Europarecht I
Prof. Dr. Dr. h.c. Ingolf PerniceHumboldt-Universität zu Berlin
Pflichtvorlesung im Öffentlichen Recht3. Studiensemester
Wintersemester 2010/11
§ 2 Das Institutionelle System
Organe der EUArtikel 13 EUV(1) Die Union verfügt über einen institutionellen Rahmen ... — das EUROPÄSCHE PARLAMENT, — Der EUROPÄISCHE RAT— der RAT, — die EUROPÄISCHE KOMMISSION, — der GERICHTSHOF DER EUROPÄISCHEN UNION — die EUROPÄISCHE ZENTRALBANK— der RECHNUNGSHOF. (...)
(2) Jedes Organ handelt nach Maßgabe der ihm in den Verträgen zugewiesenen Befugnisse nach den Verfahren, Bedingungen und Zielen, die in den Verträgen festgelegt sind. Die Organe arbeiten loyal zusammen.
Der Institutionelle Rahmen der EU
UnionsbürgerInnen
Nat. ParlamenteEurop. Parlam.
Regierungen KommissionChefs
Präsid.
wählen wählen
Rat der EUPräsident
Europ. Raternennt
EuGH27 Richter, 8 GA
Wahl: Art. 17 VII 2 EUV
Zustimmung
RechnH1 pro MSt
Ernennt Mitglieder
Anhörung
Ernennen im ggs. Einvernehmen
KontrolleWahlKontrolle
Sitzt in
H.V.ernenntSitzt in
Präsident des Europäischen Rates
• Präsident des Europäischen Rats auf zweieinhalb Jahre vom Europäischen Rat gewählt: Art. 15 EUV
• Aufgabe: Wahrung von Konsistenz, Kontinuität und Konsens nach innen und Kontinuität gegenüber dritten Staaten und internationalen Organisationen
• Konkurrenz ER-Präsident – Kommissionspräsident – Außenbeauftragter
• Unterscheide: Vorsitz im Rat wechselt weiterhin, Art. 16 IX EU-L iVm. Art. 236 AEUV, aber sog. Troika
Europäischer Rat Art. 15 EUV, Art. 235 f. AEUV - Aufgaben
1. Art. 15 (1) Der Europäische Rat gibt der Union die für ihre Entwicklung erforderlichen Impulse und legt die allgemeinen politischen Zielvorstel-lungen und Prioritäten hierfür fest. Er wird nicht gesetzgeberisch tätig.
2. Kreationsrecht: Art. 17 (7) Vorschlag des Kandidaten für das Amt des Präsidenten der Kommission, Art. 18 (1) Ernennung des Hohen Vertreters der Union für die Außen- und Sicherheitspolitik
3. Grundsatzbeschlüsse: Art. 22 EUV strategische Interessen und Ziele der Union, Art. 26 (1) EU-L strategischen Interessen, Ziele und Leitlinien der GASP, Art. 68 AEUV Leitlinien für den RFSR, Art. 121 AEUV: Grundzüge der Wirtschaftspolitik, Art. 148 II Leitlinien der Beschäftigungspolitik
4. Art. 42 (2) Einführung einer gemeinsamen Verteidigungspolitik und gemeinsamen Verteidigung
5. Art. 48 (3, 6 u. 7) EUV Beschlüsse zu Vertragsänderungen6. Beschlüsse über die Anwendung von speziellen Brückenklauseln, vgl.
etwa Art. 31 (3) und EUV, 86, 312 AEUV 7. Beschlüsse im Notbremse-Verfahren: Art. 48, 82 (3), 83 (3), 87 AEUV8. Art. 236 AEUV Beschlüsse über Formationen des Rates
Rat der EU
(Ministerrat)
Art. 16 EUV, Art. 237 ff. AEUV
Sitz in Brüssel
Rat - Art. 16 EU-L, 237 ff. AEUVAufgaben
• Art. 7 EU-L Beschlüsse im Rahmen des Sanktionsverfahrens nach Feststellung schwerwiegender Verstöße durch den Europäischen Rat (Abs. 2)
• Art. 16 (1) EUV Der Rat ist gemeinsam mit dem Europäischen Parlament Gesetzgeber der Union
• Art. 17 (7) Uabs. 2 EUV: Annahme der Liste der Mitglieder des Kollegiums der Kommission
• Art. 26 (2) EUV Gestaltung der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik nach den Leitlinien des Europäischen Rates
• Art. 42 (4) EUV Beschlüsse zur Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik, Art. 44: Durchführung von Missionen
• Art. 121 Koordinierung der Wirtschaftspolitik, Art. 126 (6-9) Defizitverfahren der WWU
• Abschluss von internationalen Verträgen (Art. 207 (4), 218 (4-9) AEUV)• Art. 311 ff. Beschlüsse zu EU-Eigenmitteln, Finanzierung und Haushalt
? Frage: Wann handeln die Mitgliedstaaten „im Einvernehmen?“: -> Art. 19 (2) EU-L, 341, 347 AEUV
Beschlussfassung im RatArt. 16 IV EUV, Art. 238 I AEUV
• Einstimmig: in sensiblen Bereiche, z.B. GASP, Justiz. u. poliz. Zusammenarbeit (Art. 81 III, 83 I 3, 86, 87, 89), Finanzen (Art. 311, 312 (2), Maßnahmen steuerlicher Art (Art. 192 II AEUV)
• Qualifizierte Mehrheit– Ordentliches Rechtsetzungsverfahren nach Art. 289 AEUV,
z.B. Harmonisierung im Binnenmarkt (Art. 114 AEUV), Umwelt (192 I AEUV)
– „Doppelte“ bzw. „qualifizierte Mehrheit: Art. 16 III-V EUV• Doppelte Mehrheit im Regelfall ab 2014 55% der Mitgliedstaaten mind. 15 Mitgliedstaaten 65% der EU-Bevölkerung (heute 62 %)
Blockade nur durch mind. 4 MitgliedstaatenDoppelte Mehrheit bei Handeln ohne Vorschlag (Art. 238 II
AEUV): 72 % der MitgliederWichtig: Übergangsprotokoll bis 2014-17 (Art. 16 V EUV)
• Einfache Mehrheit: Art. 238 I AEUV - z.B. Verfahrensfragen=> Vgl. nachfolgende Tafel über das Stimmgewicht Nizza
Europäisches Parlament
Art. 223 ff. AEUV
Sitz in Straßburg
Ausschusssitzungen in Brüssel
Europäisches ParlamentZusammensetzung
• 750 + 1 Abgeordnete als Vertreter der Unionsbürgerinnen und Unionsbürger: (Art. 14 II EUV, s. aber Lissabon-Urt., Rn. 280 a.E.: nach wie vor die Völker der Mitgliedstaaten)
• Verteilung der Quoten der Mitgliedstaaten „degressiv proportional“, mindestens 6, höchstens 96 Sitze (Art. 14 II EUV)
• Wahl durch Unionsbürger jeweils in den einzelnen Mitgliedstaaten für 5 Jahre kein EU-Volk
• Wahlberechtigte: alle Unionsbürger am jeweiligen Wohnsitz (Art. 22 AEUV)
• Beschluss grds. mit der absoluten Mehrheit der abgegebenen Stimmen (Art. 231 AEUV)
• Fraktionen als parteipolitische Zusammenschlüsse von Abgeordneten midestens 25 Mitglieder aus mind. 1/4 der Mitgliedstaaten: Art. 30 GOEP
Europäische Politische Parteien
Art. 224 AEUV
Europawahl Juni 2009
EP 2009-2014Präsident Jerzey Buzek EVP Polen Martin Schulz PSE
Europäisches ParlamentAufgaben
• Gesetzgebung und Haushalt, gem. mit Rat (Art. 14 I EUV, Art. 314 AEUV) - Garant der Öffentlichkeit, vgl. Art. 15 II AEUV
• Wahl des Kommissionspräsidenten und Bestätigung der Kommission als Kollegium (Art. 17 VII EUV)
• Kontrolle von Rat und Kommission– Aufforderung der Kommission zur Vorlage von Vorschlägen (Art. 225 AEUV)– Fragerechte an die Kommission (Art. 230 II AEUV) – Untersuchungsausschuss (Art. 226 AEUV), – Misstrauensantrag gegen die Kommission (Art. 17 VIII EUV iVm. Art. 234
AEUV)– Anhörungsrechte (obligatorisch; daneben fakultative Anhörung)
• Beziehung zum Bürger: Petitionsrecht der Unionsbürger (Art. 227 AEUV) und Bürgerbeauftragter (Art. 228 AEUV)
• Zustimmung bei der Brückenklausel (Art. 48 VII EUV), Beitritt neuer MSt. (Art. 49 EUV, bei bestimmten internationalen Verträgen: Art. 218 VI lit.a) AEUV, zur Anwendung des Art. 352 AEUV
• Zustimmung im Sanktionsverfahren Art. 7 I EUV
Nationale Parlamente• Legitimation der EU und der europäischen Rechtshandlungen:
– Ratifikation der Verträge: Art. 48 EUV– Kontrolle der Regierungen als Gesetzgeber im Rat: Art. 10 II EUV– Vollzugsorgane bei Umsetzung von Richtlinien
• Beteiligung des Bundestags bei Willensbildung der Regierung für Entscheidungen im Rat, Art. 23 II, III GG und
• Zusammenarbeit der nationalen Parlamente (COSAC: Konferenz der Ausschüsse für Gemeinschafts- und Europa-Angelegenheiten der Parlamente der Europäischen Union): Art. 9 f. Prot. (1)
• Lissabon-Vertrag: Stärkung der nationalen Parlamente durch– Ausdrückliche Erwähnung ihrer Funktionen (Art. 12 EUV)– Frühwarnverfahren zur Einhaltung der Subsidiarität (sog. gelbe Karte),
Klagerecht der nationalen Parlamente– Information über Tagesordnung und Ergebnisse der Tagungen des Rats.
Sie erhalten auch Jahresbericht des Rechnungshofs (Art. 5, 7 Prot. 1)• Wichtig: 3 Begleitgesetze zum Vertrag von Lissabon: IntVG, EuZBBG,
EuZBLG => • Begriff der Integrationsverantwortung (Voßkuhle/v. Danwitz, in: Die
Verwaltung Beih. 10 (2010).
Europäische Kommission
Art. 17 EUV, 244 ff. AEUV
Sitz in Brüssel
RumänienBulgarien
Aushandlung von Verträgen
Initiativmonopol bei Gesetzgbg.
KollegialorganBeschlüsse mit
absoluter Mehrheit (14)
27 MitgliederIncl. HVASP
gewählt vom EP für Amtszeit 5 Jahre
unabhängig
Demokratiedefizit?
• Kein Europäisches Volk• Regierungsmitglieder als
Gesetzgeber• Nicht strikt proportionale
Verteilung der Stimmen im Rat und Sitze im EP anhand des Bevölkerungsanteils keine Gleichheit der Wahl
• Daher: Das EP kann keine Legitimation spenden
• Kein Initiativrecht des EP• z.T. nur Anhörung des EP
oder gar keine Beteiligung• Niemand weiß, wer für was
verantwortlich ist und gemacht werden kann: Problem der „accountability“
• Demokratische Legitimation in einer zwischenstaatlichen Einrichtung anders als in Staat
• Zweigleisig (vgl. Art. 10 II EUV)– durch nationale Parlamente, die
Rat legitimieren– durch EP (Art. 14 EUV)
• Degressivität notwendig für wirksame Beteiligung der kleinen Mitgliedstaaten
• Demografie auch beim Rat begrenzt berücksichtigt: Art. 16 IV EUV
• Lissabon-Vertrag: Stärkung von EP und nationalen Parlamenten
• Öffentlichkeit der Ratssitzungen • Europäische Themen packen nicht
Ja Nein
Europäischer Gerichtshof
Art. 19 EUV, 251 ff. AEUV
Sitz in Luxemburg
Video Richter von Danwitz
Art. 258
Art. 263
Art. 265
Art. 234
Spezial- und Nebenorgane
• Europäische Zentralbank als Zentrum im Europä-ischen System der Zentralbanken: Art. 13 I EUV, Art. 127 ff., 282 ff. AEUV
• Rechnungshof: Art. 13 I EUV, 285 ff. AEUV• Wirtschafts- und Sozialausschuss: Art. 13 IV EUV,
Art. 300 ff. AEUV• Ausschuss der Regionen: Art. 13 IV EUV, Art. 300,
305 ff. AEUV• Europäische Investitionsbank: Art. 308 f. AEUV
Agenturen der EG• Konzept: Europäische Kommission Weißbuch Europäisches
Regieren, KOM (2001) 428, S. 30 ff.• Überblick: http://europa.eu/agencies/index_de.htm:• Kategorien: Gemeinschaftsagenturen, Agenturen für die GSVP,
Agenturen für die PJZS, Exekutivagenturen, Agenturen Euratom
• Beispiele: Europäische Umweltagentur, Europäische Verteidigungsagentur, EUROPOL.
• Errichtung per Rechtsakt der EU, Rechtskontrolle jetzt Art. 263 I 2 AEUV: „Einrichtungen oder sonstigen Stellen der
• Bedingungen: Rs. 9/56 Meroni: keine Übertragung von Ermessensmacht an neue Einrichtungen
• Struktur der Exekutivagenturen nach VO 58/2002
EuGH Rs. 9/56 - Meroni, S. 44
FEST STEHT ABER AUF JEDEN FALL, DASS BEI DER SCHAFFUNG DER IN ARTIKEL 53 VORGESEHENEN FINANZIELLEN EINRICHTUNGEN NUR SOLCHE BEFUGNISSE ÜBERTRAGEN WERDEN KÖNNEN, DIE DIE HOHE BEHÖRDE " ZUR DURCHFÜHRUNG DER AUFGABEN NACH ARTIKEL 3 FÜR ERFORDERLICH " HÄLT . ES DÜRFEN DAHER NUR AUSFÜHRUNGSBEFUGNISSE ÜBERTRAGEN WERDEN, DIE GENAU UMGRENZT SIND UND DEREN AUSÜBUNG VON DER HOHEN BEHÖRDE IN VOLLEM UMFANG BEAUFSICHTIGT WIRD .DIE IN ARTIKEL 3 DES VERTRAGES AUFGEZÄHLTEN ZIELE GELTEN ZUDEM NICHT NUR FÜR DIE HOHE BEHÖRDE ALS SOLCHE, SONDERN ALLGEMEIN FÜR DIE " ORGANE DER GEMEINSCHAFT ... IM RAHMEN DER JEDEM VON IHNEN ZUGEWIESENEN BEFUGNISSE UND IM GEMEINSAMEN INTERESSE ". AUS DIESER BESTIMMUNG IST ZU SCHLIESSEN, DASS DAS FÜR DEN ORGANISATORISCHEN AUFBAU DER GEMEINSCHAFT KENNZEICHNENDE GLEICHGEWICHT DER GEWALTEN EINE GRUNDLEGENDE GARANTIE DARSTELLT, INSBESONDERE ZUGUNSTEN DER UNTERNEHMEN UND UNTERNEHMENSVERBÄNDE, AUF WELCHE DER VERTRAG ANWENDUNG FINDET. DIE ÜERTRAGUNG VON BEFUGNISSEN MIT ERMESSENSSPIELRAUM AUF ANDERE EINRICHTUNGEN ALS SOLCHE, DIE IM VERTRAG ZUR AUSÜBUNG UND KONTROLLE DIESER BEFUGNISSE IM RAHMEN IHRER JEWEILIGEN ZUSTÄNDIGKEITEN VORGESEHEN SIND, WÜRDE DIESE GARANTIE JEDOCH VERLETZEN.
Grundsatz des des institutionellen Gleichgewichts
• Institutionelles Gleichgewicht als Ausformung der Gewaltenteilung in Europa
• Erste Aussagen dazu in EuGH Rs. 9/56 - Meroni, s.o.• Erstmalige Verwendung: EuGH Rs. C-70/88
Tschernobyl I (krit. Bieber/Epiney/Haag, Europarecht, § 6.20)
• Lesen: Peter M. Huber: Das institutionelle Gleichgewicht zischen Rat und Europäischem Parlament in der künftigen Verfassung für Europa, EuR 2003, 574 ff.
EuGH Rs. C-70/88 Tschernobyl
20 Folglich genügt das Vorhandensein dieser verschiedenen Rechtsbehelfe nicht, um die gerichtliche Überprüfung einer Handlung des Rates oder der Kommission, die die Befugnisse des Parlaments missachtet, unter allen Umständen mit Gewissheit zu gewährleisten .
21 Diese Befugnisse sind jedoch Bestandteil des von den Verträgen gewollten institutionellen Gleichgewichts . Die Verträge haben nämlich ein System der Zuständigkeitsverteilung zwischen den verschiedenen Organen der Gemeinschaft geschaffen, das jedem Organ seinen eigenen Auftrag innerhalb des institutionellen Gefüges der Gemeinschaft und bei der Erfuellung der dieser übertragenen Aufgaben zuweist .
22 Die Wahrung des institutionellen Gleichgewichts gebietet es, dass jedes Organ seine Befugnisse unter Beachtung der Befugnisse der anderen Organe ausübt . Sie verlangt auch, dass eventuelle Verstösse gegen diesen Grundsatz geahndet werden können . Zurück
Jetzt ist das EP klageberechtigt nach Art. 263 II AEUV
Institutionelles Gleichgewicht
EUROPÄISCHES PARLAMENT
EUROPÄISCHE KOMMISSION
PRÄSIDENT
RAT
Vorsitz
EUROPÄISCHER RAT
Politische Leitlinien
PRÄSIDENT GERICHTS-HOF
§§Vorschlag
Beschluss
Beschluss
Auslegung