DEUTSCHLANDFUNK Sendung: Hörspiel/Hintergrund Kultur Dienstag, 01.09.2015 Redaktion: Hermann Theißen 19.15 – 20.00 Uhr
Radikal leben –
Die englischen Künstler Gee Vaucher und Penny Rimba ud
Von Martina Groß
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Atmo: Auto rattert über die Schotterpiste, Flaschen klappern. Gee: „It must be very
sunny today“
Autorin:
Nach einer kurvenreichen Fahrt über enge Landstraßen durch das frühlingshafte
Essex und am Ende über anderthalb Kilometer Schotterpiste sind wir in Dial House
angekommen.
Musik : Penny Rimbaud: Somewhere Over the Rainbow - in a lullaby
Atmo: Garten - Vögel
Autorin:
Über dem hölzernen Gartentor wehen tibetanische Fahnen. Ein solides
zweistöckiges Haus, dessen rote Klinkerfassade warm im Abendlicht leuchtet. Bis
hoch zum Giebel ranken Rosen. Ein gepflasterter Weg führt zu einem Hintereingang;
die Tür ist aus Bootsplanken gebaut. Ein großer Gemüsegarten. Die ersten
Frühblüher leuchten in den Beeten. Auf der Wiese stehen Narzissen und Krokusse.
Zwei braune Hennen laufen eifrig pickend herum. Tiefer im Garten stehen alte Ulmen
und Eichen, die im Sommer Schatten spenden. Bänke und ein Tisch; verstreut
stehende Stühle. Die Regenbogenfahne im Wind. Skulpturen aus gefundenen
Gegenständen und die steinerne Büste einer Frau im Gras, vielleicht aus einem
Schlosspark. Das Windspiel aus verrosteten Dosen und der weite Blick über Wiesen
und Felder. Es ist gut wieder hier zu sein.
Musik : Penny Rimbaud: Over the Rainbow - Zwischenspiel
Atmo : Garten
Autorin:
Wenn ich Freunden erzähle, ich fahre nach Dial House, vermuten manche, das wäre
eine Art Wellness-Urlaub: im Grünen gärtnern, gesundes vegetarisches Essen, Tai
Chi und viel Zeit zum Ausspannen und Relaxen. Vieles was hier seit Jahrzehnten
gelebt wird, ist längst in der Mitte der Gesellschaft angekommen.
Atmo : Feuer - Penny: „Hello, I‘ll get more wood.“ - okay.
O-Ton : Gee Vaucher
You can‘t decide to be radical, it‘s the way you approach something, isn‘t it?
Übersetzerin:
Man kann sich nicht entscheiden, radikal zu sein. Es geht darum, wie man an etwas
herangeht.
O-Ton 2 : Penny Rimbaud
I don‘t think this is radical what I do. I mean what‘s radical? … It is sensible.
Übersetzer 1:
Was ich tue ist nicht radikal. Es ist vernünftig.
Ansage :
Radikal leben
Die englischen Künstler Gee Vaucher und Penny Rimbaud
Ein Feature von Martina Groß
Atmo : Am Feuer-Unterhaltung, Vogel zwitschert
G: You know Pen is going to Brandenburg.
Aut: When?
P: In May 24th.
A: What are you talking, going to talk about?
P: Well, he thinks I am gonna talk about how ... you can live surrounded by capitalist
system? Something like that.
Autorin:
Penny hat in einer Eisenschale ein Feuer entzündet. Das erste in diesem Jahr. Er
legt Holz nach. Seit seinem Herzinfarkt im letzten Jahr dampft der schmale Mann mit
den schulterlangen weiß-blonden Haaren elektrische Zigaretten. Gee sitzt sehr
entspannt auf einer Bank, lange Haare, Pony und Lachfalten. „Nächsten Monat fährt
Penny nach Brandenburg“, erzählt sie. Penny soll berichten, wie man mitten in einem
kapitalistischen System gut leben kann. Die Erwartungen wird er nicht erfüllen,
Penny glaubt, vielen Linken fehle jedes Verständnis für seine Haltung des „Laissez
faire“, sie würden auf politische Lösungen setzen. - Ich tue das auch.
Atmo : Am Feuer -Unterhaltung:
G: You too?
P: I thought we convinced you last time.
G: Bugger. Shall I take you back now? (LACHEN)
Musik: Penny Rimbaud, Oh Magick Kingdom Intro
Autorin:
Zwei Wochen nach dem 11. September 2001 hatte ich in Wolverhampton auf einer
Konferenz über Punk Penny kennengelernt, Dichter, Agent Provocateur, Philosoph
und Schlagzeuger der Anarcho-Punkband Crass.
O-Ton : Penny Rimbaud:
I don‘t really see any differences between any of the various disciplines if you wanna
call it that. And I move from one to the other without really noticing. You know I made
up a haiku the other day, which was, I have to try to remember it. Tides turn, birds
sing and we do the washing up. You know we‘ve got different activities and I really,
there might have been times in my life where I was trying to push something but
certainly in the last ten or fifteen years of my life I've lost any interest in pushing
things. Things will grow of their own accord.
Übersetzer 1:
Ich sehe keinen Unterschied zwischen den verschiedenen Disziplinen, wenn man sie
so nennen will. Ich bewege mich zwischen ihnen, ohne dass es mir auffällt. Ich habe
gerade einen Haiku geschrieben. Gezeiten wechseln, Vögel singen und wir machen
den Abwasch. Wir haben unterschiedliche Aktivitäten und in meinem Leben gab es
Zeiten, wo ich versucht habe, etwas anzustoßen, aber in den letzten zehn oder
fünfzehn Jahren interessiert mich das nicht mehr. Dinge wachsen von alleine.
Musik : Magick Kingdom Intro
Autorin:
Penny lud mich damals nach Dial House ein, wo ich auch Gee traf. Eine Frau voller
Energie und Tatendrang, jederzeit bereit eine neue Idee umgehend in die Tat zu
setzen. Seitdem hat sich eine Freundschaft entwickelt und eine permanente
Auseinandersetzung. Darüber wie Veränderungen in der Gesellschaft möglich sind,
über die Verantwortung und Möglichkeiten jedes einzelnen und über die große
Politik, an die sie nicht glauben. Wahlen sind so ein Thema, wo wir diametral
entgegengesetzte Ansichten vertreten.
O-Ton : Penny
I mean I just bow into despair when people in the big Iraq protest were walking along
with „Not in my name“ posters. Well in whose fucking name was it? That‘s what
people vote for. They vote to be represented and almost inevitably that will involve, if
not military war, certainly economic war, vicious competition, vicious nationalism, all
sorts of absolutely inhumane forms of behavior. And there is no point what so ever in
claiming that it is anything but „in your name“ if you vote. So it‘s morally reprehensible
to vote.
Übersetzer 1:
Es hat mich in blanke Verzweiflung gestürzt, als Menschen gegen den Irak Krieg mit
Postern „Nicht in meinem Namen“ demonstrierten. In wessen verdammten Namen
denn sonst? Das ist es, was die Leute wählen, sie geben ihre Stimme, um
repräsentiert zu werden und dazu gehört unausweichlich, wenn kein militärischer
Krieg, dann sicher ein Wirtschaftskrieg, bösartiger Wettbewerb, bösartiger
Nationalismus, alle Arten absolut unmenschlicher Verhaltensweisen. Es ist Blödsinn
zu sagen, es sei nicht in „deinem Namen“, wenn du wählst. Deswegen ist es
moralisch verwerflich zu wählen.
O-Ton : Gee
I think people can be self governing. I am not talking about going backwards, of
course I do think things were better when they were smaller and there is inter-
communication and interdependence, but the units if you like and I am not talking
about communism, I am not talking about any of the isms, I do believe in people, but
obviously I believe in the goodness of people, I suppose.
Übersetzerin:
Ich glaube, Menschen können sich selber regieren. Damit will ich die Geschichte
nicht zurückdrehen, obwohl ich denke, es war besser, als alles übersichtlicher war,
es Kommunikation untereinander und gegenseitige Abhängigkeit gab, kleinere
Einheiten. Damit meine ich nicht Kommunismus oder irgendwelche ismen. Ich glaube
an die Menschen, offensichtlich glaube ich an das Gute in den Menschen.
Musik
Autorin:
Als ich zum ersten Mal in Dial House war, war ich erstaunt über das schöne
Anwesen, die geschmackvolle Einrichtung, mit dem, was andere weggeworfen
haben, die Kunst überall, über den idyllischen Garten und das abgewaschene
Geschirr. Berühmt war das Haus schon damals, weil es zwischen 1977 und 1984
Zentrale und Ruhepol der anarcho-pazifistischen Punkband Crass gewesen war, 16
Erwachsene und Kinder lebten hier. Ich hatte mir Punk anders vorgestellt, nicht als
Landkommune. Als ich Penny kennenlernte, recherchierte ich für eine Sendung über
die Sex Pistols, The Clash und andere Punk Größen. Schnell war klar, dass Crass da
nicht wirklich reinpassen, Crass waren anders ….
Musik: Fight Wars Not Wars / Rival GTribal Rebel Revel
Autorin:
Crass hatten ihr eigenes Plattenlabel und sie verkauften ihre Platten preiswert,
immerhin zwei Millionen. Mit den Gewinnen unterstützen sie andere Bands. Der Rest
floss in eine Gemeinschaftskasse. Ihre multimedialen Konzerte organisierten sie
selbst, häufig in Jugendzentren oder libertären Clubs. Am Ende wurde der
Wasserkessel aufgesetzt, Tee gekocht und mit den Fans diskutiert. Flugblätter lagen
aus, Informationen, darüber was in England oder auf der anderen Seite der Welt
passierte und ganz praktisch: wie man sein eigenes Gemüse anbaut, Brot backt, ein
Haus instand besetzt oder im Supermarkt klaut.
O-Ton : Gee
We were not trying to change the world, we were just trying to share the experiences
that we‘d had about the world. And of course we had a whole range of ages in the
band.
Übersetzerin:
Wir versuchten nicht die Welt zu verändern, sondern wollten die Erfahrung teilen, die
wir in der Welt machten. Natürlich hatten wir Leute unterschiedlichen Alters in der
Band.
Autorin:
Penny und Gee waren zwanzig Jahre älter als der Jüngste in der Band. Sie schufen
eine Plattform für verschiedene Bewegungen: Veganer Front, Tierbefreierinnen,
Hardcore Punk oder Do-It-Yourself-Aktivisten.
Das Aufkommen des Punk und der Aufstieg Margaret Thatchers verliefen fast
zeitgleich. Die Premierministerin war damals auf der Höhe ihrer Macht und der
Umbau Großbritanniens, die Zerschlagung der Gewerkschaften, die Privatisierung
von Staatsunternehmen sowie der Abbau des Sozialstaates in vollem Gange. „Es
gibt keine Gesellschaft … nur einzelne Männer und Frauen und ihre Familien“,
propagierte Thatcher, „es ist unsere Pflicht, für uns selbst zu sorgen und dann für
unsere Nachbarn“.
Einspielung : Stop the City
Crass mischten sich ein, sie unterstützten die Bergarbeiter und sie waren daran
beteiligt, neue Protestformen auszuprobieren, die im März 1984 den Londoner
Finanzdistrikt lahmlegten. Ein politischer Karneval, getragen von kleinen Gruppen,
die unabhängig voneinander agierten. Ihr Protest richtete sich gegen
Kriegsprofiteure, die Banken und die Rüstungsindustrie. Die gewaltfreie, spielerische
Aktion gilt als Blaupause für globalisierungskritische Proteste von Seattle bis zu
Occupy Wallstreet.
Musik :Step Outside
Musik : Crass - Taking Sides
You must learn to live with your own conscience, your own morality, your own
decision, your own self. You alone can do it. There is no authority but yourself.
O-Ton : Penny
I mean Crass encouraged people to consider their lives, to question their lives, to
question the role that they've been mostly conditioned to accept, etc, etc, to look for a
deeper self.
I mean the slogan „There is no authority but yourself“ is exactly what everything
Crass did was about.
Übersetzer 1:
Crass machte Leuten Mut, ihr Leben zu überdenken, es infrage zu stellen. Ihre Rolle
zu hinterfragen, in die sie eingepasst wurden, Mut, tiefer in sich hineinzuhören. Der
Slogan „Es gibt keine Autorität außer dir selbst“, genau darum ging es bei Crass.
Musik: Crass - Punk is Dead
O-Ton: Gee
You think we were monsters. Did you? (Lachen) Yeah, I suppose so, we were very
serious on stage. I mean we had something to say and we felt it was very important
for us to say it.
Übersetzerin:
Wir waren auf der Bühne sehr ernst. Wir hatten etwas zu sagen und es war uns
wichtig, das auszusprechen.
Autorin:
Ich hatte Crass nie auf der Bühne gesehen, als ich Penny und Gee kennenlernte.
Was mir sofort gefiel: Sie lebten, was sie predigten, und sie missionierten nicht.
Obwohl beide überzeugte Vegetarier sind, hielten sie mich nie davon ab, Fleisch zu
essen. Natürlich kannte ich Gees Film „Semi Detached“, in dem die Schlachtung
einer Kuh im Loop läuft. Überhaupt, ich kannte einige ihrer Bilder; einmal gesehen,
bleiben sie im Gedächtnis haften: Die Freiheitsstatue, mit vor dem Gesicht
zusammengeschlagenen Händen, oder der Soldat in schwarz-weiß, in dessen
müden, abgekämpften Gesicht rote Lippen und ein Zahnpastalächeln leuchten, oder
die verkohlte Hand, die in einen Stacheldraht greift: „Your Country needs you!“ Für
das Cover ihrer Single „Bloody Revolutions“ hat Gee das bekannte Foto der Sex
Pistols als Vorlage genommen: Die Pistols lässig an eine Mauer gelehnt, in Gees
Gouache hat sie die Körper der Musiker mit den Köpfen von Reagan, Thatcher, dem
Papst und der Freiheitsstatue gemalt. Damals collagierte Gee viel, nutzte
Vorgefundenes aus Lifestyle-Magazinen oder Werbeanzeigen, kombinierte es mit
Gemaltem, oft sehr photorealistisch und komplex.
O-Ton : Gee
I think the small things are incredibly important. It’s very easy to do the grand
gesture, but it’s the fine detail that really makes it different.
Übersetzerin:
Die kleinen Dinge sind sehr wichtig. Die große Geste ist einfach, aber es ist das feine
Detail, das den Unterschied macht.
Autorin:
Zwei Jahre lebte Gee in den 70er-Jahren in New York als Illustratorin für die Politik-
Redaktionen des New York Times Magazines und anderer Zeitschriften. Dann wurde
sie aufgefordert, eine Illustration für eine Reportage über den Bruder des damaligen
Präsidenten Carter zu entschärfen.
O-Ton : Gee
They said: we can‘t use this. Laughs. We can‘t use it, could you take this bit out? So I
did. I did take it out, but I felt very unclean afterwards. I thought if that ever happens
again, I am not doing it.
Übersetzerin:
Sie sagten: Das können wir so nicht bringen. Können Sie das hier rausnehmen? Ich
machte es, aber ich fühlte mich danach sehr schmutzig. Nochmal mache ich das
nicht.
Autorin:
Gee hat seitdem einen eigenwilligen Weg gefunden, die Kontrolle über ihr Werk zu
behalten, von ihrer Kunst zu leben, ohne Kompromisse einzugehen, oder nach den
Gesetzen des Marktes zu spielen.
O-Ton : Gee
I am not interested at all,(laughs), nothing is for sale, (laughs), no, I don‘t put my
things up for sale really. Very, very rarely, I have everything that I've done really. I
kind of like, well, I don‘t like the idea of private collections, when nobody can see
anything. I don‘t like that very much. I like it if I do prints, that‘s a different matter
that‘s fine. Limited edition, a big limited edition, that‘s accessible financially to a lot of
people.
Übersetzerin:
Nur sehr selten biete ich etwas an. Ich besitze wirklich alles, was ich gemacht habe.
Mir gefällt die Idee privater Sammlungen nicht besonders, wenn niemand mehr
Zugang hat. Drucke sind etwas anderes, das ist okay, große limitierte Auflagen, das
können sich viele Leute leisten.
Atmo : Küche: Gee kocht
Autorin:
Während Gee das Abendessen vorbereitet und Brot backt, denke ich an ihre
zahlreichen Ausstellungen in den letzten Jahren. Die große Retrospektive 2012 in
der New Yorker Boo-Hooray Galerie. Einzelausstellungen und Beteiligungen in Los
Angeles, San Francisco, Antwerpen und London mit neuen Werken. Die alten Crass-
Sachen gehören inzwischen zum Kanon von Punk. Ihre Bilder erscheinen auf
Einbänden von Standardwerken und einige Plattencover gehören zum Bestand des
Victoria and Albert Museums. Gee könnte mit ihren Bildern viel Geld verdienen; aber
das interessiert sie nicht.
Atmo : Küche: Gee kocht
O-Ton : Gee
No, (laughs), in a word „no“. I mean since we started publishing obviously one needs
to try and get some return on the books because this is the only way we get enough
money to print the next project, so and it is kind of why I do the prints, the prints of
the old Crass stuff, because they sell and it sort of compensates for the more radical
stuff if you like or new stuff that doesn't sell so well.
Übersetzerin:
Also seitdem wir Bücher verlegen, müssen wir natürlich etwas Geld durch die Bücher
reinbekommen, es ist die einzige Möglichkeit genügend Geld für das nächste Projekt
zu haben. Deswegen gibt es die Drucke mit den alten Crass-Sachen, die finanzieren
die radikaleren oder neueren Sachen, die sich nicht so gut verkaufen.
Autorin:
Vor ein paar Jahren hat Gee ihren eigenen Verlag reanimiert, die Exitstencil Press,
Ein Wortspiel aus EXIT, Ausgang, einer Fluxus Musiktheatergruppe, zu der sie und
Penny in den frühen 70er-Jahren gehörten, Stencil, der Schablone zum Graffiti
sprayen und Existentialismus. Sie veröffentlicht, was sie für wichtig hält: Bücher,
CDs, Filme und Drucke, eigenes, Pennys Texte und Aufnahmen oder Arbeiten
befreundeter Künstler..
O-Ton : Gee
Doing what you want. (laughs). Yeah, but I mean, yes, but we haven‘t got this far
without mutual support, you know that we have lived with no money, we have lived
with bills coming in, we think, well, where we gonna get it from? And then something
turns up so, something always turns up, cause I am a bit of a Mr. Micawber and I am
a very fortunate person. , I have to say, I don‘t get, I don‘t get fretful about money, I
really don‘t, I can‘t it is not in my nature to get worried about it. It is kind of relax,
some is gonna turn up, isn‘t up, because you wanted to, you needed to. So and it
does and I had been very fortunate,) I have always been fortunate (schiebt Brot in
Ofen)
Übersetzerin:
Tun, was man möchte. Ja, aber ohne gegenseitige Hilfe wären wir nicht so weit
gekommen. Wir haben ohne Geld gelebt, Rechnungen kamen und wir dachten,
woher sollen wir das nehmen? Und dann ergibt sich etwas, immer. Ich bin wie diese
Dickens-Figur Mister Micawber, ein sehr glücklicher Mensch, ich mache mir keine
Sorgen um Geld, das ist nicht in mir angelegt. Entspann dich, etwas wird auftauchen,
weil du es willst, du es brauchst. Und das passiert. Ich habe immer Glück gehabt.
Atmo : Küche: Gee kocht
Musik
Autorin:
1945 in London geboren, wuchs Gee als Kind einer Arbeiterfamilie in der Ford-Stadt
Dagenham auf. Die Kinder aus Arbeiterfamilien waren als Nachschub für die
Fabriken vorgesehen. Gee wollte Kunst studieren, ohne Schulabschluss.
Musik: Benjamin Britten Symphony Op 4
O-Ton : Gee
But, I was very determined …
Übersetzerin:
Ich war sehr entschlossen.
Autorin:
Mit 15 verließ sie die Schule, wurde an einer Kunstakademie angenommen. Sie
eignete sich eine klassische Kunstausbildung an und traf Penny Rimbaud.
O-Ton : Gee
Totally new world. I‘d never met anybody like Penny Rimbaud.
Autorin:
Zwei Jahre älter als Gee war Penny nach dem Rauswurf aus zwei Privatschulen an
die Kunstschule gekommen.
O-Ton: Gee
I came from a very working class, poor background, he came from a very privileged
background. He was naughty, I was naughty. So, (laughs), not in the sense. You got
into trouble at school when you were questioning and you couldn't sit still and you
already realized that there was a pile of shit going on here and lies and so yes, I
mean that was the basis of that.
Übersetzerin:
Ich kam aus der Arbeiterklasse, wir waren arm, er kam aus einer sehr privilegierten
Familie. Er war ungezogen, ich war ungezogen. Man bekam Ärger in der Schule,
wenn man etwas infrage stellte, man konnte nicht stillsitzen und wusste schon, es
gab hier viel Scheiße und Lügen, das war das Fundament.
Musik : Miles Davis: Now is the Time
Autorin:
In den ausgehenden fünfziger Jahren war die Atmosphäre gleichermaßen geprägt
durch Freude über den Frieden wie durch den Horror, den die Bilder von Auschwitz
und Hiroshima auslösten. Die drängende Frage: Wie konnte es dazu kommen?
O-Ton : Penny
It‘s not the system, it is not the state and it is not the church. It is none of those
things, it is each individual and its fear, peoples‘ utter fear of what they know
intrinsically know, in existentialism calls it responsibility, Zen calls it being. I mean it is
no morality within the non-material world, because it is simply as it is.
Übersetzer 1:
Es ist nicht das System, es ist nicht der Staat und nicht die Kirche, keines davon, es
ist jedes Individuum und seine Angst, sie haben Angst vor ihrer tatsächlichen
Verantwortung, wie die Existentialisten es nennen. Zen nennt es Sein. In der
immateriellen Welt gibt es keine Moral, denn es ist wie es ist.
Autorin:
Das grundlegende Misstrauen gegenüber autoritären Strukturen wurde angefüttert
durch Einflüsse, die aus den USA kamen: Rock‘n Roll, Pop Art, Beatniks, Hippies:
O-Ton : Gee
What I got from it, it was to be myself, be my own person, be my own healer, be my
own adventurer, everything really. I mean, before that everything seemed to be that
you relied on someone else to do it for you, either your parents or state and the thing
was, you took it on to yourself, to heal yourself, to grow and to do what you wanted to
do really.
Übersetzerin:
Für mich hieß es, ich selbst zu sein, eine selbstbestimmte Persönlichkeit, Heilerin,
Abenteurerin, alles. Davor schien man von anderen abhängig zu sein, dass sie etwas
für einen tun, entweder die Eltern oder der Staat. Es ging darum, es selbst in die
Hand zu nehmen, sich selbst zu heilen, zu wachsen und zu tun, was man wirklich tun
wollte.
Musik: The Inn of the Sixth Happiness - Soundtrack
Autorin:
Ende der 60er-Jahre mietete Penny Dial House. Damals eine Ruine im Nirgendwo
des Londoner Grüngürtels; aber nur fünf Meilen entfernt von der Endstation der Tube
in Epping. Er wollte raus aus dem Bildungssystem der Kunstschule, wo er lehrte. In
seiner Autobiographie „Shibboleth“ beschreibt er, wie er seinen Studenten Freiheit
predigte. Die erklärten ihm, mit der Sicherheit eines gut bezahlten Jobs, sei das eine
schöne Theorie.
O-Ton : Penny Rimbaud
Yeah, I just wanted to live in a different way, I didn't like the way, I didn't like the sort
of order and ownership and, yeah. Well, I didn't really know, it was an experiment, I
took the locks off the doors, metaphorically as much as realistically, I wanted to see
what would happen when I didn't have a job when I didn't have, I wasn't looking for
anything, I was quite interested to see what would happen. And then people started
turning up from nowhere.
Übersetzer 1:
Ich wollte anders leben. Mir missfiel diese Art Ordnung und Eigentum. Es war ein
Experiment, ich entfernte die Schlösser von den Türen, so metaphorisch wie real. Ich
wollte sehen, was passieren würde, wenn ich keine Arbeit hatte und keine suchte. Ich
suchte gar nichts. Mich interessierte, was passieren würde, und dann tauchten Leute
aus dem Nichts auf.
Atmo : Feuer, mit Unterhaltung
Autorin:
Das Feuer in der Schale wärmt noch. Es ist inzwischen kurz nach elf. Wir trinken
Wein und Gee unterhält sich mit einem Waldkauz, als ein junger Mann mit Rucksack
aus dem Dunklen auftaucht. Dial House zieht nach wie vor Suchende an.
Atmo : Feuer, mit Unterhaltung
G: EWITT ...
M: Hi. Is Penny inside?
G: Hello!
A: Hi
G: Come forward, lets see you. Friend or foe?
M: a friend
G: Take a seat. I can see. Hello. I expected you. You are cold.
M: Yeah. I guess. Hi hello.
G: This is Martina
A: Hi
G: I am Gee.
M: Hi Gee.
G: Are you hungry? Thirsty?
M: A bit I guess
G: Would you like a sandwich of some sort, there is some fresh bread its been
baked.
Autorin:
Marco kommt aus Slowenien. Er hat den letzten Bus aus Epping verpasst und ist
gelaufen. Das Abendessen hat er auch verpasst, aber es gibt frisches Brot.
O-Ton : Penny
Anyone will get a bed for the night and food. But in the morning, they‘ll be asked,
what‘s your plan? What do you want? I mean generally speaking no one has ever
just turned up and then continued to live here. We have to get to know people before
we are gonna have them as full time residents. Anyway, so I said, well look what do
you want? He really wanted to see how this place works, talk about ideas creating
something similar himself in Slovenia, as his family own a farm.
Übersetzer 1:
Jeder kann über Nacht bleiben und bekommt zu essen. Aber am Morgen werden sie
gefragt, was hast du vor? Was willst du? Bisher ist noch nie jemand einfach
aufgetaucht und geblieben. Wir müssen die Leute besser kennenlernen, bevor wir
sie als Mitbewohner akzeptieren. Auch Marco habe ich gefragt: Was willst du? Er
wollte sehen, wie dieser Ort funktioniert, erzählte von Ideen selbst etwas Ähnliches in
Slowenien aufzubauen, wo seine Eltern einen Hof besitzen.
Atmo: Türglocke und Jazz im Wohnzimmer
Autorin:
Marco bleibt für drei Nächte, dann sagt Gee, sie brauche mehr Ruhe. Es gibt
Menschen, die länger in Dial House wohnten, viele Künstler, Freunde oder Fremde,
die Freunde wurden, die Zeit und einen Ort brauchten, um abseits vom Alltag zu
arbeiten oder herauszufinden, wie es weitergehen soll. Bei meinem Besuch wohnt
neben Marco ein Graphikdesigner aus London hier; seit einem Jahr. Aber das Haus
ist kein bequemer Ort, es gibt immer etwas zu tun, und im Winter ist das Leben
ziemlich hart. Dann kommen deutlich weniger Gäste, die über Nacht bleiben. Es
kann bitterkalt in dem alten Haus werden, der Wind zieht durch die Fenster und es ist
immer etwas feucht und kühl. In den Betten liegen Heizdecken, aber das Aufstehen
am Morgen kostet Überwindung. Die gemütliche Bibliothek ist dann das einzige
Zimmer, in dem es warm wird. Bis weit hinein ins Frühjahr wird der Allesbrenner dort
mit Holz gefüttert, in dem Kessel darauf, das Wasser für den Abwasch erhitzt.
Musik : Ornette Coleman - Summertime
Autorin:
Ganz anders im Sommer, dann stehen die Türen weit offen und Kommende und
Gehende geben sich manchmal die Klinke in die Hand. Es gibt verschiedene
Workshops, einen Filmclub für Kinder und „Toms fantastischen Kunstclub“, den einer
der Nachbarsjungen vom Bauernhof nebenan vor Jahren ins Leben gerufen hat.
Immer hat das Haus kreative Geister und schräge Gäste angezogen, wie Gee
erzählt, nur selten solche, die ernsthafte Probleme bereitet haben.
O-Ton : Gee
It was a very, seufzt, a rare guest in a sense that he was very damaged, alcoholic,
aggressive and he had been, he had been here before.
Übersetzerin:
Ein seltener Gast, sehr kaputt, Alkoholiker, aggressiv. Er war vorher schon mal da.
Autorin:
Eines Abends saß er wieder im Wohnzimmer, erzählt Gee, ein Crass-Fan. Wie allen
boten sie ihm ein Bett für die Nacht an - im Wohnwagen. Schon morgens war er
volltrunken, nachmittags erwartete Gee eine Gruppe Kinder. Der Mann weigerte sich
zu gehen. Sie drohte, die Polizei zu rufen. Crass und die Polizei! Der Fan glaubte es
nicht und verbarrikadierte sich im Wohnwagen, auf den er schrieb: „Ich wohne hier“.
Gee rief die Polizei. Erst kamen zwei junge Polizisten, dann sechs weitere, inklusive
eines Chiefinspectors.
O-Ton : Gee
So by this time, oh, this is being going on, there is eight police (laughs), is getting
worse by the minute and he‘s got has him locked himself in the caravan. So anyway
the police around the caravan. I said, I don‘t want any man handling, I want it very
soft, gentle. I said, he is somebody who has suffered something, I don‘t know what it
is, but he is sick. So, please, no heavy hands. No. Fine.
Übersetzerin:
Inzwischen waren acht Polizisten da, im Minutentakt wurde es schlimmer, er hatte
sich im Wohnwagen eingeschlossen, die Polizisten standen drumherum. Ich sagte,
ich will nicht, dass er grob behandelt wird, vorsichtig bitte. Er ist jemand, der
beschädigt ist, ich weiß nicht, was er hat, aber er ist krank.
Autorin:
Schließlich brachten die Polizisten den Fan zum Bahnhof. Nicht ohne ein
Sandwichpaket von Gee. Währenddessen outete sich auch der Chiefinspector als
Crass-Fan.
O-Ton : Gee
And it was so odd, the whole situation because here is supposedly the enemy, you
know the filthy pigs and all that, which I had never liked at all, and then there is the
fan in the caravan locked in, you know, sort of creating hell for everybody and I
thought, you just couldn't write this script, people would never believe it. I thought, oh
wow, isn‘t it strange so many Crass people that followed Crass are inside the system.
How inside could you be then that? And I think given the choice I‘d rather have
somebody like that there then not. How are you gonna change this if you don‘t have
somebody who seems to, seems to still be with the same sort of philosophy about life
and moral about life. So may be he‘ll make the change, he is in a very good position
to do so as chief-inspector. So that is kind of like odd, very odd, very memorable
Übersetzerin:
Die ganze Situation war verrückt: hier war der angebliche Feind, die „Bullen“, das
mochte ich sowieso nie, und dann ist da der Fan, der allen das Leben zur Hölle
macht. Das konnte man nicht erfinden, niemand hätte das geglaubt. Es ist seltsam,
so viele Crass-Anhänger sind Teil des Systems. Könnte man tiefer drin sein? Aber
wenn ich die Wahl hätte, hätte ich lieber so jemanden in dieser Position als
niemanden. Wie will man etwas verändern, wenn nicht mit Leuten, die eine ähnliche
Philosophie vom Leben vertreten und Moral besitzen. Vielleicht verändert er etwas,
als Chiefinspektor ist er in einer guten Position.
Atmo : Penny am Schreibtisch, Musik (Black Man von den Blooody Beetroots)
Autorin:
Im Garten stehen drei selbstgebaute schlichte Holzhütten. In einer wohnt Penny. Ein
übersichtlich eingerichteter Raum. Große Fenster. Auf dem Holzschreibtisch liegen
geöffnete Briefe, eine elektrische Zigarette samt Zubehör und ein kleiner Laptop.
Penny tritt immer noch regelmäßig auf, vor allem mit Jazzmusikerinnen: Free Jazz.
Bei den Konzerten rezitiert er seine Gedichte. Auch eine Oper hat er geschrieben:
The Magick Kingdom. Es gibt immer neue Projekte. 2012 fragte ihn die italienische
Electroband The Bloody Beetroots, ob er nicht Lust hätte einen Song mit ihnen
aufzunehmen.
O-Ton : Penny
I went up on Youtube and watched their gigs and they have some massive gigs in
America on Youtube, sort of a thousands of kids. All sort of waving their, their victory
signs, all white generally speaking .... All with sort of with dental cosmetics, all very
pretty and beautiful and American and I just thought, fucking hell, if I could get that
song, that poem performed in front of those kids, then may be they gonna get some
idea of what is happening in their sort of glorious American dream.
Übersetzer 1:
Ich ging auf Youtube und sah mir ihre Auftritte an, sie haben einige große Konzerte
auf Youtube mit tausenden von Jugendlichen, alle ihre Siegeszeichen zeigend, alle
Weiß, alle mit guten Zähnen, alles sehr hübsch und schön und amerikanisch. Ich
dachte mir, verdammt, wenn ich vor ihnen den Song, das Gedicht vortragen könnte,
dann bekommen sie vielleicht eine Ahnung davon, was in ihrem großartigen
amerikanischen Traum vor sich geht.
Atmo : Penny am Schreibtisch, Musik
Autorin:
Es ist eine seiner selten gewordenen politischen Äußerungen. „A Black Man in the
White House“ hat Penny unmittelbar nach der Wahl Barack Obamas geschrieben.
Als es die Illusion gab, mit einem schwarzen Präsidenten würde in den USA auch der
Rassismus überwunden sein. Stattdessen führten Maßnahmen wie der „Krieg gegen
Drogen“ zu einer neuen Rassendiskriminierung, der Kriminalisierung und
massenhaften Inhaftierung schwarzer Amerikaner und zu ungezählten Tötungen.
Atmo : Musi Ende Gong - God Bless America
Autorin:
Als ich Penny kennenlernte war er intensiv auf der Suche nach einem großen Verlag
für seine Bücher. Es fand sich keiner. Heute erscheinen sie kongenial gestaltet bei
Bracketpress, einem britischen Kleinstverlag. Die Manuskripte stehen in einem
kleinen Holzregal. Kladden mit schwarzem Buchrücken und aufgeklebten Titeln:
Shibboleth“, Pennys Autobiographie und die Geschichte von Crass, die in mehrere
Sprache übersetzt ist. Gedichte, „The Diamont Signature“, daneben „This Crippled
Flesh“ - „Dieses verkrüppelte Fleisch“, ein Buch über Philosophie und Schmutz. Über
Gewalt und Obszönität. Eine kritische Auseinandersetzung mit Descartes': „Ich
denke, also bin ich“. Pennys Arbeiten wollen irritieren, zunehmend ist sein
Weltverständnis spirituell geprägt, beruft sich auf die Einheit allen Seins.
Atmo : Garten Idler Academy
O-Ton : Tom Hodgkinson
His work is so uncompromising, nobody would ever publish it.
Übersetzer 2:
Sein Werk ist so kompromisslos, niemand wird es jemals veröffentlichen.
Autorin:
London. Notting Hill: Die Idler Academy, eine „Akademie für Müßiggänger“. Eine
Mischung aus Buchladen und privater Volkshochschule. Im Programm: Latein,
Ukulele oder Nähkurse. Gegründet hat die Akademie der Schriftsteller, Journalist und
Herausgeber des „Idler Magazines“ Tom Hodgkinson. Ein literarisch-philosophisch-
libertäres Magazin. Es erscheint einmal im Jahr. Penny publiziert regelmäßig darin.
Tom war über Crass auf Penny und Gee aufmerksam geworden.
O-Ton : Tom Hodgkinson
That was the good thing about Crass, they've sold millions of records and it was a
very, very effective piece of communication which was deeply liberating for hundreds
thousands, may be millions of people and it let to things like a revolutionary mayor in
Iceland and that is just one part of it. It let to a whole generation of working class
children and young people being exposed to sophisticated, political ideas around
anarchism, Proudhon, Kropotkin, Jean Paul Sartre.
Übersetzer 2:
Das Gute an Crass war, dass sie Millionen Platten verkauft haben, eine sehr
wirksame Kommunikation, die für Hunderte, Tausende, vielleicht Millionen sehr
befreiend wirkte und die zum Beispiel zu einem revolutionären Bürgermeister in
Island geführt hat. Diese Kommunikation ging in einer ganzen Generation
Arbeiterklassekindern und Jugendlichen auf, die mit den komplexen und politischen
Ideen rund um den Anarchismus konfrontiert wurden, mit Proudhon, Kropotkin, Jean
Paul Sartre.
Autorin:
Tom Hodgkinson war Ende der 90er-Jahre nach Dial House gekommen, um eine
Reportage für sein Magazin zu schreiben. Er fand dort Anregungen für eigene
Bücher, die zu Bestsellern wurden.
O-Ton : Tom Hodgkinson
Particularily in my first two books, „How to be Idle“ and „How to be free“ they came
out of conversations that I had with Penny and Gee and but among many other
things, but they recommended certain books for me to read and so through their
conversation and by their example I was inspired to put down some of those ideas in
my own books, yeah.
Übersetzer 2:
„Anleitung zum Müßiggang“, „Die Kunst frei zu sein: Handbuch für ein schönes
Leben“, entstanden aus Unterhaltungen mit Penny und Gee. Sie empfahlen mir
Bücher zum Lesen und unsere Gespräche und ihr Beispiel inspirierten mich zu
einigen Ideen in meinen eigenen Büchern.
Autorin:
2014 hatte Tom Hodgkinson Penny und Jon Gnarr, den ehemaligen Bürgermeister
von Reijkavik zu einem Gespräch in die Idler Academy eingeladen. Der Komiker und
Anarchist Gnarr wurde nicht müde, den Einfluss von Crass für sein Selbstverständnis
zu betonen: „Sei genau der, der du sein willst solange du niemandem dabei
schadest. Du hast die Wahl“ Ein weiterer Crass Slogan, der ihn begeistert habe,
lautet: „Anarchie ist Freiheit. Aber keine Freiheit ohne Verantwortung. Freiheit ohne
Verantwortung wird Chaos. Und Chaos ist keine Anarchie. Anarchie ohne
Verantwortung ist Chaos.“
Atmo : Am Feuer, mit Unterhaltung
Penny: I am not an anarchist. You are wasting your time on me.
Lachen. Well.
I am a neo-liberal. (Lachen) Starts. Well, they got some much better ideas than most
people on the left have. It is just in practice, I don‘t think they are being as honest to
their principles.
Gee: Are there any of them?
Penny: Yeah, they are very opposed tax, they are very opposed to centralization,
they are very opposed to all sorts of things which are sort of quite anarchistic.
Übersetzer 1:
Ich bin kein Anarchist, du verschwendest deine Zeit. Ich bin ein Neoliberaler, die
haben viel bessere Ideen als die meisten Linken.
Tatsächlich leben sie aber nicht nach ihren Prinzipien. Sie sind gegen Steuern,
gegen Zentralisierung, gegen vieles; was ziemlich anarchistisch ist.
Atmo : Am Feuer, mit Unterhaltung
Libertarianism is now always perceived particularily in the American form and has
been very rightest, but actually libertarinism is really essentially leftist, well, essential
is nothing at all but it isn‘t the right of the right.
Übersetzer 1:
Libertarismus wird vor allem in der amerikanischen Form als sehr weit rechts
verstanden, aber tatsächlich ist Libertarismus im Wesentlichen eher ziemlich Links.
Nichts ist wesentlich, aber es ist nicht das Recht der Rechten.
Autorin:
Für mich ist Dial House ein hervorragendes Beispiel dafür, dass freie
Entscheidungen und die Überwindung eigener Begrenzungen im aktiven Handeln hin
zu einer Gemeinschaft möglich sind, getragen von gegenseitiger Hilfe. Das
funktioniert offenbar nur in einem Wertesystem, das nicht von Eigeninteresse und
Profitmaximierung geprägt ist, sondern von moralischer Integrität, die sich im Tun
zeigt. Ohne das passt vieles, was hier an Alternativen gelebt wird, auch zu einem
neoliberalen Umbau der Gesellschaft.
Penny :
You know we are living proof of something or other and mainly it‘s bloody hard work,
and I don‘t know many people who are willing to do bloody hard work for other
people, in that way.
Übersetzer 1:
Wir sind der lebende Beweis für etwas und meistens ist das verdammt schwere
Arbeit. Ich kenne nicht viele Menschen, die so schwer für andere arbeiten wollen.
Autorin:
Selbst unter den Besuchern von Dial House habe ich niemanden getroffen, der das
auf Dauer wollte. Zu wenig Privatheit, die Kälte im Winter, die viele Arbeit, die große
Disziplin die es braucht. Aber es ist ein Vorbild, ein Kompass, in welche Richtung es
gehen könnte.
Atmo : Tai Chi
What about the hips?
Autorin:
Gee ist nicht gegen jedwede staatliche Einrichtung, das National Health System, zu
dem jeder Brite Zugang hat, hält sie für ein gutes System, nur plädiert sie für den
aktiven Patienten, der sich selbst weiterinformiert. Zweimal in der Woche unterrichtet
sie in den Gemeindezentren von Epping und North Weald Tai Chi - als Form der
Selbstermächtigung.
O-Ton : Gee
I love teaching Tai Chi, I love teaching it to very old people who have been thrown on
the health heap and they could expect these things at their age and I think, na no,
come on we‘ll get you sort of leveled out a bit more. So you can stand up straight,
you don‘t look like a bloody victim. You can walk out in the street. And you often get
them saying: Oh, I went out at night, I haven‘t done that for years, cause they feel
confident. And I think: right, that‘s good, that‘s a good knock on effect, your grand
children will see that, you know it is a ripple effect. If I am gonna keep chipping away
that‘s exactly what I am gonna do, chipping away, undermining, I am not interested in
head on collisions with authority. I don‘t go on marches, because I would have a
head on collision if I saw somebody being brutalized.
Übersetzerin:
Ich unterrichte sehr gerne Tai Chi, gerade sehr alte Menschen, die gesundheitlich
abgeschrieben sind, was sollten sie in ihrem Alter schon erwarten? Von wegen, wir
können ihr Niveau anheben, so dass sie gerade gehen können und nicht wie ein
verdammtes Opfer aussehen. Sie können wieder auf die Straße gehen.“ Oft erzählen
sie: „Ich war zum ersten Mal seit Jahren wieder abends unterwegs“, weil sie sich
sicher fühlen. Das ist toll! Ein Dominoeffekt. Ihre Enkel können das sehen, und es
macht die Runde. Ich meißel an etwas herum, das tue ich, herummeißeln, ich
unterhöhle. Direkten Zusammenstößen mit der Autorität gehe ich aus dem Weg. Ich
bleibe Demonstrationen fern, weil ich sofort eingreifen würde, wenn jemand
misshandelt wird.
Atmo : Garten am Morgen, Hühner
Autorin:
Das Zentrum von Dial House ist der ein Hektar große Garten. Für die Erdung und
Selbstversorgung seiner Bewohner vom späten Frühjahr bis weit in den Winter. Im
Frühjahr muss Obst und Gemüse dazu gekauft werden. Vom Markt in der Stadt, dem
nächsten Biobauernhof oder es wird mit Freunden getauscht, die selbst
Nahrungsmittel herstellen. Vereinzelt gibt es noch Rosenkohl und Broccoli und
Ruccola aus dem Gewächshaus, vor dem selbst gezogene junge Pflanzen in Töpfen
stehen, bereit zum auspflanzen. Die dunkle, schwere fruchtbare Erde muss noch
umgegraben werden.
O-Ton : Gee
Supposedly I am a naturally perma culture person, but quite honestly before the term
was used and somebody came here and said: can we do a perma culture course and
you know, because you do it? I said, do I? I don‘t know. (laughs). I thought that was
really funny. I said: yes, sure, it would be great. Yeah, I mean it‘s just being
imaginative about what you do, making something from nothing, sharing, how you
buy things or not buy things. How save your seeds, how you prolong this, prolong
that. It is everything really, It is sustainable living.
Übersetzerin:
Wahrscheinlich bin ich der geborene Permakulturmensch. Wirklich, bevor der Begriff
benutzt wurde, war jemand hier und fragte, ob wir einen Permakultur Kurs
veranstalten könnten, weil ich das ja praktiziere. Ich fragte: „Tue ich das? Keine
Ahnung.“ Ich fand das sehr komisch und sagte: „Ja, na klar, großartig.“ Es geht
darum, Phantasie zu entwickeln, in dem, was man tut, aus Nichts etwas zu machen,
zu teilen, was kauft man oder was nicht, wie man Samen aufhebt, wie man etwas
verlängert. Es ist alles, es ist ein nachhaltiges Leben.
Atmo : Arbeit im Garten, Penny hämmert, Gee fegt
Autorin:
Ein Freund hat Steine gebracht, mit denen Gee den gepflasterten Weg von Pennys
Hütte zum Haus ausbessert. Während Penny ein neues Teehaus baut. Das alte hat
der letzte Sturm zerstört. Fundament, Holzstreben, Fenster und ein neues Dach. Das
meiste Material wird wiederverwendet. Das neue Teehaus wird noch schöner als das
alte. Freunde und Nachbarn kommen auf einen Plausch vorbei und begutachten die
Fortschritte. Pete zum Beispiel. Sie kennen sich seit den 80er-Jahren. Damals
organisierte sich die Gemeinde North Weald Bassett zu der auch Dial House gehört
mit rund 6.000 Einwohnern gegen die British Telecom, eines der weltweit größten
Telekommunikationsunternehmen. Das ist fast 40 Jahre her.
Atmo : Pete
P: 37 years.
G: Oh no
P: We were all young and spritely then, do you remember?
G: Yeah.
... I don‘t swear you don‘t need to put any dipps and dopps into it
(Laughter)
Me: We dont have to in Germany.
G. You can swear as much as you like in Germany.
P: In fact you can swear as much as you fucking well like.
G: Yeah.
Pe: I don‘t know any words in German …
Autorin:
Im Zuge des neoliberalen Umbaus unter Thatcher wurde 1984 das General Post
Office privatisiert und in Post und Telefon aufgeteilt. Aus der Telefongesellschaft
entstand die British Telecom. Von der Politik, gegen die sie mit Crass protestierten,
waren Penny und Gee nun unmittelbar betroffen. Es gab große Pläne für North
Weald, das im Speckgürtel Londons und gleichzeitig im geschützten Grüngürtel liegt.
O-Ton : Peter Wilkinson
Their plans was to turn the farm and all the farm into an elderly persons village with a
twice a day bus service to the village to go and get their pension and on top on the
hill where the radio station redempt was, they wanted to demolish that and to put an
eleven story hotel on the top on the hill which you be ought to see to the coastline
and then all around of it they wanted to build 900 houses. And with a golf course, two
golf course, a public course and a private course, the public one was very small and
the private ones that would be very big.
Übersetzer 2:
Ihr Plan war es, die Farmen in ein Dorf für ältere Menschen umzuwandeln, mit einem
Bus, der zweimal am Tag ins Dorf fährt, damit sie ihre Rente abholen können. Auf
der Anhöhe wollten sie die alte Funkstation abreißen und ein elfstöckiges Hotel
bauen, von wo aus man die Küste sehen könnte, drumherum wollten sie 900 Häuser
bauen. Und zwei Golfplätze, einen kleinen öffentlichen und einen sehr großen
privaten.
Autorin:
British Telecom hatte nicht mit dem Widerstand der Bewohner gerechnet. 25
Gruppen -, darunter der Bowling- und Reitverein - organisierten sich zu einer und
sagten „nein“ zu den Plänen. Dial House war die Zentrale, monatlich gaben sie eine
Zeitung heraus, die über den Stand der Dinge informierte.
O-Ton : Gee
We fought hard on that first one to the point where they withdrew from the court case
just before it started. And then they came back about three years later I think it was.
But we had a lot of things in our favor, I mean nobody likes BT in this country and of
course having won forced them to back down, people were feeling pretty strong and
(laughs) confident about the next fight. ... So we won again. (laughs) So we had a
huge party down in the village with a big barn dance and everybody celebrating and
the rest of it, it was very good.
Übersetzerin:
Wir kämpften so hartnäckig, dass sie den ersten Fall, noch bevor er vor Gericht kam,
zurückzogen. Drei Jahre später kamen sie zurück. Aber wir hatten einiges auf
unserer Seite, niemand mag British Telecom hier und natürlich, nachdem wir sie
einmal zurückgeschlagen hatten, fühlten sich die Leute ziemlich stark und
selbstbewusst für den nächsten Kampf. Wir haben wieder gewonnen. Wir hatten eine
große Party unten im Dorf mit Tanz in der Scheune.
Musik
Autorin:
Der Gewinn gegen British Telecom bedeutete für Gee und Penny nur eine
Atempause.
2002 wurde Dial House auf einer Auktion versteigert. In ihrem Auftrag aber nicht
unter ihrem Namen bot ein Bekannter für sie mit. Der Strohmann wurde
eingeschaltet, weil Penny und Gee befürchteten, dass der Auktionator sonst die
Immobilie zurückgezogen oder den Preis in die Höhe getrieben hätte..
O-Ton : Gee
And he was very good. So it wasn't until we knew all the owners had left, that we
could rejoice. (laughs). We had a fake film company, BBC film company there, who
had recorded it all, because he came in and said it was a documentary on the
auctioneer and how they do auctions and stuff. So he had a BBC poster on the side
of his cameras, all very professional. (laughs) (Regie: bitte stehenlassen unter
Autorinnentext.)
Übersetzerin:
Er war sehr gut. Erst als wir wussten, alle Spekulanten sind gegangen, konnten wir
jubeln. Wir hatten eine gefakte Filmfirma da, BBC Filmfirma, die alles aufgenommen
haben, er kam rein und erzählte, er würde eine Dokumentation über die Arbeit des
Auktionators drehen. Deswegen hatte er einen BBC-Sticker an der Kamera, alles
wirkte sehr professionell.
Autorin:
Knapp 158.000 Pfund kostete das Haus. Utopisch viel Geld für Gee und Penny und
plötzlich waren sie Eigentümer.
O-Ton : Penny
I mean it was the first time I ever have been depressed in my life, and I was
depressed for about a year. I wasn't happy with the idea of owning a place and being
the owner, I didn't actually so much mind owning it, I did mind being the owner, there
is a sort of settle difference in there.
Übersetzer1:
Zum ersten Mal in meinem Leben war ich depressiv, ein Jahr lang. Ich war
unglücklich über die Vorstellung, ein Haus zu besitzen und Eigentümer zu sein. Das
Besitzen machte mir nicht so zu schaffen, wie Eigentümer zu sein. Das ist ein feiner
Unterschied.
Autorin:
Ohne ein über viele Jahre gebautes Netzwerk von Freunden innerhalb und
außerhalb Großbritanniens, die ähnliche Werte leben, hätten sie den Coup nicht
landen, das Haus nicht kaufen können.
Für den Hauskauf veranstalteten Freunde, Fans und ehemalige Mitbewohner und
Bandmitglieder Solidaritätsveranstaltungen oder liehen ihnen zinslos Geld.
Inzwischen haben sie alles zurückgezahlt. Heute stellt sich nun die Frage, was aus
dem Haus wird, wenn die beiden nicht mehr da sein werden?
O-Ton : Penny
Actually quite quickly we came up with the idea of putting it into a trust, in other words
giving it charitable status and I mean effectively by handing the house to the state,
which is ironic for someone who has opposed this state and doesn't believe in the
state, but the only way one could guarantee some form of perpetuity to a place like
this and an institution like this is to make it charitable or a trust. It will be something
on the ground of the sort of Center for the radical arts and horty culture meaning
actually permaculture.
Übersetzer 1:
Sehr schnell hatten wir die Idee, es in eine Art Stiftung zu übergeben, mit anderen
Worten, ihm einen allgemeinnützigen Status zu geben, indem wir das Haus dem
Staat übereignen, was etwas paradox ist für jemanden, der gegen den Staat
opponiert hat und nicht an den Staat glaubt. Aber es war die einzige Möglichkeit, den
dauerhaften Bestand dieser Institution zu garantieren, um daraus eine Stiftung zu
machen. Es wird eine Art Zentrum für radikale Künste sein und für Permakultur.
Atmo: Abendessen
Musik : Penny Rimbaud, Oh Magick Kingdom
Absage:
Radikal leben
Die englischen Künstler Gee Vaucher und Penny Rimbaud
Ein Feature von Martina Groß
Sie hörten eine Produktion des Deutschlandfunks 2015.
Es sprachen: Claudia Mischke, Christiane Bruhn, Josef Tratnik und Thomas Balou
Martin
Ton und Technik: Hendrik Manook und Anna Dhein
Regie: Anna Panknin
Redaktion: Hermann Theißen