zeltgeschehen Der Mensch - „unheilbar religiös"?
Schreckliche Bilanz
Zeitweilige Unzulänglichkeit?
„Der Mensch lebt nicht vom Öl al lein."
im Blickpunkt Von apokalyptischem Wetterleuchten geprägt: Hundert Jahre «Wachtturm»
Der Beginn
Auf der Wacht
Themen, Sprache, Methode
Im konkreten Beispiel
Dokumentation Wachtturm-Lehren
Pfingstler zeigen sich gesprächsbereit
Spirituelle Alternativzeitschriften
Informationen ENTHUSIASTISCHE BEWEGUNGEN
Jean Michel verurteilt
PFINGSTBEWEGUNG
Die deutschen Pfingstler rücken näher zusammen
FREIE CHRISTEN
Zu wenig Mitarbeiter in der «Freien Christlichen Volkskirche»
JEHOVAS ZEUGEN
Neubau des deutschen Zweigbüros
ISLAM
Maulana Maudoodi gestorben
BUDDHISMUS
25 Jahre «Buddhistische Gesellschaft Hamburg»
WISSENSCHAFT
Naturwissenschaft und Religion
Eine jüdische Stellungnahme
ALTERNATIVE LEBENS- UND BEWUSSTSEINS-MODELLE
Was aus der «AAO» geworden ist
E 20362 E
Material dienst
Aus der i . i . J Evangelischen Zentralstelle 5 - / Z . für Weltanschauungsfragen L^Osil
derEKD L ± i ± J
42. Jahrgang 1. November 1979
Zeitgeschehen
O Der Mensch - „unheilbar religiös"? Nach der epd-Zen-
tralausgabe vom 20. 7. 1979 haben die Mitglieder des „Christlichen Seminars über Probleme der religiösen Wiedergeburt" in Moskau einen Hilferuf an die christliche Jugend des Westens gerichtet. Es geht dabei um die Verurteilung des Gründers des Seminars, Aleksandr Ogorodnikov, zu einem Jahr Haft. „Wir betrachten", so heißt es in dem Dokument, „das Urteil gegen Aleksandr Ogo-rodnivok als repressive Maßnahme zur Vernichtung des Seminars und als ein weiteres Verbrechen im Rahmen der Maßnahmen gegen die religiöse Bewegung als Ganzes." Die Arbeit werde aber weitergehen, denn die Gegenwart zeige „mi t aller Deutlichkeit, daß die religiöse Wiedergeburt in Rußland eine Realität ist". Fast zu gleicher Zeit ist in dem «Informationsdienst Glaube in der zweiten Welt» (G2W 10/79) eine Meldung aus der Atheistenzeitschrift «Wissenschaft und Religion» zu lesen: „Die Bandbreite der verschiedenen Formen und Typen ritueller Dienstleistungen für die Bevölkerung der Republik hat 90 Titel überschritten." Mit der „Republik" istdie ukrainische Sowjetrepublik gemeint. Auf sie konzentriert sich offenbar gegenwärtig besonders inten
siv die Bemühung zur Einführung „sowjetischer Zeremonien und Rituale". In den letzten zwei Jahren wurden hier drei Viertel der heute vorhandenen 94 „Häuser und Paläste für feierliche Ereignisse" errichtet. 8500 Zimmer und Säle, 500 „Salons für rituellen Service", 68 Festsäle, 1500 Gesangskollektivs und Chöre, sowie 1150 Orchester stehen zur Verfügung. Der Mensch — „unheilbar religiös"? Jedenfalls kann auch der Atheismus offenbar nicht auf jenes Attribut verzichten, das in den Kirchen des Westens immer wieder Anlaß zu theologischen Reflexionen und Kontroversen gab: die Zeremonie und das Ritual, das sich vor allem durch Feierlichkeit auszeichnen muß. Aber offensichtlich wird gegenwärtig auch in der Sowjetunion besonders deutlich, wie vordergründig eine Anschauung ist, die in der orthodoxen Kirche mit ihrem reichen Ritual lediglich den älteren zu den sowjetischen Zeremonien konkurrierenden Zeremonienmeister sieht. Wie weit die „religiöse Wiedergeburt" in die Breite greift, mag noch dahingestellt bleiben. Daß sie sich aber nicht in der bloßen formalen Wiederbelebung religiöser Rituale erschöpft und deshalb auch schwerlich nur auf dieser Ebene kompensiert werden kann, dafür gibt es inzwischen Zeugnisse genug. ai
r \ Schreckliche Bilanz. Ende ^ - ^ 1975, so wird in einem Artikel „Zwölf Jahre Drogenszene in der Bundesrepublik" («Prävention -Zeitschrift für Gesundheitserziehung» 4/1978) berichtet, waren 0,3
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Prozent der Jugendlichen zwischen 18 und 24 Jahren psychisch oder körperlich von illegalen Drogen abhängig. 10 Prozent der Jugend machen weiterhin Erfahrungen mit Hasch. 1976 stieg die Zahl der Drogentoten sprunghaft an. Ganz junge Menschen, teilweise im Alteryop 12 bis 14 Jahren, stiegen auf Heroin um. 1976 bis 1978 verzeichnet die Bundesrepublik eine jährlich etwa gleiche Zahl von Drogentoten und einen anhaltenden Trend zur Verjüngung der Neuzugänge. Nicht nur diese Entwicklung macht betroffen. Auch ihre Resonanz in der Öffentlichkeit. Vor einigen Jahren war es ein zentrales und heiß diskutiertes Thema. Da die Drogenwelle scheinbar längst von anderen Wellen abgelöst wurde, findet sie heute kaum mehr Beachtung. Drogentote sind anscheinend uninteressant geworden. ai
O Zeitweilige Unzulänglichkeit? Auch in der Sowjetunion
beschäftigt man sich mit den UFOs. „Das Rätselraten um die fliegenden Untertassen'" ist ein Artikel in der Juli-Nummer von «Sowjetunion heute» überschrieben. Dort erinnert der Verfasser Juri Schkolenko daran, daß auf dem Düsseldorfer Philosophenkongreß zwar nicht von UFOs, wohl aber über die moderne Mythenbildung gesprochen wurde. „Die Wissenschaft allein ist nicht imstande", so Professor Riverso von der Universität Neapel, „den vielseitigen Regungen der menschlichen Seele zu entsprechen, ihr Sicherheit zu geben und sie von der Unbestimmtheit zu befreien, von der Angst vor dem Unbekannten und vor
der Zukunft. Deshalb muß man die Wissenschaft durch Mythen ergänzen und die wissenschaftliche Begründung mit der mythologischen Deutung versöhnen." „Dagegen läßt sich manches einwenden", meint Schkolenko, „vor allem, daß jeder Mythos nur die Illusion von Stärke und Sicherheit vermittelt. Er zeugt zwar von reicher Phantasie, aber diese Phantasie wurzelt in einer Schwäche, in der zeitweiligen Unzulänglichkeit der uns zur Verfügung stehenden Mittel und Möglichkeiten, die Wirklichkeit zu erkennen." Gewiß, UFOs sind das denkbar ungeeignetste Objekt, um die Diskussion des Verhältnisses von Wissenschaft und Mythos weiterzuführen. Trotzdem stockt der nachdenkliche Leser. Ist mit dem „zeitweil ig" nur ein „vorübergehend" gemeint? Oder verbirgt sich dahinter der hierzulande schon längst zutage getretene Zweifel an der totalen Durch-schaubarkeit und Machbarkeit der Wirklichkeit, die einst die Wissenschaft auf ihre Fahnen schrieb? ai
0 „Der Mensch lebt nicht vom öl allein." So lautet der neue
Werbeslogan einer Mineralölgesellschaft. Aber er fährt nicht fort: „sondern von einem jeglichen Wort, das durch den Mund Gottes geht". Eine Anzeigenkampagne wäre dazu wohl auch nicht der geeignete Platz. Erdgas, so meint vielmehr der Werbetexter, ist das, was das Öl ergänzt. Sicher hatte er keine Ahnung, daß er damit das abgewandelte Bibelwort in hintergründiger Weise in sein genaues Gegenteil verkehrt hat. ai
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im Blickpunkt
Von apokalyptischem Wetterleuchten geprägt: Hundert Jahre «Wachtturm»
Wie vielleicht keine andere religiöse Zeitschrift hat «Der Wachtturm», der von den Zeugen Jehovas immer wieder persönlich an unsere Wohnungen gebracht oder uns im Gewühl der Städte vor Augen gehalten wird, auf der ganzen Welt Menschen geprägt, dirigiert, in ihr Leben eingegriffen.
Unter diesem Gesichtspunkt ist er eine Erscheinung der modernen Glaubensgeschichte, die man genauer kennen sollte. Im folgenden Beitrag werden einige Daten und Beobachtungen aus seiner hundertjährigen Geschichte in Erinnerung gebracht und dokumentiert.
Im Juli 1879 erschien in Pittsburgh, USA, eine neue Zeitschrift: «Zion's Watch Tower and Herald of Christ's Presence» in einer Erstauf läge von 6000 Exemplaren. Deutsch seit 1896: «Zions Wacht-Turm und Verkünder der Gegenwart Christi» „Editor and publi-sher" war der damals 27jährige Kaufmann Charles Taze Russell, Das Jahresabonnement für zwölf Hefte kostete 50 Cent; wer nicht zahlen konnte, dem wurde das Blatt auf Wunsch frei ins Haus geliefert. Diese Zeitschrift hatte eine ungewöhnliche, in der Religionsgeschichte vielleicht einmalige Auswirkung. In der Regel bilden sich neue Glaubensgruppierungen um einzelne Führerpersonen oder sie entstehen aufgrund besonderer Geschehnisse. Die Gemeinschaften bringen dann als ihr Sprachrohr eine Zeitschrift heraus. Beim Wachtturm war es gerade umgekehrt: Er war zuerst da als freies, missionarisches Blatt, das eine biblizi-stisch-apokalyptische Grundhaltung propagierte. Russell hatte nie im Sinn gehabt, eine neue Denomination zu gründen. Er wollte überkonfessionell wirken; seine Glaubensgenossen sollten sich von allen Kirchenorganisationen abheben. Sie nannten sich zunächst einfach „Christen". Russell sprach sie in der ersten Nummer des Wachtturms folgendermaßen an: „Für den, der Ohren hat, zu hören, was der Geist den Gemeinden sagt, will Zion's Watch Tower Hilfe und Ermutigung geben. Diese Zeitschrift ist keinem Menschen und keiner Partei verpflichtet; sie ist von keinem Glaubensbekenntnis abhängig, sondern allein von der Bibel; und sie fühlt sich verpflichtet all denen, die den Herrn Jesus Christus in Wahrheit und Reinheit lieben." Diese sollten zum ernsten Bibelstudium angeregt werden. Zur Verbreitung des Blattes und anderer Schriften seines Gründers wurde zwei Jahre später (1881) die «Zion's Watch Tower Tract Society» (heute «Wachtturm Bibel- und Traktatgesellschaft») gegründet. Bald wurden die Leser gesammelt, betreut und schließlich zu einer missionarischen Organisation zusammengeschweißt. Damit wuchs der Schriften-missions-Firma RüsselIs, der Wachtturm-Cesellschaft, die neue Aufgabe der Leitung ei-
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ner Bewegung zu. Der Wachtturm wurde zum zentralen Organ, das Glauben und Leben der „Ernsten Bibelforscher" bzw. „Zeugen Jehovas", wie sie sich nannten, bestimmt. Alle Artikel in den fremdsprachigen Ausgaben sind bis heute Übersetzungen der englischen Originale. So wird das ganze Feld auf eine Linie ausgerichtet. Dem Wachtturm wird größte Wertschätzung entgegengebracht: „Jehova ... hat ihn dazu ausersehen, als Mittel oder,Kanal' gebraucht zu werden, durch den der Menschenwelt eine Offenbarung des göttlichen Willens zuteil werden sollte; und durch die in seinen Spalten erscheinenden Darlegungen sollten die Menschen der ganzen Welt geschieden werden, und zwar in solche, die Gottes Willen tun, und solche, die ihn nicht tun" (Jehovas Zeugen in Gottes Vorhaben, S. 22). Da alle Zeugen Jehovas die Aufgabe haben, den Wachtturm zu verbreiten, erlebte er bisher eine ständige Progression, in der sich die Ausdehnung des gesamten Werkes spiegelt: von einigen vorübergehenden Rückschlägen in den Jahren 1918-1919, 1926-1928, 1951-1952 und 1979 abgesehen, kletterte die Auflagenziffer ständig in die Höhe und erreichte im Jahr 1977 den respektablen Stand von 10,4 Millionen in 82 Sprachen (gegenwärtige Auflage 9,2 Millionen).
Der Beginn
Nicht nur Interesse an der apokalyptischen Thematik im allgemeinen, sondern das spezielle Verlangen aller modernen Apokalyptiker, Endzeittermine zu berechnen, sowie Kontroversen über solche Termine haben zur Entstehung des Wachtturms geführt. Folgendes war vorausgegangen: Der junge Charles Taze Russell hatte Ende des Jahres 1875 ein Heft der Zeitschrift «Herald ofthe Morning» in die Hand bekommen. Diese war drei Jahre zuvor von einem ,,Second Adventist", N. H. Barbour aus Rochester, N. Y., herausgebracht worden, der das zweite Kommen Christi im Jahr 1874 erwartete. Als dieses Ereignis nicht eingetroffen war, hatte ihn ein anderer Adventist, B. W. Keith, überzeugt, daß das griechische Wort ,parousia' nicht allein mit „Ankunft" oder „Wiederkunft", sondern auch mit „Gegenwart" übersetzt werden könne. Und so verkündete Barbour, 1874 habe die unsichtbare „Gegenwart Christi" begonnen. Dies las Russell im Herald und war so beeindruckt, daß er um eine persönliche Unterredung bat, die dann in Philadelphia stattfand. Barbour konnte Russell überzeugen, worauf dieser drängte, möglichst viele Menschen über die „zweite Gegenwart Christi" zu unterrichten. Offensichtlich waren beide schon damals gewiß, daß jetzt die „Erntezeit" sei, in der die wahrhaft Gläubigen gesammelt und von den Ungläubigen geschieden würden - eine Vorstellung, die von den Adventisten übernommen war. Und sie glaubten, daß sie dreieinhalb Jahre dauern werde, entsprechend der ersten Wirksamkeit Jesu-, also bis 1878. Dann werde die Verherrlichung Christi und seiner wahren Kirche erfolgen. Als Barbour die Bemerkung machte, die Abonnenten des Herald seien entmutigt, weil das Jahr 1874 wiederum eine Enttäuschung gewesen war (wie bereits 1844), ferner, daß seine Druckpresse in New York veraltet sei und er selbst nur wenig Geld habe, entschloß sich Russell, voll einzusteigen. Er bezahlte eine neue Druckeinrichtung und wurde Mitautor und Mitherausgeber des Herald. Auch das Jahr 1878 verstrich ohne apokalyptisches Ereignis, und Barbour resignierte. Russell dagegen war ein optimistischer und aktiver Mann, der bald eine Erklärung fand:
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1878 habe die unsichtbare Aufrichtung des Königreiches Christi begonnen. „Seit Oktober 1874 ist unser Herr, der berufene König, wieder gegenwärtig. Seit April 1878 hat er seine königliche Macht an sich gezogen und sammelt nun seine Auserwählten", schrieb Russell später in den Schriftstudien (Band 4, S. 322). Barbour konnte dem nicht beipflichten, und es kam zu Verstimmungen zwischen beiden. Dazu kam, daß er die Lehre von Christi Sühneopfertod als Lösegeld für Adam und sein Geschlecht, wie sie Russell vertrat, nicht akzeptierte und sie sogar in einem Artikel im Herald ausdrücklich verwarf Dieses Lehrstück war wesentlich für Russells Glauben, und noch heute stellt es die christologi-scheZentrallehre der Wachtturm-GeselIschaft dar (siehe Dokumentation). Die Folge war eine ganze Serie kontroverser Artikel im Herald, bis sich Russell ganz zurückzog. Russell kaufte neue Druckpressen und verbreitete seine Überzeugungen von da an ohne fremde Unterstützung. Dabei hatte er zunächst fünf weitere Mitarbeiter Barbours zur Seite, die in seinem neuen Blatt regelmäßig schrieben. Doch blieben sie nicht, und neue Mitarbeiter kamen nicht dazu. So findet man sieben Jahre später nur noch Artikel von Russell und seiner Frau im Wachtturm; und ab 1894 stammen, mit wenigen Ausnahmen, alle Beiträge aus seiner Feder. Oder aber es sind Plagiate aus den zahlreichen Publikationen derselben Grundrichtung; denn seit der Miller-Bewegung gab es viele Zeitschriften und Broschüren mit apokalyptischem Inhalt in den Vereinigten Staaten. Nach Russells Tod (1916) ist dann sein Nachfolger im Präsidentenamt der Wachtturm-Gesellschaft, Joseph Rutherford, der Hauptautor. Zehn Jahre später wandelt sich der Stil; Experten nehmen an, daß andere Autoren tätig wurden und Rutherford die Beiträge nur noch redigierte (alle Wachtturm-Artikel sind bis heute unsigniert). Seit den 40er Jahren ist der Wachtturm das Gemeinschaftswerk eines Teams.
Auf der Wacht
Die frühesten Ausgaben des «Watch Tower» trugen auf der ersten Seite eine kleine Vignette, die einen Burgfried zeigt. Doch bald erhielt die Zeitschrift ein großes, einprägsames Titelblatt. Es hat im Laufe der Zeit dreimal gewechselt. Interessant ist es, zu verfolgen, wie sich in den verschiedenen Darstellungen das Selbstverständnis der Zeitschrift spiegelt. Die deutsche Ausgabe von 1907 etwa zeigt einen großen Leuchtturm, auf Felsen gebaut und von den Wogen des Meeres umspült. Auf dem Fels steht: „Ewiger Fels. Einen anderen Grund kann niemand legen. Ein Lösegeld für al le." Darunter steht: „Auf der Erde herrscht Bedrängnis der Nationen in Ratlosigkeit bei brausendem Meer und Wasserwogen; die Menschen verschmachten vor Furcht und Erwartung der Dinge, die über den Erdkreis (die menschliche Gesellschaft) kommen; denn die Kräfte der Himmel (Einfluß und Macht der Kirchen) werden erschüttert. Wenn ihr dies geschehen seht, erkennet, daß das Reich Gottes nahe ist." Als Leuchtturm verstanden gibt «Der Wachtturm» die Richtung an; er vermittelt immer „neues Licht", entsprechend dem Sprachgebrauch der Zeugen Jehovas. Dazu kommt das Motiv des Wächters, das in zwei biblischen Bezügen angesprochen ist. Jes. 21,11 f ist als Motto stark hervorgehoben und lautet (nach dem offiziellen englischen Bibeltext): „Wächter, wie weit ist's in der Nacht? - Der Morgen kommt und auch eine Nacht!" Etwas tiefer steht Habakuk 2,1 f: „ . . . wil l spähen, um zu sehen, was er (Gott) mit mir reden w i rd . . . Da antwortete mir Jehova und sprach: Schreibe das Gesicht auf..., damit man es geläufig lesen könne."
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In den 30er Jahren hat sich das Titelbild völlig verändert. Man sieht eine mittelalterliche Burg- oder Stadtbefestigung mit viereckigem Turm. Wächter zeigen gen H immel, der sich vor ihnen öffnet: das himmlische Reich schwebt heran. Darunter steht: „Ihr seid meine Zeugen, spricht Jehova, daß ich Gott b in" (Jes. 43,12). Hier wird das Augenmerk auf die Gotteswelt und das kommende Gottesreich gerichtet. Alles ist in hoffnungsvoller, dramatischer Bewegung- offenbar ein Versuch, die negativen Erfahrungen bei der Endzeitberechnung auf das Jahr 1925 aufzufangen. Demgegenüber wirkt das dritte Bild, das bis vor kurzem auf jedem Heft des Wachtturms zu sehen war, leblos, fast öde: Die Wächter und erwartungsvollen Gläubigen sind verschwunden; in der Mitte steht ein großer, vierschrötiger Turm, und man sieht auf eine wie schlafend wirkende „erneuerte Erde". Es ist, als ob die Verantwortlichen in Brooklyn ihrer eigenen apokalyptischen Verkündigung müde geworden wären - aber das wäre sicher eine Überinterpretation. Seit etwa einem Jahr ist das Bild gänzlich verschwunden. Jedes Heft trägt jetzt ein themenbezogenes Titelbild - man ist dazu übergegangen, mehr Themenhefte herauszubringen - , und nur eine leicht angedeutete Silhouette zeigt die Zinnen eines Turms. Es bleibt abzuwarten, ob sich darin eine „Tendenzwende" des ganzen Blattes etwa in Richtung auf einen stärkeren Lebensbezug andeutet.
Themen, Sprache, Methode
Hundert Jahre-das sind drei Generationen. Es ist auffallend, wie gleich sich der Wachtturm über diese lange Zeit geblieben ist, während das übrige religiöse Schrifttum unserer Zeit, besonders in den letzten Jahrzehnten, einen außerordentlich starken Wandel aufweist. Wohl gab es immer wieder auch Perioden, in denen sich der Wachtturm in höherem Maße Lebensfragen zuwandte und Lehrfragen in den Hintergrund treten ließ. Vor allem in der letzten Zeit fällt das auf. Aber eine grundsätzliche Veränderung der Blickrichtung war bisher nicht festzustellen. Aufs ganze gesehen kann man die Beiträge im Wachtturm drei Themenkreisen zuordnen, die von Anfang an gegeben waren. Da wird vor allem das Verhalten des rechten Christen eingeübt. Man kann dem Wachtturm sicher nicht vorwerfen, daß er seine Leser im Unklaren darüber ließe, was sie über die Erscheinungen der Zeit zu denken und wie sie sich im einzelnen zu verhalten hätten. „Jehovas Werk auf Jehovas Weise tun" , „Was man von den Regierungen dieser Welt halten sol l", „Was bedeutet es, gütig zu sein?", „Die wahre und die falsche Anbetung", „Hast du den großen Kampf des Glaubens aufgenommen?" - s o etwa lauten die Themen. Immer wil l der Wachtturm eine eindeutige Haltung vermitteln, die, obwohl sie in manchen Punkten vom traditionell christlichen Ethos stark abweicht und daher Widerspruch hervorruft, doch immer wieder auch positiv vermerkt wurde: Beim Zeugen Jehovas weiß man in der Regel, woran man ist. Er wird zur Entschiedenheit und Korrektheit erzogen -auch wenn sich durch das harte Regiment, unter dem er steht, manche Flucht- und Verschleierungstaktiken bei ihm einspielen.
Die pädagogische Methode, die der Wachtturm in diesem Bereich anwendet, ist, einen Gegensatz herauszuarbeiten zwischen dem Leben der „wahren Anbeter Jehovas", das in leuchtenden Farben geschildert und auch durch viele Beispielgeschichten aus dem weltweiten Feld der Zeugen Jehovas lebendig gemacht wird, einerseits und den schlim-
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men Bräuchen in der heutigen Welt andererseits. Zu diesem Zweck werden mit Vorliebe negative Pressemeldungen aus allen Lebensbereichen gebracht und gänzlich unkritisch verallgemeinert. Hierdurch wird ein Elitebewußtsein aufgebaut, das den Zeugen Jehovas freilich auch unfähig macht, seine eigene „Organisation" kritisch zu sehen. An zweiter Stelle ist der apokalyptische Themenkreis zu nennen. Zu ihm gehören nicht allein die zahlreichen Zeitdeutungen und langatmige Ausführungen über prophetische Stücke der Bibel. Darüber hinaus schildert der Wachtturm vor allem den Kampf mit den satanischen Mächten, in der der einzelne Zeuge wie auch die gesamte Organisation Jehovas verwickelt ist. Harte Fronten werden aufgerichtet. Trennung von der Welt und der Weltkirche und die Identifikation mit der eigenen Gemeinschaft, auf der das Wohlgefallen Jehovas ruht und die dem paradiesischen Tausendjährigen Reich entgegengeht, ist auch hier die Absicht. Der dritte Themenkreis ist der Welt der Bibel gewidmet, die als unmittelbar gültiges Vorbild anschaulich gemacht und bis ins einzelne erklärt und ausgedeutet wird. Immer wieder werden religiöse Fragen gestellt und auf fundamentalistische Weise aus der Bibel beantwortet. So gewinnen die Zeugen Jehovas den Eindruck, in einer unmittelbaren Kontinuität mit den Frommen der biblischen Zeit zu stehen. Wie die Thematik, so ist auch der St/7 des Wachtturms in seinem Grundcharakter gleich geblieben. Man kann nur nuancenhafte Unterschiede feststellen: Russells Sprache war frömmer, pastoraler, mehr bibelgläubigen Kreisen angepaßt. Der Stil Rutherfords war dann mehr sachlich-informierend und damit härter; der menschliche Bezug zum Leser trat zurück. In neuerer Zeit ist viel psychologische und pädagogische Methodik mit im Spiel. Man spürt förmlich, wie in den Gläubigen eingedrungen, wie er manipuliert wird. Eine geistliche Note fehlt dem Wachtturm völlig. Sein Vorgehen ist pädagogisch, moralisch und doktr inär- zuweilen auch militant und aggressiv. Er wi l l Gehorsam und Rechtgläubigkeit bewirken, aber er vermittelt keine „Spiritualität". Immer wird gelehrt und erzogen. Nach dem Willen Russells sollte das Blatt in den Bibelstudiengruppen genau studiert werden. Dementsprechend findet noch heute an jedem Sonntag eine Versammlung statt, die „Wachtturmstudium" heißt. Hier werden die Hauptartikel, deren Kenntnis bei den Teilnehmern vorausgesetzt wird, Absatz für Absatz gelesen und in einem vorprogrammierten Frage- und Antwortspiel eingeprägt. Zu diesem Zweck sind die einzelnen Absätze numeriert und mit Fußnoten versehen, die Fragen enthalten (daran erkennt man die Hauptartikel in jeder Wachtturm-Nummer). Diese Fragen sind so formuliert, daß sie mit einem oder zwei Sätzen des jeweiligen Abschnittes zu beantworten sind. Auch wenn ein Zeuge versucht, die Antwort in eigene Worte zu kleiden, wird von der Versammlung und ihrem Leiter doch erwartet, daß genau der vorgeschriebene Punkt in der Antwort enthalten ist. „Kein aktiver Denkprozeß ist erforderlich - es wird nur das wiederholt, was der Wachtturm sagt" (Rogerson). Die hier angewandte Methode ist also nicht argumentativ und dialogisch, sondern zielt auf Memorieren und Repetieren ab.
Was den kritischen Leser in jeder Hinsicht verdrießt, ist die Selbstverständlichkeit und Selbstsicherheit, mit der hier Antworten auf alle Fragen gegeben werden, und mit der völlig kritiklos die eigene Sache mit der Sache Gottes gleichgesetzt wird. Man könnte die Geschichte des Wachtturms darstellen im Spiegel all jener „beeindruk-kenden Themen", die die Zeugen Jehovas immer neu in Bann geschlagen, angespornt oder erregt haben. Eine solche Geschichte aber wäre identisch mit der Glaubensge-
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schichte der Zeugen Jehovas überhaupt, und sie würde ein Buch füllen. So seien abschließend aus der Vielzahl der Themen zwei herausgegriffen.
Im konkreten Beispiel
Sicherlich einer der folgenschwersten Beiträge im Wachtturm war der Artikel „Neutralität" in der Nummer vom I.Dezember 1939 (deutsche Ausgabe), der anläßlich des Kriegsausbruches die Haltung der Zeugen Jehovas zum Militärdienst klären wollte. Er hat das Leben von Tausenden entscheidend beeinflußt. Der Gedankengang in diesem Artikel ist sehr aufschlußreich, denn er unterscheidet sich von den Argumentationen der meisten Kriegsdienstverweigerer aus religiösen Gründen. „Jehova ist ein Gott des Friedens", heißt es zu Beginn; aber „er ist kein Pazifist" Ein solcher wird bestimmt als „jemand, der sich unter allen Umständen weigert, zu kämpfen", der also eines anderen Geistes Kind ist als es jene sind, die ihre Belange auf militante Weise durchsetzen wollen. So „geistl ich" aber ist Gott nach dem Verständnis der Zeugen Jehovas nicht. „Zu seiner bestimmten Zeit führt Jehova Krieg gegen diejenigen, die . sich seiner Gottesherrschaft widersetzen", heißt es, wobei man sich auf die Berichte des Alten Testaments und auf die Johannesapokalypse beruft. Deshalb ist auch „Gottes Bundesvolk ermächtigt, sich gegen die zu verteidigen, die gegen die theokratische Regierung kämpfen". Das ist die beachtenswerte Folgerung der sicher nicht „pazifistisch" gesinnten Wachtturm-Gesellschaft. Mit anderen Worten: wenn Jehovas Zeugen den Kriegsdienst verweigern, geht es ihnen nicht um ein höheres geistliches Prinzip, das unser Leben und Handeln bestimmen sollte, wie etwa den Mennoniten oder Quäkern. Für sie ist die entscheidende Frage nicht „kämpfen oder nicht kämpfen", sondern „für wen kämpfen?" - nämlich für Gott oder den Teufel. Liest man den Artikel „Neutralität" genau, so merkt man, daß es hier um das alte Grundthema des Wachtturms geht: Absonderung von der Welt. Dieses imperativische Thema wird im Hinblick auf den Kriegsdienst entfaltet und bis ins einzelne konkretisiert (siehe die Dokumentation). Der Artikel trägt denn auch als Motto das Wort aus dem Johannesevangelium: „Sie sind nicht von der Welt, gleichwie ich nicht von der Welt b in" (Joh. 17,16). Dazu heißt es: „Die von Jesus erwähnte Welt besteht aus den Nationen der Erde unter der Aufsicht .. Satans." Deshalb sollen Zeugen Jehovas ihre Verbindung mit der W e l t - das heißt: ihre innere Identifizierung mit ihrem gesamten gesellschaftlichen Umfeld - möglichst weitgehend auflösen zugunsten einer totalen Identifizierung mit der „Organisation Jehovas" - der Wachtturm-Gesellschaft - , die die Repräsentantin der Gottesherrschaft oder „Theokratie" ist. Wenn Völker untereinander Krieg führen, so ist das ihre eigene Sache. Es könnte auch sein, daß Gott diesen Krieg dazu benützt, die Nationen zu vernichten. Jedenfalls dürfen Jehovas Zeugen sich damit nicht beflecken, sondern müssen streng neutral bleiben.
War der Artikel „Neutralität", der vor genau vierzig Jahren geschrieben wurde, ein Beispiel für das Bedürfnis der Zeugen Jehovas, sich von der Welt zu trennen, so soll das zweite Beispiel zeigen, wie der Wachtturm doch auch seelsorgerliche und verbindende, „mitmenschliche" Töne anklingen lassen kann. Die Ausgabe vom 1. August 1979 ist ein Themaheft über die Jugend. Auch Zeugen Jehovas haben ganz offensichtlich Schwierigkeiten mit ihren Kindern; auch bei ihnen hat sich der Generationenkonflikt verschärft. Und was die jungen Zeugen betrifft, so stehen sie
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mitten in der heutigen Krise der Jugend. Das Schema: „Draußen ist alles schlecht-dr innen ist alles gut", läßt sich offenbar nicht mehr anwenden, und es wird in den verschiedenen Artikeln dieses Heftes auch deutlich durchbrochen. Es ist beachtlich, wie zunächst um ein gegenseitiges Verstehen geworben wird: „Jeder Erwachsene war einmal ein Jugendlicher... Somit sollten Erwachsene für die Probleme und unerfüllten Wünsche der Jugendlichen Verständnis haben." „Of t drohen Eltern ihrem ungeratenen Sprößling oder verurteilen ihn; doch das wird ihn verbittern und ihn in seiner Handlungsweise noch bestärken. Jehova zeigte Verständnis und war bereit zu vergeben, als sein Volk davon abwich, das Rechte zu tun." Auch eine Reihe von modernen psychologischen und pädagogischen Erkenntnissen werden vermittelt. „Ein Berater in einem Wohnheim für verstoßene Kinder erwähnte einmal, wie das Personal dieser Institution vorgeht, um den Kindern zu helfen: ,Wir hören dem jungen Menschen zu. Wir stellen uns auf die Krise ein und finden heraus, was er denkt.' Das bezeichnet man als Gedankenaustausch', und dieser fängt mitZu/iören an." Solche Gedankengänge fügen sich nicht recht in das Bild ein, das sich vor allem der kritische Außenstehende im Laufe der Jahre vom Wachtturm gemacht hat. Den Jugendlichen selber wird ein größerer Freiraum eingeräumt als früher. Hier liest man Worte, die man noch vor zehn Jahren im Wachtturm nicht hätte lesen können: „Der amerikanische Schriftsteller R. W. Emerson empfahl ein Rezept, wie man als Jugendlicher erfolgreich sein kann. Er schrieb:,Befestige deinen Wagen an einem Stern!' Emerson wollte damit sagen, daß sich Jugendliche hohe Ziele stecken sollten. Ein Jugendlicher kann aber seine Ziele nur dann erreichen, wenn er sich entsprechend schulen und ausbilden läßt. . ." Diese Passage macht deutlich, daß die jungen Menschen nicht mehr ausschließlich und naiv für den „Dienst für Jehova" vereinnahmt werden können; ihnen muß ein persönlicher Lebensraum zugestanden werden. Wenn es darum geht, „den weltlichen Einflüssen zu widerstehen" - ein langer Artikel in dem genannten Heft beschäftigt sich damit - , werden die jungen Zeugen Jehovas zu einer Haltung erzogen, wie sie auch von anderen strengeren Glaubensgemeinschaften vertreten wird; einer Haltung, die sich an der patriarchalischen Ordnung der Bibel ausrichtet. Dabei fällt auf, daß nicht nur moralisch argumentiert wird. Vielmehr wird, zumindest im Ansatz, das Gefühl einer Gemeinschaft vermittelt, in der die Jugendlichen volle Mitglieder sind. „Arbeiten wir als eine geeinte Gruppe von Christen zusammen!", heißt es wörtlich. „Als Glieder der (wahren) christlichen Gesellschaft haben wir alle - Jung und Alt, Mann und Frau -gemeinsam ein bedeutendes Werk durchzuführen." „Nehmtalso keine negative Haltung ein, indem ihr sagt: ,lch bin nur ein Jugendlicher, was kann ich schon tun?' Ihr könnt vieles tun, was für eure Brüder und Schwestern eine Hilfe ist und Jehova lobpreist." Beobachtungen des Lebens in den Versammlungen der Zeugen Jehovas bestätigen ein wesentlich stärkeres Zusammenwirken von Jungen und Alten (bedingt durch den gemeinsamen missionarischen Dienst), als es in vielen Gemeinden der traditionellen Kirchen anzutreffen ist.
Ist es denkbar, daß im Laufe der Zeit auch die Wachtturm-Gesellschaft den Menschen entdeckt? Das werden die kommenden Jahrgänge des Wachtturm erweisen. Vielleicht wird man von einer Kursänderung sprechen können, Oder aber es war nur eine Episode, während im Grunde alles beim alten blieb, so wie in den vergangenen hundert Jahren.
Hans-Diether Reimer
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Dokumentation
Wachtturm-Lehren
Die Lehre und Glaubenshaltung, die die Wachtturm-Gesellschaft seit hundert Jahren verbreitet, ist sich in ihren Grundzügen gleichgeblieben. Bedingt durch die immer wieder stattfindenden Begegnungen und Auseinandersetzungen mit Zeugen Je-
hovas besteht offensichtlich ein breiteres Interesse auch an einzelnen Lehrstücken der Wachtturm-Organi-sation. Der «Materialdienst» wird daher im Lauf der Zeit verschiedene Einzellehren dokumentieren.
Die Lehre vom „Lösegeld"
Es war für Ch. 7 Russell, den Begründer der Bibelforscherbewegung, ein zentraler Glaubenspunkt, daß alle Menschen gerettet würden, Daher war er ein scharfer Gegner von Hölle und ewiger Verdammnis (ewiger Qual). Andererseits war es für ihn selbstverständlich, daß die Erlösung gerecht sein und die Entscheidungsfreiheit des Menschen unangetastet bleiben müsse. Gott schenkt die Erlösung nicht unbedingt, vielmehr müssen die Menschen durch Glaubensgehorsam sich der Erlösung würdig erweisen. Die Ermöglichung, beide Gedanken zu verbinden, war für Russell - und für seine Nachfolger bis heute - die Lehre von Christi Opfertod als „Lösegeld". Russells Ausführungen hierzu finden sich im 1. Band seiner „Schriftstudien", deutsche Ausgabe von 1914, 153 ff: Gottes Vorhaben ist eine Wiederherstellung der Menschheit zu der in Eden verlorengegangenen Vollkommenheit... Da das ganze Geschlecht in Adam war, als er verurteilt wurde, und durch ihn das Leben verlor, so (war) auch, als Adams Leben durch den Menschen Christus Jesus erkauft wurde, ... ein entsprechender Preis gegeben für alle Menschen ... Christus wird (im Millennium) „über Tote und Lebendige Herr sein" (Rö. 14,9). Jedoch: Das „Lösegeld für alle" gibt oder verbürgt keinem Menschen ewiges Leben, sondern es gibt jedem Menschen eine zweite Gelegenheit,... ewiges Leben zu erlangen... (Denn) ohne Gehorsam zu leisten wird niemandem gestattet werden, ewig zu leben... Das gegebene Lösegeld entschuldigt die Sünde bei niemand; es besagt auch nicht, man solle Sünder für Heilige ansehen. Es beseitigt allein die erste Verurteilung und ihre Strafe (den Tod)... Es stellt den Menschen (im Millennium, nach der ersten Auferstehung) wieder fürs Leben auf die Probe, in welcher sein eigener freiwilliger Gehorsam oder vorsätzlicher Ungehorsam entscheiden soll, ob er ewiges Leben haben kann oder nicht. (Diese Probe im Tausendjährigen Reich wird „unter den günstigsten Umständen" stattfinden:) Der Mensch wird durch die gegenwärtige Erfahrung mit der Sünde und ihrer bitteren Strafe genügend gewarnt sein... (Dazu kommt) die Erfahrung des Guten im kommenden Zeitalter; dies macht den Vorteil aus, vermöge dessen sich das Ergebnis der zweiten Prüfung von dem der ersten weit unterscheiden wird... (Wenn der Mensch) unter den Augen und dem Regiment dessen (steht), der ihn so geliebt hat, daß er sein Leben für ihn gelassen, und der nicht will, daß jemand verloren gehe, sondern daß sich jedermann zu ihm kehre und lebe, so können wir gewiß sein, daß nur der vorsätzliche Unge-
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horsam die Strafe der zweiten Prüfung - den zweiten Tod - erhalten wird, für welchen es kein Lösegeld, keine Erlösung gibt. (Es gibt aber einige), die jetzt auf der Probe fürs Leben stehen, das heißt, die in der gegenwärtigen Zeit die Freiheit erkennen lernen, damit Christus die frei macht, welche sein Lösegeld annehmen und sich für weitere Leitung unter seine Herrschaft stellen . Nur allein diese wenigen-die (wahre) Kirche-die jetzt ihr Zeugnis ablegen,.. genießen in gewissem Maße schon jetzt die Wohltaten des Lösegeldes. All die Segnungen der Wiederherstellung, welche die Welt während des kommenden Zeitalters genießen wird, werden diesen wenigen zugerechnet... Durch den Glauben an Christus werden sie als vollkommen geachtet und, als ob sie keine Sünder mehr wären, zur göttlichen Gnade wiederhergestellt. Ihre Unvollkommenheiten und unvermeidlichen Schwachheiten werden ihnen nicht angerechnet... Diese Kirche des Evangelium-Zeitalters, die dem Dienst des Herrn bis zum Tode geweiht ist, wird . . ihre Vervollkommnung plötzlich bei der ersten Auferstehung erhalten... (Dann werden sie) im Zeitalter des Weltgerichts die Welt-segnend und richtend - regieren. . (Während) die Gehorsamen der Welt (im Millennium) die Wiederherstellungssegnungen durch allmähliche Beseitigung ihrer geistigen und leiblichen Schwachheiten empfangen werden .. Zum selben Thema lesen wir dann im Wachtturm vom 1 August 1971 folgendes, Da sich Gott als Souverän des Universums dafür verantwortlich fühlt, Ruhe und Ordnung im Universum aufrecht zu erhalten, ... konnte er nicht nachsichtig sein, als die Sünde eindrang... „Gott läßt sich nicht verspotten" (Gal. 6,7). Der Prophet Habakuk sagt sogar: „ D u bist zu rein von Augen, um Schlechtes zu sehen" ... Niemand im Universum ist so rein wie Jehova; daher kann sich ihm nichts Sündhaftes unmittelbar nähern... Jehova konnte in seiner erhabenen Stellung und in seiner Gerechtigkeit mit sündhaften Menschen nicht verkehren ... Er mußte (zuerst) eine rechtliche Grundlage schaffen .. Sollte der Mensch befreit werden, mußte Gott etwas unternehmen. Wird er mit sich selbst ebenso streng sein, wie er es in Verbindung mit dem Gesetz war, das er den Israeliten gegeben hatte? Jawohl, das tat er, obwohl es ihn seinen erstgeborenen Sohn kostete. Welch wunderbare Eigenschaft! Wir können Jehova voll vertrauen, weil wir wissen, daß er nicht im Geringsten von seinen Grundsätzen abweichen wird .
Jehova Gott beschaffte das Lösegeld durch seinen Sohn Jesus Christus. Sein Loskaufopfer war für Gott eine rechtliche Grundlage, die seiner Gerechtigkeit entsprach ... (Also) wurde der einziggezeugte Sohn Gottes auf die Erde gesandt, wo der Teufel dessen Lauterkeit unter Druck setzen konnte ... (Aber) er blieb während seines ganzen menschlichen Lebens vollkommen ... Christus wurde von Gott aufgrund seines eigenen Verdienstes gerechtgesprochen ... Deshalb konnte sein Opfer als Grundlage für die Gerechtsprechung anderer Menschen dienen. Die Gerechtsprechung anderer Menschen erfolgt also nicht aufgrund ihrer eigenen Gerechtigkeit, sondern aufgrund des Loskaufopfers Jesu Christi; sie ist eine Gabe, die sie empfangen (Rö. 5,17). Vernunftbegabte Geschöpfe Gottes . . . lieben Gesellschaft. Jesu aber hatte, wie Jehova, nicht seinesgleichen. Doch nun erhielt er von Jehova als Anerkennung noch eine weitere wunderbare Belohnung: eine „Braut" (Offb. 19,7; 21,9). Jesus nannte die zu dieser Klasse Gehörenden „Brüder" (Hebr. 2,11). Sie erleben das gleiche wie er, als er auf Erden war . . . Jesus freute sich, daß Gott noch andere Menschen auf Erden hatte, wo der Teufel sie verfolgen konnte, die aber Gott als dem Souverän des Universums genauso treu bleiben und ihn genauso lieben würden wie er ; . . . die folglich mit ihm in der Rechtfertigung
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und Verherrlichung Gottes ... im Himmel teilhaben könnten (Rö. 6,4 f ) . . . Jehova hat in den 1900 Jahren, die, seitdem das Lösegeld dargebracht wurde, vergangen sind, die einzelnen, die zu dieser Gruppe von 144 000 Personen gehören und die mit Christus Könige und Priester sein werden, ausgewählt (Offb. 14,1; 20,6). Auch die Glieder der,,großen Volksmenge" (das ist die große Schar der übrigen Zeugen Jehovas, die die 144 000 Auserwählten übersteigt) ziehen heute Nutzen aus dem Opfer Christi, denn sie haben Frieden mit Gott und haben eine Hoffnung und ein Lebensziel; ihr Leben hat sich völlig geändert, sie haben Zugang zu Jehova Gott und sie werden von ihm gesegnet. Des weiteren können sie sich an einem beglückenden, auferbauenden Werk beteiligen . . und in der kurz bevorstehenden neuen Ordnung werden sie als Söhne Gottes zu menschlicher Vollkommenheit gelangen (im Unterschied zur himmlischen Vollkommenheit der Auserwählten).
Zum Thema „Kriegsdienstverweigerung"
Die folgenden Passagen stammen aus dem Artikel „Neutralität" in der deutschen Wacht-turm-Ausgabe vom 1 Dezember 1939 Soweit uns bekannt ist, erfolgte seitdem keine grundsätzliche Auseinandersetzung mit diesem Thema mehr
Gott ist kein Pazifist: Jehova ist der Gott des Friedens... Jehova ist kein Pazifist, wie dieses Wort allgemein gedeutet wird, (nämlich) jemand, der sich unter allen Umständen weigert, zu kämpfen ... Jehova führt zu seiner bestimmten Zeit Krieg gegen diejenigen, die seinen Namen lästern, Jehova trotzen und sich der Gottesherrschaft widersetzen. - A u c h Jesus Christus ist kein Pazifist. Zu Gottes festgesetzter Zeit und auf seinen Befehl führt er gegen Satan und dessen gesamte Organisation Krieg und wird alle Bösen restlos vernichten (Offb. 19,11 ff). Die Theokratie und die Nationen der„Welt": Vor vielen Jahrhunderten erklärte Jehova, der allmächtige Gott, seinen Vorsatz, die theokratische Regierung, d. h. sein durch Jesus Christus regiertes Königreich, aufzurichten, das die Erde in Gerechtigkeit regieren soll. Im Jahre 29 n. Chr. wurde Christus Jesus als König der Gottesherrschaft oder des Königreiches gesalbt und bevollmächtigt, und laut seiner Erklärung wird dieses Reich bei seiner Wiederkunft aufgerichtet werden . . . Er unterwies seine Jünger..., sich gänzlich dem Königreich Gottes, der Theokratie, zu widmen. Dieses Gottesreich aber ist nicht von dieser Welt. Die von Jesus erwähnte „We l t " besteht aus den Nationen der Erde unter der Aufsicht des unsichtbaren Oberherrn Satan ... Und diese Welt wird zu Gottes festgesetzter Zeit vollständig vernichtet werden (2. Petr. 3,7). Eine Anzahl dieser Völker nennen sich „christliche Nationen'7; aber alle widersetzen sich dem durch Christus Jesus regierten Königreich Gottes . . . Nicht eine von ihnen ist eine Theokratie oder ein Bestandteil derselben ... Nicht eine einzige hat Jehova zu ihrem Gott und Herrscher, sondern alle diese Nationen hassen Jehova Gott und seine durch Christus Jesus ausgeübte Regierung und hassen diejenigen, die für seinen Namen und seine Herrschaft Zeugnis ablegen ... Von den wahren Christen aber sagte Jesus: „und ihr werdet von allen Nationen gehaßt werden um meines Namens wi l len" (Matth. 24,9). Das allein beweist, daßjehovas Zeugen von den Nationen dieser Welt gänzlich (verschieden) und getrennt sind ... Es gibt nur eine Nation, die Jehovas Wohlgefallen besitzt, und das ist seine „heilige Nation", die aus Christus Jesus, dem Haupte und Herrscher, und allen denen besteht, die Christus Jesus völlig unterstützen und mit ihm verbunden sind (1. Petr.
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2,90- •-. Die Nationen der Erde planen jetzt miteinander, Gottes Bundesvolk zu vertilgen, damit es keine heilige Nation mehr sei (Ps. 83, 3-6). Neutralität: Wenn die Nationen dieser Welt kämpfen wollen, so ist das gänzlich ihre Sache ... Ein Christ darf sich nicht im geringsten in einen Krieg, den die Nationen unter sich führen, einmischen ... Man kann kein Kriegsmann Jesu Christi sein und gleichzeitig Kriegsmann einer Nation, die sich unter der Oberaufsicht des feindlichen Gottes, des Teufels, befindet. Darum verwickelt sich der Christ nicht in die Beschäftigungen dieser Wel t . . . Ein Christ muß vollständig neutral sein und zwar ohne Rücksicht auf seinen Geburtsort oder seine Nationalität... Jehovas Zeugen sind weder eine politische noch eine religiöse Organisation; sie beteiligen sich nicht an den politischen Angelegenheiten dieser Welt, nicht einmal an denen solcher Nationen, wo sie ihren Wohnsitz haben ... In den Gebieten der kriegführenden Nationen... werden Truppen ausgehoben und Männer in den Krieg gesandt, damit sie gegen andere kämpfen. Das ist die Angelegenheit einer jeden der betreffenden Nationen, wofür sie selbst verantwortlich ist, und wahrhaft Neutrale haben dazu nichts zu sagen.
(So gilt die Weisung:) Die sich auf die Seite des höchsten Herrschers der Theokratie und seines Königs gestellt haben, werden fest in dieser Stellung verharren, weil sie auf Gott vertrauen und sich allein auf ihn stützen, wohl wissend, daß Gott sie befreien und ihnen ewiges Leben geben wird ... Keiner, der der theokratischen Regierung und ihrem König geweiht ist, wird sich vor dem fürchten, was Menschen ihm antun könnten. (Er wird vielmehr) der Worte Christi gedenken: „Fürchtet euch nicht vor denen, die den Leib töten, die Seele aber nicht zu töten vermögen; fürchtet aber vielmehr den, der sowohl Seele als Leib zu verderben vermag in der Höl le!" (Matth. 10, 28). Israel und der gerechte Krieg: Es ist behauptet worden, die Kriege des Volkes Israel gegen andere Nationen seien ein Beweis, daß mit Recht Kriege zwischen Nationen geführt werden könnten ... Eine solche Folgerung findet jedoch keinerlei Stütze in der Heiligen Schrift. Das Volk Israel war Gottes Vorbild-Volk, das vom höchsten Herrscher gebildet wurde, um die eigentliche Theokratie zu veranschaulichen, die die Welt durch Christus Jesus regieren soll. Israel besaß keine von Menschen geschaffenen Gesetze, hatte keine politischen Parteien und keine religiösen Ratgeber, die die politischen Angelegenheiten lenkten ... Jehova Gott selbst war der Herrscher jenes Vorbild-Volkes, und sein Wille war das einzige Gesetz dieser Nation. Das Land, das Israel zugewiesen wurde, hielten zuvor die Kanaaniter und andere besetzt, die dem Teufelsdienst ergeben und somit Gegner Jehovas waren ... Israel war die einzige Nation der Erde, der Gott jemals ein Gebiet zuwies und die er ermächtigte, davon durch Gewalt Besitz zu ergreifen .. . Israels Kriege gegen die Kanaaniter wurden auf Jehovas Anweisung geführt (5. Mose 7, 1-11) ... Wenn Jehovas Zeugen sich der Interessen der Gottesherrschaft annehmen, indem sie das Königreich wie geboten verkünden, so haben sie das Recht, sich gegen die Angriffe der gott- und königreichfeindlichen Rotte, die dieses Werk verhindern möchte, zu verteidigen, weil Gott ihnen dieses Werk aufgetragen hat, und zu dieser Selbstverteidigung haben sie Gottes Bil l igung...
Ein konkreter Vorschlag: Um Christen zu überreden, ihr Gesuch um Befreiung vom Mil i tärdienst zurückzuziehen, stellt der Musterungsbeamte (oft) die Frage: „Würden Sie Ihre Mutter gegen einen Angriff verteidigen?" Der Christ wird hierauf die Antwort geben, die der Herr gab. (Matth. 12, 46-50 heißt es:) „Da sprach einer zu ihm (Jesus): Siehe, deine Mutter und deine Brüder stehen draußen und wollen mit dir reden. Er antwortete:... Wer
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ist meine Mutter und wer sind meine Brüder? Und reckte die Hand aus über seine Jünger und sprach: Siehe da, das ist meine Mutter und meine Brüder! Denn wer den Willen tut meines Vaters im Himmel, der ist mein Bruder und meine Schwester und meine Mutter." . . . Der Umstand, daß jemand einen Bruder, eine Schwester und eine Mutter nach dem Fleische hat, die jedoch gegen die durch Christus Jesus ausgeübte Gottesherrschaft sind, bedeutet keineswegs, daß der Christ irgendwelche Verpflichtung hat, für solche Gegner des Königreiches zu sorgen oder sie zu beschützen. Die schriftgemäße Antwort auf die gestellte Frage lautet daher: Wenn die Person, die „meine Mutter" genannt wird, gegen das Königreich Jehovas ist, dann besteht meine einzige Pflicht gegen sie darin, ihr von Gottes Vorkehrungen zum Nutzen der Menschheit zu erzählen. Wenn sie aber Gott und seinem Königreich wirklich ergeben ist, dann werde ich für sie, als meiner wirklichen Verwandten in Christus Jesus, tun, was immer ich zu ihrem Schutze und ihrer Verteidigung tun kann ... Wenn mir ein Feind der großen Theokratie und seines Königs Schaden zufügen, mich aufhalten und meine Tätigkeit für das Königreich hindern wil l und gegen mich ... kämpft, so habe ich das Recht, mich gegen solche Angriffe zu verteidigen, und auch das Recht, meine Brüder zu verteidigen; und das werde ich tun .. Nur jenes Töten eines Menschen ist gerechtfertigt, das in Selbstverteidigung oder durch Gottes Scharfrichter geschieht.
Pfingstler zeigen sich gesprächsbereit Die seit fünf Jahren stattfindenden Pfingstgemeinschaften an einen Gespräche zwischen Pfingstlern und Tisch gebracht. In einer gemeinsam Angehörigen der innerkirchlichen erarbeiteten Presseerklärung vom charismatischen Bewegung in der Juli dieses Jahres wurden diese GeBundesrepublik Deutschland haben spräche erstmals offiziell bekanntin zunehmendem Maße Vertreter gegeben, deutscher und schweizerischer
Seit 1975 haben sieben Gesprächsrunden zwischen Vertretern der innerkirchlichen charismatischen Erneuerung und der herkömmlichen Pfingstbewegung in der Bundesrepublik stattgefunden. Anlaß für diese Gespräche war, daß die Pfingstgemeinden in dem neuen innerkirchlichen Aufbruch weitgehend ihr eigenes Anliegen wiedererkannten und daher den Kontakt mit Vertretern dieser Gruppen aufnahmen. Auf Weltebene stellen die Pfingstkirchen neben den katholischen, orthodoxen und protestantischen Kirchen einen vierten Block dar, der heute - besonders in der Dritten W e l t -am stärksten wächst. In Deutschland jedoch konnte sich die Pfingstbewegung aufgrund besonderer Umstände nicht in vergleichbarem Maße entfalten. An den Gesprächen haben Vertreter der «Arbeitsgemeinschaft der Christengemeinden Deutschlands KdöR» (ACD), des «Christlichen Gemeinschaftsverbandes Mülheim/Ruhr», der «Volksmission entschiedener Christen», der «Gemeinde Gottes» und der «Apostolischen K i rche- Urchristliche Mission» teilgenommen, die sich inzwischen zu einem «Forum freikirchlicher Pfingstgemeinden» zusammengeschlossen haben. Außerdem nahmen an den Gesprächen Vertreter des «Bundes Pfingstlicher Freikirchen» aus der Schweiz teil.
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Ausgehend von dem charismatischen Aufbruch in den reformatorischen Kirchen und der römisch-katholischen Kirche in den USA während der sechziger Jahre bildeten sich auch in Deutschland innerhalb der evangelischen und katholischen Kirche sowie in einigen evangelischen Freikirchen charismatische Kreise und Initiativen. Viele haben persönlich und in Gemeinschaft die Kraft des Heiligen Geistes neu erfahren. Diese Erfahrung verstehen sie als Teil einer geistlichen Erneuerung der Kirche, die sich heute auf vielfache Weise ereignet, und sie wollen nun mit dazu beitragen, „daß alle eins seien", wie Christus geboten hat. Die Gespräche, die an verschiedenen Orten durchgeführt wurden, basieren auf einem Austausch der geistlichen Erfahrungen, bei dem sich viele Gemeinsamkeiten herausstellten. Von da her ergab sich ein sehr offen geführtes theologisches Gespräch über Fragen wie Taufe und „Geisttaufe", die Gnadengaben, die Bedeutung der Heiligen Schrift und das Gemeinde- und Kirchenverständnis. Obwohl es nicht das Ziel sein konnte, in allen theologischen Fragen volle Übereinstimmung zu erlangen, ergab sich eine überraschend herzliche und vertrauensvolle Gemeinschaft zwischen den Teilnehmern, bis in die Gottesdienste hinein. Beide Seiten konnten in der Begegnung viele Vorurteile abbauen und sich für einen gegenseitigen Lernprozeß öffnen. Dazu wurde für die Zukunft ein jährliches Treffen vereinbart. Es wurde die Hoffnung ausgesprochen, daß die positiven Erfahrungen bei diesen Gesprächen auch zu Begegnungen auf regionaler und örtlicher Ebene ermutigen.
Berichte
Spirituelle Alternativzeitschriften Unter der Überschrift „Ein Weg von tausend Meilen beginnt mit einem Schritt" (Lao-Tse) druckte ein Kollegium aus Mitgliedern von fünf spirituellen Zeitschriften aus der Alternativszene im Jahr 1972 einen kleinen Katalog, der der Gesamtauflage der beteiligten Zeitschriften seinerzeit beigelegt wurde. In ihm warb man gemeinsam für die jeweiligen Zeitschriften. Dieser Versuch, über die Grenzen von trennenden Anschauungen hinweg mit einer Stimme für die von allen vertretene Notwendigkeit sprituellen Fortschreitens einzutreten, fand jedoch bislang keine Fortsetzung. So muß sich der folgende Überblick über die wichtigsten Alternativzeitschriften auf das Nebeneinander einzelner Publikationen beschränken. Eine spirituelle Szene ist in der Bundesrepublik Hand in Hand mit der psychedelischen Revolte entstanden. Das Entdecken neuer Bereiche des Bewußtseins wurde auch in Zeitschriften verkündet. Zuerst gab es die Hippie-Zeitschriften aus San Francisco auch hierzulande zu kaufen («Oracle»), dann tauchten im Zuge der Ernüchterung vom Zauberrausch der Drogen auch eigenständige Gazetten auf, die sich mit Makrobiotik und der „We-are-all-one"-ldeologie beschäftigten. Das Jahr 1970 war dafür ziemlich wichtig. Im Herbst erschien die erste Ausgabe der islamischen Zeitschrift «Wudd» in Frankfurt, im Dezember das Heft 5 von «Love», ein von amerikanischen Vorbildern geprägtes, zwi-
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sehen Drogenabenteuer und pantheistischer Mystik angesiedeltes großformatiges Heft. Die Positionen der beiden Zeitschriften umreißen nach wie vor das Terrain: Einerseits gibt es die von Gruppen um traditionelle Religionen und ihre Erneuerungsbestrebungen edierten Publikationen, die sich streng an das Konzept der jeweils geglaubten und vertretenen Wahrheit halten. Dazu zählen «Wudd» und dessen Ableger «Sadid» seitens des Islam, «bodhibaum» und «aus tushita» seitens des Buddhismus, «Übergänge» (von der evangelischen Studentengemeinde der FU Berlin) und «Neues Leben» (von einer evangelikalen Gruppe) seitens des Christentums; zudem finden sich Zeitschriften, die die Belange der sogenannten Jugendreligionen weitertragen wollen, wie «Zurück zur Gottheit» der Hare-Krishna-Bewegung (ISKCON) oder «Das neue Zeitalter», im aufwendigen Golddruck von den Anhängern der Transzendentalen Meditation herausgegeben. Andererseits gibt es eine ebenso weit gefächerte Palette von Zeitschriften, die sich undogmatisch all der Bewegungen annehmen, die im „New Age"-Zeitalter für wichtig erachtet werden. Zu dieser Gruppe zählen der «Kompost» (jetzt: «Humus») des odenwäl-der „Grünen Alternativlings" Werner Pieper, die Zeitschrift «Zero», die Zeitschrift «Middle Earth», die jetzt nach langmonatiger Pause ihre großen Schwierigkeiten überwunden zu haben scheint und mit einem neuen Heft erschien, sowie neuerdings die bislang etwas unbedeutenderen Publikationen «aurora» von Helge und Marianne Wischmeier sowie der «Lichtbote», die erste spirituelle Frauenzeitschrift, die regelmäßig herauszukommen scheint. Der «Lichtbote» wird übrigens im Rahmen einer Gruppierung herausgegeben, die Ananda Marga nahesteht, indes ist es ein privates Engagement der dafür verantwortlichen Karin Wengerowski. Zu erwähnen bleibt noch eine Gruppe von Zeitschriften, die ebenfalls mehr oder minder dezidierte Aussagen für sich in Anspruch nimmt und der spirituellen Subkulturszene freundschaftlich zugeneigt ist. Dazu gehören «sifat», das Organ des Sufi-Ordens um Pir Vilayat Inayat Khan, «rajneesh-letter» um den Therapie-Guru Bagwan Rajneesh sowie die eher professionell orientierte (und auch so aufgemachte) Monatszeitschrift «esotera» und die um einen Kreis esoterisch Interessierter entstandene Vierteljahresschrift «phoe-nix». Zwischen all den Lagern bewegt sich das «Hologramm» des von der Gurdjieff-Schule (vgl. MD 1975, S. 50ff) beeinflußten Bruno Martin, ein regelmäßig erscheinendes Heft, das zum einen die Diskussion um Kreativität im Alltag führen wi l l , zum anderen aber auch als Verlagspostille für den Verlag des Herausgebers dazu dient, Neuerscheinungen bekannt zu machen. Bleiben wir bei den nun folgenden inhaltlichen Beschreibungen zunächst ein wenig beim «Hologramm» Die Hefte bieten „Überlebensrezepte" und „Gedankenordnungen" und sind somit zwar in gewissem Sinne der oben gezeichneten zweiten Gruppierung zuzuordnen, die sich zwischen allen Fronten hält und dabei doch gerade ins Spekulative und unordentlich Suchende gerät. Dennoch unterscheidet sich «Hologramm» durch eine Klarheit der Linie, die konzeptionell in dem Versuch anklingt, Grundpositionen anzudiskutieren und im Laufe der folgenden Ausgaben fortzuführen. Das wird zum Beispiel durch die Aufforderung verstärkt, zu bestimmten, aus der islamischen Mystik entlehnten „wi tz igen" Geschichten Interpretationen einzusenden. Es läßt sich bei «Hologramm» also eine Gradlinigkeit feststellen, innerhalb derer regelmäßige Kolumnen erscheinen („networking" über die Zusammenarbeit der unterschiedlich ausgerichteten spirituellen Projekte; „buch-service" als finanziell sehr wichtiges Angebot, spirituelle Bücher aus den verschiedenen Lagern im Postversand zu beschaffen). Zudem wird die
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persönliche Problematik von Herausgeber Bruno Martin in die Zeitschrift hineingetragen, wodurch sich aktuelle Schwerpunkte herauskristallisieren, zum Beispiel zu Fragen der Erziehung von Kleinkindern („Tabu Schulpflicht") oder ernährungswissenschaftliche Erörterungen. Die Hefte kosten je 1 DM (im Abonnement beim Verlag Bruno Martin, Saalburgstr. 4, 6 Frankfurt 60). Die für den Alternativzeitschriftenmarkt typografisch erstaunlich gut aufgemachten Ausgaben der seit Mai 1972 erscheinenden Zeitschrift «Middle Barth» galten lange Zeit als ,,das höchste der Gefühle", was die spirituelle Szene hervorbringen konnte. Mit Vierfarbdrucken und großzügigen Grafiken gelang es ihr am ehesten, das auf Bildersprache positiv reagierende Publikum der mystisch orientierten Szene zu gewinnen. Beiträge über Bewußtseinstechniken („spiritueller Tanz") oder aktuelle Ereignisse in der Alternativszene (Besuch von Gyalwa Karmapa; Prozeß gegen Hare-Krishna-Jünger) gaben ihr einen spontanen Charakter. Mit der Zeit aber schien sich eine mehr okkulte Strömung in der Landkommune um den Begründer und Herausgeber Wolfgang Jünemann in den Vordergrund zu schieben. Schwerpunkte in den jüngsten Ausgaben liegen bei astrologischen Berechnungen und Analysen, denen andererseits ein fast schon resignierender Witz gegenübersteht, mit dem «Middle Earth» die Aggressionen gegen die spirituelle Szene, wie sie im Zuge der Kampagne gegen Jugendreligionen zur Auswirkung gekommen sind, begegnen wi l l . Hier gilt es abzuwarten, wie sich «Middle Earth» entwickeln wird und ob es ihr gelingt, die lange, unfreiwillige Pause ohne größere Schäden zu überwinden («Middle Earth», Wengenerstr. 8, 8961 Haldenwang, 3 DM). «Zero», getragen von „Che" Urselmann, der ähnlich wie Wolfgang Jünemann eine ausgeprägte Sympathie für buddhistische Lehren besitzt, hat eine erstaunliche Wandlung erfahren, seitsie 1971 zum ersten Male erschien. Damals galt das Interesse noch der Mischform der Yppies, die das Mystische der Hippies mit dem politisch-revolutionären Elan der Linken verbinden wollten. Man bekannte sich zu Anarchie und Gegenkultur, schwenkte aber hin und wieder zum Yoga-Weg oder der Beschreibung jener Mysterien, für die der Philosoph Allen Watts gezeichnet hatte. Nach einer von innerer Suche bestimmten Phase gab es vor Jahresfrist durch die neue Politisierung von «Zero» Erstaunen, zudem wurde gewaltig gegen die TM (und verwandte Schulen der Jugendreligionen) zu Felde gezogen, denen man faschistische Tendenzen zum Vorwurf machte. Die Auseinandersetzung um Kommunikationstheorien, am Alltag orientierte Erfahrungsberichte, Überlebenspraktiken und eine Verbindung von sozialem Engagement mit wissenschaftlich-religiösem Suchen macht «Zero» zu einem Experimentierfeld der spirituellen Szene - zum Beispiel für die Uneinheitlichkeit der Mitarbeitergruppe. Es fehlt in «Zero» nicht an allgemeinen, liebenswürdigen Appellen, indes mangelt der Zeitschrift ein Konzept, das über den Untertitel „Zeitschrift für ganzheitliches Leben" hinausginge («Zero», Haus Dachsberg, 4132 Kamp Lintfort, 2,50 DM).
Die Zeitschrift «Kompost» des ehemaligen Kochs Werner Pieper, der lange Jahre in Heidelberg zu den herausragenden Vertretern einer neuen „Jugendkultur" zählte, ehe er in Löhrbach im Odenwald vom Stadtindianerdasein ausruhte und sich dem Herstellen von Zeitschriften widmete («grüner zweig» und «kompost»), ist überwiegend mit den Sorgen und Nöten der Landkommunen und der ökologischen „grünen" Bewegung verbunden. Zwar nennt sie sich seit kurzem «Humus» (weil aus Kompost ja auf die Dauer Humus werden müßte) und erschien mit einer dicken, aufwendigen Doppelnummer (zum Preis von 10 DM), aber auch gegen die Bemühungen, als Organ der deutschen Landkommu-
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narden gewertet zu werden, muß sich «Humus» alias «Kompost» gefallen lassen, für diesen Kreis der alternativen Szene nach wie vor der wichtigste Kommunikationsträger zu sein. Das läßt sich schon aus den aktuellen, tagespolitischen Bezügen sehen, mit denen die Hefte aufwarten. Da fehlen nicht die Berichte über neueste LSD-Prozesse und eine Beschäftigung mit der Drogenszene, da wird Gorleben ins Blatt getragen und werden Ernährungsrezepte ins Spiel eingeführt, da gilt es Abenteuerberichte zu lesen, wenn der Herausgeber seine Fußwanderung von der Nordsee bis zu den Alpen beschreibt oder einer der zahlreichen Musikkommunen das Wort erteilt. Ausgeprägt „spirituell" in dem Sinne, daß «Humus» sich der Meditation oder religiösen Praxis ausschließlich verschrieben hätte, ist die Zeitschrift nicht. Es herrscht aber ein Hang zur beschaulichen Lebensweise vor, mit einer Vorliebe für die Deutschheit der Deutschen und die Internationalität der Jugend. Nach 30 Heften «Kompost» und der Doppelausgabe «Humus» hat sich Pieper erst einmal zu einem ganzjährigen Urlaub zurückgezogen. Für die Szene sind seine Hefte als Diskussionsträger überaus wichtig. Auch hier aber gilt das Motto, daß abzuwarten bleibt, in welche Richtung die Zeitschrift sich entwickeln wird („Humus" c/o Grüne Kraft, 6941 Löhrbach). Die verschiedenen Zeitschriften der organisierten spirituellen Bewegungen hier zu beschreiben, erübrigt sich weitgehend, weil die Inhalte dieser Hefte meist die offizielle Linie der jeweiligen Partei wiedergeben. Von der Aufmachung her erfüllen sie wohl Repräsentationspflichten, zumindest lassen die kostspieligen Glanzausgaben der TM-Zeitschrift und der ISCKON-Bewegung daraufschließen. Die «rajneesh-letter» des Guru Bhagwan Rajneesh drucken überwiegend Auszüge aus den Lehren und Reden ihres Meisters ab, die Hefte der „Ananda Marga"-Gruppe erfüllen organisatorische und ermutigende Aufgaben. Hier finden wir vor allem auch Selbstzeugnisse und Gedichte. «Wudd» ist dem Islam gewidmet, ebenfalls das Pendant «Sadid», in dem mit literarischen Mitteln die Botschaft des Islam im Sinne der reformerischen Ahmadiyya-Bewegung des Islam in Privatinitiative innerhalb der Subkultur verbreitet wird. «Übergänge» und «Neues Leben» sind mit christlicher Thematik beschäftigt. «Übergänge» allerdings bezieht subkulturelle Strömungen (Carlos Castaneda, Filme etc.) in die Arbeit ein. Die westliche Sufi-Zeitschrift «sifat» druckt neben Auszügen aus den Werken Pir Vilayat Inayat Khans Zitate aus allen heiligen Schriften, sowie Gedichte und Anmerkungen von islamischen oder christlichen Mystikern. Zu erwähnen bliebe noch «aurora», der etwas laienhaft aufgemachte „Rundbrief über Spiritualität und alternative Lebensformen", in dem versucht wird, Esoterik, Christentum, Dichtung, Ernährung, alternative Projekte und „New Age" unter einen Hut zu bringen.
Das Feld der spirituellen Zeitschriften ist also eher schwach bewachsen, wenn man ihnen die vergleichsweise hohe Zahl von etwa hundert literarischen Alternativzeitschriften gegenüberstellt. Indes werden in jüngster Zeit wieder mehr „spirituelle Themen" auch in diesen Blättern behandelt, etwa im «Ulcus Molle Info» des Josef Wintjes oder in der mehr ökologisch-politisch formierten Zeitschrift «Löwenzahn». Die Szene ist in Bewegung. Die Prognose könnte lauten: unerhebliche Kinderkrankheiten. Es bleibt abzuwarten, ob die Entwicklung in der Bundesrepublik der Szene in den USA entsprechend verläuft, wo wir neben kommerziellen spirituellen Alternativzeitschriften («New Age») eine Fülle von kleineren Heften finden, die von einem schier unüberschaubaren, aber durchaus lebendigen Wachsen der spirituell suchenden jungen und älteren Leute künden.
Hadayatullah Hübsch
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Informationen
ENTHUSIASTISCHE BEWEGUNGEN
Jean Michel verurteilt. (Letzter Bericht: 1978, S. 95 ff). Der Führer einer seit Anfang der 70er Jahre sich von der Westschweiz her ausbreitenden Gemeinschaft, die sich «Jean Michel etson Equipe» (Jean Michel und seine Mannschaft) nennt, wurde Anfang Juni vor dem Lau-sanner Strafgericht verurteilt. Die Strafe lautet auf 18 Monate Zuchthaus mit Bewährungsfrist und eine Buße von 20000 Franken sowie fünf Jahre Landesverweisung als bedingter Strafvollzug unter der Bedingung, daß er keine leitende Stellung mehr innerhalb der Vereinigung einnimmt. Jean Michel, mit bürgerlichem Namen Guy Cravanzola, hatte in „persönlichen" Briefen an etwa 80000 Adressaten vor allem in der Westschweiz zu Zahlungen in Höhe von 500, 1000 oder 2000 Franken aufgefordert. Weitere Appelle an die christliche Nächstenliebe folgten, wobei man Stil und Aufmachung bei Osborns Missionsunternehmen abgeschaut hatte (vgl. MD 1977, S. 760- Der Jahresumsatz der Jean-Michel-Gruppe wird auf vier bis fünf Mill ionen Franken, die monatlichen Einkünfte auf400000 Franken geschätzt. Die Grundlage für das Urteil bildet gewerbsmäßiger Betrug und Zuwiderhandlung gegen die kantonale Verordnung über Sammlungen und Kollekten. Cravanzola habe die Spender hinterlistig betrogen, weil sein luxuriöses Leben in keiner Beziehung zu den Bettelbriefen stehe. ir
PFINGSTBEWEGUNG
Die deutschen Pfingstler rücken näher zusammen. (Letzter Bericht: 1979, S. 246f). In der Bundesrepublik Deutschland gibt es fünf Pfingstgemein-schaften. Darunter sind kleine pfingstle-rische Denominationen zu verstehen, die eine mehr oder minder große Anzahl von Ortsgemeinden haben (im Unterschied zu pfingstlerischen Einzelgemeinden, die u. U. auch einige Filialen haben). Zu ihnen gehören die beiden Pfingstverbände: der «Christliche Ge-meinschaftsverband Mülheim/Ruhr» mit etwa 12 000 Mitgliedern im engeren Sinne und die «Arbeitsgemeinschaft der Christengemeinden Deutschlands» (ACD) mit etwa 13 000 Mitgliedern. Es folgen zwei Pfingstgemeinschaften mit Zentrum in Württemberg: die «Volksmission entschiedener Christen» (2000 Mitglieder) und die «Gemeinde Gottes» mit Sitz in Urbach (1300 Mitglieder). Schließlich ist zu nennen die «Apostolische Ki rche- Urchristliche Mission» mit 500 festen Mitgliedern. Diese Gemeinschaften sind unabhängig voneinander entstanden und hatten zunächst wenig Kontakt. Nur zögernd kam es nach dem Zweiten Weltkrieg zu ersten Gesprächen. Seit den 60er Jahren kann man dann von einem „Prozeß zunehmender Annäherung" sprechen. Im Frühjahr dieses Jahres haben sich nun die leitenden Gremien dieser Gemeinschaften zu einem «Forum Frei kirchlicher Pfingstgemeinden in Deutschland» zusammengefunden. Dabei handelt es sich nicht um eine „Dachorganisation", wie Ludwig Eisenlöffel (ACD), der auf zwei Jahre gewählte Geschäftsführer des Forums, eigens betont, sondern lediglich um „eine Plattform für Kooperation in den verschiedenen Bereichen der praktischen Zusammenarbeit". Als Zweck der
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Verbindung gibt Pastor Eisenlöffel an: „Das Forum soll zunächst die Annäherung der Pfingstge mein sc haften fördern und in Verbindung damit ihr gemeinsames Zeugnis bei konfessionellen Begegnungen und vor der Welt klarer und verständlicher machen. Ferner ist gedacht an gemeinsame Veranstaltungen, verstärkte Zusammenarbeit an den Bibelschulen und in der Publizistik, sowie an die Gründung von theologischen Arbeitsgruppen und Aktionsgemeinschaften." Vor allem im interkonfessionellen Dialog sollen künftig die Anliegen der Pfingstgemeinschaften in Deutschland durch das Forum gemeinsam vertreten werden (vgl, die Dokumentation auf Seite 295f). Bisher haben hauptsächlich der Mülheimer Verband und die ACD solche Dialoge auf verschiedenen Ebenen - z. B. Evangelische Allianz, ökumenische Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen in der Bundesrepublik-gesucht und gepflegt. Die erste gemeinsame Unternehmung in dieser Hinsicht war jetzt ein Gespräch mit dem Präsidium der «Vereinigung evangelischer Freikirchen» (VeF), das am 18. September dieses Jahres in Erzhausen stattfand.
rei
FREIE CHRISTEN
Zu wenig Mitarbeiter in der «Freien Christlichen Volkskirche». (Letzter Bericht: 1974, S. 11 ff). Die «Freie Christliche Volkskirche in Deutschland e. V.» hat Sorgen. Sie ist zu klein, als daß sie den Tod dreier führender Mitarbeiter im Jahr 1977 - darunter K. O. Schmidt aus Reutlingen (s. MD 1978, S. 135f) - und die schwere Krankheit ihres aktiven Vorsitzenden in Stuttgart, Ernst Tix (73), leicht hätte verschmerzen können. Die Zeitschrift «Der Freie Christ», jetzt im
21. Jahrgang, kam 1979 erst zweimal heraus (sonst zehnmal im Jahr). Gewiß, sie war schon immer ein kleines Vereinsblattfür Gleichgesinnte gewesen mit Mitteilungen, Buchbesprechungen und Beiträgen von etwa vier Autoren. Aber jetzt ist sie noch weniger das, was man sich unter einer „überkonfessionellen unabhängigen Monatsschrift" (Untertitel) vorstellt. Und sie spiegelt nicht das Leben einer vitalen Gemeinschaft wider. Obwohl in den vergangenen Jahresberichten regelmäßig von Zunahme sowohl der Arbeit und der Amtshandlungen wie auch der Mitglieder zu lesen war, muß man sich alles doch wohl recht bescheiden ausmalen. Die „Landesgemeinden" Baden-Württemberg, Bayern, Berlin, Hessen, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen bestehen nur aus recht kleinen Gemeinden und Kreisen. Man liest im Veranstaltungskalender die Orte: Berlin, Kiel, Essen, Düsseldorf, Bad Godesberg, Kassel, Darmstadt, Karlsruhe, Würzburg, Hof, Bayreuth, München, Ulm und Stuttgart mit weiterer Umgebung. Eigene Versammlungshäuser scheint die Vereinigung nicht zu besitzen. Seit Jahren werden verzweifelt Mitarbeiter gesucht, vor allem auch „Seelsorger" - per Annonce in «Der Freie Christ». Als Bedingung wird allein angegeben: „Dogmenfreies Christentum der Tat, Leben und Handeln im Geiste Jesu - nicht Buchstabentheologie!" Als man endlich einen gefunden hatte, der die Arbeit des verstorbenen hochgeschätzten Heinrich Laubinger in Berlin fortsetzen konnte, da mußte er erst „wieder eine Gemeinde aufbauen", wie es im Bericht hieß. Er hat dann während eines ganzen Jahres in der „Landesgemeinde Berlin" nur „16 Gottesfeiern und 30 Amtshandlungen" (meist Beerdigungen) durchgeführt.
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Außer der von Ernst Tix aufgebauten Jugendarbeit, die auch weiterhin Lager, Fahrten und Freizeiten anbietet, und einem «Hilfs- und Sozial werk», das vor allem Päckchen in die DDR sendet, hört man kaum etwas von einem religiösen Gemeinschaftsleben. Ist die Zeit für ein „kirchen- und dogmenfreies Christentum" vorbei? Es scheint so. Jedenfalls ist man heute nicht mehr,,liberal", sondern „sozial" in der Kirche. Und wenn sie einem nicht mehr paßt bzw. die Kirchensteuern zu hoch sind, dann tritt man ganz aus. Oder aber man engagiert sich in ganz anderen religiösen und weltanschaulichen Gruppen. rei
JEHOVAS ZEUGEN
Neubau des deutschen Zweigbüros. (Letzter Bericht: 1979, S. 213) „ U m die weitere ausreichende Versorgung aller Verkündiger mit Druckerzeugnissen sicherzustellen, mußte die leitende Körperschaft eine weitreichende Entscheidung fällen", heißt es in dem internen Blatt der Zeugen Jehovas «Unser Königreichsdienst» vom Mai dieses Jahres. Die Einführung neuartiger Druckverfahren, so hört man, ist nötig geworden; von ihr sind alle Druckereien der Wachtturm-Gesellschaft betroffen. In Wiesbaden, dem jetzigen Sitz des deutschen Zweigbüros der Wacht-turm-GeseIIschaft, werden seit langem die deutschsprachigen Bücher der Gesellschaft hergestellt, während der deutsche «Wachtturm» in Thun in der Schweiz gedruckt wird. Da für die neuen Druckanlagen der Platz in den alten Gebäuden nicht ausreicht, muß man ausweichen. Es gelang, in Niederselters/ Taunus - zwischen Camberg und Limburg a. d. Lahn gelegen - ein 30 Hektar großes Gelände zu erwerben, auf dem
weitläufige Gebäude errichtet werden sollen. Das neue Zweigbüro soll zu einem „leistungsfähigen Mittelpunktszentrum für Europa" ausgebaut werden, wie man im Königreichsdienst lesen kann. ,,Es ist vorgesehen, daß das Zweigbüro in Deutschland neben Japan und Südafrika zu einem zentralen Ort für die Satzherstellung und für den Druck ausgebaut w i rd . " Hier sollen künftig nicht nur die Taschenbücher für die meisten Länder Europas produziert werden, sondern erstmals auch Bücher größeren Formats im Buntdruck, wie sie bisher ausschließlich in den USA hergestellt worden sind. Eine 20 Meter lange Offset-Rollenrota-tionsmaschine ist für diesen Zweck bereits in Auftrag gegeben worden, ebenso eine Computeranlage, die besonders für die Satzherstellung eingesetzt werden soll. Die Zeugen Jehovas sind zu aktiver Mitarbeit und zu Spenden aufgerufen worden, rei
ISLAM
Maulana Maudoodi gestorben. (Letzter Bericht: 1979, S. 260ff) Maulana Abu-I-A'la Maudoodi, eine der einflußreichsten und umstrittensten Gestalten des heutigen Islam, ist am 25. September 1979, seinem 76. Geburtstag, gestorben (Islam-Nachrichten der «Deutschen Welle» 49/1979). Der pakistanische Denker und Politiker war maßgeblich beteiligt an dem umfassenden Aufbruch des Islam, dessen Dynamik so rapide die Weltsituation verändert hat und der in seinen religiösen und politischen Auswirkungen noch gar nicht abzusehen ist.
Maulana Maudoodi, von einem Kenner als „bei weitem der systematischste Denker des modernen Islam" bezeich-
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net, war zugleich der starrste Vertreter einer Erneuerung, die in der kompromißlosen Geltung des islamischen Gesetzes den einzigen Weg in die Zukunft sieht. Das göttliche Gesetz, von Muhammad der Menschheit übermittelt, „basiert auf denselben natürlichen Prinzipien, aus denen heraus der Mensch erschaffen wurde. Und da diese Natur zu allen Zeiten und unter allen Umständen gleich bleibt, muß sich das Gesetz, das sich auf ihre reinen Prinzipien stützt, auch auf jede Zeit und auf alle Verhältnisse anwenden lassen. Und diese weltumfassende und ewig gültige Religion ist der Islam." Im Jahr 1932 gründete Maudoodi die Zeitschrift «Tardjuman al-Quran», die bis heute erscheint. In ihr und den über zweihundert von ihm veröffentlichten Büchern und Schriften - wichtigstes Werk ist eine sechsbändige Auslegung des Koran - entwickelte er ein umfassendes Konzept, das neben den religiösen und ethischen auch die rechtlichen, wirtschaftlichen und politischen Aspekte der Gesellschaft einbezieht und in einem konsequent islamischen Staat gipfelt. Maudoodi war ebenso sehr Politiker wie Theologe. Bereits im Jahr 1941 hatte er die islamische Sammlungsbewegung «Jama'at-i-lslami» gegründet, deren Präsident er bis 1972 war. Als Bruderschaft organisiert und mit einem radikalen Programm ausgestattet, entfaltete sie eine umfassende Aktivität. In der Opposition gegen das Regime Bhuttos erklärte sie sich zur politischen Partei, heute ist sie eine wichtige Stütze der Regierung in Pakistan und hat großen Einfluß in der ganzen islamischen Welt. Der Maulana selbst erlebte alle Wirren des politischen Kampfes am eigenen Leib. Jahrelang wurde er in Gefängnissen festgehalten und sogar zum Tod verurteilt. Umgekehrt ging er nicht weniger
hart mit seinen Gegnern um. Enge Beziehungen verbanden ihn mit Saudi-Arabien. So war er Gründungsmitglied der «Weltmoslemliga», und im März dieses Jahres verlieh ihm die Saudi-arabische Regierung für seinen „unermüdlichen Kampf für die Reinheit der Lehre und die Einheit der islamischen W e i f den ersten „Internationalen Kö-nig-Faisal-Preis". Eine persönliche Reminiszenz mag diese Würdigung abschließen. Bei einem Gespräch in Lahore im April 1977 wurde deutlich, daß für Maulana Maudoodi das „Haus des Islam" und die nichtislamische Welt, in erster Linie der säkularisti-sche Westen, unversöhnliche Gegensätze waren. Um so intensiver war sein Interesse an den Problemen der islamischen Minderheiten im nichtislamischen Europa. Er konnte sich deren Leben freilich nur so vorstellen, daß sie sich von ihrer Umwelt abgrenzen und „pockets", also gleichsam islamische Nester, bilden. Andernfalls würden sie dem atheistischen Materialismus und der Unmoral des Westens zum Opfer fallen. Ein Stück weit mag der alte Maulana, aus dem islamischen Lebensgefühl heraus sprechend, recht gehabt haben. Wenn sein Ratschlag aber zu einer aggressiven Gettomentalität führen sollte - und es gibt Anzeichen dafür —, dann wäre er wenig hilfreich gewesen für die Zukunft seiner Glaubensbrüder. mi
BUDDHISMUS
25 Jahre «Buddhistische Gesellschaft Hamburg». (Letzter Bericht: 1979, S. 21 Off) Am 9. Oktober feierte die «Buddhistische Gesellschaft Hamburg» (BGH) ihr 25jähriges Bestehen. Grund genug für die «Buddhistischen Monatsblätter», die Zeitschrift der Hamburger
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Gruppe, sich in einer Doppelnummer (September/Oktober 1979) ihrer wechselvollen Geschichte zu erinnern. „Die Gesellschaft hat den Zweck, die Lehre des Buddha in einer dem Europäer verständlichen Form darzulegen, die Möglichkeit zu ihrer Vertiefung zu geben und den Mitgliedern und Freunden bei der Anwendung der Lehre im täglichen Leben behiflich zu sein. Aus der Erkenntnis der unterschiedlichen Mentalität der Menschen läßt die BGH in Wort und Schrift alle buddhistischen Richtungen sprechen,die das gleiche Ziel haben, aber unterschiedliche Wege gehen." So steht es in der Vereinssatzung. Dieses doppelte Prinzip, einerseits Lehre und Praxis des Buddha ,,in einer dem Europäer verständlichen Form" zu entfalten, andererseits die Unterschiedlichkeit der Wege zu diesem Ziel und deshalb „alle buddhistischen Richtungen" gleichberechtigtanzuerkennen, hat die «Buddhistische Gesellschaft Hamburg» geprägt. Es brachte ihr manche Spannungen und Konflikte, machte sie aber auch zu einer der vielseitigsten buddhistischen Gruppen in Deutschland. Die bestimmende Gestalt in den ersten Jahren war Paul Debes, der im Februar 1948 mit einem Vortragszyklus „Vom Schein zum Sein" an die Öffentlichkeit getreten war. Darlegung der Lehre in Vorträgen und später in Seminaren war denn auch lange Zeit der Schwerpunkt der Arbeit, nachdem sich im Oktober 1954 auf Betreiben des ceylonesischen Mönchs Narada Mahathera die «Buddhistische Gesellschaft» zusammengeschlossen hatte. Das „Holzhaus", eine erweiterte Baubaracke und von 1956 bis 1971 Treffpunkt der Hamburger Buddhisten, hat viele bekannte Redner aus der ganzen Welt erlebt.
Im „Haus der Stille" in Roseburg, eine Autostunde nördlich von Hamburg,
schuf sich die BGH einen Platz für Seminare und Retreats, der an Bedeutung gewann, als in den sechziger und siebziger Jahren das Interesse an Meditation immer mehr wuchs. Neben der klassischen buddhistischen Satipathana/Vipassa-na-Meditation, die der deutsche Mönch Bhikkhu Vimalo in Roseburg praktiziert, gibt es in Hamburg seit vielen Jahren einen Zen-Meditationskreis. Das „Haus der Stille" ist inzwischen völlig selbständig und dient verschiedensten buddhistischen Gruppen, Auch die «Buddhistischen Monatsblätter», deren erste Nummer im Januar 1955 erschien und die heute in einer Auflage von etwa 700 Exemplaren gedruckt werden, sind längst über Hamburg hinaus zu einer Plattform für den deutschsprachigen Buddhismus geworden. Man ist angesichts des Jubiläums nicht überschwenglich in der Hansestadt, sieht vielmehr nüchtern die eigenen Schwächen. So machte sich Mitte der siebziger Jahre eine allgemeine Müdigkeit breit, die bis zur Gefahr der Auflösung der BGH führte. Die Krise ist heute überwunden, zumal man durch den Erwerb einer Eigentumswohnung ein neues „Gemeinschaftszentrum" gefunden hat (Graumannsweg 13). Doch empfinden die Verfasser des Berichts offenbar die Notwendigkeit, daß sich die Hamburger Buddhisten nun auch wieder stärker auf den eigentlichen Kern buddhistischer Lebenspraxis konzentrieren. Sie schließen ihre Darstellung mit einer kritischen Betrachtung: „Während es in den sechziger Jahren darum ging, die vorhandene Lehrkenntnis zu vertiefen, was zur Meditation führte, ist heute die Entwicklung an einem Punkt angekommen, wo die Gefahr besteht, daß Meditation zum Selbstzweck wird und vielfach ohne sichere buddhistische Grundlage betrieben wird.
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Buddhistische Meditation ist auf das Ziel der Befreiung von Gier, Haß und Wahn gerichtet. Dafür muß man aber erst das Wesen von Körper, Geist und Gemüt und ihr Aufeinanderwirken, wie es in der Lehre des Buddha dargelegt ist, erkannt haben. So wird es die Aufgabe der BGH in den künftigen Jahren sein, die Bemühungen um Meditation wieder in einen buddhistischen Rahmen zu stellen." mi
WISSENSCHAFT
Naturwissenschaft und Religion. Eine jüdische Stellungnahme. (Letzter Bericht: 1979, S. 260ff). In dem soeben erschienenen 30. Jahrgang des katholischen «Freiburger Rundbriefes» (,,Beiträge zur christlich-jüdischen Begegnung") findet sich die deutsche Übersetzung eines bemerkenswerten Aufsatzes von Yeshayahu Leibowitz, emeritierter Professor für Organische und Biologische Chemie und Neurophy-siologie an der Hebräischen Universität in Jerusalem, über „Religion und Wissenschaft in Mittelalter und Neuzeit' Leibowitz zählt zu den profilierten Denkern der jüdischen Orthodoxie in Israel, dessen nonkonformistische Ansichten schon des öfteren Aufsehen erregten. Kennzeichnend für die moderne Wissenschaft sei, „daß sie die Fragen nach dem Sinn der Realität immer weiter hinter sich läßt". Denn Wissenschaft han-deltvon den „funktionalen Beziehungen zwischen den Erscheinungen der von der Wissenschaft erforschten Welt; und funktionale Beziehungen haben keinen Sinn". Durch die Relativitätstheorie, so der jüdische Naturwissenschaftler, entledigte sich die Physik „unbewußten, zum Teil sogar bewußten Ballastes metaphysischer Kategorien". Die von der Wissenschaft erfaßte Welt ist also „glau-
bens- und wertfrei, sie hat keinen Sinn und bringt nichts zum Ausdruck", sagt Leibowitz. Alle Versuche, Sinnfrage und funktionale Zusammenhänge zusammenzubringen, seien gescheitert, auch die Suche nach „Wissenschaft an sich", die Natur-, Geistes- und Gesellschaftswissenschaften umfassen sollte. Die Frage nach dem Sinngehalt stelle sich zwar auch in den anthropologischen Wissenschaften - Geschichte, Psychologie, Sozialwissenschaften u. ä. - , in denen nicht die Methoden der Naturwissenschaft anwendbar sind, unterscheide sich aber von der Sinnfrage der Religion durch deren normativen Charakter. „Erst das Bewußtsein des Menschen, daß er vor Gott steht, stößt ihn auf die Frage nach dem Sinn." Eine Begegnung zwischen Wissenschaft und Religion, die sich „auf den schmalen Bereich der kognitiven Grundlagen der Religion" beschränkt, erscheint Leibowitz ebenfalls fragwürdig. Religiöses Bewußtsein besteht nicht in Sachwissen, die Bibel vermittelt keine sachlichen Informationen: „Es ist sehr fraglich, ob die kognitiven Grundlagen ein wesentlicher Bestandteil der Religion s ind. . . " Für uns Heutige gebe es keine Welt des D i s sens' im mittelalterlichen Sinne, „ w o sich Religion und Wissenschaft-freundlich oder feindlich - begegneten: die beiden stehen einander völlig fremd gegenüber". „Wahrheit" in der Wissenschaft und „Wahrheit" in der Religion sind verschiedene Größen. Wissenschaftliche Wahrheit ist instrumental und identisch mit der „wissenschaftlichen Methode", also „ein unentbehrliches Mittel für das Funktionieren dieser Wissenschaft". Wahrheit in der Religion und im anthropologischen Bereich überhaupt ist werthafter Natur. Gegenüber der wissenschaftlichen Wahrheit als Faktum
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(z. B. materielle Strukturen als Organismen, Umwandlung von Materie in Energie) sind die Werte religiöser Wahrheit „nicht in der Realität verankert, sondern der Mensch trachtet danach, sie der Realität (einschließlich seiner selbst) überzustülpen. Alles was in der Realität verankert ist, ist wertfrei, denn es ist so und nicht anders/' Folglich ist das menschliche Bewußtsein, „vor Gott zu stehen,. . unabhängig von seiner Erkenntnis der wissenschaftlich erfaßbaren Welt". Das religiöse Bewußtsein des Menschen „konzentriert sich um den Punkt, wo er den aus dieser Stellung resultierenden Anspruch vernimmt: das Joch der Weisung und der Gebote auf sich zu nehmen". Wenn also der Mensch, das ist die Folgerung von Yeshayahu Leibowitz, „als ein Wesen, das Gefühle und Empfindungen, Gedanken und Meinungen, Willen und Verlangen besitzt, nicht aufhören darf, in Sinn- und Wertvorstellungen zu denken, so muß er sich notgedrungen nicht an die Wissenschaft, sondern an eine atheistische Metaphysik oder an einen religiösen Glauben halten". H.-J. L.
ALTERNATIVE LEBENS- UND BEWUSSTSEINSMODELLE
Was aus der «AAO» geworden ist. (Letzter Bericht: 1977, S. 324ff) „das ex-periment der aao ist ausgelaufen, die aao als Organisation existiert nicht mehr, sie ist nicht gescheitert, es ist kein zerfall oder gar ein zurückschalten, sondern vielmehr wurde seit der auflösung der zentral istisch gesteuerten Organisation in diesem jähr ein starker schritt nach vorne getan, sämtliche gruppen sind autonom geworden, das gemeinschaftseigentum wurde aufgelöst, Privateigentum eingeführt, keine gemeinsame arbeit und Produktion mehr, geblieben von den ehe
maligen aa-prinzipien sind die gemeinsame Sexualität und die gemeinsame selbstdarstellung. alle gruppen sind bescheidener in der beurteilung der klein-familie gegenüber geworden, die strenge ideologie der aa-prinzipien ist einer realeren einstellung zur Wirklichkeit gewichen." So beginnt ein Rechenschaftsbericht über die Entwicklung der «Aktionsanalytischen Organisation», die mit ihrem totalen ökonomischen und sexuellen Kommunismus und ihrem radikalen Angriff auf die „kleinbürgerliche" Welt alle, die Linken wie die Rechten, die Alternativen wie die Etablierten, provoziert hatte. Der Bericht stammt von Karl Iro, einem der Führer der früheren «AAO», und ist in der neuesten Nummer der dänischen Zeitschrift «up-date» (Juli 1979), die sich mit neuen religiösen Bewegungen beschäftigt, abgedruckt. Iro gehört heute dem «Zentrum für emotionelle ge-staltung» (ZEG) an, zu dem sich die ehemaligen Mitglieder der AAO Berlin zusammengeschlossen haben. Etwa dreißig Personen leben heute in der Gruppe, die sich als ein Ort versteht, „an dem man lernen kann, sich und seine Emotionen künstlerisch und in der Kommunikation mit anderen zu gestalten und dadurch Individualität und Kreativität zu entwickeln". Der Rückblick beginnt mit einer Rekapitulation der Entstehung der AAO-Kommune aus der Aufbruchstimmung der sechziger Jahre: freie Sexualität, Gemeinschaftseigentum, gemeinsame Ökonomie, die aktionsanalytische „Selbstdarstellung" zur Überwindung der „kleinbürgerlichen" Krankheit. Ihren Höhepunkt hatte die Bewegung zwischen 1975 und 1977. „w i r wollten alles verändern, am besten gleich die ganze weit, die weltweite aa-gesellschaft funktioniert ohne geld, ohne kapitalistische
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wirtschaftsprinzipien, nur das notwendigste produzieren, wir waren irreal, idealistisch, aber wir fühlten uns ungeheuer mutig, mit existentiellem einsatz dabei, fortschrittlich und revolutionär/' Mit wachsendem Erfolg freilich wuchsen auch die Schwierigkeiten. Interessanterweise machten sie sich in erster Linie an der ökonomischen Basis bemerkbar, „durch die wachsende große wurde der ökonomische überblick immer schwieriger, mehr Organisation wurde notwendig, niemand sollte ,draußen' arbeiten müssen, wir gründeten eigene betriebe, die uns gemeinsam gehörten, ohne lohn, alle wurden von der gruppe versorgt, ein kleiner sozialistischer Wohlfahrtsstaat, der einen immer aufwendigeren Verwaltungsapparat notwendig machte, um das gemeinschaftseigentum von 500 Leuten verwalten zu können, mit verblüffender Schnelligkeit schoß eine bürokratie aus dem boden, telexe, zentrale Verwaltung; das büroteam regelt und organisiert, internationales Organisationsbüro, ein dschungel. . der einzelne sank zur verwalteten person ab, eine beziehungslo-sigkeit zu materiellen dingen entstand, niemand fühlte sich im gründe verantwortlich, nichts gehörte einem ja persönlich, keine eigeninitiative." Man zog die Konsequenzen aus dieser Entwicklung: „anfang 1978 führten wir wieder das Privateigentum ein, erwachsen werden, Selbstverantwortung, jeder muß sich selbst erhalten, sonst sind wir nicht lebensfähig, besser als arzt in einem krankenhaus arbeiten, als in der gruppe für die transportfirma zu arbeiten, wir haben den träum von kommu-nismus überwunden, es war ein tolles experiment, radikal durchprobiert, das neue Privateigentum und die löhne hatten eine sehr positive Wirkung, wir gewannen eine realistische einstellung zur Wirklichkeit."
Karl Iro und seine Freunde von der ZEC verstehen diese Entwicklung jedoch keineswegs als Rückkehr in die frühere Welt der Bürgerlichkeit. Sie sind der Überzeugung, das Experiment sei notwendig gewesen, um den Kern der heutigen Menschheitskrise zu entdecken. Sie sehen ihn nach wie vor in der „Aufspaltung der Gruppensexualität in Familiensexualität, verbunden mit dem Privateigentum". Deswegen ist das Leben in der Gruppe - wie es freilich ungezählte andere Wohngemeinschaften ebenfalls praktizieren - immer noch entscheidend für sie. „jetzt nach 5 jähren ununterbrochener entwicklung tritt das ein, was auf jede revolution unweigerlich folgt, die normalisierung, die annäherung an die Wirklichkeit, doch unterscheidet sich unsere revolution grundsätzlich von den geschichtlichen katastrophen, die als re-volutionen bezeichnet werden, unsere revolution ist eine bewußtseinsrevolu-tion der experimentellen gesellschafts-gestaltung. wir glauben, nur durch die lebenspraxis einer autonomen gruppe mit freier Sexualität wird verhindert, daß Privateigentum zum kapitalistischen monster wi rd. "
Die wilden Jahre sind vorbei, die «AAO» ist alt geworden - alt wie die Menschheit, der sie eine neue Perspektive eröffnen wollte. Wie sonst könnte man die zufriedene Beschaulichkeit verstehen, in die der Rückblick mündet? „der komfort in den gruppen steigt sehr schnell, es ist so, als ob wir die entwicklung des menschen aus der horde, aus der gemeinsamen höhle über das Privateigentum zur geldWirtschaft hin, bis zur eigenen Wohnung wiedererlebt hätten, ohne dabei aber auf die vorteile des gruppenlebens verzichten zu müssen." Das riecht, mit Verlaub, bedenklich nach Kleinbürgermentalität, mi
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