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spezial

Seid ihr stolz,

deutsch zu sein?

Ein Spezial gefördert von der Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“.

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„Ich bin stolz, deutsch zu sein. Hier kann ich etwas lernen und einen Abschluss machen. Hier ist es viel besser als im Libanon, da gibt es immer Kriege. Hier ist es sicherer. Außerdem wohnen hier auch meine Cousins.“ Adel, 13, Berlin

„Ja, weil wir gute Fußballspieler und weil wir gute Bands haben, etwa Rammstein. Damit meine ich alles außer Tokio Hotel.“ Daniel, 17, Erkner

„Ja, weil hier gibt es viele gute Menschen. Hier gibt es mehr Freiräume und die Leute sind

nicht gegen Muslime. Es gibt auch welche, die gegen Ausländer sind – die sind doof.“

Sümeyye, 14, Berlin

Seid ihr stolz, deutsch zu

sein?

„Nein, ich sehe mich eher als Europäer. Für Patriotismus habe ich nicht viel übrig. Deutsch sein macht

mich auch nicht besser!“ Robert, 24, Dresden

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Wir haben alle unseren Stolz

N eulich kam mein kleiner Bruder nach Hause und zeigte meinen

Eltern und mir seine Eins in Tschechisch. Er war mächtig stolz und grinste bis über beide Ohren. Aber nicht nur er war stolz, wir waren es auch. Worauf gleich noch? Richtig, auf eine Tschechisch-Arbeit, die wir alle nicht geschrieben und für die wir nicht gelernt hatten. Trotzdem freuten wir uns. Stolz innerhalb der Familie, stolz auf den kleinen Bruder – offenbar die normalste Sache der Welt.

Sucht man nach Stolz, findet er sich überall. Am Küchentisch, in der Schule, in der Umkleidekabine am Sportplatz. Als Teil einer Fußballmannschaft etwa ist man stolz über den Sieg des Teams. Man hat einen Anteil daran – selbst wenn man das ganze Spiel nur auf der Bank gesessen hat. Nur wenn es um die deutsche Nation geht, gerät der Stolz ins Stocken. „Stolz auf Deutschland? Wie bitte? Nein, nicht doch ...“

Warum eigentlich nicht? Wir frag-ten Leute von der Straße, Wissenschaftler und Promis, wie sie zu dem Thema stehen. Wie schwer tun sich die Deutschen wirklich mit ihrem Nationalstolz?

„Kein Kommentar“

Bei den Promis waren wir schnell am Ende. „Keine Zeit“, so die häufigste Begründung, wenn überhaupt eine kam. Absagen kamen selbst von Prominenten, die sich sonst für nix zu schade sind. Bei dem ein oder anderen stimmt sicher, dass sie ein Zeitproblem haben, klar. Aber nur drei Antworten von fast 30 angefragten Menschen? Da muss mehr dahinter stecken. Ob Musiker wie Rosenstolz, Schauspieler wie Bastian Pastewka oder Sportler wie Lukas Podolski – sie alle haben für uns keine Zeit. Sie haben sicher zu dem

Thema eine differenzierte Meinung – wollen sie uns aber nicht verraten. Der Sprecher von Jogi Löw etwa hofft trotz

Absage, dass wir bei der EM nächstes Jahr die Daumen drücken. Ja, machen wir, keine Sorge. Für die deutsche Elf. Hoch lebe Deutschland!

Der eine oder andere PR-Manager verrät auf Nachfrage mehr: Das Thema sei zu schwierig, zu heiß – der Klient wolle sich mit einer Antwort nicht irgendeiner Gruppierung zuordnen lassen. Gerade drei Antworten gehen also im Laufe von drei Wochen E-Mail schreiben und zahlreichen Telefonaten bei uns ein: Während sich die TV-Moderatoren Peter Kloeppel und Sandra Maischberger strikt für „Stolz auf die eigene Leistung“ und gegen „Stolz auf die Nation“ aussprechen, antwortet Bushido simpel mit: „Ich bin stolz, Deutscher zu sein!“

Bushido spricht damit die Meinung vieler Jugendlicher in Deutschland aus: Nach einer repräsentativen Studie, die extra für dieses SPIESSER-Spezial erhoben wurde, sind 86 Prozent der 14- bis 18-Jährigen sehr oder etwas stolz darauf, deutsch zu sein (siehe Grafik nächste Seite). Nur zwölf Prozent sind weniger oder überhaupt nicht stolz.

Das ist eine deutliche Stolz-Steigerung im Vergleich zu 2006 – damals hatte die Bundeszentrale für politische Bildung im Rahmen der Fußball-WM die gleiche Frage gestellt – und nur 61 Prozent sehr (oder ziemlich) stolze deutsche Jugendliche angetroffen. Und warum?

Vorwort Liebe Leser,was ist eigentlich das Problem an der Aussage: „Ich bin stolz, ein Deutscher zu sein“? Auf der Suche nach Antworten sind uns eine ganze Reihe von Dingen begegnet, auf die wir als Deutsche sehr stolz sein können. Und andere, die wir auch nicht vergessen sollten. Mit dem vorliegenden Spezial wollen wir euch anregen, über unsere Heimat, unsere Herkunft und unsere Geschichte als Deutsche nachzudenken. Unser Ziel: Den Satz „Wir sind stolz auf Deutschland“ nicht den falschen Leuten zu überlassen. Aber bildet euch ruhig eure eigene Meinung – und teilt sie uns mit, wenn ihr wollt: [email protected].

Eure SPIESSER-Redaktion

Grußwort Liebe Leser,Deutschland hat vor fast 70 Jahren den Zweiten Weltkrieg angezettelt. Ganz Europa lag in Schutt und Asche. Opfer des Krieges leben bis heute in fast allen Ländern der Welt. Die Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ wurde gegründet, um Millionen Zwangsarbeitern, die während des Nationalsozialismus für Deutschland arbeiten mussten, eine Entschädigung zu zahlen. Zugleich unterstützt die Stiftung internationale Projekte, die heute die Verständigung mit den Nachbarländern fördern. Eine friedliche Zukunft ist keine Selbstverständlichkeit. Intoleranz und Stolz allein auf die eigene nationale Zugehörigkeit führen auch heute zu Ausgrenzung und Gewalt. Wir wollen die heikle Diskussion, ob man stolz darauf sein kann und darf, deutsch zu sein, nicht denen überlassen, die so tun, als sei die Antwort einfach mit „ja“ zu beantworten. Wer sich darüber Gedanken macht, muss sich mit der deutschen Vergangenheit beschäftigen. Zu dieser Vergangenheit gehören Verbrechen, aber auch der mühsame und erfolgreiche Weg in die Demokratie in Deutschland nach 1945.

Dr. Martin SalmVorstandsvorsitzender Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“

Jeder Mensch hat ihn und er begleitet uns bei all unserem Tun: der Stolz. Fragt man aber nach dem Stolz auf das eigene Land, bekommt man in Deutschland sehr unterschiedliche Reaktionen – viele leugnen ihn, andere sind lieber Europäer. Muss nicht sein, findet unsere Autorin Tine Heynatz, 17

Was ist die deutsche Kultur? Deutsche Kultur in vier Worten: „Porsche, Genscher, Hallo und HSV“, sagt Peter von der Flensburger Punkband „Turbostaat“. Dass Punks zur Kultur gehören, darf man mittlerweile ja sagen, wenn Opa nicht dabei ist. Was deutsche Kultur eigentlich ausmacht, weiß trotzdem niemand. Schüler – und damit Opfer der Lehr-meinung – denken erst mal an Goethe und Faust. Mutti erklärt uns aber auch: Kultur ist, mit dem Löffel zu essen. Die Frage, wo dann die deutsche Kultur anfängt und was sie besonders macht, überfordert am Ende sogar die Intendantin der Deutschen Oper in Berlin – ihr Pressesprecher Felix Schnieder-Henninger: „Uns fällt dazu nichts ein, das geben wir ganz ehrlich zu.“Die Wissenschaft tut sich nicht leichter. „Ich glaube, es gibt weniger eine deutsche Kultur als eher lokale und regionale Kulturen. Was sollte die deutsche Kultur sein – die Bayrische? Die Berliner? Die Hamburger?“, grübelt Johannes Moser, Professor am Institut für Volkskunde der Ludwig-Maximilians-Universität München. „Typisch Deutsch“ gibt’s nicht. Die Definition von Turbo-staat nimmt er auseinander: „Da haben wir ihn doch, den Pluralismus! Porsche ist ein Produkt für die schmale Elite. Genscher führender Politiker einer marginalen Partei, die nie über zehn Prozent hinauskommt. Der HSV ist eine regionale Erscheinung, und Hallo – wo

sagt man schon Hallo?“ Selbst beim Fußball sei ja nichts mehr beim Alten: Früher behaupteten Fans aus England, die Deutschen spielten schlecht und holten sich trotzdem die Titel. 2006 sah‘s anders aus. Deutsche Kultur kann man 2008 nur noch über die Dinge definieren, die vermutlich zu ihr gehören – als Begriff hat Kultur keine Grenzen. Im 19. Jahrhundert dachten Politiker noch, sie gehöre untrennbar zum Nationalstaat. Zu Beginn des 21. Jahrhunderts ist Globalisierung wieder mal das Stichwort. Musik und Klamotten kommen aus der ganzen Welt zu uns. Kultur, so hört man, soll das Gegenteil von Barbarei sein. Barbarei wiederum ist der Run aufs Drei-Euro-Hemd bei Kik. Bei Domian im WDR erzählt indes die mollige Claudi, dass sie im Chat Typen aufreißt und dann zum Sex durchs ganze Land fährt. Nicht im Porsche.

Martin Machowecz, 19

Links ❚ Goethe-Institut: goethe.de/kue❚ Deutschland in einem Haus: goethe.de/ins/jp/pro/goethe-haus❚ Tatsachen über Deutschland: tatsachen-ueber-deutschland.de❚ Deutsche Lebensart: deutsche-lebensart.de❚ Deutsche Kultur International: deutsche-kultur-international.de

„Ich bin stolz, Deutscher zu sein!“Bushido

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„Nein, weil ich überhaupt keinen Grund dazu sehe.“Alex, 22, München

„Ich bin stolz, deutsch zu sein, da hier Werte wie Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit nicht so sehr vernachlässigt werden, wie in anderen Ländern. Die deutsche Genauigkeit kann manchmal zwar nervig sein, aber sie äußert sich auch in positiven Dingen, wie etwa der Mülltrennung. Außerdem haben wir eindeutig das beste Bier, guten Wein und gute Autos. Und Benjamin Blümchen.“Jule, 18, Potsdam

„Ich bin stolz, Deutscher zu sein!“Bushido, Musiker

„Ich bin stolz. Ich finde, die Deutschen sollten auch das Recht darauf haben. Sie sind die einzige Nation, die es nicht ist und die einzige, die dafür büßt, was ein Mensch getan hat.“Jasmin, 18, Fulda

„Ja, ich bin schon stolz darauf, ein Deutscher zu sein, da ich denke, dass, natürlich abgesehen vom 20. Jahrhundert, Deutschland eine

tolle Vergangenheit hat, etwa die Revolution 1848.Was im Moment mit Deutschland passiert, ist mir eigentlich egal, da ich keine Zeit habe, um mich intensiv damit zu beschäftigen.“ Stefan, 18, Wittlich

„Man kann nur auf eigene Sachen und auf eigene Leistungen stolz sein. Ich bin froh, in Deutschland geboren zu sein und hier leben zu können.“Tim, 28, Dortmund

„Ja, ich bin stolz ein Deutscher zu sein, weil wir eine gute, funktionierende und stabile Demokratie haben, die in der politischen Debatte allzu oft unterschätzt wird. Wir schauen, das letzte Jahrhundert ausdrücklich ausgenommen, auf eine große und interessante Geschichte zurück. Außerdem sind wir besonders breit gefächert und erfolgreich im Sport.“Erik, 19, Erlangen

„Ja, wir sind eine der führenden Industrienationen und es geht uns wirtschaftlich sehr gut. Ich finde die Stolz-Diskussion aber sinnlos. Junge Leute können nichts für ihre Geschichte und das viele Meckern ist überflüssig.“ Stefan, 25, Berlin

„Ja, denn es gibt sehr guten Hiphop in Deutschland.“ Florian, 17, Grünheide

„Dieses relativ neue Wir-Gefühl bringt einen guten Zusammenhalt und das bringt uns alle vorwärts. Ich meine damit nicht: ‚Wir sind besser!‘ Aber auf uns Deutsche ist Verlass, im Gegensatz zu den Spaniern – da habe ich ein halbes Jahr gelebt.“ Carolin, 22, Mannheim

„Ja, die Leute sind sehr offen hier. Ich finde, wir gehen unter uns gut mit unserer Geschichte um. Die Ausländer machen

uns aber immer an Hitler fest und uns alle für den Krieg verantwortlich. Das stört mich, wenn wir nur darauf reduziert

werden. Wir wissen aber, dass wir eine Verantwortung haben, die Geschichte nicht zu wiederholen.“

Kathleen, 21, Altenburg Seid ihr stolz, deutsch zu

sein?

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Für viele, die die Frage positiv beantwortet haben, sind u.a. die guten Bildungschancen und der Sozialstaat Gründe für ihren Stolz. Die, die nicht stolz sind, führen meist die deutsche Vergangenheit, den Zweiten Weltkrieg und die Zeit des Nationalsozialismus als Gründe an. Dabei ist offensichtlich, dass gerade die Älteren eher Probleme mit dem Stolz haben als die Jüngeren.

Warum aber ist das mit dem Stolz so ein Problem? Fragt man Leute auf der Straße, heißt es oft, je älter sie sind: „Nein, ich bin nicht stolz. An dem, was die Gesellschaft macht, habe ich keinen Anteil. Ich bin aber froh, deutsch zu sein ...“

Aha, Freude über Deutschland scheint also unproblematisch zu sein. Also freuen wir uns einfach! Wir sind schließlich Fußballweltmeisterinnen!

Nobelpreisträger! Und Papst! Wir freuen uns, gut ist. Und da ist wirklich kein bisschen Stolz dabei? So gar nicht? Doch schon, nur nicht unbedingt auf uns als Deutsche: „Ich bin eher stolz, Europäer zu sein. Ich sehe mich nicht nur als Deutscher“, heißt es dann weiter.

Sehr seltsam – und wenig logisch: Auf Deutschland will keiner stolz sein, weil man keine eigenen Leistungen vorweisen kann. Bei Europa darf man s dann doch. „Europäer zu sein ist für uns eine unproblematische Ersatzidentität“, sagt Ulrich Rosar vom Forschungsinstitut für Soziologie in Köln. Seine Fachgebiete sind die politische Soziologie, Vorurteile und die europäische Integration. „Zeigen wir im Alltag Nationalstolz, dann hat das einen sehr merkwürdigen Anklang. Den Deutschen wird ihr Stolz auf die Nation einfach nicht zugestanden.“ Gemeint sind unsere Nachbarn und der ganze Rest der Welt, die zum Teil argwöhnisch auf das Gebaren der Deutschen als Nation schielen. Auch das ist ein Argument, das einem auf der Straße oft begegnet: „Stolz, das ist doch das mit dem Nazi-Kram und der Geschichte – nee, damit will ich nichts zu tun haben.“

Die lange Geschichteder Vergangenheit

Wir schämen uns also. Oder distanzieren uns zumindest. Von den Nazis, der Nazi-Diktatur, Hitler. Haben wir Angst, falsch verstanden zu werden, wenn wir das nicht extra erwähnen? Was wir in der Schule lernen, ist eindeutig: Die zwölf Jahre des Nationalsozialismus werden nicht nur in Geschichte durchgekaut. Auch in Ethik, Religion, Gemeinschaftskunde, Bio

und Deutsch finden sich immer wieder Gründe, die Sprache auf die Verbrechen der Nazis zu bringen.

Bei uns zu Hause um die Ecke gibt es eine Gedenkstätte für die 15.000 Behinderten und psychisch Kranken, die während des Nationalsozialismus dort vergast wurden. Bei allem Respekt für die 15.000 Menschen, die ohne Schuld ihr Leben gelassen haben: Ich weiß gar nicht mehr, wie oft ich in meinem kurzen Leben schon da war. Zweimal mit unserer Ethiklehrerin, zweimal mit unseren tschechischen Austauschschülern und fast noch einmal mit unserem Gemeinschaftskundelehrer. Dem konnten wir es gerade noch ausreden! Die Führung und den Vortrag in der Gedenkstätte könnte ich inzwischen fast selbst übernehmen.

Das nervt nicht nur mich, sondern überhaupt ganze Generationen von Schülern. In der Studie: „Ich hab nichts gegen Juden, aber ...“ von Albert Scherr und Barbara Schäuble sagen Jugendliche offen, dass ihnen das Thema „Nationalsozialismus“ zum Halse raushängt. Die Dauer-Beschallung mit den Verbrechen der Vergangenheit führe wiederum zu völlig absurden Argumentationen, so die beiden Wissenschaftler: Teilweise würden schon „die Juden“ selbst für den Holocaust verantwortlich oder zumindest mitverantwortlich gemacht. Ein Gedanke, der einem wirklich nicht kommen darf.

Wenn sich aber die Lehrer regelmäßig vorne hinstellen und als Vertreter des einzig Guten immer wieder das gleiche Problem thematisieren, dann machen wir als Schüler zu und lernen, was wir wissen müssen, eben auswendig.

34%

52%

9%

3%

sehr stolz etwas stolz weniger stolz überhauptnicht stolz

Quelle

❚ Forsa, Januar 2008. Repräsentative Umfrage im Auftrag der Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ unter 500 Jugendlichen im Alter von 14 bis 18 Jahren

„Seid ihr stolz, deutsch zu sein?“ Das sagen Jugendliche zwischen 14 und 18 Jahren

Wer braucht eigentlich die Demokratie? Eine alltägliche Situation: Die Freunde unterhalten sich über die Abendplanung: Kino, Disko oder lieber chilliger Barabend? Was tun, wenn man sich nicht entscheiden kann? Wie selbstverständlich stimmen wir ab: Der ruhige Abend in der Bar gewinnt. Die Mehrheit hat entschieden. Das ist sie, unsere geliebte Demokratie, zumindest im kleinen Stile. Sie ist so alltäglich, dass wir sie manchmal gar nicht mehr bemerken. Es ist uns vielleicht nicht immer bewusst, aber Demokratie ist in unserem Alltag überall. Die höchste Form ist: Wir wählen Politiker, die uns regieren und vertreten. Demokratie heißt, die größtmöglichen Freiheiten für den Einzelnen, ohne die Freiheiten der anderen einzuschränken.

Das ist nicht immer ganz einfach: Wie bei der klassischen Familien-Entscheidung, wo der dominante Vater vielleicht mal den nächsten Familienausflug festlegt, kämpft auch die Politik mit Schwierigkeiten in der Ausübung von Demokratie. Nicht selten fragen wir uns, warum die Politik über die Köpfe der Bürger hinweg entscheidet. Warum etwa wird die Bevölkerung nicht per Volksentscheid gefragt, ob sie will, dass Schäuble ihre Mails mitlesen kann? Das wäre eine gute Möglichkeit, die Menschen direkter in die Politik einzubinden. Immerhin dürfen wir protestieren, ohne dass wir dafür gleich verhaftet werden.Demokratie ist und bleibt die beste Staatsform. Warum? Weil jeder frei

entscheiden kann, ob er mit in die Bar oder doch lieber ins Kino geht. Die Demokratie sichert uns jeden Tag die Grundrechte, die Möglichkeit der freien Entfaltung und die Meinungsfreiheit. Das nehmen wir manchmal vielleicht schon als zu selbstverständlich.

Basti Weiss, 21

Links

❚ Bildungsserver D@dalos: dadalos.org/deutsch/Demokratie/demokratie/demokratie.htm❚ Jugendseite des Deutschen Bundestags: mitmischen.de❚ Aktion für mehr Jugendbeteiligung: du-machst.de

Schwarz, rot, geil– Nationalgefühl und -symbole Nation? Da war doch was! Die Ge-meinschaft, in der keiner keinen kennt, aber trotzdem alle zusammengehören.

In Deutschland gibt es für das Nationalgefühl – in der Verfassung verankert – gleich zweierlei: Zum einen die dritte Strophe der von Joseph Haydn komponierten und durch August Heinrich Hoffmann von Fallersleben mit Text versehenen Nationalhymne. Zum anderen die während der WM wieder salonfähig gewordene „Bundesflagge“. „Schwarz-Rot-Geil“ – so hilft die BILD-Zeitung mit beigelegtem Aufkleber bei der Flaggen-Interpretation. Der Artikel 22 der Verfassung sieht das anders: „Die ‚Bundesflagge’ ist schwarz-rot-gold.“ Auch eine mögliche Zweckentfremdung, wie z. B. die Verwendung als Grillanzünder ist im Paragraf 90 a des Strafgesetzbuches geregelt: Das „Beschädigen, Zer-stören, Entfernen oder Unkenntlich-machen“ wird mit bis zu drei Jahren

Freiheitsentzug bestraft. Das gilt auch für das „öffentliche Verunglimpfen“ der Nationalhymne. Aber sind Hymne und Flagge für das Nationalgefühl wirklich unabdingbar? Ich fürchte ja. Auch wenn mir der Symbolgehalt von Nationalgerichten weit sympathischer wäre. Man stelle sich das vor: Sauerkraut mit Würstchen flattern im Wind.

Hannes-Caspar Petzold, 18

Links

❚ Nationalsymbole: bpb.de/themen/OVGX9N,0,Nationalsymbole.html❚ Artikel „Deutsche leben gut ohne großes Nationalgefühl“: epochtimes.de/articles/2007/10/01/174041.html❚ Vortrag „Deutsches Nationalgefühl in rechten Jugendszenen“ (1999): fes.de/fulltext/asfo/00230004.htm

„Den Deutschen wird ihr Stolz auf die Nation einfach nicht zugestanden.“

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„Ich bin nicht stolz, Deutsche zu sein, weil ich nicht weiß, warum man auf eine Nationalität stolz sein sollte. Ich bin doch nur zufällig hier geboren. Außerdem kann ich nur stolz auf etwas sein, was ich selbst erreicht habe, woran ich selbst mitgewirkt habe. Natürlich finde ich es gut, dass ich in einer Demokratie lebe, und ich finde es toll, dass wir die Wiedervereinigung geschafft haben. Allerdings habe ich dafür keinen Beitrag geleistet.“Vicki, 21, Bremen

„Ich habe über diese Frage ehrlich gesagt sehr wenig nachgedacht. Ich weiß, dass mir meine Nationalität überhaupt nicht wichtig ist und ich damit keine patriotischen Gefühle oder so was verbinde. Was in der Vergangenheit passiert ist, ist natürlich schrecklich und darf nicht vergessen werden. Aber überbewerten darf man die Vergangenheit auch nicht.“Isabel, 16, Hetzerath

„Nein, weil ich die Sprache schrecklich finde und mich mit den Bräuchen nicht abfinden kann.“Rebecca, 16, Köln

„Bedingt, man muss da vorsichtig sein wegen der Geschichte. Ich bin Jura-Studentin und weiß daher, dass wir ein gut funktionierender Rechts- und

Sozialstaat sind. Ich finde, das sollte man anerkennen – und nicht immer nur nörgeln.“Johanna, 20, Berlin

„Mir ist das egal. Alle Menschen sind gleich, ich unterscheide das nicht nach Nationalitäten.“Tina, 21, Tuttlingen

„Stolz? Auf keinen Fall! Stolz kann man, wenn überhaupt, nur auf das sein, was man selbst leistet. Aber ich schätze mich oft glücklich, eine Deutsche zu sein – stellt euch mal vor, ihr würdet aus Zufall in Somalia oder Afghanistan zur Welt kommen! Wir haben Glück, in einem Land wie Deutschland leben zu können. Und wir sollten unser Land vor Radikalen und Deppen aller Art schützen.“Sandra Maischberger, Moderatorin

„Ich bin Türke. Bei uns ist das normal, stolz auf seine Heimat und seine Herkunft zu sein. Für mich sind alle Menschen gleich, aber es gibt Unterschiede bei der Kultur. Da gibt es viele Dinge, auf die man stolz sein kann.“Adel, 17, Rüsselsheim

„Ja, weil ich das nicht mit der Nazi-Geschichte assoziiere, sondern mit einem Nationalstolz,

den jeder haben sollte. Gerade auf die kulturelle Geschichte Deutschlands bin ich sehr stolz.“

Julius, 21, Leipzig

„Ja! Weil wir hier Kopftuch tragen dürfen und uns niemand wegen unserer Religion diskriminiert!“

Büsra, 13, Berlin

Seid ihr stolz, deutsch zu

sein?

„Ja, weil ich Deutschland als soziales Land empfinde – im Gegensatz etwa zu Amerika oder Ländern in Osteuropa, Asien oder Afrika.“ Florian, 23, Ravensburg

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Lerneffekt? Kaum ... 69,9 Prozent der Schüler, so Scherr und Schäuble, sind dafür, „dass unter die nationalsozialis-tische Vergangenheit ein Schlussstrich gezogen wird.“ Offenbar läuft bei der Vermittlung des Themas also einiges schief, wenn es auf so breite Ablehnung stößt.

Wir Jungen wollen nicht die Schuld für etwas tragen, das wir weder erlebt haben noch hätten verhindern können. Klar, das Ansinnen der sich immer wiederholenden Wiederholung des Themas ist, es nicht in Vergessenheit geraten zu lassen: Nie wieder soll sich das Leid der Opfer der beiden Weltkriege wiederholen. Zwei Weltkriege gingen von deutschem Boden aus – und die unvorstellbar grausame industrielle Vernichtung der Juden war ein Wendepunkt in der Zivilisation.

Stolz = rechts?

Aber ist man deswegen gleich rechts oder gar Nazi, wenn man stolz auf Deutschland ist? Kann nicht sein. Dafür haben wir einfach auch zu viele Men-schen getroffen, die offen mit „Ja“ auf unsere Frage geantwortet haben.

Wir sollten genau unterscheiden: „Patriotismus ist Liebe zu den Seinen, Nationalismus ist Hass auf die anderen“, hat der ehemalige Bundespräsident Richard von Weizäcker mal gesagt. Da liegt wohl der wunde Punkt in unserer Geschichte: Die Nazis haben die Begriffe „Stolz“ und „Rasse“ eng miteinander verknüpft – und den Hass auf andere, die den Nazis nicht passten, angefeuert.

Deswegen tun wir uns heute so schwer mit dem Begriff „Stolz“. „Ebenso wie bei Ärger, Ekel, Furcht, Traurigkeit, Überraschung und Freude handelt es sich beim Stolz um eine elementare Emotion, die angeboren und nicht anerzogen ist“, sagt Wikipedia. Stolz ist also ein Gefühl, das man im Zweifel gar nicht unterdrücken kann – es ist einfach da.

Wer es verleugnet, leugnet die eignen Gefühle. Ein Zustand, der nicht lange gut gehen kann.

Aber gerade der Missbrauch des Gefühls durch die Nazis bringt vielleicht auch eine Verantwortung für uns heute mit sich: Denn die Definition der Nazis von Stolz beruhte und beruht immer noch auf der Erniedrigung von anderen. Die Nazis betrachteten (und betrachten) „andere Rassen“ als „minderwertiges Leben“ und fühlten sich deswegen besser.

Der Stolz aber, der auf Er-niedrigung und Ausgrenzung beruht, ist ein Zeichen von Schwäche – und nur etwas für einfache Gemüter. Das sind dann die Leute, die nicht viel haben und leisten, auf das sie stolz sein können: Sie glauben, es reiche aus, einer bestimmten Volksgruppe anzugehören, um „etwas Besseres“ zu sein. Das sind aber auch Leute, die wählen dürfen – weshalb immer wieder Politiker mit dem Begriff „stolz“ auf Wählerfang gehen.

„Ich bin stolz, ein Deutscher zu sein“, sagte kürzlich ein wichtiger Politiker aus Bayern, und: „Wer nach

Deutschland kommt, muss die deutsche Sprache beherrschen und bereit sein, sich hier einzuordnen.“ Grundsätzlich keine falsche Aussage, aber doch ein gefährliches Spiel.

Denn er spricht unsere unter-schwelligen Ängste vor dem Fremden an und grenzt gleichzeitig eine große Gruppe hier lebender Menschen aus: Allein in Deutschland leben inzwischen über 15 Mio. Menschen mit Migrationshintergrund, von denen mehr als die Hälfte einen deutschen Pass besitzt. Fast jedes

dritte Kind unter fünf Jahren hat in Deutschland laut dem Bundesamt für Statistik einen oder zwei Elternteile, die nicht in Deutschland geboren wurden.

Aber über Ausgrenzung und Ängste Politik zu machen, führt in eine Sackgasse. Wir wollen keine Zweiklassengesellschaft auf Basis der Herkunft. Man muss nicht jeden lieben und immer gleich alle Menschen in die Arme schließen.

Aber wenn wir etwas nach dem Zweiten Weltkrieg gelernt haben sollten, dann doch, dass uns das friedliche Zusammenleben wesentlich weiter bringt.

Der deutsche Wille — die Wieder- vereinigung Als die Berliner Mauer am 9. November 1989 fiel, war der Journalist Riccardo Ehrmann nicht nur mit dabei, er war indirekt auch dafür verantwortlich. Heute kennt ihn fast keiner mehr. Am Abend des 9. November allerdings feierten ihn die Menschen. Denn einige Stunden zuvor hatte er dem damaligen ZK-Sekretär für Informationswesen Günter Schabowski eine Frage gestellt. Der verkündet als Antwort die Öffnung der Grenzen. Wenn Riccardo Ehrmann davon erzählt, wirkt er aufgeregt, denn er glaubt, dass genau in diesem Mo-ment Deutschland wieder vereint war. Heute ist für viele Jugendliche die Wiedervereinigung nur noch alter Geschichtskram. Dabei ist das eines der wenigen Dinge, auf die Deutschland wirklich stolz sein kann. Allein mit ihrem Willen hatten die DDR-Bürger Deutschlands Territorium verändert – friedlich. Und nicht gleich mit einem Weltkrieg. Manchmal kommen Riccardo Ehrmann Bedenken, ob die Wiedervereinigung so richtig war: „Ich glaube, heute würden die Leute mich verprügeln. Den Leuten in Ostdeutschland geht es schlecht.“ Vielleicht macht er sich da zu viele Sorgen. Nur ein Fünftel der Deutschen wollen wieder die DDR zurück, hat Hendrik Berth mit einer Studie für sein Buch „Einheitslust und Einheitsfrust“ ermittelt. Er schreibt, dass die DDR-Bürger nach der Wende erstmals Bekanntschaft mit der Arbeitslosigkeit machten. Dem SPIESSER sagt Berth: „Insgesamt schätze ich die Wiedervereinigung positiv ein. Die Deutschen sind froh, zusammen leben zu können.“ Und darauf sollten sie auch stolz sein.

Rick Noack, 14

Links

❚ Chronik der Wende: chronikderwende.de❚ Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur: stiftung-aufarbeitung.de❚ Meine ersten 100 Westmark: 100westmark.de

Wie viel Recht hat der Mensch? Darf man von Terroristen entführte Flugzeuge abschießen? Das Ver-teidigungsministerium meinte: Ja, damit lassen sich viele unschuldige Leben schützen. Die Richter des Verfassungsgerichtes sahen das anders – und kippten den Gesetz-Entwurf. Begründung: Der Staat darf seine Bürger nicht schützen, indem er die Passagiere entführter Maschinen vorsätzlich tötet. Das Gesetz verstoße gegen die Menschenwürde und das Recht auf Leben. Mit Menschenrechten verhält es sich wie mit Talenten – sie sind angeboren. „Alle Menschen sind frei und an Würde und Rechten gleich geboren“, heißt es in der allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen. Dort sind sie erstmals 1948 deklariert, also für allgemeingültig erklärt worden. Sie sind also keineswegs immer schon

selbstverständlich. Aber vom bloßen Dasein hat man weder bei Talenten noch bei Menschenrechten etwas. Nur wer sie pflegt, kann sie genießen. Den Part des Aufpassers übernimmt in Deutschland vor allem der Staat mit seinen Institutionen – die von unseren gewählten Vertretern, den Politikern, kontrolliert werden. Für den Schutz der Rechte gibt es einen groben Plan, das Grundgesetz. Daran haben sich alle staatlichen Institutionen zu halten, im Zweifel entscheiden die Richter. Und die sind von den Politikern unabhängig.Der internationale Vergleich zeigt, dass es uns richtig gut geht: Laut Amnesty International sind im Jahr 2006 in 102 Staaten Menschen gefoltert worden. Noch immer wenden 69 Länder die Todesstrafe an. Da mag unsere Diskussion, ob entführte Maschinen nun abgeschossen werden dürfen oder nicht, wie Haarspalterei wirken. Ist es aber nicht. Björn Urbansky, 21

Links

❚ Youth for Human Rights International: jugend-fuer-menschenrechte.de❚ Amnesty International: amnesty.de❚ Internationale Gesellschaft für Menschenrechte: igfm.de

Die Sucht nach Freiheit – Erfahrungen in der Diktatur Irgendwann hat Abdou die Wahlmani-pulationen und die Diktatur in Togo satt. Daraufhin zieht er mit seiner Meinung und einigen Schulfreunden auf die Straße und protestiert. Abdou will in seinem Land etwas zum Positiven verändern und die Bevölkerung zur Demokratie bewegen. Doch er landet im Gefängnis – zusammengeschlagen, drangsaliert. Als er dann schließlich wieder frei kommt, macht er sich mit einem Fluchthelfer auf den Weg in ein anderes Land. Seine Familie muss er zurücklassen. Abdou muss so weit wie möglich von Togo weg, denn die Polizei verfolgt ihn. Er landet zuerst in Mailand, durch Zufall kommt er schließlich im Oktober 2005 in Deutschland an. „Natürlich wäre es bequemer und einfacher für ihn gewesen, gar nicht erst seine Meinung zu der Diktatur zu sagen und dagegen aktiv zu werden. Aber nur so kann etwas verändert werden“, sagt Albert Riedelsheimer. Bei ihm endete vorläufig die Reise von Abdou. Riedelsheimer ist der Sprecher des Bundesfachverbandes unbegleiteter minderjähriger Flücht-linge: „Am Beispiel der Nazi-Herrschaft lassen sich Diktaturen gut erklären. Es gibt immer eine kleine Gruppe von engagierten Menschen, wie zum Beispiel Abdou und eine Mehrheit, die

alles über sich ergehen lässt.“ Denn viele Leute, die in einer Diktatur leben, haben keine Lust ihr Leben wie Abdou aufs Spiel zu setzen – für ein politisches System, das sie möglicherweise gar nicht kennen. Heute ist Abdou 18 Jahre alt und lebt in einem Waisenhaus. Ob er abgeschoben wird, weiß er noch nicht.

Rick Noack, 14

Links

❚ Demokratischer Widerstand in Deutschland: gegen-diktatur.de❚ Junge Flüchtlinge: b-umf.de❚ Forum Menschenrechte: forum-menschenrechte.de❚ Amnesty International: amnesty.de

„Stolz, der auf Erniedrigung und Ausgrenzung beruht, ist ein Zeichen von Schwäche.“

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„Natürlich bin ich nicht stolz auf die Vergangenheit meines Landes, das ist nicht mein Deutschland. Mein Deutschland ist das heutige Deutschland und ich bin sehr stolz darauf, zu diesem Deutschland dazu zu gehören. Das liegt vor allem daran, dass es ein sehr freies und im internationalen Vergleich gesehen, ein sehr gerechtes Land ist.“ Anna, 17, Quint

„In gewisser Weise schon. Weil es ein Glück ist, in Deutschland Student zu sein.“Melanie, 21, Osnabrück

„Manchmal ja, manchmal nein, das kommt ganz auf die Situation an. Nicht stolz bin ich, wenn sich andere Deutsche peinlich verhalten und wenn es um Teile unserer Geschichte geht.“Maria, 19, Berlin

„Ich bin nicht stolz. Weil es keine Nation gibt, die Grausameres getan hat. Zudem gibt es immer noch diese rechten Idioten. Es gibt nichts an Deutschland, was einen stolz machen könnte.“Jenny, 21, Fulda

„Ja, weil Deutschland eine wichtige Position in der Weltpolitik hat und mit Hilfe der Europäischen Union wichtige Standards setzt. Außerdem hat fast kein Land eine so prägende Geschichte wie Deutschland. Insgesamt hat Deutschland eine beeindruckende Kultur, die durch viele herausragende Persönlichkeiten geprägt wurde und wird. Zudem ist Deutschland auch als Land an sich sehr unterschiedlich. So kann man im Sommer an die Nord- oder Ostsee fahren und im Winter in den Bergen Ski fahren. Nein, weil die Mentalität der Deutschen zu wünschen übrig lässt. Viele Deutsche sind nicht besonders offen, lustig oder leidenschaftlich. Eher diskret und abweisend. Schade, dass nicht jedes Jahr Fußball-WM in Deutschland ist.“Elena, 17, Dahlem

„Ja, ich bin stolz, deutsch zu sein, würde aber nicht ausschließen auszuwandern. Ich bin vor allem stolz auf unsere sportlichen Leistungen etwa bei Olympia, der Handball- oder Fußball-Weltmeisterschaft. Eben immer, wenn das eigene Team gut abschneidet.“Andreas, 19, Zweibrücken

„Nein, ich finde die Menschen hier unfreundlich. Außerdem kann ich mich mit diesem Land nicht identifizieren.“Linda, 15, Köln

„Ja, weil so viele Ausländer herkommen und Deutschland sehen wollen, wir so viele Sehenswürdigkeiten haben und unser Land so schön ist.“ Anne, 12, Neukirch bei Bautzen

„In gewisser Weise schon. Man lebt hier recht sorgenfrei. Man kann stolz auf seine Herkunft sein. Ich bin halber Japaner und bin auch stolz darauf.“ Kenji, 29, Berlin

„Ja, weil sich hier jeder verwirklichen kann.“ Nicole, 15, Ketzin

Seid ihr stolz, deutsch zu

sein?

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Das hat viel mit Toleranz zu tun. Die sollten wir aufbringen, auch wenn uns das Handeln anderer manchmal fremd erscheint. Diese Toleranz muss auf Gegenseitigkeit beruhen – jeder von uns möchte gerne mit Respekt und Anerkennung behandelt werden.

Wir brauchen keinen Stolz auf Deutschland, der andere ausgrenzt und erniedrigt. Wir müssen uns unserer Leistungen bewusst werden und können auf unsere Stärken stolz sein. Denn wer echte Stärke hat, braucht für seinen Stolz nicht die Schwächen anderer.

Die Geschwister des Stolzes sind Eitelkeit und Hochmut, es heißt also aufpassen. Das lateinische Wort „stultitia“, von dem unser Begriff Stolz abstammt, bedeutet Torheit. Genauso kann übertriebener Stolz sein: töricht. Aber das bedeutet nicht, dass der gesunde Stolz schlecht ist.

Der Politikwissenschaftler Werner J. Patzelt von der Universität Dresden sagt: „Man ist oft auch auf seine Eltern stolz, ohne doch deren Leistungen selbst erbracht zu haben. Also geht Stolz klar über das hinaus, was sich ein Einzelner persönlich zurechnen kann. Und folglich darf man durchaus auf seine Nation und auf deren Kultur stolz sein“. Und weiter: „Stolz ist die selbstverständliche Dankbarkeit für die Zugehörigkeit zu einer Gruppe, die etwas geleistet hat. Wenn wir keinerlei Stolz empfinden, werten wir deren Leistungen letztlich ab – und widmen uns alsbald auch nicht mehr der Pflege von Voraussetzungen weiterer Leistungen. Wie aber soll eine solche Gruppe dann Zukunft haben?“

Eine Gesellschaft, mit der sich keiner identifiziert, ist nur ein Zusam-menschluss von Leuten, verbunden durch Sprache und Wohnort – und der ist nun wirklich Zufall. Wollen wir aber, dass sich unsere Gesellschaft

weiterentwickelt, müssen wir uns mit ihr identifizieren – und dafür benötigen wir auch das Gefühl Stolz. Denn nur wer Stolz hat und stolz ist, ist auch bereit für etwas zu kämpfen.

Das Gegenstück von Stolz ist die Scham. Vielleicht ist das der Grund, warum so viele Leute ausweichend auf die Frage antworten, ob sie stolz sind,

deutsch zu sein. Sie müssten zugeben, dass sie sich für die Vergangenheit schämen. Fragt man Jugendliche, heißt es oft: „Nein, ich will mich nicht für etwas schämen, für das ich nichts kann.“

Fakt ist: Die Fähigkeit stolz zu sein, ist angeboren. Stolz sein zu können, macht uns stärker und unabhängiger, meint auch

der Soziologe Ulrich Rosar: „Stolz bestärkt uns in unseren Leistungen und sorgt dafür, dass wir nicht ständig an uns zweifeln. Ohne Stolz ist man beeinflussbarer und empfänglicher für die Meinung anderer.“

Also dürfen wir nun einfach stolz sein auf Deutschland? Vielleicht sollte man die Frage nicht nur schwarz-weiß sehen: Sicher können wir heute stolz

sein auf das, was unser Land erreicht hat. Die deutsche Kultur bereichert Millionen von Menschen, Deutschland ist Exportweltmeister und hat einige der besten Sportler der Welt. Und wir sind die Pünktlichsten! Außerdem gilt hier nicht nur das Recht des Stärkeren: Schwache und Ärmere haben Rechte,

erhalten Unterstützung und bleiben nicht einfach sich selbst überlassen.

Aber: Es gibt auch Dinge, auf die wir nicht stolz sein können. Armut und Ungleichheit sind für viele Menschen Alltag. Zuviel passiert jeden Tag in Deutschland, das nicht gerecht ist. Die täglichen Übergriffe auf Ausländer und Schwächere sind genau wie die vielen Versuche, einzelne Menschen aufgrund ihrer Herkunft oder ihres „anders sein“ auszugrenzen, Gründe, sich zu schämen.

Stolz hat immer etwas mit Leis-tungen zu tun – den eigenen und denen von anderen. Wenn wir uns ärgern über „die da oben“ oder aufregen oder sogar schämen, kommt es darauf an: Entweder wir haben kein Interesse an diesem Land – oder wir mischen uns ein.

Die Sache mit dem Stolz auf Deutschland verhält sich am Ende genau wie mit dem Stolz auf den kleinen Bruder: Kommt er mit einer Eins nach Hause, haben wir allen Grund, stolz zu sein. Ist es eine fünf, heißt es nachdenken: Können wir ihm helfen? Können wir etwas ändern?

Mitarbeit: Peter Stawowy

20 x Deutschland

Die Alten sagen immer: „Früher waralles besser.“ Stimmt nicht! Wir haben 20 Momente aus der deutschen Geschichte nach 1945 aufgelistet, deren Ergebnisse wir heute als selbst-verständlich sehen – die es aber nicht sind. 25.5.1950 Skandal: In Berlin (West) wird erstmals ein Kino eröffnet, das mit Polsterbänken für Liebespaare ausgestattet ist.

1955 Einführung des Kindergeldes in der Bundesrepublik. Das Kindergeld wird zunächst nur vom 3. Kind an gezahlt.

1957 In BRD und DDR wird die Arbeitszeit auf 45 Stunden je Woche verkürzt.

1.7.1958 Mehr Rechte für Ehefrauen in der BRD: Sie können nun ohne Zustimmung des Ehemanns einen Arbeitsvertrag annehmen. In der DDR steht die Gleichstellung von Mann und Frau bereits seit 1949 in der Verfassung.

10.9.1964 Der millionste Gastarbeiter in der BRD, Hernando Rodrigues de Sá, bekommt zur Begrüßung Blumen und ein Moped.

4.12.1964 Die Bundesregierung beschließt die Gründung einer »Stiftung Warentest« mit Sitz in Berlin (West).

1.9.1969 Nach einer Änderung des § 175 ist Homosexualität ab 21 Jahren in der Bundesrepublik Deutschland künftig straffrei (in der DDR bereits seit 1957).

1970 Die Altersgrenze für das aktive Wahlrecht ist in der BRD jetzt 18 statt 21 Jahre (in der DDR seit 1949).

18.3.1971 Das erste Bafög-Gesetz in der BRD: finanzielle Unterstützung für Studenten aus sozial schwachen Familien.

28.1.1972 „Radikalenerlass“: Anwärter für den Öffentlichen Dienst der Bundesrepublik wie Lehrer oder Polizeibeamte werden auf ihre Verfassungstreue geprüft.

1.7.1973 In der BRD wird der zivile Ersatzdienst dem Wehrdienst gesetzlich gleichgestellt.

1.1.1975 In der BRD sinkt das Alter der Voll-jährigkeit von 21 auf 18 Jahre. Das gilt auch fürs Heiratsalter: Vorher durften Männer erst mit Vollendung des 21., Frauen aber schon nach Vollendung des 16. Lebensjahres heiraten.

30.3.1976 BRD und DDR unterzeichnen ein Post- und Fernmeldeabkommen und vereinfachen damit die innerdeutsche Kommunikation.

1.1.1978 In der BRD tritt das erste Bundesdatenschutzgesetz in Kraft.

27.3.1979 Erstmals können Ehepartner in der BRD auch den Nachnamen der Ehefrau als gemeinsamen Familiennamen wählen. 1987 West-Berlin feiert das 750-jährige Stadt-Jubiläum mit einem großen Rock-Konzert an der Mauer. Auf der Ost-Seite verfolgt die Volkspolizei tausende zuhörende Fans.

20.6.1991 Der Bundestag votiert nach heftiger Debatte mit 388 gegen 320 Stimmen für Berlin als Hauptstadt Deutschlands. Zuvor hatten Regierung und Ministerien ihren Sitz in Bonn am Rhein.

19.5.1993 In Schleswig-Holstein wird Heide Simonis erste weibliche Regierungschefin in Deutschland.

1.7.1998 Per Gesetz wird der Unterschied zwischen ehelichen und unehelichen Kindern aufgehoben. Das betrifft vor allem Sorge-, Unterhalts- und Erbrecht.

15.6.2000 Industrie und Bundesregierung verständigen sich auf einen „Fahrplan zum Ausstieg aus der Atomkraft“ zum Schutz der Umwelt. Die Dauer bis zum endgültigen Ausstieg wird auf 32 Jahre geschätzt.

Links bundesarchiv.de, dhm.de, einestages.spiegel.de, weltchronik.de, swr.de/100deutschejahre, wikipedia.de, goethe.de, www.proasyl.de, jugendopposition.de, zivildienst.de

Geben und nehmen – wie sozial ist der Staat? Deutschland ist nach Artikel 28 des Grundgesetzes ein Sozialstaat, also verpflichtet, seine Bürger sozial abzusichern. Und das sind wir auch: Unsere Grundbedürfnisse werden zum Beispiel durch Kranken-, Arbeitslosen- und Rentenversicherung, Wohn- und Kindergeld, BAföG und staatliche Schulen gesichert. Deutschland ist hierbei sogar besonders fortschrittlich: Als erstes Land der Welt führte es 1883 eine gesetzliche Krankenversicherung ein. Der internationale Vergleich verdeut-licht den hohen Standard – das

zeigt der Unterschied zwischen dem Gesundheitssystem der USA und unserer Krankenversicherung. Doch um stolz darauf zu sein, hat auch das deutsche System zu viele Mängel – und verliert beständig an Tiefe. Spüren lassen das die Einführung von Studien- und Praxisgebühr. Ganz zu schweigen vom hohen bürokratischen Aufwand für alle Sozialleistungen. Auch in Deutschland gibt es Fälle von Kinderarmut und eine Chancengleichheit der verschiedenen sozialen Schichten haben wir noch nicht erreicht.Wir können froh sein, in einem Staat zu

leben, der uns unterstützt. Doch stolz sein, das könnten wir auf einen Staat, in dem auch tatsächlich ein soziales Klima herrscht.

Nele Fischer, 19

Links

❚ Sozialpolitik: sozialpolitik.com❚ Die soziale Situation in Deutschland: bpb.de/wissen/37OUAU,0,Soziale_Situation_in_Deutschland.html❚ Uni Gießen: sozialpolitik-aktuell.de

„Denn nur wer Stolz hat, ist auch bereit für etwas zu kämpfen.“

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„Ich bin gebürtig aus Rumänien und lebe in Deutschland. Ich bin stolz, beides zu sein. Ich schätze Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit und bin das auch selbst. Das ist irgendwie deutsch. Das finde ich gut.“ Lalka, 23, Berlin

„Nein. Das ist Zufall, dass ich deutsch bin. Das ist keine Leistung, da brauche ich nicht stolz drauf sein.“Tim, 33, Aachen

„Stolz empfinde ich – wenn überhaupt – dann nur über eigene Leistungen. Deutscher zu sein ist keine Leistung, sondern ein Fakt, den ich gerne mit rund 80 Millionen Mitbürgern teile. Denn mit der Tatsache der deutschen Staatsbürgerschaft geht auch die Verantwortung einher dafür zu sorgen, dass sich in unserem Land Menschen aufgrund ihrer Nationalität nicht als etwas besseres verstehen und jeder seinen persönlichen Beitrag dazu leistet, dass wir in einem zusammenwachsenden Europa als Zugewinn für die gesamte Gemeinschaft wahrgenommen werden.“Peter Kloeppel, RTL-Nachrichten-Moderator

„Ja, weil wir Fußballweltmeisterinnen sind!“ Marina, 21, Ulm

„Ich bin stolz, Deutsche zu sein, weil wir es nach dem Zweiten Weltkrieg geschafft haben, eine funktionierende Demokratie aufzubauen.“ Lorina, 20, Hamburg

„Ich bin nicht unbedingt stolz auf Deutschland, aber stolz darauf, Deutsche zu sein. Weil man hier geil Party machen kann, ohne schief angeguckt zu werden. Die Leute hier sind nett. Und sie können arbeiten.“Esther, 21, Berlin

„Teilweise. Erstmal finde, ich ist es egal, ob ich Deutsche, Französin oder sonst was bin. Stolz bin ich, weil ich mich hier wohlfühle. Obwohl hier auch eine Menge läuft, das nicht so prickelnd ist.“Katharina, 21, Braunschweig

„Nein. Ich finde die Mentalität hier katastrophal!“Bartosz, 20, Herne

„In gewisser Weise schon. Es ist nur schade, dass die Deutschen so viel jammern. Die Italiener sind da ganz anders!“ Fabian, 21, Herne

„Ja, weil Deutschland ein schönes Land ist, weil wir keine Armut haben

und weil es viele nette Leute gibt.“ Carolin, 22, Nürnberg

„Ja, ich finde es natürlich, stolz zu sein auf das eigene Land. Jeder hat das Recht darauf.“

Jeffrey, 15, Berlin

Seid ihr stolz, deutsch zu

sein?

„Nein, weil ich überhaupt keinen Grund dazu sehe.“ Alex, 22, München

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Deutsche Geschichten

Bücher

Von Null auf Deutsch in hundert Fragen von Lothar-Müller Güldemeister & Wojtek FraczykWer deutscher Staatsbürger werden möchte, muss durch

den Einbürgerungstest. Doch den kann kaum ein Deutscher fehlerfrei ausfüllen. Was tun? Alle 100 Antworten, Kommentare und lustige Bilder gibt es in diesem Buch. Better Solutions Verlag, 11,80 Euro

Deutschstunde von Sigfried Lenz1954: Siggi Jepsen sitzt in einem Internat für straffällige Jugendliche. Als er einen Aufsatz über die „Freuden der Pflicht“ schreiben

soll, kommen die Erinnerungen an seinen Vater. Siggi findet keinen Anfang und gibt ein leeres Blatt ab. Er wird eingesperrt und soll den Aufsatz nachholen. Und er schreibt. Über seinen Vater, der alles für den Führer tat.dtv Verlag, 10 Euro

In meinem kleinen Land von Jan WeilerDeutschland einmal von der anderen Seite: Statt sich durch Großstädte zu drängeln, erforscht Jan Weiler die unbekannteren

Ecken Deutschlands und lässt Sehnsucht und Reiselaune aufkommen – nach Deutschland.Rohwolt Verlag, 9,90

Filme

Am Ende kommen die Touristen ein Film von Robert ThalheimSven verweigert den Wehr-dienst und will am liebsten nach Amsterdam. Dort ist der Zivildienst

noch cool. Aber eine Stelle ist nur in Polen frei, im ehemaligen Vernichtungslager Auschwitz. Sven soll sich um die Gedenkstätte und den Überlebenden Krzeminski kümmern. Aber der hält so gar nichts von Deutschen.Deutschland 2007, ab 16. Februar 2008 auf DVD

Leroy ein Film von Armin VölkersLeroy ist 17, intelligent, gebildet und schwarz. Letzteres scheint ein Problem zu sein, denn wenn ein Schwarzer nicht auf HipHop

steht, stimmt irgendwas nicht. Als er sich in Eva verliebt und diese auch in ihn, steht die nächste Schwierigkeit ins Haus. Evas Familie ist so deutsch, deutscher geht es nicht. Ihre Brüder würden Leroy lieber bluten sehen, als an der Seite ihrer Schwester. Deutschland 2007, Regie: Armin Völckers

Wie Feuer und Flamme ein Film von Connie WaltherBerlin 1982: Im Westen lebt Nele, im Osten Punker Captain. Als sich die beiden zufällig treffen, sprühen die Funken

und Nele schmuggelt ein selbstgedrehtes Musikvideo von Captains Band in den Westen. Dort werden die Jungs aber als Säufer und Nazis dargestellt und die Stasi kommt auf den Plan. Nele und Captain lieben sich, aber wie soll das gutgehen?Deutschland 2001, Regie: Connie Walther; Drama, auf DVD erhältlich

Internetseiten

Deutsche Geschichten eine „work in progress“-InternetseiteGeschichte in Form von Geschichten erzählen, das ist der Ansatz dieser spannenden Seite. Dabei geben Texte die Einordnung für eine Reihe von Filmen und Dossiers, die etwa von Tunnelbauten unter der deutschen Mauer oder dem Einsatz von Handels-U-Booten im Ersten Weltkrieg berichten. Zum Mitgestalten.Eine Produktion der Cine Plus Leipzig GmbH in Co-Produktion mit der Bundeszentrale für politsche Bildung (bpb)Link: deutschegeschichten.tv

Eines Tagesein Web 2.0-Projekt von Spiegel-Online„Fummelbunker mit Heckschürze“ beschreibt Einestages.de den Oldtimer Opel Manta, „Vom Sexsymbol zum Kainsmal“ heißt es zur Zigarette. Der Internet-Ableger von Spiegel-Online beteiligt seine Leser am „Geschichtspuzzle“, indem es nach Zeitzeugen und Dokumenten sucht. Das Material wird dann ansprechend aufbereitet.Eine Produktion der Cine Plus Leipzig GmbH in Co-Produktion mit der Bundeszentrale für politsche Bildung (bpb)Link: einestages.de

Lernen aus der Geschichte Nationalsozialismus im UnterrichtWas war das für ein Mensch? Der NS-Arzt Friedrich Mennecke war unmittelbar an der Tötung von sogenanntem „unwerten Leben“ beteiligt. Er ist nur einer der möglichen Zugänge, wie die NS-Zeit mit all ihren Schrecken vom Holocaust über den Krieg bis zur Zwangsarbeit spannend im Unterricht aufgegriffen werden kann. Zu den Projekt-Ideen kommen noch Materialsammlungen und weiterführende Hinweise. Ein Projekt der TU Berlin, gefördert durch die Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ Link: lernen-aus-der-geschichte.de

Impressum Das SPIESSER-Spezial entstand in Zusammenarbeit

mit der Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ (www.stiftung-evz.de).

Herausgeber

SPIESSER – die Jugendzeitschrift

im Auftrag von Medienkulturhaus e.V.

ProjektleitungAnja Neufert, 0351-31540564

RedaktionPeter Stawowy

Autoren Nele Fischer, Tine Heynatz, Rick Noack, Martin

Machowecz, Hannes-Caspar Petzold, Björn Urbansky, Bastian Weiß

Mitarbeit Jenny Baldauf, Sabrina Greifenhofer, Jonas Großmann,

Maria Herwig, Laura Naumann, Antonie Rietzschel

Fachliche Beratung Sonja Böhme, Franka Kühn,

Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“

Fotos André Forner

Gestaltung und Satz Ronny Pietsch, Maik Wankmüller

Wir wollen eure Meinung wissen: Seid ihr nun stolz, deutsch zu sein? Oder geht das gar nicht, stolz auf ein Land zu sein? Schreibt uns eure Meinung, eine Geschichte oder ein Gedicht, dreht einen Film oder bastelt eine Collage. Die besten Antworten veröffentlichen wir auf SPIESSER.de!

Kontakt

[email protected] Redaktion, Postfach 210220 in 01277 Dresden

Deutsche Tugend-Haft „Tugend“ klingt deutsch. Nach Günter Netzer, so gescheitelt und gescheit. Er spricht wohl auch deshalb allenthalben davon: Disziplin, Ehrgeiz, Fleiß bräuchte es, sagen die Fußballlehrer. Erzieher schwören ohnehin durch die Bank auf Ordnungsliebe und Sparsamkeit, Pünktlichkeit zumal.Tugend ist eine positive innere Haltung und die Fähigkeit, gut zu handeln. Doch den „alten Tugenden“ wird wehmütig nachgeschaut. Der Bundespräsident wünscht sich, wohl nicht nur aus Lust auf den Titelgewinn, neuen deutschen Wind. „Ein bisschen mehr Ehrlichkeit, Anständigkeit und Redlichkeit im täglichen Umgang können uns wirklich nicht schaden“, sagte er. Denn auf der Straße schauen wir ja doch nur weg.Die preußischen Tugenden sind in der Armee entstanden und dienten dazu, die Soldaten zu disziplinieren, so dass sie im Zweifel auch treu in den Tod marschierten: Aufrichtigkeit, Bescheidenheit, Fleiß, Treue. Die Kriege der Preußen müssen wir nicht mehr kämpfen, ihre Tugenden aber haben überlebt – in Teilen: Die Gesellschaft für Konsumforschung hat herausgefunden, dass nur noch 18 Prozent der Deutschen Wert auf Pünktlichkeit legen. Schüler sehen das an ihren schlechten Kopfnoten, die es in manchem Land wieder gibt. Hoffentlich werden wir fürs Zuspätkommen im Mathe-Unterricht nicht bald ausgebürgert.

Martin Machowecz, 19

Links

❚ Fotoausstellung: diekunstdeutscherzusein.wortbildner.de❚ Wikipedia, „Tugend“: wikipedia.org/wiki/Tugend❚ Artikel „Brauchen wir Kopfnoten?“: jetzt.sueddeutsche.de/texte/anzeigen/403916❚ Artikel „Was ist typisch deutsch?“: focus.de/wissen/bildung/deutsch/stereotype_aid_21930.html

Herkunft und Heimat Heimat ist ein Gefühl. Sie hilft uns bei der Frage, woher wir kommen. Für die meisten Deutschen ist Heimat aber nicht ihr Land – nur 11 Prozent verbinden einer Studie von 2004 zufolge mit dem Begriff „Heimat“ die Bundesrepublik. Die Mehrheit, 89 Prozent, sehen in Familie, Freunden und Heimatort ihre Wurzeln.Das Gefühl Heimat macht sich immer dann bemerkbar, wenn man nicht zu Hause ist. Erst dann lernt man schätzen, was vorher so selbstverständlich war. Auch viele der 6,7 Millionen in Deutschland lebenden Ausländer kämpfen damit. Sie sind in die BRD gekommen und sollen sich nach Ansicht der meisten Deutschen komplett in die Gesellschaft einfügen. Integration ist das Schlagwort. Das heißt, die deutsche Verfassung akzeptieren, die deutsche Sprache, Kultur und Geschichte lernen und sich den Gepflogenheiten anpassen. Wer die Integration schafft, kann sogar die deutsche Staatsbürgerschaft er-reichen. Das hat Vorteile, bedeutet aber nicht zwangsläufig, dass Deutschland auch die neue Heimat wird. Wie umschreibt es Rapper Dendemann in seinem Song „Liebes Logbuch“: „Zuhaus ist, wo man sich so fühlt, nicht, wo man herkommt...“. Björn Urbansky, 21

Links

❚ Fremde Heimat, Migration weltweit: migrationsblog.swr.de❚ Junge Migranten: mitarbeit.de❚ Das Integrationsportal: integration-in-deutschland.de

Was ist Nationa- lismus, was ist Patriotismus? Die beiden dem Lateinischen entlehnten Begriffe sind so verschieden wie alt. Patriotismus kommt von „patria“, was „Heimat, Vaterstadt oder Vaterland“ bedeutet. Folglich ist ein Patriot jemand, der sich mit seiner Heimat, seiner Vaterstadt oder seinem Vaterland identifiziert.Dem Nationalismus hingegen liegt „natio“ zugrunde, was Geburt oder Herkunft bedeutet. Im Gegensatz zum Patriotis-mus beschreibt der Nationalismus kein Verbundenheitsgefühl, sondern eine politische Idee. Nationalisten stehen für die Übereinstimmung eines Staatskonstrukts mit einer Nation im territorialen Sinne. Es wird davon ausgegangen, dass Menschen mit gleichem ethnischen, sprachlichen und kulturellen Hintergrund zu einem „Volk“ zusammengefasst werden könnten. Diesem „Volk“ soll ein eigener Staat garantiert werden. Betont wird dabei der Umstand, dass nur Angehörige des eigenen „Volkes“ rechtmäßige Bürger des Nationalstaates seien. Konfliktpotential ist vorprogrammiert – die Geschichte beweist das eindrucksvoll.

Hannes-Caspar Petzold, 18

Links

❚ Definition Patriotismus: deutschland.or05.de❚ Vom guten und schlechten Patriotismus: bundestag.de/dasparlament/2007/01-02/Beilage/006.html❚ Artikel: „Wie entsteht Nationalismus?“: zeit.de/2007/48/OdE5-Nationalismus

Seid ihr stolz, deutsch zu

sein?

Wie bitte?!

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EUROPEANS FOR PEACE

Europeans for Peace ist ein Förderprogramm der Stiftung für internationalen Austausch. Ihr könnt euch mit einem Projekt zum Thema „Herkunft & Vielfalt, Woher kommen wir – Wohin gehen wir?“ bewerben. Einzige Voraussetzung: Eure Schule sollte bereits Kontakte oder Partnerschaften zu Schulen in Mittel-, Ost, Südeuropa oder Israel haben. Mit denen organisiert und realisiert ihr dann gemeinsam euer Projekt. Die Form des Projektes könnt ihr selbst wählen: ob Meinungsumfragen, Kampagnen, Filme, Websites, Theaterstücke, Publikationen oder Veranstaltungen – lasst eurer Kreativität freien Lauf! Die Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ prämiert und veröffentlicht die besten Beiträge!

www.europeans-for-peace.de

Die Stiftung „Erinnerung,

Verantwortung und Zukunft“ . . .

. . . hat ihren Sitz in Berlin.

. . . wurde im Jahr 2000 gegründet.

. . . hat zwischen 2001-2007 an über 1,6 Millionen noch lebende ehemalige Zwangsarbeiter, die während des Zweiten Weltkrieges für Deutschland arbeiten mussten, Geld ausgezahlt.. . . unterstützt zum Beispiel den internationalen Jugendaustausch. . . . ermutigt junge Menschen, sich für Demokratie und Menschenrechte zu engagieren.

Mehr Informationen

www.stiftung-evz.de

Handeln für Demokratie und Menschenrechte

Auseinandersetzung mit der Geschichte

Humanitäre Hilfe für Opfer des Nationalsozialismus

Hier seid ihr gefragt: ENTDECKE OSTEUROPA!

Die Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ unterstützt Jugendliche, die ein Schüleraustauschjahr in einem osteuropäischen Land oder in Israel verbringen möchten. Stipendien erhaltet ihr über die beiden Schüleraustauschprogramme afs interkulturelle Begegnungen und youth for understanding.

www.afs.de

www.yfu.de

BEgEgNUNgEN miT OPFERN DES NATiONAlSOziAliSmUS

Die Stiftung fördert Einladungen von Überlebenden des Nationalsozialismus aus dem Ausland nach Deutschland. Vor allem junge Menschen werden aufgefordert, sich mit den Lebensgeschichten der Opfer auseinanderzusetzen. Wenn ihr ein solches Projekt für den Geschichtsunterricht oder in eurem Jugendklub plant, könnt ihr hier Zuschüsse beantragen. Macht eure Lehrer und Betreuer darauf aufmerksam!

www.stiftung-evz.de