Agram war imJahre 1913 der Herausgeber der offiziell die Ansichten derungarnfeindlichen Frank-Partei vertretenden Zeitung ein ausBudapest nach Agram übersiedelter Jude. Nach der BesetzungSiebenbürgens durch die Rumänen wurden von den rumänischenBehörden merkwürdigerweise nur jene ungarisch geschriebenenZeitungen nicht schikaniert, die sich in Judenhänden befanden,und von den in Budapest gedruckten kleineren Blättern wurdennur in Judenhänden befindliche nach Rumänien hineingelassen,u.s.w.

Von Rumänen wurde mir versichert, daß sie sich mitUngarn ganz gut verständigen könnten, daß aber eineVerständigung mit den jüdisch-magyarischen Talmi-Patriotenunmöglich sei. Übrigens ist der Antisemitismus eineinternationale Erscheinung, an der daher nicht alle anderenVölker sondern ausschließlich nur das jüdische Volk schuld sein

Page 367: Nopcsa Reisen Balkan

Zwischen Balkankrieg und Weltkrieg (1912-1914)

353

kann. Er führte in Ägypten (80 n. Chr.) ebenso zuJudenverfolgungen wie im ganzen Mittelalter, ferner auch in derNeuzeit wie in Spanien, Rußland, Ungarn, Rumänien und jetzt inDeutschland. Er ist daher offenbar tief begründet und nicht nurBarbarei. Eine andere Wirtin ließ mich in einen benachbartenWirtshaus etwas Brot essen und verkaufte mir eine Flasche Bier.Der Bierkonsum nimmt unter den Rumänen Ungarns stark zu undwird von der rumänischen Intelligenz, weil denBranntweinkonsum einschränkend, gefördert.

Die von der ersten jüdischen Wirtin gesagten Wortewollten mir lange nicht aus dem Kopf gehen, denn sie bewiesenmir, daß eine Aussöhnung zwischen Rumänen und Ungarn rp.zwischen Rumänen und ungarischen Juden eine Unmöglichkeitist. Sie erinnerten mich an ein Gespräch, das ich vor vielen Jahrenmit einem Felsöpianer rumänischen Bauern gehabt hatte,nachdem im Frühjahre 1905 auf Veranlassung österreichischerKreise und Kristoffys in Siebenbürgen unter den Rumänen einestarke antimagyarische Strömung eingesetzt hatte. “Herr,” fragtemich dieser Bauer, “warum haben wir heuer im Frühjahre dieUngarn endlich doch nicht erschlagen dürfen? Unser Pope hattees uns bereits verkündigt.” Damals hatte ich den betreffendenBauern zuerst aufgeklärt, dann aber gefragt, wer speziell inseinem Dorfe die Repräsentanten der zu erschlagenden Magyarenseien. Es waren dies Finanzbeamten, der staatliche Förster undder jüdische Wirt und, als ich dann von den überall verhaßtenFinanzen und Förstern absah, erkannte ich, daß als Vertreter derungarischen Zivilbevölkerung gerade ein Jude den Haß auf sichzog, daher in diesem Falle weniger Magyaren-Haß alsAntisemitismus vorlag. Das Gegenstück zu dieser Beobachtungsah ich nun in Iktar. Vom Wirtshause ging ich weiter und trafeine Herde, deren Hirten nach CaransebeÕ ziehen, dort die Schafescheren und dann über Hatzeg auf dem Pareng ziehen wollten. Daes mir unangenehm gewesen wäre, die Herde als Schafhirte

Page 368: Nopcsa Reisen Balkan

Zwischen Balkankrieg und Weltkrieg (1912-1914)

354

verkleidet durch Hatzeg zu begleiten, wo ich allen Leutenbekannt war, so erklärte ich mich bereit, den Hirten beim Treibender Schafe bis CaransebeÕ als Aushilfskraft zu helfen, wofür siemir zu essen geben sollten. Wir wurden bald einig. Ich schrittbald vorne bald rückwärts oder, was am ermüdendsten ist, an derSeite der Herde einher und verhinderte, daß die Schafe die zubeiden Seiten des Weges sprießende Saat fressen. Die einesTeiles dieser Arbeit enthobenen Hirten gaben mir zu essen. DerWeg führte über Iktar an OraviÛa vorbei über Valea Boului nachCaransebeÕ. Hier wurde zuerst ein Tag in der Nähe der Stadt, dieübrige Zeit dann auf den Hutweiden des trockenen von etwasBirkengestrüpp bewachsenen Plateaus südlich der Stadtverbracht.

Am Marsche konstatierte ich aus Gesprächen derrumänischen Bauern untereinander, daß die ungarfeindlicheStrömung unter den Rumänen im Banat viel stärker sei als inSiebenbürgen und, daß die Rumänen auf den Ausbruch desserbischen Krieges bloß deshalb gehofft hatten, um gegen dieUngarn vorgehen zu können. Ferner sah ich, daß man es inUngarn nicht verstanden hatte, die Rumänen gegen die Serbenaufzuhetzen, sich vielmehr beide zum Feind gemacht hatte.Wegen der damaligen politischen Spannung mit Serbien sah ichmich veranlaßt, in einem Ort in der Gendarmeriekaserneeinzukehren und dort, obzwar ich wieder nur eineSchafhirtenlegitimation bei mir hatte, den Wachtmeisteraufzufordern, eine geheime Telefonnummer in Temeswaranzurufen, damit ich mit jemandem dort rede. Alles dies tat ichnatürlich nur, als ich mit dem Wachtmeister allein war. Denübrigen Gendarmen gab ich mich als ein gestohlene Schafesuchender Hirt aus. Der Wachtmeister war sehr überrascht, er tataber wie ich verlangte, und mein Temeswarer Freund informiertemich, daß die Krise mit Serbien vorbei sei. nach diesemTelefongespräch erhielt ich auf Intervention des Wachtmeisters,

Page 369: Nopcsa Reisen Balkan

Zwischen Balkankrieg und Weltkrieg (1912-1914)

355

der die Situation überblickte, von den Gendarmen zu essen, habein der Kaserne geschlafen und bin am nächsten Tag den Wegerfragend auf Wegabkürzungen der Herde nachgeeilt. Mein durchviele Fußtouren geübter Orientierungssinn, durch den ichinstinktiv das fühlte, ob ein Weg von der eingehaltenen Direktionabschwenken würde oder nicht, kam mir, da ich Feldwege und imWalde sogar Fußstege benützte, sehr zu statten. Ich holte dieHerde bei Valea Boului ein und kam mit ihr nach CaransebeÕ.Während wir bei CaransebeÕ rasteten und die Schafe schoren,trafen auch andere aus dem Banat kommenden Herden ein. JeneHerde, die ich nach CaransebeÕ begleitet hatte, zog weiter. Ichschloß mich daher einer anderen an, die über den Úarcu auf denRetezat ziehen wollte. In CaransebeÕ konnte ich, als mich einmaldie Hirten um Schnaps zu kaufen in die Stadt schickten, dasbeobachten, wie sich am Boden der von mir erstandenenBranntwein enthaltenden Flasche eine dichtere ölige Flüssigkeit,offenbar Vitriol, befand, das der jüdische Wirt dem Schnapsbeigemengt hatte. Als rumänischer Schafhirte konnte ich abergegen den Juden nicht aufkommen, denn er erklärte mir klipp undklar, den Branntwein zweier Fässer gemischt zu haben, undschüttelte schnell die Mischung, so daß sie homogen wurde. Damir ein weiterer Protest meinerseits höchstens wegen Frechheitvom Herrn Juden nur Grobheiten eintragen können, schwieg ich,denn für einen rumänischen, wohl aber auch jeden anderenSchafhirten, ist es nämlich fast unmöglich, sich gegen einenHerrn recht zu beschaffen. Ehe man nicht selbst Schafhirte war,begreift man nicht, wie bescheiden und wie verschüchtert einBauer Herren gegenüber auftreten muß, und wie jeder, dereuropäische gekleidet ist, einen, der es nicht ist, herrisch anfährt.

Direkte, absichtliche Bedrückung der Rumänen ist keinevorhanden, wohl aber ist wie bei allen armen ein geringeres Maßebürgerlicher Rechte bemerkbar, und zwar deshalb, weil einemarmen Teufel stets Mittel und die Zeit fehlen, die man unbedingt

Page 370: Nopcsa Reisen Balkan

Zwischen Balkankrieg und Weltkrieg (1912-1914)

356

braucht, um in einem jeden modernen Staat, das Recht für sich inAnspruch nehmen zu können. Angenommen ein Bauer meintetwas einem Herrn gegenüber und bekommt sofort eine Ohrfeige,was soll er dann machen? Wenn zwei Leute, etwa ein Herr undein Bauer, bei einem Eisenbahnschalter stehen, und ersterer, washäufig vorkommt, nervös ist, so ist es für den Bauern, jedenfallsangezeigt, den Herrn vorzulassen. Wenn ein Wanderhirte voneinem ‘Herrn-Verwalter’ wegen Übergriffe seiner Herde, sei esauch ungerecht, gepfändet wird, so kann er doch nicht die Herdestehen lassen und zum Advokaten laufen. Das Beste und dasKlügste, was er tun kann, ist um Nachsicht zu bitten oder dasPfand auszulösen oder verfallen zu lassen. Die bösesten Herrensind in jeder Beziehung stets jene, die fast selbst noch nichtHerren sind, sich aber dafür halten und dies bemerkbar zeigenwollen.

Ist ein Beamter einem Bürger gegenüber schon ein großerHerr, so ist er es einem Bauern gegenüber noch mehr. Da heißt esnicht Stunden sondern tagelang ‘warten’! Angeblich soll bei denInkas in Peru der jeweilige Kronprinz genötigt gewesen sein, einhalbes Jahr in zerrissenen Kleidern unter Armen zu leben. AlsInka rangierte er hierauf unter die Götter. Wenn dies wahr ist, sowaren die Inkas die größten Soziologen, die es je gab. Ich habeein halbes Jahr lang als Hirt so gelebt und würde wünschen, daßviele andere große Herren meinem Beispiele folgen. Man lerntmehr verstehen als aus tausend Werken. Dabei lernt man diearmen Leute lieb gewinnen, und es regt sich das Verständnis fürihre Klagen. Wie oft habe ich das resignierte “Was soll ichmachen?” gehört, und oft geschah es auch, daß ich den Leutenden Rat gab, gegen offenkundiges Unrecht Gegenmaßregeln zuergreifen. In der Regel versichterten sie mir aber dann, daß esdoch zu nichts führe. Es geht diese Rechtlosigkeit sogar so weit,daß einzelne Dorfrichter oder Wegeinräumer von den auf derStraße einher ziehenden Herden auf offener Landstraße einen

Page 371: Nopcsa Reisen Balkan

Zwischen Balkankrieg und Weltkrieg (1912-1914)

357

Straßenzoll erheben und die Hirten doch nicht zu bewegen sind,die Behörden hievon zu verständigen. Gegen diesenmangelhaften Rechtschutz kann auch eine Organisation nichthelfen, denn die Leiter dieser oft berechtigten Organisationensind meistens auch nur Menschen, denen das Steigen ihresEinflusses ganz recht ist. Die Folge ist, daß die Leiter späterhäufig den eigenen Vorteil und nicht jenen der durch sievertretenen Leute vor Auge halten. Von diesen egoistischenLeitern machen nur jene fanatischen Theoretiker eine Ausnahme,welche zu vergessen pflegen, daß wir auf der Erde leben und siedaher in ihrem Fanatismus auf der Erde einen unmöglichenHimmel schaffen wollen.

Zu alledem kommt noch, daß die Leiter jeder sozialenBewegung in dem Augenblicke, als sie ihr Ziel erreicht haben,mitsamt ihrer Organisation eigentlich überflüssig werden, und,daß sie daher im eigenen Interesse notgedrungen immer mitneuen und neuen Forderungen vortreten müssen. Schließlich führtdies zur Aufstellung solcher Forderungen, an die ursprünglichniemand gedacht hat. Ein weiterer Grund der Radikalisierung dersozialen Forderungen liegt darin, daß die einzelnen sozialenFührer, um Einfluß zu behalten, sich stets überlizitieren müssen.Da nun die berechtigte Unzufriedenheit der ärmeren Schichtenjener Punkt ist, an dem die Sozialreformer ihren Hebel einsetzen,ist es für sie am einfachsten, wenn sie den zum Umsturzführenden Klassenkampf predigen. Wenige Sozialreformer warenbisher großzügig genug, andere Wege einzuschlagen. Christuspredigte die Versöhnung auf der Basis des Dulden im Diesseitsund der Hoffnung auf ein besseres Jenseits, und dem XX.Jahrhundert war es, offenbar als Reaktion auf den intoleranten,und den blutigsten Klassenkampf predigenden Bolschewismusvorbehalten, Männer zu entwickeln, die, selbst wissend, wasEntbehrung heißt, eine Versöhnung zwischen Arm und Reich auflegislatorischem Wege erzwingen wollen (Mussolini, Hitler).

Page 372: Nopcsa Reisen Balkan

Zwischen Balkankrieg und Weltkrieg (1912-1914)

358

Natürlich ist dies das allergefährlichste, was sich diesozialdemokratischen Umstürzler nur denken können.

Nach meinen persönlichen Erfahrungen zögere ichkeinen Augenblick mit der Erklärung, daß auf beiden Seiten sehrviel gefehlt wurde, erblicke aber in der sei es erzwungenenKlassenversöhnung die einzige Möglichkeit, die allen mehr oderweniger gemeinsame Kultur zu retten. Natürlich kann der bei soeinem Vorgange nötigen Vermögensausgleich nur auf Kostengewisser Elemente erfolgen. Als solche kommen nur die‘Allzureichen’ oder, so ferne man die Versöhnung auf nationalerBasis betreiben will, die Volksfremden in Betracht. Theoretischwäre es nun freilich schön, wenn die Versöhnung aufinternationaler Basis erfolgen könnte, leider ist aber jedeinternationale Unternehmung, die sich auf mehr als Lappalien(Carnets de passage für Automobile u. dgl.) erstreckt, wie dieVölkerbund-Angelegenheiten zeigen, unmöglich. Sogar eingroßer Teil des sogenannten ‘internationalen Kapitals’ istkeineswegs international sondern ausgesprochen ‘jüdisch-national’. Um dies zu verschleiern, trachten allerdings die auf derganzen Welt verbreiteten Juden die Existenz des Nation-Begriffeszu leugnen, aber gerade als Naturforscher und als Zoologe mußman die Existenz einzelner Nationen betonen. Nationen sindfreilich ebenso wenig ‘rein’ wie die meisten Rassen derdomestizierten Tiere, aber deshalb wird doch niemand dieunbestreitbare Existenz von Dachshunden und Terriers oderJuden leugnen.

Zum Beweise dessen, daß die meisten, den sozialenUmsturz predigenden Führer Egoisten sind, genügen dieAngaben, daß sie sich zum größten Teile aus dem amnüchternsten rechnenden und egoistischsten Volke, nämlich denJuden, rekrutieren, und dann die weitere Angabe, daß meinesWissens noch kein einziger Sozialdemokratenführer (Bebel nichtausgenommen) arm gestorben ist. Ob die Umsturzfanatiker wie

Page 373: Nopcsa Reisen Balkan

Zwischen Balkankrieg und Weltkrieg (1912-1914)

359

Lenin und Kropotkin oder die berechnenden, schlauen jüdischenFührer wie Trotzkij die gefährlicheren sind, bleibe dahingestellt.Jedenfalls erinnern beide in ihrer Wirkung an jene deklassiertenMitglieder wohlhabender und einflußreicher Kreise, die wegenQualitätsmängeln in ihrem eigenen Milieu nicht zur Geltungkommen können und dann darangehen, dieses eigene Milieu zuzerstören (Alcibidiades, Michael, Graf Karolyi). Ihr Gegenstückhaben diese Schwächlinge in jenen Leuten, die sich aus eigenerKraft emporarbeiten, mit sozial höher stehenden, ja sogarexklusiven Kreisen in Kontakt kommen, dann oft Führer derkonservativen Elemente werden und ihre Laufbahn sogar alsImperialisten beschließen. Von so einem jüdischen‘Emporkömmling’ (Disraeli) stammt das Wort, “Jeder Engländerwisse, daß ihm, wenn er im Rechte ist, die ganze englische Flottebeisteht.” Auch Warren Hastings und Cecil Rhodes, der letztegroße Engländer, gehörten in diese Gruppe. Freilich war zur ZeitDisraelis die englische Flotte stärker als es der ‘two powerstandard’ verlangte, wogegen sie, als der liberale Lloyd Georgezur Macht kam, weit unter dieses Niveau herabsank. Da derBegriff Liberalismus schon ab ovo den Begriff desKonzessionmachens involviert, ist dieser Verfall ganzselbstverständlich. Man denke nur an Gladstone und Khartum.

Prognose kann man der Entwicklung der menschlichenGesellschaft keine stellen, denn mit ihren höchstens 50.000Jahren ist sie, im Vergleiche zu den schon mehrere hundertMillionen Jahre alten gesellschaftlichen Vereinigungen andererTierarten ein noch ganz junges Gebilde. Bei letzteren fand die beijedem sozialen Gebilde notwendige Gliederung undArbeitsteilung schon ihren körperlichen Ausdruck. In dermenschlichen Gesellschaft scheinen sich bisher nur die sozialenGrundbegriffe “Du sollst deinesgleichen nicht töten und du sollstdeinesgleichen nicht bestehlen” überall zu vererben. Bei den inNordamerika in großzügiger Weise durchgeführten

Page 374: Nopcsa Reisen Balkan

Zwischen Balkankrieg und Weltkrieg (1912-1914)

360

‘Intelligenzprüfungen’ schnitten die Kinder gebildeter Ständezwar etwas besser ab als jene der arbeitenden Klassen. Darausaber auf somatische Unterschiede zu schließen, wäre dochverfrüht. Jedenfalls ist die Sterilisierung der antisozialienElemente ein ausgezeichnetes Mittel, um die gesellschaftlicheZusammenarbeit zu fördern. Es wird aber lange dauern, bis sie zueinem Resultat führt.

In CaransebeÕ blieb ich fast zwei Wochen. Es schorenauch die Hirten der zweiten Herde, bei dem ich war, die altenSchafe, und verkauften die Wolle an Ort und Stelle an einenwegen der Schafschur aus Heltau eigens nach CaransebeÕgekommenen rumänischen Händler. Wir alle verluden dann dieWolle auf der Bahnstation der Hatzeg-CaransebeÕ-Bahn, undzwei tage später zog ich, die Schafe durch Pfiffe antreibend, aufder Straße gegen den Úarcu. Zu der zuvor gemachten Bemerkung,daß es am ermüdendsten sei, an der Seite der Herdeeinherzugehen, habe ich als Erklärung das hinzuzufügen, daß dieSchafe gern in die beiderseits der Straße befindlichen Saatfeldereindringen, die seitlich gehenden Hirten daher hier genötigt sind,bald nach vorne bald nach hinten zu eilen, um die Schafe aus denSaatfeldern zu treiben, und außerdem, da sie ja selbst auch nichtständig in den Feldern gehen dürfen, entweder genötigt sind, dieStraßengräben fortwährend zu übersetzen oder auf derAufschüttung des Straßengrabens zu balancieren, was zumal,wenn der Boden naß und glitschig ist, mit Opanken ebensoermüdet, wie wenn man genötigt ist, eines Schafes halber hundertmal ein frisch gepflügtes Ackerfeld zu durcheilen. Das Werfenmit Erdschollen und Düngerklößen hat zwar manchmal wohl denErfolg, die Schafe auf die Landstraße zurückzuscheuchen, dochbleibt dieser Erfolg, wenn die lockende Saat saftig und grün ist,in der Regel aus. In solchen Fällen nützt nur schleunigesHineilen, Pfeifen und Gestikulieren. Die Ursache, weshalb beimMarsch von CaransebeÕ auf den Retezat der Weg über den Úarcu

Page 375: Nopcsa Reisen Balkan

Zwischen Balkankrieg und Weltkrieg (1912-1914)

361

und nicht jener über den Eisernen Torpaß und Klopotiva gewähltwurde, lag darin, daß sich in der Herde schon vor ihremEintreffen in CaransebeÕ Spuren von Blättern gezeigt hatten, dieHirten aber dies, um weiterziehen zu dürfen, den Behördenverheimlichen wollten und es konsequenterweise für besserhielten, statt des durch viele Dörfer führenden Talweges dendurch keine Dörfer führenden Bergweg zu benützen Im erstenFalle wäre nämlich eventuell die Krankheit der Herde bemerktworden, und die Behörden hätten sie am Weitermarsch gehindert,ja vielleicht sogar monatelang in der Ebene zurückgehalten, was,da die Pacht der Weiden in der Ebene sehr teuer ist, die Hirten zuGrunde gerichtet hätte. Durch den Weitermarsch über dasGebirge entgingen sie diesem Ruin und infizierten zwar weiteGebiete, diese Verseuchung schadete aber nur anderen Herdenund nicht ihnen. Gleich am ersten Marschtag jenseits CaransebeÕhüpfte ein Lamm einige Mal nach rechts und links, als ob es voneiner Fliege molestiert wurde, dann zeigte es später eineLähmung beider Hinterfüße, dann blieb es zurück, im weiterenVerlauf schwollen ihm die Speicheldrüse, tränten die Augen, undes rann Schleim aus Mund und Nase, bis das Tier beizunehmender Schwäche mit halb geschlossenen Augen fast blindliegen blieb und endlich nicht weiter konnte. Die Hirten redetenkein Wort. Sie schauten sich gegenseitig an und machten besorgteGesichter. Sie stellten das Lamm auf seine Beine, so daß esweiter ging, dann legte es sich wieder nieder. Alle Hirten wußten,was dies bedeute, und auch ich sollte es erfahren. Am ersten Tagwar nur ein Lamm krank, am zweiten Tag waren es schondreißig. Wir standen einer Epidemie ohnmächtig gegenüber. Eswar grausam, wie man die armen, kranken Tiere zumVorwärtsgehen antreiben und mit den Füßen förmlich schiebenmußte, dann, wenn eins zusammenbrach, genötigt war, es beimRücken zu ergreifen und es wieder auf die Beine zu stellen, bloßum nach einigen Schritten erneut sein Zusammenbrechen zu

Page 376: Nopcsa Reisen Balkan

Zwischen Balkankrieg und Weltkrieg (1912-1914)

362

konstatieren. Nach einer kurzen Rast kamen die weniger schwererkrankten Stücke wieder zu sich und schleppten sich weiter umerneut zusammenzubrechen und erneut angetrieben zu werden,usw. Schwerer Erkrankte blieben liegen und mußten, damitwenigstens das Fell nicht in Verlust gerate, getötet und gehäutetwerden. Ihr Fleisch war wegen der Krankheit nicht genießbar.Zwei von uns dreien waren während mehrerer Tage größtenteilsdamit beschäftigt, zurückzubleiben und die zu Tod verurteiltenSchafe zu schlachten und zu häuten. Die Lammsfelle auf denRücken unserer Esel mehrten sich in schrecklicher Weise,hingegen schmolzen, da die Krankheit den Marsch der Herdeverzögerte, das nur für einige Tage berechnete Maismehl undunser Käse in gleich besorgniserregendem Maßstab. Da nochkeine anderen Herden am Úarcu waren, wußten wir, daß wir bloßauf unseren Proviant angewiesen waren. Endlich drohten unsereEsel trotz der Abnahme unseres Proviants unter der Last derfrischen Häute zusammenzubrechen, und von diesemAugenblicke an wurden die schwerer erkrankten Tiere einfachmit durchgeschnittener Kehle am Wegrande liegen gelassen. ImAllgemeinen dauerte die Krankheit bei den Stücken, welche dieKrise überstanden bloß zwei bis vier Tage, aber bei einem großenProzentsatz verlief sie tödlich. Hoch oben am Úarcu war zu alldiesem Ungemach noch kein Gras gewachsen, so daß die langsameinher ziehende Herde mehr und mehr von Hunger geplagtwurde, und außerdem gab es einige steile Schneewächte zupassieren, wo unsere Esel bald bis an den Bauch einbrachen, baldauf eisigen Partien ausglitten und talwärts rutschten. An solchenStellen blieb nichts anders übrig, als daß der eine Hirt mit derHerde weiter zog und die beiden anderen die Esel abpackten,dann zuerst die Esel über das Schneefeld hinüberführten, dannGepäck und Häute hinübertrugen, die Esel wieder beluden undbis zur nächsten vielleicht kaum einem halben Kilometerentfernten Schneewächte weiterzogen, wo die Operation von

Page 377: Nopcsa Reisen Balkan

Zwischen Balkankrieg und Weltkrieg (1912-1914)

363

neuem Anfing. Nebst all dieser Arbeit mußte noch auf die sichniederliegenden und zurückbleibenden Schafe achtgegebenwerden, was oben am Úarcu allerdings leichter war, als in derWaldregion, die wir zuvor zu passieren gehabt hatten.

Am abend flüchteten wir, da es oben am Úarcu wederFeuerholz noch Gras gab, in einen Talkessel des Úarcu. Dort sahich zufällig noch eine der alten und schon seltenen, für denBanater typischen kreisrunden, steinernen Sennhütten, derenKuppel dadurch gebildet wird, daß ein Stein über dem anderengegen die Mitte der Kuppe etwas vorspringt. Die neuerenSennhütten des Úarcu sind schon rechteckige Bauten.

Die durch das Töten von fast hundert Schafen für dieHirten mit großen pekuniärem Verluste einhergehenden Miserewar so grenzenlos und die allgemeine Stimmung so gedrückt, daßich, als wir uns am folgenden Tag dem Retezat näherten, denHirten meine Absicht kund gab, sie für einige Tage, das heißt biszu ihrem Eintreffen am Retezat- bzw. am Branugebirge, zuverlassen. Sie fanden es begreiflich und waren, da sich ihreGesellschaft so um einen Esser verringerte, darüber eher froh.

Von der alten Sennhütte waren wir in der Frühe schon beiTagesanbruch mit nüchternen Magen aufgebrochen, um später zufrühstücken. Ich wartete aber nicht auf die Polenta, die wir an dernächsten Raststelle um acht Uhr früh kochen wollten, sondernging, als wir die bei einer Quelle befindliche Raststelle um zehnUhr vormittags noch immer nicht erreicht hatten, ohne seit abendsetwas gegessen zu haben, allein vorwärts. Auf mir bis dahinunbekannten Wegen und mich an einer Stelle am Berge Tomeasain einem Holzschlag verirrend gelangte ich hungrig endlich umvier Uhr nachmittags zum Holzhauerproviantmagazin GuraApelor der Firma Peccol und Co., wo ich bekannt war und Essenvorfand. Die Hirten trafen mit der Herde am Branu erst zwei Tagespäter ein, dann schloß ich mich ihnen wieder an und, als dieKrankheit von den Schafen wich, war das Ungemach der vorigen

Page 378: Nopcsa Reisen Balkan

Zwischen Balkankrieg und Weltkrieg (1912-1914)

364

Tage bald vergessen. Man ersieht aus dieser Schilderung meinesMarsches von Iktar bis auf die Retezat, welche große Distanzendie wanderden Schafhirten alljährlich auch jetzt nochzurückzulegen pflegen, und vor dem Zollkriege Österreich-Ungarns mit Rumänien waren diese Strecken, da damals dieRetezater Herden bis in die damals noch türkische Dobrudschazogen, noch größer. Ich glaube, die Wanderung großerSchafherden teils auf das Mißverhältnis von Futterquantum undViehstand teils auf die Existenz von über die Baumregionemporragenden, also sonst ökonomisch unverwertbaren Gebirgenzurückführen zu müssen.

Während der Nacht schlief ich am Branu in meinemwarmen Schafpelz eingehüllt stets draußen bei der Herde. Wennes regnete, war dies gerade nicht besonders nett, bei schönemWetter und Sternenschein in der frischen Luft aber herrlich. Esgibt nichts schöneres als im Hochgebirge bei schönem Wetter imFreien zu übernachten. Wenn der Tag anbrach, ging ich in dieKoliba, die wir Lammshirten uns erreichtet hatten. Dort machtenwir Feuer, kochten die Polenta und aßen einen Sloiu. Sloiu istvon den Knochen abgelöstes, in Stücke geschnittenes und inseinem eigenen Fette gebratenes Schaffleisch, das man mitsamtseinem Fette in einen umgekehrten Lämmermagen schüttet, wo essich hermetisch abgeschlossen wochenlang erhält. Statt des Sloiuaßen wir zuweilen in der Frühe in gebräunter Butter zerlassenenKäse. Dann faulenzten wir ein wenig, stöberten hierauf dieHerde, so ferne sie noch nicht aufgebrochen war, bei den erstenSonnenstrahlen auf, denn, wenn die Sonne die in Nachtquartier inder Tirla liegende Herde bestrahlt, so ist dies ein Zeichen, daß dieHirten faul sind. Dann trieben wir die Herde auf die Weide. EinHirt schreitet langsam vorne einher und lockt den Leithammeldurch Polentabrocken, der andere beaufsichtigt die Nachzügler.Die Arbeit beim Weiden besteht darin. daß sich die beiden Hirtenirgendwo hinsetzen oder niederlegen, von wo man die Herde gut

Page 379: Nopcsa Reisen Balkan

Zwischen Balkankrieg und Weltkrieg (1912-1914)

365

beaufsichtigen kann, und dann, wenn sich die grasenden Schafezu weit entfernt haben, entweder ihnen folgen oder sie wenden.Nach so einem Spaziergange legt man sich wieder zusammennieder, der ein plaudert, der andere spielt Flöte, oder man schließtdie Augen und verträumt sein Dasein. Ist ein Hirt allein, so mußer sich natürlich mehr um die Herde kümmern. Ist man aber zuzweit oder zu dritt, so löst man sich ab, der eine geht zumBeispiel der Herde nach, während die anderen rasten, u.s.w. Böseist es, wenn man die Herde aus den Augen verliert und gar böseist es, wenn sich dieses an der Grenze des Weidegebietesereignet, denn die Hirten verschiedener Gebiete sind auf ihrWeiderecht, da sie es bezahlen, naturgemäß erpicht. Es wird auchdarauf geachtet, daß die Melkschafe nicht am Weideplatz derLämmer grasen. Weidet die Herde in der Nähe der Koliba, sobegibt man sich mittags dorthin, um zu essen. Weißt man, daßman sich von der Koliba entfernen wird, so holt man seinenProviant gegen Mittag aus dem Ränzchen. Das Mittagsmahl istmeist kalte Polenta und Käse. Gegen Sonnenuntergang ziehensich die Schafe von selbst enger zusammen, und dann ist es Zeitzur Koliba zu wandern, damit die Herde nicht von der Nacht aufoffenem Felde oder gar am Waldesrand überrascht werde. Einfrugales Nachtmahl, bei dem smîntîn| (dicker Obers), urda (süßerMagerkäse) oder, was man sonst aus der Almhütte bekommt, diewesentliche Rolle spielt, beschließt den Tag. Anstatt Bier trinktman oder löffelt man die erfrischende jintiÛa.

Die für uns Kulturmenschen schier unglaublicheSorglosigkeit des Hirtenlebens ist geradezu unbezahlbar. Man hatden ganzen Tag gar nichts derartiges zu tun, was man nichtwenigstens eine halbe Stunde lang aufschieben kann, und doch istman die ganze Zeit genügend beschäftigt, um sich nicht zulangweilen. Freilich hat das Hirtenleben auch seineSchattenseiten. Regen, Schnee, Kälte, Wind sind die Faktoren,die es verbittern, denn, wenn man die Schafe am oberen

Page 380: Nopcsa Reisen Balkan

Zwischen Balkankrieg und Weltkrieg (1912-1914)

366

Waldesrand weidet, und plötzlich schlechtes Wetter eintritt,geschieht es sogar, daß sich die ganze Herde plötzlich in denWald flüchtet, und man weder durch Schreien noch Schießen mitder Pistole, die man unerlaubterweise bei sich hat, noch Schlagenund Gestikulieren imstande ist, die Herde aus dem Wald zubringen. Da gerade bei solchem Wetter Überfälle durch Wölfeund Bären besonders häufig sind, bleibt nichts anders übrig, alsnaß, wie man ist, 24 Stunden und auch länger ohne Essen bei derHerde auszuharren, bis das Wetter nachläßt und man die Herdewieder zur Hütte treiben kann, um sich etwas zu trocknen undden Hunger zu stillen. Zumal, wenn bei solchen Gelegenheitenein Hirte allein ist und ein Feueranzünden im Regen unmöglichwird oder das nasse Holz nicht brennen will, dann glaubt derBetreffende, daß die dunkle Nacht niemals aufhört. Auch beiNebel ist das Weiden der Herde höchst beschwerlich, denn mandarf die Schafe nicht aus den Augen lassen, muß daher die ganzeZeit mit ihnen wandern und kann sich von Früh bis Abendskeinen Augenblick setzen.

Recht variabel ist die Beschäftigung jenes Hirten, dertagsüber nicht mit der Herde zieht oder sich ihr nur gegen mittagsanschließt und der bei der Koliba für Feuerholz zu sorgen hat undmit dem Esel oder auch zu Fuß zur Sennhütte muß, um von dortProviant zu holen, und der eventuell dazu designiert ist, das fürdie Schafe nötige Salz in prähistorischer Manier mit einemsteinernen Reiber auf einer Steinplatte zu zerreiben und, wennnötig, mit Maismehlkleie zu mischen (siehe meine Fotografievom Drechsan / Salzreiben).

Bald ist es dieser, bald jener Hirt, den man zu solchenArbeiten heranzieht. Daß ich während meiner Hirtenzeit dasSchlachten der Schafe durch Durchschneiden der Kehle, dasAbhäuten und das Ausweiden gelernt habe, ist natürlich. Da ichaber nicht bei Melkschafen war, ist mir das Übung erfordernde

Page 381: Nopcsa Reisen Balkan

Zwischen Balkankrieg und Weltkrieg (1912-1914)

367

Melken ebenso wie das nur einmal im Jahre wiederkehrendeScheren fremd geblieben.

Im Gebirge leben die Schafhirten untereinandergrößtenteils auf gutem Fuß, dennoch sind sie, wenn sie aufeinander losgehen, von rücksichtloser Grobheit. Daß sie sich mitihren Knüppeln prügeln, ist noch natürlich. Es kommt aber vor,daß Schafdiebe bei den Füßen über ein Feuer aufhängt und biszur Besinnungslosigkeit geräuchert werden. Ja im Jahre 1913geschah es in Rumänien in der Stina Scirbu unweit derungarischen Grenze, daß die Hirten einen Genossen, den siewegen triftiger Indizien eines Doppelmordes verdächtigten,entkleideten, fesselten und, da er kein Geständnis ablegen wollte,so neben das Feuer legten, daß auf seiner Haut allmählich von derHitze Blasen entstanden, worauf der Gefolterte allerdings nochwährend der Tortur ein volles Geständnis ablegte. Seit jenemMorde soll übrigens nach Aussage der Hirten die Stelle, wo derMord geschah, verflucht sein und häufig von Blitzschlagengetroffen werden. Die unmenschliche, fast wollüstigeGrausamkeit der Rumänen scheint eine jener Eigenschaften zusein, die die Rumänen mit der slawischen Blutmischung in sichaufgenommen haben. Wegen des übrigen slawischen Einschlagesim Rumänentum weise ich auf die verschiedenen Schriften desBukarester Ethnologen E. Fischer. In Rumänien selbst ist manbestrebt, den sehr beträchtlichen slawischen Einschlag zuverleugnen, und betont den lateinischen Ursprung nicht nur derrumänischen Sprache sondern auch der Rasse. Daraus konstruiertman dann historische Anrechte auf Siebenbürgen.

Da ich auch nicht mehr Kleider als ein anderer Hirt hatteund schon im gewöhnlichen Leben nicht kurze Haare zu tragenpflegte und diese außerdem nun seit März nicht geschnitten hatte,kann man sich denken, wie ich gegen Ende des Sommers aussah.Zu allem Schmutz kam noch das Abgebranntwerden von derSonne, und so konnte man mich durch gar nichts von einem

Page 382: Nopcsa Reisen Balkan

Zwischen Balkankrieg und Weltkrieg (1912-1914)

368

Hirten unterscheiden, was das Entsetzen meiner zivilisiertenBekannten und das Verwundern jener Bauern hervorrief, die michsahen, als ich bei einem gelegentlichen Besuche in BoldogfalvaKendeffy Gabor sein Automobil benützte. Sie konnten sich nichterklären, wie ein Hirt dazu komme, in einem Automobil zusitzen.

Es versteht sich, daß auch ich den Hirten benachbartenSennhütten zuweilen Besuche abstattete, wodurch ich stets mitmehr Hirten bekannt wurde. Zuweilen kamen mehrere von unsauch bei einem Holzhauermagazin zusammen, um dort Wein,Bier oder Schnaps zu trinken. Zur Zeit, als die Himbeeren reiften,waren mehrere von uns öfter im Himbeergestrüpp zu treffen.

Bis zum 9. Juli blieb ich ununterbrochen Schafhirt, dannfuhr ich nach Ausbruch des bulgarisch-rumänischen Kriegeswegen der Rumänenfrage über Klausenburg nach Wien.Rumänien schien mir mit Serbien zu paktieren. In Rumänien gabes beim Ausbruch des Krieges gegen Bulgarien in mehrerenOrten des mit der Monarchie angeblich verbündeten Rumänien,wie aus dem beiliegenden Zirkular ersichtlich ist, gegen dieMonarchie gerichtete Demonstrationen.

Prefectura jud. MehedinÛiServiciul administrativPublicaÛiuneDmnul Ministru de Interne, ne comunic| urm|toareatelegram|:“V| reinoesc circulara mea de eri Õi v| rog s| luaÛi înm|suri, c| orice manifestaÛiuni în contra vreuneia dinmarile puteri Õi mai ales dinaintea consulatelor, s| fieriguros interzise, spuneÛi populatiunei c| nu e adev|rat c|vreuna din marile puteri Õi in special Austrio-Ungaria, ararata vreo ostilitate României Õi ar pune piedica acÛiuneipolitice a statului român.”

Page 383: Nopcsa Reisen Balkan

Zwischen Balkankrieg und Weltkrieg (1912-1914)

80 “Präfektur des Kreises MehedinÛi, Verwaltungsabteilung.Bekanntmachung. Der Herr Innenminister teilt uns folgendesTelegramm mit: Ich erneuere Ihnen mein Rundschreiben von gesternund bitte Sie, Maßnahmen zu ergreifen, daß jegliche Manifestationgegen eine der Großmächte und insbesondere vor den Konsulaten strenguntersagt wird, sagen Sie der Bevölkerung, daß es nicht wahr ist, daßeine der Großmächte und vor allem Österreich-Ungarn gegenüberRumänien irgendeine Feindseligkeit zeige und die politische Tätigkeitdes rumänischen Staates behindere. Innenminister /ss/ Take Ionescu. DieBürger von Severin werden gebeten, sich feindlicher Manifestationen zuenthalten. Präfekt, T. Costescu.” (Übersetzung von Elisabeth Ernst,Bukarest).

369

Ministru de Interne/ss/ Take IonescuCet|Ûienii Severineni, sunt rugaÛi s| nu fac| niciomanifestaÛiune ostil|.Prefect, T. Costescu80.

In Wien blieb ich nur einige Tage und am 21. Juli war ichwieder Schafhirt im Retezat. Schon Anfang Juli war ich alsSchafhirt öfter ohne Paß in Rumänien. Ich mußte aber achtgebenvon den rumänischen Grenzwächtern nicht gefangen genommenzu werden. Jetzt befreundete ich mich mehr mit den jenseitigenSchafhirten und half ihnen, einige Pferdelasten Schafskäse in derNacht nach Ungarn zu schmuggeln, wobei allerdings dieungarischen Finanzen mich mitsamt meinen Freunden docheinmal fast ertappt hätten. Glücklicherweise hatte dieFinanzpatrouille sich abends bei einer Sennhütte ein Feuergemacht, das uns, noch ehe sie unser Pferdegerappel hörten,auffiel. Wäre das Feuer kleiner gewesen, so hätten wir es für einHirtenfeuer gehalten und hätten uns ihn unbedenklich genähert.So aber schickten wir einen Hirten voraus zu schauen, was das

Page 384: Nopcsa Reisen Balkan

Zwischen Balkankrieg und Weltkrieg (1912-1914)

370

große Feuer bedeute. Als der Hirt die Finanzen sah, kehrte er umund warnte uns vor der Gefahr, und wir kehrten nach Rumänienwieder. Bei diesen Schmuggelgängen pflegten wir übrigens denschon bei Tag schwer passierbaren Sztanuletja in der Nacht mitPferden zu passieren.

Als Schafhirt bekam ich die ersten Indizien für dieExistenz des rumänisch-serbischen Übereinkommens, demzufolge Serbien Bosnien und Rumänien Siebenbürgen bekommensollten. Diese Indizien bestanden darin, daß mir plötzlich mehrereSchafhirten, die miteinander nicht zusammengekommen waren,von der Existenz dieses Bündnisses erzählten.

Da mein Bruder Elek und seine Frau im August nachSzacsal gekommen waren, und ich sie lange nicht gesehen hatte,verließ ich um diese Zeit das Gebirge und wurde für einige Tagewieder ein ‘zivilisierter Mensch’. Vom 14. bis zum 21. Augustwar ich mit Kendeffys, Elek, Catherine und meiner SchwesterIlona in Herculesbad. Elek, Catherine und Ilona blieben jedochnur einige Tage mit uns.

In Herculesbad traf ich den Times-KorrespondentenBouchier, der im Sommer 1911 mein Mitarbeiter in Podgoricagewesen war und von der inzwischen zwischen mir und derTimes eingetretenen Entfremdung nichts wußte. Er sagte mir, ummich gegen die Rumänen aufzubringen, Take Ionescu hätte ihmvon dem rumänisch-serbischen Bündnis erzählt. Diese Nachrichtdiente mir als Bestätigung für die Richtigkeit der seitens derSchafhirten erhaltenen Indizien, denn Bouchier konnte von diesennichts wissen. Bouchier beabsichtigte durch die Verbreitungdieser Nachricht, daß Österreich-Ungarn für Bulgarien gegenRumänien Partei ergreife.

Ich teilte alle diese Beobachtungen Auffenberg mit undblieb dann vom 22. August bis zum 11. September, das heißt bisdie Schafe das Gebirge verließen, wieder als Schafhirt imGebirge. Das Wetter war die ganz Zeit elend, aber der Aufenthalt

Page 385: Nopcsa Reisen Balkan

Zwischen Balkankrieg und Weltkrieg (1912-1914)

371

im Freien hob meine Gesundheit und, da sich hiedurch latenteEnergie entwickelte, die sich weder im Spiel nochGeschlechtsverkehr, noch geistiger Arbeit umsetzen konnte,begann ich nach einer Pause von acht Jahren wieder Gedichte zuverfassen. Sowie ich in die Zivilisation, das heißt in die Zoneanderweitiger Tätigkeit und anderweitigen Energieverbraucheskam, hörte dies aber wieder auf. Offenbar hatte mir eben daswilde Leben eben infolge des dabei entwickeltenEnergieüberschusses so gut gefallen und mich so verjüngt.

Die menschliche Maschine liefert in normalen Zeiten beiunabhängigen Menschen mehr Energie als verbraucht wird. Es istdies deshalb nötig, da der Verbrauch nicht konstant ist und diemomentane Energie stets so groß sein muß, daß sie auch in einerKrise genüge. Aufspeichern von Energie wurde offenbar durchÜberleben der mehr überflüssige Energie produzierenden unddaher bei Krisen über mehr Energie verfügenden Individuen imWege der natürlichen Auslese erreicht. In ganz analogerweiseproduzieren Fische scheinbar überflüssig viele Eier, u. dgl. mehr.Überflüssige Energie treibt die Kinder und jungen Tiere zumSpiel, andere zu freiwilliger unwiderstehlicher Arbeit (sogarSchachspiel, Karten, Tennis etc. gehören hierher), andere zuübermäßigem Geschlechtsverkehr oder zur Selbstbetäubung(Alkoholismus). Auch Dichten ist offenbar als solcherunwillkürlicher Verbrauch geistiger überflüssiger Energie zudeuten.

In welchem Organ sich dieser Energieüberschuß einstellt,ist Sache der Veranlagung und des Ausbaus der Organe. Oftverteilt er sich auf verschiedene Organe. Sollte das, was fürIndividuen gilt, auch für Völker gelten? Junge Menschen undjunge Völker produzieren mehr überschüssige Energie als zurSelbsterhaltung nötig. Bei alten Leuten hemmen physiologischeVeränderungen die Energieproduktion. Bei abhängigenMenschen (Sklaven, Arbeiter, Armen) ist der tägliche

Page 386: Nopcsa Reisen Balkan

Zwischen Balkankrieg und Weltkrieg (1912-1914)

372

Energieverbrauch oft zufällig der Energieproduktion fast gleich,und daher kommen dann Müdigkeit, Unlustgefühle undSelbstmord auf. Aus diesem Verhältnis erklärt sich auch dieTatsache, daß ‘inter arma silent musae’. Im Krieg tritt nämlichmeist ein erhöhter Energieverbrauch ein. Manche ins Feldziehenden Menschen werden freilich der täglichen Sorgenenthoben, und daher kommen Lustgefühle und Begeisterung auf.Daher stammen auch die Kriegslieder unbekannter Verfasser.

Ob die Kultur, da sie das Leben erleichtert, bei einemfreien Kulturmenschen (im Verhältnis zu einem freien Wilden)eine Vermehrung des Energieüberschusses nach sich zieht odereine Verminderung eintritt, wage ich nicht leicht zu entscheiden,glaube aber, freie Kulturmenschen sind sehr selten. Die Wildenwerden allgemein als fröhlich und gesangslustig geschildert,allerdings denken sie nicht gerne über etwas lange. DieseDenkfaulheit, da sie auch bei europäischen Südländernbeobachtbar ist, kann doch eventuell durch klimatischen Einflußbedingt sein. Durch zu geringer Rohstoffzufuhr (Krankheit) wirdder Energieüberschuß jedes Menschen jedenfalls herabgesetzt.Daher ‘mens sana in corpore sano’. Freilich darf dies aber nicht,was häufig geschieht, in ‘mens sana in corpore giganteo’umgedeutet werden. Der Energieüberschuß ist jedenfalls derGrund, weshalb wir während unseres Lebens meist handeln unduns rastlos irgendwie betätigen, das heißt, zivilisieren, uns Luxusgewähren und Luxus beschaffen. Der Energieüberschuß ist sicherauch mit der sogenannten Freude am Leben identisch. Bei mirspeziell ist der eigentlich überflüssige Wunsch, sich zu betätigen,der maßgebende Faktor. Wie, ist mir irrelevant. Ob Fischernetzeeinziehend, ob mit der Herde marschierend, bis ich mich abendsmüde im Straßengraben niederlege, ob auf wissenschaftlichemoder politischem Gebiet, ist mir gleichwertig und bereitet mirgleiche Freude. Erfolg ist, weil er die Fortarbeit erleichtert undder persönlichen Eitelkeit schmeichelt, natürlich angenehm.

Page 387: Nopcsa Reisen Balkan

Zwischen Balkankrieg und Weltkrieg (1912-1914)

373

Mißerfolg wirft einen aus der Bahn, und man muß etwas neuesanpacken. Ein Kranker, der gepflegt wird, kann eben wegen derPflege noch immer einen Energieüberschuß haben. Doch will ichwieder zu meinem Tagebuch kehren.

Da ich über das Abschwenken Rumäniens in Herculesbadund im Gebirge positive Daten erhalten hatte, setzte ich diesespäter Exzellenz Conrad in folgendem Schreiben auseinander.

1. Oktober 1913“Exzellenz! Die Angaben, auf Grund deren ich

das Bestehen eines serbisch-rumänischen Bündnisses fürbestimmt oder für äußerst wahrscheinlich halte, sindfolgende:1) Erzählte mir ein Schafhirt in den Karpaten, ein ausRumänien nach Ungarn reisender rumänischer Bauerungarischer Staatsbürgerschaft habe ihm mitgeteilt, daßman unter der rumänischen Bevölkerung Rumäniensdavon rede, daß Rumänien in jenem AugenblickeSiebenbürgen fordern werde, wo Serbien Bosnienfordert. Das Gespräch fand im Eisenbahncoupé nachMehadia in CaransebeÕ statt.2) Erzählte mir ein gewisser Nikolaj Zsavla, ein Schafhirtrumänischer Nationalität aus Siebenbürgen genaudasselbe. Er gab an, dies in der Gemeinde Klopotivagehört zu haben, und ich weiß, daß Zsavla mit dem unter1) genannten Gewährsmann keine Beziehungen hatte.3) Hörte ich von rumänischen Schafhirten in der inRumänien liegenden Sennhütte Sorbele als Schafhirteverkleidet auch dasselbe.4) Erzählte ein in Rumänien dienender Schafhirt in derSennhütte Skurtele in Siebenbürgen, daß sich Rumäniengegen die Monarchie rüste. Dies halte ich für eine freilichsymptomatische Übertreibung.

Page 388: Nopcsa Reisen Balkan

Zwischen Balkankrieg und Weltkrieg (1912-1914)

374

5) Sagte mir Bouchier (Times-Korrespondent, mit demich 1910 gegen Grafen Aehrenthal kooperierte)gleichfalls, Rumänien werde in jenem AugenblickeSiebenbürgen verlangen, wo Serbien nach Bosnien greift.Bouchier gab an, dies von Take Ionescu und vielenanderen Politikern in Rumänien gehört zu haben.6) Abgesehen von diesen positiven sich gegenseitigunterstützenden und offenbar aus einer Quelle(rumänische Regierung) stammenden, daher sehrglaubwürdigen Nachrichten finde ich, daß die Rumänenin Siebenbürgen seit dem Sommer eine regere Tätigkeitentfalten als früher.

Die von Subjekten 2 und 5 erwähnten Angabenhabe ich Exzellenz Krobatin schriftlich mitgeteilt, die inden anderen Abschnitten bloß mündlich erwähnt.

Ich glaube, man kann das Entstehen einesserbisch-rumänischen Bündnisses, wie es sich aus demObigen herauslesen läßt, nur dadurch verhindern, daßman den einen der beiden Bundesgenossen dermaßenschwächt, daß seine Hilfe für die nächste Zukunft für denanderen wertlos wird. Dieser eine Teil wäre natürlichSerbien.

Da ich die Hoffnung auf den Fortbestand derMonarchie noch nicht aufgeben will, erlaube ich mir,obige Angaben Eurer Exzellenz schriftlich zuunterbreiten, und bleibe mit aufrichtigster Verehrung,

Baron Nopcsa.”

Während ich noch Hirt war und der rumänischeMinisterpräsident Take Ionescu bereits zu Rußland abgeschwenktwar, fuhr er, um mit Berchtold über die Frage der SiebenbürgerRumänen zu konferieren, nach Wien. Er gab sich dort noch alsFreund der Monarchie aus, veranlaßte aber gleichzeitig seine Frau

Page 389: Nopcsa Reisen Balkan

Zwischen Balkankrieg und Weltkrieg (1912-1914)

375

trotzdem, da so etwas verboten war, mit einem auffallenden, mitrumänischen Nationalfahnen geschmückten Automobil durchSiebenbürgen zu fahren, damit sie von den ungarischen Behördenaufgehalten würde, und er bei Berchtold an Hand dieses Falles alsscheinbarer Freund der Monarchie auf die gräßliche Bedrückungder Rumänen in Ungarn weisen und Berchtold eine peinlicheViertelstunde bereiten konnte. Der ganze Plan gelang vortrefflich,und Berchtold merkte erst beim Ausbruch des europäischenKrieges, daß der zufällig bis dahin gestürzte Take gerade allesandere als sein Freund war. Take Ionescu hatte nur deshalb einautonomes Siebenbürgen verlangt, um die Monarchie innerlich zuzersetzen.

Vom 17. bis zum 20. September war ich bei Elek undCatherine in Klausenberg und machte mit ihnen mehrereAutomobiltouren, z. B. zu den Gasquellen von Kissármás undnach Szentlászlo, wo ich geologische Studien machte. InKlausenburg besuchte ich natürlich Josika Samu. Vom 20.-30.September war ich in Wien, wo ich u.a. auch Burian meineBeobachtungen in der Rumänenfrage erzählte.

.....

Wie nicht anders zu erwarten, benutzte ich den Sturz destürkischen Regimes, um bald nach dem Londoner Frieden wiedernach Albanien zu fahren. Ich fuhr also zum Ärger Zambaurs, dernoch immer in Shkodra Generalkonsul war, im Oktober vonWien nach Albanien. Obzwar mir das Schicksal des auf derBotschafterkonferenz beschnittenen Albanien so ziemlich klarwar, so glaubte nicht einmal ich an einen so schnellenNiedergang, als er tatsächlich erfolgte. Ich fühlte, als ich statt desHalbmondes in Shëngjin eine andere Fahne erblickte, einegewisse Erregung in meinem Inneren, denn so lange diese neueFahne wehte, schien mir dies ein Gewähr zu sein, daß von nun an

Page 390: Nopcsa Reisen Balkan

Zwischen Balkankrieg und Weltkrieg (1912-1914)

376

wenigstens meinen Reisen in Albanien keine behördlichenSchwierigkeiten gemacht werden würden, daß ich vielmehr in derLage sein würde, mich in Albanien eben so frei zu bewegen wieein Albaner. Ich hoffte sogar, daß mir die Leute, da ich mich stetsmit ganzer Kraft für sie eingesetzt hatte, freundlich begegnenwürden.

Bajazid schickte ich über Obot nach Shkodra. Selbstbetrat ich bei Shëngjin das Land. Meine Erwartungen hatten michnicht getäuscht. Die Regierung lag in Shëngjin in den Händenmeiner Freunde, der Malessoren. Statt Passzwang undGepäckrevision gab es nur allseitiges Händeschütteln undBegrüßung. Der Finanzangestellte (oder war es derOrtsgendarm?) in Tschakschir und xhurdi und mit weißem Schalam Kopfe trug mein Gepäck zum Han, und die anderenMalessorenbeamten kamen ebenso, mich zu begrüßen, wie sie esvor Jahren getan hatten. “HoÕ gelden, hoÕ gelden, seiwillkommen, sei willkommen,” tönte es von allen Seiten. Ich gingzum Han, um ein Packpferd zu bekommen, um mich zuerfrischen und um mich zu orientieren, und schon hieß eswiederum rasch handeln.

Am Bord des Lloyd-Dampfers waren mir böse Gerüchteüber Zwiespalt unter den Malessoren zu Ohren gedrungen, undgerade an dem Tag sollte, so sagte mir der Lloydagent, in Lezhaeine Versammlung der Shkreli stattfinden, die mit Gjeta Zogu,dem Gouverneur von Lezha, unzufrieden waren. Manbefürchtete, daß es zum Blutvergießen kommen würde. Shëngjinwar, wie ich wußte, von den Shkreli bewohnt. Eine unparteiischeSchilderung von Gjetas Angelegenheiten konnte ich von diesensicher nicht erwarten, und doch wollte ich orientiert sein. Halt,blitzte es mir durch den Kopf, der Handschi wie jeder Wirt weißalles, aber wie machen, um alles von ihm auch richtig zuerfahren? Ihn ausfragen, würde zu keinem Ziele führen, da ihmdie Gelegenheit zu lügen nicht benommen werden konnte. Ihn

Page 391: Nopcsa Reisen Balkan

Zwischen Balkankrieg und Weltkrieg (1912-1914)

377

bestechen schon gar nicht, denn daran würde er gleich erkennen,daß ich ihn auszunützen vorhatte. Ich mußte auf ein anderesMittel sinnen. Während ich darüber dachte, brachte man mir fürmein Gepäck ein Packpferd. Wie wäre es, fuhr es mir nun durchden Kopf, wenn ich des Handschis 12-15-jährigen Sohn zumeinzigen Begleiter und Pferdetreiber bis Lezha nehmen würde?Dieser Junge wußte offenbar genau so viel wie sein Vater. Er waraber jung und unerfahren, vielleicht könnte ich ihn gesprächigmachen, dann würde er mir bei richtiger Fragestellung unbewußt,unparteiische und wertvolle Aufschlüsse erteilen. Ich ließ alsomein Pferd beladen und, als nun der Handschi selbst mit mir nachLezha kommen wollte, gelang es mir nach mannigfaltigemParlamentieren, ihn zu überreden, mir an seiner Stelle seinenSohn als Begleiter auf den Weg zu geben. Als ich mit diesemJungen nach zweistündigem Marsche in Lezha antraf, wußte ichalles, was ich brauchte.

In Lezha grüßte von weitem ein Europäer. Obzwar inKhaki angetan war es eine gewinnende, elegante Erscheinung, sogrüßte ich dann zurück und ging auf den Grüßenden zu, obzwarich ihn nicht kannte. “Nopcsa,” stellte ich mich vor. “Potocki,”lautete die Antwort. Der Zufall, der so manches anstellt, hattemich mit Grafen Potocki zusammengeführt, der mit GrafenPachta, um Wälder zu kaufen, nach Albanien gekommen war miteinem, wie sich später zeigte, lebenslustigen Gefolge und einemExpriester, der als Dolmetsch diente. Er hatte in Lezha einen Hanbezogen. Natürlich setzte ich mich zu Potocki und Pachta, unddahin kamen dann auch bald alle meine von meinem Eintreffenverständigten albanischen Freunde, so Ded Zogu, Lesh, der Neffedes Bajraktars Lan Turku, dann Syni Doda und viele andere.

Potocki und Pachta waren wie zu einer Afrikaexpeditiongerüstet. Ihr Gepäck umfaßte außer Konserven auch Feldbettenu. dgl. in großer Menge, weshalb sie dann zum Transport ihresGepäckes stets mehrere Packpferde brauchten. Infolge des

Page 392: Nopcsa Reisen Balkan

Zwischen Balkankrieg und Weltkrieg (1912-1914)

378

Wegmangels waren damals solche Expeditionen in Albanienentschieden als unpraktisch zu bezeichnen, denn davon absehend,daß sie unverhältnismäßig viel kosteten, nötigten sie außerdemden Reisenden, sich auf die wenigen vorhandenen Saumwege zubeschränken.

Ich saß nicht lange mit Potocki und meinen ‘wilden’albanischen Freunden, als die zu ihrer Versammlungherbeiströmenden Chefs von Shkreli auch schon erschienen, ummich zu begrüßen. Ich ergriff die Gelegenheit auf diese inversöhnendem Sinne zu wirken. Daß ich, obzwar erstangekommen, über alles, ja sogar über die Ereignisse der letztenTage genau informiert war, wunderte sie gewaltig. Inwohlgefügter Rede erklärte ich ihnen, daß ich eigentlich an ihrenStreitigkeiten unbeteiligt sei, daß sie mich aber als ihren altenFreund kennen, und daß ich ihnen daher den Rat gebe, ihreSachen so zu ordnen, daß sie Zorn und Blutvergießen vermeiden,denn dies sei immer nur die Quelle von weiterem Übel.

Potocki und Pachta hatten über mich zwar schon einigesgehört, aber dennoch schienen sie über mein Eingreifen inalbanische Angelegenheiten recht erstaunt und freuten sich, michkennengelernt zu haben. Nach meiner Rede ertönten auf deutschRufe aus dem Hane, daß ein Mittagessen fertig sei. Potocki undPachta gingen hinaus, nahmen mich mit, und dort lernte ich dieBegleiterinnen der beiden Herren, zwei bekannte WienerFräuleins, kennen. Nach dem Essen legte sich alles schlafen.

Ich entließ mein Packpferd und meinen jungenPferdetreiber, dann bereitete man mir, als einem Freunde derAlbaner, im Regierungsgebäude von Lezha ein Gastzimmer, indem ein eisernes Bettgestell, fast reine Bettwäsche und einintaktes Moskitonetz prunkten und, wo ich dann mitten untermeinen albanischen Freunden nicht nur den Nachmittag zuverbringen sondern auch zu übernachten beschloß. Infolge langerGespräche, während der mir jeder einzelne seine Erlebnisse

Page 393: Nopcsa Reisen Balkan

Zwischen Balkankrieg und Weltkrieg (1912-1914)

379

während der letzten Jahre erzählte, gingen wir alle freilich erstsehr spät schlafen. Abends erfuhr ich nebenbei auch, daß dieVersammlung der Shkreli meine Worte zu Herzen genommenund sich in Wohlgefallen aufgelöst hatte. Gleichzeitig ersah ichaber auch, daß die ganze Unruhe, die ich in Lezha konstatierte,von der Gjeta Zogu seit langem feindlich gesinnten Familie desLan Turku geschürt wurde. Lan Turku war der Bajtraktar vonNikç. Durch Armut und durch den Tod des klugen Gjergj Kazeliwar aber diese Familie etwas herabgekommen, und infolgedessen hatten die reichen, klugen und energischen aber einerobskuren Familie entstammenden Brüder, Ded Zogu und GjetaZogu, fast allen Einfluß an sich gerissen. Trotz ihrer alsGouverneur lokalpolitisch wichtigen Rolle, die es mit sichbrachte, daß Berchtold ihre Namen seit dem Winter 1912 ofterwähnt hörte, geschah es, daß dieser Diplomat beide Brüder imJänner 1914 noch immer nicht Zogu, sondern in eleganterfranzösischer Weise ‘Kokü’ nannte, was freilich eleganter klangals Zogu.

Wollte ich in Lezha Frieden stiften, so mußte ich Laniden Bajtraktar besuchen und, da Potocki auch südwärts wollte,ritten wir alle am nächsten Tag nach Bregumatja. Als Mitgliederder Expedition war Potocki als Europäer gekleidet, ich aber zurgroßer Freude aller Malessoren war bereits in meinemalbanischen Kostüme. Besonders realistisch wurde die Situationdadurch, daß man für mich bloß ein mit einem samar (Packsattel)gesatteltes Pferd aufgetrieben hatte, was nun allerdings wie ausbeiliegender Fotografie ersichtlich zu meinem Kostüme undmeinen Opanken prächtig paßte, was aber auch, da ich mich andas Reiten auf einem samar wieder erst gewöhnen mußte, in derersten Viertelstunde nicht besonders nett war.

Da sich die Dämchen der Expedition so ausgelassenbenahmen, daß es öffentliches Ärgernis erregte, denn gerade inder Gegenwart fremder Männer müssen in Albanien Frauen

Page 394: Nopcsa Reisen Balkan

Zwischen Balkankrieg und Weltkrieg (1912-1914)

380

besonders bescheiden auftreten, so war ich, so sympathisch mirPotocki auch war, dennoch froh, als ich mich in Bregumatja vonseiner Expedition trennte. Daß man in Albanien Reisen mitFräuleins nach Tunlichkeit vermeiden sollte, darauf hätten dieVertreter der Monarchie einigermaßen achten sollen, denn, alszwei Tage darauf eine italienische ärztliche Hilfsexpedition inShëngjin landete, die aus lauter ernsten Männern bestand, die allemit albanischen Kokarden im Knopfloche und von Dienern PrenkPaschas begleitet ruhig und würdevoll nach Lezha einzogen, daforderte sie unwillkürlich zu einem Vergleiche mit der ebenentschwundenen tollen Bande.

Trotzdem daß ich in Bregumatja mein möglichstes tat,den Lan Turku zu überreden, hatte mein Besuch bei dem altenStarrkopf nur den Erfolg, daß ich in seiner aus Reisiggeflochtenen Hütte übernachtend mir, wie ich später bemerkensollte, eine schwere tropische Malaria holte.

Am nächsten Tag ritt ich, um Gjeta Zogu zu treffen, nachTale in Bregumatja. Gjeta selbst war nicht zuhause, sondern inGurëz südlich des Mat, doch traf ich Preka, den Sohn Gjetas, undritt mit diesem sofort nach Gurëz weiter. Als ich an das Norduferdes damals eben geschwollenen Mat kam, gelangte ein anderervon Süden kommender Reitertruppe an das jenseitige Ufer,woselbst auch viele Malessoren standen. Die Malessorenerkannten mich trotz der Ferne und trotz meinem Kostüme. Nunbegann eine große Begrüßungsschießerei auf beiden Ufern, unddies versetzte die fremden Europäer der Reitertruppe, da sie dieUrsache nicht kannten, in Aufregung, die sich allerdings baldlegte. Ich übersetzte den Mat auf einem Einbaum, begrüßte dieEinwohner von Gurëz und dann auch die Europäer, die einerbehufs Aufnahme einer Bahntrasse vom k.u.k.österreichisch-ungarischen Ministerium des Äußeren entsendetenKommission unter der Leitung des Herrn Ingenieurs Dedygehörten, die am Landwege aus Vlora kam. Dedy und Gefährten

Page 395: Nopcsa Reisen Balkan

Zwischen Balkankrieg und Weltkrieg (1912-1914)

381

waren überrascht, mich hier zu treffen. Sie kannten schon meinenNamen. Mit diesen Herren und Gjeta Zogu wurde der Mat erneutübersetzt und zwar diesmal nordwärts. Die Pferde wurden durchden Mat getrieben und mußten schwimmen. Dann schliefen wiralle bei Gjeta Zogu in Tale und ritten am nächsten Tag nachLezha. Während ich nach Gurëz ritt, war Deda nach Shkodragegangen, um mir mein Gewehr zu bringen.

Als ich abends mit Gjeta, dessen Stellung ich auch inGurëz gefestigt hatte, auf der Drinbrücke bei Lezha auf und abspazierenging, weil dies das ebenste Wegstück war, und mit ihmnach Einbruch der Dunkelheit gegen die Stadt kehrte, da sprangam Wachposten ein Mirdite, mit dem Gjeta im Vorbeigehen ebennoch scherzhafte Worte gewechselt hatte, von rückwärts plötzlichuns nach und erschoß Gjeta Zogu. Gjeta stürzte tot zu Boden. Ichmachte einen Satz seitwärts, blieb stehen und hielt, da ichwaffenlos nichts anderes machen konnte, die Hände zum Mundund alarmierte durch den lauten Ruf, “e kanë vrâ Gjeta Zogun”(man hat Gjeta Zogu ermordet) ganz Lezha. Um mich amAlarmgeben zu hindern, schoß der Mörder aus naher Distanz aufmich, fehlte mich aber, dann floh er. Es war gruselig, als ich ihnnach dem ersten Schuß repetieren hörte und nun wußte, daß dernächste Schuß mir gelten würde. Aus allen Häusern stürztenShkreli und Kelmendi hervor und bezichtigten sich wegen dervorhandenen Spannung gegenseitig des Mordes. Da ich inalbanischen Kleidern war, in der Nacht also von den aufgeregtenMenschen nicht erkannt wurde, war das Trennen der mitgeladenen Gewehren gegenseitig aufeinander losgehendenParteien, da ich Brachialgewalt anwenden mußte, rechtgefährlich, und die Haufen, die ich auseinanderriß, schlossen sichhinter mir von neuem zusammen. Zweimal mußte ich mirzwischen den Shkreli und Kelmendi gewaltsam einen Wegbahnen. Dann erschien auch der Pfarrer und half mir bei derTrennung. Inzwischen hatte der Mörder Zeit gefunden zu

Page 396: Nopcsa Reisen Balkan

Zwischen Balkankrieg und Weltkrieg (1912-1914)

382

entkommen. Da ich den Mörder nicht kannte und in der Nachtauch nur undeutlich gesehen hatte, dauerte es ziemlich lange, biswir die Identität feststellen konnten, denn daran, daß es Gjetaseigener Gendarm gewesen wäre, wollte anfangs niemandglauben. Die Indizien, die uns zu diesem Schlusse führten, warenfolgende: erstens war es ein Mann, den Gjeta noch im Laufe desNachmittags gesehen hatte, da er ihn, als er mit ihm vor demSchuß gescherzt hatte, ohne Begrüßungsformel angeredet hatteund nicht erstaunt gewesen war zu sehen, daß er auf der BrückeWache hatte. Zweitens erschien er mir mittelgroß und nichtübermäßig stark. Drittens hatte seine Kleidung in der Nacht einendunkleren Gesamteindruck erregt, als die weiße Schafwolltrachtder Malessoren. Als man auf Grund dieser Angaben die in Lezhazerstreuten Zaptiehs zusammenrief, die es alle als unmöglichbezeichneten, daß einer der ihren der Mörder sei, da fehltedennoch der auch Pren Gjakovci genannte Mirdite, Pren KolBruma, auf den die Personenbeschreibung paßte. Der Mörder wargefunden aber nicht gefangen.

Während aller dieser Vorgänge saßen der mit mir ausGurëz gekommene Dedy und die seinen in ihrem Han undzitterten um ihr Leben. Von der Opposition gegen Gjeta hatte ichihnen zufällig erzählt, desgleichen von der Tatsache, daß ichGjeta stützte und, als sie nun meinen Ruf hörten, Gjeta seiermordet, und dann die herbeieilenden Malessoren sahen, die inihrer Aufregung sinnlos Schüsse abgaben, da meinten sie dennnun, es sei eine Revolte ausgebrochen, durch die eventuell ichund sinnloserweise auch sie als meine Bekannte in ihrem Lebengefährdet wären. Um sie zu beruhigen, hatte der Handschi denGedanken, einige bewaffnete Leute gleichsam zu ihrem Schutzins Gästezimmer zu rufen. Da erschraken aber Dedy und dieanderen, der Sprache unkundig, erst recht, denn sie meinten, dieseLeute kämen eigens deshalb, um sie zu verhaften oder gar zutöten. Ich ahnte natürlich nichts von alledem, was im Hause

Page 397: Nopcsa Reisen Balkan

Zwischen Balkankrieg und Weltkrieg (1912-1914)

383

vorging, wurde aber in einem Augenblick der Ruhe vonjemandem gebeten, zu Dedy in den Han zu kommen. Als ichwohlbehalten und sorglos zu Dedy kam, klärte sich, da ich ihmdie feierliche Versicherung gab, daß ihm und seinen Genossenkeine Gefahr drohe, bald die Lage. Kaum eine Stunde nachGjetas Ermordung kam Ded Zogu, der einige Angelegenheitenseines Bruders in Pulaj geordnet hatte, mit meinem Gewehre ausShëngjin nach Lezha. Dies war das erste Mal gewesen, daß ich inAlbanien ohne Gewehr war, aber gerade damals hätte ich es amallernotwendigsten gebraucht. Man sieht, wozu in Albanien einGewehr gut ist.

Bald nach dem Morde wurden Stimmen laut, daß derMord Gjetas auf Anstiften des Mirditenchefs Prenk Bib Doda undseines Cousins Marka Gjoni geschehen wäre, denn ca. vierzehnT a g e v o r h e r h a t t e G j e t a a u f G e h e i ß d e sösterreichisch-ungarischen Generalkonsulates in Shkodra eine aufdie Besitzergreifung von Lezha abzielende Aktion des Engländer-, Italiener- und Serbenfreundes Prenk Bib Doda vereitelt. Alsgravierendes Moment kam noch hinzu, daß Prenk Bib Doda vorJahren sich bei einem anderen Mord genau desselben Menschenbedient hatte. Evident wurde Prenks Mitschuld dadurch, daß erdem Mörder später jahrelang in Mirdita Obdach gewährte. Ichtelegrafierte die Nachricht von der Ermordung, obzwar hiezukeineswegs verpflichtet, Dienstag abend sofort an dasösterreichisch-ungarische Konsulat in Shkodra, verheimlichteaber absichtlicherweise, wer den Mord veranlaßte, und bat umEntsendung eines Vertrauensmannes, dem ich die Wahrheitmitteilen könne und durch den ich dem Konsulate gleichzeitiganheimstellen wollte, ob es die Tatsache, daß auch auf michgeschossen worden war, nicht zu weiteren Schritten verwendenwollte. Auf dieses Telegramm erhielt ich lange Zeit weder eineEmpfangsbestätigung noch ein Wort des Dankes. Am folgendenTag war das Leichenbegräbnis Gjetas und, als auch am dritten

Page 398: Nopcsa Reisen Balkan

Zwischen Balkankrieg und Weltkrieg (1912-1914)

384

Tag aus dem bloß dreißig km. entfernten Shkodra noch keineAntwort eintraf, schickte ich ein grobes Telegramm an dasdortige Generalkonsulat, dieses an Anstandspflichten ermahnend.Dieses Telegramm wurde vom Konsulate in folgender Weisequittiert.

“Baron Nopcsa, Lezha.Antwort auf Ihre gestrige Telegramm erfolgte brieflich.Generalkonsulat verbietet sich energischstens jedeBelehrung.Generalkonsulat.”

Den Mittwoch nachmittag und den ganzen Donnerstaghatte ich im Vereine mit den aus Shkodra eingetroffenenVertrauensleuten des angeblich austrophilen Sereggi, nämlichdem Pfarrer Andrea Mjeda, Bruder des Erzbischof, und Mush KolKauri, dazu verwendet, daß anstelle Gjeta Zogus sein vielunbeliebterer Bruder Deda zum Gouverneur von Lezha erwähltwerde. Ich erreichte dies dadurch, daß ich Uc Turku, der auf LanTurku einen großen Einfluß hatte, für den Fall, daß die Wahlstattfinde, einen Mannlicher Karabiner mit Fernrohr versprach,den er, da am folgenden Sonntag Deda fast einstimmig gewähltwurde, später auch erhielt. Abgesehen von Syni Doda, meinemFreunde von 1907, stand mir bei diesen Verhandlungen PrekDeda, ein mir bis dahin unbekannter Cousin des Bajtraktars vonManat, mit gutem Rat zur Seite.

Ganz unbesichtigt hatte Prek Deda mein Herz dadurch imSturm zu erobern verstanden, daß er mich bei meiner Rückkehrvon Tale in meinen albanischen Kleidern für einen Malessorenhaltend sich mit mir zuerst prächtig unterhielt, dann aber, als ererfuhr, wer ich sei, mich so heftig umarmt, daß er mich beinahevom Pferd riß. Ich erkannte in diesem Gefühlsausbruch seineungekünstelte Freundschaft.

Page 399: Nopcsa Reisen Balkan

Zwischen Balkankrieg und Weltkrieg (1912-1914)

385

Da die in Aussicht gestellte Antwort des Konsulats aufmein erstes Telegramm auch Freitag früh in Lezha immer nichteintraf, obzwar Donnerstag ein Kawaß des Konsulates auf demRitte von Shkodra nach Shëngjin Lezha passiert hatte, so ritt ichFreitag nach Shkodra, wo ich Freitag abends eintraf. Ichübersandte sofort an das Konsulat folgendes Schreiben:

“Lob. Generalkonsulat! Ohne vorläufig auf IhreDrahtantwort nach Lezha in Detail zu reagieren, teile ichmit, daß der in jener Drahtantwort in Aussicht gestellteBrief noch immer nicht in meinen Händen ist, und gebe,um seine obzwar jetzt höchst wahrscheinlich bereitsbelanglose Zustellung zu erleichtern, bekannt, daß ichmich in Shkodra befinde. Mit gebührenderHochachtung.”

Samstag vormittag ging ich, da ich über das Benehmendes Generalkonsuls empört war und diesbezüglich nach Wientelegrafieren wollte aber doch vor den Augen der internationalenBesatzung Shkodras einen öffentlichen Skandal vermeidenwollte, zu dem österreichisch-ungarischen Admiral Berry, michbeschweren. Berry fragte, ob ich eine offizielle Mission hätte,und, als ich dies verneinte, war er, offenbar schon vomGeneralkonsul Zambaur bearbeitet, darüber höchst aufgebracht,wieso ich mich unterstanden hätte, in Lezha einen Gouverneureinzusetzen, von dem ich nicht wissen konnte, ob er der k.u.k.Regierung genehm sei. Er nannte dies ein unqualifiziertesVorgehen. Daß ich mich auf meine Kenntnis der albanischenVerhältnisse berief, war Berry irrelevant, und so brach er mit mirund ich mit ihm jeden weiteren politischen Verkehr ab. Ichschrieb folgendes am 11. Oktober 1913 dem GeneralstabschefConrad:

Page 400: Nopcsa Reisen Balkan

Zwischen Balkankrieg und Weltkrieg (1912-1914)

386

“Exzellenz! Im Anschlusse an ein hiesigesMißverständnis oder an eine hiesige Intrige desKonsulates wäre es mir sehr unangenehm, wenn EureExzellenz etwa privatim den hiesigen k.u.k. Admiral übermeine bisherige politische Tätigkeit in Albanienaufklären und mich selben empfehlen würden, um einersprießliches Zusammenarbeiten zu ermöglichen.Voraus für diese Liebenswürdigkeit dankend mit größterHochachtung. P.S. Derzeit finde ich in AlbanienAnzeichen einer geheimen italo-serbischen Abmachung.Grund zu diesem Verdacht gibt das Benehmen Prenk BibDodas.”

Da Berry vor seiner Abreise aus Shkodra mich, als ichallerdings nicht dort war, zu sich bitten ließ, vermute ich, daß erfreilich etwas spät einen Wink von oben bekommen haben dürfte.Ob es aber der Monarchie genützt hat, daß ich temporär vonBerry abgeschüttelt wurde, bleibe dahingestellt. Nachdem ich vonBerry nach Hause kam, erhielt ich eine Kopie des mir angeblichnach Lezha geschickten Konsulatsschreibens, in dem dieses fürdie Nachricht über die Ermordung Gjeta Zogus dankte und ummeine Ansicht in dieser Angelegenheit fragte. Infolge meinerUnterredung mit Berry gab ich schriftlich folgende Antwort.

“Hochlobt. Generalkonsulat! Anschließend anein heutiges Gespräch mit dem hiesigen k.u.k.österreichisch-ungarischen Admiral, das ich vorÜbernahme Ihres Schreibens hatte, tut es mir leid, dieZuschrift No. 1118 dahin beantworten zu müssen, daßich derzeit nicht in der Lage bin, weiterhin mit k.u.k.österreichisch-ungarischen Behörden hierorts politischeAngelegenheiten zu erörtern. Die Gründe diesesVorgehens anzugeben, muß ich der obengenannten k.u.k.

Page 401: Nopcsa Reisen Balkan

Zwischen Balkankrieg und Weltkrieg (1912-1914)

81 Essad Pascha Toptani (1863-1920), albanischerGroßgrundbesitzer und Politiker.

387

Marinebehörde überlassen, da meine Entscheidung aufGrunde deren Initiative erfolgte.”

Den Originalbrief des Konsulates, der in drei Tagen nichtvon Shkodra nach Lezha hatte gelangen können, erhielt ich einigeTage später.

In Shkodra hatte Bajazid zufällig meine alte Wohnungvon 1907-1910 leer stehend gefunden, und bloß einigeFensterrahmen waren während der Belagerung von Shkodradurch montenegrinische Granatsplitter beschädigt worden. Erhatte daher diese Wohnung gemietet und die alten Dienerherbeigerufen, und so konnte ich allen Leuten mit Recht erzählen,daß die ganze Zeit von 1910 bis 1913 für mich nur eine Episodebedeutete und ich mein Leben in Shkodra trotz der Gegenwartdes mir feindlich gesinnten Herrn Konsuls Zambaur und des mirebenso feindlich gesinnten Freundes der Frau Zambaur, nämlichHerrn Vizekonsuls Mayerhauser, dort aufzunehmen gedachte, woich es im Jänner 1910 unterbrochen hatte.

In Shkodra traf ich meine alte Bekannte, Miss Durham,und durch ihre Vermittlung lernte ich bald den englischenAdmiral und den Oberst Phillips kennen. Der Gegensatzzwischen Österreich-Ungarn und England war in Shkodrajedermann bekannt, und so war denn dies ein scharfer Seitenhiebgegen Zambaur und Berry. Ich konstatierte nebenbei, wie Essad81

daselbst gegen die Kandidatur eines katholischen Fürsten hetzte.Wie man meine Anwesenheit in Shkodra erfuhr, füllte

sich meine Wohnung. Meine Diener waren Mehmed Zeneli ausShala, Deli Nou aus Bugjon, Gjok Prenga aus Orosh und LeshZiçi aus Ndërfandina, der anderwärts beschäftigt war. Nikol

Page 402: Nopcsa Reisen Balkan

Zwischen Balkankrieg und Weltkrieg (1912-1914)

388

Gjergu, ein anderer meiner ehemaligen Diener, war währendmeiner Abwesenheit griechischer Kawaß geworden. Nikol kamaber ab und zu zu mir, einen Kaffee zu trinken. Der gute, immerlustige, aber geistig beschränkte Lulash Petri aus Plan erfuhr vonmeiner Anwesenheit in Shkodra erst relativ spät, dann kam aberauch er und ließ sich in meiner Wohnung nieder. Abgesehen vondiesen Leuten gab es in meinen Dienerzimmern immerwenigstens 4-5 Leute, bald Mirditen, bald Malessoren oderDukagjiner, die entweder einfach auf eine Schale Kaffee trinkenoder etwas sei es auf ihr Privatleben bezug Habendes sei esPolitisches zu sagen hatten. Ein Mann, der sich ostentativ von mirfernhielt, war Ded Zogu. Er meinte auf diese Weise HerrnZambaur, von dem er ja pekuniär unterstützt wurde, besser zugefallen. Die Namen meiner übrigen Gäste kann ich schondeshalb nicht anführen, weil ich sie zum Teil persönlich gar nichtkannte, resp. sie manchmal überhaupt gar nicht zu Gesichtbekam. Da viele bei mir übernachteten, waren meine Diener mitHonneurs-machen vollauf beschäftigt. Gab es eine größereAnzahl Gäste, etwa zehn bis zwanzig, so wurde abends einHammel geschlachtet und am Spieße gebraten, was natürlichmeine Freunde dazu brachten, ihre Freunde zu mir zu bringen,usw. Andererseits brachten mir aber meine Gäste auch kleineoder größere Geschenke wie Haselnüsse, Käse, Äpfel, Fische,aber auch sogar Ziegen und Schafe, was alles durchGegengeschenke wie Geld oder Patronen quittiert wurde. Da ichdie Schafe und Ziegen oft nicht gleich verwenden konnte, hatteich zuweilen eine ganze Herde (3-13 Stück) im Obstgartenbeisammen. Mein Hausherr, Bep Muzhani, ein braver Mensch,erhob gegen allen diesen Rummel keinen Einspruch. So hatte iches in Shkodra jahrelang betrieben, und so sollte es jedermannmachen, der mit einem fremden Volke einen Kontakt sucht.

Es ist natürlich, daß alle jene, die bei mir eingekehrtwaren, mich, wenn ich im Gebirge ihr Gebiet betrat, dort

Page 403: Nopcsa Reisen Balkan

Zwischen Balkankrieg und Weltkrieg (1912-1914)

82 Alb. mangall ‘Kohlenbecken, Mangal’.

389

ihrerseits gleichfalls freudig willkommen hießen. Abgesehen vondiesem Vorteil hatte mein vollkommen offener Haushalt viel dazubeigetragen, mein Prestige zu heben, als Prenk Bib Doda nochnicht in Shkodra war, der als einzige in der ganz Stadt, freilichum nur eine Ziffer anzuführen, zuweilen wöchentlich 25 kg.Zucker beanspruchte. Zu welchen primitiven, aber effektvollenMitteln ich übrigens diesbezüglich griff, ersieht man ausfolgendem Detail.

Da die Skutariner in der Regel im Winter bei ihrenmangals82 zu frieren pflegten, während die Gebirgler in denKaminen ihrer Kulen prasselnde große Feuer zu unterhaltenpflegten, das Feuer als den Freund der Menschen bezeichneten,und die Skutariner wegen ihres Frieren gering schätzten, ging ichsofort beim ersten Mieten von Muzhanis Wohnung daran, dieKamine reparieren zu lassen, um gleichfalls in allen Zimmernlohende Feuer zu haben. Ich gab sogar darauf acht, daß Bajaziddie Holzankäufe an jenen Tagen besorge, wo infolge schlechtenWetters nur wenige Leute Holz auf den Markt brachten, und erdaher den ganzen Marktvorrat ankaufen konnte. DieseHandlungsweise lenkte dann natürlich, als sich das Gerüchtverbreitet, daß ich wiederholt den ganzen Holzvorrat des Marktesvon Shkodra anzukaufen pflegte, die Aufmerksamkeit auf die beimir brennenden Feuer.

Alle meine Diener waren nach Auffassung deralbanischen Gebirgler angesehene Leute. Sie waren alle aber auchwelche, die schon einen Menschen getötet hatten. Ich ging vomGrundsatze aus, es würden solche Leute, die schon einenMenschen umgebracht hatten, sich weniger daraus machen, zumeiner Verteidigung einen zweiten Menschen zu töten, alssolche, die noch niemanden getötet hätten. Andererseits wählte

Page 404: Nopcsa Reisen Balkan

Zwischen Balkankrieg und Weltkrieg (1912-1914)

390

ich aber doch nur solche Leute, deren Treue bekannt war, diealso, wie man auf albanisch sagt, besnik waren und von denen ichdaher, so lange sie meine Diener blieben, nichts zu fürchten hatte.Die diesbezüglichen Erkundigungen durfte ich freilich nicht beiihnen selbst sondern auf Umwegen einziehen, damit ich nicht vonruhmredigen Leuten hinters Licht geführt wurde. Mörder inmeinen Dienst aufzunehmen, von denen es hieß, daß sie pabesë(treulos) waren, mußte ich allerdings vermeiden. Da es auf diefinanziellen Verhältnisse von Shkodra zu jener Zeit einiges Lichtwirft, erwähne ich, daß jeder meiner Leute monatlich zwanzigKronen Gehalt und dreißig Kronen Kostgeld außerdem je nachBedarf neue Kleider erhielt und bei mir wohnte.

Das Verhältnis zwischen mir und meinen Dienern war, daja in Albanien ein Mörder noch keineswegs ein schlechterMensch zu sein brauchte, da er ja eben an seinen Begriffen vonMoral festhielt, ein recht kordiales. In der Frühe begrüßte michjener, der mir zufällig den Morgenkakao zu meinem Bett brachte,mit “guten Morgen”, fragte mich, “wie hast du geschlafen?”Wenn es Mehmet war und die Zeit vorgeschritten war, stöberte ermich aus dem Bett, usw., und diesen Verhältnissen entsprechendmußte ich auch ihre Vergehen behandeln, was aber, da diegravierende ‘mala fides’ oder ‘dolus’ meist fehlten, stets leichtwar.

Ich entsinne mich eines Falles, wo ich aus Wien in einerHolzschachtel Süßigkeiten zugeschickt bekam, Mehmed dann inder Meinung, daß ich dieses Kistchen nicht mehr brauchenwürde, es, ohne mich weiter diesbezüglich zu fragen, seiner Frauschenkte, und diese es auf das Gebirge nach Hause mitnahm. Alsich plötzlich, um etwas einzupacken, eben diese Kistchenbenötigt hätte, daher seine Abwesenheit vermißte, erfuhr ichdurch Nachfrage den Vorfall. An und für sich war nun das Objektgar nichts wert. Auch sah ich, daß Mehmed in gutem Glauben anseine Wertlosigkeit es seiner Frau überlassen hatte. Da es aber

Page 405: Nopcsa Reisen Balkan

Zwischen Balkankrieg und Weltkrieg (1912-1914)

391

doch nicht anging, daß er über meine Sachen verfügte, mußte ichdoch etwas unternehmen. Ich erklärte Mehmed ganz ruhig ohneden geringsten Vorwurf und mit demselben Phlegma, als ob sichdas Kistchen im Nebenzimmer befände, daß ich das besagteKistchen zufällig brauche, und er es deshalb vom Gebirge zuholen habe. Dies involvierte nun für Mehmed freilich einenviertägigen ‘Spaziergang’. Er tat aber wie gehießen und brachtedie Kassette.

In einer ganz ähnlichen Weise verfuhr ich, als von denBettdecken, die ich an meine Diener verteilt hatte, plötzlich einefehlte, und ich erfuhr, daß Gjok Prenga stets angekleidet schlafe,dafür aber die Decke nach Orosh geschickt habe, damit sich seinearme Familie ihrer bediene. In diesem Falle eruierte ich zuerstöffentlich und äußerst umständlich, wessen Decke fehle, um aufdiese Weise mein Eigentumsrecht über das Objekt zudokumentieren, ein Vorgang, über den der feinfühlige Schuldigeohnehin schon recht deprimiert war. Dann aber schlug ich, alsdies erzielt war, jedes weitere Verfahren mit der Erklärungnieder, daß es mir irrelevant sei, ob sich Gjok dieser Decke inShkodra oder in Orosh bediene, da mir ja kein Recht zustehe, ihnzu zwingen, über Nacht eine Decke zu benützen.

Mit Gjok gab es übrigens einst fast eine heftige Kollision,als sich dieser schon nicht mehr junge Mann eines Tages inunbegreiflicher Zerstreutheit in der Frühe das einbildete, daß ichnach meinem Morgenkakao gerufen hätte. Er brachte ungerufenden Kakao, stellte ihn, da ich schlief, neben mein Bett und dannöffnete er die Fensterläden, so daß es im Zimmer licht wurde. Daich noch keineswegs aufstehen wollte, sagte ich ihm imHalbschlaf: “Schließe die Läden.” Gjok tat es. Nun stand abermein Frühstück neben meinem Bett im Finsternis, und so fragtedann der Fassungslose, obzwar draußen lichter Tag war, mitlauter Stimme: “A me nez kanilin?”, was zu deutsch “Soll ich diePetroleumlampe anzünden?” bedeutet. Zum zweiten Male in

Page 406: Nopcsa Reisen Balkan

Zwischen Balkankrieg und Weltkrieg (1912-1914)

392

meinem Schlafe gestört fuhr ich nun aber Gjok in einer ihm ganzungewohnten Weise an: “Del jashtë, more dhi” (Schau, DuSchwein, daß Du hinauskommst). Gjok verzog sich, dann aberwar es mit meinem Schlafe doch vorbei, denn ich mußte selbstüber Gjok seine Petroleumlampe betreffende Frage lachen. Gjokging hinaus und schwor dort hoch und treuer, nie wiederungerufen in mein Zimmer zu kommen, so daß die anderenDiener fragten, was denn eigentlich los sei. Er erzählte nun denVorgang, vergaß aber die Pointe, da ihm die Komik desüberflüssigen Anzünden der Petroleumlampe in einem künstlichverfinsterten Zimmer noch immer gar nicht auffiel. Später, alsauch ich Gjoks diesbezügliche Frage meinen Dienern erzählte,wurde freilich alles verstanden. Seither war aber die Wendung “Ame nez kanilin?” eine Frage, mit der ich und meine Diener unsgegenseitig neckten. Wie man sieht, bestand zwischen mir undmeinen Leuten nicht das Verhältnis wie zwischen Herr undDiener. Ich war vielmehr in vollem Sinne des Wortes ‘primusinter pares’. Juridisch läßt sich dies damit rechtfertigen, daß dieLeute jeden Augenblick bereit waren, zu meiner Verteidigung ihrLeben zu lassen, was man bekanntermaßen von einemgewöhnlichen Diener nicht fordert.

Da ich meine Diener aus verschiedenen Gebirgsgegendengewählt hatte, wurde ich durch sie, durch ihre Verwandten undBekannten, ferner meine Freunde, über alles, was im Gebirgevorging, stets in brillanter Weise am Laufenden erhalten, so daßman mein Etablissement das zweite österreichisch-ungarischeVizekonsulat nannte. Da mir alle meine Diener willig gehorchten,so war ich auch in der Lage etwaige zwischen ihnenausbrechenden Streitigkeiten schnell, leicht und gütig aus derWelt zu schaffen, so daß sich die Situation nie vergiftete, und esnie zu andauernde Verfeindungen nach sich ziehenden Krisenkam. Einmal, als Nikol Gega und Bajazid in rasch aufwallendemZorn zu je einem Revolver griffen und nur durch das

Page 407: Nopcsa Reisen Balkan

Zwischen Balkankrieg und Weltkrieg (1912-1914)

393

Dazwischentreten von Gjok Prenga und Mehmed Zeneli darangehindert wurden, sich gegenseitig zu erschießen, da gelang esmir sogar, diese Angelegenheit, ohne irgendeinem Teil zuschädigen, aus der Welt zu schaffen, so daß sich beide Gegnernach einer Weile wieder versöhnten. Mehr als ein Europäerwunderte sich darüber, wie ich so viele disparate Charaktere, dienoch dazu wie alle Albaner zu gegenseitigem Neid und zuEifersucht inklinierten, beisammen halten konnte.

In eine schwere Situation geriet ich einst, als MehmedZeneli, die freilich in Shkodra einen liederlichen Lebenswandelführende Schwester eines Dushmani mit Gewalt und ohneEinwilligung ihres Bruders entführte, und obzwar Katholik mitEinwilligung seiner ersten gleichfalls katholischen Gattin zurzweiten Frau nahm. Daß Mehmed dem Kirchenbann verfiel, warfür mich von geringerer Bedeutung. Wichtiger war aber, daß, alsder Dushmani, ein blondhaariger, blauäugiger Hahn, in Shkodraerschien, Mehmed Blutrache zu fürchten hatte. Es gelangMehmed als Gastfreund eines Dritten in das Haus des Dushmanizu gelangen, und dann brachte er diesen mir bis dahinunbekannten Menschen in meine Wohnung. Ich unternahm es,beide zu versöhnen, und leitete die Versöhnungsaktion damit ein,daß ich an Mehmed die Frage stellte, weshalb er das Mädchennicht ordnungsgemäß gefreit und von ihrem Bruder nach Erlagder üblichen Geldsumme verlangt habe. Mehmed erklärte mir, erwürde es gerne getan haben, habe es aber deshalb unterlassen,weil er das hiezu nötige Geld nicht besaß, daß Mädchen aberdennoch besitzen wollte. Dann wandte ich mich dem Dushmanizu. Der Dushmani erklärte mir, persönlich gegen Mehmed nichtszu haben und versicherte mich, daß er Mehmed seine Schwesterbeim Einhalten der gebührenden Formalitäten gerne zur Fraugegeben hätte, jetzt aber durch den Raub entehrt sei und sichdaher an Mehmed rächen müsse. Ich erklärte nun den Dushmaniauf, daß in ihrem Streite eigentlich weniger Mehmed als ich der

Page 408: Nopcsa Reisen Balkan

Zwischen Balkankrieg und Weltkrieg (1912-1914)

394

leidende Teil sei, indem ich Mehmed weder auf Kommissionen indie Stadt schicken noch mit Mehmed selbst ausgehen könne,ohne mich dem auszusetzen, daß er Mehmed vor meinemAngesicht niederknallte, und daß alles dies für mich höchstpeinlich sei, da so etwas wieder nach albanischer Auffassung fürmich die Verpflichtung nach ziehen würde, Mehmeds Tod zurächen. Der Dushmani war gegen meine Argumente nicht taub,und es gelang mir von beiden Teilen, die Versicherung zuerhalten, daß sie sich meiner Entscheidung fügen würden. Unterder Blume gab ich dem Dushmani zu verstehen, daß es wegen desVorlebens seiner Schwester unbillig sei, für sie dieselbe Summezu verlangen wie für eine Jungfrau, daß sie also sozusagen nur50% wert sei. Mehmed verurteilte ich hierauf, diese Summe ausseinem Gehalte in Raten zu zahlen. Eine Beschleunigung des vonmir festgesetzten Zahlungstermins war das einzige, was derDushmani verlangte. Er erhielt es von mir zugesprochen, unddamit wäre die Sache, so ferne Mehmed die Raten pünktlichgezahlt hätte, geordnet gewesen. Um aber auch einem solchen ausUnpünktlichkeit erwachsenen neuen Konflikt vorzubeugen,überraschte ich beide Parteien freudig damit, daß ich einenbeträchtlichen Teil der Summe - daß heißt mehrere Raten -plötzlich aus eigenem dem Dushmani bar zahlte. Nach dieserHandlung gab ich Mehmed den Rat, wenn er nächstens wiedereinmal ein Rind stehle, dasselbe nicht zu braten, sondern dessenErlös dem Dushmani zukommen zu lassen. Rinder und Hammelstehlen, war nämlich jener Sport, den Mehmed, ehe er in meinenDienst trat, am meisten liebte. Der Hammeldieb Mehmed zeigtesich der neuen Situation vollkommen gewachsen. Einige Monatelang brauchte er infolge meines Eingreifens ohnehin keine Ratenzu zahlen. Er benützte also die Zeit, um sich mit dem Dushmanidermaßen zu befreunden, daß ihm dieser, als es wieder zumZahlen kam, honoris causa einige Raten abverlangte, den Restjedoch ganz nachließ. Ich erzähle diese Angelegenheit, weil sie

Page 409: Nopcsa Reisen Balkan

Zwischen Balkankrieg und Weltkrieg (1912-1914)

395

auf die Güte und Intelligenz der Albaner ein entsprechendes Lichtwirft.

Von Shkodra begab ich mich, sowie ich meinen ganzenHaushalt in Schwung gebracht hatte, ins Gebirge. MeinProgramm war zuerst, den Südhang der Nordalbanischen Alpenzu erforschen, dann das Gebiet knapp westlich der Prokletien.Doch mußte ich wegen Malaria vom letzteren Teil meinesProgramms absehen, um mich auf den leicht begehbaren bergigenTeil von Kastrati zu beschränken. An meiner Statt bestieg Bajazidden Veleçik, die Kunora e Keneshdolit und einige andere Berge,von wo er die für die Herstellung der Spezialkarte derNordalbanischen Alpen notwendigen Fotografien machte. VomVeleçik brachte er mir sogar einen Rudisten mit.

Meinem anfänglichen Programme entsprechend ging ichzuerst über Plan nach Shala, das eben von den vor denMontenegrinern mit Kind und Kegel und allen Herdenflüchtenden Krasniqi und Gashi durchflutet wurde. Die LondonerGrenzen mißachtend waren im Oktober 1913 die Montenegrinersengend und plündernd plötzlich auf albanisches Gebietgedrungen, und in Shala herrschte, als ich dort eintraf, allgemeineErregung, denn es bestand zwischen den katholischen Shala undden mohammedanischen Gashi eine alte Feindschaft, hatten dochdie Gashi wiederholt die Katholiken daran gehindert, den Marktvon Gjakova zu besuchen. Jetzt war es anläßlich der Flucht derGashi einigen montenegrinischen Agitatoren wie Baš Vata undanderen gelungen, die Shala dazu zu überreden, die ihnen nunsich preisgebenden mohammedanischen Flüchtlinge zu berauben.Bei Tag geschah dies dadurch, daß man die beim Shalabachzusammengepferchten, hungernden Krasniqi und Gashi nur gegenEntrichten eines exorbitanten Zolles über die Shalabrücke ziehenließ und für je zehn Schafe ein Schaf verlangte. Ferner beraubteman sie unter Einhaltung der Formen auch dadurch, daß man andie Hungernden Brot bloß um den tausendfachen Wucherpreis

Page 410: Nopcsa Reisen Balkan

Zwischen Balkankrieg und Weltkrieg (1912-1914)

396

verkaufte. Bei Nacht verzichtete man auf die Formalitäten. DieShala umschlichen die Herden und holten sich wie Wölfe ihreBeute. Sowie ich diese Zustände bemerkte, eilte ich zurShalabrücke, und es gelang mir durch moralischen Einflußdurchzusetzen, daß während meiner Anwesenheit die Krasniqizum großen Ärger, ja zur Wut der beutegierigen Shala, in denenalle schlechten Eigenschaften der menschlichen Bestie erwachtwaren, die Brücke frei passieren konnten. Niemand traute sich,seine Hand oder sein Gewehr gegen mich zu erheben. Freilichwar das Aufzwingen des eigenen Willens auf die Shala eine nichtungefährliche Sache, und mein Aufenthalt bei der Brücke einekritische Stunde. Solang ich bei der Brücke stand, hatte ichErfolg. Als ich aber die Brücke später verließ, da wurden dieKrasniqi erneut geplündert.

Von Shala ging ich über Kapreja und Theth nach Bogaund da lernte ich nun den Generalstabshauptmann und AviatikerRossmann und seinen Bruder kennen, die im Auftrage desKriegsministeriums Albanien bereisten. Rossmann senior war einMensch mit fröhlichem gewinnendem Wesen und viel Schwungin seinem Inneren. Trotzdem daß er der Sprache unkundig war,vermochte er in Albanien überall einen so guten Eindruck zuhinterlassen, daß alle Albaner, die nur einige Tage mit ihmverkehrt hatten, als ich ihnen später seinen Tod mitteilten, tieferschüttert waren, und dies, obzwar in Albanien die Kugel vieleund gerade gute Leute schnell hinwegrafft, so daß die Leute daheran solche Nachrichten stark gewöhnt sind. Rossmann war, wiemir scheint, der einzige österreichische Generalstäbler, der alsAviatiker den Tod fand. Ich gab ihm meinen Freund Lek Curri alsBegleiter und wies ihn des weiteren an Qerim Sokoli. Mit LekCurri war Rossmann sehr zufrieden. Qerim Sokoli unterstützteihn nur wenig. Weshalb Qerim, der ein gebranntes Kind war, dasdas Feuer fürchtete, sich für Rossmann nicht entsprechendeinsetzte, habe ich bereits erwähnt. Betonen muß ich aber, daß

Page 411: Nopcsa Reisen Balkan

Zwischen Balkankrieg und Weltkrieg (1912-1914)

397

mir der Gesinnungswechsel Qerims, den ich seit 1909 nichtgesehen hatte, eben erst durch dieses neue Benehmen bekanntwurde. Wie immer war ich leutselig mit den Gebirglern. Inmeinem Verkehre in Shkodra war ich auch diesmal dagegen sehrexklusiv. Ich verkehrte bloß mit dem Erzbischof, mit unseremMajor Zvitkovich - ein Verkehr mit den beiden anderenOffizieren unseres Detachements war wegen meines offenenKonflikts mit dem Konsulat nicht möglich -, dann mit Prenk BibDoda, dem Fräulein Martha und mit dem englischen Gouverneurvon Shkodra, dem eitlen Phillips, der Gouverneur des ganzenkatholischen Teiles Nordalbaniens zu werden hoffte. Dies warauch der Grund, weshalb der Erzbischof, der nebenbei bemerkterfolglos diesen Platz seinem eigenen Bruder zugedacht hatte, mitPhillips auf schlechtem Fuße stand. Die zufällige Bekanntschaftmit jenem englischen Offizier, der das Gefängnis unter sich hatte,ermöglichte es mir, mich in den Besitz echter alter schwerertürkischer Sträflingsketten zu setzen, was ich schon seit langemgewünscht hatte.

In die politischen Intrigen war ich natürlich soforthineingezogen und ich zögerte denn auch gar nicht, neueVerbindungen anzuknüpfen und meine alten aufzufrischen. DurchMiss Durham wurde ich bald zum Leidwesen derösterreichisch-ungarischen Behörden mit den in Shkodrabefindlichen Engländern bekannt. Lustig war es, als sich plötzlichPrenk Bib Doda einbildete, daß ich meinen ganzen Ehrgeizdarauf setzte, Kaimakam von Lezha zu werden, und mich hiezuaufforderte.

“Aimable et cher Baron!C’est avec un extrême plaisir que j’ai reçu votre

lettre si aimable et si spirituelle. J’ai envoyé des ordresformels aux Perghegha de venir à Alessio vous trouver.Un Perghegha avec les chefs de Zappa s’y trouve déjà

Page 412: Nopcsa Reisen Balkan

Zwischen Balkankrieg und Weltkrieg (1912-1914)

398

pour attendre avec les Malissores sous vos auspices etvous proclamer Gouverneur provisoire d’Alessio. Nemanquez pas d’aller à Alessio et de prendre possessionde la ville car ce serait une oeuvre humanitaire. J’envoiel’ordre formel à Gick Prengha de se mettre à vos ordrespour tout le temps que vous désirez. Comme vous le dîtessi bien, nous nous trouvons entre des imbéciles, mais desimbéciles malfaisants, ce qui est impardonable. Vouspouvez assurer en temps que, bien que tout ce qu’onbébite contre moi soit des bétise odieuses, mondévouement pour mes anciens bienfaiteurs ne se trouverajamais en défaut. Mais ils sont devenus fous. J’ai toutfait, comme à Vienne, pour convaincre ces Messieurs queje suis un homme absolument dévoué à la cause, mais onest en pure perte et, ma foi, on ne peut pas être leserviteur de quelque’un malgré lui. Mais toujours vouspouvez assurer en haut que ma reconnaissance et mondévouement ne feront jamais défaut. En attendant votrevisite très désirée, je me declare votre ami pour la vie.Prenk Bib Doda”

Aus diesen Brief schützte ich Krankheit vor. Darauferhielt ich einen zweiten gleichen Inhaltes.

“Aimable Baron et ami! Orosh, le 1 novembreC’est avec une extrème impatience que nous

vous attendons afin de vous voir Baron d’Alessio. Il y abeaucoup d’imbéciles qui en creveraient de rage, maismoi et les miens nous en serions charmés puisque vousrendriez un vrai service à la cause catholique en Albanie.Me declarant votre ami pour la vie, je vous serre la mainaffectueusement, et Vive le Baron.Bib Doda”

Page 413: Nopcsa Reisen Balkan

Zwischen Balkankrieg und Weltkrieg (1912-1914)

399

Nachschrift:“Les Serbes ont évacué l’Albanie d’une manière

si précipitée que tout le monde en est resté ébahi. Qu’iln’y a plus un Serbe au deçà de la frontière il est certain.Nous avons failli nous battre avec eux à Fandi, maisheureusement que les Serbes ont immediatement quittéleurs positions à peine à ce que j’étais moi là et pas desTurcs. Ainsi nous nous sommes séparés en amis plutôt.Mais je ne voudrais pas les revoir encore, car ce sont desgens absolument impossibles.Prenk Bib Doda”

Unter den imbéciles war natürlich in erster Linie derösterreichisch-ungarischer Generalkonsul Zambaur zu verstehen.Auch dieser Brief erzielte keinen Erfolg, und so erhielt ich denneinen dritten.

“Aimable et cher Baron!Je suis désolé de votre gastralgie, mais il ne faut

pas qu’elle vous empèche de faire ce que nous avionspensé, car moi aussi, je souffre diablement d’uneinflammation dentaire, mais ça ne m’empeche pas deparcourir le pays de long en large de pacifier,d’emprisonner, de pardonner, de faire tout ce qui esthumainement possible pour ordonner et reformer le paysautant que possible. Voilà pourquoi il faut que vous aussifassiez le possible pour vous trouver aussi vite quepossible à Alessio. Car les évènements peuvent seprécipiter, et alors si vous tardez, nous nous trouveronsd’être arrivés trop tard.Mille amitiés et croyez moi toujours à vous,P. Bib Doda”

Page 414: Nopcsa Reisen Balkan

Zwischen Balkankrieg und Weltkrieg (1912-1914)

400

Erwähnenswert scheint mir im Anschlusse an Prenk seineBriefe, daß Phillips den Vat Marashi aus Shkreli gegen Ded Zoguhetzte, so daß Deds Position schließlich unhaltbar wurde. UmDed die Schande eines Sturzes zu ersparen, proponierte ich, daßer im letzten Augenblick seine Stelle freiwillig räume, woraufLesh, der Cousin Lan Turkus, Gouverneur von Lezha gewordenwäre. Ded war aber stützig und so wurde er gestürzt, worauf inLezha eine englische Besatzung einzog. Dies war ja gerade, wasPhillips hatte erreichen wollen, und erst bei diesem Schachzugdes englischen Obersten erkannte man in Wien, daß Phillips seinescheinbare Freundschaft mit Zvitkovich nur dazu benützt hatte,um letzteren zu überlisten. Mit Phillips stand ich wie beiliegendeZeilen zeigen, infolge meiner Lokalkenntnisse bald scheinbar aufgutem Fuße.

“Dear Baron!These three chiefs have come to me to know if

their villages are within the boundary of Albania. If theyare not, they will take their people with them. If I givethem a written statement that the Servians have gone andthat their villages are really Albanian, will you kindly seethem and let them know? It is obviously important.Phillips”

Da ich für ernsthafte geologische Forschungen zuschwach war, blieb ich nicht lange in Albanien. Auf derRückreise von Shkodra nach Wien bestätigte mir Schemua, derdamals Korpskommandant in Ragusa war, daß während der Krisejenes Jahres Beamte des Ministeriums des Äußeren an der Börsegespielt hätten.

Die Gründe, die mich dazu gebracht hatten, an eineBörsenspekulation der Beamten des Ministeriums des Äußerenwährend des Winters 1912-1913 zu glauben, waren folgende:

Page 415: Nopcsa Reisen Balkan

Zwischen Balkankrieg und Weltkrieg (1912-1914)

401

vorerst gab es in der sogenannten Prohaska-Affäre eineeigentümliche Phase. Einige Tage bevor das Gerücht vonProhaskas Verstümmelung aufkam, war ich beim GrafenBerchtold und legte ihm die Notwendigkeit eines Krieges gegenSerbien nahe. Als casus belli, sagte ich, ließe sich derZwischenfall Prohaska benützen. Berchtold sagte mir, er halteden Augenblick für eine Kriegserklärung gegen Serbien nicht fürgünstig, denn durch jeden Krieg gegen Serbien würde er indirektdas schwer gegen die Türkei kämpfende Bulgarien schädigenund, was die Prohaska-Angelegenheit anbelangt, so kenne erzwar noch keine Details, immerhin aber soviel, daß dieselbe nichthinreichen, um daraus einen casus belli zu machen. Einige Zeitnach dieser Mitteilung, von der ich damals, ohne mir einengroben Vertrauensmißbrauch zu Schulden kommen zu lassen,keinen Gebrauch machen durfte, saß ich abends in der Redaktionder Zeit, und da erzählte mir Kanner, er höre aus guter Quelle,daß Prohaska von den Serben kastriert worden wäre. DiesesGerücht kam auch in die Presse, es wurde in keiner Weise vomBallhausplatz dementiert und es hatte auf der Börse einen starkenKurssturz zur Folge. Seither wurde über die Prohaska-Affäre vielgeredet und geschrieben. Die Sache wollte nicht zur Ruhekommen und, um die Sache Jahre später endlich zu begraben, gabBerchtold in einer Delegationssitzung die Erklärung ab, er habedem Gerüchte von der Verstümmelung Prohaskas deshalb nichtentgegentreten können, weil ihm positive Daten fehlten. Diesejesuitische Erklärung Berchtolds entspricht nun formell freilichvollkommen, sinngemäß aber absolut nicht der Wahrheit, denn,hätte Berchtold dem Gerüchte der Verstümmelung Prohaskasgegenüber ein Kommuniqué des Inhaltes veröffentlichen lassen,daß dem Gerüchte der Verstümmelung gegenüber ebenso gutbegründete Gerüchte im Umlaufe seien, daß Prohaska nichtverstümmelt worden wäre und nichts geschehen sei, was einencasus belli involviere, nun so wäre der ganze folgende

Page 416: Nopcsa Reisen Balkan

Zwischen Balkankrieg und Weltkrieg (1912-1914)

402

Prohaska-Rummel vermieden worden. Die ganze Welt hätte bloßerwartungsvoll auf das Resultat der Edel’schen Untersuchung desFalles gewartet. Daß die Wahrheit nie publiziert wurde, seinebenbei erwähnt. Schon diese Prohaska-Affäre legt also dieVermutung nahe, daß dem Minister geistig überlegene Leute imMinisterium des Äußeren den schwachen Minister schlechtberieten und zu einem Börsenspiel mißbrauchten, und fragt mannun, in welchem Departement sich die Schuldigen befindenhaben müssen, so kommen, da Prohaska in Prizren, also inAlbanien, Konsul war, in erster Linie natürlich die Abteilung füralbanische Angelegenheiten und das Pressedepartement inBetracht.

Genau nach dem Paradigma Prohaska vollzog sich derzweite Zwischenfall, der auf Börsenspekulation im Ministeriumdes Äußeren hinweist. Nachdem die Montenegriner denösterreichisch-ungarischen Dampfer Skodra gerade in so einemAugenblicke in Shëngjin zu Kriegsdiensten genötigt hatten, wosich das Verhältnis zwischen der Monarchie und Montenegro zubessern schien, wurde dieser Zwischenfall vom Ministerium desÄußeren vierzehn Tage lang verheimlicht. Während der Zeit derRuhe stiegen alle Börsenpapiere lustig in die Höhe. Nach dieserRuhepause kam der Zwischenfall mit der Ermordung desFranziskaners Paliƒ, und da publizierte nun die österreichischeNeue Freie Presse wie auf Befehl ganz unvermittelt nach einemTage ‘rosigster Stimmung’ einen Leitartikel mit dem Titel ‘Krisemit Montenegro.’ Auch die übrige Regierungspresse reagierte inderselben Weise. Ganz besonders war dieser Umschwung in dervorsichtigen, im übrigen die Börse stark beeinflussenden NeueFreie Presse zu bemerken. Daß dieser Umschwung vomPressebüro gemacht war, läßt sich aus der Publikation der bisdahin geheim gehaltenen Skodra-Affäre erkennen. Übrigens wardie Paliƒ-Affäre ja auch nur durch Konsularberichte bekanntgeworden. In diesem auch auf Börsenmanöver hinweisenden

Page 417: Nopcsa Reisen Balkan

Zwischen Balkankrieg und Weltkrieg (1912-1914)

403

Falle hatte man also im Ministerium des Äußeren wissentlichverschiedene Börsenpapiere vierzehn Tage lang grundlos steigenlassen, um sie dann plötzlich von einem Tage auf den anderen zustürzen. Wieder weisen alle Fäden zu mindestens auf eineZusammenarbeit des Referenten für albanische Angelegenheitenund des Chefs des Pressedepartements hinter dem Rücken desahnungslosen Ministers. Offenbar verstanden diese Diplomatendurch das Vorspiegeln der Opportunität eines solchen Verfahrens,den Minister für ihre ‘politischen’ Pläne zu gewinnen.

In Ragusa setzte ich dies alles Schemua auseinander, undda meinte er nun als Antwort, daß dies äußerst interessant sei,denn, als er Generalstabschef war, da wurde er von Börsianern,die ihn zum Spiel auf der Börse aufforderten, gleichfalls daraufaufmerksam gemacht, daß auch verschiedene Beamte imMinisterium des Äußeren auf der Börse spielten. Er sah sichdaher auch veranlaßt, dies dem Minister des Äußeren zurKenntnis zu bringen. Zu seinem Erstaunen nahm Berchtold aberdiese Erklärung so ruhig hin, daß in ihm der Eindruck erwecktwurde, daß bereits vor ihm jemand anderer Berchtold hieraufaufmerksam gemacht habe. Es scheint also, daß abgesehen vonmir und Schemua verschiedene Leute infolge verschiedenerArgumente auf verschiedenen Wegen zu diesen in dasMinisterium des Äußeren tief hineinleuchtenden Resultatengelangt waren. Es scheint, daß speziell der Chef desPressedepartements, der in Wien auf viel größerem Fusse lebte,als es ihm sein kleines einige 100 Joch betragendes Gut inUngarn gestattet hätte, in der Sache kompromittiert war, denndieser wurde später trotz gut österreichischer Vertuschungsmaniernach Mexiko entfernt. Die übrigen Schuldigen leben aber noch inallen Ehren.

Im Dezember 1913 war ich in Wien, wo ich auch Jännerund Februar 1914 verbrachte. Zu dieser Zeit arbeitete ich mit demMilitäroberoffizial R. Dokaupil fleißig an meiner Spezialkarte

Page 418: Nopcsa Reisen Balkan

Zwischen Balkankrieg und Weltkrieg (1912-1914)

404

Albaniens. Das Grundmaterial zu dieser Karte bestand aus ca.2000-2500 km. Routebezeichnungen, zahlreichen Croquis, vielenTausenden mit der sehr handlichen Boussole Peignéevorgenommener Winkelmessungen und Tausenden vonFotografien, deren Standpunkt sowohl in die Routenskizzeneingetragen wie auch durch Winkelmessungen fixiert waren unddie sich, da die Brennweite des Apparates, mit dem sie gemachtwaren, bekannt war, fotogrammetrisch verwenden ließen. Wasdie Höhenbestimmungen anbelangt, so wurden sie zuerst mittelseines Taschenaneroids vorgenommen. Als jedoch die Kartefertiggezeichnet und dermaßen die Distanz irgendeines auf einerFotografie erscheinenden Berges von dem Standpunkte derAufnahme bekannt wurde, konnte, so ferne auf der Fotografieandere in Bezug auf Höhe und Distanz bekannte Berge vorkamenund so am Bilde die Konstruktion eines Horizontes ermöglichtwurde, hiezu auch der bloße Bildwinkel verwendet werden, unterdem ein Berg erschien, da in diesem Fall ein rechtwinkeligesDreieck vorlag, von dem eine Seite und der anliegende Winkelbekannt waren.

Ein kurzer Ausflug führte mich im Dezember jenesJahres von Wien nach Antwerpen, woselbst ich in der dortigenGeographischen Gesellschaft einen Vortrag über Albanien hielt.Auf der Hinreise nach Antwerpen blieb ich erneut in Nürnbergstehen. Diesmal gefiel es mir aber viel weniger, als anläßlicheines ersten Besuches. Von Nürnberg kam ich am folgenden Tagvormittags in Antwerpen an, dessen Befestigung auffiel. Dannging ich Besuche machen. Der Präsident der GeographischenGesellschaft hatte mich bereits zuvor schriftlich zum Dinereingeladen. Ich ließ also bei ihm Karten, dann ging ich denProjektionsapparat ausprobieren. Mittags war ich beim Sekretärder Geographischen Gesellschaft zu Gast geladen. Nachmittagsging ich nach Hause, um meinen Vortrag auszuarbeiten. Ichkonstruierte glücklicherweise wie immer zuerst den ersten und

Page 419: Nopcsa Reisen Balkan

Zwischen Balkankrieg und Weltkrieg (1912-1914)

83 Kurt Hassert (1868-1947), Balkanreisender und Forscher.

405

den letzten Satz des Vortrags. Kaum hatte ich aber den weiterenIdeengang zu Papier gebracht, als ich einschlief und erst gangzufällig dann erwachte, als es schon höchste Zeit war, sich fürden Abend umzukleiden. Umgekleidet ging ich zum bereitserwähnten Präsidenten, wurde den dortigen Honoratioren als ‘leconférancier’ vorgestellt und erfuhr, daß Professor de Martonneaus der Sorbonne in Paris, die Aufmerksamkeit der Belgier aufmich gelenkt hatte. Nach dem Essen mußte ich meinen Namen indas goldene Buch der Gesellschaft eintragen, dann fuhren wir allezum Vortragslokal. Der Saal war gut besucht, aber wie immerund überall, wenn Vorträge über Albanien angekündigt wurden,vorwiegend von Damen, die offenbar in der Absicht, etwas überAbenteuer zu hören, aus purer Neugierde herbeizuströmenpflegten. Nach dem Vortrage, der von der Lokalpresse gelobtwurde, habe ich ein Ehrenhonorar von einigen hundert Francsbekommen. Dann fuhr ich nach Brüssel. Dort habe ich Dollobesucht. Dieser zeigte mir sein neues Museum, und ich habedabei mein möglichstes getan, um mich mit Dollo, mit dem ichmich im Jahre 1899 infolge einer Polemik überworfen hatte, zuversöhnen. Wie mir scheint, ist dies auch gelungen, denn baldnach meinem Eintreffen in Wien erhielt ich von ihm einigeSeparata zugeschickt, was schon lange nicht der Fall war.

Auf der Rückreise nach Wien berührte ich auch Köln undlernte dort den Geographieprofessor K. Hassert83 endlich auchpersönlich kennen. Hassert interessierte mich deshalb, weil erseinerzeit Albanien und Montenegro bereist hatte, sich jetztallerdings mit afrikanischen Seen abgab. Er gab mir einigeGesteinproben von Tarabosh mit, die ich sehr gut gebrauchenkonnte, dann fuhr ich nach Frankfurt.

Page 420: Nopcsa Reisen Balkan

Zwischen Balkankrieg und Weltkrieg (1912-1914)

406

In Frankfurt lernte ich den Musealkustos Drevermann,mit dem ich von früher her in Korrespondenz war, kennen. Erzeigte mir die Schätze des durch den Gemeinsinn der FrankfurterBürger begründeten und in prächtiger Entwicklung befindlichenMuseums. Außer einem Originalexemplar von Diplodocus, demjedoch der Kopf fehlte, interessierte mich am meisten dievollkommene, mit viel Hautpartien erhaltene Trachodonmumie,die gerade präpariert wurde. Das sie einhüllende Material warFlugsand. Der Schädel, den Versluys beschreiben sollte, warschon präpariert. Es scheint, daß es sich um ein Tier derProtrachodon-Reihe handelt. Mit Drevermann habe ich langeüber die Funktion des hinter dem Quadratum herabhängendenTeils des Squamosums debattiert. Er hielt ihn für eineSperrvorrichtung des Quadratums, bis ich durch Richtung desMuskelansatzes ihn anders und zwar wegen derVorwärtskrümmung des untersten Teiles für die Ansatzfläche desMusculus retactor quadrati deutete, welcher die palinaleUnterkieferbewegung dieser Tiere bewirkte.

Von Frankfurt machte ich einen Ausflug in das naheGießen, um den Zoologen und Privatdozenten Versluys (derzeitUniversitätsprofessor in Wien), der sich viel mitReptilienosteologie beschäftigte, kennenzulernen. Versluys hatteeinige sehr gute Arbeiten publiziert, und bei dieser Gelegenheitkonstatierte ich dann, daß mich Osteologie fossiler Reptilieneigentlich doch vielmehr anzieht als Politik. Beschäftigung mitOsteologie und Paläontologie, wo sich alles unter meinem Blickformt und ordnet, bereitet viel mehr Genuß als die Politik, dennzwischen den einzelnen Teilen des tierischen Körpers tretenBeziehungen hervor, die man gar nicht erwartet, und diesen danntriumphierend nachzugehen, befriedigt mehr als alles andere.Paläontologie ist aber ebenso anstrengend, doch wenigeraufregend als die grausige Politik, bei der man oft mit nichtsanderem als Schweinen in Menschengestalt zu tun hat.

Page 421: Nopcsa Reisen Balkan

Zwischen Balkankrieg und Weltkrieg (1912-1914)

407

In Gießen habe ich zuerst Versluys sein Institutbesichtigt, ging dann in seine Wohnung, wo ich mit ihm undseiner Frau einen Abendimbiß eingenommen habe. Dann zog sichFrau Versluys zurück, und ich blieb mit Versluys in sehrangeregter Konversation bis zur Abfahrt des Zuges, meist überVersluy sein Hauptthema, nämlich Streptostylie desReptilienschädels redend. Da ich schon 1899 als ersterdiesbezügliche Beobachtungen bei Dinosauriern am Schädel desTelmatosaurus gemacht hatte und Versluys sich in seinenspäteren Arbeiten auf mich bereif, war die Wahl dieses Themasganz natürlich. Wir besprachen aber auch das System derReptilien im Allgemeinen, wobei ich ihm meine Grundsätzeauseinandersetzte.

Es scheint im Auslande aufzufallen, daß in Wien, wodoch selten über fossile Wirbeltiere gearbeitet worden war,plötzlich zwei Forscher (Abel und ich) dieses Thema und zwarbeide eher von der biologischen Seite aufgegriffen haben. Teilswar es nun gewiß dem Zufalle zu verdanken, daß derEggenburger Delphinschädel, mit dem Abel seinepaläontologischen Studien begann, fast gleichzeitig mit meinemTelmatosaurus-Schädel gefunden worden war. Teils lag es aberwohl darin, daß wir uns beide wohl unbewußt gegenseitigbeeinflußt haben. Von Gießen fuhr ich nach Frankfurt zurück,habe dort nochmals Drevemann gesehen, dann die Frankfurterarchäologische Sammlung besucht und kehrte hierauf nach Wienzurück.

Im Februar 1914 bin ich auf zwei Wochen in Szászcsór,denn die Rumänenfrage wurde kritisch. “Möglicherweise werdenwir noch zu Lebzeiten des alten Kaisers Revolution machen.”Dies ist, was mir die Bauern sagten, und noch charakteristischerals obige Äußerung war es, als mir, wie ich in rumänischenKleidern unter den Leuten da saß, ein Rumäne in der Gegenwartmehrerer anderer den Rat gab, wenn die Revolution ausbrechen

Page 422: Nopcsa Reisen Balkan

Zwischen Balkankrieg und Weltkrieg (1912-1914)

408

werde, sofort, da ich Ungar sei, wieder rumänische Bauernkleideranzuziehen und nach Száczcsór zu kommen, damit mir nichts zuleid geschähe. Um zu schauen, ob alle Anwesenden der Meinungseien, daß relativ bald eine Revolution ausbrechen würde, oder obnicht der eine oder der andere der Anwesenden diese Wortedementieren würde, spann ich dieses Thema unauffällig in dieLänge und gab den Leuten die Versicherung, daß siemeinethalben unbesorgt sein könnten, da ich in so einem Falleweder für noch gegen die Rumänen Partei ergreifen, sondernmich einfach nach Wien begeben würde, daher nicht genötigt seinwürde, mich als Rumäne zu verkleiden. Obzwar nun durch dieseAntwort den Anwesenden zu der Bemerkung, daß keine Revolteausbrechen würde, genügend Zeit gegeben war, machte doch keineinziger - sei es auch nur, um meine Bedenken zu zerstreuen -eine diesbezügliche Bemerkung.

Ich erkannte an diesem Vorfall die allgemeine Stimmungund glaubte darin eine Reaktion auf die Bukarester Vorgänge desvorigen Sommers zu erkennen. Nach Wien zurückgekehrtinformierte ich Conrad über diese Sache. Trotzdem daß die Zeitserbophil war und meine Mitarbeiterschaft schon seit einem Jahrezur Unmöglichkeit wurde, blieb ich in Wien mit Dr. Kanner inKontakt. Kanner war sehr gut informiert und, wenn auchPessimist, furchtsam und kleinmutig, weshalb manche Kleinigkeitihm groß erschien, die weder groß war noch symptomatischeBedeutung hatte, war er doch gescheit. Durch seine Nachrichtenhalf er mir unbewußt sehr viel.

Während dieses Frühjahrs besuchte Essad Pascha aufseiner Fahrt nach Neuwied, wo er Wilhelm von Wied die KroneAlbaniens anbieten sollte, Wien und wurde dort mit allen Ehrenüberhäuft, ja es wurde ihm sogar das Großkreuz des Franz-Josef-Ordens verliehen. Dies veranlaßte mich später, als sein von mirlängst erwarteter Verrat an Wied offenbar wurde, und als man ihnals Gefangenen auf ein österreichisch-ungarisches Kriegsschiff

Page 423: Nopcsa Reisen Balkan

Zwischen Balkankrieg und Weltkrieg (1912-1914)

409

brachte, in Wien im Ministerium des Äußeren die boshafte Fragezu stellen, ob es wahr sei, daß ihm während seines Transportesauf das Kriegsschiff sein Großkreuz des Franz-Josef-Ordens indas Meer gefallen wäre.

Im April forderte mich durch Dr. Hechts Vermittlung derKapitalist Fürth auf nach Paris zu kommen, da er sich fürAlbanien interessiere. Ich lernte die ‘Albanian CorporationLondon’ kennen und interessierte mich lebhaft für die Sache.Doch führten die mit ihr geführten Verhandlungen zuebensowenig greifbaren finanziellen Resultaten wie die ähnlichenVerhandlungen mit Graf Carl Trautmannsdorff. AnTrautmannsdorff war mir seine Wut gegen den Ballhausplatzrecht sympathisch. Sie versöhnte mich mit der Tatsache, daß er,um das Schwefelkiesvorkommen von Qafa e Barit billiger zuerstehen, sich Zef Noci gegenüber in Spaç über mich abfälliggeäußert hatte. Das Aussöhnen mit Trautmannsdorff war mirübrigens auch deshalb leicht, da ich sein Geschäft in Mirdita ihmdadurch total verdorben hatte, daß ich Zef Noci auf den siebenMillionen betragenden Wert des Kiesvorkommens aufmerksammachte. Nach unserer Aussöhnung hatte uns diese erste Kollisionnicht gehindert, unser Glück als Geschäftleute fruchtloszusammen zu versuchen. Trautmannsdorff war einer jenerwenigen Leute, die selbstständig handeln wollten, und infolgedessen war er gegen den Ballhausplatz ebenso aufgebracht wieSieberts, Steinmetz, Spaits, ich und alle, die außerhalb derBallhausplatz-Gesellschaft standen.

Mein Kontakt mit Trautmannsdorff veranlaßte mich,meine verschiedenen ökonomischen Beobachtungen in Albanienzusammenzustellen. Sie betrafen Wälder, Erze und einBahnbauprojekt von Shkodra an den Han i Hotit. Außer GrafTrautmannsdorff, Graf R. Kinsky und einem Herrn Weilinteressierten sich auch noch andere Leute um dieses Exposé.Reden und Konferenzen gab es in Hülle und Fülle aber kein

Page 424: Nopcsa Reisen Balkan

Zwischen Balkankrieg und Weltkrieg (1912-1914)

410

Resultat, doch hatte ich immerhin die Beruhigung, in dieseSpekulationen nur meinen Verstand und keinen Kreuzer Geldhineingesteckt zu haben, wogegen Trautmannsdorff ein Jahrvorher 40.000 K. sinnlos in allerkürzester Zeit verausgabt hatte.Allerdings lebte er dafür in dem Wahn, daß ihm Essad Paschaund die anderen Toptanis, falls er sie brauche, deshalb helfenwürden. Meine Verhandlungen mit Walford (Vater und Sohn),Fürth und Mufid Bey Libohova waren noch die ernstesten derganzen Serie, doch wollten mich diese Herren (wenigstensWalford) schamlos ausnützen. In Mufid Bey Libohova, dem meinAuftauchen in Nizza in Fürths Gesellschaft sehr ungelegen war,lernte ich einen Gauner erster Güte kennen, dasselbe gilt auch fürWalford junior.

Während ich mit der Albanian Corporation in MonteCarlo konferierte, war Ismail Qemali in Nizza, und ich benütztedaher trotz Mufids gegenteiliger Bemühungen die Gelegenheit,Ismail zu besuchen. Mufid wollte mich überreden, daß IsmailQemali nie wieder nach Albanien kehren würde. Nach langemHerumfragen erfuhr ich Ismails Adresse und ließ ihm und seinenSöhnen Karten. Am nächsten Tag traf ich den alten Fuchs imKasino von Monte Carlo. Wir redeten lange über Politik. Ersagte, Essad sei ein Schwein, ich sagte dasselbe. Dann stimmtenwir darin überein, daß man Essad stürzen müßte. Ich erklärtemich, um Ismail einzulullen, bereit gegen Essad bei Shkodra zuwühlen. Ismail sollte in Vlora dasselbe tun. Auf diese Weiseschienen wir gute Freunde. Unsere seit 1911 bestehende dochjetzt frisch gekräftigte Freundschaft benützte nun Ismail sofort,um mir am nächsten Tag durch seinen Sohn einen Brief zuschicken, in dem er zuerst nochmals unsere Kooperation billigte,dann aber auf seine momentane mißliche Finanzlage zu sprechenkam, und mit den Worten schloß: “Mais pour quelques jours j’aibesoin absolu d’une petite somme de mille à deux mille Francsque je vous ferais toucher par Tahir à Vienne. Je vous fais cette

Page 425: Nopcsa Reisen Balkan

Zwischen Balkankrieg und Weltkrieg (1912-1914)

411

demande parce que je vous considère comme un vrai ami et plusencore comme intime et sincère compatriote.” Ich sagte demSohn, daß ich das Geld momentan nicht bei mir habe, jedochnach Wien gekehrt es besorgen würde, und, als ich abends denAlten traf, bestätigte ich zwar den Empfang des Briefes, vermiedaber über dieses Thema viel zu reden. Wir besprachen wiederunsere gemeinsame Aktion, und nach deren Erörterung sagte ichganz ernst, ich könne dieselbe nur dann unternehmen, wennIsmail mir hiezu 10.000 Francs beschaffen könnte. Ismail Qemalihatte zwar fast sämtliche Staaten Europas, nämlich die Türkei,Griechenland, Italien, Österreich-Ungarn, England undMontenegro vielleicht auch Serbien und Rußland, erfolgreich umGeld erleichtert. Daß man aber ihm um Geld und gleich viel Geldangehen könnte, war ihm aber eine so neue Sache, daß er diedumme Antwort gab, er habe nicht gewußt, daß man, um Politikzu machen, Geld brauche! Ich habe mich an seinem Anblickegeweidet, ließ es aber natürlich nicht merken. Daher blieben wirauch weiter Freunde, aber Freunde, die sich sicherlichdurchschauten.

Die Verhandlungen mit Fürth fanden zum Teil in Paris,zum Teil in Nizza statt. Er wies im Gespräche über dieHabsburger im Allgemeinen darauf hin, daß von den vielentausend Erzherzogen, die es bis heute gab, kein einziger imKampfe ums Vaterland am Schlachtfelde verwundet wurde. DieseBeobachtung Fürths trat mir in ihrer ganzen Absonderlichkeit erstwährend des Weltkrieges vor Augen, denn, obzwar alleErzherzoge stets Militäruniforme trugen und viele von ihnenfrontendiensttauglich waren, wurde, soweit mir bekannt, auchwährend des Weltkrieges nur ein einziger Erzherzog und auchdieser durch weitreichendes Artilleriefeuer verwundet. Für dieseVerwundung erhielt er den Leopoldorden mit den Schwertern.Man ersieht denn aus der außerordentlichen Höhe dieserAuszeichnung, daß man die Tapferkeit bei hoch gebildeten

Page 426: Nopcsa Reisen Balkan

Zwischen Balkankrieg und Weltkrieg (1912-1914)

412

Erzherzogen mit einem anderen Maßstabe mißt, als beigewöhnlichen ungebildeten Soldaten, denn ein Soldat muß, umdie silberne Tapferkeitsmedaille zu erhalten, schon ganzbedeutenden Mut zeigen. Bei den deutschen Fürstenhäusern, dieweniger Mitglieder zählten, gab es Verwundete und Tote.

Fürth erzählte mir auch, daß Franz Ferdinand denAbschluß des Balkankrieges dazu benützt hatte, um in Paris aufder Börse zu spekulieren. Er bediente sich hierbei des in Pariswohnenden Bankiers Rosenberg, dem offenbar hierfür später zumgroßen Erstaunen der Nichteingeweihten das ungarische Baronatverliehen wurde. Rosenberg war als Strohmann von Reitzesgleichzeitig übrigens auch der Mandatar eines zweiten fürstlichenBörsenspekulanten, nämlich des Königs Nikolaus vonMontenegro. Allgemein war die Ansicht verbreitet, daß NikitasFinanzgeschäfte vom Wiener Bankhause Reitzes effektuiertwurden. Dies war aber nicht der Fall, und deshalb konnte Reitzesleichten Herzens im Ministerium des Äußeren einendiesbezüglichen Offenbarungseid leisten. Hätte man Reitzesgefragt, ob er sich nicht eines Strohmanns namens Rosenbergbedient hätte, so wäre er wahrscheinlich in Verlegenheit geraten.Doch Berchtold war zuvorkommend genug, um diese Frage zuunterlassen. Fürths Franz Ferdinand betreffende Angaben sindvon damalig aktiven Diplomaten bestritten worden.

Von Nizza fuhr ich wieder nach Wien, um im Sommerund Herbst des Jahres die politische Lage in Rumänien genauerzu studieren, und war als Ethnograph mit dem Institutul BalcanicJorgas und Murgocis in Bukarest in Kontakt. Ich übergab ihnenin Bukarest zu publizierende Manuskripte und kündigte fürNovember einen Vortragszyklus über Albanien an. Bis Ende Maiwar ich in Wien. Um diese Zeit erfuhr ich von Liechtenstein, daßRappaport jetzt bereits auch dem Albanienkomitee aus purerEifersucht Schwierigkeiten zu bereiten begann. Dem Präsidenten,

Page 427: Nopcsa Reisen Balkan

Zwischen Balkankrieg und Weltkrieg (1912-1914)

413

Prinzen Liechtenstein, wurde nahe gelegt, Herrn Rappaportaufzusuchen, um sich mit ihm auf guten Fuß zu stellen.

Anfang Mai kamen Ilona und mein Schwager Alfred undfür einige Tage auch Mama nach Wien. Ich machte mit ihneneinige Besuche so bei Béla Pallavicini, bei der ehemaligenVorleserin der Kaiserin, Ferenczy Ida, dann bei der WitweFürstin Radziwill, einer Tante von Louis Draškoviƒ, und bei derHofdame der Erzherzogin Maria Therese, Markgräfin CrescencePallavicini.

Als der gute Ruf meines türkischen Kaffees bekanntwurde, lud ich einige dieser Damen auf schwarzen Kaffee inmeine Junggesellenwohnung ein, was auch mit Vergnügenakzeptiert wurde. Die übrigen Leuten, die ich kennenlernte,waren geistig zu uninteressant, um sie sich zu merken.Erwähnenswert ist aber die trotz ihres Alters bildhübscheDiplomatengattin Closel, die, obzwar Mutter mehrerer Kinder,den Eindruck eines unverheirateten Mädchens machte.

Um diese Zeit geschah es, daß ich, ohne mich darum zubewerben, vom k.u.k. Generalstabe zum ersten Male für einehöhere Ordensauszeichnung vorgeschlagen wurde. Mehrerem e i n e r F r e u n d e i m K r i e g s m i n i s t e r i u m , s oGeneralstabshauptmann Baron Mirbach im Präsidialbüro undPer…eviƒ, gratulierten mir auch zu meinem zukünftigen Orden.Doch ist aus der ganzen Sache damals nichts geworden. Es bliebvielmehr trotz des in der Eingabe angeführten Satzes: “DerGeneralstab würde einen niedrigen Orden wie die Eiserne Kronezurückweisen” bei der Eingabe. Jedenfalls geschah dies deshalb,weil ich mich nicht darum gekümmert hatte.

Mit Ilona und Alfred machte ich im Mai eineAutomobiltournée nach Nyitra, dann nach Boldva, wo AlfredsVater wohnte. Dann ging es nach Abauj-Szemere, von wo icheinen Besuch bei Jhonny Pallavicini in Radvany machte. VonSzemere führen wir in die Tatra nach Alsotátrafüred, wo Elek und

Page 428: Nopcsa Reisen Balkan

Zwischen Balkankrieg und Weltkrieg (1912-1914)

414

Catherine waren. Die Automobilfahrt war nämlich im bewaldetenBergland der Karpaten schön, die Wege bis auf ein Stück sehrgut. Die Eindrücke zogen wie auf einer Bühne vorüber.Automobilfahren ist ein guter Zeitvertrieb, zumal wenn dieMaschine gut ist und man einen guten Chauffeur hat. Dann siehtman verschiedene Landschaften wie Wandeldekorationenvorbeiziehen. Nach der Art, wie die slowakischen Bauern sichdann benehmen, wenn ihre Pferde vor dem Automobilerschrecken, muß man sie für die größten Trottel des ganzenErdbodens halten. Die Tracht der Slowaken erinnert imWesentlichen an jene der Rumänen Siebenbürgens, bloß dieMode, den Schnurrbart zu rasieren, weist nach Niederösterreich.Meine Malaria, die Dr. Steyskal schon im Dezember 1913teilweise kuriert hatte, brach auf der Fahrt nach Nyitra wiederaus. Dort waren wir Gäste des Brigadiers Zwertschek. Er undseine Frau sind echt ärarische Erscheinungen. Sein Sohn, einblutjunger Springinsfeld, voll Ambition und innerer Unruhe, waraktiver Offizier. Er ist aber 1914 gefallen. Der vom Unglückverstörte Vater brachte die Leiche seinen einzigen Sohnes inseinem eigenen Automobile selbst von der Front nach Hause,obzwar die Fahrt mehrere Tage dauerte. Eine fürchterlichereAutomobilfahrt kann man sich wohl kaum denken.

In Tátrafüred hatte Elek eine geräumige Villa des GrafenKarácsony mit großem Park, kleinen Seen, Wasserspielen undTannenwald gemietet, und ich fühlte mich in seiner undCatherines Gesellschaft recht wohl. Von hier wurde einAutomobilausflug zu der berühmten Eishöhle von Dobsinaunternommen. Die Höhle ist ein sich sackförmig gegen unten inden Berg ziehendes Loch, in das die kalte Winterluft wohleindringt aber nicht herauskann. Aus diesem Grund wird dann imInneren der Höhle im Winter Eis erzeugt, das im Sommer etwasabschmilzt. Allerdings ist das Abschmelzen aber bei der Maßedes auch schöne Tropfsteine bildenden Eises unbedeutend. Die

Page 429: Nopcsa Reisen Balkan

Zwischen Balkankrieg und Weltkrieg (1912-1914)

415

Höhle ist eines Besuches wert, doch ist die Reklame, die man fürsie macht, übertrieben. Die Abbildungen auf den Reklametafelnstellen die Höhle viel schöner dar, als sie in Wirklichkeit ist, unddeshalb enttäuscht einen ihr Anblick. Auffallend schön waren derFrühlingswald und die Wiesenflora des Tatragebietes. SchlechtesWetter hinderte mich, Ausflüge auf die klotzartig unvermitteltsteil aufragende Tatra zu unternehmen, die ich nur einmalnebelfrei erblickte. Die Tatra wäre schön, wenn die Kultur undder Fremdenverkehr nicht da wären, denn so wird alle Poesiezerstört. Das ganze Tatragebiet ist in ein ökonomisches Objektverwandelt. In Tátrafüred habe ich einen grausigen ungarischenPolitiker liberaler Richtung und jüdischer Rasse, Erwin Rosneraus Budapest, kennengelernt. Der Mensch grüßt mich seitherkonstant. Es ist zum Davonlaufen. Dennoch ist er bald daraufMinister geworden. Bei Elek habe ich meine letzte Arbeit überdie Geologie Albaniens geschrieben und fuhr dann zuerst nachRadvany, wo Jhonny Pallavicini und seine Frau wohnen, unddann nach Wien.

Während meines Aufenthaltes in der Tatra warf EssadPascha in Durrës seine Maske ab. Ich will die Biographie diesesMenschen, soweit ich sie kenne, kurz skizzieren. Essad war vonGeburt wohlhabender Bey von Tirana. Dann wurde erGendarmeriekommandant von Durrës und verwendete seineGendarmen, um die Bauern dieses Gebietes ihrer Güter zuberauben, denn, wer sein Gut nicht gutwillig hergab oder zu demvon Essad verlangten Preis verkaufte, der wurde auf Grundfalscher Zeugenaussagen verhaftet, bis er sich dazu bequemte.Nachdem er auf diese Weise sich zu einem wohlhabenden Mannemporgeschwungen hatte, versicherte er sich der Gunsteinflußreicher Personen in Konstantinopel durch die Zusendungschöner Mädchen und zum Teil gestohlener aber immerausgezeichneter Pferde. Die Gunst des Sultans gewann erdadurch, daß er sich unter jene albanischen Patrioten mengte,

Page 430: Nopcsa Reisen Balkan

Zwischen Balkankrieg und Weltkrieg (1912-1914)

416

welche eine Annäherung an Griechenland versuchten, und seineLandsleute hierauf dem Sultane verriet. Auf diese Weise wurde erschließlich Adjutant des Sultans. Dies hinderte ihn aber nicht,einer jener drei jungtürkischen Verschwörer zu sein, die ihrLeben riskierend in den Yildiz-Kiosk eindrangen und demSultane Abdul Hamid seine Entthronung mitteilten. Alsüberzeugter Jungtürke kam er mit einer großen Schar ausMittelalbanien geworbener albanischer Freiwilligen beimAusbruche des Balkankrieges dem Kommandanten der Festungvon Shkodra, Hassan Riza Pascha, zu Hilfe. Auf diese Weisewurde er der Zweitkommandierende dieser Festung. SeinenAmbitionen konnte er aber, so lange der Höchstkommandierendelebte, natürlich nicht freien Lauf lassen. Um dies zu erreichen,ließ er Hassan Riza durch zwei Mirditen und einen Menschen ausTirana ermorden und erklärte sich den Serben undMontenegrinern gegenüber bereit, die Festung zu übergeben,wenn sie ihm mit seinen Soldaten freien Abzug gewähren und ihnals Herrscher Mittelalbaniens anerkennen würden. Da die Serbenund Montenegriner diese Bedingungen nicht annahmen,verteidigte er die Festung nicht ohne Geschick so lange, bis dieSerben abziehen mußten, und übergab, als es den auf sichgewiesenen Montenegrinern nichts anders übrig blieb, als seineBedingungen anzunehmen, die nicht mehr belagerte Festung denMontenegrinern.

Essad wußte genau, wie weit sein Einfluß in Albanienreichte, und deshalb lag ihm gar nichts daran, jene Teile, in denener keinen Einfluß hatte, den Serben, Montenegrinern undGriechen auszuliefern, um sich auf diese Weise ihreUnterstützung zu sichern. Da diese Bestrebungen Essads auch deritalienischen, auf Durrës aspirierenden Politik gefielen, stand ervorübergehend auch mit dieser Großmacht gut. Um sich alsHerrscher des durchaus mohammedanischen Mittelalbaniensdurchzusetzen, agitierte er gegen die Berufung eines christlichen

Page 431: Nopcsa Reisen Balkan

Zwischen Balkankrieg und Weltkrieg (1912-1914)

417

Herrschers und unterwühlte auch so weit wie möglich dasAnsehen des in Südalbanien einflußreichen Ismail Qemali.

Sowie Essad zur Einsicht kam, daß Nord- undSüdalbanien auch gegen seinen Willen mit Mittelalbanien vereintwürden und seine Agitation gegen den Fürsten Wied erfolglossei, schwenkte er scheinbar in das Lager der Anhänger desFürsten Wied um und trug die albanische Fürstenkrone nachNeuwied. Kaum war aber der Italien nicht genehme Fürst Wied inAlbanien gelandet, so brach gegen diesen in Mittelalbanien einevon Essad Pascha angestiftete Empörung aus. Fürst Wied konntedieser Empörung nicht Herr werden und deshalb mußte er baldAlbanien seinem schlaueren Gegner Essad überlassen.Cinquecento im XX. Jahrhundert.

Anfang Juli fuhr ich, um mir Wieds Debakelanzuschauen und zu genießen, über Triest nach Durrës, wobei ichin Triest die Ermordung Franz Ferdinands erfuhr. Über dasDebakel Wieds verlohnt es sich eigentlich kaum etwas zuschreiben. Wieds Stellung war infolge von Essad PaschasIntrigen, denen nichts entgegengesetzt wurde, schon imNovember 1913, ehe noch der Prinz selbst nach Albanien kam,untergraben. Schon damals hätte nur ein alle Gegnerüberrumpelndes Husarenstück Wieds Stellung dauernd befestigenkönnen, aber statt dessen schickte Wied, zaghaft zugreifend,zuerst seinen Leibarzt nach Durrës um zu schauen, ob das Klimagesund sei, dann seine Möbel, dann endlich seinenZeremoniemeister, Herrn von Throtha. Dieses Zögern war dererste Schritt zum Sturze Wieds, und verloren war er, als er dieKrone Albaniens aus Essads Händen entgegennehmen mußte.Daß Essad seinen hochfliegenden Plänen entsagen und plötzlichdem schwachen, unentschlossenen Prinzen Wied seiner schönenblauen Augen und seinem schönen Uniform zuliebe Gefolgschaftleisten würde, das konnten nur solche Esel wie österreichischeDiplomaten oder von Essads Bekannten nur solche wie

Page 432: Nopcsa Reisen Balkan

Zwischen Balkankrieg und Weltkrieg (1912-1914)

418

Rappaport hoffen oder zu hoffen markieren. Freilich war es imInteresse dieser Leute, sich eben um keinen Preis mit den amBallhausplatz einflußreichen Eseln zu überwerfen. Schon derdeutsche Kaiser dachte anders.

Das ‘wie’ des Wied’schen Debakels und seine einzelnenPhasen von der Flucht Wieds auf das italienische Schiff Misuratabis zu der mißglückten weil nicht entschlossen durchgeführtenBeseitigung Essad Paschas sind alles nur Episoden, die, wenn siein dieser Form sogar unterblieben wären, bloß anderen EpisodenPlatz gemacht hätten. In erster Linie fehlte fast allen am AufbauAlbaniens beteiligten ausländischen Faktoren das klareBewußtsein der Tatsache, daß Albanien ein mittelalterliches Landmit mittelalterlicher, genauer genommen mit noch tieferstehender Abdul Hamidischer Moral und mit mittelalterlichenIdeen sei, daß es daher anfänglich nur mit mittelalterlichenMitteln regiert werden könne. Dann wiegten sich viele Leute indem so bequemen und verführerischen Gedankengang, daß esunter den gebildeten Albanern anständige Leute oder garalbanische Patrioten gäbe. Endlich hatte keiner eine klare Ideedessen, was in Albanien angepackt werden müsse. Infolge dieserdrei Kardinalfehler waren erstens die größten Gauner stets dieHerren der Situation, statt daß diese von einem nochgefährlicheren Gegner, also einem machiavellistischen Fürstenniedergehalten und vernichtet würden. Zweitens hoffte man sichauf die albanischen Patrioten verlassen zu dürfen. Drittens tagtenKonferenzen über Konferenzen, die über die Organisation resp.Reorganisation des Landes, dann über Entwässerungsanlagen,Bahnbauten, Hofzeremoniell, Reichshauptstadt und Spitälerdiskutierten. Es wurde aber nichts, ja mit Ausnahme derSisyphusarbeit der holländischen Offiziere, gar nichtsunternommen, also im ganzen Lande nicht ein Karrenweg gebautoder ein hölzerner Steg über einen Bach gelegt. Die Bauten, diedie internationalen Truppen in Shkodra in eigener Regie und zu

Page 433: Nopcsa Reisen Balkan

Zwischen Balkankrieg und Weltkrieg (1912-1914)

419

ihrer eigenen Bequemlichkeit machen ließen, konnten nicht alsRegierungsarbeit betrachtet werden, ebensowenig die Kirche inDurrës. Trotz dieses Arbeitsmangels verstand es aber der Fürstsieben Millionen, sage sieben Millionen Kronen Bargeld, mitdem Erfolge zu vergeuden, daß sein Einfluß von Tag zu Tagkleiner wurde. Was die holländischen Offiziere bei derGendarmeriereform unternahmen, das scheiterte daran, daß dieGegner Albaniens im Süden gegen die im Entstehen begriffeneGendarmerie militärisch organisierte Banden ins Feld führten,während im Norden die Gendarmerie in den Händen derunzuverlässigen gebildeten Albaner lag. Zu all diesem Chaos kamdie Unentschlossenheit des Fürsten, und es ergibt sich von selbst,daß sich daher seine Tätigkeit vorwiegend auf solchen Gebietenäußerte, wo ihm schließlich wirklich noch Spielraum zuüberflüssiger Arbeit übrig gelassen wurde. Es war dies dasRegeln des Zeremoniells und das Zeichnen der in seinem Reicheeingeführten Uniformen. Sogar Ernennungen mußten, wenn dieUniformmodelle vom fürstlichen Zeichner noch nicht entworfenwaren, verschoben werden. Die albanische Regierungsmaschinewar niedergebrochen, ehe sie noch zu funktionieren anfing. WäreWied in Albanien mit einer Handvoll solcher Leute gelandet, wieder spätere Polizeidirektor von Durrës, Baron Biegeleben, denseine Leute deshalb vergötterten, weil er bei gefährlichenPatrouillengängen stets persönlich mitging und der auchgenügend Verstand und Verschlagenheit besaß und beientsprechendem Spielraum unter den gebildeten Albanernprächtig aufgeräumt hätte, so hätte Albaniens Entwicklungsgangtrotz aller italienischer Intrigen nun vielleicht einen anderenVerlauf genommen, als es der Fall war. Es ist nicht einzusehen,warum das, was Ali Pascha Tepelena unter viel schwierigerenVerhältnissen gelang, nicht beim Gebrauch derselben Mittel aucheinem anderen Menschen unter leichteren Bedingungen hättegelingen können. Freilich wird der Fürst von Wied wohl die

Page 434: Nopcsa Reisen Balkan

Zwischen Balkankrieg und Weltkrieg (1912-1914)

420

panegyrische Barletius-Biographie Skanderbegs aber nie eineBiographie von Ali Pascha gelesen haben, und doch hätte er sichletzteren zum Vorbild nehmen müssen, was ja Essad Pascha,Ismail Qemali und Prenk Bib Doda freilich unbewußt infolgeihres Nationalcharakters und ihres Moral- und Bildungsniveausalle taten.

In Durrës bezog ich ein Haus am Rande der Stadt. Ichverkehrte dort mit Kral und dem direkt dummen k.u.k. GesandtenLöwental, dann auch Chinigo, bekam aber dort starke Malariaund fuhr daher nach Wien zurück.

In Wien herrschte bei meiner Rückkehr gewaltigeErregung. Man wußte aber noch nicht, ob nicht das Gewitterwieder vorüberziehen würde. Freilich waren die maßgeblichenFaktoren jetzt endlich doch schon darüber im Klaren, daßabsichtlich auf die Störung des europäischen Friedenshingearbeitet wurde.

Wie weit die Störenfriede von den Großmächten derEntente Unterstützung finden würden, darüber waren dieMeinungen verschieden. Exzellenz Conrad glaubte z. B., daß einWaffengang zwischen der Monarchie und Serbien auf den Balkanlokalisiert bleiben würde, andere schienen sogar auf dieitalienische Bundestreue zu rechnen. Man berief sich z. B. aufden Antagonismus Italiens und Serbiens in Dalmatien undDurrës.

Conrad bat mich nach Siebenbürgen zu fahren, um michüber das etwaige Verhalten der Rumänen zu informieren. Ichwillfahrte seiner Bitte, fuhr nach Ujárad, wo ich meiner Mutterbekannt gab, daß wir vor einem Kriege standen, und ging dannauf den Retezat zu den mir bekannten Hirten. Wegen meinerMalaria war ich schwach und elend, erfuhr aber in zehn Tagenimmerhin, daß die Rumänen Siebenbürgens nach den ausBukarest kommenden Befehlen handeln würden, und fuhr dannnach Wien, um dies Conrad zu berichten.

Page 435: Nopcsa Reisen Balkan

Zwischen Balkankrieg und Weltkrieg (1912-1914)

421

In Wien war die Erregung noch weiter gestiegen. Handelund Gewerbe stockten völlig, und dann entzündete dieNichtannahme eines Ultimatums den ungeheuren Weltbrand. DieHintermänner Serbiens traten aus ihren Verstecken. Statt einemneutralen Rußland sahen sich die Mittelmächte plötzlich einemmobilisierten Rußland gegenüber.

Wieder einmal hatten die Diplomaten der Mittelmächteund deren Militärattachés geschlafen.

Page 436: Nopcsa Reisen Balkan

422

Teil V

Weltkrieg

(1914-1917)

Page 437: Nopcsa Reisen Balkan

Weltkrieg (1914-1917)

423

Knapp vor dem Kriegsausbruche war ich malariakrank.Ich sagte Prof. Dr. Steyskal, er müsse mich um jeden Preis vonder Malaria kurieren, da ich mich freiwillig für den Kriegsdienstin einem berüchtigten Malariagebiet zu melden gedenke. ImDezember 1913 hatte mich Prof. Steyskal durch intravenöseChinin-Injektionen für ein halbes Jahr von Malaria befreit. Jetztda ich kein Fieber hatte, erzeugte er in einer halben Stunde durchFaradisierung der Milz 39 Grad Fieber und injizierte mir währenddieses Fiebers Chinin. Der Erfolg war brillant, und ich wardanach fieberfrei.

Noch vor der Kriegserklärung proponierte ich ExzellenzConrad, Gostiwar-Albaner von der Seeseite gegen Serbisch-Albanien vorzusenden. Der Generalstab beschloß aber 2.000Gewehre und 200.000 Patronen eines sonst in Albanien nichtvertretenen Gewehrmodells (Sancta Simplicitas) mittels einesDampfers nach Albanien zu senden, dann auf denVersprechungen bauend, die Generalkonsul Kral von albanischenBeys erhalten hatte, die albanischen Beys und Offiziere gegenGjakova (Djakovica) zu senden, um dort die Albaner gegen dieSerben zu insurgieren.

Nach der teilweisen und vor der allgemeinenMobilisierung der österreichisch-ungarischen Armee hatte ichGelegenheit mit Exzellenz Conrad, während er auf der Stiege desKriegsministeriums in sein Amt eilte, über die allgemeine Lageein Paar Worte zu wechseln, wobei ich an ihn die Frage stellte:“Und Rußland?” Er antwortete wörtlich: “Rußland bleibt ruhig.”Vierundzwanzig Stunden später mußte er gegen Rußlandmobilisieren.

Anläßlich einer Unterredung mit Oberstleutnant Spaitsund Generalkonsul Kral wurde beschlossen, daß bei demfolgenden Versuche, einen Angriff gegen Montenegro undSerbien von Albanien aus zu unternehmen, sich meine Tätigkeitauf das katholische Gebiet auszudehnen habe. Außerdem sollte

Page 438: Nopcsa Reisen Balkan

Weltkrieg (1914-1917)

84 Hasan Bey Prishtina (1873-1933), albanischer patriot.

424

ich nebst den in Albanien befindlichen Beys dafür sorgen, daßgenügende Tragtiere zusammengebracht werden, um die beiShëngjin zu landenden Waffen landeinwärts zu transportieren.

Diesen Verbindungen gemäß wurde ich in Shëngjin ansLand gesetzt und begab mich nach Shkodra, woselbst bei meinemEintreffen wegen der Kriegserklärung Österreich-Ungarns großeBegeisterung herrschte. Da die gegen Fürsten Wied kämpfendenitalophilen albanischen Rebellen gerade am Vorabende meinerLandung fast bis Lezha vorgedrungen waren, informierte ichOberstleutnant Spaits hievon telegrafisch und orientierte michsonst über die Lage. Da sich ein Teil des Stammes Kelmendi alsGeiseln in Montenegro befand, erklärten mir einige Chefs vonKelmendi, so Uc Turku, daß ihr Stamm bis zur Befreiung der inMontenegro befindlichen Stammesgenossen nichts gegenMontenegro unternehmen könne.

Neben dieser Tätigkeit begann ich Pferde für den erstenTransport zu sammeln, denn, obzwar Oberleutnant Haesslerdiesbezüglich auch mit Hasan Bey Prishtina84 in Verbindungstand, wußte ich, daß es besser sein würde, sich auf dieVersprechungen dieses Beys nicht zu verlassen.

Es gelang die nötige Anzahl von Pferden und Karrenaufzutreiben, und so konnten denn, als Oberstleutnant Spaits mitunseren Waffen in Shëngjin eintraf, mit Hilfe meiner albanischenFreunde, Ded Zogu, Preka Gjeta Zogu und Zef Noci, das ganze inShëngjin gelandete Kriegsmaterial anstandslos nach Kallmetgebracht werden, woselbst es bei Prenk Bib Doda eingelagertwurde, um den Anschein zu erwecken, als ob die Aktion seineUnterstützung genieße. Um das Zollamt in Shëngjin passieren zukönnen, wurde unser Kriegsmaterial als Eigentum deralbanischen Regierung deklariert. Um einige zuverlässige Leute

Page 439: Nopcsa Reisen Balkan

Weltkrieg (1914-1917)

425

bei uns zu haben, hatte ich schon abgesehen von allen diesen vordem Eintreffen der Waffen mehrere mir gut bekannte sehrangesehene Gebirgler (darunter zwei Bajraktare) nach Kallmetkommen lassen, und diese wurden in der Folge sowohl alsWachposten bei den Waffen wie auch anderweitig verwendet.Gleichzeitig urgierte ich von Kallmet aus schon den Abschlußeiner besa zwischen den im Jahre 1913 durch montenegrinischeIntrigen gegeneinander gehetzten Stämmen Nikaj und Merturieinerseits und Gashi und Krasniqi anderseits und legte dieseAktion Oberstleutnant Spaits besonders ans Herz. Der weitereTransport der Waffen von Kallmet landeinwärts war mitmannigfachen Schwierigkeiten verbunden, denn erstens sandteHasan Bey Prishtina noch immer keine Pferde, zweitens wolltendie Einwohner der Shkodra-Ebene mit ihren Pferden nicht nachMirdita hinein gehen, und drittens war mir dieSerbenfreundlichkeit Prenk Bib Dodas seit Februar 1914 bekannt.Es war daher zu befürchten, daß er unsere Waffen in Kallmetoder in Mirdita beschlagnahmen könnte. Um diesemauszuweichen, wurde ein staffelweises Fortschaffen zunächstnach Nënshat, dann weiter landeinwärts angeordnet. Selbst gingich nach Lezha zurück, um dort Nue Gjoni (den Vertreter PrenkBib Dodas) zu besuchen, damit er verhindert werde nach Kallmetzu kommen, denn ich fürchtete die Gewinnsucht Nue Gjoniskönnte durch den Anblick der vielen, in seinem Hofeaufgestapelten Waffen über Gebühr gereizt werden. Währenddieses Besuches wurde durch Oberstleutnant Spaits und dieanderen Herren der größte Teil der Waffen von Kallmetweggeschafft. Mir teilte in Lezha Zef Noci mit, daß der Weg überQafa e Malit gesperrt sei. Beim Eintreffen in Nënshatverständigte ich hievon Spaits. In Nënshat trafen zwei Agas ausder Gegend von Gjakova bei uns ein. Der eine begleitete einenTeil der Waffen landeinwärts, der andere gab an, nach Shkodrazu müssen und bei Qerret wieder an uns zu stoßen. Außerdem

Page 440: Nopcsa Reisen Balkan

Weltkrieg (1914-1917)

426

stellte sich ein gewisser Gugga ein, dessen sämtliche Verwandteim italienischen Dienste standen und der mir und zahlreichenanderen Leuten, so dem Pater Gjeçovi, seit 1911 als höchstzweifelhaftes Individuum bekannt war. Bloß der Intervention desOberstleutnants Spaits hat es Gugga zu verdanken, daß er nichtbald nach seinem Eintreffen von meinen Leuten aus dem Wegegeschafft wurde. Am 18. August wurde in Mnella auf meineVeranlassung hin den Pferdetreibern, bei denen ich befand, eswaren dies Mohammedaner aus dem Montenegro gehörendenVufaj zur Feier von Sr. Majestät Geburtstag ein Hammelgespendet.

Von Mnella ging ich nach Qerret, um mit Selim Aga undden übrigen Beys zusammen zu treffen und von Puka Tragtierezu requirieren, kehrte dann nach Korthpula zurück, woselbstbereits ein Teil unserer Waffen eingetroffen war, konstatierte, daßselbst die Mirditen dem weiteren Transport der WaffenSchwierigkeiten machen wollten und daß die übrigen Herren,dem Pfarrer miteinbegriffen, der Situation nicht gewachsenwaren.

Ich ordnete die Angelegenheit in Berufung auf meineFreundschaft mit Prenk Bib Doda. Da meine Gewehre früher inKallmet untergebracht gewesen waren, erklärte ich den LeutenGastfreund Prenk Bib Dodas zu sein, drückte meineVerwunderung darüber aus, daß jemand in Mirdita denGastfreund Prenk Bib Dodas zu belästigen wage, und erklärtemich, wenn ich nicht Genugtuung erhielte, bei Prenk beschwerenzu wollen. Die Einwohner Korthpula erschraken und gaben dieWaffen wieder frei, worauf ich die schon an Prenk verfaßteBeschwerde, die freilich in Wirklichkeit erfolglos geblieben wäre,feierlich verbrannte.

Ich erfuhr dann, daß der Stamm Kelmendi, so ferne erPatronen erhielte, gesinnt war, seine in Montenegro befindlichenAngehörigen mit Waffengewalt zu befreien, ersuchte

Page 441: Nopcsa Reisen Balkan

Weltkrieg (1914-1917)

427

Oberstleutnant Spaits deshalb an Konsul Kral zu telegrafieren,damit uns seitens der albanischen Landesregierung im Geheimenfür die Kelmendi Mauserpatronen zur Verfügung gestellt würden,denn leider konnte die von Shëngjin mitgebrachte Munition fürtürkische Mausergewehre nicht verwendet werden. Dann gingich, des Generalkonsuls Drahtantwort erwartend, nach Gomsiqe.Von dort bat ich, da aus Durrës tagelang keine Antwort kam,Konsul Halla um ein Rendezvous in Rrogam, um diese Sache zuurgieren. An Hallas statt kam Vizekonsul Baron Abele. Wirerledigten diese Sache, dann veranlaßte ich, daß die täglichePostverbindung Gomsiqe-Shkodra, eine überflüssige Dummheit,die auf Oberstleutnant Spaits sein Verlangen hin etabliert wordenwar, über Rrogam-Vjerda geleitet werde. Darauf ging ich, einerAufforderung Marka Gjonis Folge leistend, der um eine wichtigeUnterredung ansuchte, nach Nënshat. Hier wurde ich von Hallaaufgefordert nach Lezha zu gehen und von Prenk Bib Doda, jeneMauserpatronen zu übernehmen, die er in Durrës um 5.000 K. anGeneralkonsul Kral verkauft hätte. Außerdem sollte ich die inLezha befindlichen Pferde Hasan Prishtinas mit Kriegsmaterialversehen, damit sie nicht leer abziehen. Marka Gjona sagte mir,Prenk Bib Dodas Patronen seien von Kallmet nach Lezhatransportiert worden, und setzte mich davon in Kenntnis, daßPrenk Bib Doda am folgenden Tage, aus Durrës kommend, inLezha eintreffen würde.

Ich ging nach Lezha. Prenk Bib Doda leugnete denVerkauf der Patronen an Kral und meinte, als ich ihm HallasBrief verlas, Halla müsse gelogen haben. Ich ersuchte ferner umAusfolgung einer der beiden in Lezha befindlichenGebirgsgeschütze, hatte aber auch damit keinen Erfolg. Zef Nociinformierte mich über Prenk Bib Dodas Verbindungen mitSerbien. Was Hasan Prishtinas Pferde anbelangte, so konnte ichbloß deren Abwesenheit konstatieren. Da von Generalkonsul Kralaus Durrës noch immer keine Antwort an Spaits seine Depesche

Page 442: Nopcsa Reisen Balkan

Weltkrieg (1914-1917)

428

eingelangt war, schrieb ich Kral einen in einem scharfen Tongehaltenen Brief und sandte ihn durch einen Vertrauensmann, dermir die Antwort aus Durrës bringen sollte. Von Lezha ging ichnach Shkodra. Hier traf die Antwort ein, daß in Durrës keineMauserpatronen vorrätig seien. Konsul Halla teilte mir mit, daßihm vom Bajraktar von Kastrati vierzig volle Munitionskistenzum Kaufe angetragen worden waren. Ich besprach mit Halla,wie den Shala und Kelmendi im Falle, daß sie Montenegroangreifen würden, Mehl nachgesendet werden sollte, damitgewisse Truppenteile, nämlich der auf der Kapa e Brojës stehendeWachtposten, nicht durch Proviantmangel zum Rückzugegenötigt seien. Dann entsandte ich Boten nach Kelmendi, umdiesen Stamm zu einer Versammlung nach Broja einzuladen. Ichließ ihn wissen, daß er sich vorläufig ruhig verhalten sollte, denn,es waren übertriebene Nachrichten über eine Schießerei an deralbanisch-montenegrinischen Grenze eingelaufen, wogegen nachunserer Absicht überall gleichzeitig losgeschlagen werden sollte.Endlich forderte ich brieflich den Stamm Shala auf, sofort diewichtige Qafa e Pejës zwischen Gucinje und Shala zu besetzen,was auch mit 300 Mann sofort geschah! Dann ging ich wegen dervierzig Patronenkisten und um die Stimmung des StammesKastrati zu beeinflussen, über Koplik nach Bajza und Ivanaj inKastrati.

Der Plan war, Shala sollte die spärlichen in Gucinjebefindlichen Truppen südlich von Vufaj stark engagieren, undzwei Tage später sollte Kelmendi nach Vermosh vorstoßen, dieGefangenen befreien, dann mit diesen vereint über Qafa e Godijësgegen Gucinje rücken. In Kastrati konstatierte ich, daß der halbeStamm durch Mark Dashi, Gjelosh Gjoka, Mirash Luca und seinebeiden Söhne, ferner durch Nikoll, den Sohn des Bajraktars DodPreçi und andere beeinflußt wurde und infolge reichlichermontenegrinischer Geldspenden Montenegro freundlich gesinntwar. Die andere Hälfte des Stammes hatte vor Montenegro große

Page 443: Nopcsa Reisen Balkan

Weltkrieg (1914-1917)

429

Angst. Der ganz Stamm würde daher nicht nur nicht gegenMontenegro vorgehen, sondern sogar die Hoti an einemVorgehen hindern. Ferner konstatierte ich, daß statt der vierzigMausermunitionsverschläge nur ein halber Verschlag Patronenvorlag.

Daß ich aus Kastrati mit heiler Haut herauskam, warmehr Glück, als ich verdiente. Da mit dem halbenPatronenverschlag nichts auszurichten war, ließ ich, um nicht mitganz leeren Händen nach Kelmendi zu kommen, Halla achtzig inMazrek befindliche Gewehre samt Munition nach Shkrelikommen und begab mich zum Bajraktar von Shkreli, VatMarashi, um die nötigen Vorbereitungen zu einem Angriffegegen Montenegro zu treffen, damit die Kelmendi, falls sie trotzdes Munitionsmangels einen Angriff beschließen sollten, in ihremRücken durch die Shkreli gedeckt seien. Wie überall hieß es auchhier, ohne Patronen ließe sich gegen Montenegro nicht kämpfenund die 50-60 Patronen, die jeder bei sich habe, seien zu einemKampfe gegen die Montenegriner zu wenig u. dgl. MeineArgumentation, man müsse sich die Patronen vom Gegner holen,wurde nicht akzeptiert. Ich erkannte, daß Vat Marashi, bei demsich in neuester Zeit austrophile Tendenzen bemerkbar gemachthatten, der aber seit 1910 nach einander italienisch, jungtürkisch,montenegrinisch und Engländerfreundlich gesinnt war, Shkrelidahin beeinflusse, daß es ruhig bleibe.

Von Shkreli wollte ich nach Broja zurStammesversammlung der Kelmendi, die am folgenden Tagestattfinden sollte. In der Nacht wurde aber Shkreli durch Schüsseund Rufe alarmiert, daß die Montenegriner in Albanieneingefallen seien und sich montenegrinische Truppen zwischenunserem Nachtquartier (Vrith am Veleçik) und Shkodra befänden.Später wurde diese Nachricht dahin richtig gestellt, daß dieMontenegriner bloß in Kelmendi eingefallen waren. Vat Marashisandte ca. 120 Mann auf die Kapa e Brojës, um den Rückzug der

Page 444: Nopcsa Reisen Balkan

Weltkrieg (1914-1917)

430

übrigen Shkreli zu decken, dann bereitete sich alles zur Flucht indie Ebene von Shkodra vor. In der Frühe erschienen die erstenFlüchtlinge aus Kelmendi, schilderten den dortigen Zwischenfallin übertriebenster Weise, und allgemein wurde, um mich bei denAlbanern zu kompromittieren, von den montenegrinischenAgenten die Nachricht verbreitet, die Kelmendi seien deshalbüberfallen und niedergemetzelt worden, weil ich sie gegenMontenegro aufgehetzt hätte. Diese Nachricht wurde von vielenMalessoren geglaubt und viele meinten von nun an, daß einzigund allein ich am Unglück der Kelmendi schuld sei, weshalb ichdenn auch umgebracht werden sollte.

Nachträgliche Erhebungen ergaben, daß bei den vonmontenegrinischen Truppen sehr geschickt ausgeführtenÜberfällen auf Kelmendi (die Führer der Montenegriner warenzum Teil Albaner, so Prek Pllumi), 128 Kelmendi getötet wurdenund den wohlhabenden Einwohnern von Selca, die 96 Totehatten, ihr ganzes Hab und Gut und alle ihre Herden, vieleTausend Schafe, verloren gingen. Die Bewohner von Broja, Nikçund Vukël (22 Toten) konnten manches retten. Die Häuser allerdieser Orte wurden von den Montenegrinern verbrannt. Daallgemein geglaubt wurde, der Überfall auf Kelmendi sei nur einVorspiel zu einem montenegrinischen Einmarsch nach Albanienund alles mit Kind und Kegel in die Ebene von Shkodra floh, waran eine weitere Offensivaktion gegen Gucinje nicht zu denken,und ich mußte daher trachten, die 80 in Shkreli befindlichenGewehre in Sicherheit zu bringen. Mangels an Tragtieren wardies nach dreitägigem Zuwarten nur durch eine Verteilung anzuverlässigere Leute aus Vufaj (z. B. dem Bajraktar), Kelmendiund Shkreli möglich. Schon von Dedaj aus, wo die Gewehreverteilt wurden, forderte ich das Konsulat zu einer kräftigenHilfsaktion zugunsten der Kelmendi auf, denn ich rechnete damit,daß sich dieser Stamm später an Montenegro würde rächenwollen. Selbst verteilten ich und mein Sekretär gleichfalls

Page 445: Nopcsa Reisen Balkan

Weltkrieg (1914-1917)

431

mehrere Tausend Kronen an die Flüchtlinge, dann blieb ich, ummeine Position zu verbessern, Geld verteilend einige Tage unterden mir zum großen Teil nach dem Leben trachtendenMalessoren in der Ebene bei Livadhi i Shkodrës.

In Livadhi i Shkodrës erfuhr ich zufällig undunerwarteterweise, daß Hauptmann Jucha in Shala, also in einemGebiete eingetroffen war, das zu meiner Aktionssphäre gehörte,und wußte mir mangels authentischer Informationen lange Zeitden Zweck seiner Anwesenheit in Shala nicht zu erklären. Icherfuhr diesen erst Anfang Oktober, als ich selbst in Shala eintraf.

Von Livadhi i Shkodrës ging ich, da ich von derZwecklosigkeit einer weiteren Aktion gegen Montenegro imVilayet Shkodra überzeugt war, mir ferner auch das Benehmender Beys höchst verdächtig vorkam, nach Shkodra. Dort blieb icheinige Tage und wurde dann von Konsul Halla aufgefordert,Nachforschungen über den Oberstleutnant Spaits einzuleiten, daletzterer zwölf Tage lang keine Lebenszeichen von sich gegebenhatte. Gleichzeitig erhielt ich von Konsul Halla den Befehl, jedeweitere Aktion gegen Montenegro und Serbien soforteinzustellen. Infolge dieser Gesamtlage ging ich daran,Nachforschungen über Oberstleutnant Spaits anzustellen, und tratgleichzeitig in Kontakt mit Hauptmann Jucha, von dem ich inErfahrung gebracht hatte, daß er mit einigen Waffen in der Pfarrevon Shala eingetroffen war, und dort amtierend bemüht war, dieuntereinander verfeindeten Stämme vom grünen Tisch aus zuversöhnen. Die Nachforschungen nach Spaits glaubte ich langsamins Werk setzen zu müssen, denn eine Pause von zwölf Tagenwar in meinen Augen zwar etwas, aber nicht sehr beunruhigend.Ich begab mich also langsam über Rrogam, Mazrek, Prekal nachGuri i Lekës und Molla e Shoshit, konstatierte hier überallerbitterte gegenseitige Feindschaft, berichtete von Toplana anKonsul Halla, daß Juchas Versöhnungswerk zu einer Spielereiherabsinke, da in jedem Augenblicke der eben geschlossene

Page 446: Nopcsa Reisen Balkan

Weltkrieg (1914-1917)

432

Friede durch neue Zwischenfälle gestört werde, und dieHäuptlinge jetzt in Albanien viel Einfluß verloren hatten. Dannging ich über Merturi i Gurit und Apripa nach Fierza, wo ichunerkannt eintraf und vom dort befindlichen LeutnantTomljenoviƒ die Nachricht erhielt, daß ein weiteres Forschennach Oberstleutnant Spaits überflüssig sei, da er sich wohlaufbefinde und überhaupt nicht verschollen war.

Da ich in Fierza unerkannt blieb, hatte ich Gelegenheit,das alltägliche Leben daselbst zu beobachten, und konnte eineunserem Unternehmen feindliche Stimmung konstatieren. DieUrsache dieser Feindschaft lag darin, daß unsere Offiziere inFierza mit dem Bauernstande nicht in Kontakt traten, und in ihrenetwaigen diesbezüglichen Bemühungen vom Pfarrer gehindertwurden. Es war auch unzweckmäßig, daß sie zum Teil auch denKontakt mit jenen Leuten verloren hatten, die ich nach Kallmethatte kommen lassen. So hatten sie gegen Anfeindungen garkeinen Rückhalt, wovon ich sofort Halla und Spaits informierte.Ca. drei Wochen später ging, nachdem ich Fierza verlassen hatte,diese latente Feindschaft in Tätlichkeiten über, so daßTomljenoviƒ Fierza verlassen mußte. Eine Offerte meinerseits,die Leute von Fierza zu versammeln und helfen einzugreifen,wurde zuvor von Tomljenoviƒ abgelehnt.

Überhaupt war es ein Fehler des k.u.k.Kriegsministeriums zu so kritischen Zeiten, solche Herren nachAlbanien zu senden, die gar nicht oder kaum albanisch redeten,das Land noch nie bereist hatten, und daher nicht bekannt waren.Steinmetz und der verunglückte Hauptmann Rossmann wärenviel geeignetere Persönlichkeiten gewesen. Zur Illustrierung desGesagten diene, daß sich gleich am Anfange des Unternehmenseiner der Herren darüber aufgehalten hatte, daß ein Albaner, mitdem er redete, während des Gespräches ihm allerdings ohne böseAbsicht ‘höchst respektwidrig’ vor die Füße spuckte.

Page 447: Nopcsa Reisen Balkan

Weltkrieg (1914-1917)

433

Eine weitere Mitteilung, die mir Tomljenoviƒ machte,war, daß der Abschluß einer besa, die ich noch in Kallmetzwischen Nikaj und Merturi einerseits und Gashi und Krasniqianderseits hatte abschließen wollen, damit bei einem Vorstoß derKrasniqi und Gashi auch Leute aus Nikaj und Merturi teilnehmenkönnten, da sich niemand der Sache angenommen hatte, keinenweiteren Fortschritt gemacht hatte, obzwar gerade so ein mit bloßschlecht verhüllter, aggressiver Tendenz abgeschlossenesBündnis die Montenegriner in Gjakova arg beunruhigt hätte.Dieses Bündnis abzuschließen, hielt ich nebst einer allgemeinenTätigkeit für meine nächste Aufgabe.

Ich ging also zuerst zu einem Leichenbegängnis nachApripa, woselbst ich Gelegenheit hatte, vor ca. 400 Menschenden bisherigen Erfolg der Albanienpolitik der Monarchiedarzulegen, den Leuten zu beweisen, daß unsere Politik inAlbanien selbstlos sei, daß nämlich alle meine vor vielen Jahrengemachten Voraussagungen (z. B. daß die Türken Albanienverlassen würden, daß Montenegro Shkodra nie besitzen könneu. dgl.) eingetroffen waren, daß der Augenblick nahe sei, wo siewieder in Gjakova würden Getreide kaufen können u. dgl. Dannging ich nach Nikaj und Merturi. Wegen einiger vor drei Tagenerfolgten Ermordungen (u.a. war der Bajraktar selbst erschossenworden) waren hier heftige Fehden ausgebrochen. Ich ließ michvom Pfarrer von Nikaj darüber informieren. Dann ging ich zumneuen Bajraktar von Merturi, setzte überall bloß durch meinenpersönlichen Einfluß (ohne die Leute zu bestechen!) einenzehntägigen Waffenstillstand durch und erhielt von Nikaj undMerturi die Zusage, daß sie meiner Einladung, sich mit Gashi undKrasniqi auf neutralem Gebiete zu treffen, um eine besaanzuschließen, Folge leisten würden. In dieser Aktion haben michwieder jene Leute unterstützt, die ich nach Kallmet gerufen hatte,die aber ansonsten wegen ihrer Entlassungen gegen unsereübrigen Herren etwas verschrupft waren. So wie dies alles

Page 448: Nopcsa Reisen Balkan

Weltkrieg (1914-1917)

434

erreicht war, schickte ich gleichlautende Anfragen an Gashi undKrasniqi und, da auf diese Weise bis zum Eintreffen derAntworten aus Gashi und Krasniqi in Nikaj und Merturi derzeitnichts zu machen war, anderseits aus Shala Nachrichten einliefen,die Juchas Position in trübem Lichte erscheinen ließen, begab ichmich, um Juchas Position zu stärken, dorthin und ließ auchmeinen Sekretär dorthin kommen. Tomljenoviƒ hatte mir fernerden Befehl übermittelt, “Aktion sofort beginnen.” Anbetracht derAngst der Katholiken, ferner Anbetracht des Patronenmangelsund endlich auch wegen der Feindschaft mit Krasniqi war aber aneine erfolgreiche Aktion derzeit nicht zu denken, denn daseinzige, was hätte erreicht werden können, war, daß auchKrasniqi von Montenegro überfallen worden wäre, dennmontenegrinische agents provocateurs waren an der Arbeit, aufQafa e Morinës und anderen Grenzorten Schießereien zuveranstalten und montenegrinische Truppen wurden bei Gjakovakonzentriert.

Der Pfarrer von Shala beschwerte sich, daß JuchasDolmetsch, Zef Shantoja, die Situation in Shala verwirrt habe,und ich konstatierte, daß mein Eintreffen in Shala Herrn ZefShantoja sichtlich deprimierte.

Eine meiner ersten Handlungen in Shala war, offen gegendie Montenegrophilen vorzugehen, und so beleidigte ich denSohn des einflußreichen Mehmed Shpendi absichtlich bloßdeswegen, weil er ein montenegrinisches Käppchen trug,außerdem begann ich mehr denn je offen gegen den inmontenegrinischen Diensten stehenden Franziskaner von Thethzu agitieren. Abgesehen hievon forderte ich den Konsulwiederholt auf, gegen den Pfarrer von Theth vorzugehen. Ichglaube, es ist dieser meiner Tätigkeit zu verdanken, daß sich dieFranziskaner von Shala und Planti veranlaßt sahen, in dieserSache zu intervenieren, und es der Pfarrer von Theth, der dieAnwesenheit des Hauptmanns Jucha in Shala wochenlang

Page 449: Nopcsa Reisen Balkan

Weltkrieg (1914-1917)

435

ignoriert hatte, endlich für nötig fand, nach Shala zu kommen undsich bereit zu erklären, von nun an treu und loyal zu handeln.Diese feierliche Erklärung wurde mir zur Kenntnis gebracht. Ichbewies den drei Pfarrern, daß wenigstens zwei von ihnen in einermich betreffenden älteren Angelegenheit gelogen hatten, erklärteaber, ein weiteres Verhalten dem Pfarrer von Theth gegenübervon seiner künftigen Handlungsweise abhängig zu machen. Daich vor einigen Jahren (1909) einen Apotheker, Mehmed PardoEffendi, in der Stadt Shkodra hatte durchprügeln lassen und einPfarrer nur mit Mühe demselben Schicksal entgangen war, wardie Besorgnis des Pfarrers von Theth begreiflich.

Während dieser Tätigkeit erhielt ich von dem Konsulatden Befehl, daß sich die Katholiken Nordalbaniens nur defensivzu verhalten haben, und bald darauf lief der weitere Befehl ein,daß die Katholiken bei jeder Aktion gegen Montenegro überhauptganz aus dem Spiel zu lassen seien. Während dieser ganzen Zeitsaß Hauptmann Jucha, von einigen Abendessen in benachbartenHäusern abgesehen, beim Pfarrer von Shala, organisierte seinensogenannten Nachrichtendienst aus Gucinje (was er erfuhr, ist mirunbekannt geblieben) und trachtete einen ‘Katholischen Block’ins Leben zu rufen. Ein Zwischenfall mit acht Ziegen, der zueiner Stammesfehde zwischen Shala und Nikaj zu führen drohte,da sich der Bajraktar von Shala durch den Bajraktar von Nikajbeleidigt fühlte, nötigte mich persönlich einzugreifen. Ich gingnach Nikaj, und es gelang mir die Angelegenheit zu ordnen,freilich erst nachdem ich den Stamm Nikaj dazu gebracht hatte,dem in Nikaj lebenden Übeltäter mit Verbrennen seines Hauseszu drohen.

Gashi und Krasniqi hatten inzwischen meine Einladungzu einer Besprechung mit Nikaj und Merturi angenommen. Ichbegab mich also über Merturi nach Raja, dessen Pfarre als vommir designierter neutraler Boden allgemein akzeptiert wordenwar, und dort wurden die daselbst versammelten 200 Chefs von

Page 450: Nopcsa Reisen Balkan

Weltkrieg (1914-1917)

436

mir bewirtet. Infolge der von Generalkonsul Kral und anderer andie Beys verteilter Geldgeschenke hatte sich in Albanien vielerOrts die Meinung verbreitet, daß die Monarchie in ihrem Kampfegegen Serbien der Albaner bedürfe, und Zeqir Halili, der selbstvon Oberstleutnant Spaits 500 K. erhalten hatte, teilte mir diesauch offen mit. Er ging ja so weit, weil er die Chefs von Krasniqizur Besprechung gebracht hatte, allerdings erfolglos, von mir einTrinkgeld zu fordern.

Dies war für die Stimmung, die im mohammedanischenGebiete uns gegenüber herrschte, charakteristisch. Das Resultatwar aber, daß ich erkannte, eine dauerhafte besa könne nur danngeschlossen werden, wenn die Leute nicht merken, daß ich amZustande- rp. Nichtzustandekommen der besa besondersinteressiert sei. Deshalb fühlte ich mich veranlaßt, den nunfolgenden Verhandlungen bloß als indifferenter Beobachterbeizuwohnen, um, falls die Verhandlungen jetzt zu keinempositiven Resultate führen sollten, den Faden in einiger Zeitwiederaufnehmen zu können. Obzwar beiderseits guter Wille zumAbschließen eines Schutz- und Trotzbündnisses gegenMontenegro vorhanden war und in mehreren Punkten eineEinigung erzielt wurde, verliefen die ersten Verhandlungen, dadie Gashi und Krasniqi von diesem Bündnis zu viel profitierenwollten, leider resultatlos. Das einzige, was erreicht wurde, war,daß der zehntägige Waffenstillstand zwischen Nikaj und Merturiauf zwei Monate verlängert wurde. Daß ich später keine weiterenVerhandlungen zwischen Nikaj und Krasniqi anknüpfen konnte,daran ist bloß der Umstand schuld, daß mir sofort nach der erstenVersammlung in Raja der Befehl überbracht wurde, nachGomsiqe zu kommen, um Albanien zu verlassen. Diesem Befehlenachkommend begab ich mich in den folgenden Tagen überShala, Prekal, Bardhanjolc nach Vjerda und, da ich dort inErfahrung brachte, daß sämtliche in Gomsiqe befindlichenösterreichischen Offiziere diesen Ort verlassen hatten, ging ich

Page 451: Nopcsa Reisen Balkan

Weltkrieg (1914-1917)

437

über Nënshat nach Troshan, woselbst ich Hauptmann Spaits,einen Cousin des Oberstleutnants, und Hauptmann Jucha antraf.Vor und bei meinem Abmarsche aus Shala hatte ich Gelegenheit,den fast vollkommenen Zerfall der von Hauptmann Juchaangestrebten katholischen Vereinigung zu konstatieren, sowie inErfahrung zu bringen, daß Tomljenoviƒ Fierza gegen seinenWillen eilig hatte verlassen müssen.

Da in Troshan den Hauptleuten Jucha, Spaits und mir dieWiener Instruktionen, Albanien mit österreichischen Pässen zuverlassen, äußerst bedenklich erschienen, luden wir Konsul Hallazu einer Besprechung nach Bërdica ein, und es begaben sich dennauch Spaits und ich dorthin, während Jucha in Troshan verlieb.Bei dieser Besprechung proponierten wir dem an Stelle vonKonsul Halla erschienenen Vizekonsul Abele, es solle Spaits, derperfekt kroatisch sprach, als nach Shkodra eingewanderterBosniake verkleidet mit einem albanischen Paß nachKonstantinopel fahren. Ich wollte als Albaner verkleidet mit einerSegelbarke die Adria durchqueren und erst an der italienischenKüste meinen österreichischen Paß hervorziehen. Beides wurdevon Abele vielleicht bloß, weil es unsere Abreise aus Albanienverzögert hätte, als unzweckmäßig verworfen. Er bestand darauf,daß mit jeder Fahrgelegenheit einer von uns Albanien verlassensollte, und die Folge war, daß Spaits, als er an Bord einesitalienischen Dampfers war, von einem französischenKriegsschiff gefangen genommen wurde. Mein Entkommen istoffenbar nur dem Umstande zuzuschreiben, daß niemand darandachte, daß ich die Frechheit haben würde, öffentlich untermeinem Namen und ohne irgendeine Vorsichtsmaßregel zutreffen, an einem allen Leuten bekannten Datum über die Adriazu fahren. Daß es mir unmöglich sein würde, Albanien unerkanntzu verlassen, hatte ich Halla zweimal geschrieben, da ichallgemein bekannt war.

Page 452: Nopcsa Reisen Balkan

Weltkrieg (1914-1917)

438

Bei meinem Eintreffen in Shëngjin, woselbst einigeWochen vorher gegen einen montenegrinischen Mehltransporteine Bombe geschleudert worden war, trug sich eine kleineEpisode ab, an der ich so recht deutlich die Angst der beiShëngjin lebenden Shkreli vor Montenegro erkennen konnte, undsah mich veranlaßt, dies noch im letzten Augenblicke demösterreichisch-ungarischen Konsulat in Shkodra bekannt zugeben. Meine Weiterreise über Bari, Bologna, Cervignano undTriest nach Wien verlief ohne Zwischenfall.

Im allgemein ist der Versuch, eine gegen Serbien undMontenegro gerichtete Aktion in Albanien ins Leben zu rufen, alsMißglück zu betrachten, und zwar sind die Ursachen imfolgenden gelegen:

1.) Die Beys hatten durch die ‘Ära Wied’ gelernt, daß esäußerst rentabel sei, Armeen auf Papiere aufzustellen und sich fürsolche papierene Armeen bezahlen zu lassen, und da wollten siediese Methode auch uns gegenüber in Anwendung bringen.

2.) Die Bey wurden in ihren diesbezüglichenBemühungen offenbar von den Serben angeeifert und hiefür auchbezahlt.

3.) Jene Albaner, welche wirklich gegen Serbienlosschlagen wollten, rechneten nicht mit dem baldigenErscheinen unserer Truppen, und so sagten mir, als Woche nachWoche resultatlos verlief, gerade meine Freunde: “Wir glaubennicht mehr an das Erscheinen der Österreicher, bis wir sie nichtmit unseren eigenen Augen sehen.”

4.) Durch den Befehl: “Aktion sofort einstellen” wurdeunserer ganzen Tätigkeit ein nicht wiedergutzumachenderDämpfer aufgesetzt.

5.) Die Aufmerksamkeit der Leute war durch innereFragen (Essad Pascha, Wied etc.) viel zu sehr in Anspruchgenommen, als daß sie die Ereignisse jenseits der Grenzegebührend interessiert hätten.

Page 453: Nopcsa Reisen Balkan

Weltkrieg (1914-1917)

439

6.) Montenegro hatte es im Herbste 1913 gut verstanden,den gegenseitigen Haß der katholischen und mohammedanischenGebirgsstämme zu entflammen.

7.) Die Tatsache war noch immer im Gedächtnis dermeisten Leute, daß die österreichische Regierung, obwohl sie sich1909 im Vilajet Shkodra stark engagiert hatte, doch 1910 und1911 die Entwaffnung der Gebirgsstämme zuließ und dieGebirgsstämme nicht unterstützte, wogegen diese damals inMontenegro eine Unterstützung gefunden hatten.

8.) Montenegro hatte nach landläufigen Begriffen denkatholischen Gebirgsstämmen 1912 geholfen, das türkische Jochabzuschütteln, und dies war ihnen bei ihrem Grundsatze: “Liebermontenegrinisch als ottomanisch” wichtiger als die Tatsache, daßdas unabhängige Albanien durch die Bemühungen der Monarchieins Leben gerufen worden war.

9.) Infolge der verschiedensten Agitationsgelder undinfolge der Armut der Bewohner hatte im Lande eine noch niedagewesene Demoralisation eingerissen. Trotz aller dieserTatsachen ist von einer Serbenfreundlichkeit keine Spurvorhanden, und es ergibt sich daraus, daß in jedem Augenblick,wo die Albaner mit unseren Truppen in Kontakt treten könnenund das Angstgefühl sogar über die Köpfe der Beys hinwegschwindet, die Aversion gegen die Serben sowie die sichereAussicht auf gute Beute einen Albaneraufstand hervorrufenwerden. Übrigens werden dann auch die Beys sich von ganzenHerzen auf die Seite der Stärkeren stellen wollen. DieserAugenblick des Kontaktes wird ca. dann eintreten, wenn unsereTruppen in Mitrovica stehen werden.

Alle früheren Angebote, Albaneraufstände zu erregen,sind aus den oben angeführten Gründen nur als weitere Versucheeinzelner Führer zu deuten auf einfache Weise zu Geld undwertvollen Waffen zu gelangen.

Page 454: Nopcsa Reisen Balkan

Weltkrieg (1914-1917)

440

Privatim habe ich noch folgende Sachen zu vermerken.Da die Montenegriner auf meinen Kopf einen Preis von angeblich5.000 £ (100.000 K) ausgesetzt hatten und mir verschiedeneLeute, so die beiden Söhne von Mirash Luca, ferner im AuftrageMarka Gjonis auch Pren Gjakovci, der Mörders Gjeta Zogus,nach dem Leben trachteten, mich umschlichen, sich in Hinterhaltlegten u.s.w., war für mich äußerste Vorsicht nötig. Deshalbkleidete ich mich bald in europäischen Kleidern, bald alsMalessore, bald als Shkodraner, bald jedoch als Krasniqi mitglattrasiertem Kopfe und mit prächtiger Skalplocke am Scheitel.Statt der Schuhe trug ich meinem Kostüm entsprechend meistOpanken. In Shkodra war ich im ganzen bloß einige Tage, sonstlebte ich in der Regel als Albaner bei Albanern und relativ wenigbei den Pfarrern. In dieses wilde, allerdings, da es gar keineAutorität gab und mich jedermann straflos hätte erschießenkönnen, ich also vogelfrei war, sehr gefährliche Leben, hatte ichmich schon ganz eingefügt, als von Wien der Befehl eintraf, dieAktion einzustellen und nach Wien zu kommen.

Brav wie immer waren Tom Gjini und seine Brüder inRrogam, Ali Marku aus Prekal, Zef Noci aus Spaç, Preka GjetaZogu aus Bregumatja, dann ein neuer Bekannter Mark Pali, PalLucës aus Selca, Dod Preni und sein Vater Pren Kacolli ausMerturi i Gurtit, Arif Hasani aus Apripa, Beqir Nou aus Raja,Deli Nou aus Bugjon und Luk Prel Nishu aus Kastrati. Zu diesemkamen noch Gjelosh Marashi aus Ducaj und einige andere, fernerSyni Doda aus Shkreli, der auf einen Appell, “Syni, mach das mirzu Liebe,” in einem Momente höchsten Zornes sogar seinRachegefühl unterdrückte. Knapp vor dem Ausschiffen unsererWaffen in Shëngjin hatte Ded Zogu den Syni sehr scharfbeleidigt, und dieser wollte nun mit seinen Shkreli aus Lezhaabziehen und Ded Zogu im Stich lassen. Dies hätte aber danndiesen Ort den serbenfreundlichen Anhängern Essads ausgeliefertund das Landen unserer Waffen im Jahre 1914 bei Shëngjin

Page 455: Nopcsa Reisen Balkan

Weltkrieg (1914-1917)

441

vereitelt. Ich wollte ihn daher von seinem Plane abbringen, wasauch eintrat. Angeschlossen hatten sich mir auch Nik Preloci ausGruda, der zwar 1909 mein Freund war, im Jahre 1911 aber alsAnhänger Montenegros gegen mich war. Mit Bedauernverzeichnete ich den Abfall meines Freundes Masho aus Kozanzugunsten Montenegros, und außerdem erwies sich MehmedZeneli als nicht mehr ganz zuverlässig. Auch Mehmet hatte dieprofitable, abschüssige Bahn eines Politikdschis, das heißt einesMenschen betreten, der den einen Menschen gegen den anderenausnützt und dabei alle betrügt, und von dieser Bahn gibt es, solange in Albanien so etwas möglich sein wird, kein zurück mehr.Mehmet begann mir, seinem Brotgeber, Geld zu stehlen. Einegroße Anzahl meiner ehemaligen Freunde standen ganz offen inmontenegrinischen Diensten, so Mark Dushi in Kozan, PrekPllumi aus Nikç, Sadri Luka in Theth und andere. Bei Lek Curriwar es fraglich. Zef Noci, Preka Gjeta Zogu, Mark Pali, DodPreni, Arif Hasani, Beqir Nou, Luk Prel Nishu, Ded Preka vonManat, Mark Gjeloshi, Syni Doda und Gjok Prenga könnte manzu meinem Begräbnis nach Ungarn einladen, denn es würde sieerfreuen und ihnen verweisen, daß ich ihnen treu war und ihrerTreue bis zu meinem Tode gedachte.

Im allgemeinen konstatierte ich, daß während der letztenJahre bei den Gebirgsbewohnern Nordalbaniens eine großeDemoralisation eingetreten war. Meine sympathischen Wilden,die seinerzeit an ihren Ehrenkodex, der sich allerdings mit demunseren keineswegs deckte, unverbrüchlich festhielten, warenverschwunden, und an ihre Stelle waren mit wenigen Ausnahmengeldgierige, ängstliche und unzuverlässige Leute getreten. Doches scheint wieder, wenn ich die Tatsache vor Augen halte, daß ichtrotz des hohen Preises, der auf mich gesetzt war, heute nochlebe, als ob noch immer ein vollkommen undefinierbares Etwasdas Benehmen dieser Leute beeinflußt hätte. Es ist evident, daßich in Albanien herumgehen konnte, und evident ist es daher

Page 456: Nopcsa Reisen Balkan

Weltkrieg (1914-1917)

442

auch, daß sich in Albanien Leute befanden, denen ich bloß einigeKronen schenkte, die mich aber trotzdem effektiv beschützten, jaLeute, auf die ich, da sie meinem Rate zuweilen folgten und dasie sich wie zum Beispiel Ded Trimi und der Bajraktar vonMerturi auf meinem Appell sogar in einer frischenBlutrachenangelegenheit aussöhnten, sogar Einfluß hatte.Möglicherweise war daher die Demoralisation der Albaner nureine relative, aber mir schien allerdings, als ob der albanischetrim (Recke) hätte aufgehört zu existieren. Der trim war dasElement, auf das man sich vor wenigen Jahren, sich seinenEigentümlichkeiten anpassend, eine albanische Regierung durchpersönlichen Einfluß hätte gründen können. Die Kriege derletzten Jahre scheinen nun auch dieses Element, das seine Kraftaus seinem Selbstgefühl zog, durch Ausrotten diesesSelbstgefühls vernichtet zu haben. Sollte diese Tatsache wahrsein, so kann heute Albanien nunmehr nur durch die Peitschebeherrscht werden. Daß die zunehmende Armut bei derDemoralisation keine größere Rolle spielte, scheint daraushervorzugehen, daß eben während der letzten Jahre verschiedenekäufliche Luxusobjekte, z. B. Bettdecken, Lampen, Petroleum,Kochgeschirr und solche Gegenden eingedrungen sind, wo siefrüher fehlten. Daß man die besa nicht mehr so strikt einhält wiefrüher, daß die Mörder ihre Identität, damit man sie nichtverfolgen könne, verheimlichen, daß die Bestechlichkeit und dasNichteinhalten von Versprechen überhand nimmt, dies sind allesals Zeichen der moralischen Dekadenz der GebirgsbewohnerNordalbaniens zu deuten. Leid tut es mir um jene Unschuldigen,die unter dieser persönlich unverdienten Zukunft werden leidenmüssen, denn gerade die aufrechten Köpfe werden als die erstenfallen. Ich verließ Albanien, ohne wie bisher ihm stets “aufWiedersehen” zu sagen, denn, wenn mich im Laufe meinerStudien auch die Zukunft wieder dorthin führen sollten, ichglaube kaum, daß ich dort die alten, mir so sympathischen

Page 457: Nopcsa Reisen Balkan

Weltkrieg (1914-1917)

443

‘tapferen Wilden’ wiederfinden werde. Wieder ist ein Stück‘meiner Welt’ verschwunden.

Am 24. Oktober kam ich nach dem geschildertenMißerfolg nach Wien und fuhr Ende Oktober in dasHauptquartier nach Neu-Sandec. Exzellenz Conrad war sehr nettzu mir. Auf der Hinfahrt fuhr zufällig der neue Thronfolger mitdemselben Zuge, und Graf Rudi Vanderstraaten machte ihnaufmerksam, daß ich und Spaits gerade aus Albanien kamen. Erbestellte uns zu sich, schimpfte über Italien und fragte mich übermeine Meinung vom Ballhausplatz. Ich antwortete, “KaiserlicheHoheit, ich führe jahrelang schon einen erbitterten Kampf gegendenselben, bitte mich der Antwort zu entheben.” Der Erzherzogwandte sich an Spaits. Spaits begann darauf zu schimpfen, undhierauf sekundierte ich ihm und sagte dem Erzherzogungeschminkt meine Meinung. Circa eine Stunde beimErzherzog, dann den Rest der Fahrt mit Vanderstraaten, Kiss undTun.

Trotz des Mißerfolges in Albanien erhielt ich vomArmee-Oberkommando eine Belobung, war aber gleichzeitigOhrenzeuge, wie sich einer der Herren dieses Kommandos,während unsere Truppen an der Front hungerten und ExzellenzConrad darüber verzweifelt war, daß die österreichisch-ungarische Armee den russischen Druck nicht würde standhaltenkönnen. darüber beschwerte, daß ein auf silbernem Tafelgeschirraufgetragener Eszterházy-Rostbraten nicht weich genug sei.

Von Neu-Sandec wurde ich in geheimer Mission nachBukarest geschickt. Ich sollte, so lautete mein Auftrag, da dieantiösterreichische Agitation besonders in Professorenkreisenstark betrieben würde, dieser Agitation durch meineKonnektionen entgegen zu wirken trachten. Um einen Vorwandzu einer Reise nach Bukarest zu haben, telegrafierte ich aus demHauptquartier nach Wien zurückgekehrt an Professor M.Murgoci, daß ich einer zwischen uns schon im Frühjahr 1914

Page 458: Nopcsa Reisen Balkan

Weltkrieg (1914-1917)

85 Ottokar Graf Czernin, von und zu Chudenitz.

444

getroffenen Vereinbarung gemäß bereit sei, Anfang Novembernach Bukarest zu kommen, um einen in Aussicht gestelltenVortragszyklus über Albanien zu halten. Dann fuhr ich nachdiesem Telegramme, da ich Anbetracht der Spannung zwischender Volksstimmung in Rumänien und der Monarchie eine Absageseitens Murgocis befürchtete, gleich nach Bukarest, woselbst icham 1. November eintraf. Wie ich in Bukarest von Murgoci erfuhr,hatte dieser tatsächlich mir nach Wien wegen Aufschub meinerVorträge telegrafiert. Nun, da ich aber schon in Bukarest war, ließsich nichts mehr ändern. Ich stellte mich Czernin85 vor. Er warsehr unfreundlich, ja fast grob. “Was suchen Sie hier? Warumsind Sie gekommen? Sie werden hier nur schaden,” u.s.w., so daßich genötigt war, ihn aufmerksam zu machen, daß ich nicht auseigenem Antrieb gekommen sei, sondern von Exzellenz Conradgeschickt wurde. Als ich ihm weiterhin mitteilte, ich sei deshalbnach Bukarest gekommen, um Vorträge zu halten, da fragte ermich, ob ich mit faulen Eiern beworfen werden wollte. Da ichmeine Fäden gut gesponnen hatte, sagte ich ihm bloß, ich wolltees riskieren. Damals hatte Czernin mein Phlegma wohl kaumverstanden, vielleicht merkte er aber später, daß er sich in mirgeirrt hatte. Ein später in der Epoca publizierter Artikel, dergegen mich schürte, dürfte ihm noch eine wesentlicheGenugtuung bereitet haben. Ein zweiter Epoca-Artikel dürftediese Genugtuung dann freilich wohl zerstört haben. Dumm istCzernin trotz mancher Mißgriffe und eines dummen Interviewsim Jahre 1913 vielleicht nicht. Als Sportsmann dürfte er Energiebesitzen. Seine Natürlichkeit grenzt an Flegelei. Sie ist bei ihmals der Ausfluß seiner finanziell vollkommen unabhängigenStellung aufzufassen. Alles in allem ein sehr eleganter, durchSport gestählter, kräftiger, gut gewachsener Mensch, der sich,

Page 459: Nopcsa Reisen Balkan

Weltkrieg (1914-1917)

445

wenn man ihm einmal ordentlich auf die Finger geklopft hat,wohl auch anständig benehmen dürfte. Seine Aufgabe hatCzernin in Bukarest eine Zeit lang recht gut erfüllt, und manmunkelt, daß er dies in beneidenswerter genialer und rechteinfacher Weise hauptsächlich seinen Beziehungen zu derschönen rumänischen Königin, die schon als KronprinzessinMarie einen schlechten Ruf hatte, verdankte. Czernins Gattinhielt sich aus gesundheitlichen Rücksichten von Bukarest fern.Czernin faßte die Diplomatie jedenfalls auch als Sport auf und erhatte, da er dazu in der Lage war, vollkommen recht.

Interessanterweise wurde im Jahre 1916 der Friedenzwischen Rumänien und den Zentralmächten, die unter anderemauch durch Czernin vertreten waren, nicht in jenem Schloßunterschrieben, in dem Czernin 1914-1915 die Königin öftergesehen hatte.

Freilich zeigte sich gerade bei Czernin, wie das Schweinoft täuscht, denn im Grunde seines Herzens war er gerade dasGegenteil dessen, wofür ich ihn hielt. Dies zeigte sich schon, alser in der berühmten Briefaffäre des Prinzen Sixtus seinenHerrscher nicht nur nicht deckte, wozu er als Minister desÄußeren amtlich verpflichtet gewesen wäre, sondern sogar dieganze Schuld auf seine Herrscher schieben wollte. Noch wenigersympathisch war sein Benehmen im Jahre 1918, als er bei demjüdisch-demokratischen Umsturze plötzlich sein Herz für diedamals ans Ruder gelangte Partei entdeckte. Freilich bedurfte es1918 eines Fünkchens Courage (mehr allerdings nicht), um seinerUnzufriedenheit Ausdruck zu verleihen.

Nach unserer ersten Unterredung war Czernin mit mirrecht höflich und natürlich, doch glaube ich, daß er, in mir einenUngarn und keinen Großösterreicher erkennend, gegen mich beiConrad intrigiert hatte.

Da jeden Freitag Sitzungen in der rumänischengeologischen Anstalt waren, kündigte ich meinen ersten Vortrag

Page 460: Nopcsa Reisen Balkan

Weltkrieg (1914-1917)

446

schon für den folgenden Freitag an, und es war schon der Saalbelegt, als ich Montag plötzlich eine Depesche erhielt, sofort nachMarmorossziget zu reisen. Dies störte meine Berechnungen sehrempfindlich. Ich schützte also eine plötzliche Erkrankung meinerMutter vor und reiste meinen Vortrag absagend rp. verschiebendüber Budapest dorthin, wobei die Fahrt von Budapest nachMarmarossziget wegen der Kriegfahrordnung fünfundzwanzigStunden währte. Zur Erklärung diene die Nachricht, daß Teile derMobilisierungsmaßregeln noch aus jener zurückliegenden Periodedes Eisenbahnwesens stammten, wo dreißig km. pro Stunde eineganz bedeutende Geschwindigkeit bedeuteten und österreichischeAngstmeierei Eingriffe auf diesem Gebiete so lange verhinderthatte, bis dieser Eingriff während des Krieges durch diedeutschen Hilfstruppen eigenmächtig erfolgte. In Marmarosszigethörte ich allerlei Dummheiten und unmögliche Propositionen (z.B. ich solle in Rumänien Gewehre kaufen), die ich nach Bukarestzurückgekehrt Czernin erzählte. Dieser sagte mir, ich sollte dieseDummheiten einfach nicht beachten. Auf diese Weise war meineganze plötzliche Abreise von Bukarest, die, wenn ich sie nichtgeschickt maskiert hätte, mich gleich am Anfange bei denRumänen hätte verdächtigen können, vollkommen umsonstgewesen. Vom Kriege sah ich in Marmarossziget von einigenVerwundeten abgesehen gar nichts.

Nach meiner Rückkehr nach Bukarest hielt ich meinenersten Vortrag mit Lichtbildern in einer Dependance desUnterrichtsministeriums, nämlich im Saale ‘Casa Õcoalilor.’Anwesend waren fast sämtliche Geologen und Geographen.Durch seine Abwesenheit war nur der ehemaligeGeologieprofessor von Jassy und damalige UnterstaatssekretärJon Simionescu bemerkbar. Der zweite, ethnographische Vortragfand an dem darauf folgenden Donnerstag ebendort statt. Hierauferschien ein gegen mich gerichteter Artikel in dem Filipescu-BlattEpoca, der mich der Spionage bezichtigte und mir den Rat gab

Page 461: Nopcsa Reisen Balkan

Weltkrieg (1914-1917)

447

nach Wien zu fahren. Da ich nun aber meine Vorträge schon imFrühjahr angekündigt hatte und da dies damals von der ganzenrumänischen Presse, die Epoca miteinbegriffen, billigend zurKenntnis genommen worden war, so war es mir leicht ProfessorMurgoci zu veranlassen, daß er in demselben Blatt einen offenenBrief publiziere, in dem er mich bona fide deckte. Da er einsogenannter Nationalist und Freund Filipescus war und mitFilipescu meinen Fall persönlich besprach, wurde sein Brief inder Epoca auch tatsächlich publiziert, wodurch ich meinen drittenVortrag, zu dem auch der ehemalige rumänische Gesandte inAlbanien Herr Burghele kam, ungestört halten konnte. Die ganzeEpoca-Episode reduzierte sich dermaßen auf eine für mich sehrgünstige Reklame.

An Gelehrten lernte ich u.a. Dianu (Akademiker undBibliothekar der Akademie), Parvan (Archäologe), TsigaraSamurcas (Kunsthistoriker), Antipa (Zoologe und Direktor desMuseums), Pascu und Philipidi (beide Linguisten in Jassy);Candrea und Densusianu (Linguisten in Bukarest) kennen, vondenen mir einige Geologen wie Mrazec und Murgoci einenbesseren Eindruck machten, doch fehlte sogar diesen, um sich zuentwickeln, der Kontakt mit der Mitwelt und dem pulsierendeninternationalen Leben. Die übrigen rumänischen Gelehrtenbefaßten sich scheinbar nur mit rumänischen Angelegenheiten,und so fehlte der so nötige internationale Blick, weil ihnen auchdie internationale Literatur fehlte. Das Geologische Institut inBukarest war sehr schön, doch etwas unzweckmäßig gebaut.Seine Bibliothek ist wie die der Akademie klein (letztere fast nurrumänisch). Im übrigen ist es aber modern eingerichtet. InRumänien betreibt man den engen Verhältnissen entsprechendauf naturwissenschaftlichem Gebiete gute Lokalforschung, aufhistorischem für Geld, Politik und Chauvinismus. Außer dengenannten Gelehrten verkehrte ich mit sämtlichen Geologen, diesogar mir zu Ehren ein Dejeuner gaben, bei dem Athanasiu,

Page 462: Nopcsa Reisen Balkan

Weltkrieg (1914-1917)

448

Popovici-Hatseg, Mrazec, Murgoci und andere anwesend waren.Von Politikern lernte ich Exzellenz Zamfirescu, Mitglied derDonauregulierungskommission, und Exzellenz Marghilomankennen, letzterer eine Art Bukarester Arbiter elegantiarum.Exzellenzen gibt es in Rumänien sehr viele, und in Ermangelunganderer Titel haben auch solche Leute, die nicht Exzellenz sind,es gerne, wenn man sie so anspricht. Der Erbadel ist nachfranzösischem Muster abgeschafft, der Latifundienbesitz floriert.Ich dejeunierte auch einst bei Marghiloman, doch riet mirMurgoci mit diesem, da er in dreibundfreundlichem Rufe stand,nicht zu verkehren. Murgoci, dessen Frau eine Engländerin ist,und einigen Herren in Jassy verdankte ich die Mitteilung, daßsich Filipescu und Konsorten dem Traume hingaben, daß sie, umsich vor den Russen späterhin zu schützen, sogar nach derBesetzung Siebenbürgens ein antislawisches Bündnis mit demübrigbleibenden Ungarn würden schließen können.

Ich meldete dies nach Wien, proponierte, daß man in derungarischen Presse einen dieser Ansicht widerlegenden Artikelpubliziere, und zwar führte ich im Detail aus, daß mir hiezu derPolitiker Graf Andrassy der geeigneteste Mann schiene. In dieserAngelegenheit fuhr ich nach Wien und erhielt dort in einem sehrschmeichelhaften Brief von Conrad selbst die hiezu nötigeErlaubnis:

Standort des Hauptquartiers Am 17. Dezember 1914“Werter Baron! Ihren Bericht vom 10. d.M. und

besonders die darin wiedergegebene Argumentierungbezüglich der wahrscheinlichen politischen Haltung einesverkleinerten Ungarn habe ich mit großem Interessegelesen. Die Verbreitung dieses Gedankens durch diePresse halte ich für durchaus opportun, überlasse denModus für das Lancieren der betreffenden Artikel ganzihrer bewährten Geschicklichkeit und empfehle Ihnen

Page 463: Nopcsa Reisen Balkan

Weltkrieg (1914-1917)

449

nur, die Wege hiefür so zu wählen, daß einKontrekarieren von dritter Seite nicht befürchtet werdenmuß. Hinsichtlich des Zeitpunktes für diese Aktionscheint mir ein sofortiger Beginn zweckdienlich, dagerade die Pausen in den rumänischen Hetzreihen zuunseren Gunsten ausgenützt werden müssen, während einZuwarten bis zum Frühjahre nur eine unnötigeVerzögerung bedeuten würde.

Ich ersuche Sie, mich in der Angelegenheit aufdem Laufenden zu halten, und danke Ihnen wärmstensfür Ihr ebenso ersprießliches wie patriotisches Wirken.Mit herzlichsten Grüßen, Ihr aufrichtig ergebenerConrad.”

Mit diesem Briefe in der Tasche fuhr ich nach Budapest,besprach dort die Sache mit Grafen Tisza und dann mit GrafenAndrassy, und kehrte am ersten Jänner 1915 nach Rumänienzurück. So erschien denn, als ich wieder in Bukarest war, imMagyar Hirlap ein Artikel, von dem das ungarischeRegierungsblatt, der Budapester Lloyd auf Tiszas Veranlassungauch einen Teil brachte. In der Neuen Freien Presse, derAndrassy seinen Artikel gleichfalls zusandte, wurde erkonfisziert, ebenso unterdrückte das Armee-Oberkommandoeinen von mir verfaßten Artikel für die Neue Freie Presse, in derich die Wirkung von Andrassys Artikel in Budapest schilderteund Andrassys Artikel kommentierte.

Von Bukarest berichtete ich an Conrad, daß dieStimmung zunehmend feindlicher wurde und daß Rumänien, umvon Bulgarien nicht angegriffen zu werden, mit diesen wie mitallen antimoskowitischen Balkanelementen (seit dem zweitenBalkankrieg zählte auch Bulgarien zu diesen) eine Annäherungsuche, um gegen ein eventuell siegreiches Rußland eineRückendeckung zu haben, und bat um meine Abberufung aus

Page 464: Nopcsa Reisen Balkan

Weltkrieg (1914-1917)

450

Bukarest. Ehe aber noch dieser Bericht im Hauptquartiereingelangt sein konnte, wurde ich nachdem Czernin imHauptquartier gewesen war, abberufen. Ich glaube, daßAndrassys Artikel irgendwo und zwar wahrscheinlich in dengroßösterreichischen Kreisen, zu denen Graf Czernin und derChef der Nachrichtenabteilung Hranilovic gehörten, starkesMißfallen erregte. Freilich konnte man mir, da er vom Lloydreproduziert worden und seinem Sinne nach von Conrad gebilligtworden war, offiziell nichts vorwerfen. Daß der Artikel dengroßösterreichisch-föderalistischen Kreisen unangenehm war, istja evident, ging doch daraus mit aller Klarheit hervor, daß sieSiebenbürgen nur um den Preis von Budapest und ganz Ungarnan Rumänien abtreten könnten. Diese Kreise begannen also gegenmich zu agitieren, und Conrad war schwach genug, diesenEinflüssen nachzugeben. Ich trat auch mit ihm nie mehr inKontakt.

Während meines Aufenthaltes in Bukarest unternahm ichzwei Ausflüge und eine Reise nach Jassy. Mein erster Ausflugwar geologischer Natur und führte mich mit Murgoci nachVercerova an die ungarische Grenze, von wo wir zu Fuß und zuWagen bis nach Gura V|ii zurückgingen. Wir hatten brillantesWetter und sahen ein sehr schönes geologisches Profil. Esüberraschten mich die großen Steinbrüche an beiden Orten.Murgoci forderte mich übrigens auf, um Unannehmlichkeiten zuvermeiden, in Vercerova mit ihm nur französisch oder rumänischnicht aber deutsch zu reden.

Für das Arrangement des zweiten Ausfluges nachPantelimon din sus, ca 40 km. nördlich der Bahnstation Medgidiain der Dobrudscha, sorgte Prof. Parvan, der den als Aufseher desMuseums in Pantelimon wirkenden Bauern telegrafisch miteinem Wagen zur Station Medgidia bestellte, um mich nachPantelimon zu führen, woselbst Parvan das römische Kastell

Page 465: Nopcsa Reisen Balkan

Weltkrieg (1914-1917)

451

Ulmetum ausgegraben hatte. Mich interessierte ein Grabstein, aufdem Figuren mit barbarischen Trachten sichtbar waren.

Ich bin in der Nacht nach Medgidia angekommen, habeden Leiterwagen angetroffen und bin bei sehr strengem Frost um9 Uhr früh in Pantelimon eingetroffen. Das Gebiet ist ein welligesHügelland aus altem Gestein mit sehr sanften Höhen von ca. 30-40 m. relativer Höhe und weiten Talmulden. Es ist größtenteilsaufgeackert und baumlos aber wasserarm. Das Urgestein tritt nurstellenweise zu Tage. In der Nacht erscheinen die gegen denHimmel ragenden steilen Silhouetten großer Kurgane(Grabhügel) wie einzelne Wächter und ethnologisch-archäologische Vorposten Südrußlands doppelt auffallend amHorizonte. Die geschlossenen Ortschaften liegen in denwindgeschützten Mulden. Wir hielten in so einer an, trankenKaffee, tränkte die Pferde und ließen sie rasten. Die Dörfer sindnicht übel. Speziell die neue Ansiedlung Pantelimon ist direkt einMusterdorf.

Die Bewohner der Dobrudscha sind Tartaren, von denenspeziell das erzählt wird, daß sie Pferdefleisch essen, wasnebenbei übrigens auch wahr ist. Ferner gibt es viele ausBessarabien stammende Rumänen, die dieses Land bei derBesetzung durch Rußland verlassen haben, dann andereRumänen, die aus Siebenbürgen stammen und Viehzüchtergewesen zu sein schienen, die sich in ihren Winterquartierenetabliert haben. Die aus Bessarabien Gekommenen waren meistRinderzüchter, die von der Regierung angesiedelt wurden. Jetztgeht in der Dobrudscha die Rinderzucht gegen den Ackerbauzurück. Immerhin ist aber noch genug Weideland vorhanden.Charakteristisch für den Ackerbau war um 1914 in ganzRumänien, daß das Stroh zu den unbrauchbaren Nebenproduktenzählte, daher verbrannt wurde!

Die Dobrudscha ist sehr schütter bevölkert. Ihr Charakterist mir aber sympathisch. Ich möchte dort sein, ein gutes Pferd

Page 466: Nopcsa Reisen Balkan

Weltkrieg (1914-1917)

452

unter dem Sattel haben und einher ziehen, wohin es mir gefällt,dann abends auf einer Bodenwelle halten, die höher ist als dieanderen und weithin spähen, spähen in die untergehende Sonne.Die Wanderlust, die Sehnsucht nach dem Weiten, die ich seinerZeit im Alföld verspürte, ergriff mich und zwar in verstärktemMaße in der Dobrudscha, denn die Möglichkeit weitherumzuschweifen war dieselbe, doch boten sich dem Augeinfolge der Bodenwellen wechselreichere Bilder. Unwillkürlichsah man mit dem geistigen Auge am Horizonte neben denKurganen die Umrisse spähender awarischer Reitertruppen mitLanzen, spitzen Helmen und langen Kaftanen im Morgenroterscheinen. Bei Pantelimon war das Landschaftsbild ungefährdasselbe wie weiter südlich, doch war hier in das Plateau rp. indie Rumpflandschaft ein tieferes Tal eingeschnitten. Wegen desschneidenden Nordwindes war ich ob der Ankunft daselbst rechtfroh. Sofort den mich interessierenden Stein besichtigt aberwegen schlechter Beleuchtung anfangs an dem arg beschädigtenStück kaum etwas gesehen. Ich beschloß mit dem Fotografierendes Stückes so lange zu warten, bis infolge des verändertenSonnenstandes die Schatten der Skulpturen besser fallen würden.Obzwar der Lehrer der mustergültigen Pantelimoner Schule zueiner Waffenübung einberufen war, lud mich seine Frau zumMittagsessen ein, zu dem man den Dorfrichter (Primar) beizog.Als mich die Leute während des Essens gelegentlich fragten, wasich sei, und ich ihnen mit ‘Ungar’ antwortete, wollten sie es garnicht glauben. Ein “Ungar,” hieß es, “würde mit uns nie sokordial verkehren.” Natürlich wurde beiderseits zu politisierenvermieden. Nach obiger Äußerung hatte ich es ja auch nichtnötig. Früh Nachmittag war die eine Seite des Steins schon gutbeleuchtet. Ich fotografierte sie daher, die andere konnte aber erstknapp bei Sonnenuntergang von den Sonnenstrahlen gestreiftwerden, und so beschloß ich also bis Sonnenuntergang (fünf Uhrnachmittags) zu warten, was übrigens umso leichter geschehen

Page 467: Nopcsa Reisen Balkan

Weltkrieg (1914-1917)

453

konnte, als der von Constanza kommende Schnellzug nachBukarest die Station Medgidia erst um elf Uhr nachts passierte.Die Zeit, so wie es eben ging, totgeschlagen und abends den Steinprogrammgemäß fotografiert. Nachträglich zeigte es sich, daßalle Fotografien prächtig gelungen waren. Was die fotografiertenFiguren, nämlich die eines Mannes und einer Frau, anbelangt, sowar speziell die des ersteren interessant, denn sie zeigte, daßdieser auf einen Krummstock gestützt stehende Mann, den sein zuihm empor blickender Hund als Schäfer charakterisierte, engeanliegende Hosen und ein über dieselben herabhängendes Hemdtrug, also ungefähr so bekleidet war, wie die heutigen Schäfer derdortigen Gegend. Ein langer faltiger Mantel, der ihmsymmetrisch von Rücken hing, reichte bis unter die Knie. DieNatur dieses Mantels ist fraglich. Es war aber evident, daß er keinPelz war. Pannonische Grabsteine mit gleichen Figuren sind imBudapester Nationalmuseum.

Abends Pantelimon verlassen, aber bald begann Rauhreifmit starker Nebelentwicklung zu fallen, so daß mein Kutschersich beim Ausgange eines Dorfes in der Nacht infolge desNebels, der so dicht war, daß man im Wagen sitzend nicht einmalden Erdboden sehen konnte, auf den Feldwegen verirrte.Glücklich zum Dorfrand zurückgefunden und bei einemalleinstehenden Hause einen Knaben gebeten, uns den Weg insDorf zu zeigen, damit wir zum Wirtshaus kommen. Kaum ausdem elterlichen Hause heraus verirrte sich nach kaum 150Schritten auch der Knabe, so daß uns bald Gräben die Weiterfahrtversperrten. Wir stiegen also alle aus unserem Wagen aus undtrachteten, allerdings vergeblich, wieder an unserenAusgangspunkt zu gelangen. Glücklicherweise hörte ein Bauerdas Rasseln unseres Leiterwagens und, weil sich im Nebel Leutein der Dobrudscha sehr häufig verirren, ahnte er böses. Er kamdaher mit einem Licht und führte uns in sein Haus. Er stammteaus Siebenbürgen, erzählte uns allerlei und meinte nebenbei, man

Page 468: Nopcsa Reisen Balkan

Weltkrieg (1914-1917)

454

müsse alle Ungarn erschlagen, weshalb ich meine Nationalitätverheimlichte. Unser Hausherr meinte übrigens, ich sei wegenmeiner rumänischen Aussprache, die er nicht gut verstand und indem einige Worte vorkamen, von denen er durch den Verkehr mitden in der Dobrudscha überwinternden siebenbürgischenSchafhirten wußte, daß sie siebenbürgische Dialektworte seien,ein Rumäne aus Siebenbürgen. Im weiteren Verlauf derKonversation erzählte er mir, wie die Deutschen im jetzigenKriege ihre Gefangenen angeblich lebendig an Bäume annagelnund dergleichen aus russischen oder rumänischen russophilenQuellen geschöpften Nachrichten. Auch das erzählte er mir, daßin der Dobrudscha nur rumänische Bauern Fremde in das Hauslassen, Bulgaren, die in der südlichen Dobrudscha wohnen, dieshingegen niemals täten. Ich habe einige Stunden bei unseremansonsten liebenswürdigen gastfreundlichen Bauern geschlafen.Als um ca. neun Uhr abends Reif und Nebel zu Boden fielen,wurden die Pferde wieder eingespannt, und ich fuhr mit meinemKutscher, im Hause, wo ich gerastet hatten, einige Leizurücklassend, weiter, kam jedoch gerade dann nach Medgidiaan, als der hellerleuchtete Schnellzug mit seinen warmen,komfortablen Schlafwagen wegfuhr.

Ich mußte also in einem weniger komfortablen Hotel inMedgidia absteigen, zahlte den Wagen und blieb bis zumNachmittag des nächsten Tages in diesem mehr türkisch alsrumänischen Städtchen, in dem man naturgemäß zahlreicheFezträger antrifft. In der Dobrudscha nimmt das türkischeElement an dem neuen kulturellen Aufschwung fast gar nicht teilund, da sich diese Eigenschaft auch in Albanien, in Mazedonienund in Bosnien konstatieren läßt und man sie mithin als für denMohammedaner typisch hinstellen kann, ergibt sichlogischerweise die Konsequenz, daß das mohammedanischeElement als solches, sei es slawischen, albanischen odertartarischen Geblütes, in der heutigen Welt und unter den

Page 469: Nopcsa Reisen Balkan

Weltkrieg (1914-1917)

455

heutigen kulturellen Bedingungen unter seinen Konnationalen einnicht lebensfähiges Element darstellt. Das heißt, daß unter zweigeistig gleich veranlagten, demselben Volke entstammendenLeuten jener, der Mohammedaner ist, infolge seiner Religion demNichtmohammedaner gegenüber im Nachteil ist. Über dieRumänen im allgemeinen will ich mich eines Urteiles enthalten,denn es ist schwer ein Volk, das mit aller Leidenschaft umtobtwird, richtig zu beurteilen. Daß in Rumänien Bestechlichkeitgang und gebe ist, ist eine Tatsache. Es fragt sich aber, ob dieseEigenschaft nicht auch anderswo vorkommt. In verschiedenenanderen Ländern pflegen ehemalige Minister, die bei ihrer Geburtkeinen Kreuzer hatten, ihr Leben als reiche Leute zu beschließen,weshalb man auch manchem Minister nachsagt, daß er sich ansein Portefeuille krampfhaft klammert.

Da die Stimmung in Rumänien uns feindlicher wurde undes möglicherweise zu einem Krieg mit Rumänien kommen wurde,zog ich meine Manuskripte aus dem Institutul Balcanic zurück,und so verblieben in Bukarest nur zwei dort verfaßte Arbeitenund zwar eine über die geographische Verbreitung des Wortescsoban (Hirt) und eine zusammen mit M. Murgoci verfaßteArbeit über den geologischen Bau der südlichen Karpathen.

Von Rumänien, das ich erst bei diesem Aufenthalte etwasbesser kennengelernt hatte, fuhr ich über Budapest, wo ichzufällig Zeit hatte einer Sitzung der Ungarischen GeologischenGesellschaft beizuwohnen, nach Wien und bat wegen mündlicherBerichterstattung ins Hauptquartier kommen zu dürfen.

Meine Bitte in das Hauptquartier kommen zu dürfenblieb unbeantwortet, und daran erkannte ich, daß ich mir offenbarwegen des Lloydartikels die Ungnade des Armee-Oberkommandos (AOK, was auch als Alles Ohne Kopf gedeutetwurde) zugezogen hatte, denn dieses Vorgehen kontrastierte dochzu stark mit dem liebenswürdigen Brief, den ich Ende Dezembervon ebendort bekommen hatte. “Ich soll,” hieß es, “meiner

Page 470: Nopcsa Reisen Balkan

Weltkrieg (1914-1917)

456

Militärdienstpflicht nachkommen,” und dementsprechend wurdeich nach Budapest geschickt.

Nun noch eine Albanien betreffende Episode. Als ich ausBukarest zu Weihnachten nach Wien gekommen war, fand icheinen Chef der Kelmendi, Preka Gjeta Zogu, in meiner Wohnung.Er war nach Wien gekommen, um die Erlaubnis zu erhalten,Petroleum zu kaufen und dies nach Albanien nehmen zu dürfen.Da das Gesuch Prekas nicht uninteressant war, publiziere ichseine Kopie.

“Euer Exzellenz! Indem der Unterzeichnete EuerExzellenz ganz ergebenst um Verzeihung bittet, daß er eswagt, Euer Exzellenz mit diesem Schreiben zubelästigen, erlaubt sich derselbe auf die Empfehlungendes Konsuls Halla auf folgendes hinzuweisen.

Unterzeichneter möchte Euer Exzellenz ganzergebenst bitten, ihm zu bewilligen, daß er eine Ladungvon 1000-2000 Kisten Petroleum zum Zweck desVerkaufes nach Lezha bringe. Der ergebenst Gefertigtehat sich diesbezüglich bereits an Herrn Konsul Kraußgewendet, wurde jedoch abgewiesen. Ermutigt durch dieVerdienste seines Vaters, des Gjeta Zogu, der fürÖsterreich sein Leben ließ, und auf meine eifrigstenBemühungen, immer Österreichs Wohl im Auge gehabtzu haben, erlaube ich mir noch einmal die ganzergebenste Bitte um Bewilligung meines Ansuchens zuwiederholen. Indem ich Euer Exzellenz um einen gütigenBescheid bitte, verbleibe ich Eurer Exzellenz ergebensterDiener, Preka Gjeta Zogu.”

Im Ministerium des Äußeren hatte man ihm trotz diesesBriefes mehrfach Schwierigkeiten bereitet und seine Bitte mit derAusrede, daß das Kriegsministerium der kompetente Faktor sei,

Page 471: Nopcsa Reisen Balkan

Weltkrieg (1914-1917)

457

abgeschlagen. Man wußte nämlich, daß Preka keineKonnektionen mit dem Kriegsministerium hatte. Preka wandtesich also an mich, und ich verwendete mich mit folgendemSchreiben für ihn beim Kriegsminister Krobatin.

Wien, 18. Dezember 1914“Exzellenz! Ich erlaube mir ein Gesuch mit der

Bitte zu überreichen, dasselbe, wenn nur irgendwiemöglich, zu gewähren, da der Einreicher einer jenerwenigen Albaner ist, die bei dem mißglücktenalbanischen Unternehmen mit ganzer Kraft geholfenhaben und er daher, wenn ich mich nicht irre, auch vonOberstleutnant Spaits in seinem Schlußberichte lobenderwähnt sein dürfte.

Sein Vater wurde 1913 deshalb ermordet, weil erauf Veranlassung des k.u.k. österreichisch-ungarischenKonsulats Stellung nahm. Zur Illustrierung dessen, wiesehr ich den Gesucheinreicher persönlich unterstütze,möge dienen, daß er während seines Wiener Aufenthaltesbei mir wohnt und von mir verköstigt wird, denn ich binüberzeugt, daß er infolge seiner Popularität unter seinenStammesgenossen (Kelmendi) sowie infolge seinerangesehenen Stellung uns, falls im Frühjahr erneut etwasin Albanien versucht werden könnte, so wie bisherbedeutend helfen wird, und sich so das angesuchtePetroleumquantum rentieren dürfte. Mit vorzüglicherHochachtung, Fr. B. Nopcsa.”

Vom Kriegsminister erhielt ich die Zusicherung, daß dasKriegsministerium gegen die Ausfuhr einer kleinen MengePetroleum nichts einzuwenden habe. Als es mir nun nachmannigfachen Schwierigkeiten gelungen war, die Sache inSchwung zu bringen, wurde mir plötzlich bekannt gegeben, das

Page 472: Nopcsa Reisen Balkan

Weltkrieg (1914-1917)

458

Ministerium des Äußeren habe die Sache erneut und zwar mit derMotivierung verhindert, daß dieses Petroleum nach Montenegrogelangen würde, und, obzwar ich die volle Verantwortung zuübernehmen bereit war, waren alle meine weiteren Schrittefruchtlos. Recht enttäuscht fuhr Preka nach Triest, und balddarauf erhielt ich von ihm einen Brief, in dem er mir mitteilte,daß ein anderer Albaner, ein gewisser Refik Bey Toptani, ihm inTriest ein Petroleumquantum zum Kaufe angeboten habe, auf daser jedoch des hohen Preises wegen nicht reflektierte, worauf esvon einem Shkodraner erstanden wurde und nach Albanienexportiert wurde. Mit diesem Briefe Prekas in der Hand ging ichzu Krobatin, erklärte ihm, daß ich für Prekas Ehrlichkeit undLoyalität eingestanden war, daß nun aber evidenterweiseeinerseits Petroleum durch die Vermittlung solcher Leute nachAlbanien gelange, für deren Ehrlichkeit ich in keiner Weiseeinstehen könne, andererseits es aber den Interessen derMonarchie widerlaufe, wenn, wie in diesem Falle, angeseheneund der Monarchie bisher loyale Mitglieder des an Montenegrogrenzenden Stammes Kelmendi absichtlich und offenkundiggekränkt und so den Montenegrinern und Italienern zugetriebenwürden, und dies alles bloß deshalb, weil der Referat füralbanische Angelegenheiten im Ministerium des Äußeren seineHandlungen nicht so einrichte, wie es das Wohl der Monarchie,sondern wie es sein gegen mich gehegter Haß verlange. Ich erhobalso in meiner Eigenschaft als Offizier gegen Beamte desMinisteriums des Äußeren beim Kriegsminister formell dieKlage, daß genannte Leute bewußt in Kriegszeiten die Interessender Monarchie schädigen.

Exzellenz Krobatin behielt den ihm vorgelegten Briefund versprach die Sache im Kriegsüberwachungsamt untersuchenzu lassen. Dann fuhr ich, nachdem ich noch Generalkonsul Kralbesucht hatte, nach Budapest, wo ich am 22. Jänner Tisza sah.

Page 473: Nopcsa Reisen Balkan

Weltkrieg (1914-1917)

459

Dieser war mit Andrassys Artikel im Wesentlichen zufrieden,weshalb er dann auch im Lloyd abgedruckt war.

Um diese Zeit fiel Graf Berthold, und Baron Burian,mein alter Bekannter, wurde Minister des Äußeren. Ich schriebihm Ende Jänner, wies darauf hin, daß vielleicht meine bisherigeTätigkeit meinen formalen Prüfungsmangel ersetze, und bat ihn,mich in die Diplomatie aufzunehmen. Ferner bat ich Tisza, meineBitte zu unterstützen.

Anfang Februar schrieb mir Preka Gjeta Zogu, daß erAnhänger Essad Paschas geworden sei und gegen die Monarchiein Albanien agitiere. Später erfuhr ich von Preka und vonGeneralkonsul Kral, daß Preka den Weg Lezha-Shkodra gesperrthabe. Kral wies ferner darauf, daß Rappaport ausBeamteneifersucht sein möglichstes tat, ihn (Kral) von allem, wasmit Albanien zusammenhing, weg zu drängen. Ende Februarbekam ich von Preka einen neuen Brief, in dem er mir mitteilte,daß der österreichisch-ungarische Konsul in Shkodra wieder allesmögliche unternehme, um ihn wieder zu gewinnen. So sind siefreilich alle, die feigen österreichischen Schweine. So lange manihnen hilft, versetzen sie einem Fußtritte, wenn man aber gegensie Stellung nimmt, so liegen sie am Bauche und lecken einem dieFüße (Macchio nannte es “Arschleckerei mit Würde”). Übrigensist das Benehmen des Ballhausplatzes Preka gegenüber nicht nurgemein und elend, sondern auch politisch unklug, denn es istnichts anders als ein Schulbeispiel für die Albaner, daß eslukrativer ist, gegen die Monarchie zu agitieren, als ihr treu zuhelfen.

Natürlich ist auch mir meine Bitte in die Diplomatieaufgenommen zu werden von Burian abschlägig beantwortetworden und zwar mit der Motivierung, daß ich gefügig genug sei.

Da ich in Budapest nichts zu tun hatte, ging ich viel insKasino. Im allgemeinen ist im Kasino die Stimmung wegenkonstanter Wiener Übergriffe österreichfeindlich, so wie sie in

Page 474: Nopcsa Reisen Balkan

Weltkrieg (1914-1917)

460

der Wiener Aristokratie ungarnfeindlich ist. Ich spielte vielSchach, außerdem verfaßte ich eine Arbeit über die DinosaurierSiebenbürgens, in der ich Biologie, geschlechtliche Unterschiede,endlich auch das Aussterben der Dinosaurier behandelte, alsolauter Fragen von allgemeinem Interesse.

Anfang März erhielt ich erneut einen Brief von Preka, indem er Hallas Versuche, ihn wieder für die Monarchie zugewinnen, schilderte, und mich seiner Ergebenheit versicherte.Auf Grund dessen schrieb ich dann aus Budapest an denKriegsminister, Exzellenz Krobatin, folgenden Brief:

13. März 1915“Exzellenz! Obzwar mir derzeit das

Informiertsein über albanische Angelegenheitenwesentlich erschwert ist, habe ich einiges jenen PrekaGjeta Zogu betreffendes erfahren, der zu Weihnachten inWien um Petroleum bat, und erlaube mir Eurer Exzellenzhievon in Kenntnis zu setzen.

Wie ich befürchtet hatte, ging Preka, der sich inWien zurückgesetzt fühlte, nach Albanien zurückgekehrtzu der der Monarchie feindlich gesinnten Partei EssadPaschas über und agitiert nun seit zwei Monatenerfolgreich gegen die Monarchie. Aus diesem Grund sahsich unser Konsul in Shkodra, Halla, veranlaßt, ihm,damit er von dieser Agitation absehe, Geld anzubieten,was allerdings bisher keinen Erfolg hatte. Ich habegleich, als Prekas Gesuch abgeschlagen wurde, EurerExzellenz darauf aufmerksam gemacht, daß hiedurchunsere Interessen in Albanien geschädigt werden, habeauch, um diese Schädigung zu verhindern, die Garantieübernommen, daß das Petroleum nicht nach Montenegrogelangen werde. Die Ereignisse der beiden letztenMonate haben mir recht gegeben, und nun erlaube ich

Page 475: Nopcsa Reisen Balkan

Weltkrieg (1914-1917)

461

mir darauf hinzuweisen, daß dadurch, daß das k.u.k.Konsulat in Shkodra Preka jetzt nachträglich durch Gütezu gewinnen trachtet, den Albanern ad oculosdemonstriert wird, daß es für sie einträglicher ist, wennsie gegen die Monarchie Stellung nehmen, als wenn sieihr von Anfang an treu sind. Da der Fall Preka nicht dererste ist, in dem Beamte im Ministerium des Äußeren ausbloßem Neid darüber, daß außer ihnen auch anderePersonen Einblick in die albanischen Verhältnisse haben,die Interessen der Monarchie in Albanien wissentlichgeschädigt haben, d.h. bloß um meine Verbindungen mitden Albanern zu unterbinden, so sehe ich mich ferner,obzwar es mir bei der Art, wie ich die Albanerbehandele, möglich ist, nicht veranlaßt, in dieserAngelegenheit so lange zu intervenieren, als bisgenannten Herren ihr diesbezügliches Benehmen für dieZukunft unmöglich gemacht wird, wobei ich in ersterLinie, wie ich es schon Eurer Exzellenz mündlichmitzuteilen die Ehre hatte, Generalkonsul Rappaportmeine, gegen den nach meiner Ansicht sehr vielgravierendes Material vorliegt. Mit vorzüglicherHochachtung, Dr. Fr. Baron Nopcsa.”

Gleichzeitig mit diesem Schreiben ließ ich durchBajazid auch Preka informieren, daß für mich zu einerIntervention, um ihn von Essad Pascha zu trennen, kein Grundvorliege. Natürlich hatte der an Krobatin gerichtete Brief keinenErfolg. Preka blieb bis 1916 Anhänger Essad Paschas und sagtesich von diesem erst los, als ich ihn hiezu im Jänner 1916schriftlich aufforderte.

In Budapest blieb ich als Instruktionsoffizier bis AnfangJuni. Als aber dann das Verhältnis mit Rumänien wegen desAusbruches des von Aehrenthals Gegnern längst

Page 476: Nopcsa Reisen Balkan

Weltkrieg (1914-1917)

462

vorausgesehenen, italienischen Krieges kritisch wurde, ging ichzum Ministerpräsidenten Grafen Tisza István und bat ihn, sichbeim Honvéd-Minister, Baron Hazai, dahin zu verwenden, daßich als Spion nach Rumänien dürfe. Tisza wollte es anfangs nicht,denn er fand die Sache zu gefährlich. Als ich ihn aber bat, tat eres doch, und dementsprechend bestellte mich Hazai zur großenÜberraschung meines unmittelbaren Vorgesetzten, OberstenVirányi, für den nächsten Tag zu sich ins Honvéd-Ministerium,woselbst die Entscheidung getroffen wurde, daß ich mich nachNagy Szeben (Hermannstadt) zu begeben habe, wo ich dieweiteren Sachen erfahren würde. Mein Plan, als Hirte verkleidetnach Rumänien einzudringen, wurde in Nagy Szeben gutgeheißen. Ich fuhr daher nach Wien, holte mir meinerumänischen Bauernkleider, zog mich Mitte Juni in Felek um undging teils zu Fuß teils zu Bahn nach Puj (Pui), von wo ich überStina de Rîu auf die Papusa gelangte. Mein Plan war, einerumänische Legitimation zu erhalten, um mit ihr nach Rumänieneindringen zu können.

Da mich die Schafhirten im Retezatgebirge, von wo ichnach Rumänien einzubrechen gedachte, alle persönlich kannten,mußte ich vor allem das Zutrauen, das diese Leute von früher hermir gegenüber hatten, zu bewahren trachten, und ferner bemühtsein, mich ihrer Mithilfe in meiner Mission zu versichern.Letzteres war, da sie alle als Rumänen ungarnfeindlich waren, nurdann möglich, wenn sie von meiner eigentlichen Mission nichtswußten. Was das Vertrauen anbelangt, so wäre dies, da sich unterihnen viele Verwandte und Freunde von Deserteuren befanden, indem Augenblicke geschwunden, wo sie in mir einen aktivenOffizier erkennen würden. Ich gab also an, desertiert zu haben,erzählte aber, da dies infolge der strafgerichtlichen Folgen soeiner Handlung den Leuten unglaubwürdig erscheinen mußte, daßmein Desertieren in Armeekreisen unbekannt sei, man daselbstvielmehr meine, daß ich in russische Gefangenschaft geraten sei

Page 477: Nopcsa Reisen Balkan

Weltkrieg (1914-1917)

463

und daß hiedurch mir nach Abschluß des Krieges die Rückkehr indie Monarchie möglich sei, da man dann annehmen würde, daßich aus russischer Gefangenschaft entlassen worden wäre. DieseErzählung fand, da ich mich vor jeder k. ungarischenGendarmeriepatrouille versteckte, Glauben. Um nun abertrotzdem nicht jeden Kontakt mit der Gendarmerie zu verlieren,durch die ich meine Meldungen schicken wollte, ließ ich micheinmal von einer Patrouille verhaften, ließ mir dann vor denAugen mehrerer Senner ein Geständnis erpressen, wer icheigentlich sei, dann ließen mich aber die Gendarmen wieder frei.Ich erzählte den Sennern, dies sei nur deshalb geschehen, weil ichdie betreffende Patrouille mit 10.000K. bestochen hätte. Auchdies wurde geglaubt, ja die Nachricht von diesem Vorfalle drangbis nach Rumänien und zu Ohren des Polizeichefs von Baia deAram|, was mir späterhin bedeutend nützte.

Schwieriger als meine Stellung bei den Leuten zubefestigen, war das Erhalten einer rumänischen Legitimation,denn einerseits wurde ich von mehreren siebenbürgischenRumänen bloß ausgenützt, andererseits ließen mich mehrereLeute, die meine Angelegenheit zu erledigen versprachen,nacheinander in Stich. Infolge dieser mißlichen Lage mußte ichmich dazu entschließen, das rumänisch-siebenbürgischeGrenzgebiet ohne Legitimation zu begehen, und verlegte nach jeeinem Aufenthalte in den Sennhütten Papusa, Scorota undGalbina mein Hauptquartier in die Stina Girdoman in Rumänien,woselbst sich mehrere unserer Deserteure als Schafhirtenbefanden, die mich dort einführten und mir sogar dann halfen, alsich von einem siebenbürgischen Rumänen (ich vermute voneinem Nikulaj aus Pojana) bei den rumänischen Grenzsoldatenvon Stina Sorbele als österreichisch-ungarischer Spion angezeigtwurde, was eine erfolglose Untersuchung der Stina Girdoman undein Durchsuchen des an der Stina grenzenden Waldes zur Folgehatte.

Page 478: Nopcsa Reisen Balkan

Weltkrieg (1914-1917)

464

Über die militärischen Vorgänge im Grenzgebietevermochte ich durch kleine Ausflüge von der Stina, fernerdadurch, daß ich Senner anderer Sennhütten und auchTalbewohner im Gespräche verwickelte, Erkundigungeneinzuziehen, und hierin wurde ich von einem gewissen JonuÛ ausÖrvaraja unterstützt, wogegen der Stellungsflüchtling Nikulaj ausPojana den anderen Hirten gegenüber erneut, allerdings erfolglos,die Meinung äußerte, daß ich Spionage betreibe. Ein Versuch,den Herdenbesitzer der Stina Galbina, Adam Jovan aus Lunkány,dazu zu bewegen, seinen Sohn Juon, der als Deserteur beimPräfekten von Turn-Severin (Turnu-Severin) angestellt war, aufdas Gebirge zu rufen, damit er mir beim Eindringen nachRumänien helfe, führte ebensowenig zu einem Resultate, wie allefrüheren Versuche. Hierin wurde ich auch sogar von JonuÛ inStich gelassen, und bloß dem Zufalle, daß Juon Jovan an diesiebenbürgische Grenze kam, verdanke ich es, daß ich, knappbevor alle Schafhirten das Gebirge verließen, doch einerumänische Legitimation erhielt.

Der angesehene Herdenbesitzer N. N. aus Baia de Aram|hatte davon gehört, daß ich, ohne mich persönlich zu melden,keine rumänische Legitimation erhalten und nicht nach Rumänienkommen konnte, ich daher genötigt war, wenn die Schafherdendas Gebirge verlassen, mich den k.u.k. Militärbehörden freiwilligzu stellen. Er ließ mir denn sagen, daß er sich für mich beimPolizeichef von Baia de Aram| verwenden würde. Ich versprach400 K. für eine auf einen falschen Namen lautende Legitimation.N. N. verwendete sich für mich. Der Polizeichef, der von meinereinmaligen Verhaftung seitens der k. ungarischen Gendarmerieund deren Bestechung gehört hatte, bedauerte mich und stellte fürden Preis von 900 Lei (1000 K.) das gewünschte Dokument soaus, als ob ich mich als Deserteur rumänischer Nationalitätpersönlich beim Polizeiamte in Baja de Aram| gemeldet hätte.Juon Jovan brachte das Dokument an die Grenze, und ich ging

Page 479: Nopcsa Reisen Balkan

Weltkrieg (1914-1917)

465

ungesehen nach Rumänien. Juon aber ging zu N. N., übergabdiesem das Geld, erzählte aber, daß ich zwar als anständigerMensch den verlangten Preis zahle, vom Dokumente jedochdeshalb keinen Gebrauch machen wollte, weil es nicht auf eingedrucktes Formular geschrieben sondern ganz mit Handschriftverfaßt sei. So erreichten wir, daß nicht einmal der Polizeichefetwas von meinem Eindringen in Rumänien erfuhr und ich keinerErpressung seinerseits ausgesetzt war.

Meine Meldungen brachte ich so über die Grenze, daßich, wie auch sonst oft, in der Nacht Schafkäse aus Rumäniennach Ungarn schmuggelte, die Schmuggelware in einerbefreundeten Sennhütte abgab, von dorten aber nicht nachRumänien zurückkehrte, sondern mich in den Tannenwald schlugund durch das Dickicht zur Gendarmeriekaserne Paltina eilte.Dorten befahl ich einer Patrouille, den Schmugglerweg an derGrenze zu verstellen, und hierauf konnte ich, so lange der Wegdurch die Patrouille versperrt war, in der Gendarmeriekasernemeine Meldung schreiben, Karten zeichnen u.s.w. Nach Abzugder den Schmugglerweg versperrenden Patrouille begab ich michwieder nach Rumänien und motivierte meinen dortigen Freundenmein langes Ausbleiben damit, daß der Weg versperrt gewesensei.

Da Juon Jovan noch in Diensten des Präfekten von Turn-Severin stand, begab ich mich mit ihm nach Rece auf das Landgutdes genannten Präfekten. Juon kündigte dort seinen Dienst undschloß sich, mich noch immer für einen Deserteur haltend, miran. Wir fuhren nach Craiova, wo Juon als reicherSchafherdenbesitzer und ich als Schafhirt auftraten. Diesermöglichte auch mir mit Juon zusammen in einem Hotel zuwohnen, und Juon war so großmütig, mir täglich eineFleischspeise ja sogar Bier zu zahlen. Außerdem kaufte er sichallerhand gute Sachen zum Essen und zum Trinken und ließ michdann im Geheimen im Hotelzimmer an ihnen partizipieren.

Page 480: Nopcsa Reisen Balkan

Weltkrieg (1914-1917)

466

Freilich hatte ich, wenn wir auf der Bahn gingen, sein Gepäck zutragen und dergleichen Dienste zu verrichten.

So wie alle anderen Deserteure, die ich in Rumänienantraf, z. B. Juon a lui Pavel, war auch Juon Jovan über dieVerhältnisse, die er in Rumänien antraf, nämlich den diebischenund betrügerischen Charakter der eigentlichen Rumänen(Rumänen im Gegensatze zu den aus Siebenbürgeneingewanderten Ungarn) und deren Aufgeblasenheit sowie überdie im Lande grassierende Bestechlichkeit enttäuscht undschimpfte daher über Rumänien. Im Gegensatze zu den übrigenDeserteuren, die damit gleichzeitig einen starken Ungarnhaßzutage legten, bedauerte er desertiert zu haben und fragte michschon damals, wie er es anstellen könnte, zur k.u.k. Armeezurückzukehren, in der er Zugsführer gewesen war. Auf meinenRat hin reichte er bei dem k.u.k. Konsulat Craiova eindiesbezügliches Gesuch ein, in dem er um Begnadigung undWiederverwendung im Frontdienst bat.

In Craiova habe ich mich einmal fast verraten. Ich hatteeinen rumänischen Kanzleiwachtmeister kennengelernt, der, umsein Ansehen in den Augen der ‘dummen Schafhirten’ zusteigern, uns über allerlei militärische Vorbereitungen zu erzählenpflegte. Mit der Bemerkung, daß er ja ebensoviel wie ein Offizierwisse, schmeichelte ich seiner Eitelkeit und war mit ihm bald sobefreundet, daß er mich zuweilen zu einem Glas Bier einlud. Beiso einer Gelegenheit hieß er mich niedersetzen und bestellteaußer Bier auch zwei Portionen Paprikas (= Gulasch). Bevor dasEssen gebracht wurde, erzählte er mir wieder allerlei interessantemilitärische Sachen, die ich mit einem möglichst blöden Gesichtstaunend anhören und mir merken mußte, ohne mein Interesse zuverraten. Diese vielfache Beschäftigung nahm mich dermaßen inAnspruch, daß ich, als das Essen gebracht wurde, angesichts allerim Wirtshausgarten befindlichen Leute instinktiv die Serviette aufmeine Knie legte und Messer und Gabel wie ein zivilisierter

Page 481: Nopcsa Reisen Balkan

Weltkrieg (1914-1917)

467

Mensch ergriff. Glücklicherweise wurde ich meines Mißgriffes,ehe er noch die Aufmerksamkeit auf sich gezogen hätte, gewahr.Messer und Gabel rutschten allmählich in die bei einemSchafhirten zu erwartende Lage, meine Knie spreizte ichauseinander, die Serviette hatte die Güte zwischen ihnen auf denBoden zu fallen, und bald war dieses ‘überflüssige’Leinwandstück unter meinen Füßen. Sie blieb auch am Boden, alsich mich mit meinem Freund, dem Wachtmeister, aus demWirtshausgarten entfernte. Meinen Mund wischte ich wie immermit dem weiten Hemdärmel ab.

Um in ein militärisch interessanteres Gebiet als Craiovazu kommen, proponierte ich Juon nach Tîrgu Jiu zu fahren, ummit meinem Gelde in der nahen Stadt ein Fuhrwerkunternehmenins Leben zu rufen, bei dem ich als Juons Angestellter rp.Kutscher aufzutreten hätte, was uns beiden Deserteuren im Falleseiner Nichtbegnadigung ein angenehmes Überwintern inRumänien ermöglichen würde. Wir fuhren beide und zwar Juonhalb als Herr und ich als Bauer gekleidet nach Tîrgu Jiu, kamenabends dorten an, wurden aber gleich bei unserer Ankunft aufBefehl des Polizeichefs auf die Polizeiwachstube gebracht, wowir bis zu unserem in der Frühe stattzufindenden Verhöre hättenverbleiben sollen. Trotzdem gelang es Juon, in Hinsicht darauf,daß er als Herr nicht am Fußboden der Polizeiwachstube schlafenkönne, durchzusetzen, daß wir ein Nachtquartier im Gasthauseines Olariu, der Polizeispitzel war, beziehen durften. In derFrühe begab sich Juon zu dem angesehenen Kaufmann B. ausS|liÕte. Dieser ging mit Juon auf das Polizeiamt, stand für Juongut, und so wurde denn auch ich als Juons Diener seitens derPolizei nicht weiter ausgefragt.

Der Aufenthalt in Tîrgu Jiu wäre auf diese Weise inOrdnung gewesen, wenn mich nicht am Abende des folgendenTages der Neffe des Olariu infolge meiner Aussprache als Ungarerkannt hätte und außerdem mich zwei Mädchen aus Baresd und

Page 482: Nopcsa Reisen Balkan

Weltkrieg (1914-1917)

468

die Köchin des Hotels Olariu als aus Hatzeg stammend auf dieNachricht, daß ein Hatzegtaler Deserteur im Hotel sei, soforthätten aufsuchen wollen und daher, da Baresd an den SzacsalerPark meines Vaters grenzt, die Gefahr eminent war, daß eine derdrei Frauen mich als Baron Nopcsa erkennen würde. DieseUmstände nötigten mich, Tîrgu Jiu möglichst schnell zuverlassen, und so fuhren der Juon und ich nach Gloden, um dortein Haus zu mieten und uns dort zu etablieren.

Leider verfolgte uns das Unglück weiter, denn auch hierwurden wir zuerst seitens der Gendarmerie von Gloden einenscharfen Verhör über unsere Absichten u.s.w. unterzogen, dannriet uns der Gendarmeriewachtmeister, unser Unternehmen inTîrgu Jiu zu begründen, woselbst es florieren würde, in Glodensei aber nichts zu machen. Ungeachtet dieses Rates suchte Juonein Haus. Als ich aber inzwischen vom Wirt das erfuhr, daßGloden ein Zentrum des Viehschmuggels nach Ungarn sei, wirdaher jedenfalls seitens der Gendarmerie des Schmuggelsverdächtigt und konstant scharf beobachtet würden, gab ich Juonzu verstehen, daß es am besten wäre, wenn wir nach Craiovazurückkehrten. Juon folgte meinem Rat, und wir kamen wiedernach Craiova.

Als angeblicher Schafhirt und Deserteur waren es inRumänien naturgemäß vor allem nur die unterstenBevölkerungsschichten, wie Bauern, mit denen ich in nähereBerührung trat. In erster Linie ist mir daher die Stimmung unterdiesen Leuten bekannt geworden. Außerdem gelang es abermanchmal aus einer hingeworfenen Bemerkung auf die Ansichteines Gastwirtes oder kleineren Kaufmannes zu schließen.

Die Stimmung in dem ganzen von mir begangenenGebiete war in allen mir bekannt gewordenen Schichtenausgesprochen ungarnfeindlich, und zwar schienen dieungebildeten Leute, denen Österreich-Ungarn nur vomHörensagen bekannt war, die Monarchie nicht nur zu hassen,

Page 483: Nopcsa Reisen Balkan

Weltkrieg (1914-1917)

469

sondern auch zu verachten. “Deutschland,” hörte ich öfter, “iststark, aber die Monarchie heißt nichts. Wenn Deutschland nichthelfen würde, wäre die Monarchie schon längst besiegt worden,”u. dgl. Bei gebildeteren Leuten entfielen solche Bemerkungen.Der Ungarnhaß ist kein neues etwa durch die jetzigen Deserteurenach Rumänien importiertes Gefühl. Er datiert vielmehr vonfrüher her und ist unter den Rumänen durch die sehr zahlreichenallenthalben im Lande als Kaufleute, Wirte, Handwerker, Lehreru.s.w. verstreuten Siebenbürger Rumänen verbreitet worden. Esscheint, als ob ein konstantes Abströmen siebenbürgischerRumänen nach Rumänien stattfinden würde. Ich habe diesenUngarnhaß nicht nur in den Bezirken MehedinÛi, Dolj und Gorjsondern auch in der Dobrudscha gefunden. In erster Linie sindalso die Siebenbürger Rumänen für den Ungarnhaßverantwortlich zu machen. Ein zweites Element, das diesemUngarnhaß auf die Beine half, waren die verschiedenen, meist ausSiebenbürgen stammenden, rumänischen Agitatoren, und erst alsletztes Moment hat der massenhafte Zuzug von Deserteuren nachRumänien während dieses Krieges diesen Haß noch weitergesteigert.

Ein zweiter Gedanke, der im Volke ebenso allgemeinverbreitet ist, wie der Ungarnhaß ist der, daß Siebenbürgenunbedingt zu Rumänien gehöre und mit Rumänien vereinigtwerden müsse. Es ist dies ein Gedanke, der, wie mir scheint,schon vor Jahren allen Schulkindern beigebracht wurde und nunallen Rumänen in Fleisch und Blut überging. Ja es macht fast denEindruck, als ob diese Überzeugung in Rumänien lebendigerwäre als in Siebenbürgen.

Dies sind die beiden Gedanken, die in erster Linie daspolitische Denken der rumänischen Bauern in Dolj, Gorj undMehedinÛi beherrschen, und daraus erklärt sich, daß eine derMonarchie feindliche Agitation leicht auf fruchtbaren Bodenfallen und eine der Monarchie feindliche Stimmung erzeugen

Page 484: Nopcsa Reisen Balkan

Weltkrieg (1914-1917)

470

konnte, zumal ja seit 1913, wo ich Exzellenz Conrad gegenüberzum ersten Male auf das Abschwenken Rumäniens vomDreibunde hinwies, hiezu Zeit genug war. Den NamenBessarabien hörte ich während meine ganzen Aufenthaltes inRumänien kein einziges Mal erwähnen. Aus diesemGedankengang der Leute in Rumänien und Siebenbürgen ergibtsich, daß einerseits vor dem Ausbruche des jetzigen Kriegesdamit gerechnet werden mußte, daß beim Einbruche rumänischerTruppen in Siebenbürgen, dort höchst wahrscheinlich (ja, gewiß)eine Revolution ausbrechen würde, anderseits die Regierung vonder öffentlichen Meinung genötigt werden könnte, bei einerhalbwegs günstigen Gelegenheit der Monarchie den Krieg zuerklären. Wie sicher man in den rumänischen BauernkreisenSiebenbürgens mit einem baldigen Einmarsche einer rumänischenArmee nach Siebenbürgen rechnete, geht daraus hervor, daß eingroßer Teil der rumänischen Soldaten der Gegend Pojana undS|liÕte aus unserer Armee nur deshalb desertierte, weil sieüberzeugt waren, daß ihnen nach einigen Monaten dierumänische Armee die Rückkehr nach Siebenbürgen ermöglichenwürde. Als ich Ende Juni 1915 unter die Deserteure kam,herrschte sowohl in Siebenbürgen wie auch in Rumänienallgemein noch diese Ansicht. Das bisherige Unterbleiben diesesEinmarsches ist die Ursache, daß eine durch Enttäuschunghervorgerufene Beruhigung eintrat, und speziell unter denDeserteuren ist eine Art Katzenjammer zu vermerken. Heuteherrscht infolge dieses Hinausschieben jeder Aktion unter demniederen Volke Rumäniens vorwiegend die Meinung, daß esüberhaupt zu keinem Kriege Rumäniens gegen die Monarchiekommen werde. Auch kleine Kaufleute und Wirte haben michdessen versichert, denn die langsamen systematischenmilitärischen Vorbereitungen Rumäniens an der rumänisch-ungarischen Grenze genügten nicht, um bei der Bevölkerungdurch Monate hindurch den Glauben an ein aktives Eingreifen

Page 485: Nopcsa Reisen Balkan

Weltkrieg (1914-1917)

471

Rumäniens zu erhalten. Ebensowenig vermochten dies dieverschiedenen auf das Datum des Kriegsausbruches bezughabenden Prophezeiungen, die sich bisher alle nicht erfüllten undso stets nur eine Enttäuschung mehr bedeuteten. Als Datenjüngster Zeit erwähne ich den Ausbruch des bulgarisch-serbischen Krieges, den Fall Belgrads u.s.w., und zwar sind dieseDaten, die z. T. von Offizieren der Mannschaft als fixe Daten fürden Ausbruch des Krieges gegen die Monarchie mitgeteiltworden sind. Überhaupt finde ich, daß die Armeekreisekriegerischer gestimmt sind als der übrige Teil der Bevölkerung,und ich erkläre mir dies dadurch, daß ihnen die militärischenVorbereitungen klarer zum Bewußtsein kommen. Zu all denEnttäuschungen der Volksseele kommen noch die Beschwerdender militärischen Konzentrierungen, die Zwangsarbeiten undRequisitionen, deren man im Lande auch schon teilweise statt ist,und so läßt sich denn ruhig der Satz aufstellen, daß die Gefahr,die Regierung könnte vom niederen Volke in den Krieg gedrängtwerden, endgültig vorbei ist. Ja sogar eine resultatloseDemobilisierung würde ruhig, teilweise sogar mit Freudenhingenommen werden.

Da die öffentliche Meinung des niederen Volkes nochvor einigen Monaten ein aktives Eingreifen Rumäniens forderteund damit rechnete, und da wohl ferner viele Kaufleute, die michin letzter Zeit (September-Oktober 1915) dessen versicherten, daßdie rumänische Armee nicht in Siebenbürgen einmarschierenwürde, dies offenbar infolge der Erwägung unserer Siege inRußland taten. So ist auf diese Weise ein bedeutenderStimmungswechsel zu unseren Gunsten zu verzeichnen. Was aberdie Absicht der Regierung sei, ob etwa ihre ganzen militärischenVorbereitungen nur dazu dienten, um Filipescu und Konsortenein Gefallen zu erweisen, oder ob sie, was mir wahrscheinlichererscheint, zuwarten will, um auf den im jetzigen Kriegeunterliegenden Teil herzufallen, das konnte ich als Schafhirt nicht

Page 486: Nopcsa Reisen Balkan

Weltkrieg (1914-1917)

472

erkennen, denn wenn auch ein Stimmungswechsel da ist, soergibt sich doch aus seinen Entstehungsursachen (nämlichEnttäuschung und Langeweile beim Zuwarten), daß dierumänische Regierung dennoch in jenem Augenblicke, wo sieetwas gegen die Monarchie unternehmen würde, die ganzeöffentliche Meinung für sich hätte. Es steht also der rumänischenRegierung nach wie vor frei, neutral zu bleiben oder gegen unsPartei zu ergreifen. Bloß ein aktives Eingreifen zu unserenGunsten ist etwas, was ich Anbetracht des in Rumänienherrschenden Ungarnhasses für unmöglich erachte.

Nach dieser Erörterung müssen mit einigen Worten nochdie in Rumänien befindlichen Deserteure rumänischerNationalität erwähnt werden, denn deren Anzahl ist rechtbedeutend. Ich habe unter der Landbevölkerung die Angabegehört, daß ihre Anzahl auf 30.000 steige. Diese Deserteure sindin erster Linie eins jener Elemente, das am stärksten gegen dieMonarchie hetzt, und deren Nichtinternierung in Sipot läßt dieAbsichten der rumänischen Regierung als recht bedenklicherscheinen. Diese Menschen sind samt und sonders mit den inRumänien angetroffenen Verhältnissen äußerst unzufrieden, dennsie sind in Ungarn an geordnete Verhältnisse gewohnt. Sie gebenan, von den Rumänen stets und überall betrogen und bestohlen zuwerden, finden, daß sie hier wegen der allgemeinenBestechlichkeit Reicheren gegenüber rechtlos seien, haben dieHoffnung, mit Hilfe der rumänischen Armee wieder in ihreHeimat zu gelangen, im Laufe der letzten Monate aufgegeben,und warten nervös, wie sich die Sachen entwickeln werden,weshalb sie denn die allerunsinnigsten Gerüchte, so ferne diesenur imstande sind, ihre schwindenden Hoffnungen zu beleben,gerne glauben. Als Beispiel führe ich an, daß gleich nach derMobilisierung Bulgariens in Craiova erzählt wurde, Bulgarienhätte Calafat bombardiert, woran dann die Hoffnung geknüpftwurde, dies würde Rumänien nolens volens zum Einschreiten

Page 487: Nopcsa Reisen Balkan

Weltkrieg (1914-1917)

473

zwingen. Das Gerücht, daß die rumänische Regierung imMobilisierungsfalle alle in die Armee einzureihen gedenke, hatauch nicht dazu beizutragen, die Sympathien der Deserteure fürRumänien zu steigern, und deshalb halte ich es vom ungarischenaber auch vom gemeinsamen Standpunkte für politisch klug jenenDeserteuren, die von Rumänien dermaßen angeekelt sind, daß sieum Wiedereintritt in die k.u.k. Armee bitten, diesenWiedereintritt nach Tunlichkeit zu erleichtern, ja ihnen dies imWege der rumänischen Presse bekanntzugeben.

Bloß als Kuriosum erwähne ich zum Schluß, daß mir inCraiova ein Wirt (aber nur ein einziger) wegen meinesangeblichen Desertieren Vorwürfe gemacht hatte und meinenmangelnden Patriotismus rügte.

Da mich zahlreiche aus Siebenbürgen stammende zurZeit aber in Rumänien befindliche Schafhirten kannten und dieMöglichkeit vorhanden war, daß ich von ihnen beabsichtigter-oder unbeabsichtigterweise verraten werden konnte, mußte ichein Zusammentreffen mit diesen vermeiden. Mit Ausnahme einesFalles in Craiova gelang dies mit Juons Hilfe allenthalben.

Die größte Gefahr drohte nur von einem Hirten namensLalu, dessen Tochter in einem Dorfe in der Nähe von Craiova inDienst war und der sich daher auch öfter in Craiova einfand. DaJuon mit M. gut befreundet war und Lalu auch diesenaufzusuchen pflegte, gelang es meist rechtzeitig, Lalus Eintreffenin Craiova zu erfahren, und dann brauchte ich bloß, um inSicherheit zu sein, Craiova an dem betreffenden Tag zu verlassen.Einmal ereignete es sich aber, daß Juon nicht rechtzeitig avisiertwar, ich daher unbesorgt in Craiova spazierenging undunglücklicherweise aus der Ferne von Lalus Tochter erblickt underkannt wurde. Als kurz darauf diese mit Juon und ihrem Vaterzusammentraf, erzählte sie es beiden. Juon erklärte aber, es müssejemand anderes gewesen sein, denn er sei schon mehr als einMonat in Craiova und hätte mich also, wenn ich in Craiova wäre,

Page 488: Nopcsa Reisen Balkan

Weltkrieg (1914-1917)

474

unbedingt treffen müssen. Dann wollte er sich von beidenlosmachen und in das Hotel Merkur kommen, wo ich abgestiegenwar, um mich zu warnen. Leider wurde er von Lalu begleitet. Zumeinem Glücke begab sich aber Lalu zuerst auf den Abtritt, undso war Juon eben einen Augenblick sich allein überlassen. Da esMittags war, vermutete er mich in dem Speisezimmer, desseneinziger Ausgang auf den Hof und damit in Nähe des Abtrittesführte, und richtig traf er mich dorten, wie ich mich gerade an einrumänisches Gulasch heranmachte. “Florea hat dich erkannt!Schnell hinaus mit dir!” flüsterte er mir zu. “Lalu ist in dem Hofeund wird gleich in das Speisezimmer kommen!” Da Juon vor allerWelt als mein Dienstgeber galt, war die Annahme, daß er mirirgend etwas anbefohlen hätte, naheliegend. Aufstehen und dasEssen stehenlassen, waren daher das Werk einer Sekunde. MeineUnruhe nach Möglichkeit verbergend, verließ ich das Lokal,gelangte glücklich von Lalu ungesehen auf die Gasse und verließCraiova. Ich lagerte bis abends in dem Straßengraben derprächtigen Allee Bibescu, dann kehrte ich wieder in die Stadt,denn Lalu pflegte Craiova stets mit einem Abendzuge zuverlassen.

Nach einem frugalen Imbiß begab ich mich sorgloswieder in das Hotel Merkur, in dessen neben dem Stallebefindlicher Heukammer mir der Pächter übernacht für einigeKreuzer Unterkunft zu gewähren pflegte. Während ich nun inSchlafe lag, bemerkte ich, daß die Tür plötzlich geöffnet wurdeund in dem durch die geöffnete Tür in die Heukammer hereinfallenden Mondlicht gewahrte ich eine Gestalt, die sichgleichfalls bei der offen bleibenden Tür zu Ruhe legte. DerSchafpelz verriet auf den ersten Blick einen Hirt, und beigenauerem Zusehen glaubte ich Lalu zu erkennen. Da ich imHintergrunde der Heukammer im Dunkeln lag, war ich noch nichtgesehen worden. Ich hätte daher ruhig liegen bleiben können,wenn nicht die Gefahr bestanden hätte, in der Frühe bei dem

Page 489: Nopcsa Reisen Balkan

Weltkrieg (1914-1917)

475

durch die Schindeln hereinstrahlenden Tageslicht gesehen underkannt zu werden.

Ich beschloß also zu fliehen, wartete, bis der neuangekommene Schäfer einschlief, trat dann, da er vor der Tür lag,behutsam, ohne an ihm anzustoßen, über seinen Körper (was soetwas in Dunkelheit bedeutet, weiß nur jener zu würdigen, der soetwas bereits probiert hat), gelang in den Hof, kletterte daselbstüber einem ca. 3 m. hohen Lattenzaun, dessen Tür übernachtversperrt war und dessen Latten sich unter meiner Lastbeängstigend beugten und mit lautem Krachen niederzubrechendrohten, und endlich war ich wieder außerhalb Craiovas in derAllee Bibescu. Da ich meinem Pelz mitgenommen hatte, lag ichbald wieder in Schlafe. Als ich vierundzwanzig Stunden späterCraiova wieder betrat, teilte mir Juon mit, daß Lalu Craiovaschon vor zwei Tagen verlassen hatte, daß er daher mit demSchläfer in der Heukammer nicht identisch war. So zeigte sich,daß meine ganzen Vorsichtsmaßregeln der letztensechsunddreißig Stunden überflüssig gewesen waren.

Entschieden die größte Frechheit und den größtenLeichtsinn legte ich anläßlich eines Besuches im k.u.k.österreichisch-ungarischen Konsulate zu Tage. In Angelegenheitvon Juons Amnestiegesuch war ich allein in Hirtenkleidern einesTages vormittags während der Amtsstunden ins Konsulatgegangen, und da fragte mich zufällig der Vizekonsul, ob ichnicht am Nachmittag zur Jause wieder kommen möchte. DieAussicht, endlich einmal wieder einen guten Tee an Stelle jenesgefärbten zitronenhaltigen Zuckerwassers zu trinken, das ich alsSchafhirt in einer Spelunke Craiovas täglich schlürfte, warungemein verlockend. Ich nahm seine Einladung an, und so ergabes sich denn, daß ich allen das Konsulat bewachendenrumänischen Detektiven zum Trotze als Schafhirt verkleidet denKonsul nachmittags in seiner Privatwohnung besuchte, dort Teetrank, dann auch zum Abendessen dort blieb und erst gegen

Page 490: Nopcsa Reisen Balkan

Weltkrieg (1914-1917)

476

Mitternacht ‘angefressen’ und durch eine anregendeKonversation auch geistig gelabt aus dem gastliche Gebäudefortging. Eine Stunde vor mir war der zukünftigehöchstkommandierende General Avarescu gerade in dem von mirbenützen Sessel gesessen.

Drei Tage vorher hatte allerdings der Konsul, als ichmich ihm in einem unbewachten Momente zu erkennen gegebenhatte, an meine Identität wegen meiner guten Maskierung nichtglauben wollen und diesbezüglich in Bukarest eigens in einemChiffretelegramm angefragt.

Trotz dieser Episoden glaubte ich meinen Ausflug nachRumänien recht erfolglos abschließen zu müssen, als mir derZufall zu Hilfe kam. Bei einem Besuch im Konsulate, um sichüber das Schicksal seines Gesuches zu informieren, entnahmnämlich Juon, daß ich dem Konsul persönlich bekannt sei, undbei einer weiteren Gelegenheit ließ der Konsul eine Bemerkungfallen, aus der Juon entnahm, daß ich in Rumänien Spionagebetreibe. Beide Beobachtungen teilte mir Juon sofort mit, und icherklärte ihm bei der ersten Nachricht, daß ich infolge desErkanntwerdens seitens des Konsuls nicht mehr in Rumänienbleiben sondern, um nicht als Deserteur sondern als entkommenerKriegsgefangener zu gelten, sofort in die Monarchiezurückkehren müsse. Da ich in Craiova nichts machen konnte,stand dieser Plan in mir ohnehin bereits fest. Als mir Juon zuverstehen gab, daß ich seitens des Konsuls für einen unsererKundschafter gehalten würde, meinte ich, es sei dies zwar nochnicht der Fall, doch sei dies ein guter Gedanke, und deshalbwürde ich jetzt in Wien anfragen, ob ich statt in die Monarchiezurückzukehren als Kundschafter in Rumänien bleiben könne. Daich außerdem davon Nachricht hatte, daß sich einige Deserteureanschickten, im Bezirke Dolj Getreide einzukaufen, um dasselbemit einem kleinen Gewinn (320 Kronen pro Wagen) im BezirkValcea zu verkaufen, meinte ich Juon gegenüber, auf diese Weise

Page 491: Nopcsa Reisen Balkan

Weltkrieg (1914-1917)

477

würde es mir leicht sein, mit seiner Hilfe als Getreidehändler oderals Angestellter eines solchen Spionage zu betreiben.

Juon erklärte sich, obzwar er noch immer über dasSchicksal seines Gesuches nichts wußte und daher nochDeserteur war, dennoch sofort bereit, mich auch in dieser meinerneuen Tätigkeit zu unterstützen. Wir besprachen, wieviel Geldich rp. Juon zu diesem Unternehmen brauchen würden, undstellten fest, daß ich aus Wien 3.000 K. mitzubringen hätte undmir eine monatliche Unterstützung von 600 K. sichern sollte.Ferner einigten wir uns, daß ich des Geldes halber und um JuonsBegnadigungsgesuch zu fördern, nach Wien sollte, und wirbeschlossen mit der Spionage gleich auf dem Wege von Turn-Severin gegen die ungarische Grenze zu beginnen. Diesem Planegemäß fuhren Juon und ich von Craiova nach Turn-Severin undbegaben uns größtenteils zu Fuß marschierend bis in die Nähevon Closani.

Mit anderen Leuten zusammenzukommen vermieden wirnach Tunlichkeit, denn infolge des langen Aufenthaltes inCraiova hatte meine braune Hautfarbe bedenklich nachgelassen,und die infolge der vorgerückten Jahreszeit schon welkenNußbaumblätter, die ich mir bei einer Gelegenheit aus demKonsulate geholt hatte, hatten diesem Übelstande auch nur wenigabhelfen können. Zudem war ich, als Juon und ich uns auf einvorbeifahrendes Fuhrwerk aufgesetzt hatten, von einer Frau ausNagy Szeben (Hermannstadt) an meiner Aussprache als Ungarerkannt worden. Weitere Komplikationen waren nur dadurchvermieden worden, da Juon sie mit der Mitteilung überraschte,daß er mich kenne und daß ich schon mehr als ein Jahr mit ihmzusammen als Schafhirt bei Präfekten von Turn-Severin diene.Da Juon tatsächlich beim Präfekten gedient hatte und über dieVerhältnisse am Gute Rece Auskunft wußte, schien seine Angabeglaubwürdig, und der in der Frau aufsteigende Argwohn, ich seiein Spion, war alsobald beruhigt. Nach diesem Zwischenfalle

Page 492: Nopcsa Reisen Balkan

Weltkrieg (1914-1917)

478

fanden es freilich Juon und ich für angezeigt, uns keinen weiterenIntermezzi zu exponieren. Vor Closani wartete ich im Gestrüppversteckt auf die einbrechende Dunkelheit, dann passierten wirdiesen Ort, marschierten in der Nacht so weit wir konnten,machten eine dreistündige Rast bis zum Morgengrauen, gingendann rüstig weiter und erreichten vormittag die Stina Girdoman.Juon begleitete mich nachmittags bis an die ungarische Grenze.

Beim Abschiede verabredeten Juon und ich die Art undWeise, wie wir weiterhin in Verbindung bleiben würden. Beistarkem Schneegestöber passierte ich die ungarisch-rumänischeGrenze und gelangte glücklich über Paltina und Gura Apilor nachMalomviz (Malov|Û). Von da nach Boldogfalva und fuhr hieraufnach Wien. Juon kehrte wieder zurück nach Turn-Severin.

In Wien wurde ich zum Abfassen eines Berichtes übermeine bisherige Tätigkeit sowie eines über die politische Lage inRumänien aufgefordert. Ich tat dies und ordnete meine durch einunerwartetes Ausbleiben meiner Gage und durch Ausgaben inRumänien in höchste Unordnung geratenen Finanzen.

Dann bekam ich eine recht unangenehme Nachricht. Am24. Oktober erhielt ich durch die Post aus Nagy Szeben dieMitteilung, daß alle meine geheimen, mit Zitronensäuregeschriebenen, an das Militärkommando Nagy Szebenadressierten militärisch nicht unwichtigen Berichte von denrumänischen Postbehörden abgefangen worden wären. Infolgeder Mitteilung, daß kein einziger der mit Zitronensäuregeschriebenen Briefe in Nagy Szeben eingetroffen ist, teilte ichdiesem Kommando mit, daß ich drei nicht rekommandierte Briefeaus Craiova auf die Adresse “Petru Gorlopan, Nagy Szeben,Ungaria” aufgegeben hatte, in denen unter unverfänglicherBleistiftschrift militärische Nachrichten mitgeteilt waren. Erst imFrühjahr 1918 erfuhr ich, daß der Verlust meiner Meldungen eineLüge war, daß vielmehr mein Vorgesetzter, Hauptmann Grecul,der selbst als Spion in den Diensten Rumäniens stand, meine

Page 493: Nopcsa Reisen Balkan

Weltkrieg (1914-1917)

479

Berichte unterschlagen hatte. Hauptmann Grecul wurde imFrühjahr 1918 sogar wegen Spionage zugunsten Rumäniensverhaftet, und seine Befreiung verdankte er bloß demZusammenbruche der Zentralmächte.

Trotzdem, daß zahlreiche Gorlopan-Briefe angeblichabgefangen worden waren, beschloß ich wieder nach Rumänienzurückzukehren. Nun kamen aber eine Reihe von Unglücksfällen,- oder waren es Glücksfälle? -, die meine Rückkehr vereitelten.Ich bestellte Juon für den 5. November zu der Stina Girdoman ander ungarisch-rumänischen Grenze. Am 2. November war ichwieder in Malomviz und ritt am 3. gegen Gura Apilor, als einstarker Schneesturm einsetzte. Infolge dessen konnte weder andiesem noch an den folgenden Tagen daran gedacht werden, die1600 m. hohe Paltina allein zu überschreiten. Der Schneefall warso intensiv, daß sogar weit unten im Tale des Riu Mare derSchnee eine Höhe von 60 cm. erreichte, und Holzhauer-Abteilungen sogar in Gefahr gerieten völlig eingeschneit zuwerden. Ich machte kehrt, blieb eine Zeit in Boldogfalva, dannauf eine etwaige Schneeschmelze in Wien wartend. Auch dieseließ aber auf sich warten. Dann erfolgte eine weitere Verzögerungdadurch, daß ich mich nicht rechtzeitig mit Peccol in Verbindungsetzen konnte, und schon glaubte ich meinen Plan ganz aufgebenzu müssen, als die Säuberung des südlichen Donauufers beiOrsova von serbischen Truppen erfolgte, und mir auf diese Weiseein neues Einfallstor nach Rumänien geöffnet wurde. Statt überdie verschneiten Karpathen zu dringen, beschloß ich denEinbruch nach Rumänien von der Donau aus zu versuchen. Ichschrieb an Juon, bat ihn einen günstigen Landungsplatz und vondort aus die nötige Verbindung mit Orsova herzustellen. Dannavisierte ich meinen Burschen, den Honvéd-Husaren Mucha, sichbereitzuhalten, um mich auf der Donau auf einen Boote hinab zurudern. Darauf fuhr ich bereits als Schafhirt verkleidet von NagySzeben nach Temeswar und wollte gerade in einigen Tagen nach

Page 494: Nopcsa Reisen Balkan

Weltkrieg (1914-1917)

86 Murad Bey Toptani (1868-1917), albanischer Patriot, Dichterund Bildhauer.

480

Orsova weiterreisen, als ich telegrafisch nach Wien insEvidenzbüro beordert wurde. Da ich nur Bauernkleider zur Handhatte, besorgte mir Hauptmann Röhling noch schnell einenZivilanzug (der freilich viel zu groß war), und so fuhr ich dannnach Wien, wo ich mich abends im Evidenzbüro meldete.

Wie ich bereits, als ich in Temeswar die Depesche nachWien zu kommen erhalten hatte, vermutete, trat das Armee-Oberkommando zu meinen größten Mißfallen an mich mit denAnsinnen heran, mich an der Aufstellung, Organisation,Ausrüstung und Führung albanischer Freischaren im Westen derBalkanhalbinsel zu beteiligen. Im Hinweise darauf, daß dies fürmich bloß erneut eine Quelle von überflüssigem Ärger seinwürde, lehnte ich dies Ansinnen zuerst ab. Später aber, als derGeneralstabsoberst Novak des Evidenzbüros, hievon informiert,dennoch in mich eindrang und mir etwas von patriotischer Pflichtu. dgl. vorredete, entschied ich mich als einer der wenigenOffiziere der Armee, die die albanische Sprache beherrschten,leider dennoch meine Mitarbeit nicht zu verweigern.

Es versprach mir Oberst Novak, daß es diesmal anderssein würde als bisher. Er teilte mir mit, daß außer mir nurHauptmann Haessler, Ingenieur Steinmetz und Murad BeyToptani86 in dieser Sache verwendet werden würden, daß nämlichniemand vom Ministerium des Äußeren darein zu reden habenwürde, und daher niemand da sei, der so wie gewöhnlich gegenmich intrigieren würde etc., etc. So ließ ich mich denn leiderüberreden, mich an dem Unternehmen zu beteiligen. Schon dieMitteilung, daß niemand vom Ministerium des Äußeren an derSache beteiligt sein würde, war, wie ich später erfuhr, eine Lügegewesen, denn schon während Oberst Novak mir dies sagte, war

Page 495: Nopcsa Reisen Balkan

Weltkrieg (1914-1917)

87 Hermann Kövess von Kövessháza, k.u.k. General derInfantrie.

481

an den im Ministerium des Äußeren angestellten VizekonsulRudnay, der zufällig als Ordonnanz-Offizier in Galizien in Feldestand, der Befehl ergangen, sich uns anzuschließen, und so wiedie ganze Aktion durch eine in ihrer Wirkung allerdings harmlosefalsche Vorspiegelung eingeleitet wurde, so wurde sie auch durcheinen seitens der k.u.k. Militärverwaltung begangenen Betrugbeendet.

Das in Österreich übliche hin-und-her-Wursteln nahmgleich bei meinem Eintreffen in Wien seinen unvermeidlichenAnfang. Nach Temeswar hatte man mir sogar mit dem Zusatze“jede Verzögerung nachteilig” telegrafiert, augenblicklich nachWien zu kommen. Als ich in Wien war, war das erste, was ichdorten zu tun hatte, ca. eine Woche lang untätig zu warten. Dannwurden Haessler und ich nach Belgrad, Murad Bey Toptani nachCastellnuovo geschickt. In allgemeinen wurde uns befohlen ingrößter Eile über Belgrad zu dem Armeekommando Kövess87 zugelangen. Die weiteren Instruktionen sollten Haessler und ich inBelgrad erhalten. Semlin (Zemun) erreichten wir in der Nacht,gingen nach Belgrad und erfuhren, daß wir nach „a…ak zu reisenhätten. Hier war mir die zweite Lüge kund, denn Major Duicerzählte uns zufällig, daß eben vierundzwanzig Stunden frühermit der gleichen Mission wie wir ein dunkler albanischerEhrenmann, Luigj Gjakovic, den seinerzeit der Generalkonsul,Baron Bornemissza, wegen Schweinereien aus dem k.u.k.Konsulate Shkodra entfernt hatte, Belgrad passiert hätte. Wie ichdies erfuhr, schäumte ich vor Wut und wollte von meiner Missionerneut zurücktreten. Haessler gelang es dadurch, daß er Gjakovicfür sich in Anspruch nahm, mich zum Bleiben zu überreden. VonBelgrad ging es nach Kragujevac. Dort übernachteten wir in dem

Page 496: Nopcsa Reisen Balkan

Weltkrieg (1914-1917)

482

gut geführten und ordentlichen Deutschen Kasino, wo ein sehrsympathischer, kameradschaftlicher, aufrichtiger Ton herrschte.Von da hätte uns am 2. Dezember ein Auto nach „a…ak bringensollen. Auto gab es natürlich infolge der k.u.k. Unordnung keins,doch fand man für uns einige landesübliche Fuhrwerke, und aufdiesen gelangten Haessler, Bajazid, ich und meinOffiziersbursche Mucha abends nach Milanovac, von wo uns amfolgenden Tag eine zwischen Milanovac und „a…ak verkehrendeLastautomobilkolonne nach „a…ak brachte. Hier herrschte derPlan, Hasan Prishtina mit der Aufstellung einer Albanertruppevom 20.0000 Mann zu betreuen und uns alle ihm zu unterstellen.Haessler und ich weigerten uns auf das Bestimmteste auf so einenPlan einzugehen. In „a…ak meldeten wir uns zuerst beimGeneralmajor Kövess, und mit diesem wurde dann ein neuer Planentworfen. Es wurde mich betreffend folgende Vereinbarunggetroffen.

K.u.k. 3. Op. Armee-Kommando. Op. Nr. 8307An Herrn Oberlt. Baron Nopcsa inFeldpost 99, am 22. Dezember 1915

“Direktiven für die Aufstellung und Verwendung deralbanischen Freiwilligen:

1.) Die Grenze zwischen dem Gebiete derkatholischen und mohammedanischen Albaner verläuftvon Nikç (30. km. östlich Podgorica) über Curraj iEpërm, Raja, Fierza, Dardha, Qafa e Prushit (s. Gjakova),Fan (halbwegs zwischen Prizren und Lezha), Perlat (sw.davon) zur Mündung des Mati-Flusses. Innerhalb desumschriebenen Raumes wohnen die katholischenAlbaner. Bei der Aufbringung und Verwendung derAlbaner zwecks Unterstützung der Operationen ist einestrenge Scheidung nach den beiden Religionennotwendig, und es dürfen katholische Albaner nur in

Page 497: Nopcsa Reisen Balkan

Weltkrieg (1914-1917)

483

katholischen, mohammedanische Albaner nur inmohammedanischen Gebieten verwendet werden.

2.) Dementsprechend werden die Albaner in dreiGruppen gegliedert, und zwar: ... b) eine Gruppekatholischer Albaner (3.000-4.000 Mann) bei Gjakova,Verwendungsrichtung Shkodra-Lezha. Für die mittlereGruppe ist Gjakova Versammlungsraum.

4.) Gruppenkommandanten: ... Gruppe b) Oblt.Baron Nopcsa.

5.) Die Einberufung hat derart zu erfolgen, daßdie Verwendung am 15. Jänner aus der Linie Rožaj-Prizren möglich ist.

6.) Ausrüstung etc.: Beutegewehre: VIII Korpshat zu melden, wieviel solche verfügbar. Weiterer Bedarfwird vom A.E.k. rechtzeitig nach Mitrovica und Ferizaj(Uroševac) zu schaffen sein. Diese beiden Orte sind alsDepotpunkte einzurichten und sind dahin nach Eröffnungder Bahn nebst den etwa notwendigen Waffen und derMunition noch zu schaffen. Opanken oder Häute zuderen Anfertigung, Mäntel oder Decken, schwarzgelbeArmbinden, schwarzrote Kokarden. ...

8.) Gebühren: In den Orten der Versammlung istden Leuten eine den Bedürfnissen entsprechendeVerpflegung zu verabfolgen. Während der Verwendunghaben sie sich selbst zu versorgen. An Geldgebührenerhält jeder Mann gelegentlich seiner Präsentierungdurch Vermittlung des Kommandanten einen Vorschußfür zehn Tage beinhaltend ein Tagesgeld von K. 1,50(eine Krone fünfzig Heller), wenn aber die Verpflegungverabfolgt wird, nur ein solches von 30 Heller. Inweiterer Folge werden nur Prämien auf Grund derLeis tung verabfolg t , deren Ausmaß d ieGruppenkommandanten bestimmen. Diese folgen hiezu

Page 498: Nopcsa Reisen Balkan

Weltkrieg (1914-1917)

484

Anweisungen aus, welche beim nächstenBrigadekommando auszuzahlen sind. Zu diesem Zweckwird A.O.K. den Zuschub von Silbergeld veranlassen,welches dann an die Brigaden zu verteilen ist. Über dieAusgaben ist eine separate Rechnung zu führen, diesersind die Anweisungen beizuschließen. SpätereVersorgungsverpflichtung übernimmt die Heeresleitungnicht.

9.) Auszeichnungen: Von hier aus wird beimA.O.K. beantragt, daß an solche Leute, welche sichmilitärisch besondere Verdienste erwerben, bronzeneTapferkeitsmedaillen verliehen werden. Die bezüglichenAnträge würden von den Gruppenkommandanten imWege der ihnen vorgesetzten Kommanden (J.T.D. undBrig.Kden) zu stellen sein.

10.) Dienstverhältnis: Die Kdten der dreiGruppen unterstehen militärisch in jeder Hinsicht demihnen vorgesetzten höheren Kdo. (J.T.D. bzw.Brig.Kdo.). Verwüstungen jeder Art sind nachTunlichkeit hintanzuhalten, weil hieraus sich für dieeigenen nachfolgenden Truppen nur ein Schaden ergibt.

11.) VIII Korpskdo. hat jede der drei Gruppenmit 2-3 im Sanitätshilfsdienst ausgebildetenUnteroffizieren oder Soldaten mit entsprechendemSanitätsmaterial zu versehen.”

Trotzdem, daß diese Bedingungen von Kövessunterschrieben worden waren, sind sie seitens derHeeresverwaltung fast in ihrer Gänze nicht eingehalten worden.Dann fragte mich Sappeuroberstleutnant Müller lange über dieWegverhältnisse in Albanien aus. Es zeigte sich dabei, daß dieIntendantur viel genauere Karten Albaniens zur Verfügung hatte,als jene Abteilung, der dieser Sappeuroberstleutnant vorstand.

Page 499: Nopcsa Reisen Balkan

Weltkrieg (1914-1917)

485

Während wir in „a…ak waren, wo Exzellenz Kövess, dem wir unsgleichfalls vorstellten, äußerst liebenswürdig und charmant war,befanden sich auch einige junge türkische Prinzen beimArmeekommando auf Besuche und so wurden wir denn auchdiesen vorgestellt. Es da jedem von uns freigestellt war, andereOffiziere zum Anschlusse an jede Freischar aufzufordern, bat ichum Zuteilung des Afrikajägers und Oberleutnants, Eugen Horty,eines alten Bekannten, und des Infantristen Nikulaj Jovan vonReg. 64. Dies wurde ‘zugesagt,’ doch habe ich weder Horty nochJovan in Albanien zu Gesicht bekommen.

Da als Datum für das Losschlagen der albanischenFreischaren der 15. Januar fixiert worden war, so machte ichschon am zweiten Tage Konopiczky aufmerksam, daß ich infolgeder Natur meiner Aufgabe so früh als möglich, daß heißt EndeDezember in Gjakova eintreffen müsse, und erklärte ihm, daß ichim Falle einer Verzögerung meines Eintreffens daselbt auch füreine Verspätung beim Losschlagetermin keine Verantwortungübernehme.

Konopiczky nahm diese Antwort zur Kenntnis, und da in„a…ak wieder kein Automobil aufzutreiben war, das mich schnellüber Raška nach Mitrovica hätte bringen können, telegrafierteman nach Raška um einen Aeroplan, um mich auf diesemgeradewegs nach Prizren zu schicken. Die Drahtantwort “keinFlugwetter” machte auch diese gute Absicht zuschanden, unddaher wurde uns allen am 24. Dezember ein Lastauto zur Fahrtnach Kraljevo zur Verfügung gestellt. Von hier hatten wir amfolgenden Tage wieder mit einem landesüblichen Fuhrwerkgegen Raška zu humpeln, das wir nach einer Übernächtigung inUšƒe am 26. erreichten. Raška war das Hauptquartier des VIIIKorps, der Korpskommandant war Exzellenz Scheuchenstuehl,ein recht charmanter Mensch, und sein Generalstabchef war dermir von früher bekannte Oberst Sündermann. Auch hier wurdenallerhand Vereinbarungen getroffen, und am folgenden Tag

Page 500: Nopcsa Reisen Balkan

Weltkrieg (1914-1917)

486

sollten wir, da uns zur Trotz unseres Anrechtes hierauf auch hierkein Auto zur Verfügung gestellt werden konnte, mitRelaisvorspann nach Mitrovica fahren. Wie nach den bisherigenErfahrungen nicht anders zu erwarten war, funktionierte natürlichauch diese Relais nirgends, aber dennoch gelangten wir glücklicham 27. abends in Mitrovica an. In Mitrovica lernten wir denBrigadier, Exzellenz Šnjariƒ, einen biederen, aufrichtigen,weißbärtigen Likaner kennen, und dieser tat mit wahrhaftigväterlichem Wohlwollen alles, was er nur tun konnte, um unserUnternehmen zu fördern. Er gehörte jener seltenen Kategorie vonMenschen an, die sich keinen Illusionen hingaben und den Muthatten, ihre Meinung offen heraus zu sagen. Daher sagte er, sichauf seine Erfahrung berufend, offen heraus, daß man sich auf dieschönsten papierenen Versprechen der k.u.k. Armeebehörden ingar keiner Weise verlassen dürfte.

In Mitrovica sollte unsere Ausrüstung als Bandenführerkomplettiert werden, und es wurde uns vom Armeekommando jeeine Operationskassa vom 50.000 Kronen, einige Husaren, je dreiTragtiere für unser Gepäck, ein Sanitätstragpferd, eineSanitätsausrüstung und Sanitätsmannschaft zugesagt. Außerdemsollte jeder Gruppenkommandant fünfzig bronzeneTapferkeitsmedaillen erhalten, die er gegen nachträglichesEinholen der Bewilligung gegebenenfalls sofort unter seinenLeuten verteilen durfte. Von der zur Verfügung gestellten Summebehob ich 2.000 K. Von allen den sonstigen Sachen erhielt ichbloß in zwei Sanitätskörben verpackte Sanitätsausrüstung, aberweder Tragtiere noch Mannschaft, und so ist denn von mir balddarauf auch die Sanitätsausrüstung am Bahnhofe Prishtinazurückgelassen worden. Freilich erhielt ich aber am 29.Dezember eine Depesche vom VIII Korps, daß dieLandsturmkavallerie bereits unterwegs sei, was allerdings späterdurch weitere Depeschen dementiert wurde. Wegen der Tragtierehatte ich mich an einen Rittmeister in Mitrovica zu wenden.

Page 501: Nopcsa Reisen Balkan

Weltkrieg (1914-1917)

487

Dieser erklärte aber keine Tragtiere zu haben, und deshalberhielten ich und der inzwischen in Mitrovica eingetroffeneSteinmetz den Befehl, die Tragtiere von der in Prishtinabefindlichen 9. Brigade zu verlangen. Ich erwähne gleich, daßauch diese keine Tragtiere abgab. Hatten schon alle dieseVorbereitungen in Mitrovica eine starke Verzögerung meinerAnkunft an meinen Bestimmungsort Gjakova bedeutet, so wurdediese durch den Befehl in Mitrovica auf das EintreffenVizekonsuls Rudnay zu warten noch weiter verzögert. Rudnaytraf, wenn ich nicht irre, am 31. Dezember in Mitrovica ein, undin Einvernehmen mit Steinmetz und Haessler, gelang es uns ganzleicht, Rudnay davon zu überzeugen, daß es viel besser wäre, daßer als Kenner albanischer Verhältnisse bei einem höherenKommando zurückbliebe, als wenn er sich mit uns alsFreischarenführer an die Front begeben würde.

Ganz besonders wurde uns unser Unternehmen Rudnaygegenüber dadurch erleichtert, da Rudnay Herrn Steinmetz schonfrüher in unverblümter Weise mitgeteilt hatte, daß er noch lieberals bei der Division in Mitrovica beim Korpskommando in Raškableiben möchte, da es am letzteren Orte ein besseres Leben gebe.Steinmetz erzählte dies am 30. Dezember abends bei der Menageam Stabsoffizierstisch in Mitrovica allen Offizieren. Zurvollkommenen Charakterisierung des von der Luft imAuswärtigen Amte durchtränkten Vizekonsuls Rudnay genügenübrigens zwei kurze Episoden. Die eine kulminiert in dem Satze,daß er bei einer Gelegenheit für die Schonung des Gauners EssadPascha mit der Bemerkung eintrat, “vielleicht könne man ihnspäter noch benützen,” ein Ausspruch, der den von seinemkolossalen, alles überragenden Verstand eingenommenen WienerDiplomaten in seiner ganzen unverbesserlichen Dummheit klippund klar erkennen läßt. Die zweite Episode zeigte aber, wie sichLeuten dieser Art mit fremden Federn schmücken und wie sich inihnen ein fast verbrecherisches Strebertum entwickelt. Zweitens

Page 502: Nopcsa Reisen Balkan

Weltkrieg (1914-1917)

88 Bajram Curri (1862-1925), albanischer Politiker und Patriot.

488

gab Rudnay in Anwesenheit von Steinmetz in Kraljevo übereinen im Gebiete von Shkodra liegenden Weg, gleichsam als ober dort gewesen wäre, eine ganz genaue, aber wie Steinmetzwußte, total unrichtige Auskunft, und als endlich SteinmetzRudnays süffisante Art zu lästig wurde und er die Frage an ihmrichtete, ob er denn je dort gewesen sei, und Rudnay nicht umhinkonnte, dies einem so ortskundigen Menschen wie Steinmetzabsolut zu verneinen, da verkroch er sich hinter die Ausrede, daßihm die Qualität des soeben genau beschriebenen Weges inDurrës geschildert worden wäre. Man sieht also, daß sichRudnay, wenn es sich um Pflanz handelte, sogar wegen dereventuellen Folgen einer von einem sogenannten verläßlichenKenner Albaniens stammenden unrichtigen Wegschilderung garkeine Gewissensbisse machte. Alle beiden hier angeführtenEpisoden sind allerdings infolge des Milieus, in dem Rudnay imAuswärtigen Amte aufwuchs, zu entschuldigen und zu erklären,denn Rudnay bleibt freilich neben Macchio, Rappaport, Zambaur,Pekmezi und Konsorten ein armseliger Pfuscher.

Zwischen Haessler und Steinmetz herrschte nach einemkleinen, anfänglich auf einen Mißverständnis basierenden,kurzen, aber scharfen Konflikte ein erträgliches, zwischen mirund Steinmetz ein recht gutes kameradschaftliches Verhältnis. InMitrovica traf ich alte albanische Bekannte, wie Bajram Curri88

und Hasan Prishtina, die von Haessler und mir kalt gestelltwurden. Ferner lernte ich Hasi Jakub Ferri persönlich kennen.Nach dem Eintreffen Rudnays in Mitrovica gab es nichts mehr,was mich daselbst zurückhalten konnte. Ich requirierte daher am1. Jänner 1916 am Bahnhofe von Mitrovica eine Draisine undfuhr mit Bajazid nach Prishtina, bei dessen Bahnhofe ein Gefährtwartete, das Bajazid, mich und Mucha nach Prishtina brachte.

Page 503: Nopcsa Reisen Balkan

Weltkrieg (1914-1917)

489

Da ich der in Prishtina befindlichen 57. Infantrie-Truppendivision unterstellt war, lernte ich hier meinenunmittelbaren Vorgesetzten, Exzellenz Goiginger, und seinenGeneralstabchef, Major Kutik, kennen.

Einquartiert war ich bei einem höheren serbischenGeistlichen, der mich anfangs nicht in sein Haus aufnehmenwollte, bald aber durch Entschlossenheit und Höflichkeit zurRaison gebracht wurde, und dann mir gegenüber andere, dasheißt, freundlichere Saiten aufzog. Auf sein anfänglichesSträuben hin hatte ich ihm einfach und ruhig zu verstehengegeben, daß ich sein Sträuben, einen Fremden in sein Hausaufzunehmen, vollkommen begreiflich finde, ich mich aber in dieZwangslage versetzt fühle, infolge seines Widerstandes gegen ihnbei der k.u.k. Militärbehörde eine Anzeige zu erstatten. Als ichauf der Gasse stehend hierauf meinen Offiziersburschen mit derAnzeige und der Bitte um militärische Assistenz abgefertigt hatte,war der Widerstand des Geistlichen geschwunden, so daß dervom Stationskommando eintreffende Unteroffizier von einerVerhaftung absehen und mit der Nachricht, alles sei geordnet,wieder “Kehrt Euch” machen konnte. Hochwürden hatte einenVersuch gemacht, sich über mich zu stellen, der Versuch war aberrechtzeitig erstickt worden. Er gab bei, und wir überflossengegenseitig hierauf von Liebenswürdigkeit. Am folgenden Tagehabe ich beim Abschied vom ihm sogar Segenswünsche undeinen Kuß auf die rechte Wange aufgedrückt bekommen. Leidererhielt Steinmetz, der nach mir daselbst einquartiert war, diesenAbschiedskuß gleichfalls. Ich kann mich daher keinesPrivilegiums rühmen.

Von Prishtina nach Prizren fahrend kam ich in Ferizajzum ersten Mal mit bulgarischen Offizieren in Berührung. Infolgeösterreichisch-ungarischer Ansprüche auf solche albanischeGebiete Serbiens, die zuerst von bulgarischen Truppen besetztworden waren, war die Stimmung zwischen der Monarchie und

Page 504: Nopcsa Reisen Balkan

Weltkrieg (1914-1917)

490

Bulgarien recht gespannt. Die ersten Nachrichten über diesesVerhältnis hatte ich von Kövess in „a…ak bekommen, denn diesersagte mir und Haessler, daß er sein Möglichstes tue, um dieBulgaren aus Gjakova und Prizren hinaus zu bekommen, dieseaber keine Lust hätten, diese Orte zu räumen. GleicheNachrichten hatte ich ferner in Mitrovica und Prishtinabekommen und, da ich meine Freischar in dem damalsausschließlich von Bulgaren besetzten Gebiete aufstellen sollte,war mir dieses erste Zusammentreffen von eminenter Bedeutung.Das bulgarische Offizierskorps in Ferizaj kam mir, wie icherwartet hatte, mit größter Freundlichkeit entgegen, und ausdiesem Benehmen glaubte ich das zu erkennen, daß ihnen vieldaran gelegen war, bei einem unabhängigen Mitteleuropäer einenmöglichst guten Eindruck zu erwecken. Den Grund dazu hatte ichmir darin zurecht gelegt, daß dieses aufstrebende, innerlich abernoch immer von seiner Rückständigkeit überzeugte,halbkultivierte Offizierskorps in allem und jedem vollkommenzivilisiert erscheinen wollte. Auch die Negerhäuptlinge Afrikasparadieren mit Vorliebe mit Zylinderhüten. Da mich meineErwartung nicht getäuscht hatte, war nun auch mein Verhaltenden Bulgaren gegenüber vollkommen geregelt, denn, wenn dieseals vollwertige Kulturträger betrachtet werden wollten, sobrauchte ich, um ein gutes Zusammenleben mit ihnen zu zeitigen,nichts anders, als sie, sogar wenn sie es nicht waren, alsvollkommen gleich zivilisierte Leute zu behandeln. ImGegensatze zu hochnäsigen österreichischen Diplomaten, die miteinem “ah, ah” auf sie von oben herabzublicken pflegten, war ichdaher mit ihnen nicht nur nicht kühl sondern höflich,zuvorkommend, dabei aber kameradschaftlich und zwanglos.Kurz, ich ließ ihnen gewisse zwischen uns bestehendeDifferenzen gar nicht merken und schmeichelte ihnen, wo esanging.

Page 505: Nopcsa Reisen Balkan

Weltkrieg (1914-1917)

491

Unvergeßlich bleibt mir z. B. die Freude, die es denbulgarischen Offizieren bereitete, als sie mich zu ihrenWeihnachtsfestlichkeiten eingeladen hatte und ich ihnen zuliebein der Kirche in Tschako, goldverschnürter Attila und rotenHosen paradierte und es auch abends nicht versäumte, denWeihnachtsgesängen zu lauschen, die dem Brigadier von derMannschaft vorgebracht wurden. Übrigens gefielen mir dieseGesänge tatsächlich recht gut. Spontan notierte ich mir damals inmein Tagebuch folgende Sätze: “Zumal die Hora mit wogenartigschwellender Melodie ist sehr schön. Kleine Irregularitätenerinnern sogar an das vereinzelte Überschlagen einiger Wellen inder allgemeinen Brandung. Es ist der Sang der mäßigenBrandung an der Küste. Innerlich kräftig, unerschütterlichesSelbstvertrauen und gewisse Traurigkeit bekundend mit einemUnterton von Sehnsucht, einer Sehnsucht und Traurigkeit, dieweit von der aufschluchzenden Sehnsucht der ungarischen Musikoder der weichen Traurigkeit des kroatischen Volksliedes absteht.Bei diesen sind es diese Gefühle, die über die anderendominieren, in der Hora tönt jedoch in erster Linie das kraftvolleVertrauen.”

Bei der bulgarischen Mannschaft merkte ich übrigensschon in Ferizaj eine gewisse Demokratie und Mangel an blinderDisziplin in unserem Sinne. Von Ferizaj kam ich ohne Anstandnach Prizren und stellte mich dort dem bulgarischen DivisionärRibarow vor. Von unserem Verbindungsoffizier,Generalstabshauptmann Wanner, erhielt ich auf meine Bitte aucheine bulgarisch geschriebene Empfehlung, die mir später guteDienste leistete.

Vom Erzbischof Mjeda, bei dem ich wohnte, erfuhr ich,daß sich Pren Gjakovci oder, wie man ihn auch nannte, PreniDavs, der Mörder Gjeta Zogus, der in Lezha auch auf michgeschossen hatte und mir im Herbste 1914 in der Fusha e Shtojtmit Mordabsichten nachgeschlichen war, in der Nähe von

Page 506: Nopcsa Reisen Balkan

Weltkrieg (1914-1917)

492

Gjakova aufhielte. Dann ging ich am 5. Jänner nach Gjakova, undzwar war der bulgarische Brigadier von Gjakova soliebenswürdig, mich in seinem Wagen mitzunehmen. Am Wegelernte ich Bahri Bey Mahmud Begolli aus Peja (Peƒ) kennen. InGjakova quartierte ich mich mit Mucha in die Pfarre, woselbst icherfuhr, daß sich Preni Davs angeblich in Osek aufhielt. Habesofort um eine bulgarische Kavalleriepatrouille gebeten, bin dann,als diese bereitgestellt war, noch in der Nacht trotz Kot undWasser nach Osek geritten, um das Dorf zu durchsuchen. Obzwaralles, da Preni Davs damals nicht in Osek war, erfolglos ablief,war die Sache insoferne interessant, als ich meinen Bulgaren,ohne ihre Sprache zu beherrschen, mit einigen Worten wie puška,konj, ku…a, nedobre noc, arnaut komitadži u. dgl. allerleiInstruktionen geben mußte und nachträglich die Befriedigunghatte, zu sehen, daß sie meine Instruktionen vollkommenverstanden hatten.

Am 6. Jänner okkupierte ich eine halbzerstörte KulaBajram Beys und ließ sie in ein notdürftiges Magazinumwandeln, um die mir in Aussicht gestellten Gewehre bei ihremEintreffen unterbringen zu können. Da ganz Gjakova vonbulgarischem Militär besetzt und nämlich die guten Gebäude allebelegt waren, war das Auffinden eines Magazins nicht leichtgewesen. Mittags war der Brigadier, als er sich erbötig machte,mir ein Magazin zu eruieren, mit Hinweis darauf, daß ich bereitsein Magazin habe, nicht wenig überrascht, zumal ich die ganzeSache auch schon dem bulgarischen Stationskommandantengemeldet hatte.

Die folgenden Tage vergingen mit Besprechungen mitalbanischen Notabeln, z. B. mit den aus Mirdita eingetroffenenChefs, die unter Zef Nocis Führung endlich aus Prizreneingetroffen waren. Am 11. Jänner schickte ich folgenden Berichtan das VIII Corps.

Page 507: Nopcsa Reisen Balkan

Weltkrieg (1914-1917)

493

11. Jänner 1916“Über meine bisherige Tätigkeit habe ich

folgendes zu melden. Nach Herstellung eines geeignetenWaffen- und Munitionsdepots und Schlafraumes füretwaige Freiwillige suchte ich von Gjakova aus denKontakt zu den Bajraktaren von Shala, Shoshi, Nikaj,Merturi und Toplana, und es wurde derselbe baldhergestellt. Doch wurde die geplante Abhaltung einerVersammlung in Raja durch die Nachricht vomVordringen gegnerischer Truppen vereitelt, denn es hieß,daß die Stärke des Gegners unbekannt war, und so mußteich alle verfügbaren Gewehre westwärts senden. Meineigenes Vordringen westwärts wurde durch die weitereaus Prizren eintreffende Nachricht gehindert, der zufolgedie ausschlaggebenden Personen aus Mirdita, die ichnach Raja bestellt hatte, in Prizren seien, weshalb ichseither mehrere Tage auf deren angeblich durchPassschwierigkeiten und schlechtes Wetter verzögertesEintreffen in Gjakova warten mußte.

Eine Besprechung mit diesen ergab, daß fürMirdita die Auszahlung rp. Annahme von Prämienrefüsiert würde und die Leute nach vollbrachter Aktivitäteher kleine Trinkgelder und während ihrer Verwendunganstelle der Prämien Maismehl erhalten wollen. Für einezwanzigtägige Verwendung von 2.000 Mirditen (¾ Okapro Person angesetzt) ergibt dies 400 PferdlastenMaismehl, welchen Vorrat ich in Mirdita so aufzutreibengedenke. Von den 6.000 Häusern wird jedes genötigt. ImDurchschnitt wird nur 5 Oka Mais zu 1 Piaster verkauft.Der Vorrat soll in einigen Depots konzentriert werden,die im Inneren Mirditas gelegene Verpflegungsbasenmeiner Freiwilligen werden sollen. Es kostet dies ca.12.000 K. und, wenn man noch die Transportspesen (auf

Page 508: Nopcsa Reisen Balkan

Weltkrieg (1914-1917)

494

den im Lande befindlichen Tragtieren) in die Depots inBetracht zieht, ca. 15.000 K. Da dieser Mais sogar imFalle, daß die ganze Aktion in Mirdita scheitern sollte,für unsere nachrückende Truppen (als Pferdefutter usw.)verwendet werden kann, ist er auf keinen Fall für unsverloren. So werde ich aus den sogenanntenPrämiengeldern für den Ankauf dieses Maises 15.000schon jetzt in der genannten Weise verwenden.

Im übrigen reichen die ganzen Vorräte in Mirditawegen der Plünderungen durch Monteneginer undSerben für die Bevölkerung bloß für ca. einen Monat aus(eventuell nicht einmal so lange), und dieser Verkauf anmich geht von der Überlegung aus, daß Hungersnotfrüher oder später ohnehin auftreten wird, weshalb hiernach Herstellung der Landverbindung nach Westen undnach Cattaro (Kotor) eine Notstandsaktion ohnehinunvermeidlich wird. Diese Tatsache verwende ich umwieder der Bevölkerung nahe zu legen, sich behufsBeschleunigung der militärischen Aktion und derErleichterung der Maiszufuhr bei einer Notstandsaktionan den von den Truppen gelegentlich vorzunehmendenWegbauten in großem Maße zu beteiligen, und glaube,daß die Division bei Beistellung der Werkzeuge und 2.K. Tageslohn pro Person Tausend und mehr Wegarbeiterwird bekommen können. Für den Fall, daß einediesbezügliche Agitation unter der Bevölkerungerwünscht wäre, bitte es mir nach Gjakova bekannt zugeben.

Was das Eintreffen der Waffen und Munitionenin Gjakova anbelangt, so kann das, ohne mirSchwierigkeiten zu bereiten, jeden Augenblickstattfinden, da ich bereits geeignete Magazinräumebesitze, und es wäre mir deren baldigstes Eintreffen

Page 509: Nopcsa Reisen Balkan

Weltkrieg (1914-1917)

495

sogar sehr erwünscht. Ebenso sind die Abzeichendringend nötig. Menschenmaterial stellt sich mirüberreichlich zur Verfügung, so daß ich, um mirunliebsame Elemente ferne zu halten, bereitsverlautbaren lasse, daß die Leute es als besondere Ehreaufzufassen haben , wenn S ie von mirFreiwilligenabzeichen erhalten. Da sich die Bulgarensehr unbeliebt gemacht haben, werden unsere Truppenmit demonstrativer Freude begrüßt werden. Ich versäumenatürlich nirgends auf die Notwendigkeit vonRequisitionen hinzuweisen. Soferne aus Shala keineweitere Nachrichten über Vorstöße des Gegnerseinlaufen (was bisher nicht der Fall war), so begebe ichmich von Raja nicht weiter als höchstens Toplana, dannüber Merturi i Gurit und Bugjon nach Iballja von dortüber Kryezi und Fushë Arrëz, Kalivare nach Spaç, umbei einer auf den 23. angesetzten Mirditenversammlungbei Shpal anwesend zu sein, wo über Maisverkauf undAusstellung von Banden beratschlagt würde. Von dortwill ich einen Teil der Leute behufs Bewaffnung nachGjakova bringen.

In Iballja werde ich die Stämme Thaçi undBerisha zu versammeln trachten, da dies die ersteVoraussetzung für jede Bandentätigkeit in diesemGebiete ist, da sonst die Leute ihre Dörfer nicht verlassenwerden.

Die am 27. bewaffneten Mirditen, deren Zahl biszum 29. wohl auf einige hundert anschwellen wird, sinddann sofort in den durch die Orte Gomsiqe im Nordenund Lezha im Süden bezeichneten Abschnitten dergegnerischen Stellung verwendbar, wobei ich in ersterLinie daran denke, daß sie anfangs die gegnerischenStellungen umschwärmen sollen.

Page 510: Nopcsa Reisen Balkan

Weltkrieg (1914-1917)

496

Bitte bei Hochdruck telegrafisch anfragen, ob derInfantrist Nikulaj Jovan von Inf. Reg. 64, um dessenZuteilung ich gebeten habe, bereits gefunden wurde,wann er hier eintrifft, und ob vom Husaren-Oberleutnantund Ordonnanzoffizier Eugen Horty eine Antworteintraf, ob er sich mir in Albanien anschließen wolle.”

Auf diesen Bericht erhielt ich natürlich keine Antwort,und schon wollte ich daher am 13. Jänner Gjakovaprogrammgemäß verlassen, als ich am 12. daran durch einenZwischenfall gehindert wurde.

Die an demselben Tage aus Gjakova abziehendebulgarische Brigade requirierte einige Ochsenwagen, die ich ebenum Heu in die benachbarten Dörfer absenden wollte. Ich ging indieser Angelegenheit zum bulgarischen Stationskommando und,während ich es hier nach einigem Parlamentieren endlichglücklich dazu brachte, daß meine Ansprüche auf die Wagenanerkannte wurden, setzten sich, ohne daß ich es erfuhr, dieWagen inzwischen in Marsch, so daß der zu ihrem Aufhaltenausgeschickte Soldat nach einiger Zeit zum Stationskommandomit der Antwort zurückkehrte, daß die Wagen in Gjakova nichtmehr aufzutreiben wären.

Verärgert ließ ich mir vom Stationskommando eineschriftliche Bestätigung meines Anrechtes auf die Wagen geben,lieh mir von Bajram Curri ein Pferd aus, ließ alles in Gjakovastehen und ritt, da es sich für mich in den Augen der Albaner umeine Prestigefrage handelte, sofort nach Prizren, um die offenbargegen Prizren abgegangenen Wagen einzuholen und zurück zuerobern.

In Prizren brachte ich mein Anliegen der bulgarischenDivision vor, erhielt eine schriftliche Vollmacht, die Wagen wannund wo immer anzuhalten, abladen zu lassen und nach Gjakovazu nehmen, und mit dieser Vollmacht bewehrt gelang es mir am

Page 511: Nopcsa Reisen Balkan

Weltkrieg (1914-1917)

497

folgenden Tag in Begleitung eines Albaners, die Wagentatsächlich bei Lutogllava zu treffen. Ich nötigte die Wagen zumUmkehr, als aber die bulgarischen Offiziere darauf bestanden, dieWagen bis nach Suhareka mitzunehmen, protestierte ich zuerst,gab ihnen darauf, damit sie sich gegen ihre Vorgesetzten zudecken in der Lage seien, eine schriftliche Bestätigung, daß ichdie Wagen in Berufung auf meinen schriftlichen Befehl mitGewalt angeeignet hätte und, als auch dies nichts nutzte und dieOchsentreiber sich auf Befehl der bulgarischen Offiziere wiederihren Tieren näherten, zog ich zur Verblüffung des ganzenbulgarischen Trains plötzlich mit einem lauten Ruf meineSteyerpistole und drohte, sie, soferne sich die Wagen inBewegung setzen würden, augenblicklich zu gebrauchen.

Die Wirkung war eine recht gute und, als gar der Hinweisder bulgarischen Offiziere, daß es nicht der Mühe wert sei, sichwegen einiger Ochsenwagen von den in Majorität befindlichenBulgaren erschießen zu lassen, von mir mit dem Hinweis quittiertwurde, daß es sich hier um die Ausführung eines Befehls handele,löste sich die Situation insoferne zu meinem Gunsten, als mirerklärt wurde, man hätte die Ochsentreiber nur deshalb zu denOchsen beordert, um die Wagen weiter feldein fahren und dortabladen zu lassen. Ich entschuldigte, da alles nun auf einMißverständnis zurückgeführt wurde, mein Vorgehen, docherklärten nun die bulgarischen Offiziere, daß ihnen diesefeierliche Entschuldigung keineswegs genüge, sie aber von einerAnzeige in dem Falle abstehen würden, falls ich ihnen freiwilligmeinen Revolver überreichen würde. Da so etwas einergewaltsamen Entwaffnung gleich gekommen wäre, lehnt ichdieses Ansinnen mit der Motivierung, daß ich mich im Felde vonniemandem entwaffnen lasse, ab. Daher ritt der Kommandant desvom mir insultierten Trainteils nach Prizren zurück, um gegenmich bei der bulgarischen Division eine Anzeige zu erstatten. Ichbegab mich auch zu demselben Divisionskommando, um mich

Page 512: Nopcsa Reisen Balkan

Weltkrieg (1914-1917)

498

dorten bis Erledigung der gerichtlichen Untersuchung zurVerfügung zu stellen und meinen Revolver freiwillig dorten zudeponieren. Als ich in das Zimmer des Divisionskommandos trat,kam eben in Begleitung meines Klägers ein bulgarischerGeneralstabsoffizier heraus. Ich trat auf diesen zu und wollte ihmmeine Waffe freiwillig abliefern, doch da nahm er sie zu meinerÜberraschung nicht an, erklärte eine Waffenablieferung fürunnötig und meinte, die Angelegenheit, die wohl aufwechselseitige Nervosität zurückzuführen sei, sei vollkommenerledigt. Infolge dieser Entschuldigung reichten mein Kläger undich uns versöhnt unter gegenseitigem Ausdrucke des Bedauernswiederholt die Hände und schieden versöhnt und verbindlichstlächelnd von einander.

Meinerseits war ich naturgemäß recht froh, daß sich dieganze Sache so anstandslos gelöst hatte, und als Vorteil konnteich das buchen, daß mein Vorgehen im Angesichte einer ganzenbulgarischen Trainkolonne den Albanern von Gjakova undPrizren alsobald bekannt wurde, und ich als fürchterlicher ‘Held’dastand. Als zukünftiger Kommandant einer Freischar war mir soetwas natürlich von allergrößtem Nutzen.

Da mich diese Wagenaffäre, die Wanner erst post festumerfuhr, ohnehin nach Prizren gebracht hatte, besprach ich einigesmit Steinmetz und wollte spät nachmittags wieder nach Gjakovareiten, doch zwang mich ein starker Schneesturm in Xërxa, woeinige unserer Truppen eingekehrt waren, zu übernachten. Am15. Jänner kam ich wieder in Gjakova an, ließ einige Schafebesorgen, damit die am 27. Jänner voraussichtlich um ihreGewehre in Gjakova eintreffenden Mirditen zu essen hätten,veranlaßte, daß für dieselben Quartiere in den umliegendenDörfern bereitgestellt würden, unterwies Mucha, wohin er etwadie in meiner Abwesenheit eintreffenden Patronen zutransportieren hätte, und wie dies zu geschehen habe und verließ

Page 513: Nopcsa Reisen Balkan

Weltkrieg (1914-1917)

499

am 16. Jänner Gjakova, um mich zur Mirditenversammlung inShpal zu begeben.

Mit den von Mucha zu verteilenden Patronen hatte esfolgende Bewandtnis. Schon zwei Tage nach meiner Ankunft inGjakova erreichte mich die Nachricht, daß am 6. Jänner Serbenoder Montenegriner in unbekannter Stärke von der Qafa eBishkashit aus plündernd nach Planti eingedrungen waren. Ichbat daher infolge von Patronenmangel zuerst die 3. bulgarischeDivision in Prizren mir leihweise 160.000 türkischeMauserpatronen aus ihrer serbischen Kriegsbeute zu überlassen,und meldete den Einbruch dem VIII Korps. Am 9. Jännererkundigte sich das VIII Korps nach Stärke und Art des Gegners,und außerdem erhielt ich die Nachricht, daß die 3. bulgarischeDivision keine Patronen bereit habe, daß aber meine Bitte umsolche nach Prishtina an die k.u.k. Infanterietruppendivisionweitergeleitet worden wäre. Ich erkannte daraus, daß sich dieAnkunft von Patronen jedenfalls ganz erheblich verzögern würde,und mußte deshalb trachten, den Montenegrinern ihre Erfolgetrotz des Patronenmangels der Albaner irgendwie zu verderben.Konnte ich den Kampf mit dem Gegner wegen Patronenmangelsmit einer gleichen Anzahl von Gewehren nicht riskieren, sokönnte dies, dachte ich mir, dadurch, daß man ihnen umsozahlreichere, wenn auch mit weniger Patronen dotierte Albanerentgegenstellt, immerhin einigermaßen ausgeglichen werden.Deshalb ließ ich am 10. Jänner in sämtlichen nördlich des Drinlebenden katholischen Albanerstämmen, also Merturi, Nikaj,Shala, Shoshi, Kiri, Gjani, Planti und Toplana, die Aufforderungergehen, einerseits ihre Maultiere für den Transport der baldigstin Gjakova eintreffenden Patronen bereitzustellen, andererseitsaber schon jetzt ohne Rücksicht auf den herrschendenPatronenmangel die Montenegriner zu attackieren. Das Resultatdieser Maßregel war so gut, daß nach einigen Tagen nicht mehrMontenegriner sondern Albaner auf der Qafa e Bishkashit

Page 514: Nopcsa Reisen Balkan

Weltkrieg (1914-1917)

500

standen, so daß deren Vorgehen vom ArmeekommandantenKövess eigens belobt wurde und später der Befehl einlief, daßjedem einzelnen dieser Freiwilligenschar eine Prämie von einerKrone verabfolgt werde. Dies wurde dann diesen Leutendementsprechend von mir auch feierlich versprochen. Späterblieb aber dieses Versprechen, wollte ich die Summe nicht auseigener Tasche erlegen, infolge anderweitiger Einflüsse wie jedesk.u.k. Versprechen aus. Daß Mucha in Gjakova vergebens aufPatronen wartete und daß überhaupt das ganze Gefecht auf derQafa e Bishkashit bloß deshalb günstig verlief, weil dieMontenegriner ihre Angreifer dummerweise für die Vorhut vonregulären, gut bewaffneten Truppen hielten, braucht nach demgesagten eigentlich nicht besonders betont zu werden.

Den Weg von Gjakova nach Shpal legte ich inalbanischen Kleidern zurück. In Shpal traf ich am 23. ein undzwar wählte ich, um dorthin zu gelangen, den mir teilweise nochunbekannten Weg über Qarr, Megulla, Troit, Mishesh, Bisag,Orosh und Spaç, woselbst ich mich wegen großer Müdigkeitüberall zu übernachten genötigt sah, denn, wenn in nichtsanderem so begann ich, meine neununddreißig Jahre wenigstensin meinen Beinen und meiner Brust leider allzu deutlich zubemerken.

Das einzige Ereignis, das erwähnenswert war, trug sichabends beim Feuer in Bisag i Epërm zu und bestand darin, daßmir eine zigarettenrauchende und auch mit den liegendenKienspänen sorglos hantierende Gesellschaft als Kuriosum undihnen unbekannte Sache einen circa 25 cm. 7 cm. dickenStoffsack zeigte, der mit eigentümlichen, rechteckiggeschnittenen Platten eines, wie sie feststellten,leichentzündlichen Stoffes erfüllt war und an dessen einem Endesie das Vorhandensein einer eingenähten, körnigen Materiekonstatierten. Ich erkannte in der Sache die mit ihrer Zündladungversehene Patronen eines Geschützes. Das erste, was ich daher

Page 515: Nopcsa Reisen Balkan

Weltkrieg (1914-1917)

501

tat, war die Leute aufzufordern, den unheimlichen Sack aus derNähe der Kienspäne respektvoll zu entfernen. Dann klärte ich sieauf und beglückwünschte sie dazu, daß sie bisher noch immernicht in die Luft geflogen waren. Außerdem erhielt ich in Bisagoffiziell die Nachricht von der Waffenstreckung Montenegros.

Bei der Versammlung erlebte ich eine unangenehmeÜberraschung. In Gjakova hatte ich bestimmt, daß in dieserVersammlung jede Familie Mirditas durch einen bewaffnetenMann vertreten werde. Ich erhoffte also auf circa 1.000 Leute undbeabsichtigte, mit diesen einen Handstreich gegen die auf derKreshta befindlichen Serben zu unternehmen. Statt dessen konnteich bloß die Anwesenheit von 300 Chefs und Unterchefskonstatieren. In Shpal wurde ich durch Gewehrsalven empfangen.Ich paradierte in der Versammlung in Tschako, Attila und rotenHosen und verkündete vor allen eigenmächtig im Namen derk.u.k. Armee eine besa für ganz Mirdita.

Im Gegensatze zu Zef Noci und seinem Anhange, alsojenen Elementen, welche die sich durch Mirdita zurückziehendenSerben in Fan und anderen Orten beschossen hatten, war derschon 1912 serbenfreundliche Anhang Prenk Bib Dodas undMarka Gjonis schwach vertreten. Die zahlreiche, entferntereVerwandtschaft Prenk Bib Dodas war nämlich, Krankheit einigerFamilienmitglieder vorschützend, durch ihre fast völligeAbwesenheit bemerkbar. Trotz dieser passiven Resistenzerklärten die Mirditen korporativ, sich an einem Unternehmengegen die Serbo-Montenegriner mit 1.000 Mann beteiligen zuwollen. Alle diese Leute sollten am 27. in Gjakova eintreffen, umihre Waffen zu übernehmen. Außerdem stellten mir die Leute einGebirgsgeschütz mit Munition und ein Maschinengewehr ohneMunition zur Verfügung. Meine Befürchtung, die nicht weit vonuns befindlichen serbischen Truppen würden unsereVersammlung stören, erwiesen sich als grundlos. Nach derVersammlung in Shpal schlief ich erneut bei Zef Noci, dann

Page 516: Nopcsa Reisen Balkan

Weltkrieg (1914-1917)

502

begab ich mich über Mishesh, wo ich bei Nikoll Xhuxhajeinkehrte. Am 25. weiter nach Brut bei der Ura e Vezirit. Am 26.hörte ich bei der Ura e Linajës von der Einnahme von Shkodradurch unsere längs des Seeufers vorgedrungene Truppen. Ich sahmich daher vor einer neuen Lage. Ich widerrief durch Eilbotenalle die Vereinbarungen mit Mirdita, die soeben in Shpalverabredet worden waren, forderte die Leute auf, sich nicht inGjakova sondern bei Lezha zu versammeln und ohne Rücksichtauf Patronenmangel, die bei Lezha stehenden Serben zuattackieren. Dann hatte ich in Kulla e Lumës Gelegenheit zusehen, wie seitens unserer Truppen bei Ankauf von Heuvorgegangen wurde. Spät in der Nacht desselben Tages gelangteich, meinen elenden Klepper am Zügel führend, ganz allein nachPrizren. Exzellenz Goiginger war gerade abwesend, wurde aberfür den 27. aus Gjakova erwartet. Ich beschloß in PrizrenGoigingers Eintreffen zu erwarten, und telegrafierte auch nachGjakova an Bajazid unverzüglich zu mir zu kommen. Ansonstenwar ich vormittags infolge meiner albanischen Tracht an diesemTage das Zielobjekt zahlreicher Fotografen. Gegen Mittag trafGoiginger aus Gjakova ein. Ich meldete, daß ich über einGeschütz und ein Maschinengewehr verfügte, bat um acht MannBedienungsmannschaft für ersteres und vierundzwanzigMunitionsverschläge für letzteres. Beides sagte Goiginger mir zu.Dann bat ich ihm, den Husaren Mucha zum Korporal zuernennen, da ihm dies seine Arbeit und Stelle in Gjakovaerleichtere. Auch diese Bitte erfüllte er mir. Endlich erfuhr ich,daß für mich in Gjakova einige Tausend unsortierte Patronen und400 Paar Schuhe eingetroffen wären. Erstere hatte ich keine Zeitsortieren zu lassen. Letztere wies ich, da dieselbe unter 1.000mirditischen Freiwilligen nur gegenseitigen Neid wachgerufenund so Unfrieden gestiftet hätten, als unverwendbar zurück.Goiginger forderte mich in Op. Nr. 855/12/I ohne Rücksicht auf§ 1 der Vereinbarung mit Kövess auf mit meinen Albanern sofort

Page 517: Nopcsa Reisen Balkan

Weltkrieg (1914-1917)

503

gegen Durrës zu marschieren. Abends traf Bajazid aus Gjakovaan. Ich besprach mit ihm alles notwendige und, um einen Angriffder Albaner gegen die noch zwischen Tuz und Lezha stehendenmontenegrinischen Truppen hinternzuhalten, schrieb ich an dieStämme Shala, Shoshi, Nikaj, Toplana, Merturi, Dushmani undThaçi, daß sie alle sofort über Lezha gegen Durrës aufzubrechenhätten. Anbei die Kopie eines dieser Schreiben.

“Reverendo Parecco di Shoshi, prego di avvisaretutta la bandiera Shala, di mandare 300 uomini conschioppi e la munizione che hanno, immediamente conpane per tre giorni quanto più pressto a Durazzo viaAlessio, dove io gli aspetto. Spero che la bandieraseguirà con volontà e con entusiasmo il mio primoappello a gli armi. La bandiera avrà l”occasione dibattersi insieme con gli truppi regulari della Austria-Ungaria contra Serbi ed Italiani, e di dimonstrare a questiil valore de gli Albanesi.

Barone Nopcsa, Prizren, 28.I.1916.P.S. Spero che Lush Prela arriverà personalmente easpetto anche Mehmed Zeneli anche Mirash Nou, AliMarku. Da Thethi Shala non voglio nessuno!”

Die Leute reagierten auf diesen Brief. Am Erreichenseines Zieles wurden er jedoch durch eine Intrige desstreberischen, bloß seine persönliche Karriere vor Augenhaltenden Berufsoffiziershauptmann Mari…iƒ gehindert. Wie diesgeschah, wird in einem späteren Teil dieser Notizenauseinandergesetzt werden. Hier genügt die Erwähnung dessen,daß speziell die Leute aus Shala am 6. Februar in Shkodraeintrafen und mir nach Lezha beiliegendes Begrüßungstelegrammschickten.

Page 518: Nopcsa Reisen Balkan

Weltkrieg (1914-1917)

504

Telegramm-Station Shkodra, 6. Februar 1916An Baron Nopcsa

“Wir sind eingetroffen. Bajraktar von Shala,Lush Prela, Mehmed Zeneli, Mark Alia aus Prekal,Mirash Nou Shala, Martin Deda, Baloc Marashi gehen,um ihre Leute zu versammeln, und senden Grüße. Freuensich auf den Wiedersehen.”

Mari…iƒ Hauptmann

Am 28. verließ ich Prizren. Die Zeit des Durchmarschesdurch Mirdita vom 29. Jänner bis zum 2. Februar verwendete ich,um mir einen kleinen, aus zwölf Pferden bestehendenGebirgstrain zusammenzustellen und meine Artilleristen nachQafa e Malit zu senden, um das Geschütz und dasMaschinengewehr abzuholen. In Beantwortung meinesTelegramms erhielt ich folgendes.

Telegramm 2. Februar 1916Oberlt. Nopcsa. Lezha auf Händen IIX.“Laut Befehl Op. Nr. 681/29 hat Oberlt. Baron Nopcsazu melden, mit wie vielen Bewaffneten und wie vielenUnbewaffneten er eingetroffen ist, woraufGewehrzubereitung erfolgen wird.”

Hochsatan. O.P. 33/19

Ich meldete noch am 2. Februar an Hochsatan, wie vieleGewehre ich brauchte, doch verging die 3. und 4. Februar, ohnedaß ich irgendeine Antwort erhalten hätte. Über meine sonstigeTätigkeit gibt ein am 4. Februar an die Brigade Goiginger(Hauideal 57) abgesandter Bericht Aufschluß.

Lezha, 4. Februar 1916Infanterietruppendivision Goiginger, Prizren

Page 519: Nopcsa Reisen Balkan

Weltkrieg (1914-1917)

505

“Nach großen Schwierigkeiten, die sich ausMangel an entsprechenden Transporttieren für dieMaschinengewehrmunition ergaben und mich nötigten,an jedem Tag meiner Truppe einige Stundenvorauszulaufen, Pferde zu beschaffen, dann auf meinGepäck zu warten, dann meiner Mannschaft wiedervorauszueilen und, wenn möglich, Pferde zu kaufen, etc.,gelangte ich am 31. Jänner um Mitternacht nach Simon,woselbst Geschütz und Maschinengewehr gestellt seinsollten. Beide fehlten. Wartete einen halben Tag, gingdarauf auf die Nachricht, daß sich meine Mirditen bereitsin Lezha befänden, nach Lezha und gab meinenArtilleristen den Befehl, das Geschütz in seinemVersteck in Fusha e Arsit aufzusuchen.

I n S i m o n h i n t e r l i e ß i c h d i eMaschinengewehrmunition mit einem Unteroffizier. DasAbholen dieses Materials habe ich hierauf am 2. Februaraus Kallmet veranlaßt.

Auf dem Wege nach Lezha erfuhr ich, daßMarka Gjoni heimlich gegen mich arbeitete, denn erweiß von meinen früheren Konflikten mit gewissenLeuten am Ballhausplatz und hoffte sich hiedurch beidiesen ein gutes Blatt einzulegen. Die Familie MarkaGjonis zeichnete sich auch daher in Lezha durch ihreAbwesenheit aus. Der einzige, der gekommen war, warMarka Gjoni selbst, doch war dies nur geschehen, umunter meiner Mannschaft gegen mich hetzen zu können.Ich gab ihm daher eine Beschäftigung in meinemEtappenraum in Mirdita, und es wäre mir sehr angenehm,wenn er vom Schauplatze verschwände.

Eine Person, die das mit Freunden durchführenwürde, habe ich, doch müßte sie von mir dieVersicherung haben, straflos auszugehen, und auch ich

Page 520: Nopcsa Reisen Balkan

Weltkrieg (1914-1917)

506

erteile ihr keinen Auftrag, bevor ich nicht die Garantiehabe, daß ihr nichts geschieht. Wenn dies nicht möglichist, würde ich Marka Gjonis Abführen von Orosh nachPrizren befürworten, und es wäre in diesem Fall derHäftling bei dem geringsten Fluchtversuche zuerschießen.

Marka Gjonis Benehmen mir gegenüber findetzum Teil seine Motivierung darin, daß der Pfarrer vonBlinisht noch frei in Shkodra herumgeht. Ich habediesbezüglich heute an Hochsatan geschrieben.

Da meine Verbindung mit Division Goigingersehr zeitraubend ist (die Sache dauert stets fünf Tage),habe ich bei Armeekommando Kövess bei meinemEintreffen in Lezha telegrafisch gebeten, mich Hochsatanzuzuteilen.

In Lezha fand ich, daß meine 500 Mirditen seitzwei Tagen nichts zu essen hatten, und die Unteranführerbeklagten sich, daß ein k.u.k. Offizier die Existenzmeiner Freiwilligentruppe nicht zu Kenntnis nehmenwollte.

Mein Eintreffen löste alle Fragen, und am 3.vormittags gingen 200 Mann zu Unterabteilungen von je50 Mann, jede mit einem Kommandanten und 2-3albanischen Unteroffizieren, südwärts ab, mit demAuftrage nach Shijak vorzudringen. Weitere 250 Mannwarten hier auf Waffen, wegen deren ich mitKorpskommandoTrollmann in Verbindung bin. Von denabgegangenen hat jeder bloß 50 Patronen. Hoffe, daßdieser Tage die nördlich des Drin wohnenden Stämmehier eintreffen. Falls sie zögern, gehe ich bis Plantizurück, um sie zu holen.

Page 521: Nopcsa Reisen Balkan

Weltkrieg (1914-1917)

507

Was die bisherige Verpflegung der hierbefindlichen 500 Mirditen anbelangt, so erhieltendieselben:am 1. Februar gar nichts,am 2. Februar reichlich Fleisch ohne Brot,am 3. Februar je ein Laib Brot,am 4. Februar heute erhalten sie je ein Laib Brot undBohnen.

Gage erhalten sie keine, bloß die Führer erhieltenBakschisch. Über die Stärke des Gegners erhalte ich dieNachricht, daß Essad keine 1.000 Mann hat. Das Übrigeist durch Deserteure leichter zu erfahren als durchAlbaner. Immerhin ist ein Konfident von mir in Durrës.

Bitte Herrn Bajazid zu informieren, daß derMaisankauf in Prizren und Gjakova ebenso derHeuankauf rückgängig zu machen ist, auch sind dieSchafe zu entlassen, und ihn zu avisieren mit meinerganzen Bagage über Puka nach Shkodra zu kommen undsein Eintreffen bei Korpskommando Trollmann zumelden. Sowie ich Näheres über mein Geschütz erfahre,werde ich es melden.”Baron Nopcsa, Oberlt.

Während dieser Zeit erhielten ich und Ded Zogu jedenAugenblick telegrafische Aufforderungen, unsere Leute behufsAusrüstung oder Abrichtung nach Shkodra zu senden, was wir,da wir an die Front wollten, natürlich nicht taten, und erst aufGrund eines sehr energischen Telegramms meinerseits erhielt icham 5. Februar folgende Depesche.

Telegramm, LezhaOberlt. Baron Nopcsa, Lezha

Page 522: Nopcsa Reisen Balkan

Weltkrieg (1914-1917)

508

“300 Gewehre und 60.000 Patronen per Wagenabgegangen. Morgen folgen noch 150 nach. Alles fürgleichartige Munition. Die türkischen Gewehre daher denLeuten Zogus übergeben. Die 700 Mann des Zogussofort nach Shkodra in Marsch setzen, wo sie ausgerüstetwerden, da wegen Wagenmangel Zuschub nicht möglichist. Verpflegung hier vorgesorgt. Abmarschstunde hiermelden. Nach Bewaffnung Abmarsch nach Lezha.”Korps. Trollmann.

Glücklicherweise leistete Ded Zogu diesem Befehl keineFolge sondern marschierte mit seinen schlecht und rechtbewaffneten Leuten gegen Ishëm, konnte sich daher an dendortigen Kämpfen beteiligen. Ich blieb mit dem unbewaffnetenTeil meiner Leute (203 an der Zahl) in Lezha. Außerdem schickteich folgenden Bericht an das Korpskommando Trollmann nachShkodra.

Lezha, den 4. Februar 1916.Korpskommando Trollmann, Shkodra!

“Schon in Prizren erfuhr ich vom dortigenkatholischen Erzbischof, daß der Pfarrer von Blinishttrotzdem, daß er seinerzeit eine Subvention der k.u.k.Regierung konstant erhalten hatte, serbenfreundlichgesinnt war, woselbst er serbisches Geld annahm. Allediese Nachrichten wurden mir von vielen Leuten inPrizren und Mirdita bestätigt und, als beim Rückzuge derSerben durch Mirdita die Bewohner von Spaç, Orosh undFan die Serben angriffen, verhielt sich die Pfarrgemeindedieses Pfarrers vollkommen passiv, ja plädierte dafür, dieSerben nicht zu belästigen. Unbestätigte Gerüchteschreiben dieses Vorgehen direkt dem Eingreifen desPfarrers zu. Infolge dieser Nachrichten erteilte ich ihm

Page 523: Nopcsa Reisen Balkan

Weltkrieg (1914-1917)

509

bei meinem Eintreffen in Mirdita, um einen katholischenPfarrer die Schande einer Eskortierung zu ersparen, denBefehl, sich freiwillig nach Prizren zu begeben und sichdort den k.u.k. Militärbehörden zur Verfügung zu stellen,und bat gleichzeitig Hauideal 57, die Sache zuuntersuchen.

Trotz dieses am 22. Januar erteilten Befehles undtrotz einer weiteren Aufforderung am 26. Januar bliebder Pfarrer bis zum 27. in Mirdita (Blinisht), erwartetedort die Nachricht vom Falle Shkodras, und ging hieraufnicht nach Prizren sondern nach Shkodra, damit er dortdie Intervention des Abtes erbitte.

In einem Briefe an den Pfarrer von Fan ließ ermich wissen, daß er bis zum 27. mit geistlichen Agendenin seiner Pfarre zurückgehalten war und sich hierauf überShkodra nach Prizren begeben würde. Er motiviert diesdamit, daß er den Abt informieren müsse.

Erstens hätte dies schriftlich geschehen können,zweitens fand er dies, als er sich von den Serbenseinerzeit Geld holte, nicht für nötig.

Da diese Nichtbefolgung eines militärischenBefehles in Mirdita bereits böse Folgen zeigt (schontrauen sich einzelne Häuptlinge gegen mich zuintrigieren und ihre Leute abzuhalten, sich als Freiwilligebei mir zu melden), erlaube ich mir, in Berufung aufmeine vom Armeekommando erteilte Vollmacht Op. Nr.8331 die Bitte vorzubringen, den Pfarrer Zef Marasi zuverhaften und mir nach Lezha zu senden, woselbst ichihm persönlich den Standpunkt klar machen werde undhierauf zu weiterer Verfügung nach Shkodrazurücksenden werde.”

Page 524: Nopcsa Reisen Balkan

Weltkrieg (1914-1917)

510

Dieser Bericht hatte leider gar keinen Erfolg, denn aufHauptmann Mari…iƒ seine Intervention hin wurde dieser Pfarrerunbehelligt von seiner Pfarrgemeinde entlassen. Die Ursache lageinfach darin, daß der Streber Mari…iƒ in albanischen Sachen ein‘homo novus’ war und mir in allem und jedem Schwierigkeitenbereiten wollte.

Am 6. Februar waren die in Aussicht gestellten Waffennoch immer nicht in Lezha, wohl trafen aber meine Artilleristenmit den Gebirgsgeschütz und dem Maschinengewehr ein. Endlichgelangten am 7. Februar die am 2. verlangten Waffen ausShkodra nach Lezha, wo inzwischen die Anzahl meiner Leutevon 203 auf 227 angestiegen war. Ich erhielt eine Mengemontenegrinischer Munition, ferner 62 montenegrinische sonstaber nur türkische und serbische, also für die montenegrinischenWaffen ungeeignete Gewehre ohne Munition, konnte daher bloß62 Leute ausrüsten. Da meine Anwesenheit in Mamurrasunbedingt notwendig wurde, marschierte ich mit diesen 62Leuten dorthin ab und war daher bemüßigt, die übrigen 165Mann behufs Ausrüstung nach Shkodra zu senden. Schon amMarsche klagten meine Leute, daß zahlreiche der in Lezhaübernommenen Gewehre total unbrauchbar wären. Am 10.abends erreichte ich Tirana. Am 11. untersuchte ich die am 7. inLezha übernommenen Waffen, fand daß tatsächlich 40zerbrochen und unbrauchbar waren, entwaffnete daher imEinvernehmen mit Hauptmann Haessler die Polizei der StadtTirana, und übergab den am schlechtesten bewaffneten Mirditen,deren in gutem Zustande befindliche Gewehre. Außerdem machteich am Abend desselben Tages ein Reitpferd des Essad Paschaausfindig, das ich mit Beschlag belegte. Beunruhigt weshalb diebehufs Ausrüstung nach Shkodra geschickten Mirditen, ferner dieStämme nördlich des Drin, noch nicht in Tirana eingetroffenwaren, fragte ich bei meinem Stellvertreter in Lezha telegrafischan, was dies bedeute, und erhielt von ihm folgende Antwort.

Page 525: Nopcsa Reisen Balkan

Weltkrieg (1914-1917)

511

Nr. 790Haulinie, 211Oberlt. Baron Nopcsa. 12. Februar. h 45 Nn.

“Freiwillige Albaner in Shkodra versammeltunter Mari…iƒ-Kommando. Bajraktar Dibri mit 120 MannDienstag nach Lezha gekommen und wieder zurück, weilsie mit Mari…iƒ gesprochen hatten.”

Prenk Jaku

Schon diese Depesche ließ irgendeine Schweinerei diesesHauptmanns ahnen, doch war ich nicht mehr in der Lage dagegenirgend etwas zu unternehmen.

Am 12. sollte ich mit meinen Leuten gegen Durrësaufbrechen. Da es jedoch regnete, beschwerten sich meine Leute,daß sie ohne Mäntel waren, da ich ihnen in Shpal feierlichMäntel, Waffen, Opanken und Abzeichen versprochen hatte,bisher aber keins meiner Versprechen eingehalten hatte, undweigerten sich im Regen weiter zu marschieren. Gleichzeitig mitdiesem Entschluß lief die Nachricht ein, daß der Mati-Flußangeschwollen und infolge der Zerstörung der darüber führendenBrücke unpassierbar geworden wäre. Da ich dermaßen bis aufweiteres auf Nachricht von rückwärts verzichten, anderseits abermeine Mirditen dennoch gegen Durrës bringen mußte, blieb mirnichts anderes übrig, als für die weitere Ausrüstung meinerTruppe selbst zu sorgen. Ich hielt also die Stadtverwaltung vonTirana an, mir Opanken und schwarzgelbe Armbindenbereitzustellen, und, was die Mäntel anbelangt, so beschloß ich,sie von der Bevölkerung zu requirieren, wozu ich mich um soberechtigt hielt, als die Einwohner von Tirana und Umgebungerst vor einigen Monaten als Anhänger und Irreguläre EssadPaschas in Mirdita geraubt und geplündert hatten.

Obzwar Refik Bey Toptani, als er von meinem Vorhabenhörte, der Meinung war, daß es bei dieser Requirierung unbedingt

Page 526: Nopcsa Reisen Balkan

Weltkrieg (1914-1917)

512

Mord, Brandstiftung und Totschlag geben würde, verrichteten diePatrouillen, die ich mit der Requirierung betraut und denen ich alsKontrollorgan je einen Polizisten aus Tirana beigegeben hatte,ihre Arbeit, ohne schwerere Zwischenfälle zu provozieren. Dochgingen sie zu nachsichtig vor und vermochten nicht bis zum 13.in der Frühe, die ganze notwendige Anzahl von Mänteln zubeschaffen.

Die Animosität zwischen den Mohammedanern Tiranasund den Katholiken Mirditas war durch diese Requisition, der am13. eine Aufforderung, weitere Mäntel beim Bürgermeisteramtezu deponieren, folgte, naturgemäß gesteigert und, da ich auchschon einige Tage früher in Tirana klar und deutlich bewiesenhatte, daß ich auf unbedingte Durchführung aller meiner Befehlestreng bestände und daher nicht gerade beliebt war, benützte mandie Requisition, um gegen meine Mirditen beim Kommando derinzwischen in Tirana eingetroffenen Brigade Lörenczi allerleischauderhafte Anklagen zu erheben. Diesem Vorgange ist derGeneralstabshauptmann der Brigade richtig dermaßenaufgesessen, daß auch er der Meinung war, meine Mirditen hättenallerorts die Häuser vollkommen geplündert. Späteren mir durchHaesslers albanische Freiwilligen zugekommenen Informationenzufolge soll sich an dieser Hetze gegen mich aus Neid von mir inTirana in den Schatten gestellt zu sein, auch Hauptmann Haesslerbeteiligt haben, und die Folge war, daß ich am Abend des 13.Februar den beiliegenden Befehl zurückerhielt, der aller weiterenTätigkeit ein Ende machte.

Feldpost 9 12. Februar 1916“An die freiwillige Albanerabteilung. Oberlt.

Baron Nopcsa. Laut heutiger Depesche des Haudegens19 hat die genannte Abteilung behufs Ausrüstung nachShkodra abzugehen. Da auf dem Rückmarsche dieAbteilung keine Munition benötigt, wird ersucht, dem

Page 527: Nopcsa Reisen Balkan

Weltkrieg (1914-1917)

513

Brigadekommando 211 die nicht unbedingt nötigeMunition behufs Überweisung derselben an dieAbteilung Lt. Simonovits zu übergeben. Letztere liegtseit 1. Februar am Feind, hat heute zwei ernste Gefechtebestanden und hat dringend Munitionsersatz nötig. Da inShkodra obengenannte Abteilung mit allem ausgerüstetwird, ist daher die Möglichkeit vorhanden, die Munitionabzugeben.”

A. B. Schmidt, Hauptmann.

Infolge dieses Befehls übergab ich alle Munition, soweitsie nicht das Privateigentum meiner Leute bildete und von ihnenaus Mirdita mitgebracht worden war, und marschierte am 13. mitmeiner Abteilung gegen Lezha.

Da ich gleich bei Übernahme des Befehls dieUnmöglichkeit einsah, mit meiner Abteilung noch vor dem Fallevon Durrës jemals wieder an die Front zu gelangen, beschloß ichnoch am 12. abends, meine ganze Freiwilligenschar zurAuflösung zu bringen, und bat, als ich am 13. knapp vor demAbmarsch aus Tirana noch Einblick in ein an erster Stelle vonPrenk Bib Doda unterschiebenes Manifest erlangte, telegrafischvon Hochdruck, Albanien überhaupt verlassen zu dürfen, da soein Manifest alle unzuverlässigen Elemente stärkte, hingegen inMirdita unsere Partei, nämlich jene Zef Nocis, untergrub, ichdaher jede weitere Tätigkeit meinerseits für unmöglich erachtete.Gleichzeitig gab ich bekannt, daß ich meine Gruppe, um Skandalzu vermeiden, im katholischen Gebiet aufzulösen gedächte.Letzteres beschloß ich deshalb, weil meine Mirditen, wenn ich sieim mohammedanischen Gebiete auseinander gelassen hätte,unbedingt die umliegenden Dörfer geplündert haben würden. AmRückmarsche hatte ich am 16. Februar in Gjonëm eine ganzbesondere Freude, denn plötzlich lief hier von HauptmannSchmidt eine Depesche ein, in der ich aufgefordert wurde, die

Page 528: Nopcsa Reisen Balkan

Weltkrieg (1914-1917)

514

vom meiner Truppe am Rückmarsche gewaltsammitgenommenen Pferde und Ochsen wieder zu entlassen. Da ichsolche Tiere nicht besaß, teilte ich ihm dies telegrafisch mit undließ ihm wissen, daß ich aus seinem Vorgehen das entnehme, daßes ihm eine ganz besondere Freude zuzubereiten scheine, an allegrundlos gegen meine Mirditen erhobenen Anschuldigungenblind zu glauben. Als ich am 17. mittags in Lezha eintraf, fehltenvon meiner Freiwilligenschar bereits 80 Leute. Den übrigen hieltich eine Rede, die sie alle ohne Ausnahme als Abschiedsrededeuten mußten. Dann ritt ich weiter nach Shkodra und forderte sieformell auf, mir am folgenden Tage dorthin zu folgen. Da ichmich am Rückmarsche ostentativ wenig um meine Truppegekümmert hatte, war hinlänglich dafür gesorgt, daß mitAusnahme von zwanzig Leuten keiner von ihnen dort eintraf.

Das Gebirgsgeschütz und das Maschinengewehr übergabich erneut den Mirditen und ließ es in sein Versteck bringen.

So wie ich in Shkodra eintraf, erfuhr ich, weshalb ich inLezha und Tirana auf alle meine übrigen nach Lezha beordertenFreiwilligen vollkommen vergebens gewartet hatte. Alle dieseLeute hatte nämlich der im Gebirge Nordalbaniens völligunbekannte Hauptmann Mari…iƒ förmlich mit Gewalt in Shkodrazurückbehalten und, während wir an der Front dringend Gewehreund Munition brauchten, gefiel sich dieses Vieh darin, dieseLeute in Shkodra mit Gewehren auszurüsten und ihnenKindereien wie Doppelreihen rechts um, Doppelreihen links umund Paradeschritt zu lehren. Auch meine 165 behufs Ausrüstungnach Shkodra geschickten Mirditen befanden sich unter diesenLeuten. Wie ich dies sah, schickte ich den beiliegenden Berichtan das Armeekommando Kövess.

Shkodra, 16. Februar 1916

Page 529: Nopcsa Reisen Balkan

Weltkrieg (1914-1917)

515

“Nichteinhalten von feierlichen Versprechen inAlbanien kann dem guten Rufe der Monarchie in diesemLande nur schaden.

Es wurde den Albaner feierlich Bewaffnung,Ausrüstung (Mäntel, Opanken, Abzeichen und Munition)versprochen. Auf Grund dieser Versprechungen habensie sich, was Gruppe B (Baron Nopcsa) anbelangt,versammelt, und zwar standen 400 Mann in Tirana; 150kamen wegen Ausrüstung nach Shkodra; ferner sind 120nach Lezha gekommen und, als sie dort nichts vorfanden,nach Hause gegangen. Außerdem befanden sich 150andere in Shkodra, wohin sie von mir berufen gekommenwaren (meist Shala, Shoshi, Merturi, Nikaj etc.), dochverringerte sich, da sie weder ausgerüstet nochentsprechend ausgerüstet an die Front geführt wurden,ihre Zahl täglich. Auch die 400, die in Tirana waren, sindam Rückmarsche nach Shkodra auseinandergelaufen.

All dies ergibt, daß nur das Ausbleiben derAusrüstung die Folge des Mißerfolges war.

Es wird sich daher im Lande die Aussichtfestsetzen, daß man, als man Ausrüstung versprach, dieLeute absichtlich belog. Dies ist unbedingt zu vermeiden,denn es würde das Vertrauen, das die Albaner unsererRegierung zu bringen haben, vernichten.

Ich halte die momentane Ausrüstung des derzeitin Shkodra noch verbleibenden Restes und dessenVorführung an den Feind für das einzige Mittel, demobenerwähnten Übelstand abzuhelfen, denn dann kanndie Ansicht verbreitet werden, daß die ganze Aktionnicht deshalb scheiterte, weil die Armeeverwaltung dieAusrüstung nicht beistellte, sondern weil die Albanerzum Teil wenigstens zu früh auseinanderliefen, obzwar

Page 530: Nopcsa Reisen Balkan

Weltkrieg (1914-1917)

516

ein Warten von der ersten Hälfte Jänner bis MitteFebruar immerhin etwas bedeutet.”

Fr. Baron Nopcsa, Oberlt.

Die Antwort auf diese Meldung war eine Fußnote desGeneral Konopiczky, einen ausführlichen Bericht zu verfassen.Auf die Aufforderung hin, meine Beschwerden zu konkretisieren,erhielt Konopiczky eine ausführliche Meldung, die so verfaßtwar, daß ich erwarten konnte, vor ein Kriegsgericht gestellt zuwerden. Da aber bekannt war, daß ich jede Behauptung beweisenkonnte, hielt man es höheren Orts für besser zu schweigen unddie unangenehme Pille zu schlucken. Sie lautete folgendermaßen:

Shkodra, den 11. März 1916“Über Aufforderung vom 18. Februar 1916 im

Detail anzugeben, welche Unterlassungen bei derAufstellung der Albaner-Freiwilligengruppe B (BaronNopcsa) vorkamen und in wie ferne hiedurch Albanerngegenüber eingegangene Versprechungen nichteingehalten wurden, teil ich folgendes mit.

Da ich durch Befehl des VIII Korpskommandoslänger als nötig in Mitrovica zurückgehalten worden war,gelangte ich erst am 4. Jänner an meinen BestimmungsortGjakova. Als Datum des Losschlagen meiner Gruppe waranläßlich der Besprechungen in „a…ak am 23. 12. 1915der 15. Februar 1916 in Aussicht genommen worden. Biszum 15. hätte daher meine Gruppe das ihr zugesagteMaterial in Gjakova erhalten müssen. Meine erste Sachein Gjakova war zu melden, daß ich die Leute meinerGruppe erst am 25. Jänner zusammen haben könne(wegen meines verspäteten Eintreffen). Die mit derBereitstellung und Herbeischaffung des mir in Aussichtgestellten Materials betrauten Organe hatten daher zehn

Page 531: Nopcsa Reisen Balkan

Weltkrieg (1914-1917)

517

Tage mehr Zeit gewonnen, als in Aussicht genommenwar.

Meine zweite Tätigkeit in Gjakova bestand darin,den Bewohnern meines Rekrutierungsgebietes wissen zulassen, daß sie behufs Bekämpfung Serbiens,Montenegros und Essad Paschas das mir seitens desArmeekommandos versprochene Material rechtzeitig, i.e.spätestens am 25. Jänner, erhalten würden. Es geschahdies auf folgende Weise. Den Einwohnern von Merturi,Nikaj, Shala, Dusmani und Toplana wurde es teils durchdie Bajraktare, teils durch andere Notablen, die sich ca.8. Jänner in Gjakova einfanden, bekannt gegeben. DenEinwohnern des Gebietes von Puka ließ ich es durchzufällig anwesende weniger angesehene Leute wissenund, was Mirdita anbelangt, so teilte ich es dengleichfalls in Gjakova eintreffenden Notabeln undBajraktars am 9. Jänner mit, und sie beschlossen mit mirzusammen, für den 23. Jänner eine Plenarversammlungvon Mirdita in Blinisht einzuberufen, damit ich dort ganzMirdita zum Kampfe gegen unsere Gegner auffordernund meine Versprechungen, daß die Mirditen ausgerüstetwürden, feierlich wiederholen könne.

Während dieser meiner agitatorischen Tätigkeiterfolgte ein kleiner montenegrinischer Vorstoß nachPlanti und zwar schien er mit der Absicht erfolgt zu sein,die Shala, Shoshi etc. davon abzuschrecken, sich alsFreiwillige bei mir zu melden, denn eine analoge‘Strafexpedition’ nach Kelmendi hatte im Herbste 1914für die Montenegriner sehr gute Früchte getragen.

Es blieb mir trotz der mir bekanntenmangelhaften Ausrüstung der Shala (sie hatten vom mirbis dahin keine einzige Patrone erhalten) nichts andersübrig, als am 8. Jänner die Albaner zum Gegenangriff

Page 532: Nopcsa Reisen Balkan

Weltkrieg (1914-1917)

518

gegen die Montenegriner aufzufordern. Da mir aberbekannt war, daß sie bei dem herrschendenPatronenmangel sich hiezu, falls für Munitionsnachschubnicht gesorgt wäre, nicht trauen wurden, teilte ich ihnenauch mit, daß ich mich um türkische Mauserpatronentelegrafisch umschauen würde, was auch bereits am8. Jänner geschah. Das Va-banque-Spiel, unausgerüsteteLeute gegen reguläre Truppen aufzubieten, gelang. DieMontenegriner wichen zurück. Patronen kamen jedoch,obzwar ich in späteren Telegrammen statt 100.000 einehalbe Million verlangte (es war mir bekannt geworden,daß auch in Mirdita viele türkische Mausergewehrevorhanden seien), bis zum 19. Jänner gar keine nachGjakova.

Am 19. Jänner avisierte ich die Stämme Shala,Shoshi, Nikaj, Merturi und Toplana, ihre Maultierebereitzuhalten. Um eventuell während meinerAbwesenheit in Gjakova eintreffende Patronen in dieBerge transportieren zu können, hinterließ ich in Gjakovaauch meinem Offiziersburschen, der an der Expeditionteilnahm, die diesbezüglichen Befehle, und ging nachMirdita. In Mirdita versprach ich in derPlenarversammlung der Mirditen am 23. Jänner, daß1.000 Mirditen, wenn sie am 27. Jänner nach Gjakovakämen, dort behufs Bekämpfung unserer Gegner mitWaffen, Munition, Mäntel, Opanken, Kokarden undArmbinden ausgerüstet würden, und zwar geschah diesesVersprechen in voller Parade als k.u.k. Offizier. Dannbegab ich mich über Kulla e Lumës nach Prizren, um am27. Jänner in Gjakova zu sein.

In Kulla e Lumës erfuhr ich den Fall vonShkodra, forderte daher den größeren Teil der Mirditendurch Bote auf, behufs Vermeidung von Zeitverlust

Page 533: Nopcsa Reisen Balkan

Weltkrieg (1914-1917)

519

schlecht und recht bewaffnet nach Lezha zu dringen. Dergleiche Befehl ging mit Datum 28. Jänner nach Shala,Shoshi, Nikaj, Merturi, Thaçi und Toplana. Nur einenTeil ließ ich, damit er behufs Bewaffnung eventuell nachGjakova käme, ohne Avis. Ich verfügte dies auf Grundder Überlegung, daß eventuell in Lezha stehendeFreiwillige leicht mit den in Shkodra und Podgoricaerbeuteten Gewehren würden ausgerüstet werdenkönnen, denn die Kapitulation Montenegros war miroffiziell bereits am 20. Jänner bekannt gegeben worden.

Am 27. Jänner erfuhr ich in Prizren, daß statt500.000 türkische Mauserpatronen für mich 10.000unsortierte Patronen in Gjakova, sonst aber gar nichtseingetroffen seien. Ich lehnte den Empfang derunsortierten Patronen, da mir Zeit und Organe zumSortieren mangelten, ab und begab mich wieder nachMirdita zurück, um meine bereits gegen Lezhaabgegangenen Mirditen daselbst einzuholen. Letzteresgeschah am 2. Februar. An diesem Tage telegrafierte ichHochdruck wegen Waffen und Munition, fand, daßmeine Leute über vierundzwanzig Stunden in Lezha ohneNahrung geblieben waren, und ordnete dies. Am 3.Februar erschien Oberleutnant Zitkovsky, um imAuftrage von Hochsatan die Anzahl der mir nötigenGewehre festzustellen. Am 4. Februar wurden meineLeute, die zum Teil noch unbewaffnet waren, desmüßigen Warten in Lezha müde. Ich schickte daher dieBewaffneten (mit ca. 50-60 Patronen pro Mann) gegenKruja und wartete bis zum 6. Februar vergebens auf dieübrigen fehlenden Waffen. Ein sehr energisches, in eineDrohung ausklingendes Telegramm an Hochsatan hattedie Folge, daß ich am 7. Februar aus Shkodra sehr vieleKisten mit montenegrinischer Munition, ca. 240

Page 534: Nopcsa Reisen Balkan

Weltkrieg (1914-1917)

520

türkischen Mausergewehren und 60 montenegrinischenGewehren erhielt, so daß ich von den bei mirbefindlichen 230 unbewaffneten Mirditen weitere60 bewaffnen konnte. Dazu kamen im Laufe des3.-6. Februar Telegramme, daß ich den unbewaffnetenTeil meiner Leute behufs Bewaffnung undDisziplinierung nach Shkodra senden sollte. Ichantwortete, daß ich meine Zeit mit so einemaussichtslosen Unternehmen wie der Disziplinierungalbanischer Freiwilligen nicht vergeuden würde, undmarschierte mit den 60 neu bewaffneten Leuten gegenTirana (rp. südwärts). Die übrigen 150 Leute sah ichmich doch veranlaßt, nach Shkodra zu senden, damit siesich dort bewaffnet würden, um mir in achtundvierzigStunden nachfolgen zu können.

Diese Leute sah ich erst nach Auflösung meinerGruppe am 17. Februar in Shkodra wieder, denn inShkodra wurden sie von Hauptmann Mari…iƒ gewaltsamzurückgehalten und in seine Gruppe einverleibt.

Über das weitere Schicksal meiner südwärtsmarschierten Leute ist hier nur zu berichten, daßdieselben, als ihnen zuerst der Befehl nach Shkodrazurückzumarschieren und dann der Befehl, ihre Patronenabzuliefern, bekanntgegeben wurde, alle der Meinungwaren, dies geschehe, um sie dort leichter entwaffnen zukönnen. Ich mußte daher in erster Linie verhindern, daßdiese Leute noch im mohammedanischen Gebieteauseinanderliefen, denn sonst hätten sie das Gebietdurchschwärmt und ihrem Haß gegen die Bewohnerdieses Gebietes freien Lauf gelassen, was dann zuBrandstiftung u. dgl. geführt hätte. Der Haß war neuenDatums und dadurch hervorgerufen, daß dieMohammedaner von Kruja, Tirana, Shijak etc. als

Page 535: Nopcsa Reisen Balkan

Weltkrieg (1914-1917)

521

Soldaten Essad Paschas im Herbst 1915 Mirditaausgeplündert hatten. Dies gelang mir durch eiserneEntschlossenheit und Energie. Die Ungeschicklichkeit,den Rückzugsbefehl erteilt zu haben, läßt sich nur durchdie Unorientiertheit der den Befehl erteilenden Organemit albanischen Verhältnissen entschuldigen. DasEntwaffnen und Entlassen der Mirditen in Shkodra wäregleichfalls ein großer Fehler gewesen. Infolge dessenbeförderte ich in meiner Truppe jene Bewegung, die zuderen Auflösung im katholischen Gebiete führte.

Was also jene Mirditen betrifft, die mit mir inTirana waren, so steht mithin die Tatsache fest, daß ihnenzuerst Waffen versprochen worden waren, daß diesesVersprechen dann nicht eingehalten wurde, und daßihnen dann, als sie mit ihren eigenen Waffen gekommenwaren, sogar jene vierundzwanzig Patronen pro Mannabgenommen werden mußte, die ich für sie in Krujaaufgetrieben hatte. Von den in Lezha gefaßtenmontenegrinischen Gewehren waren, wie es sich beieiner Überprüfung der Waffen in Tirana zeigte, vierzigtotal unbrauchbar gewesen, weshalb ich mich schon inTirana veranlaßt sah, diese gegen einen Teil der deressadistischen Gendarmerie von Tirana abgenommenenGewehre auszutauschen.

Ebenso wenig wie die feierlichen Versprechenden nach Tirana gegangenen Mirditen gegenübereingehalten wurden, wurden sie auch anderen Teilenmeiner Freiwilligen gegenüber eingehalten. Wie erwähnt,hatte ich am 28. Jänner die Stämme Shala, Shoshi, Nikaj,Merturi, Toplana, Dushmani und Thaçi aufgefordert überLezha möglichst rasch nach Durrës zu kommen, um dortSchulter an Schulter mit k.u.k. Truppen zu kämpfen undso der Welt die Tapferkeit der Albaner zu zeigen. In

Page 536: Nopcsa Reisen Balkan

Weltkrieg (1914-1917)

522

Shala traf dieser Brief am 2. Februar ein, als aber dieShala dann nach Shkodra kamen, wurden auch sie, dettodies Nikaj, Merturi, Toplana, Shoshi und so wie diezuvor erwähnten Mirditen, von Hauptmann Mari…iƒ mitGewalt in Shkodra zurückgehalten und dort exerziert.Wie wohl sich die Leute fühlten, beweisen die Klagen,die sie mir bei meinem Eintreffen in Shkodraentgegengebrachten, dann auch der Umstand, daß sie ausihrer Kaserne, die sie in bitterem Ernst ein Gefängnisnannten, eines Abends mit Gewalt ausbrechen wolltenund nur von den besonneneren Elementen davonzurückgehalten wurden, usw. Dabei waren dies dieLeute, von denen ein Teil an der Qafa-e-Bishkashit-Aktion teilgenommen hatten.

Wenn aber Hauptmann Mari…iƒ die Behauptungaufstellen sollte, daß diese Leute auf seine Aufforderunghin nach Shkodra gekommen wären, so ist dem dieTatsache entgegen zu halten, daß diese Leute über meineAufforderung hin nach Lezha wollten, was sie auch denvon Hauptmann Mari…iƒ zugewiesenen albanischenOffizieren offen ins Gesicht gesagt haben, und, daßferner alle jene anwesend waren, die zu meinem altenalbanischen Freundeskreis gehörten.

Auch diesen Leuten gegenüber ist dasVersprechen, ihnen Mantel, Opanken, Waffen undMunition zu geben und sie gegen den Feind zu führen,nicht erfüllt worden. Die Schuld trifft in diesem Falle denHauptmann Mari…iƒ, dem mehr daran gelegen war, ine ine r Kaserne mögl ichs t v ie le Albanerzusammengepfercht zu haben, als alles andere, ohne überdie üblen Folgen einer seine Person für den Moment inhelles Licht rückenden Handlungsweise nachzudenken.

Page 537: Nopcsa Reisen Balkan

Weltkrieg (1914-1917)

523

Als letzter Punkt ist über jene Leute zu berichten,die von mir aufgefordert worden waren, nach Lezha zukommen, um gegen Durrës zu ziehen, und die Mari…iƒdurch eine versuchte Ablenkung nordwärts (und in dieKaserne von Shkodra) glattwegs zurückwies. Es sind dies200 Leute aus Thaçi und 120 Mirditen des UnterbezirkesDibra (Debar).

Infolge meines Briefes vom 28. Februar warendie Chefs von Thaçi ca. am 3. Februar in Lezhaeingetroffen, hatten dort mit mir eine Unterredung, warendann wieder nach Hause geeilt und brachten ca. 200Mann nach Vau i Dejës, um dort nach Lezha zu kommen.In Vau i Dejës erfuhren sie, daß sie nicht gegen Lezhasondern nach Shkodra kommen sollten. Darauf machteder größere Teil der Leute kehrt und ging nach Hause.Bloß ein kleiner Teil kam nach Shkodra. Ähnlichscheinen es die Mirditen von Dibra gemacht zu haben,die ich mündlich am 2. Februar und schriftlich am3. Februar zum Marsche gegen Durrës aufgefordert hatte,denn, als ich in Tirana war, erfuhr ich durch meinen inLezha gelassenen Stellvertreter Prenk Jaku, daß derBajraktar von Dibra mit 120 Mann in Lezha gewesenwar, nach einem Gespräch mit Mari…iƒ jedoch samtseinen Leuten wieder in die Berge zurückging.

Im Ganzen ist also über 2.000 Albanern undzwar gerade den uns gut gesinnten gegenüber einfeierliches Versprechen nicht eingehalten worden und,daß es tatsächlich den Leuten eine Freude bereitet hättegegen Essads Anhänger zu kämpfen und sie nicht wegenGeldsucht (Löhnung) die Waffen ergriffen, geht daraushervor, daß ich gar keine Löhnung zahlte und auch keineGeldprämien versprach, sondern bloß für derenErnährung sorgte, weshalb mich die ganz Sache in

Page 538: Nopcsa Reisen Balkan

Weltkrieg (1914-1917)

524

Bargeld vom 1. Jänner bis zum 17. Februar bloß 5.700Kronen gekostet hat.

Leider hat der einleitende Satz meines Berichtesvom 16. Februar 1916, daß das Nichteinhalten vonVersprechungen uns in Albanien schaden würde, sichbereits bewahrheitet, denn ich vernehme, daß wohlinfolge der Unzufriedenheit der 680 Mirditen, die bereitwaren, Freiwilligendienste zu leisten oder mit ihreneigenen Waffen ausgerüstet geleistet haben, ferner wohlinfolge der Nachrichten über Plünderungen seitens derk.u.k. Truppen in Fan (Nachrichten, die gewiß wie immerbei der Verbreitung wachsen) die Stimmung in Mirditabereits arg erregt ist. Daß auch mir gegenüberübernommene Verpflichtungen nicht eingehaltenwurden, erwähne ich nur nebenbei.

Fr. Baron Nopcsa, Oberleutnant

Auslagen3.180 K. für Pferdeankauf. Diese Pferde wurden demÄrar abgeführt,300 K. noch bar beim Pfarrer von Ndërfandina,2.520 K. durch das Ärar zu beheben.Barauslagen laut Bescheinigungsheft:1.722 Oka Fleisch, 410 Paar Opanken, ca. 3.030 OkaBrot, 7 Kühe, 2 Rind, 37 Meter schwarzen und gelbenStoff für Armbinden, 90 Oka Kohle, 180 Oka Mais, 370Oka Heu.Außerdem in kleinen Mengen Salz, Brennholz,Petroleum, Hafer und Öl.Erhalten habe ich 2.000 K. von Division Snjariƒ,Mitrovica, und 4.000 K. von Hauideal 57, Prizren. Macht6.000 K.”

Page 539: Nopcsa Reisen Balkan

Weltkrieg (1914-1917)

525

In Shkodra bezog ich meine alte Wohnung bei BepMuzhani. Eine Zeitlang blieb ich ohne Einteilung, dann wurdeich Kundschaftoffizier unter Oberstleutnant Sertiƒ. Meine Zeitbenützte ich vor allem, um mich über das Benehmen unsererTruppen und das Begründetsein der zahlreichen, gegen sieeinlaufenden Klagen zu orientieren. Waren meine Mirditen nachAnsicht der k.u.k. Offiziere in Tirana Räuber, nun so waren diek.u.k. Truppen, wie ich mich bald überzeugte, mehr als Räuber.

Bei Golem wurde anläßlich einer Requirierung z. B. einMohammedaner vom k.u.k. Militär brevi manu erschossen. Diegerichtliche Untersuchung ergab freilich, infolge des Eides derdes Mordes angeklagten Soldaten, daß der Erschossene, der alleinmehreren Soldaten gegenüber gestanden war, der ‘Angreifer’gewesen wäre. Darüber, daß in und um Shkodra mehrere zumTeil schöne Moscheen von k.u.k. Truppen devastiert wordenwaren, konnte nicht einmal eine gerichtliche Untersuchung einenSchleier werfen. Zerstört wurden die Haxhi-Bajrami-Moschee,dann die Karasai-Moschee, die Große Moschee der Medrese,deren Bretterboden überflüssigsterweise zu Feuerungszweckenverwendet wurde, ferner allerdings unbedeutend die Ali-Beg-Mahals-Moschee und vollkommen die Moschee des OrtesDobraç. Alles dies wurde von mir dem Korpskommando und demVertreter des Ministeriums des Äußeren, Herrn GeneralkonsulKral, dienstlich gemeldet, doch von diesen Stellen vor demKorpskommandanten Exzellenz Trollmann verheimlicht. Einegroße Reihe anderer Klagen zeigten die k.u.k. Truppen und ihreBefehlshaber geradezu als Räuber. Auch diese leitete ich, freilichmit einer erheblichen Portion Schadenfreude, an die kompetentenStellen. Die Verpflegungskolonne 2/21 hatte nämlich am 15. und16. Februar 1916 zwischen Liqeni i Hotit und Koplik erbaulichesgeleistet. Dem Vat Nika nahm man dort 400 Oka Mais, 300 OkaHafer, 200 Oka Maisstroh, 200 Oka Heu, zwei Teppiche undzehn Hühner. Die zwei Bescheinigungen wurden auf dem Tisch

Page 540: Nopcsa Reisen Balkan

Weltkrieg (1914-1917)

526

liegen gelassen. Zef Preka hat folgenden Schaden: 500 Oka Mais,600 Oka Heu, zwei Filzdecken, drei Ziegenhaardecken, zweiBettdecken, eine gesteppte Wolldecke. Mirash Gjeloshi ausGruda in Montenegro erstattete eine Anzeige gegen einenOffizier mit rötlichem Schnurbart, der vor vierzehn Tagen inKoplik in Begleitung von zwei Tschakschir bekleideten Soldaten,daß man ihm, da er anderthalb Jahr als Flüchtling in Hause desBajraktars wohnte, dorten fünfzig Oka Gerste und zwanzig OkaTabak ohne Requisition nahm. Auch Mark Ujka in Ivanaj wurdegeschädigt. Die zwei zu Pferde reitenden Offiziere forderten ihreSoldaten deutsch auf in das Haus zu dringen, da auch Gewehreim Hause seien (der Einwohner versteht zufällig deutsch). DerEigentümer beschwor, kein Gewehr zu haben, und öffnete die Türfreiwillig. Als man eingedrungen war, erfolgte auch dort diePlünderung.

Die Soldaten plünderten den Krämerladen, nahmen zehnPack Kattunstoff, zwölf Pack weiße Leinwand, zwei Oka Zucker,ein Oka Kaffee und siebzehn Pack Zigarettenpapier. Solcheserzählten die Albaner von unseren Soldaten und, wennnaturgemäß auch nicht alles gerade wahr ist, so genügt dies dochimmerhin, um die Situation zu charakterisieren.

Einen in Prizren gestohlenen, sehr wertvollenBrautschleier konnte ich später auf der fahrt von Castellnuovoüber Sarajevo nach Brod bei einem Hauptmann selbst erblicken.

Auch aus anderen Orten, so aus Mirdita und Shëngjin,wurden analoge Vorfälle gemeldet und, was die Verwaltung vonShkodra und Umgebung anbelangt, so herrschte, da niemand eineVerantwortung hatte, jeder alles auf die Schultern des Anderenschob und niemand wußte, woran er war und wem er zu befehlenhabe, ein prächtiges Durcheinander. Mehrere Versuchemeinerseits, den Leuten einerseits beizubringen, daß wir jenen,die es verdienen, mit Güte und Fürsorge entgegenkommen,anderseits aber darauf sehen, daß unseren Befehlen unbedingt

Page 541: Nopcsa Reisen Balkan

Weltkrieg (1914-1917)

527

gehorcht werden muß, schlugen naturgemäß fehl. Ja sogar inMilitärkreisen waren Befehlen und Gehorchen teilweise zuverschiedenen, voneinander unabhängigen Begriffen geworden.Ein Korpskommandobefehl von Jänner verbot z. B., um die Leutezum Pflügen zu bewegen, daß Requirieren von Pflugochsen. Am30. Februar wurden dessen ungeachtet bei Bajza noch immerPflugochsen requiriert.

Das Fällen von Obstbäumen in der Stadt Shkodra wurde,um ein anderes Beispiel anzuführen, Ende Januar so wie dasZerstören von Moscheen verboten. Am 9. Februar fällte dasMilitär bei dem Hajdar Beg Dervishi sieben je 15 cm. dickeZwetschkenbäume, die einem gewissen Staja Jashari gehörten.Ferner einen Feigenbaum von 10 cm., einen Ölbaum von 15 cm.und fünf Pflaumenbäume, von denen drei ca. 25 cm. Durchmesserhatten, während die beiden anderen etwas dünner waren. Alsmeine irreguläre Mirditen in meiner Abwesenheit sich in einemDorfe Larushk einige Hausobjekte angeeignet hatten, herrschtebei den Pharisäern der Brigade Lörinczi, Zetter und Mordio. Hiergeschah Ärgeres unter den Augen des Korpskommandos, dochvertuschte man es, denn es handelte sich um k.u.k. Truppen.

Was sonst in Shkodra vorging, reihte sich diesenZuständen würdig an Seite. Es geschah z. B., daß in Tuz einMohammedaner deshalb von den von uns im Amte belassenenmontenegrinischen Behörden geprügelt und eingesperrt wurde,weil er öffentlich den allerhöchsten Kriegsherrn hatte hochlebenlassen. Aus dem Gefängnis entflohen, kam er nach Shkodra,erstattete die Anzeige, aber weder er noch seineGesinnungsgenossen trauten sich, weil ihre austrophileGesinnung bekannt war, in das von uns eroberte Montenegrozurück.

Solche Sachen schädigten unser Ansehen bei allen denwenigen, uns wirklich anhänglichen Albanern. OberleutnantReich seine großsprecherisch vorgetragene Meinung, er habe auf

Page 542: Nopcsa Reisen Balkan

Weltkrieg (1914-1917)

528

seinem ganzen Marsche durch Albanien das Gefühl gehabt, inFeindesland zu sein, die er sich offenbar damals gebildet hatte,als er in der Nacht unbelästigt und bloß von einem Albanerbegleitet von Orosh nach Lezha ritt, zeigte wieder ihrerseits, mitwelcher Sympathie die Subaltern-Offiziere der Bevölkerungdieses nach ihrer Annahme gegen den Willen der Bevölkerungeroberten Landes entgegenbrachten. Das die Kaufleute inShkodra die Anwesenheit unserer Truppen zu ungeheurenPreistreibereien benützten, ist ja ganz natürlich. Auch in Tiranawar dasselbe eingetreten. Dort vermochte ich aber durch Prügel,die ich persönlich anstellte, dem ein rasches Ende zu bereiten. InShkodra war die Regulierung der Preise in den Händen derIntendantur, und daher mußte alles dienstlich, offiziell undbürokratisch geleitet werden. Über Aufforderung des Intendantenbemühte ich mich, die verschiedenen ‘Hamster’ und Preistreiberzu eruieren, doch war dieses Unternehmen nicht so einfach, dennerst spät erfuhr ich, daß die Kaufleute ihren Kunden dasVersprechen abnahmen, sie nicht zu verraten, und daß dieAlbaner, uns überhaupt als ‘Fremde’ betrachtend, so wie zurSerben- und Türkenzeit es für eine Schande hielten, sichgegenseitig offen beim ‘Freunde’ zu verklagen. Erst nach diesenErfahrungen gelang es durch Aussendung einiger entsprechendbelehrten Konfidenten, manches zu erfahren, doch war es schwer,auf Grund solcher Anzeigen, bei denen der Name desKonfidenten verheimlicht werden mußte, eine gerichtlicheAmtshandlung zu beginnen . Zu Häuser - undGeschäftedurchsuchung ließ sich die Intendantur - da dieswirklich eine Handlung und nicht ein Geschreibsel gewesen wäre- nicht bewegen.

Alle Methoden der Kaufleute von Shkodra sind aus demnun folgenden Protokoll ersichtlich.

Shkodra, den 10. März 1916

Page 543: Nopcsa Reisen Balkan

Weltkrieg (1914-1917)

529

“Protokoll aufgenommen mit einem Konfidentendes Baron Nopcsa. Auf Baron Nopcsas Aufforderungbegab sich der Konfident heute früh auf die Suche nachZucker und unternahm den Versuch, ob Papiergeld undSilbermünze gleichwertig in Kurs stehen. Zuerst begabsich der Konfident in das Geschäft Shan Kol Leka(Dogaj e re) und verlangte dort ein Kilo Zucker. Shanließ sich versprechen, daß der Konfident niemandemhievon etwas sagen würde, darauf hieß er denKonfidenten später wiederkehren. Der Konfident begabsich hierauf in den Bazar in das Geschäft von Mark Zefi(Bruder des Bischofs von Pult) und bat erneut umZucker. Auch dieser verlangte das Versprechen, ihnniemandem anzuzeigen, was der Konfident durch einejesuitische Formel auch durchführte. Mark Zefi ließ ihneine Zeit lang warten, dann gab er ihm den Zucker, nahmjedoch nur Hartgeld in Bezahlung und teilte ihm weitermit, daß er auch Salz zu fünfzehn Piaster das Kilo habe.Der Konfident kaufte, wie ihm beauftragt worden war,den Zucker, sah gleichzeitig, wie Mark Zefi drei Leutenschwarzes Salz zu zwölf Piaster das Kilo verkaufte.Hierauf kam der Konfident in das Geschäft von Shan KolLeka zurück, erlegte auch dorten das geforderte Hartgeldund übernahm auch hier Zucker. Den Zucker überbrachteer behufs Einsichtnahme als Corpus delicti seinemAuftraggeber. Der Konfident gibt noch an, daß es denAnschein habe, als ob der Zucker aus den Privathäusernder Betreffenden geholt würde.”

Speziell der vorliegende Fall war deshalb interessant,weil der Konfident zu der Diözese Pult gehörte, und der Bischof,nebenbei einer unserer ‘Anhänger,’ ihm, falls er seinen Bruder

Page 544: Nopcsa Reisen Balkan

Weltkrieg (1914-1917)

530

angezeigt hätte, höchst wahrscheinlich unter irgendeinemVorwand exkommuniziert hätte.

Zwischen dem 18. Februar und Mitte März unterbreiteteich, um die tagtäglich unerquicklichere Situation einigermaßen zuverbessern, meinen vorgesetzten Behörden auch anderePropositionen.

Shkodra, den 1. März 1916“Über die Notwendigkeit, Hoti, Gruda und

Trepshi an Albanien anzugliedern: Die durch dieLondoner Friedenskonferenz durchgeführte natürlicheAbtrennung Hotis und Grudas von Albanien hat mancheunangenehme Folgen.

Die erste ist, daß die Grenze überhaupt nochnicht fixiert ist. Die Differenzen sind an beiliegenderSkizze ersichtlich, denn die internationale Kommissiongab das ganze Gebiet von Hoti an Montenegro, währendauf unseren Karten die offizielle Grenze, so wie sie imLondoner Friedensprotokoll fixiert wurde, durch dasGebiet von Hoti hindurchführt. Auf diese Weise ergibtsich, daß von der Bevölkerung und den montenegrinischeBehörden andere Gebiete als zu Montenegro gehörendbetrachtet werden, als von unseren Truppen.

Andere Gründe, weshalb die Zuweisung vonHoti und Gruda nötig scheint, sind folgende.

In beiden Gebieten sind, obzwarmontenegrofeindliche und austrophile Elementevorhanden sind, noch immer jene Leute in Amt undWürden, die montenegrofreundlich gesinnt sind. Ausdiesem Grund wenden sich die k.u.k. Truppen beiRequisitionen vorwiegend an unsere Parteigegner undwerden daher so wie jetzt noch Schikanen unterworfen,während die Montenegriner schadlos ausgehen. Durch

Page 545: Nopcsa Reisen Balkan

Weltkrieg (1914-1917)

531

solche und ähnliche Vorgänge verlieren wir in Hoti undGruda jetzt noch mehr an Boden als bisher, und dasbißchen Vertrauen, das man uns entgegenbrachte, mußvöllig schwinden. Es ist zu befürchten, daß die gleicheParteilichkeit zugunsten der albanisch gesinnten Parteibei jeder Notstandsaktion zum Durchbruche gelangenwird.

Der Anbau am Ostufer des Shkodrasees und beiLiqeni i Hotit leidet, da das Ochsenrequirierungsverbotauf Hoti und Gruda als zu Montenegro gehörend aufgleicher Weise nicht ausgedehnt wurde.

Zahlreiche Hoti und Gruda verließen ausFeindschaft gegen Montenegro bei der Angliederungihrer Stämme an Montenegro diese Gebiet und habenwährend des letzten Kriegs die Montenegrinerangeschossen oder deren Parteigänger erschossen. Dieseruns ergebene Teil der Bevölkerung traut sich auchüberhaupt nicht nach Hause zurück. Ich nenne bloß dieNamen Nik Smajli in Trabojna und Gjek Uci inLulashpepaj. Auch diese Leute sind zu unterstützen, dasie bei Unruhen in Montenegro noch gut verwendbar seindürften. Endlich war die von den montenegrinischenBehörden und deren Vertrauensmännern mit besonderemEifer vollzogene Entwaffnung von Hoti und Gruda,während in anderen orthodoxen Teilen die Entwaffnunglaxer durchgeführt wurde, gleichfalls ein Fehler. AlsBeleg, daß in anderen Teilen die Entwaffnung wenigerstreng durchgeführt wurde, diene nur die Aussage desOberleutnants Veranutti aus Castellnuovo, der diezwischen Pljevlje und Kolašin abgelieferten Waffen aufWagen verladen sah und konstatierte, daß vorwiegendalte Waffen abgeliefert worden waren.

Page 546: Nopcsa Reisen Balkan

Weltkrieg (1914-1917)

532

Als Beleg dafür, daß in Montenegro selbst miteiner Aktion gegen die Monarchie gerechnet wird, dientdie Tatsache, daß der ehemalige presedniku von Kastratieinen Albaner namens Prek Gjeta Ceka ca. am20. Februar nach Kastrati schickte und den Leuten inKastrati sagen ließ, daß er in vierzehn Tagen, also ca. um8. März, wieder in Kastrati residieren würde.

Auch im Interesse einer strengerenGrenzkontrolle wäre Hoti und Gruda mit Albanien zuvereinen, denn in einem durch die Nationalitäteinheitlichen Gebiete ist jede Kontrolle leichterdurchführbar, als wenn ein Teil derselben Nation imAuslande (in diesem Falle Montenegro) wohnt. Da sichendlich unsere Diplomatie auf der LondonerFriedenskonferenz erst nach langem Sträuben zurAngliederung von Hoti und Gruda an Montenegroentschloß, wäre die Rückgängigmachung des letztennoch existierenden Punktes der LondonerFriedenskonferenz nur natürlich.

D i e s e i n e r z e i t i g e t e m p o r ä r emontenegrofreundliche Gesinnung von Hoti und Grudawar endlich auch nur eine Frucht von Graf AehrenthalsPolitik, als er die Entwaffnung der katholischen Albanerdurch die Jungtürken 1910 zuließ. Ich habe die Ehregehabt schon damals, bevor noch die Entwaffnungdurchgeführt war, Grafen Aehrenthal und ExzellenzConrad persönlich darauf aufmerksam zu machen, daßdurch diese Vorgänge die an Montenegro grenzendenStämme den Montenegrinern gewaltsam in die Armegetrieben werden.”

Fr. Baron Nopcsa

Page 547: Nopcsa Reisen Balkan

Weltkrieg (1914-1917)

533

Da diese und andere Vorschläge nicht beachtet wurden,trat ich trotz meines bequemen Lebens in Shkodra endlich, umvon Albanien weg zu können, mit der Bitte hervor von demOberkommando mit dem Abfassen einer wissenschaftlichenMonographie des eben besetzten Gebietes betraut zu werden.Meine Bitte fand allgemeinen Anklang, denn alles war froh, sichauf diese Weise den ekelhaften, nie Ruhe gebenden Stänkerer, dersich die Frechheit herausnahm, die Aufmerksamkeit seinerVorgesetzten auf Unterlassungen zu lenken und ihrNachmittagsschläfchen zu beunruhigen, los zu werden.Gleichzeitig übergab ich folgendes Memorandum.

Shkodra, den 3. März 1916“Da die Bevölkerung Nordalbaniens uns infolge

unseres Energiemangels bereits auszulachen beginnt undsich in derselben bald die Meinung festwurzeln dürfte,mit uns das machen zu können, was ihr beliebt, sehe ichmich, um mir einen späteren Vorwurf zu ersparen,warum ich als Kenner der Verhältnisse die k.u.k.Militärbehörden nicht zu einem energischeren Vorgehenaufgefordert habe, veranlaßt, alle jene energischen oderhalbwegs energischen Schritte und Vorschläge zuresumieren, die ich bei aller sonstigen Güte gegen dieBevölkerung unternommen oder proponiert habe.

Am 20. Jänner forderte ich den Pfarrer vonBlinisht wegen allgemein bekannter Serbenfreundlichkeitauf, sich nach Prizren zu begeben und den dortigen k.u.k.Militärbehörden zur Verfügung zu stellen, damit sein Falluntersucht werde, und informierte Hauideal 57. Am22. Jänner wiederholte ich die Aufforderung. Am25. Jänner ließ ich dem Pfarrer drohen. Am 27. Jännerging er nicht nach Prizren sondern nach Shkodra undwurde infolge von Hauptmann Mari…iƒ seiner

Page 548: Nopcsa Reisen Balkan

Weltkrieg (1914-1917)

534

Intervention unbelästigt nach Blinisht zurückentlassen.Am 4. Februar urgierte ich bei Hochsatan erneut in einemlangen schriftlichen Bericht die Verhaftung und machtedas Militär auf die bösen Folgen einer solchenUnterlassung aufmerksam. Resultat null. Am 21. Jännerverlangte ich von Hochsatan telegrafisch, daß dem PrenkBib Doda (damals noch in Cetinje) und dem Marka Gjonidie Rückkehr nach Albanien unmöglich gemacht werde.Marka Gjoni traf am 22. Jänner in Orosh ein. Am27. Jänner fand ich, daß meine Depesche noch beiHauideal 57 lag. Am 27. Jänner urgierte wenigstensPrenk Bib Dodas Entfernung. Konsul Rudnay meinte,Marka Gjonis ‘Verschwinden’ wäre erwünscht. Am4. Februar meldete ich Hauideal, daß ich dieses‘Verschwinden’ durchführen könnte, doch müßte derTäter straflos ausgehen. Am 13. Februar erfuhr ich, daßPrenks Name an erster Stelle auf einem für dieÖffentlichkeit bestimmten Aufrufe unterschrieben war,und bat infolgedessen Hochdruck telegrafisch mir meineAbreise aus Albanien zu gestatten.

Das Affichieren des Aufrufes unterblieb. Prenkblieb in Shkodra und wurde feierlichen Zeremonienbeigezogen und hierdurch öffentlich geehrt. Marka Gjonikam am 2. Februar auch nach Shkodra. Am 3. und4. Februar prügelte ich einige Leute in Lezha, und dieFolge war, daß der Stationskommandant sich genötigtsah, Hochsatan darauf aufmerksam zu machen, wie sehrich ihm bei einigen Sachen in Lezha helfen konnte, daalle seine Befehle prompt ausgeführt würden. Am 5.Februar verlangte ich telegrafisch, daß Sadri Keçe inLezha, Alush Loja in Shkodra und Lek Mirash Luka inKastrati öffentlich gehängt werden, um weitereHinrichtungen zu ersparen. Resultat null. Am 18. Februar

Page 549: Nopcsa Reisen Balkan

Weltkrieg (1914-1917)

535

erfuhr ich, daß Sadri Keçe aus der Haft entsprungen seinsollte, fragte wegen Einleitung von Recherchendiesbezüglich beim Korpskommando an. Bis heute(3. März) keine Antwort.

Am 19. Februar erfuhr ich, daß zwei Shalas vonje einem Gashi und Krasniqi ermordet wurden, bat, daßdas Militärkommando in Gjakova interveniere und dieMörder verhafte und hinrichte (da allenthalben besaverhandelt worden war). Resultat null. Dann drang miram 24. Februar ein Gerücht zu Ohren, daß in Krasniqi einweiterer Shala ermordet worden wäre. Ich brachte denFall überhaupt nicht mehr zur Anzeige. Um den18. Februar erfuhr ich, daß die Kaufleute ihre Warenwegen der Höchstpreise zurückhielten und versteckten.Mündlich proponierte ich der Intendantur sofortigeHaus-, Magazin- und Haremdurchsuchungen mit Militär.Es geschah nichts. Am 23. Februar wird geheim derZucker zu 25-30 Piaster die Oka verkauft. Kaffee war zuhöheren Preisen noch leicht zu finden. Resultat mithinnull.

Außerdem sah ich mich veranlaßt, einen Vorfallbei Grivzha zu melden, da dort um den 27. auf unsereTruppen geschossen worden war. Leutnant Makkay hatmeines Wissens den Vorfall seinem Vorgesetzten, demHauptmann Phillip (Koplik), gemeldet. Am 1. März waraber meines Wissens noch nichts geschehen.”

Fr. Baron Nopcsa, Oberleutnant.

Bald traf ein Telegramm ein, daß ich mich zu meinemRegiment-Kader nach Marosvásárhely zu begeben hätte. Dannbeantwortete ich Konopiczkys Anfrage vom 19. Februar, dieAufstellung der albanischen Freiwilligen betreffend. Ichtelegrafierte Bajazid, daß er von Gjakova mit meiner Bagage nach

Page 550: Nopcsa Reisen Balkan

Weltkrieg (1914-1917)

536

Shkodra kommen sollte, unterhielt mich prächtig darüber, daßanläßlich einer wegen Nichteinhalten der Höchstpreise erfolgtenVerhaftung des Bäckers Tom Koça sofort, allerdings infolgemeines Dazwischentretens erfolglos, beim Polizeichef vonShkodra schriftlich der k.u.k. Vizekonsul Baron Abele, derErzbischof Msgr. Sereggi, der Erzabt, Msgr. Doçi und dieSchulbrüder intervenierten. Endlich verlangte ich einenvierzehntägigen Urlaub nach Wien und Budapest und machtekein Geheimnis daraus, daß ich diesen dazu benutzen würde, umdort unverhohlen über die in Nordalbanien herrschendenZustände zu berichten.

Als ich schon meinen Urlaub in der Tasche hatte, gab eszwischen mir und dem Generalstabsobersten Lustig eine heitereSzene. Oberst Lustig erblickte mich eines Tages mittags in derOffiziersmesse und befahl mir am folgenden Tage vormittags indie Korpskommandantenkanzlei zu kommen, um beim feierlichenEmpfange einer albanischen Deputation Dolmetscher zu sein. Daich schon auf Urlaub war und mir weder das Frühaufstehen nochalles, was mit dieser Funktion zusammenhing, paßte, machte ichihn aufmerksam, daß mein Nachfolger als Dolmetscher schonernannt sei und ich schon Urlaub hätte. Leider schnitt mir derOberst alle diese Einwände mit den kurzen Worten, “Ich befehlees ihnen,” ab. Kaum war dies geschehen, so betrat derKorpskommandant, Exzellenz Trollmann, den Speisesaal undkonnte nicht umhin, mich, da ich mich in die Nähe der Türegestellt hatte, zu erblicken. Auch er forderte mich auf amfolgenden Tage als Dolmetsch zu ihm zu kommen. Ich machteauch ihn aber aufmerksam, daß mein Nachfolger schon ernanntsei und daß ich es nicht für kameradschaftlich hielt, ihm dieseEhre vor der Nase wegzuschnappen. Trollmann wußte nicht, daßmein Nachfolger kaum albanisch konnte, fand meine Bemerkungsehr korrekt und kameradschaftlich, lobte mich vor OberstenLustig, der zu zerplatzen drohte, und gab Lustig den Befehl, daß

Page 551: Nopcsa Reisen Balkan

Weltkrieg (1914-1917)

537

zur morgigen Feier nicht ich sondern mein Nachfolgerheranzuziehen sei. Am folgenden Tag verließ ich Shkodra zurkritischen Zeit zu Pferd und erst, als die albanische Deputationfeierlich vor dem Korpskommandanten stand, entpuppte es sich,daß mein Nachfolger albanisch nicht verstand. Da ich nicht inShkodra war, suchte man mich vergebens, und erst nach langemWarten und Herumlaufen gelang es in Hilë Mosi (einem deutschredenden Albaner) einen geeigneten Dolmetscher zu finden.Freilich war der feierliche Empfang nicht so schön abgelaufen,wie es im Programm war. Einer Bitte Lustigs wäre ich obzwar aufUrlaub möglicherweise nachgekommen. Sein selbstbewußtesAuftreten erwies sich aber als verfehlt.

Über Cattaro (Kotor), Castellnuovo, Sarajevo undBosnisch-Brod gelangte ich am 19. März nach Budapest, redetezuerst mit Hazai, bat wieder als Kundschaftsoffizier gegenRumänien zu werden und erzählte ihm und am 23. März auchGrafen Tisza kurz, was ich alles in Albanien zu beanstandenhätte. Hazai meinte, ich sollte hievon Baron Burian verständigen.Dies erfolgte dann auch bei meinem Eintreffen in Wien gegenEnde desselben Monats. Burian gegenüber hob ich speziellfolgende Punkte hervor.

Erstens war bei Plana am Matiflusse eine partielleEntwaffnung der Albaner durchgeführt worden. Als aber dieentwaffneten Einwohner von Plana von bewaffnet gebliebenenLeuten aus Kthella ausgeraubt wurden, und sich um Schutz anunsere Truppen wandten, da erklärten diese, daß sie die Sachenichts angehe.

Zweitens beanstandete ich, daß im Lande trotz desBefehles alles nur gegen Barzahlung oder Ausfolgen vonRequisitionsscheinen zu nehmen, noch immer allerlei ohneQuittung genommen wurde, daß dann den Einwohnern, dieAnalphabeten sind, verboten wurde, diesbezügliche Klagenmündlich vorzubringen und daß endlich die wenigen Schreiber

Page 552: Nopcsa Reisen Balkan

Weltkrieg (1914-1917)

538

der Stadt Shkodra, an die die des Lesens und Schreibensunkundigen Bauern mit der Bitte herantraten, Klageschriften zuverfassen, verwarnt worden waren, solche zu schreiben, da dieIntendantur mit Klageschriften überlaufen werden würde.

Ein weiterer Punkt, gegen den ich Einwände machte,bildete die fortgesetzte Ehrung Prenk Bib Dodas, den man z. B.bei allen in Shkodra Exzellenz Kövess zu Ehren veranstaltetenFeierlichkeiten heranzog, obzwar seine italophile Gesinnungoffen zutage lag. Daß sich das Korpskommando in alteBlutracheangelegenheiten rp. Morde eingemischt hatte, die nochvor der Zeit der Serbenherrschaft begangen worden waren, unddeshalb einen Menschen einsperren ließ, während zahlreicheandere unbehelligt blieben, war gleichfalls etwas, was ich alsunzweckmäßig beanstandete, denn dadurch wurde allerhand jetztbereits ganz unkontrollierbaren Klagen Tür und Tor geöffnet.Übrigens hatte ich dieses Vorgehen schon in Shkodra HauptmannMari…iƒ gegenüber offiziell und öffentlich als die denkbar größteDummheit bezeichnet.

Als letzten Punkt beanstandete ich, daß in Shkodra zwarmit vielem Pflanz, vielen Befehlen und Regulativen und einerriesigen Toraufschrift ein Passant eröffnet worden war, um denPersonenverkehr mit Montenegro zu unterbinden, daß aber diePaß- und Grenzkontrolle gegen Montenegro eine so mangelhaftewar, daß nicht nur Montenegriner in Booten nach Kamnica undvon dort ungehindert nach Vraka kommen konnten, sondern daßich und ein Kastrati, nämlich Luk Prel Nishu, und zwar beide inalbanischer Tracht und bewaffnet und ohne Legitimation beihellichtem Tag mitten durch das Zeltlager desGrenzsicherungsdetachements bei Han i Hotit nach Montenegrohineingegangen waren, dort in einem Hause Kaffee tranken undspäter auf einem anderen Wege, nämlich der im Bau befindlichenChaussee, ebenso unbehelligt wieder nach Vukpalaj in Albaniengelangen konnten.

Page 553: Nopcsa Reisen Balkan

Weltkrieg (1914-1917)

539

Auch diesen Vorfall hatte ich seinerzeit als argumentumad hominem dem Korpskommando gemeldet. Mein Vorgehenhatte mir bei den in Betracht kommenden höheren Instanzen nurwenig Freunde erworben, aber dennoch blieb alles beim Alten.Kurze Zeit darauf empfing ich mitten in Shkodra eine aus siebenMann bestehende Deputation aus dem in Montenegro gelegenenTrepshi, deren Mitglieder gleichfalls ohne Legitimation zu mirgekommen waren und ohne solche wieder nach Hause kehrten.

Daß bei solchen Zuständen auch das Gericht und diePolizei nur mangelhaft funktionierten, ist erklärlich. Als Beleghiefür kann die Tatsache gelten, daß obzwar Shkodra am23. Jänner besetzt worden war, noch am 14. März sich IntendantRajakoviƒ genötigt sah, mich aufzufordern, zusammen mit ihmals Beisitzer neben dem nominellen Polizeichef Hilë Mosi einigeGerichtsverhandlungen zu leiten und am folgenden Tage, da ichverhindert war, hiezu an meiner Stelle den eben dienstfreienOberleutnant Reach mit sich nahm. Die Nachricht, daß ich michals Gerichtsvorsitzender, da ich nie Jurist war, nur vom gesundenMenschenverstand leiten ließ, wird einige Juristen gewißentsetzen.

Als ich alle diese Zustände Ende März Baron Buriangeschildert hatte, gab er zu, daß ihm gar manches über dieMißwirtschaft in Albanien bekannt sei, daß die Militärs dieAlbaner nicht zu behandeln verständen, daß sich aber daran,solange das Gebiet Etappenraum sei, nichts ändern ließe. Ichsagte ihm, daß sich daraus auch in Albanien, wie überall amBalkan ein dauernder Haß gegen uns entwickeln würde und esmöglicherweise sogar zu lokalen Schießereien kommen würde.Dann fragte er mich, ob ich die Militärbehörden auf dieses undjenes aufmerksam gemacht hätte. Ich las ihm die Kopien meinerBerichte vor. Er begann über deren Ton zu lachen. Damit warunsere Unterredung zu Ende, und alles blieb beim Alten.

Page 554: Nopcsa Reisen Balkan

Weltkrieg (1914-1917)

540

Wie ich später von Generalkonsul Kral erfuhr, hatte dasArmee-Oberkommando meine Entfernung aus Albanien schon zueinem Zeitpunkte angeordnet, als es von meinem Wunsche vondort fortzukommen noch nichts wußte, und zwar lag der Grundmeiner Entfernung aus Albanien darin, daß ich erstens dieSituation dort besser kannte als die erst anläßlich der Okkupationdorthin gelangten höheren Offiziere und dann darin, daß ichGeneralkonsul Krals Partei ergreifend mich als Subaltern-Offizierdoch nicht scheute, diese höheren Offiziere auf etwaigeDummheiten und Schweinereien öffentlich aufmerksam zumachen, was ihnen beides gleich peinlich war und verhindertwerden mußte.

Darüber, was man während meiner Anwesenheit inAlbanien tat, habe ich schon berichtet. Zur Illustration dessen,wie man in Albanien nach meiner Entfernung vorging, könnenfolgende die albanischen Freischaren betreffende Begebenheitendienen. Mit der Aufstellung der Freischaren waren nach meinerEntfernung verschiedene militärische Kommanden betrautworden, und da geschah es nun, daß sich aus der unkriegerischenZadrima, deren Bevölkerung schon seinerzeit nicht demRäuberhandwerke sondern ausschließlich dem Ackerbau oblag,so wenige Freiwillige meldeten, daß dies den höheren Stellenauffiel und der dortige Kommandant gefragt wurde, weshalb diesso sei. Der Umstände unkundig, daher unfähig, den wahrenGrund anzugeben, anderseits aber befürchtend, daß die geringeAnzahl der aus seinem Bezirk gemeldeten Freiwilligen ihn beiseinen Vorgesetzten in ein schiefes Licht stellen würde, beschloßnun dieser Kommandant dem Übelstande abzuhelfen und, obzwarder Korpskommandant feierlich versprochen hatte, daß keinAlbaner zum Militärdienst gepreßt würde, ließ er, wie michGeneralkonsul Kral versicherte, eines Sonntags während derMesse eine in der Zadrima befindliche Kirche mit Militärumzingeln und dann entließ er nach der Messe bloß die Frauen

Page 555: Nopcsa Reisen Balkan

Weltkrieg (1914-1917)

541

und die Nichtwaffenfähigen aus der Kirche. Die waffenfähigenJünglinge wurden jedoch verhaftet und als ‘albanischeFreiwillige’ gewaltsam an die Freiwilligensammelstelleeskortiert. Die Reklamationen der Verwandten der zumMilitärdienste gepreßten Leute wurden ebensowenigberücksichtigt wie die Berufung auf das Korpskommandantengegebenen Versprechen. Dies geschah im Sommer des Jahres1916.

Im Frühjahre 1917 ereignete sich mit albanischenFreiwilligen südlich des Ohridsees eine andere Sache. Schon imFebruar war das Ärar den Freiwilligen den Sold schuldiggeblieben, und die beschlossen darum, sofern ihnen derversprochene Sold nicht gezahlt würde, wegzulaufen. Um dies zuverhindern und die rechtzeitige Auszahlung des Soldes für EndeFebruar zu sichern, lenkte der Kommandant dieser Freiwilligendie Aufmerksamkeit seiner Vorgesetzten schon Mitte Februar aufdiesen Umstand, bekam aber nur eine Rüge, weshalb er sich umunzeitgemäße Sachen kümmere. Ende Februar war der Sold aberimmer noch ausständig, und so mußte sich dann der Kommandantder Freiwilligen, um das Auseinanderlaufen seiner Truppe zuverhindern, an wohlhabende Albaner wenden und sie bitten, ihmdie nötige Summe privatim vorzuschießen. Da die albanischenBeys schon damals im Klaren waren, daß auf ein Versprechen desk.u.k. Militärs kein Verlaß sei, erklärten sie sich dazu nur in demFalle bereit, daß ein kaiserlich deutscher Offizier ihnen dierechtzeitige Rückerstattung der vorgestreckten Summegarantieren würde und dann liehen sie, als ihnen diese Garantiegeboten wurde, also als ein deutscher Offizier fürösterreichisch-ungarische Truppen gutgestanden hatte, das Geldher. Auch diese beschämende Garantie konnte nun aber darannichts ändern, daß den Beys trotz mehrfachen Urgierens derfällige Betrag bis Mitte April noch immer nicht zurück erstattetwurde. Vor mir solche Sachen zu verbergen, dazu hatten infolge

Page 556: Nopcsa Reisen Balkan

Weltkrieg (1914-1917)

542

meiner Aufrichtigkeit und meiner Verbindungen allerdingssowohl das Korpskommando von Shkodra als auch das Armee-Oberkommando freilich alle Gründe. Meinen Urlaub verwendeteich dazu, um eine bessere Einteilung als zum Kader des 9.Husarenregimenten zu bekommen, und es gelang auch.

Da ich nach Albanien nicht von Marosvásárhely sondernvon Temeswar abgegangen war, bat ich einfach denHonvéd-Minister Hazai, mich wieder dem MilitärkommandoTemeswar zur Verfügung zu stellen. Er tat es auch, und so warich denn im April 1916 wieder als Nachrichtenoffizier inVerwendung. Vor allem galt es die seit November vorigen Jahresunterbrochene Verbindung mit Rumänien wiederherzustellen.

Nach geraumer Zeit gelang dies endlich, und soverabredete ich mit Juon Jovan ein Rendezvous am Borescu Micim Retezatgebirge, um von hier aus auf bekanntem Wege inJuons Begleitung erneut nach Rumänien zu dringen. Obzwarunwohl begab ich mich am festgesetzten Termin (Ende Mai)natürlich wieder in Bauerntracht nach Gura Apilor und von da amfolgenden Tage allein zur Schäferhütte Borescu Mic, dochgelangte ich infolge des zunehmenden Unwohlseins undeinsetzenden Fiebers, ferner wegen des aufgeweichten,stellenweise brusthohen Schnees bei einsetzendemSchneegestöber erst abends an das Ziel. In der Hoffnung einenUnterschlupf zu finden, öffnete ich die Tür der Hütte, fand aberzu meinem Schrecken, daß während des ganzen Winters derSchnee durch alle Fugen des Daches und die bloß ausKlaubsteinen bestehenden Mauern überall in die Hütteeingedrungen war, daß zwar um die Hütte der Schnee etwasabgeschmolzen, daß aber im Inneren die Hütte fast bis oben mitSchnee erfüllt war. Wollte ich nicht, fieberkrank wie ich war,außerhalb der Hütte im Schneegestöber schlafen, so mußte ichvorerst einen Teil des Schnees aus der Hütte entfernen. Trotz desimmer heftiger werdenden Fiebers gelang es mit Hilfe eines aus

Page 557: Nopcsa Reisen Balkan

Weltkrieg (1914-1917)

543

dem Schnee herausragenden Brettes, das ich nach langer Arbeitaus dem Schnee frei machte, endlich in der Nähe der Feuerstätteso viel Schnee aus der Hütte zu entfernen, daß ich mich, als esdunkel wurde, niederlegen und etwas erholten konnte. Dannwollte ich gerne einen Imbiß zu mir nehmen. Leider hatte ichaber, um in Rumänien durch meinen Proviant nicht verraten zuwerden, wie es sich für einen Hirten schickt, zum Essen nur Käse,Polenta und Speck mitbringen können und Anbetracht meinesZustandes mußte ich daher auf ein Nachtmahl verzichten. Da sichin der Hütte unter dem Schnee ein wenig Brennholz aufgestapeltvorfand, konnte ich mich immerhin erwärmen, allerdingsdauerten Licht und Wärme nicht lange. Den größten Teil derNacht verbrachte ich in meinem Pelz am Erdboden liegend in derDunkelheit und schlaflos. Die einzige Unterbrechung bestanddarin, daß ich mehrfach aufstand und die sich gegen außenöffnende Hüttentür mit Gewalt öffnete, denn infolge desSchneegestöbers war ein Eingeschneitwerden zu befürchten.

In der Frühe des folgenden Tages war meinGesundheitszustand so schlecht, daß ich auf ein Eindringen nachRumänien, was einen Dauermarsch von ungefähr 100 km.bedingt hätte, verzichten mußte, ja im Nebel und Schnee nichteinmal sicher war, den Rendezvousplatz zu finden. Ichverzichtete daher auf dieses Unternehmen, ließ wegenzunehmender Schwäche mein ganzes überflüssiges Gepäck undmeinen Proviant in der Hütte, wo ich übernachtet hatte, undtrachtete wieder nach Gura Apilor zu gelangen. Bis auf die Spitzedes Borescu ging alles, obzwar ich alle hundert Schritte rastenmußte, immerhin leidlich. Dort verirrte ich mich aber beimweglosen Abstiege im Nebel, und eine mehrstündige wegloseWanderung hatte nur das zur Folge, daß ich endlich keineAhnung mehr hatte, wo ich mich befand. In totaler Erschöpfunglegte ich mich im Schneetreiben zu Boden, um den Kampfaufzugeben und mich vom Schnee einhüllen zu lassen. Meine

Page 558: Nopcsa Reisen Balkan

Weltkrieg (1914-1917)

544

eigene Fährten waren im Schneetreiben bald verschwunden.Nahrung hatte ich seit sechsunddreißig Stunden keine zu mirgenommen, die ganze Nacht hatte ich gefiebert, und der Willezum Widerstande war geschwunden. Ich mochte eine halbeStunde gelegen haben, und schon hatte der Schnee bei meinemRücken einen erheblichen Wall gebildet, als auf einenAugenblick der Nebel sich aufteilte. Ich sah in der Ferne dieundeutlichen Umrisse eines lang gestreckten Bergzuges undkonnte daher vermuten, daß ich das Tal des Scurtele-Baches zumeinen Füßen hatte.

Diese Entdeckung gab mir neue Kraft, und ich trachtetewieder auf den Borescu zu gelangen. Auf Händen und Füßenschleppte ich mich jetzt konstant bergauf weiter. Es gelang mirdie Borescu-Spitze, auf der ich mich verirrt hatte, erneut zuerreichen. Zufällig gelang es dann, den Abstieg zur Stina BorescuMare zu finden. Bergab vermochte ich auf einem altenSchneefeld sitzend zu Tal zu fahren und endlich nach mehrfachenRasten gelangte ich gegen Abend nach Gura Apilor, wo ich Milchbekam und mich erholen konnte.

Da das Rendezvous mit Juon total mißglückt war,vergingen wieder Wochen, bis ich die Verbindungwiederherstellte, denn ich mußte, damit Juons Tätigkeit denrumänischen Behörden durch die aus Ungarn kommendenzensurierten Briefe nicht bekannt wurde, mit Bleistift und inverstellter Bauernschrift unverfängliche Briefe schreiben, indenen auch ein seine nicht existierende Gattin betreffender Satzvorkam. Dieser Satz war für ihn das Zeichen, den Brief zuerwärmen. Dann wurde erst der eigentliche mit Zitronensäuregeschriebene Inhalt des Briefes sichtbar. Die Verzögerungenergaben sich daraus, daß ich unserer im Herbste 1915 getroffenenVerabredung gemäß alle Briefe an A. B. im Dorfe R.weiterschickte, worauf sie dieser, ohne von ihrem wahren Inhalteeine Ahnung zu haben, freilich höchst unregelmäßig an Juon

Page 559: Nopcsa Reisen Balkan

Weltkrieg (1914-1917)

545

weiterschickte. Daß ich diesem umständlichen Weg wählte,geschah, weil ein unserem Nachrichtenoffizier Popescul imNovember 1915 übergebener Brief Juon erst im März 1916erreicht hatte. Unser offizieller Nachrichtendienst in Rumänienfunktionierte also noch langsamer. Er war eben in Rumänien fastebenso elend wie in Rußland. Als es nun so weit war, daß ichwieder daran denken konnte, mit Juon zusammen nach Rumänienzu dringen, wurde mir dies auf Befehl des Armee-Oberkommandos vom Militärkommando Temeswar verboten.

Meine Aufgabe über rumänische WegbautenErkundigungen einzuziehen, war durch dieses Verbot zurUnmöglichkeit geworden, doch trachtete ich meiner Missionimmerhin auch jetzt noch dadurch nachzukommen, daß ich dieseErkundigungen durch Juon und einen mir später zurDienstleistung zugeteilten Nikulaj einzog.

Um diese Zeit reichte die UngarischeGeologische Landesanstalt, die verschiedene Geologen auf denBalkan sandte, ein Gesuch beim Armee-Oberkommando ein,mich gleichfalls als Geologen auf den Balkan schicken zu dürfen,doch wurde dieses Gesuch mit der Bemerkung, daß ichaugenblicklich unentbehrlich sei, zurückgewiesen.

Im Sommer 1916 verschlechterte sich die Situation mitRumänien zusehends. Schon am 1. August hatte ich in Temeswarmeine diesbezüglichen Bedenken gemeldet. Seit dem 15. Augustwaren ich und meine Leute jeden Augenblick auf dieKriegserklärung gefaßt und, als Nikulaj zuletzt nach Rumänienging, erhielt er nicht nur Instruktionen, was er in Baia de Aram|zu tun hätte, sondern auch wie er sich im Falle einesKriegsausbruches zu verhalten habe.

Ich beobachtete scharf, was in Baia de Aram| vorging,und während dieser Tätigkeit brach dann, als eben Juon undNikulaj in Rumänien waren und ich ihre Meldungen in Szacsalerwartete, der rumänische Krieg aus. Noch zwei Tage vorher

Page 560: Nopcsa Reisen Balkan

Weltkrieg (1914-1917)

546

hatte ich über die Möglichkeit eines rumänischen Krieges fastnoch einen Streit mit meinem Vater gehabt, der an so etwas nichtglauben wollte. Wie wenig man in den offiziellen KreisenUngarns auf die Kriegserklärung Rumäniens gefaßt war, geht ausder Tatsache hervor, daß der ungarische Minister des Inneren,Exzellenz Sandor János, auf die telefonische Meldung desObergespannen von Brasso (Kronstadt, BraÕov), Grafen Mikes,daß die Rumänen Predeal besetzt hätten, lachend zurücktelefonierte, Mikes solle doch nicht aufsitzen, denn man hätte ihnja zum Narren gehalten und der darauf vom verzweifeltenObergespann angerufene Zivilkommissär von Siebenbürgenungefähr dasselbe wiederholt.

Ich erfuhr den Kriegsausbruch in Szacsal erst vierzehnStunden nach der Kriegserklärung und auch das nur zufällig, alsdie Rumänien schon in Lupeny (Lupeni) waren. Vor allem fuhrich nach Hatzeg, um mich zu erkundigen, ob es wahr sei, dannnach Boldogfalva, um nach den Kendeffy-Kindern zu schauen,und dann nach Hause, um das Nötige zu veranlassen, damit dasSchloß in achtundvierzig Stunden geräumt werde, denn meinVater war vierundzwanzig Stunden vor der Kriegserklärung nachUjárad gefahren.

Da meine Eltern auf mein Betreiben die wertvollstenSachen teilweise schon 1915 und die letzten im Juni 1916 ausSzacsal entfernt hatten, waren im Schloß nur die modernenMöbel zurückgeblieben. Es galt also nur die besten unter diesenund verschiedene Kleinigkeiten zu entfernen. Mit Hilfe desVerwalters und einiger Bauer packte ich bis abends, was ichkonnte, dann wollte ich, so bald wie möglich an die rumänischeGrenze gelangen. Ich fuhr also noch abends nach Malomviz. DerNotar beschaffte mir ein Pferd, und hierauf ritt ich in der Nachtzu dem 40 km. weit entfernten Gura Apilor unweit derrumänischen Grenze.

Page 561: Nopcsa Reisen Balkan

Weltkrieg (1914-1917)

547

Unseren Verabredungen gemäß hätte Nikulaj, da er keinerumänischen Legitimationspapiere besaß, beim Ausbruche desrumänischen Krieges Baia de Aram|, das er bei Fortbestand desFriedens vom 15. August bis zum 1. September zu beobachtenhatte, sofort zu verlassen gehabt, um zu Lunka Berhini zukommen. Ich wollte ihn daher jetzt so bald wie möglich treffenund deshalb eilte ich, freilich auch, um, wenn nötig, nachRumänien dringen zu können, in Bauerntracht ins Gebirge.Während des Rittes eruierte ich unterwegs die Punkte, die imFalle des Rückzuges unserer Grenzposten zu sprengen wären, umdie gegen die Grenze führenden Saumwege ungangbar zumachen, belegte das bei den in Retezat tätigen Holzarbeiternbefindliche Dynamol mit Beschlag und veranlaßte in derGendarmeriekaserne, daß der vor den rumänischen Truppen ausLunka Berhini überflüssigerweise zurückgegangeneGrenzsicherungsposten Lunka Berhini wiederbezogen wurde. ImGebirge erfuhr ich bald, daß Nikulaj, obzwar er hiezu längst Zeitgehabt hätte, noch immer nicht aus Rumänien zurückgekehrt war.Ich wurde, da ich ihn eines Verrates für unfähig hielt, sehr um ihnbesorgt und beschloß, da ich ohne Nikulaj oder Juon ausRumänien keine Nachrichten einziehen konnte und doch nichtuntätig bleiben wollte, nun mich vorläufig um solchen Sachen zukümmern, die außerhalb meiner Aufgaben lagen. Daß ich später,falls Nikulaj ein Unfall zugestoßen wäre, dies von Juon trotz allerSchwierigkeiten irgendwie erfahren würde, dessen war ich sicher.Ich sorgte also im Gebirge noch am 29. August vormittags dafür,daß 3.000 auf der Alm Branu unweit der rumänischen Grenzebefindliche Schafe sich von der Grenze entfernten, weshalb icheinige Hirten persönlich prügelte, entfernte mittags und zwar inErmangelung von Arbeitern zum Teil persönlich demPeccol’schen Sägeunternehmen gehöriges Material und Eßwarenaus Gura Apilor, schickte dies alles nach Gura Zlatje, was bisabends dauerte, kehrte dann in der Nacht nach Malomviz zurück,

Page 562: Nopcsa Reisen Balkan

Weltkrieg (1914-1917)

548

wo ich am folgenden Tag vormittags eintraf. In Malomvizbeschaffte ich mir, allerdings ohne zu fragen, ob ich hiezu dasRecht hätte, aus den hier internierten Italienern acht Arbeiter, diesich auf Sprengungen verstanden, schickte diese unter Bedeckungnach Gura Zlatje, um dort die zu den Sprengungen nötigenLöcher zu bohren, requirierte dann, um für jeden Fall mitTragtieren ausgerüstet zu sein, in Malomviz fünfzehn und inKlopotiva sechszehn Pferde, die sich im Kendeffyschen Gartenzu versammeln hatten und Tag und Nacht marschbereit seinmußten, und von denen ich gleich am selben Nachtmittag überBitten der 144. Brigade zwölf dieser überließ, um einem seit zweiTagen in Dreksan an Proviantmangel leidendenGendarmenposten Proviant zu tragen, instradierte übertelefonische Bitte des Generalstabshauptmanns der Brigadediesen Transport auf zwei getrennten Wegen, teilte der Brigademit, daß ich auf eigene Verantwortung die Vorarbeiten zuSprengungen veranlaßt hatte, bezeichnete die Punkte, bat endlichum weiteres Sprengmaterial und fuhr dann nach Szacsal zurück,woselbst ich abends fast das ganze von mir vor achtundvierzigStunden gepackte Gepäck aber keinen Menschen mehr und keinZugvieh mehr antraf. Auf Befehl der Behörden hatte derVerwalter unser Schloß bereits vierundzwanzig Stunden früherveranlassen. Mit Hilfe von Bauernwägen gelang es mir dasSzacsaler Gepäck bis zur Peccol’schen Sägemühle zu schaffen.Dann fuhr ich später nach Hatzeg und von da zur Peccol’schenSägemühle, wo ich übernachtete.

Den folgenden Tag, den 31. August, verbrachte ichvormittags, weiteres Gepäck aus Szacsal rettend, zwischenHatzeg und Szacsal, und überzeugte mich, daß unser Getreideabgeschafft wurde. Dann hat mich abends, als dieglücklicherweise falsche Nachricht kam, daß die 144. Brigadeumzingelt wäre, der Brigadekommandant, Oberst Berger, knappvor seiner Flucht nach Vajdahunjad, überzeugt an einen

Page 563: Nopcsa Reisen Balkan

Weltkrieg (1914-1917)

549

nächtlichen Patrouillenritt nach Tamáspatak teilzunehmen, umdort vermutete, überlegene, rumänische Kräfte am Weitermarschezu hindern, was alles sehr gefährlich aussah, sich aber inWohlgefallen auflöste.

Knapp vor meinem Abmarsch nach Tamáspatak gab es inHatzeg im allgemeinen Wirrwarr manche heitere Episode. Dielustigste war, als der israelitische Leiter des HatzegerElektrizitätswerkes, der auf und davon wollte, sich am mich umInstruktionen wandte, was mit dem Elektrizitätswerk zugeschehen habe. Ich gab ihm bekannt, daß er Hatzeg bis zumletzten Augenblick zu beleuchten und dann im Augenblicke derEroberung sein Elektrizitätswerk zu sprengen habe. Um hiezunicht genötigt zu sein und gleich fliehen zu können, meinte er,daß er hiezu keinen Befehl habe. Um ihm nun die Sprengung zuermöglichen und den Befehl zukommen zu lassen, führte ich ihnzuerst zum Brigadekommando, dann machte ihn dort mit dem mitden Sprengungen betrauten Offizier bekannt und erklärte ich ihm,daß Anbetracht der in Hatzeg herrschenden Panik sein Schrecköffentlich bestraft werden müsse. Ich führte ihn ins Wirtshausund nötigte ihn dort mit erster Miene, obzwar er in seinerAufregung gar nicht durstig war, auf meinen Kosten strafweisezwei Glas Bier zu trinken. Das humoristische dieser Strafe hatteauch auf die übrigen Anwesenden eine teilweise beruhigendeWirkung, wogegen die Nachricht, daß ein Teil der Behörden dieStadt bereits verlassen hatte, die Bewohner natürlich wieder inAufregung versetzte.

Aus Versehen hätten bei diesem Ritte übrigens derPatrouillenkommandant und ich irrigerweise einen rumänischenBauernjüngling fast deshalb gehenkt, weil die Tatsache, daß ereinen langen belaubten Ast balancierend gespielt hatte, nurzufällig im letzten Augenblick erkennbar wurde. Der Angeklagteschien mit einem fahnenartigen Ast einigen ferne auf dem Hügelam Horizonte sichtbaren Umrissen zu signalisieren, und nur, als

Page 564: Nopcsa Reisen Balkan

Weltkrieg (1914-1917)

550

sich einer dieser Umrisse bewegte, erkannten wir, daß es sichnicht um Menschen sondern um Rinder handelte, die offenbargrasend vor dem uns abgewendeten Hange auf die Höhegekommen waren und daher mit einer Ausnahme alle die Brustzeigten. Ein Rind, das einen breiten Umriß zeigte, ließ die wahreNatur dieser Lebenswesen erkennen und rettete dann dem Jungendas Leben.

Während dieses Rittes konstatierte ich außerdem zumeinem Bedauern, daß der Notar von Sztrigy-Szentgyörgy zuersteinem ungarischen Kolonisten einen Wagen in der Nacht geraubthatte und dann auf diesem geraubten Wagen aus Sztrigy-Szentgyörgy geflohen war. Dann kam wieder der Augenblickwieder an mich zu denken, denn trotz eines starken nächtlichenGewitters hatte ich in Ermangelung eines besseren undAnbetracht der scheinbar kritischen Lage an diesem Ritte, bloßmit Bluse und Salonhosen bekleidet, also ohne Mantel,teilgenommen. Wie sich daher die Situation klärte, bat ichtelefonisch, um die Erlaubnis nach Hatzeg zurückkehren zudürfen. Als die Erlaubnis eintraf, kehrte ich wieder per Bahn nachHatzeg.

Hatzeg beruhigte sich, während ich in Tamáspatak war,als bekannt wurde, daß die Nachricht der Umzingelung daraufzurückzuführen sei, daß eine Gendarmeriepatrouille wegen derÄhnlichkeit der Uniformen unsere eigenen Truppen fürrumänische gehalten hätte. Am 1. September erfuhr ich abendstelefonisch in Hatzeg von Nikulajs Eintreffen in Lunka Berhiniund ich eilte ihm trotz meiner Müdigkeit am 2. Septemberentgegen, um ihn nach Hatzeg zu bringen, denn er brachte dieneuesten Meldungen aus Baia de Aram|. Ich war natürlich überNikulajs Rückkehr sehr erfreut und belobte ihn entsprechend.Trotz der Kriegserklärung war er ohne Legitimation bis zum1. September in Baia de Aram| geblieben. Dieser Weg führtemich wieder nach Malomviz und Szacsal. In Malomviz

Page 565: Nopcsa Reisen Balkan

Weltkrieg (1914-1917)

551

erkundigte ich mich, ob die Vorarbeiten zu den Sprengungenschon in Gang seien, überprüfte den Zustand der requiriertenPferde und enthob sie, da sie fortwährend benötigt waren, von derPflicht, sich zur Pferdeassentierung nach Marosillye zu begeben.

Am Rückwege von Malomviz nach Hatzegverabschiedete ich mich an einen schönen stillen Herbstabend inSzacsal von unserem Schloß und Garten, von denen ichbefürchtete, daß sie bald von den Rumänen zerstört werdenwürden. Ich durchschritt noch einmal das halb geräumte Haus,dann den Garten und den daran grenzenden Wald, verweilte dannbeim Teiche und pflückte endlich einige Rosen, die ich zumAndenken mitnahm. Jede Pflanze, jeder Strauch und jederFlecken Boden weckte Erinnerungen an schöne Stunden. Nunsollten sie erlöschen.

Während ich in Szacsal war, waren die rumänischenTruppen fast bis an das 20 km. entfernte Puj gedrungen, und ichwußte, daß der Brigade Berger nicht genügend Kräfte hatte, sieam Weitermarsch zu hindern. Da ich mit allen Fiebern an denSchloß hing, konnte ich die Wahrheit fast nicht begreifen. Esschien mir, als sollte meine Welt und meine Vergangenheitversinken. Ich begreife, daß mancher nach einem Unglück alsneuer Mensch aufwacht. Daß Szacsal und einige andere Schlösserdes Hatzeger Tales von den Rumänen nicht zerstört wurden, istbloß dem Umstande zu verdanken, daß sich die Rumänenscheuten, in das von unseren Truppen so zu sagen entblößteGebiet zu dringen, dann, wie wir später von kriegsgefangenenrumänischen Offizieren hörten, meinten sie, daß hinter dieserEntblößung eine unergründliche Kriegslist stecke. Auf Nikulaj,der noch nie ein gut eingerichtetes Haus gesehen hatte, machteSzacsal einen gar gewaltigen Eindruck. Als ich aber mit ihm denGemüsegarten durchschritt, trat bei ihm trotz aller Bewunderungdennoch wieder der gute nüchterne, natürliche Menschenverstandhervor, und er überredete mich leicht außer den Rosen auch

Page 566: Nopcsa Reisen Balkan

Weltkrieg (1914-1917)

552

Grünzeug, so gelbe Rüben, Zwiebel und Kohlrüben nach Hatzegmitzunehmen. Aufs Praktische gelenkt ließ ich auch Karfiol undArtischocken, zwei Nikulaj unbekannte Sachen, folgen. Diegelben Rüben verzehrte übrigens Nikulaj auch im rohen Zustand.Infolge dieser Diversion war es spät abends, als ich mit Nikulajmit Rosen und Grünzeuge beladen aus Szacsal in Hatzeg eintraf.Die Rosen schickte ich an meine Mutter. Nikulajs Diversion hatmir beim Behalten des seelischen Gleichgewichtes jedenfallswesentlich geholfen.

Brigadier Berger war mit meinem Kundschafter sehrzufrieden, weshalb er ihm vor mehreren Offizieren die Handreichte. Von Hatzeg ging ich in Bauernkleidern zu Fuß mitNikulaj noch am selben Abend nach P., um zu eruieren, ob sichkeine rumänische Truppen in Szászvároser Gebirge befänden,denn es waren diesbezügliche Meldungen eingelaufen,konstatierte das Gegenteil, und kam am 3. September wieder vomGebirge herab nach Hatzeg. Dann sandte ich Nikulaj wieder nachRumänien, um Juon, der unbegnadigt zurückkehren wollte, zusagen, nicht zurückzukehren, sondern als unser Konfident inRumänien zu bleiben, und fuhr selbst am selben Tage über Ujáradnach Temeswar, um von Juon sein Begnadigungsgesuch zuurgieren.

Der Wahrheit zuliebe muß ich bekennen, daß ich dieFahrt nach Temeswar auch zu anderen als rein militärischemverwendete, denn infolge meines Rittes nach Tamáspatak hatteich die letzte Gelegenheit versäumt, das noch immer in derPeccol’schen Sägemühle befindliche Szacsaler Gepäck nach Aradzu schicken. Als ich dies nun am 2. September nachholen wollte,erfuhr ich, daß die Beförderung von Zivilgepäck per Bahn bereitsverboten war und ich nur in dem Falle Anspruch auf einenEisenbahnwaggon hätte, daß ich als Kavallerist mit dem mirgebührenden Chargepferd nach Temeswar einrücken müßte. Umdiese Situation künstlich herbeizuführen, erklärte ich, daß ich

Page 567: Nopcsa Reisen Balkan

Weltkrieg (1914-1917)

553

tatsächlich ein zu beförderndes Chargepferd hätte, beschaffte mirnachträglich einen Gaul und gab ihm für mein Chargepferd aus.Der Gaul wurde als Offiziersreitpferd von Hatzeg über Arad nachTemeswar instradiert, und so war mir die Gelegenheit geboten, indem halbleeren Waggon auch die Szacsaler Sachen nach Arad zubefördern.

Vom 28. August bis zum 3. September hatte ich nur inzwei Nächten ordentlich geschlafen. Vom 28. auf den 29. Augustwar ich nach Gura Apilor geritten (40 km.), vom 29. auf den 30.zu Fuß von Gura Apilor nach Gura Zlatje und von da nachMalomviz gekehrt. Vom 30. auf den 31. hatte ich bei Peccolgeschlafen, in der Nacht vom 31. August auf den 1. Septemberfiel der Patrouillenritt von Hatzeg nach Tamáspatak (30 km), vom1. auf den 2. September war ich von Boldogfalva nach P. (15 km)marschiert und, als ich daher vom 3. auf den 4. September inmeinen Pferdewaggon gegen Arad rollte und gut auf Heu gebettetmich sorgenlos niederlegte, glaubte ich noch nie ein so gutesLager gehabt zu haben.

In Temeswar, wo ich am 5. September eintraf, sagte mirder Nachrichtenoffizier, Hauptmann Röhling, ich solle meineJuons Begnadigungsgesuch betreffende Urgierung an das Armee-Oberkommando leiten und die Antwort in Wien erwarten. Ich tat,wie er geraten. Sowie aber das Armee-Oberkommando durchdiese Urgierung in Erfahrung brachte, daß ich alsNachrichtenoffizier in Temeswar tätig war, depeschierte esfolgendes an das Militärkommando Temeswar: “Wieso kommtes, daß Baron Nopcsa als Nachrichtenoffizier in Verwendung ist.Er hat sofort zum Kader einzurücken.”

Grund, mich vom Nachrichtendienste zu entfernen, hattedas Armee-Oberkommando beim Ausbruche des rumänischenKrieges in Hülle und Fülle, denn es wußte, daß ich zu guterUngar war, um den Verrat, den es plante, nicht vor dieÖffentlichkeit zu bringen. Der Plan des Armee-Oberkommando

Page 568: Nopcsa Reisen Balkan

Weltkrieg (1914-1917)

554

ging schon seit 1915 dahin, den etwaigen Ausbruch einesrumänischen Krieges nach Tunlichkeit zur Vernichtung desungarischen Elementes in Siebenbürgen zu benützen. DieSchwächung des ungarischen Elementes in Siebenbürgenzugunsten der Rumänen war eine Politik, die die österreichischenZentralisten, - und das Armee-Oberkommando gehörte zu diesen,- schon seit Josef II vor Augen hatten. Der RumänenaufstandHoras und Kloškas war seinerzeit ebenso von dem Wiener Hofeveranstaltet worden, wie sechzig Jahre später derRumänenaufstand Jankus, und als Kristóffy in Ungarn Ministerdes Inneren war, hatte auch dieser nach weiteren sechzig Jahrenüber Veranlassung des Thronfolgers, Franz Ferdinand, dieRumänen gegen die Ungarn erneut mobilisiert. Die Duldung derVernichtung des ungarischen Elementes in Siebenbürgen durchrumänische Truppe war auf diese Weise nur die Wiederaufnahmeeines altösterreichischen Planes. Um dies durchführen zu können,hatte das Armee-Oberkommando die Leitung desNachrichtendienstes in Siebenbürgen so weit wie möglichOffizieren rumänischer Nationalität überlassen. In Nagy Szeben(Hermannstadt) lag er in den Händen Hauptmann Greculs, überden mir der k. ungarischer Grenzpolizeikommissär Pietsch wenigerbauliches mitteilte. In Turn-Severin amtierte der HauptmannPopescul. Der Plan des Armee-Oberkommandos war, dieVernichtung der Ungarn durch eine partielle EvakuierungSiebenbürgens zu erreichen, und deshalb ersann man schon imJahre 1915 das Märchen, daß die Karpathen wegenSoldatenmangel nicht zu halten wären und alle Truppen auf diesogenannte Maros-Linie zurückgezogen werden müßten.Tatsächlich war auf einer Karte betrachtet die Maros-Liniewesentlich kurzer als die Karpathen-Linie. Das Argument hiermit weniger Soldaten auszukommen schien also, soferne man dieTerrainschwierigkeiten in den Karpathen außer Acht ließ, rechtplausibel. In Wirklichkeit war diese Behauptung jedoch ein

Page 569: Nopcsa Reisen Balkan

Weltkrieg (1914-1917)

555

Schwindel, denn zu einer Offensive gegen Italien gab es 1916genügend Truppen, und Exzellenz Falkenhayer sagte in Devabeim Ansetzen des Angriffes gegen die Rumänen, vommilitärischen Standpunkte sei es ein Unsinn gewesen, auf eine soschwer verteidigbare Flußlinie wie die Maros-Liniezurückzugehen, wenn man so eine natürliche Bastion wie dieKarpathen vor sich hätte.

Leider fiel dieser Ausspruch erst, als die Rumänen dasvon Ungarn bewohnte Szeklerland bereits verwüstet hatten. Daßdieser Verrat an Siebenbürgen vor langer Hand geplant war,ergibt sich schon daraus, daß die Maros-Linie nicht erst 1916sondern schon 1915 gebaut, die Grenze hingegen sogar 1916vollkommen schutzlos gelassen wurde, was die ruhigeEvakuierung des Landes wesentlich erschwerte. Das nicht nochgrößere Teile Siebenbürgens verwüstet wurden, hat manunmittelbar dem damaligen ungarischen MinisterpräsidentenGrafen Tisza, mittelbar dem Generalstabshauptmann Wild, danndem Grafen Stefan Bethlen und einem Herrn X. zu verdanken,denn diese drei hatten ungefähr drei Wochen vor dem Ausbruchedes rumänischen Krieges gemeinsam Tisza auf denheimtückischen Plan des Armee-Oberkommandos aufmerksamgemacht, worauf dieser das allerdings widerstrebende Armee-Oberkommando im letzten Augenblicke durch die Drohung des k.ungarischen Ministerpräsidenten, die Honvéd-Regimenten vonder Front zurückzurufen, zwang, eine vor der Maros-Linieliegende Verteidigungslinie zu wählen. Infolge dieserIntervention und der Zusagen, die er vom Armee-Oberkommandoerhielt, versprach bald darauf Tisza im ungarischenAbgeordnetenhaus auf Grund der seitens des Armee-Oberkommandos erhaltenen Versicherungen, daß alle Maßregelnzum Schutze der ungarischen Landesgrenze getroffen seien, dochwar er in diesem Falle ebenso wie während der ‘Lucker Episode’vom Armee-Oberkommando belogen worden.

Page 570: Nopcsa Reisen Balkan

Weltkrieg (1914-1917)

556

Speziell die Nachricht, daß der ungarischeMinisterpräsident Graf Tisza anläßlich der Lucker Niederlagevom Armee-Oberkommando hinters Licht geführt worden war,verdanke ich seinem Bruder Koloman, und daß Graf Stefan Tiszadie Tatsache, daß ihm das Armee-Oberkommando öfter belog,nicht öffentlich bekannt gab, zeigt von einem Großmut, den dasArmee-Oberkommando nicht verdiente.

An dem Befehle trotz des Kriegsausbruches zu meinemKader einzurücken, ersah ich schon 1916, daß das Armee-Oberkommando auch mich für einen jener Faktoren hielt, dieseine Pläne kreuzen könnten. Ich erkannte, daß man AndrassysArtikel vom Jänner 1915 noch immer nicht vergessen hatte, undfuhr, den erhaltenen Befehle entsprechend, über Budapest nachBékés, bat aber unterwegs in Budapest den Honvéd-MinisterHazai mit einem Streifkommando in Retezatgebirge betraut zuwerden. Dann wurde ich wegen der diesbezüglichenBesprechungen seitens des Ministers von Békés nach Budapestkommandiert. Nach langen Besprechungen mit verschiedenenHerren im Honvéd-Ministerium erhielt ich aber nicht diesesKommando, sondern wurde Exzellenz Falkenhayer alsNachrichtenoffizier zur Verfügung gestellt, der mich zur GruppeKühnen nach Petrozseny (PetroÕani) sandte, wo ich nach einigenUmwegen eintraf. Schon eine Woche früher hatte ich erfahren,daß Nikulaj wohlbehalten wieder aus Rumänien in Hatzegeingetroffen war. Ich war hierüber, da mir Nikulaj sehr ans Herzgewachsen war, sehr erfreut und ich bestellte ihn daher gleichwieder zu mir nach Petrozseny. Laut Befehl war ich zuerst vonBudapest nach Temeswar, von dort nach Petrozseny, vonPetrozseny nach Brasso (Kronstadt) und wieder nach Petrozsenygefahren. Ich hatte also Gelegenheit genug, die Schwierigkeitendes Fortkommens im Etappenraum zu spüren. Den einenGlanzpunkt bildete auf dem Wege von Petrozseny nach Brassoeine Automobilfahrt von Banica nach Puj, zu der ein deutscher

Page 571: Nopcsa Reisen Balkan

Weltkrieg (1914-1917)

557

Offizier und ich infolge des schlechten aufgeweichten Weges undgroßen Verkehrs auf der Landstraße sieben Stunden brauchten,obzwar die beiden genannten Orte ca. zehn Kilometerauseinander lagen. Auf der Rückkehr von Brasso nach Petrozsenywar ein Versuch von Örvaraja per Bahn nach Petrozseny zugelangen, der andere Glanzpunkt. Der Zug, auf den ich inÖrvaraja wartete, war für acht Uhr früh angesagt. Er kam um halbacht Uhr abends. Ich fuhr mit ihm um halb neun bis zu der vierKilometer weit entfernten Station Bajesd. Dort hatte ich bis zehnUhr abends zu warten. Dann wurden der Zug, und ich mit ihm,wieder nach Örvaraja zurückgeschoben, wohin wir gegen halb elfnachts gelangten. Daß ich nach dieser Erfahrung daraufverzichtete per Bahn nach Petrozseny zu gelangen und einenLeiterwagen einem Militärzug vorzog, ist ziemlich leichtbegreiflich. In Petrozseny stellte ich mich meinem Kommandovor und wurde sehr willkommen geheißen. Allgemein hieß es,daß meine Mission sehr schwer sei.

Die deutschen Offiziere, mit denen ich in Brasso undPetrozseny zu tun hatte, waren mir gleich anfangs sympathisch,denn hier fehlten die Unordnung, der Neid, die Intrigen und dieUnentschlossenheit, die das österreichisch-ungarischeOffizierskorps charakterisierten. Auch die beiden fürösterreichisch-ungarische Berufsoffiziere typischenEigenschaften, vor dem Vorgesetzten oder Einflußreicheren zukriechen und ihm jede Aufregung zu ersparen, dem Untergebenengegenüber jedoch hochnäsig zu sein und ihm zu treten, waren denDeutschen fremd, denn hier arbeitete jeder für die Sache nichtaber für seine eigene Bequemlichkeit oder Karriere. ZumNachrichtendienst in der Maske eines Schafhirten war ich beidieser Gelegenheit wie prädestiniert, denn von der Überzeugungdurchdrungen, daß es 1916 zur Kriegserklärung Rumänienskommen würde, hatte ich mir schon seit März weder Haare nochSchnurrbart geschnitten. Es mußten also bloß meine tief in den

Page 572: Nopcsa Reisen Balkan

Weltkrieg (1914-1917)

558

Nacken und über die Ohren herabhängenden Locken inUnordnung gebracht werden, um mich in einen unverfälschtenrumänischen Schafhirten zu verwandeln. Um beim Einrichteneines tief nach Rumänien reichenden NachrichtendienstesMitarbeiter zu haben und den Kontakt mit Juon wiederaufzunehmen, fanden Nikulaj und ich unter denKriegsgefangenen des 58. rumänischen Infanterieregimentes zweibrauchbare Leute, von denen der eine jahrelang in Ungarn undSiebenbürgen Schafhirt gewesen war. Wir entsandten diese nachihrer Vereidigung in Hatzeg wieder nach Rumänien.

Da aber machten sich die Anstrengungen undAufregungen der letzten Zeit und die schlechte Nahrung geltend,und ich mußte Ende Oktober mit schwerem nervösemNiederbruch in das nächste deutsche Kriegslazarett abgegebenwerden. Nicht einmal abnorm starke Belladonna-Dosen, die mirsonst bei ähnlichen Fällen halfen, konnten diesmal den Zustandbessern. Ohne Umschweife oder überflüssige Formalitätenschickten mich die Deutschen auf meine Bitte nach Wien zumOberstabsarzt, Universitätsprofessor Dr. Steyskal, desGarnisonspitales Nr. 1, der mich in Behandlung nahm, und nunkonnte ich gleich wieder den Unterschied zwischenösterreichischer Unordnung und deutscher Ordnung konstatieren.Als ich halb besinnungslos im Josephinum in Wien übernommenwurde, las der amtshandelnde Unteroffizier in meiner deutschenLegitimation statt Petrozseny Pozsony und übersah in derAbkürzung 9 HHR (9. Honvéd-Husaren-Regiment) das eine H.Er glaubte also, daß ich dem im Bereiche des MilitärkommandosPozsony befindlichen 9. Husarenregimentes angehöre undmeldete mein Eintreffen dorthin. Die Folge war, daß hieraus eineKonfusion entstand, die sich bis Ende Dezember hinzog, die ichdurch zwei Meldungen nicht ins Reine bringen konnte und dieerst dann aufhörte, als ich in einer dritten Meldung erneutbetonte, daß ich weder mit Pozsony noch mit dem 9.

Page 573: Nopcsa Reisen Balkan

Weltkrieg (1914-1917)

559

Husarenregiment je etwas zu tun gehabt hätte und, daß ich, dameine bisherigen Meldungen nicht gelesen wurden, auf weiterAnfragen nicht antworten würde.

Auf diese Grobheit hin erkannte man in Pozsony, daß ichHonvéd-Husar war. Das komischste an der ganzen Sache waraber, daß das Militärkommando Pozsony, der Wahrheit getreumich nicht zu kennen angab, daß es mir aber den Urlaub, um denin meinem Namen das Josephinum gebeten hatten, dennochbewilligte. Urlaub hatte ich bis zum 15. Februar 1917. Ichverbrachte ihn in Wien und in Szacsal, und zwar zum Teil mitwissenshaftlichen Arbeiten. Da ich aber voraussah, daß mir dasmir übelgesinnte Armee-Oberkommando nach meiner Genesungerneut den Befehl erteilen würde, zum Kader einzurücken, mußteich beizeiten Gegenmaßregeln ergreifen, um dies zu verhindern.

Im Dezember hatte ich in Erfahrung gebracht, daß sichzahleiche, aus der Monarchie nach Rumänien desertierte Soldatendort in den Besitz solcher auf falschen Namen lautenderLegitimationen gesetzt hatten, die ihre rumänischeStaatsbürgerschaft bewiesen. Diese Menschen waren vorVerhaftung seitens deutscher oder österreichisch-ungarischerTruppen nun dadurch gesichert. Mitte Januar machte ich diedeutsche Ortskommandantur Turn-Severin auf diese Tatsacheaufmerksam und erhielt darauf vom Ortskommandanten eineschriftliche Bestätigung darüber, daß die Ortskommandanturmeinen Plan, mich als Schafhirt verkleidet unter diese Deserteurezu mengen, um sie so zu entlarven, billige. Das Wohlwollen desdeutschen Ortskommandanten in Turn-Severin hatte ich mirdadurch zu erwerben verstanden, daß ich mit Rücksichtnahme aufden zwischen der deutschen und österreichisch-ungarischenArmeeleitung bestehenden Gegensatz die Existenz eines k.u.k.Militärstationskommando in Turn-Severin absichtlich undostentativ ignorierte. Mit dem deutschen Schriftstück versehenfuhr ich, bevor ich noch den Befehl zum Kader einzurücken

Page 574: Nopcsa Reisen Balkan

Weltkrieg (1914-1917)

560

erhalten hätte, nach Budapest, verfaßte zwei Gesuche an denHonvéd-Minister und zwar eins, in dem ich in meine Einteilungzum Ortskommando Turn-Severin ersuchte, und ein zweites, indem ich um einen dreimonatigen Urlaub nach Rumänien bat, umin Einvernehmen mit den Ortskommando Turn-Severin die dortbefindlichen Deserteure zu entlarven. Dann zog ich im Honvéd-Ministerium Erkundigungen ein, welches von beiden Gesuchendem Minister zu überreichen wäre, bekam in ein TelegramEinblick, in dem das Armee-Oberkommando meineWiederverwendung in jedem besonderen Dienste verbat. Ichvernichtete daher mein erstes Gesuch und überreichte das zweitein Budapest dem Minister.

Da die deutschen Kommanden jeder von Seitenösterreichisch-ungarischen Kommanden ausgehenden PropositionWiderstand entgegenstellten, war der Minister darüber, daß dieDeutschen mir in Rumänien gewissermaßen freie Hand gewährenwollten, nicht wenig erstaunt. Er billigte mein Vorgehen, konnte,da er nach Wien verreisen mußte, mein Gesuch nicht selbsterledigen, teilte mir aber mit, das Gesuch seinem Stellvertreter zuübergeben, was denn auch prompt geschah.

Da die Proposition, Deserteure rumänischer Nationalitätabzufangen, verschiedenen Ungarn im Honvéd-Ministeriumsympathisch war, denn sie wußten, daß das Armee-Oberkommando diese Leute aus Ungarnhaß auf freien Fuß ließ,so erhielt ich den Urlaub bewilligt. Ich fuhr daher über Szacsalnach Turn-Severin und, als das Armee-Oberkommando, vomVorfalle verständigt, nachträglich gegen meine Beurlaubungprotestierte, ließ mich das Honvéd-Ministerium in Siebenbürgenenergisch suchen, konnte mich aber absichtlicherweise nicht mehrfinden.

In Rumänien verbrachte ich den größten Teil der Zeit aufeinen Stirbey’schen Gute bei einigen mir bekannten Schafhirten,unter ihnen auch Juon, die bei einer Strohtriste lagerten und ihre

Page 575: Nopcsa Reisen Balkan

Weltkrieg (1914-1917)

561

Schafe in Ermangelung von Weidplätzen mit Stroh und Maisernährten. Ich kam aber auch nach Calafat, Gruia und Turn-Severin und konnte, da ich selbst überall als Bauer galt,konstatieren, daß die Einwohner Rumäniens durch den Krieg nurwenig gelitten hatten und auch durch die Besetzung ihresGebietes in keiner Weise litten. Die ganze Dorfverwaltung lag,wie früher, auch jetzt in den Händen der Primare. Bei denRequisitionen stützte sich das Militär auf die von den Primarengemachten Angaben, infolge deren jede Schafherde stets nur aufdie Hälfte oder ein Drittel ihres tatsächlichen Bestandes geschätztwurde, und dementsprechend nie ein Zehntel sondern bloß einZwanzigstel oder Dreißigstel requiriert wurde. Da ferner diePrimare alle Dorfregister versteckten und den in Rumänienbefindlichen aus der Monarchie stammenden Deserteuren falscheLegitimationen gegeben hatten, konnten sogar diese trotz derAnwesenheit österreichischer und ungarischer Gendarmenverhältnismäßig sorgenlos leben.

Leider war der Winter sehr streng und, da ich nur einenbis auf den halben Oberschenkel reichenden, leichten Pelz hatte,immer im Freien übernachten mußte und die Füße übernacht nurunter Stroh stecken konnte, fror ich manche Nacht ganz gewaltig.Die Schafhirten, bei denen ich war, hielten mich für einenDeserteur. Ich hatte ihnen daher bei ihrer Arbeit zu helfen, bekamaber dafür zu essen. Nur Juon wußte von meinem Geheimnis undhalf mir. Da unser ganzes Feuerungsmaterial nur Stroh war unddas Trink- und Kochwasser aus Schnee gewonnen werden mußte,war auch das Polenta-machen schwierig. Es erlitt oft argeVerzögerungen, und auch tagsüber war es fast unmöglich, sich zuerwärmen.

Schon am 23. Februar verlangte ich von Gruia aus, daßder im Dorfe Rogova befindliche Deserteur M. M., der seinerzeitauf der Flucht einen Gendarmen erschossen hatte, verhaftetwerde, doch unterblieb dessen Verhaftung. Immerhin kam ich mit

Page 576: Nopcsa Reisen Balkan

Weltkrieg (1914-1917)

562

unseren Offizieren in Kontakt und erfuhr Anfang März, daß ichwegen meiner in Albanien erworbenen Verdienste, wegen dererich zweimal für den Orden der Eisernen Krone vorgeschlagenworden war, das Kommandeurkreuz des Franz-Josefs-Ordens mitder Kriegsdekoration erhalten hatte. Während des Krieges konnteich diese ‘Auszeichnung’ nicht zurücklegen. Später wurde ichhieran durch die Entthronung der Habsburger gehindert.

Mit Hilfe des deutschen Militärs veranlaßte ich dieVerhaftung eines Menschen in MotoÛei, konstatierte inzwischendie Anwesenheit zahlreicher anderer Deserteure, die ich aber, ummich nicht zu früh zu demaskieren, vorläufig auf freiem Fuß ließ.Ende März verhaftete ich einen zweiten Deserteur und Verräterbei einem alten, aus der Pension hervorgezogenen k.u.k. OberstenKissling, der bald darauf geadelt wurde, und veranlaßte, daß einweiterer Deserteur, dessen Verhaftung ich bei Patule (P|tulele)angeordnet hatte, wieder in Freiheit gesetzt wurde. Obzwar erStationskommandant war, meinte der Oberst, daß er keinePolizeidienste verrichte. M. M. war, nachdem ich seineVerhaftung sehr urgiert hatte, Ende März gleichfalls verhaftetworden, aber den Gendarmen entkommen. Ich kann also nichtsagen, daß mir die k.u.k. Truppen halfen.

Mitten in dieser Sisyphusarbeit, bei der mir nur dieDeutschen über alle Maßen halfen, erhielt ich vom OberstenSendler, dem k.u.k. Militärbevollmächtigen in Rumänien,plötzlich den Befehl nach Bukarest zu kommen. Sendler lobtemeine Opferfreudigkeit, teilte mir aber mit, daß die Deutschenüber meine Bemühungen lachen, und legte mir nahe, Rumänienzu verlassen. Der Nachrichtenoffizier, Hauptmann Rakassoviƒ,sagte mir einen Augenblick später, daß die Deutschen meineAbberufung verlangt hätten, und ich erkannte aus diesemWiderspruche, daß sowohl Sendler wie auch Rakassoviƒ logen,daß aber beide vom Armee-Oberkommando rp. von seinerNachrichtenabteilung den Befehl bekommen hatten, mich aus

Page 577: Nopcsa Reisen Balkan

Weltkrieg (1914-1917)

563

Rumänien zu entfernen. Gewissen k.u.k. Generalstabsoffizierenwar es wichtiger, mir eine Unannehmlichkeit oder etwas Ärger zubereiten als k.u.k. Soldaten zu verhaften, die ihren Fahneneidgebrochen hatten.

Juon gelang es, mir noch im letzten Augenblick dergeheimen deutschen Feldpolizei in Craiova zu empfehlen unddem dortigen Feldgericht persönlich bekanntzugeben, daß erbeim Ausbruch des rumänischen Krieges bloß auf meinen Befehlin Rumänien geblieben wäre, sowie daß ein von ihmunterfertigtes Begnadigungsgesuch, das von dem Armee-Oberkommando auf Tiszas Intervention mit der Bemerkungversehen worden war “Zur tunlichsten Befürwortung,” irgendwobeamtshandelt würde. Dann mußte ich auf Sendlers Befehl zumeinem Kader einrücken.

Das seitens des Armee-Oberkommandos mir gegenüberzur Schau getragene Benehmen und das schlechte Beispiel, daßmir der Generalstab dadurch gab, daß er sich nicht durchsachliche Momente sondern durch persönliche Sympathien undAntipathien leiten ließ, brachten in mir von diesem Augenblickean jeden Ehrgeiz zum Schweigen, und ich beschloß daher, zumalUngarns Feind, nämlich Rumänien, zu Boden lag, von nun annurmehr daran zu denken, mir den Rest des Krieges angenehm zugestalten.

In Budapest erfuhr ich in erster Linie, daß das Armee-Oberkommando ein erneutes Gesuch des Földtani Intézet, unteranderen Geologen auch mich auf den Balkan entsenden zudürfen, was mich betraf, wiederum abschlägig beantwortet hatte.Um nun diese Sache zu forcieren, erklärte ich nun vor allem,obzwar ich in Rumänien bei mangelhafter Nahrung schwerbepackt noch gar manchen Nachtmarsch überstanden hatte und ineinem Tage von Turn-Severin bis Patule, also 50 km. weit,marschiert war, daß ich nicht frontdienstfähig sei. Ich kam infolgedieser Erklärung vor einer ärztlichen Kommission. Diese

Page 578: Nopcsa Reisen Balkan

Weltkrieg (1914-1917)

564

konstatierte das gleiche. Dann wurde das dem ungarischenAckerbauministerium rp. der diesem unterstellten GeologischenLandesanstalt abschlägig beantwortete Gesuch, mich alsGeologen nach Albanien zu senden, auf Veranlassung derUngarischen Akademie der Wissenschaften, die mich um dieseZeit zum korrespondierenden Mitglied gewählt hatte, vomungarischen Ministerpräsidenten erneuert. Graf Kendeffy Gábor,Adjutant des Generalstabschefsarztes, und Graf Hunyady Josef,Flügeladjutant König Karls IV., verwendeten sich gleichfalls imInteresse meiner Entsendung, und es gab nun Schwierigkeiten zuüberwinden. Die Gründe sind aus einem von Grafen Kendeffy anGrafen Paul Teleki gerichteten Briefe zu erkennen.

Tisza hatte ich schon früher darauf aufmerksam gemacht,daß das Armee-Oberkommando mich bloß sekkieren wolle. Nunsandte ich ihm auch eine Kopie dieses Briefes, doch alles warvergebens. Auch das Gesuch der Akademie wurde abschlägigbeantwortet. Dem Honvéd-Ministerium und anderen Stellen ging,trotzdem daß ich wegen meiner Verdienste in Albanienaußergewöhnlich dekoriert worden war, von Seiten des Armee-Oberkommandos der offizielle Befehl zu, “es sei mit allen Mittelnzu verhindern,” daß ich auf den Balkan komme. So schien danndie Situation fast vollkommen verloren, wenn nicht auf TiszasVeranlassung der Präsident der Ungarischen Akademie,Exzellenz Berzeviczy, an mich mit dem Ansinnen herangetretenwäre, ich möge, um Tisza und der Akademie eine Blamage zuersparen, auf meine Entsendung auf den Balkan freiwilligverzichten. Ich klärte Berzeviczy auf, daß diese Entscheidung desArmee-Oberkommandos bloß aus persönlicher Animosität gegenmich erfolgt sei, zeigte ihm meine Belege, wies darauf, daß dieseTatsachen Tisza ebenfalls bekannt seien, weigerte michentschieden, auf den Vorschlag einzugehen, und proponierteeinen Ausweg. Die Akademie solle ihren ursprünglichenVorschlag dahin modifizieren, daß ich nicht mit dem Sammeln

Page 579: Nopcsa Reisen Balkan

Weltkrieg (1914-1917)

565

neuer wissenschaftlicher Daten, sondern damit zu betrauen wäre,mein bisher gesammeltes Material wissenschaftlich zuverarbeiten, weshalb das Ministerpräsidium um meine Enthebungvom Militärdienste beim Honvéd-Ministerium bittlich werdensolle. Exzellenz Berzeviczy besprach den Fall mit Tisza. Maneinigte auf meinen Plan, und das Akademiegesuch ging an dasMinisterium ab. Da aber, wie mir der Generalstabsoberst imHonvéd-Ministerium, Graf Karl Csáky, schon früher mitgeteilthatte, verschiedene Offiziere im Honvéd-Ministerium, nämlichOberst Nikoliƒ, Oberst Dornándy und Oberstleutnant Balkaydavon Kenntnis hatten, daß das Armee-Oberkommando auf michböse sei, und sie sich dadurch, daß sie mir Schwierigkeitenmachten, beim Armee-Oberkommando beliebt machen wollten,so gab es, zumal das Akademiegesuch infolge einer Ministerkriseeine Zeit lang im Ministerpräsidium stecken blieb, erneutSchwierigkeiten. Zu deren Bekämpfung benützte ich allerleiVorwände, um nach Budapest zu gelangen, bis StaatssekretärMarkgraf Georg Pallavicini und der inzwischen neuernannteungarische Ministerpräsident, Graf Moritz Eszterházy, in dieserSache persönlich beim Honvéd-Minister Szurmay intervenierten.Sogar diese Interventionen hatten keinen momentanen Erfolg,doch Graf Paul Teleki, der in der Ungarischen Akademie fürOrientalische Angelegenheiten referierte und der sich gleichfallsmeiner Sache angenommen hatte, ließ nicht locker und schob dieSache trotz aller Schwierigkeiten weiter. Es war beschlossenworden, daß er und Baron Bornemisza Elemér im Notfalle dieNichtbewilligung meiner Enthebung sogar in der Form einerInterpellation im ungarischen Abgeordnetenhause zur Sprachebringen sollten.

Nachdem ich am 19. Juli wegen meiner Enthebung erneutin Budapest war, sich dann Pallavicini und Teleki erneut für dieSache interessierten, dann das Ministerium für Kultus undUnterricht und auch der Staatssekretär des Ministeriums des

Page 580: Nopcsa Reisen Balkan

Weltkrieg (1914-1917)

566

Inneren, Moritz Palugyay, im Namen seines Ministers meineEnthebung dienstlich urgierten, wurde ich am 23. Juli 1917 alsGeologe der Ungarischen Akademie der Wissenschaften für dieDauer meiner Tätigkeit im Hinterland vom Militärdienst aufunbestimmte Zeit enthoben. Das Armee-Oberkommando hattevon diesem Vorgange natürlich keine Kenntnis. Meine weiterenPläne hüllte ich im Dunkel. Das einzige, was ich unternahm, war,daß ich in die ungarische Regierungspartei eintrat und einerseitsbekanntgab, daß ich bei der nächsten Abgeordnetenwahl alsAbgeordnetenkandidat auftreten würde, anderseits aber auf dieStelle eines Vizedirektors der k. Ungarischen GeologischenLandesanstalt zu aspirieren anfing. Beides geschah bloß, um vielspäter, nämlich 1918, den Plan des Armee-Oberkommandos,mich von Albanien fernzuhalten, zu durchkreuzen. Allerdings istes nicht dazu gekommen. Daß es zu Abgeordnetenwahlenkommen würde, war vorauszusehen, denn Graf EszterházyMoritz war im Sommer 1917 königlich ungarischerMinisterpräsident von König Karls IV. und Grafen Stefan TiszasGnaden.

Besonders klar trat die Furcht und der Haß des Armee-Oberkommandos mir gegenüber im Jahre 1917 in jenemAugenblick zutage, als der Nachrichtenoffizier,Generalstabshauptmann Wild, an das Honvéd-Ministerium nachBudapest telefonierte, ich möge wegen einer Besprechung zumArmeekommando des Erzherzog Josef nach Marosvásarhelykommen und das Armee-Oberkommando, hievon informiert,sogar dies zu verhindern wußte, ohne sich auch nur darüberinformiert zu haben, was besprochen werden sollte. Wieder zeigtesich, daß beim Armee-Oberkommando persönliche Animositätoder Angst vor meiner ungarischen Gesinnung stärker waren alsInteresse an dem Kriege. Freilich will ich nicht verhehlen, daßDruck und Gegendruck immer reziprok sind, und daß es sichnatürlich umso mehr ärgerte, je stärker ich meine Anwesenheit

Page 581: Nopcsa Reisen Balkan

Weltkrieg (1914-1917)

567

forcierte. Das Armee-Oberkommando wollte mich in Albanienebensowenig haben wie in Rumänien und, als einen Augenblickdavon die Rede war, mich als Geologen nicht nach Albaniensondern nach Serbien oder Montenegro zu entsenden, wurde diesmit der Begründung zurückgewiesen, daß ich von dort nachAlbanien entschlüpfen würde.

Während dieser ganzen Tätigkeit und während diesesnervenzermürbenden Kampfes mit dem Armee-Oberkommando,fand ich seit dem Herbste 1916 doch noch Gelegenheit, mehrereKapitel einer großen Monographie Nordalbaniens zu verfassen.Woher ich aber die Zeit, Ruhe und Energie nahm, ist mir selbstein Rätsel. Tatsache ist, daß ein auf dieses Thema bezughabendesWerk nach dem anderen verschlungen und exzerpiert und einKapitel des Werkes bei dieser Tätigkeit nach dem anderengeschrieben wurden. Daß bei dieser Tätigkeit die Paläontologie inden Hintergrund gedrängt wurde, ist leicht begreiflich, immerhinkonnte aber auch auf diesem Gebiete im Jänner 1917 der michseit langer Zeit interessierende Reisenwuchs der Dinosaurieruntersucht werden. Mit einigen anderen Notizen bildete diesesThema den Inhalt eines im Centralblatt für Mineralogie,Geologie und Paläontologie erschienenen Artikels.

Weitere Kriegsereignisse hatte ich keine, und Ereignisseder folgenden Jahre waren so traurig, daß ich auf derenAufzeichnung gern verzichte.

Page 582: Nopcsa Reisen Balkan

568

ANHANG

Page 583: Nopcsa Reisen Balkan

569

Verzeichnis von Nopcsaswissenschaftlichen Arbeiten

1897-1933

Paläontologie

1. Dinosaurierreste aus Siebenbürgen, I. Schädel vonLimnosaurus transsylvanicus, nov. gen et sp..Denkschriften der Kais. Akademie der Wissenschaften,Math.-naturw. Cl., Wien, 68 (1899), S. 555-591, Tab I-VI.

2. Dinosaurierreste aus Siebenbürgen. Anzeiger der kais.Akademie der Wissenschaften in Wien, Math.-Nat. Cl.,(1901), S. 55-58.

3. Cretacische Dinosaurierreste aus Siebenbürgen.Anzeiger der kais. Akademie der Wissenschaften inWien, Math.-Nat. Cl. (1902), S. 42-46.

4. Dinosaurierreste aus Siebenbürgen, II. Schädelreste vonMochlodon. Mit einem Anhang: Zur Phylogenie derOrnithopodiden. Denkschriften der Kais. Akademie derWissenschaften, Math.-naturw. Cl., Wien, 72 (1902),S. 149-175, Tab I-II.

5. A dinosaurusok átnézete és származása. FöldtanyKözlöny, Budapest, 30 (1901), S. 193-224.

6. Synopsis und Abstammung der Dinosaurier. FöldtanyKözlöny, Budapest, 30 (1901), S. 247-279, Tab. I.

7. Über die Rippen eines Deuterosauriden (DeuterosaurusSeeley nov. spec.?). Beiträge zur Paläontologie und

Page 584: Nopcsa Reisen Balkan

Verzeichnis von Nopcsas wissenschaftlichen Arbeiten

570

Geologie Österreich-Ungarns und des Orients, Wien, 14(1902), S. 185-194, Tab. XIII.

8. Notizen über cretacische Dinosaurier. Sitzungsber.Akademie der Wissenschaften, Math.-naturw. Cl., Wien,111 (1902), S. 93-114, Tab. I.

9. Dinosaurierreste aus Siebenbürgen III. WeitereSchädelreste von Mochlodon. Denkschriften derkaiserlichen Akademie der Wissenschaften, Math.-naturw. Cl., Wien, 74 (1904), S. 229-264, Tab. I-II.

10. Limnosaurus durch Telmatosaurus nom. nov. zu ersetzen.Centralblatt für Mineralogie, Geologie undPaläontologie, Stuttgart, 1903, S. 54.

11. Telmatosaurus, a new name for the dinosaurLimnosaurus. Geological magazine, London (1903), S.94-95.

12. Telmatosaurus, uj név Limnosaurus helyett. FöldtaniKözlöny, Budapest, 33 (1903), S. 64.

13. Über Stegoceras und Stereocephalus. Centralblatt fürMineralogie, Geologie und Paläontologie, Stuttgart,1903, S. 266-267.

14. Über die Varanus-artigen Lacerten Istriens. Beiträge zurPaläontologie und Geologie Österreich-Ungarns und desOrients, Wien, 15 (1903), S. 31-42, Tab. I-II.

15. Neues über Compsognathus. Neues Jahrbuch fürMineralogie, Geologie und Paläontologie. Stuttgart,Beilage-Bd. 16 (1903), S. 476-494, Tab. XVII-XVIII.

16. On the origin of Mosasaurs. Geological magazine,London, 10 (1903), S. 119-121.

17. Über die systematische Stellung von NeustosaurusRaspail. Centralblatt für Mineralogie, Geologie undPaläontologie, Stuttgart (1903), S. 504-505.

18. Referate über Osborn, Hatscher usw. Geol. Zentralbl.,Berlin, 5 (1904).

Page 585: Nopcsa Reisen Balkan

Verzeichnis von Nopcsas wissenschaftlichen Arbeiten

571

19. Kerunia, a symbiosis of a Hydractinian with aCephalopod. Annals and magazine of natural history,zoology, botany and geology, London (ser. 7), 16 (1905),S. 95-102. Tab. 2III.

20. Notes on British dinosaurs. Part I. Hypsilophodon.Geological magazine, London, 2 (1905), S. 203-208.

21. Notes on British dinosaurs. Part II. Polacanthus.Geological magazine, London, 2 (1905), S. 241-250.

22. Notes on British dinosaurs. Part III. Streptospondylus.Geological magazine, London, 1 (1905), S. 289-293,Tab. XV.

23. Zur Kenntnis des Genus Streptospondylus. Beiträge zurPaläontologie und Geologie Österreich-Ungarns und desOrients, Wien, 19 (1906), S. 59-83.

24. Remarks on the supposed clavicle of the SauropodousDinosaur Diplodocus. Proceedings of the ZoologicalSociety of London, London 2 (1905), S. 241-250, 289-294.

25. Ideas on the origin of flight. Proceedings of theZoological Society of London, London (1907), S. 223-238.

26. Zur systematischen Stellung von Palacrodon.Centralblatt für Mineralogie, Geologie undPaläontologie, Stuttgart 1907, S. 526-527.

27. Zur Kenntnis der fossilen Eidechsen. Beiträge zurPaläontologie und Geologie Österreich-Ungarns und desOrients, Wien, 21 (1907), S. 33-62, Tab. I.

28. On the systematic position of the upper cretaceousdinosaur Titanosaurus. Geological magazine, London, 7(1910), S. 261.

29. Notes on British dinosaurs, Part IV. Stegosaurus priscus,nov. sp. Geological magazine, London, 7 (1911), S. 109-115, 145-153.

Page 586: Nopcsa Reisen Balkan

Verzeichnis von Nopcsas wissenschaftlichen Arbeiten

572

30. Omosaurus Lennieri. Un nouveau dinosaurien du Cap dela Hève. Bulletin de la Société Géologique deNormandie, Le Havre, 30 (1911), S. 1-20, Tab. I-VIII.

31. Remarque au sujet de la note de M. Thevenin sur leDyrosaurus. Comptes-rendus sommaires des séances dela Société Géologique de France, Paris (1911), 20 S.

32. Notes on British dinosaurs, Part V. Craterosaurus.Geological magazine, London, 9 (1912), S. 481-484.

33. Die Lebensbedingungen der obercretacischenDinosaurier Siebenbürgens. Centralblatt für Mineralogie,Geologie und Paläontologie, Stuttgart (1914), S. 564-574.

34. Über das Vorkommen der Dinosaurier in Siebenbürgen.Verhandlungen der kaiserlich-königlichen zoologisch-botanischen Gesellschaft in Wien, Wien, 54 (1914), S.12-14.

35. Über Geschlechtsunterschiede bei Dinosauriern.Centralblatt für Mineralogie, Geologie undPaläontologie, Stuttgart (1915), S. 385-388.

36. Die Dinosaurier der Siebenbürgischen LandesteileUngarns. Mitteilungen aus dem Jahrbuch der kgl.Ungarischen Geologischen Reichsanstalt, Budapest, 23(1915), S. 1-24, Tab. I-IV.

37. Erdély Dinosaurusai. A Magyar Királyi Földtani IntézetÉvk., Budapest, 23 (1915), S. 1-23.

38. Doryphorosaurus nov. nom. für Kentrosaurus Hennig.Centralblatt für Mineralogie, Geologie undPaläontologie, Stuttgart (1916), S. 511-512.

39. Zur Körpertemperatur der Pterosaurier. Centralblatt fürMineralogie, Geologie und Paläontologie, Stuttgart(1916), S. 418-419.

Page 587: Nopcsa Reisen Balkan

Verzeichnis von Nopcsas wissenschaftlichen Arbeiten

573

40. A dinosaurusok élete és szerepe. Pótfüzetek aTermészettudományi Közlöny-höz, Budapest, 127-128(1917).

41. Über Dinosaurier. Nr. 1. Notizen über die Systematik derDinosaurier. Centralblatt für Mineralogie, Geologie undPaläontologie, Stuttgart (1917), S. 204-213.

42. Über Dinosaurier. Nr. 2. Die Riesenformen unter denDinosauriern. Centralblatt für Mineralogie, Geologie undPaläontologie, Stuttgart (1917), S. 332-348.

43. Über Dinosaurier. Nr. 3. Über die Pubis derOrthopoden. Centralblatt für Mineralogie, Geologie undPaläontologie, Stuttgart (1917), S. 348-351.

44. Über Dinosaurier. Nr. 4. Neues überGeschlechtsunterschiede bei Orthopoden. Centralblattfür Mineralogie, Geologie und Paläontologie, Stuttgart(1918), S. 186-198.

45. Über Dinosaurier. Nr. 5.Beiträge zu ihrer Evolution.Centralblatt für Mineralogie, Geologie undPaläontologie, Stuttgart (1918), S. 235-246.

46. Leipsanosaurus n. g. Egy uj Thyreophora a GosauirétegekbÅl, Földtani Közlöny, Budapest, 48 (1918),S. 261-265.

47. Leipsanosaurus n. gen. Ein neuer Thyreophore aus derGosau. Földtani Közlöny, Budapest, 48 (1918), S. 324-328.

48. Dinosaurierreste aus Siebenbürgen, IV. Die Wirbelsäulevon Rhabdodon und Orthomerus. Palaeontologiahungarica, Budapest, 1 (1921-1923), S. 273-302, Tab. I-IV.

49. Zur systematischen Stellung von Poposaurus.Centralblatt für Mineralogie, Geologie undPaläontologie, Stuttgart (1921), S. 348.

Page 588: Nopcsa Reisen Balkan

Verzeichnis von Nopcsas wissenschaftlichen Arbeiten

574

50. Bemerkungen zur Systematik der Reptilien.Paläontologische Zeitschrift, Berlin, 5 (1922), S. 107-118.

51. On the probable habits of the dinosaur Struthiuomimus.Annals and magazine of natural history, zoology, botanyand geology, London 10 (1922), S. 152-155.

52. Neubeschreibung des Trias-Pterosauriers Tribelesodon.Paläontologische Zeitschrift, Berlin, 5 (1922), S. 161-181.

53. Diskussionsbemerkungen zu Abel: Mixnitz.Paläontologische Zeitschrift, Berlin, 5 (1923), S. 228.

54. Diskussionsbemerkungen zu Huene: Ichthyosaurier.Paläontologische Zeitschrift, Berlin, 5 (1923), S. 271.

55. Diskussionsbemerkungen zu Huene: Saurischia vonTrossingen. Paläontologische Zeitschrift, Berlin, 5(1923), S. 376.

56. Diskussionsbemerkungen zu Stromer: Landwirbeltiereaus dem Tertiär Deutsch Südwest-Afrikas.Paläontologische Zeitschrift, Berlin, 5 (1923), S. 228.

57. Eidolosaurus und Pachyophis. Zwei neue Neokom-Reptilien. Palaeontographica, Stuttgart, 65 (1923), S. 97-154., Tab. VII-VIII.

58. Die Familien der Reptilien. Fortschritte der Geologie undPalaeontologie, Berlin, Heft 2, (1923), S. 1-210., Tab. I-VI.

59. Helochelydra. Annals and magazine of natural history,zoology, botany and geology, London (1923).

60. Kallokibotium, a primitive amphichelydean tortoise fromthe uppermost cretaceous of Hungary. PalaeontologiaHungarica, Budapest, 1 (1923), S. 1-34, Tab. I-IV.

61. Notes on British dinosaurs, Part VI. Acanthopholis.Geological magazine, , London, (1923), S. 193-199,Tab. VII-VIII.

Page 589: Nopcsa Reisen Balkan

Verzeichnis von Nopcsas wissenschaftlichen Arbeiten

575

62. On the geological importance of the primitive reptilianfauna in the uppermost cretaceous of Hungary. QuarterlyJournal of the Geological Society, London, 79 (1923),S. 100-116.

63. On the origin of flight in birds. Proceedings of theZoological Society of London, London (1923), S. 463-477.

64. Praktische Erfahrungen. Paläontologische Zeitschrift,Berlin, 5 (1923), S. 382.

65. Reversible and irreversible evolution. Proceedings of theZoological Society of London, London (1923), S. 1045-1059.

66. Über eine neue Kreideschlange. PaläontologischeZeitschrift, Berlin, 5 (1923), S. 258, 264-265.

67. Über Proavis und die Herkunft der Vögel.Diskussionsbemerkungen. Verhandlungen derzoologisch-botanischen Gesellschaft, Wien, 72 (1923), S.83.

68. Über die Namen einiger brasilianischer fossilerKrokodile. Centralblatt für Mineralogie, Geologie undPaläontologie, Stuttgart, (1924), S. 378.

69. Bemerkungen und Ergänzungen zu G. v. ArthabersArbeit über Entwicklung und Absterben der Pterosaurier.Paläontologische Zeitschrift, Berlin 6 (1924), S. 80-92,191-247.

70. On the systematic position of Saurosternum andTangasaurus. South African Journal of Science, CapeTown, 21 (1924), S. 206-207.

71. On some reptilian bones fron the Eocene of Sokoto.Geological Survey of Nigeria. Occasional papers,London, 2 (1925), S. 1-16, Tab. I-II.

72. Die Symoliophis-Reste. Ergebnisse der ForschungsreisenProf. E. Stromer’s. Abhandlungen der Bayerischen

Page 590: Nopcsa Reisen Balkan

Verzeichnis von Nopcsas wissenschaftlichen Arbeiten

576

Akademie der Wissenschaften, Math.-naturws. Cl.München, 30 (1925), S. 1-27, Tab. I.

73. Die von Prof. Stromer in Denoman Aegyptens entdecktenReste von Symoliophis. Schweizerische PädagogischeZeitschrift, Zürich, (1925), S. 164-.

74. Askeptosaurus, ein neues Reptil der Trias von Besano.Centralblatt für Mineralogie, Geologie undPaläontologie, Stuttgart (1925), S. 265-267.

75. Bemerkungen über Petronievics seinen Arbeiten überArchaeopteryx. Geološki anali balkanskoga poluostrva /Annales géologiques de la peninsule balkanique,Belgrad, 8 (1926?), S. 105-111.

76. Osteologia reptilium recentium et fossilium. Fossiliumcatalogus, Pars I, Berlin, 27 (1926?), S. 1-391.

77. Diskussionsbemerkungen zu Fejérváy: Reversibilität undDollo’sches Gesetz. Paläontologische Zeitschrift, Berlin,7 (1926), S. 184.

78. Diskussionsbemerkungen zu Spillmann: Pterosaurier.Paläontologische Zeitschrift, Berlin, 7 (1926), S. 192.

79. A 4000 lb. insectivorous dinosaur. The IllustratedLondon News, London, 11 September 1926.

80. Heredity and evolution. Proceedings of the ZoologicalSociety of London, London 2 (1926), S. 633-665.

81. Neue Beobachtungen an Stomatosuchus. Centralblatt fürMineralogie, Geologie und Paläontologie, Stuttgart,(1926), S. 212-215.

82. Über Becken und Nuchale von Protosphargis.Centralblatt für Mineralogie, Geologie undPaläontologie, Stuttgart, (1926), S. 285-287.

83. Die Reptilien der Gosau in neuer Beleuchtung.Centralblatt für Mineralogie, Geologie undPaläontologie, Stuttgart, (1926), S. 520-523.

Page 591: Nopcsa Reisen Balkan

Verzeichnis von Nopcsas wissenschaftlichen Arbeiten

577

84. FejlÅdéstörténeti és örökléstani következtetések a hüllÅktanulmányozásábol. Állattani Közlemények, Budapest,24 (1927), S. 125-143.

85. Vererbung erworbener Eigenschaften. Natur undMuseum. Ber ich t der Senckenbergischennaturforschenden Gesellschaft, Frankfurt am Main, 57(1927), S. 124-.

86. Festrede, gehalten anläßlich des Besuches derPalaeontologischen Gesellschaft im M. Kir. FöldtaniIntézet in Budapest am 27. September. Budapest (1928),15 S.

87. The genera of reptiles. Palaeobiologica, Wien, 1 (1928),S. 163-188.

88. Megjegyzések egy polémiára. A Természet, Budapest, 24(1928), S. 190.

89. Palaeontological notes on reptiles. Geologica hungarica(Ser. Palaeontologica), Budapest, Fasc. 1 (1928), S. 1-84,Tab. I-IV.

90. Dinosaurierreste aus Siebenbürgen, V. Struthiosaurustranssylvanicus. Geologica hungarica (Ser.Palaeontologica), Budapest, Fasc. 4 (1929) S. 1-72, Tab. I-VI.

91. Sexual differences in Ornothopodous dinosaurs.Palaeobiologica, Wien, 2 (1929), S. 187-201.

92. Noch einmal Proavis. Anatomischer Anzeiger, Jena, 67(1929), S. 265-300.

93. Zur Systematik und Biologie der Sauropoden.Palaeobiologica, Wien, 3 (1930), S. 40-52.

94. Notizen über Macrochemus Bassanii, nov. gen. et. spec.Centralblatt für Mineralogie, Geologie undPaläontologie, Stuttgart (1930), S. 252-255.

95. Zur systematischen Stellung dreier von Wiman aus Chinabeschriebener fossiler Schildkröten. Centralblatt für

Page 592: Nopcsa Reisen Balkan

Verzeichnis von Nopcsas wissenschaftlichen Arbeiten

578

Mineralogie, Geologie und Paläontologie, Stuttgart(1930), S. 510-512.

96. Notes on Stegocephalia and Amphibia. Proceedings ofthe Zoological Society of London, London 4 (1930),S. 979-995.

97. On Tröodon, a reply to Dr. C. W. Gilmore. Annals andmagazine of natural history, zoology, botany andgeology, London, (ser. 10), 8 (1931), S. 70-72.

98. Note préliminaire sur quelques tortues du Danien duMidi de la France. Ann. Mus. d’Hist. Nat., Marseille, 22(1931), S. 109-113.

99. Sur des nouveaux restes de tortues du Danien du Midi dela France. Bull. Soc. Géol. France, Paris (ser. 5) 1(1931), S. 223-235, Tab. XII-XIII.

100. Osteologia reptilium recentium et fossilium. Fossiliumcatalogus, Pars I, Berlin, 50 (1931), 62 S.

101. The influence of geological and climatological factors onthe distribution of non-marine fossil reptiles andStegocephalia. Quarterly Journal of the GeologicalSociety, London, 88 (1933).

102. On the biology of the Theromorphous reptileEuchambersia. Annals and magazine of natural history,zoology, botany and geology, London (1933).

103. On the histology of the ribs of immature and half-grownTrachodont dinosaurs. Proceedings of the ZoologicalSociety of London, London (1933), S. 221-226.

Zoologie und Anatomie

104. Über den Längen-Breiten-Index des Vogelsternums.Anatomischer Anzeiger, Jena, 50 (1918), S. 510-512.

Page 593: Nopcsa Reisen Balkan

Verzeichnis von Nopcsas wissenschaftlichen Arbeiten

579

105. A case of a secondary adaptation of a tortoise. Annalsand magazine of natural history, zoology, botany andgeology, (ser. 9), London 10 (1922), S. 155-157.

106. Vorläufige Notiz über die Pachyostose und Osteokleroseeiniger mariner Wirbeltiere. Anatomischer Anzeiger,Jena, 56 (1923), S. 353-359.

107. Über prozöle und opisthozöle Wirbel. AnatomischerAnzeiger, Jena 69 (1930), S. 19-24.

108. Über die Orientierung konvexo-konkaver Gelenkflächen.Anatomischer Anzeiger, Jena 70 (1930), S. 401-415.

109. Zur systematischen Stellung von Shinisaurus.Zoologischer Anzeiger, Leipzig, 97 (1932), S. 185-187.

Geologie und Geographie

110. Vorläufiger Bericht über das Auftreten von obererKreide im Hátszeger Thale in Siebenbürgen.Verhandlungen der Kais. Königl. GeologischenReichsanstalt, Wien, (1897), S. 273-274.

111. Jurakalk vom Sztenuletye. Földtani Közlöny, Budapest29 (1899), S. 29-30.

112. Jurabildungen aus dem Zsyltale. Földtani Közlöny,Budapest, 29 (1899), S. 321-322.

113. Bemerkungen zur Geologie der Gegend von Hátszeg.Földtani Közlöny, Budapest, 29 (1899), S. 360-362.

114. Zu Blanckenhorns Gliederung der SiebenbürgischenKreide. Zeitschrift der deutschen Geologen Gesellschaft,Berlin, 53 (1901), S. 1-4.

115. Referate über Broom: On the structure of palate inDicynodon, on Ictidosuchus primaevus, on the phylogenyand affinities of Udenodon. Huene: Übersicht über die

Page 594: Nopcsa Reisen Balkan

Verzeichnis von Nopcsas wissenschaftlichen Arbeiten

580

Reptilien der Trias. Verhandlungen der Kais. Königl.Geologischen Reichsanstalt, Wien, (1902), S. 332-335.

116. Über das Vorkommen von Dinosauriern beiSzentpéterfalva. Zeitschrift der deutschen GeologischenGesellschaft, Berlin, 54 (1902), S. 34-39.

117. Adatok a Zsyl-völgy geologiájához. Bányászati ésKohászati Lapok, Budapest (1903), S. 750-753.

118. Gyulafehérvár, Déva és Ruszkabánya és a román határközé esÅ vidék geologiája. A Magyar Királyi FöldtaniIntézet Évk., Budapest, 14 (1905) S. 81-254.

119. Zur Geologie der Gegend zwischen Gyulafehérvár, Déva,Ruszkabánya und der rumänischen Landesgrenze.Mitteilungen aus dem Jahrbuch der kgl. UngarischenGeologischen Reichsanstalt, Budapest 14 (1905), S. 91-279, Tab. XV.

120. Zur Geologie von Nordalbanien. Jahrbuch der kaiserlich-königlichen Geologischen Reichsanstalt, Wien, 55.1(1905), S. 85-152, Tab. IV.

121. Neues aus Nordalbanien. Centralblatt für Mineralogie,Geologie und Paläontologie, Stuttgart (1906), S. 65-66.

122. Weitere Beiträge zur Geologie Nordalbaniens.Mitteilungen der Kais. Königl. GeologischenGesellschaft, Wien, 1 (1908), S. 103-111, Tab. II-III.

123. Die Mineralquellen Makedoniens. Mitteilungen der Kais.Königl. Geographischen Gesellschaft, Wien (1908), S.242-292, Tab. I.

124. Danien nördlich vom Maros. Földtani Közlöny,Budapest, 39 (1909), S. 129-130.

125. A Marostól Északra fellépÅ Danien Erdélyben. FöldtaniKözlöny, Budapest, 39 (1909), S. 57-58.

126. Bemerkungen zu Prof. Frechs Publikation über dieGeologie Albaniens. Centralblatt für Mineralogie,

Page 595: Nopcsa Reisen Balkan

Verzeichnis von Nopcsas wissenschaftlichen Arbeiten

581

Geologie und Paläontologie, Stuttgart (1910), S. 699-707.

127. Geologiai megfigyelések HerkuslesfürdÅ körül. FöldtaniKözlöny, Budapest, 40 (1910), S. 622-624

128. Geologische Beobachtungen um HerkulesfürdÅ. FöldtaniKözlöny, Budapest, 40 (1910), S. 671-674.

129. Geology of Northern Albania. Quarterly Journal of theGeological Society, London, 67 (1911), Proceedings,S. XCIV.

130. Zur Geologie von Nordalbanien, mit besondererBerücksichtigung der Tektonik. Zeitschrift der deutschenGeologischen Gesellschaft. Monatsberichte, Berlin, 63.4(1911), S. 189-191.

131. Zur Stratigraphie und Tektonik des Vilajets Skutari inNordalbanien. Jahrbuch der Kais. Königl. GeologischenReichsanstalt, Wien, 61 (1911), S. 229-284, Tab. XII-XXIV.

132. NOPCSA & REINHARD, Max: Zur Geologie undPetrographie des Vilajets Skutari in Nordalbanien.Anuarul Institutului Geologic al României, Bukarest, 5.1(1912), S. 1-27.

133. Adatok az Északalbán parti hegyláncok geologiájához. AMagyar Királyi Földtani Intézet Évkönyve, Budapest, 25(1916), S. 367-393, Tab. XI-XIII.

134. Begleitwort zur geologischen Karte von Nordalbanien,Rascien und Ost-Montenegro. Földtani Közlöny,Budapest, 46 (1916), S. 301-305, Tab. I.

135. Észak-Albánia, Rácország és Keletmontenegró geologiaitérképe. Földtani Közlöny, Budapest, 46 (1916), S. 227-231.

136. Zur Geschichte der Kartographie Nordalbaniens.Mitteilungen der Kais. Königl. GeographischenGesellschaft in Wien, Wien, 59 (1916), S. 520-585.

Page 596: Nopcsa Reisen Balkan

Verzeichnis von Nopcsas wissenschaftlichen Arbeiten

582

137. Karsthypothesen. Verhandlungen der Kais. Königl.Geologischen Reichsanstalt, Wien, 1918, S. 114-123.

138. Ein mittelalterliches geographisches Dokument ausAlbanien. Dr. A. Petermanns Mitteilungen, Gotha, 64(1918), S. 266-267.

139. Über das Auftreten des Namens Montenegro auf altenKarten. Mitteilungen der Geographischen Gesellschaft inWien, Wien, 61 (1918), S. 49-50.

140. A Dinári Alpok geológiai szerkezete (I-II rész). FöldtaniSzemle, Budapest, 1.1 (1921), S. 13-21; 1.2 (1922)S. 104-108.

141. Geologische Grundzüge der Dinariden. GeologischerRundschau, Leipzig, 12 (1921), S. 1-19.

142. Zur Arbeitsmethode Professor L. Kobers. Verhandlungender Geologischen Bundesanstalt, Wien, 1924, S. 198-199.

143. Zur Geologie der Küstenkette Nordalbaniens.Mitteilungen aus dem Jahrbuch der kgl. UngarischenGeologischen Bundesanstalt, Budapest, 24 (1925),S. 133-164, Tab. VIII-X.

144. Beiträge zur Verteilung der Eruptivgesteine. FöldtaniKözlöny, Budapest, 56 (1926), S. 149-160.

145. Az eruptiv kÅzetek eloszlásának kérdéséhez. FöldtaniKözlöny, Budapest, 56 (1926), S. 10-21.

146. Sur la géologie de l’Albanie et spécialement sur latectonique. Comptes-rendus des Séances, InstitutGéologique de Roumanie, Bukarest, 6 (1927), S. 30-32.

147. Észrevételek dr. Pávai-Vajna Ferenc ‘Magyarországhévvizei, azok felkeresése és kitermelése’ c. cikkére.Bányászati és Kohászati Lapok, Budapest, 61 (1928), S.168-169.

148. Explanation to the map. Geological and tectonical mapof the County of Hunyad, Budapest (1928).

Page 597: Nopcsa Reisen Balkan

Verzeichnis von Nopcsas wissenschaftlichen Arbeiten

583

149. Megjegyzések a lillafüredi mészkÅtufa képzÅdéséhez.Bányászati és Kohászati Lapok, Budapest, 61 (1928), S.109.

150. Sur la distribution des principaux types des rocheséruptives. Congrès Géologique International. Comptesrendus de la XIVe session en Espagne, QuatrièmeFascicule, Madrid, (1926), S. 1381.

151. Zur Tektonik der Dinariden. Centralblatt für Mineralogie,Geologie und Paläontologie, Stuttgart (1928), S. 434-438.

152. Geologie und Geographie Nordalbaniens. Geologicahungarica. Fasciculi ad illustrandum notionemgeologicam et palaeontologicam Regni Hungaricae.Series geologica. Tomus III (Institutum Regni HungariaeGeologicum, Budapest 1929), S. 7-620, Tab. I-XXXV.

153. Zur Geschichte der okzidentalen KartographieNoralbaniens. Geologica hungarica. Fasciculi adillustrandum notionem geologicam et palaeontologicamRegni Hungaricae. Series geologica. Tomus III(Institutum Regni Hungariae Geologicum, Budapest1929), S. 651-703.

154. Pávay-Vajna Ferenc dr, a fÅbányatanácsos ésfÅgeologus. Budapesti Hirlap, Budapest 28. April 1929,S. 5-6.

155. Zur Tektonik Mittelalbaniens. Zeitschrift der DeutschenGeologischen Gesellschaft, Berlin, 82 (1930), S. 1-13.

156. Glossen zu E. Haarmanns Oszillations-Theorie.Centralblatt für Mineralogie, Geologie undPaläontologie, Stuttgart (1932), S. 265-268.

157. Zur Geschichte der Adria. Eine tektonische Studie.Zeitschrift der Deutschen Geologischen Gesellschaft,Berlin, 84 (1932), S. 280-316, Tab. VIII.

Page 598: Nopcsa Reisen Balkan

Verzeichnis von Nopcsas wissenschaftlichen Arbeiten

584

158. Über die Beziehungen zwischen Erdbeben und Luftdruck.Gerland’s Beiträge zur Geophysik, Leipzig (1933).

159. Notizen zur Großtektonik der Erde. Centralblatt fürMineralogie, Geologie und Paläontologie, Stuttgart(1933), S. 369-379.

Archäologie und Ethnographie

160. Beitrag zur Statistik der Morde in Nordalbanien.Mitteilungen der Kais. Königl. GeographischenGesellschaft in Wien, Wien, 50, 8 (1907), S. 429-437.

161. Bemerkungen zu E. Barbarichs Arbeit ‘Albania’.Mitteilungen der Kais. Königl. GeographischenGesellschaft in Wien, Wien, 50, 8 (1907), S. 424-428.

162. Das katholische Nordalbanien. Eine Skizze von Dr.Franz Baron Nopcsa. Anhang: Geographisch-geologische Resultate. Földrajzi közlemények, Budapest,35 (1907) 56 S., Tab. I.

163. A katolikus Észak-Albánia. Földrajzi közlemények,Budapest, 35 (1907), S. 191-213, 243-266.

164. Brief über seine Reise in Nordalbanien. Mitteilungen derKais. Königl. Geographischen Gesellschaft in Wien,Wien (1908).

165. Nordalbanische Eisenbahnprojekt. ÖsterreichischerRundschau, Wien (1908).

166. Archäologisches aus Nordalbanien. WissenschaftlicheMitteilungen aus Bosnien und Hercegowina, Wien, 9(1909), 2, S. 82-90.

167. Aus Šala und Klementi. Albanische Wanderungen. ZurKunde der Balkanhalbinsel 1, Reisen und Beobachtungen11, Sarajevo (1910) 115 S.

Page 599: Nopcsa Reisen Balkan

Verzeichnis von Nopcsas wissenschaftlichen Arbeiten

585

168. Über seine archäologischen Funde in Nordalbanien.Sitzungsberichte der Anthropologischen Gesellschaft,Wien, 40 (1910), S. 31-32.

169. Der Albanesenaufs tand. Die Tei lnahmemohammedanischer Albaner an der Rebellion.Reichspost, 19. Juli 1911.

170. Die Autonomie Albaniens. Das Vaterland, 13. Juli 1911.171. A Legsötétebb Európa. Vándorlások Albániában.

Utazások Könyvtára, Budapest (1911) 64 S.172. Sind die heutigen Albanesen die Nachkommen der alten

Illyrier. Ein Kommentar zu E. Fischers gleichnamigemAufsatz. Zeitschrift für Ethnologie, Berlin, 43 (1911),S. 915-921.

173. Über das Photographieren in Nordalbanien. WienerMitteilungen photographischen Inhalts, Wien 14 (1911).S. 13-15.

174. Beiträge zur Vorgeschichte und EthnologieNordalbaniens. Wissenschaftliche Mitteilungen ausBosnien und der Herzegowina, Wien, 12 (1912). S. 168-253.

175. Haus und Hausrat im katholischen Nordalbanien. ZurKunde der Balkanhalbinsel. 1. Reisen undBeobachtungen Heft 16. Herausgegeben von Carl Patsch.B o s n i s c h - H e r z e g o w i n i s c h e s I n s t i t u t f ü rBalkanforschung, Sarajevo (1912) 92 S.

176. Zur vorgeschichtlichen Ethnologie von Nordalbanien.Wissenschaftliche Mitteilungen aus Bosnien und derHerzegowina, Wien (1912).

177. Die Albaner. Urania, Wien, 1-2 (1913), 16 S.178. Thrakisch-albanische Parallelen. Anthropos.

Internationale Zeitschrift für Völkerkunde undSprachenkunde, Wien, 8 (1913), S. 138-150.

Page 600: Nopcsa Reisen Balkan

Verzeichnis von Nopcsas wissenschaftlichen Arbeiten

586

179. Zu Fischers Albanerforschung. Korrespondenz-Blatt derDeutschen Gesellschaft für Anthropologie, Ethnologieund Urgeschichte, Braunschweig, 45, (1914), S. 29-31.

180. Adalékok Észak-Albánia népességi statisztikájához.Merdita. Turán, Budapest, 6-7 (1917), S. 311-321; 8-9(1917), S. 347-358.

181. Az Albániáról szóló legújabb irodalom. HornyánszkyViktor Könyvnyomdájából, Budapest 1918; NachdruckTurán, Budapest (1919) 21 S.

182. Zur Genese der primitiven Pflugtypen. Zeitschrift fürEthnologie, Berlin, 51 (1919), S. 234-242.

183. Burimi i Kanunit të Lek Dukagjinit. Dialëria, Wien(1920), 4, S. 5-7.

184. Shpia e bulkut në Shqypnië të Verit. Dialëria, Wien(1920), 6, S. 1-4.

185. Zakonet e bestytnia në Shqipnië. Dialëria, Wien (1921),11, S. 1-8.

186. On the primitive wooden ploughs of the Balkanpeninsula. Glasnik geografskog društva / Annuaire degéographie, Belgrade, 7-8, 1922, S. 260-262.

187. Die Herkunft des nordalbanischen Gewohnheitsrechts,des Kanun Lek Dukadžinit. Zeitschrift für vergleichendeRechtswissenschaft, Stuttgart, 40 (1923), S. 371-376.

188. Úti jegyzetek egy amatÅr-ethnográfus naplójából.Ethnographia / Népélet, Budapest, 34-35 (1924), S. 64-74.

189. Albanien. Bauten, Trachten und Geräte Nordalbaniens.De Gruyter, Berlin & Leipzig (1925) viii + 257 S.,Tab. I-IV

190. Ergänzungen zu meinem Buche über die Bauten,Trachten und Geräte Nordalbaniens. Zeitschrift fürEthnologie, Berlin, 59, 1927, S. 279-281.

Page 601: Nopcsa Reisen Balkan

Verzeichnis von Nopcsas wissenschaftlichen Arbeiten

587

191. Topographie und Stammesorganisation in Nordalbanien.Festschrift für Carl Uhlig. Zu seinem sechzigstenGeburtstag von seinen Freunden und Schülerndargebracht. Öhrlingen (1932), S. 295-305.

Page 602: Nopcsa Reisen Balkan

588

Bibliographie

Akadémiai ÉrtesítÅ (Hrsg.)A. M. Tud. Akadémia beltagjainak irodalmi munkássága1917-ben. Báró Nopcsa Ferenc l. t. Akadémiai ÉrtesítÅ,Budapest, 28 (1917) 11-12, S. 638-640.A. M. Tud. Akadémia tagjainak tudományos munkássága.Báró Nopcsa Ferenc l. t. Akadémiai ÉrtesítÅ, Budapest,35 (1924) 7-12, S. XVI-XVIII.

BALDACCI, AntonioProf. Barone Francesco Nopcsa. Rendiconto delleSessioni della R. Accademia delle Scienze dell'Istituto diBologna. Classe di Scienze Fisiche. Nuova Seria,Bologna, 37 (1932-1933), S. 143-149.

BAXHAKU, Fatos & KASER, KarlDie Stammesgesellschaften Nordalbaniens. Berichte undForschungen österreichischer Konsuln und Gelehrter(1861-1917). ISBN 3-205-98470-6. (Böhlau, Wien, Köln& Weimar 1996) 459 S.

COLBERT, Edwin HarrisMen and dinosaurs. The search in the field andlaboratory (New York 1968)The great dinosaur hunters and their discoveries (NewYork 1984)

DEUSCH, EngelbertAlbanische Thronbewerber. Ein Beitrag zur Geschichteder albanischen Staatsgründung. Münchner Zeitschriftfür Balkankunde, München 4 (1981), S. 89-150; 5(1986), S. 121-164; 6 (1990), S. 93-151.

DUDICH, Endre & HÁLA, József (Hrsg.)

Page 603: Nopcsa Reisen Balkan

Bibliographie

589

International conference on Ferenc Nopcsa and Albania.13-14 October 1993. Abstracts (Hungarian GeologicalSurvey, Budapest 1993) 54 S.

EDINGER, TillyNopcsa ^. Anatomischer Anzeiger, Jena, 76, 1-4 (1934),S. 59-62.Personalities in paleontology. Nopcsa. Society ofVertebrate Paleontology News Bulletin, New York, 43(1955), S. 35-39.

FÄZY, IstvánA tudomány nagy különce. Nopcsa Ferenc. TermészetVilága, Természettudományi Közlöny, Budapest, 122(1991), S. 467-469.

GAÁL, Gábor & VETÄNÉ, Ákos ÉvaAlbániai tanulmányút Nopcsa Ferenc halálának 60.évfordulója alkalmából. 1993. augusztus 23-30. Kzt.Magyar Állami Földtani Intézet. TudománytörténetiGyájtemény. (Budapest 1993)

GRUDA, GjovalinVlerat historike dhe aktuale të punimeve të Nopcsa-s nëstudimet gjeografike shqiptare. Hylli i dritës, Tirana(1997) 3-4, S. 47-51.

HÁLA, JózsefFranz Baron von Nopcsa. Anmerkungen zu seinerFamilie und seine Beziehungen zu Albanien. EineBibliographie. ISBN 3-900312-89-3. (Verlag derGeologischen Bundesanstalt, Wien 1993) 77 S.

HÁLA, József (Hrsg.)Nopcsa Ferenc - Emlékszám. Néprajzi hírek, A MagyarNéprajzi Társaság Tájékoztatója / EthnographischeNachrichten, Informationsheft der UngarischenEthnographischen Gesellschaft, Budapest (1994) 1-2.

KÁDÁR, Zoltán & NAGY, István Zoltán

Page 604: Nopcsa Reisen Balkan

Bibliographie

590

100 éve született Nopcsa Ferenc. Állattani Közlemények,Budapest, 65 (1978), 1-4, S. 7-12.

KORDOS, LászlóNopcsa Ferenc emlékezete. Földtani TudománytörténetiÉvkönyv, Budapest, 10 (1985), S. 245-249.

KOSTALLARI, AndrokliNjë vepër e panjohur poetike e Franz Nopçës, 'Gedichtdes Colez Marku'. Studime filologjike, Tirana (1966) 3,S. 69-97.

LAMBRECHT, Kálmán (= Coloman)Báró Nopcsa Ferenc. Budapesti Szemle, Budapest, 230(1933), S. 361-372.Franz Baron Nopcsa ^, der Begründer derPaläontologie, 3. Mai 1877 - 25. April 1933.Paläontologische Zeitschrift, Berlin, 15 (1933), S. 201-221.Le baron François Nopcsa (1877-1933). Nouvelle Revuede Hongrie, Budapest, 27 (1934), S. 77-81.

MUKA, Ali Franc Nopça dhe fshati i Shqipërisë Veriore. Kulturapopullore, Tirana, 1997, 1-2, S. 203-210.Fizionomia e fshatit të Shqipërisë Veriore në vështrim tëFranz Nopçës (me rastin e 120-vjetorit të lindjes). Perla,revistë shkencore-kulturore tremujore, Tirana, 1998, 1-2,S. 35-48.Franc Nopça dhe vendbanimet fshatare të ShqipërisëVeriore. Seminari i dytë ndërkombëtar 'Shkodra nëshekuj' (22-23 qershor 1995). Vëllimi 1. Hrsg. MentorQuku. (Muzeu Historik i Shkodrës, Shkodra 1998),S. 245-252.

NOPCSA, FranzBurimi i Kanunit të Lek Dukagjinit. Dialëria, Wien,(1920) 4, S. 5-7.

Page 605: Nopcsa Reisen Balkan

Bibliographie

591

Shpia e bulkut në Shqypnië të Verit. Dialëria, Wien,(1920) 6, S. 1-4.Karakteri i shqiptarëve. Kultura popullore, Tirana,(1983) 1, S. 195-200.

ROBEL, Gert Franz Baron Nopcsa und Albanien. Ein Beitrag zu

Nopcsas Biographie. Albanische Forschungen 5.(Harrassowitz, Wiesbaden 1966) 191 S.

SUESS, Franz E.Franz Baron Nopcsa ^ (3. Mai 1877 - 25. April 1933).Mitteilungen der Geologischen Gesellschaft in Wien,Wien, 26 (1934), S. 215-221.

TASNÁDI KUBACSKA, András (= Andrew)Báró Nopcsa Ferenc kalandos élete. (Franklin-Társ,Budapest s.a. [1937]) 143 S.Nopcsa. Almost King of Albania. The Hungarianquarterly, Budapest, 4 (1938), S. 517-528.Franz Baron Nopcsa. 7 Tafeln. Leben und Briefeungarischer Naturforscher 1. (Verlag des UngarischenNaturwissenschaftlichen Museums, Budapest 1945)295 S.Nopcsa Ferenc. Élet és tudomány, Budapest, 12 (1957),S. 1635-1639.Nagy magyar természettudósok. (Budapest 1958).Nopcsa Ferenc. Földtani Tudománytörténeti Évkönyv,Budapest (1978), S. 79-83.

TIRTA, MarkFranc Nopcsa, studiues e etnokulturës shqiptare. Kulturapopullore, Tirana, 1993, 1-2, S. 153-160.

WEISHAMPEL, David B, GRIGORESCU, Dan, & NORMAN,David B.

The dinosaurs of Transylvania. National GeographicResearch and Exploration, 7 (1991), S. 196-215.

Page 606: Nopcsa Reisen Balkan

Bibliographie

592

WEISHAMPEL, David B. & REIF, Wolf-ErnstThe work of Franz Baron Nopcsa (1877-1933).Dinosaurs, evolution and theoretical tectonics. Jahrbuchder Geologischen Bundesanstalt, Wien, 127 (1984), S.187-203.

WOODWARD, Arthur SmithObituary notices. Baron Francis Nopcsa. QuarterlyJournal of the Geographical Society of London,Proceedings, London, 15 (1934), S. 48-49.

ZOJZI, Rrok & MUZHANI, ZefSome annotations about the life and activity of F. BaronNopcsa in Albania. Hylli i dritës, Tirana (1997) 3-4,S. 40-46.

Page 607: Nopcsa Reisen Balkan

593

Inhaltsverzeichnis

Einleitung des Herausgebers

Teil I Studien und erste Reisen (1897-1905)

Universitätszeit. Zu Pferd und zu Fuß durch Bosnien und dieLika. Einjährig Freiwilliger. Erste Reise nach Italien. Meran. DieFamilie Buchholz. Mailand. Venedig. Studienreise nachSüddeutschland. Reise nach Griechenland. Lerne Baron Buriankennen. Mazedonien und die dortigen Verhältnisse. Erst Reisenach Konstantinopel. Zollschwierigkeiten. Über Athen nachSkopje. Ritt durch Albanien. Studienreisen. Noch einmalKonstantinopel. Ausflug nach Ägypten. Am Rande der Wüste.

Teil II Forschungsreisen in Albanien (1905-1910)

Reisen und kleine Abenteuer in Albanien. Studien in England.Wieder in Albanien. Ein Ausflug in die albanische Hochgebirge.Schwierigkeiten mit den türkischen Behörden. Von albanischenRäubern gefangen. Die internationale Reformaktion inMazedonien und Österreich-Ungarns zwiespältige Rolle.Albanien in der ersten Zeit der Jungtürken-Herrschaft. DieAnnexionskrise. Lerne Conrad von Hötzendorf und ExzellenzKrobatin kennen. Ein mißglückter Waffenschmuggel desösterreichisch-ungarischen Ministeriums des Äußeren. Episodenmit Türken und Albanern. Der katholische Klerus Nordalbaniens.Verhalten Italiens.

Page 608: Nopcsa Reisen Balkan

Inhaltsverzeichnis

594

Teil III Zwischen der Annexion und dem Balkankrieg(1910-1912)

Einige Beamte des österreichisch-ungarischen Ministeriums desÄußeren. Urteil über die Jungtürken. Erster Konflikt mit demMinisterium des Äußeren. Lexa von Aehrenthal. Einblick in dasVerhältnis Conrad-Aehrenthal. Fußwanderung durch das östlicheBosnien. Lerne Exzellenz Auffenberg kennen. England und dieEngländer. Erster Kontakt mit Erzherzog Franz Ferdinand. ErsteTätigkeit als Journalist. Bei den Jungtürken und den albanischenRebellen. Ernstes und heiteres aus der Redaktionsstube. ScharfeAngriffe gegen Aehrenthal. Albanien während des türkisch-italienischen Krieges. Der Konflikt Conrad-Aehrenthal. GrafBerchtold. Die letzte albanische Revolte. VergeblicheVorschläge.

Teil IV Zwischen Balkankrieg und Weltkrieg (1912-1914)

Balkankrieg. Lerne Exzellenz Schemua kennen. Als Schafhirtunter nomadisierenden Schafhirten. Serbische Propaganda inSüdungarn und ein kritischer Moment. Demaskierung derserbischen Propaganda. Großrumänische Wühlarbeit inSiebenbürgen. Rehabilitierung Conrads. Gründung des halb-offiziellen österreichischen Albanien-Komitees. DerAlbanerkongreß in Triest. Der Putschversuch des Herzog vonMontpensier. Die Londoner Friedenskonferenz. Ich ziehe michvon der Albanien-Propaganda zurück. Wieder Schafhirt.Wanderung mit einer Schafherde. Soziale Stellung der Hirten.Als Schafhirt in den Karpathen. Rumänisch-serbischeAnnäherungen. Graf Berchtolds politische Fehler. Zurück nachAlbanien. Ein Mord. Konflikt mit dem österreichisch-ungarischen

Page 609: Nopcsa Reisen Balkan

Inhaltsverzeichnis

595

Konsul in Shkodra. Mein Leben in Shkodra. Börsenspekulantenim österreichisch-ungarischen Ministerium des Äußeren.Studienreise nach Deutschland und Belgien. Das Debakel desFürsten Wied in Albanien. Falsche Beurteilung derinternationalen Lage durch die österreichisch-ungarischeDiplomatie.

Teil V Weltkrieg (1914-1917)

Als Agitator in Albanien. In besonderer Mission in Bukarest.Graf Czernin. Ausflug in die Dobrudscha. Meine Tätigkeitmißfällt dem Armee-Oberkommando. Ein Albaner in Wien. AlsInstruktionsoffizier in Budapest. Als Schafhirt in den Karpathenund in Rumänien. Kritische Zwischenfälle. Zurück nach Ungarn.Mein Vorgesetzter ist selbst rumänischer Spion. Aufgefordert inAlbanien Freischaren aufzustellen. Es wird ‘herumgewurstelt’.Ein Zwischenfall mit Bulgaren. Unzuverlässigkeit der höherenKommanden. Mißlingen des Unternehmens und seine Ursachen.Ein grober Bericht. Ich werde aus Albanien entfernt. An derungarisch-rumänischen Grenze. Kriegserklärung Rumäniens. DieLage in Siebenbürgen. Beim Armee-Oberkommando in Ungnade.Bei deutschen Truppen. Krank. Wieder bei deutschen Truppen.Konflikt mit dem Armee-Oberkommando. Beim Ersatzkörper.Enthebung vom Militärdienst.

ANHANG

Verzeichnis von Nopcsas wissenschaftlichen Arbeiten (1897-1933)

Bibliographie

Page 610: Nopcsa Reisen Balkan

Inhaltsverzeichnis

596

Inhaltsverzeichnis

Orts- und Namensregister

[erst veröffentlicht als / first published as: Reisen in denBalkan: Die Lebenserinnerungen des Franz Baron Nopcsa.Eingeleitet, herausgegeben und mit Anhang versehen vonRobert Elsie. Dukagjini Balkan Books (Dukagjini, Peja2001) xii + 527 pp.]