Privatisierungoder
Der „Raub“ am Öffentlichen
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Linz, 16. März 2006
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1 Geschichtlicher Rückblick und Rahmen
2 Privatisierungserfahrungen
3 Alternativen
Diskussion
4 Diktat leerer Kassen
Paradigmenwechsel - Staatsbild
19. Jahrhundert– Schlanker Nachtwächterstaat
Nach dem 2. Weltkrieg: Sozialstaat– Ausweitung auf Infrastruktur und soziale Sicherheit– Europäisches Wohlfahrtsmodell– Wirtschaftswunder: 600 öffentliche Unternehmen
Heute: magersüchtiger Wettbewerbsstaat– Neoliberalismus: Weniger Staat, mehr Privat!
• Der freie Markt ist ein Naturgesetz
• Eigennutz ist zum Vorteil aller • Bienenfabel 1705
• Konkurrenz ist der beste Mechanismus- Gewinner dürfen alles behalten- Verlierer sind selber schuld (Arbeitslose)
• Eingriff wäre Störung dieser „natürlichen“ Ordnung
Neoliberalismus (Hayek)
Weg mit dem Staat!
„Es gibt keine Gesellschaft.“
(M. Thatcher)
„Der Staat ist das Problem.“
(R. Reagan)
> Liberalisierung!
> Privatisierung!
> Deregulierung!
Weg mit dem Staat!
• Reduktion auf „Kernkompetenzen“
– nur noch innere und äußere Sicherheit (Wächter)
– Alles andere privat: Schulen, Spitäler, Pensionen, …
Historisch jungesPhänomen
„Mir gefällt das Wort Privatisierung nicht.“
Margret Thatcher 1983
„Keinem von uns fiel etwas Besseres ein.“
Nigel Lawson
Motive Thatchers
• Die öffentlichen Unternehmen spülten 1984 8 Milliarden Pfund in die Staatskassen
• Kampfruf:
„Der Staat ist ein schlechter Unternehmer!“
• 1979 – 1994: öffentlich Bedienstete - 29%
20 Jahre Privatisierung
• Schlüsselindustriebetriebe, „Flaggschiffe“– Voestalpine, VA Tech, Austria Tabak
• Infrastruktur und öffentliche Dienstleistungen– Pensionen, Post, Telekom, Wasserversorgung
• Naturgüter– Bundesforste, Patente auf Lebewesen
• Nach dem 2. Weltkrieg massive Verstaatlichungen
• Gründe: – Schutz vor Zugriff der Alliierten– kein privates Kapital nach dem Krieg– Verhinderung zu großer Macht bei Privaten– Schlechte Erfahrungen Ende XIX
(Verstaatlichungen)– Verfolgung volkswirtschaftliche Ziele
Staatliche Industriebetriebe?
• Beispiel VOEST
– billiger Stahl für die Wirtschaft– Arbeitsmarkt- und Strukturpolitik (Donawitz)– Lehrlingsausbildung für KMU– Forschung & Entwicklung (LDV, Autoblech)– Umweltinnovationen– hohes Niveau sozialer Sicherheit/Gender: Vorbild
> aus BWL-Sicht Managementfehler
„Volkswirtschaftliches Optimum“
Öffentliche Dienstleistungen
• Bildung • Kommunikation:
• Gesundheit Telefon, Post, Internet
• Pensionen • Mobilität
• Wasser • Energieversorgung:
• Wald Strom, Gas
>> Öffentlich, weil:
- Menschenrechte, nicht Handelswaren
- gemeinnützige Ziele (VWS), nicht Profit (BWS)
Zielwiderspruch
• Öffentlich - gemeinnützig:– Universale Versorgung– möglichst hohe Qualität – Versorgungssicherheit (Energie, Pensionen)– Vorbild für Privatsektor (Beschäftigung, Mitbestimmung)– Andere Ziele (Umweltschutz, Regionalentwicklung)
• Privat - profitorientiert:– Ziel ist maximaler Gewinn (Shareholdervalue)– andere Ziele sind Managementfehler
Die Versprechen der Privatisierer
• Private Unternehmen sind „effizienter“ / billiger
• Private leisten das bessere Service
• Private sind sicherer (Rente)
• Private sind innovativer
• Private schaffen mehr Arbeitsplätze
Trinkwasser
Großbritannien– bis zu 70% des Personals entlassen– Preise durchschnittlich + 46%– 19.000 Haushalten Wasser abgedreht– Verdopplung der Fälle von Hepatitis A– 128 Verurteilungen– 3 Regulierungsbehörden
Südafrika– Preise + 140%– Cholera zurück– Eindämmungskosten höher als Gratis-Wasser
Trinkwasser
Rauswurf / Rückzug der Konzerne
– Bolivien: Cochabamba, El Alto
– Argentinien: Tucumán, Buenos Aires
– Manila
– Atlanta
– Grenoble
– Potsdam
Quer durch alle Sektoren ...
• Eisenbahn: Railtrack-Tragödie
• Energie: Blackouts von Kalifornien bis Italien
• Bildung: 2-Klassen-System, keine Chancengleichheit
• Post: Von 2500 Ämtern werden 1.000 geschlossen
• Gefängnisse: Aufbau eines Stammkundenstocks
USA: Privatsache Gesundheit
• „Eigenverantwortung“– 15% nicht versichert = 44 Millionen Menschen– Deutschland/Österreich: 1 - 2%
• Qualität: Platz 37 im WHO-Ranking– Österreich: Platz 9– Deutschland: Platz 25
• Kosten: 14% vom BIP– Österreich: 8%– Deutschland: 11%
• Trinkwasser: + 50 bis + 150%
• Eisenbahn Schweden: + 125%
• Post: + 30%, + 1000%
• Pensionen: 1,8% öffentlich; 15 - 20% privat
„Wir können uns das nicht mehr leisten!“
Sind Private billiger?
Volkswirtschaftliche Kosten
• Strom USA: 100 Mrd. Dollar
• Bahn: Rückverstaatlichung Railtrack
• Renten: steigende Altersarmut
• Wasser: Cholera teurer als Gratis-Wasser
• Gefängnisse: Polizeieinsätze bei Schlägereien
• Generell: Abbau von Arbeitsplätzen
Telekom - 150.000
Energie - 250.000
Bahn - 500.000
Wenn wir uns etwas nicht leisten können, dann ist es Privatisierung.
Umgekehrt ...
Gefahren der Privatisierung
• Steigende Tarife / Preise
• Aufgabe der universalen Versorgung
• schlechtere Qualität
• Geringere Versorgungssicherheit
• Schlechtere Arbeitsbedingungen
• Verlust von Demokratie und öffentlicher Kontrolle (Abhängigkeit von Großkonzernen)
50 Privatisierungsbeispiele
Was opfern wir dem freien
Markt?
Ueberreuter 2003
• Beispiel Post
– Postamtschließungen 22 Mio. €
– Gewinn Post AG 100 Mio. € (+ 25%)
– Dividende an Staat 36 Mio. € – Beschäftigte - 4,4%
– 77% der ÖsterreicherInnen gegen Privatisierung market-Umfrage Jänner 2006
Von der Allmende zur Cashcow
• Beispiel ÖBB
– Güterverkehr Privatisierungskandidat
– Gewinn-/Verlustrechnung für jede Teilstrecke
– Unsinn, weil „Feingefäße“ Zubringer für „Hauptschlagadern“ sind
– 40% schwer defizitär
– „Schmerzgrenze liegt bei 100%“
Von der Allmende zur Cashcow
• Beispiel Voest
– Gewinn 2004 - 2006 1.650 Millionen Euro
– Verkaufserlös ca. 500 Millionen Euro
– Beteiligung Staat 1/3
– Schon nach 3 Jahren Verlust für den Staat
Gewinn fürs Budget?
• Privatisierung von Leitbetrieben
– Voest: „Sind nicht mit Linz verheiratet“
– VA Tech: - 300 Arbeitsplätze (Ende 2005)
– Austria Tabak: 80 Arbeitsplätze in Schwaz weg
– Telekom: Breitband-Internet nur in Zentralräumen
– ÖBB/Postbus: Schließungswelle droht
Neoliberale Wirtschaftspolitik
Analyse von 324 Industrie-, Handels- und Dienstleistungsunternehmen in Österreich
Gewinn + 90,8%
Beschäftigte - 8,9%
Kapitalgesellschaften 1994 - 2003
Angriffsebenen
• Nationale Ebene: – Privatisierungen (Telekom, Bahn, Post, Wald, Erzberg)
• EU-Ebene: – Freihandelszone, kennt keine „öffentlichen Güter“– Strom, Gas, Post, Bahn > „Vollendung Binnenmarkt“
• WTO-Ebene (GATS): – Trinkwasser, Bildung, Gesundheit– Unumkehrbarkeit– Unregulierbarkeit
• 60 Organisationen– Armutskonferenz– Attac– Greenpeace– ÖGB– ÖH
• 315 Gemeinden verabschieden Resolution
Stopp-GATS-Kampagne
Alternativen zur Privatisierung
• Erfolgreicher lokaler Widerstand– Schweiz: Strom
– Uruguay: Telekom, Erdöl, Trinkwasser
– Cochabamba: Trinkwasser
– El Salvador, Schleswig-Holstein: Gesundheit
• Benennen von Allmenden/Öffentlichen Gütern
• Demokratisieren > Modernisieren– 4er-Kleeblatt
• Finanzieren– Österreich ist so reich wie nie
• Wir müssen sparen.
• Der Staat hat kein Geld.
• Das können wir uns nicht mehr leisten!
• Wir müssen den Gürtel enger schnallen.
> Keine Ziele!
Sachzwang-Argumente
Reales Wachstum in Österreich
-4
-2
0
2
4
6
8
10
12 1955
2004
1975
• Könnten alle um 2% real wachsen:
– Löhne und Gehälter
– Pensionen und Sozialtransfers
– Gewinne
– Kapitaleinkommen
– Öffentliche Investitionen und Dienstleistungen
Eigentlich ...
STANDORTWETTBEWERB
Aber ...
• Kapital kann sich Standort aussuchen > Standorte müssen sich hübsch machen
> niedrige Steuern auf Kapital
> hohe Realzinsen
> harter Euro: Stabilitätspakt, Nulldefizit
Freier Kapitalverkehr
Steueroasen entstehen ...
Virgin Islands / Karibik
• EinwohnerInnen: 19.000
• Unternehmen: 302.000
• Angelegtes Kapital: 47 Milliarden US-$
• Steueroasen insgesamt: 7 Billionen US-$ (IWF)
Globaler Steuerwettlauf
Absturz der Steuersätze in Industrieländern seit 1985
Zinsen: 47 > 33%
Gewinne: 51 > 29%
Spitzensteuersätze: 52 > 42%
Steuerreform und Finanzausgleich
• KÖSt-Senkung 2005– Etappe im Rennen von 50 auf 0– 1,1 Mrd. für Großunternehmen– nächstes Ziel 15% = Steuerausfall von 1,3 Milliarden €
(BM Grasser in FT, 2. 2. 2004)
• Wo fehlt das Geld?– Finanzausgleich: Gemeinden forderten 500 Mio. €– Grundsicherung für alle: 900 Mio. €– Österreichs EU-Beitrag netto: 400 Mio. €
Steuerreform 2005
KPMG: Österreich = „Steueroase“
PWC: KÖSt = „freiwillige Abgabe“
Österreich ist nicht Opfer ...
Beitrag der Gewinnsteuern zum Gesamtabgabenaufkommen
0%
2%
4%
6%
8%
10%
12%
14%
16%
18%
20%
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Geldvermögen in % BIP
0
20
40
60
80
100
120
140
1970 2005
69%
140%
Beitrag der Vermögenssteuern
0
0,5
1
1,5
2
2,5
3
3,5
4
1970 2004
3,7%
1,3%
Österreich ist nicht Opfer ...
Beitrag der Vermögenssteuern zum Gesamtabgabenaufkommen
0%1%
2%3%
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11%12%
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Aus Defizit wird Überschuss
40
41
42
43
44
45
46
47
43,3%
Steuerwettlauf Steuergerechtigkeit
46,4%
DEFIZIT 2004
ÜBER-SCHUSS Trügen die Vermögens- und
Gewinnsteuern in Österreich so viel zum Gesamtabgaben-
aufkommen bei wie im EU-Durchschnitt, würde dies
Steuermehreinnahmen von 7 Milliarden Euro bringen.Der Staat hätte 2004 nichtein Budgetdefizit von 1% gemacht, sondern einen
Überschuss von 2%.
Aktuelle Staatsquote: 42%
Regierungsziel: 33% (Die Presse, 11. Mai 05)
= Sparpaket von 20 Milliarden Euro
(bis 2010 – 15.600 Posten = 1,8 Mrd. €)
Das war erst der Anfang ...
Staatsquoten im Vergleich
0
10
20
30
40
50
60
28%
USA Österreich
43% 52%
Schweden
Bremsklotz Beamte?
Anteil öffentlich Bediensteter an der Gesamtbeschäftigung in %
11,1
12,9
15,7
16,7
25,6
30,4
31,7
0 10 20 30 40
Schweden
Dänemark
Finnland
EU-15
USA
Österreich
Deutschl. Quelle: OECD
Vergleich EU – Schweden 2005
Eurozone S/F/DK
Wachstum 1,6 2,9
Arbeitslosigkeit 8,8 6,4
Inflation 1,9 0,9
Defizit - 2,6 1,5
Verschuldung 71,7 45,0
Position von Attac
• Wenn die Wirtschaft wächst– müssen wir nicht den Gürtel enger schnallen – und öffentliche Leistungen nicht kürzen
• Voraussetzung für gesunde öffentliche Finanzen – Steuergerechtigkeit – Wiederherstellung des Leistungsfähigkeitsprinzips
(1789)
Eine andere Eine andere Welt ist Welt ist möglich!möglich!
Attac
• 1. Steueroasen schließen– 70% der abhängigen Gebiete per Gesetz– den Rest über Einschränkung des Kapitalverkehrs
• 2. Unternehmen einheitlich besteuern– EU-weite Mindeststeuer
• 3. Vermögen höher besteuern– wie in den 70er Jahren– 1% würde 10 Milliarden bringen = 4x Defizit
Alternativen zum Steuerwettlauf
Danke für Ihre Aufmerksamkeit!
www.christian-felber.at www.attac.at
Ende
Der Staat ein schlechter Unternehmer?
IHS-Studie 2000
– 57 Konzerne in Bereichen Stahl und Flugzeugbau
– 80 Abschlussjahre
– ex aequo
Gutes Zeugnis für Öffentliche, weil sie gemeinnützige Ziele verfolgen/verfolgt haben.
Anstieg Lohnsteuerquote
Lohnsteuer in % der Lohn- und Gehaltssumme
17,5
16,5
15,1
12,0
15,0
13,6
14,7
17,5
17,0
18,218,1
10
11
12
13
14
15
16
17
18
19
19881989
19901991
19921993
19941995
19961997
19981999
20002001
20022003 *)
2004 *)
Quelle: WIFO, BMF, AK OÖ
Beispiel Postbus
– ein Drittel (hoch) profitabel
– ein Drittel schreibt schwarze Null
– ein Drittel ist defizitär
Privatisierung von Gewinnen,
Sozialisierung von Verlusten.
Rosinen picken
Quer durch alle Sektoren ...
• Eisenbahn: Railtrack-Tragödie
• Energie: Blackouts von Kalifornien bis Italien
• Bildung: 2-Klassen-System, keine Chancengleichheit
• Post: Von 2500 Ämtern werden 1.000 geschlossen
• Gesundheit: USA 16% der Bevölkerung unversichert
• Gefängnisse: Aufbau eines Stammkundenstocks
Nein zum Neoliberalismus
• Der Mensch ist nicht nur homo oeconomicus
• Die Wirtschaft muss dem Menschen dienen.– Wenn’s den Menschen gut geht, geht’s auch der Wirtschaft
gut!
• Bestimmte Güter sind öffentlich und nicht privat
• Der Staat ist keine Aktiengesellschaft.
• Die Erde ist eine Kugel und keine Scheibe.
Vorbild USA?
• Höchste Armutsrate aller Industrieländer
• 16% der Bevölkerung nicht krankenversichert
• 12 Millionen Familien hungern
• Pensionen von Börsen abhängig
• Ohne Auto immobil
Steuerreform und Finanzausgleich
• KÖSt-Senkung 2005– Etappe im Rennen von 50 auf 0– 1,1 Mrd. für Großunternehmen– nächstes Ziel 15% = Steuerausfall von 1,3 Milliarden €
(BM Grasser in FT, 2. 2. 2004)
• Wo fehlt das Geld?– Finanzausgleich: Gemeinden forderten 500 Mio. €– Grundsicherung für alle: 900 Mio. €– Österreichs EU-Beitrag netto: 400 Mio. €
Große und kleine Unternehmen
• Kapitalgesellschaften sind nur ¼ der Unternehmen
• Durchschnittliche Steuerleistung: 17,6% (556 untersuchte Firmen)
• KMU zahlen laut Rechnungshof gemessen am Umsatz 6x mehr Steuern als GesmbH und AG.
Steuerkünstler
2002 2003
Baxter 0,0% 2,5%
IBM 0,0% 9,5%
Wienstrom 0,0% 0,0%
NÖM 6,2% 7,7%
OMV 11,0% 2,0%
Quelle: AK OÖ
Steuerreform 2005
KPMG: Österreich = „Steueroase“
PWC: KÖSt = „freiwillige Abgabe“
Trinkwasser
Cochabamba (Bolivien)– Preise verdoppelt– Generalstreik, Student erschossen– Schadenersatzklage in Millionenhöhe
Rauswurf / Rückzug der Konzerne– Bolivien: Cochabamba, La Paz, El Alto– Argentinien: Tucumán, Buenos Aires– Manila– Atlanta– Grenoble– Potsdam