8/8/2019 Theosophische Sendbriefe
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Jakob Bhme
TheosophischeTheosophische
SendbriefeSendbriefe
Herausgegeben von Gerhard Wehr
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Dies ist die erste vollstndige Ausgabe der Theosophischen Sendbriefe Jakob
Bhmes (1575-1624). Fr den Kenner des umfangreichen literarischen Werksdes geistesmchtigen Philosophus teutonicus liegt die Bedeutung einersolchen Edition auf der Hand: Hier haben wir auf schlureiche autobiogra-
phische Zeugnisse Bhmes vor uns. Wir erhalten Einblick in seine Lebensum-stnde. Er berichtet unter immer neuen Gesichtspunkten, auf welche Weise erder geistigen Schau und Erleuchtung teilhaftig geworden ist, und welchenProze einer seelisch-geistigen Erneuerung er durchlaufen hat. Jakob Bhmeerweist sich hier als erfahrener Seelenfhrer, der seinen auf dem inneren Weg
befindlichen Freunden und Gefhrten Rede und Antwort steht, indem er siebert und auf ihre Schwierigkeiten eingeht.
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Vorwort
Jakob Bhme dachte nicht daran, der Nachwelt eine Autobiographie zu hinter-lassen. Von daher gesehen kommt den Theosophischen Sendbriefen eine
besondere Bedeutung zu. Der Leser lernt hier den einflureichen Autorpersnlich kennen. Und, was ebenfalls nicht zu unterschtzen ist, man kann sichein Bild von dem sich ausweitenden Menschenkreis machen der sich inSchlesien und in der Lausitz um die geistige Hinterlassenschaft diesesspirituellen Meisters bemht hat. Wir haben also wirkliche Briefe vor uns.
In den Theosophischen Sendbriefen nimmt der Autor der Aurora das Wort.Und wenn er dort im 19. Kapitel die Erleuchtungserfahrung geschildert hat,dann ist es interessant zu sehen, wie er dieses Erlebnis nun intimen Freundenanvertraut. Es geschieht in dem Bewutsein, nicht ihm, dem schlichten Hand-werker, seien letztlich die zahlreichen Werke seiner Autorschaft zuzuschreiben.Das Eigentliche habe er nicht aus Bcherwissen, er habe seine Erkenntnisvielmehr auf dem Weg einer spontanen Erleuchtung empfangen. Zur Erlute-rung dieses Geschehens und der dabei erlangten Erkenntnisfrchte tragen dieseBriefe viel bei. Andererseits gewhren sie Einblick in die Lebensumstnde, auchin das bis in seine letzte Lebenszeit anhaltende Ringen mit den orthodoxenGegnern.
Es versteht sich, da die vorgelegten Briefe nach den editorischen Gesichts-punkten der bisher erschienenen Schriften des Grlitzers dargeboten werden.Was den darin angewandten Grundsatz der Vollstndigkeit betrifft, so wurdehier ein briges getan: Einige der in der Gesamtausgabe von 1730 an der
bezeichneten Stelle fehlenden Briefe wurden hier eingefgt, beispielsweise derals eigener Traktat berlieferte 11. Sendbrief an Paul Kaym, der sich mit demThema der Endzeit beschftigt. Darber hinaus wird diese Ausgabe auch 1.Einfhrung und Kommentar frher ungedruckt gebliebene, in der Urschrifterhaltene Sendbriefe sowie weitere Briefteile enthalten. Der vorliegende Bandstellt demnach die erste vollstndige Ausgabe von Bhmes TheosophischenSendbriefen dar.
Schwarzenbruck bei Nrnberg,
Ostern 1991, Gerhard Wehr
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I. Einfhrung und Kommentar
Bhmes Theosophische Sendbriefeals Dokumente religiser Erfahrung und spiritueller Wegweisung
Den Theosophischen Sendbriefen kommt in dem rund vier tausend Druckseitenumfassenden literarischen Werk des Grlitzer Meisters eine besondere Bedeu-tung zu. Es handelt sich dabei um Bhmes Korrespondenz, wie sie uns aus derZeit zwischen dem 18. Januar 1619 und dem 13. Juni 1624 fnf Monate vorseinem Tod erhalten geblieben ist. Das heit, es handelt sich um den fr sein
Schaffen wesentlichen Zeitraum.Hinter ihm liegen die Jahre eines von seinen kirchlich-orthodoxen Gegnernerzwungenen Schweigens und des Verzichts auf jegliche Publikation. Innerhalbweniger Monate hatte der 37-jhrige Grlitzer Schuhmachermeister seine
berhmte Erstlingsschrift Aurora oder Morgenrte im Aufgang niedergeschrie-ben. Das Fragment gebliebene Werk hatte ohne sein Wissen handschriftlicheVerbreitung gefunden und war zum Gegenstand einer schonungslosen Kritikgeworden. Das kirchenfromme lutherische Gemeindeglied hatte rcksichtsloseSchmhungen durch den Grlitzer Oberpfarrer Gregor Richter zu erdulden. Fnf
Jahre lang hielt sich Bhme an das Publikationsverbot, whrend die ffentlicheBeschimpfung anhielt.
Endlich entsprach Bhme dem Drngen jener Freunde, die ihn ermutigten, inweiteren Schriften sein Talent zu offenbaren. So entstand ein zweites,zunchst nur als Manuskript verbreitetes Werk. Die Beschreibung der dreiPrinzipien (De tribus principiis). Das war im Jahre 1619, ein Jahr nach Ausbruchdes Dreiigjhrigen Kriegs. In rascher Folge schrieb Bhme whrend der ihmverbliebenen fnf Lebensjahre mehrere Werke neben zahlreichen kleinerenSchriften und Traktaten. Bhme legte in ihnen die Grundzge seines universalen
Gottes Welt- und Menschenbildes nieder.Gleichzeitig bildete sich ein Kreis von spirituellen Schlern und religisSuchenden. Sie ahnten, da der Autor dieser Schriften nicht nur die Inhalteseines Schauens zu berichten habe, sondern da er darber hinaus in der Lagesei, einen inneren Entwicklungsweg, den Weg einer christlichen Einweihung, zuzeigen und ihnen auf diesem Weg als ein Erfahrener beratend, helfend,ermutigend beizustehen. Dank der Tatsache, da uns die Texte von rund achtzigSendbriefen unter ihnen ausfhrliche Episteln und traktatartige Ausfhrungen
berliefert sind, sind wir in der Lage, uns ein Bild von dem Kreis um Jakob
Bhme und seiner theosophischen Schule, wie er sie einmal nennt, zu ver-schaffen. Abgesehen davon vermitteln uns diese autobiographischen Zeugnisse
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manche bemerkenswerte Einzelheit seines schlichten und doch auer-ordentli-chen Lebens.
uerlich gesehen ist Jakob Bhme der kleinbrgerliche Handwerksmeister, derFamilienvater und Grlitzer Brger, der Angehrige seiner Zunft, das Glied derevangelisch-lutherischen Kirchengemeinde. Als solcher hat er seinen unverrck-
baren Platz in der Gesellschaft seiner Zeit. Damit sind ihm aber auch enggesteckte Grenzen gezogen: Grenzen der Mobilitt, Bildungsschranken,Standesgrenzen, nicht zuletzt eine religise Fixierung, die im Zeitalter der
protestantischen Orthodoxie nicht ungestraft verndert werden darf. Das ist daseine.
Auf der anderen Seite aber hat ebendieser Jakob Bhme schon in jungen Jahreneinen religisen Aufbruch erlebt, der seine brgerliche Existenz in denFundamenten erschtterte. Er empfing nicht einen Impuls zu einer gesellschaft-lichen Revolution oder Emprung, auch nicht das, was man einen offenenProtest gegen die kirchliche Lehre und Ordnung nennen knnte. Trotz einesstarken prophetisch ausgerichteten Selbstbewutseins hat Bhme niemals denAnspruch erhoben, die bestehende Ordnung aufheben zu wollen.
Und doch war das, was Bhme nur so verarbeiten konnte, da er seine Gesichte mir selbst zum Memorial niederschrieb, geeignet, die Zeitgenossen deroberen Stnde, namentlich die orthodoxe lutherische Geistlichkeit zu
beunruhigen. Denn dieses Buch Aurora oder Morgenrte im Aufgang wurde publik. Einer, der nach Meinung der studierten Theologen buchstblich beiseinem Leisten zu bleiben htte, wagte es, dem von innen und von obenempfangenen feurigen Trieb zu folgen. Er hatte es gewagt, die Anrede seinesGottes ernster zu nehmen als das Wort des kirchlichen Lehramts.
Damit sind nicht nur die Ursachen fr einen das ganze weitere Leben Bhmesanhaltenden Konflikt gelegt. Es ist der Konflikt des Charismatikers und desAmtstrgers, wie er sich in der Geschichte der Kirche, im besonderen in derGeschichte des esoterischen Christentums, immer wieder abzeichnet.*
*) 1 Dazu ausfhrlicher Gerhard Wehr: Esoterisches Christentum. Von der Antike zurGegenwart. Klett-Cotta, Stuttgart 1995.
Damit ist aber auch der Ansto gegeben, den ohne sein Zutun sichvergrernden Zirkel von Freunden, Schlern, Suchern, Lesern seiner Bcher zu
begleiten. Das, was zunchst die individuelle religise Erfahrung des GrlitzerMeisters zu sein scheint die Theologie spricht nicht ohne Geringschtzungvon Privatoffenbarung zieht weitere Kreise: Bhmes Schriften, diezunchst, das heit zu seinen Lebzeiten, nur als Manuskripte seine Werkstattverlassen, sind vielerorts begehrt: bei schlesischen Landadeligen, in denAmtsstuben von Zolleinnehmern, bei rzten, bei Leuten, die sich zutiefstangesprochen fhlen. Es ist sicher ein Zeichen dafr, da auch viele andere das
Bedrfnis nach einem ursprnglichen geistig-religisen Erleben hegen undhierfr weitere Anregung erwarten.
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Das Charisma, die spirituelle Strahlkraft des schlichten Handwerkers, erweistsich strker, als die Hter von Zunft- und Standesgrenzen vermuten. Wiedereinmal zeigt sich, da der Geist nicht an die Schule oder an die Institution oderan eine kirchliche Amtsautoritt gebunden ist. Im Gegenteil:
Das Charisma mu geradezu deshalb einen Auenseiter wie Jakob Bhme
ergreifen, weil Kirche und Schule nicht in der Lage sind, den Hunger und denDurst nach spiritueller Unmittelbarkeit zu stillen. Der Geist weht, wo er will
Das Zutrauen, das Bhme findet, ist gro. Zwar hlt die gegen den Autor derAurora und der anderen theosophischen Schriften gerichtete kirchliche Verleum-dungskampagne an, aber auch die Zahl derer, die mit ihm in Beziehung treten,nimmt zu. Die Kunde dringt ber Schlesien hinaus. Das kommt nicht vonungefhr. Bhme erkennt darin Gottes Weg, zumal er beobachten kann, daes nicht allein in Schlesien, sondern auch in andern Lndern ist bekannt wordenohne Vorwissen des Autors ... (10,26).
Um den zahlreichen Anforderungen zu entsprechen, ist der mit der Niederschriftimmer neuer Werke vollauf Beschftigte dankbar, da sorgfltige Abschriftenhergestellt werden. Unter den Skribenten ist vor allem der Saganer Zollein-nehmer Christian Bernhard zu nennen (vgl. die Briefe 4, 9, 14, 21, 25-27 usw.).
Um seinen Schlern nahe zu sein und sie mit einer gewissen Regelmigkeitbesuchen zu knnen, gibt er seine Schuhmacherei in der Stadt auf und betreibtzusammen mit seiner Frau Katharina einen Garnhandel, der ihn nun auch vonBerufswegen ber Land fhrt. Auf diese Weise wird es ihm mglich, sich mit
den Lesern seiner Manuskripte zu unterreden. Wir hren von verschiedenenFahrten durch Schlesien und von mannigfachen Besuchen und Begegnungen.
Diese Unterredungen sind dem Verfasser der Theosophischen Sendbriefedeshalb so wichtig, weil er nicht alles dem geschriebenen Wort anvertrauen zuknnen meint: Lieber Herr Doktor, der Feder ist nicht zu trauen, lesen wireinmal (15,17). Ein andermal lt er seinen Freund Christian Bernhard wissen,er wnschte mit ihm in geheim zu sein auf ein kurzes Gesprche, so euchdasselbe gefllig wre. So werdet ihr ohne Zweifel Mittel dazu wissen, wolleteuch in meiner Gegenwart meines Namens und Person geschweigen, es wre
denn Sache, da er den Euren zuvor bekannt wre und sie dessen begehrten.Kein Zweifel, hier waltet Arkandisziplin, ein selbstauferlegtes Gebot derGeheimhaltung. Das geschieht nicht etwa um einer mysterisen Geheimnistuereiwillen oder weil namentlich nach der Publikation der rosenkreuzerischenManifeste die Chymische Hochzeit Christiani Rosenkreuz war 1616erschienen Geheimgesellschaften aller Art von sich reden machten. BhmesArkandisziplin hat einen anderen Grund: Lngst ist der Verfasser der theoso-
phischen Manuskripte zu einem christlichen Guru, zu einem Seelenfhrergeworden, dessen Ziel darin besteht, andere auf die Bahn der spirituellen
Entwicklung zu bringen. Wo es um nichts Geringeres geht als um die Initiierungeines inneren Prozesses der Wandlung und der Reifung aus dem Geiste Christi,
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da ist sofern mglich der intime Dialog zwischen dem Erfahrenen unddem am Anfang des Weges Befindlichen geboten. Das unmittelbare Gegenber-sein spricht seine eigene Sprache. Das wei jeder, der Menschenfhrung, dieseelsorgerlich-spirituelle oder die tiefenpsychologisch-therapeutische, das initia-tische Geschehen aus eigenem Erleben kennt. Dennoch sind die Theosophischen
Sendbriefe Bhmes an den entscheidenden Punkten selbst Dokumente von undfr Menschen, die sich auf dem Innenweg der Christusnachfolge befinden unddie der Morgenrte im Aufgang oder dem Proze des Ausgrnensentgegenwarten.
Deshalb ist der eigentliche Anla und Grund vieler Briefe Bhmes dieser: Sohabe ich nicht unterlassen wollen, denen zu schreiben und sie zu erinnern und insolchem eiferigen Suchen mehr Ursache zu geben und darzutun, wie das Perlleinzu suchen und endlich zu finden sei. Sintemal ich auch einer unter den Suchern
bin und mir am hchsten anlieget, dasjenige, was mir von Gott vertrauet ist,
nicht zu vergraben, sondern darzutun, auf da Gottes Wille in uns mchteerkannt werden und sein Reich in unser Suchen und Begehren kommen ... (17,1) Es besteht kein Zweifel: Bhme befindet sich auf groer Mission, under ist sich auch der Gre seiner Verantwortung voll bewut.
Dabei sei nicht bersehen, da dieses Briefwerk, sein seherisch-literarischesLebenswerk als solches, whrend des Dreiigjhrigen Kriegs entstanden ist. Dieunheilvollen, Angst erzeugenden, neue Schrecken ankndigenden Ereignissewerfen ihre gespenstischen Schatten auf dieses Werk. Bhme ist also schon vondaher gesehen nicht einer von denen, die ruhevoll in ihrer weltabgeschiedenen
Mystiker-Klause meditieren und in einer solchen, von keiner Unbill getrbtenKonzentration ihre Traktate, Lehrreden und Sendschreiben hinausgehen lassenknnen. Er steht vielmehr mitten in einem von Sorgen und Kmmernissen inSpannung gehaltenen Leben, gewillt, allem Kommenden standzuhalten. Er suchtdie Zeichen der Zeit in greren und grten Zusammenhngen zu sehen, innereErfahrung mit den ueren Phnomenen in Zusammenhang zu bringen.Dergleichen geht, wie die Geschichtserfahrung zeigt, nicht ohne ein kurzschls-siges Vermuten ab, auch nicht bei Jakob Bhme. Doch darum geht es nicht.
Daneben will die lebenslange wirtschaftliche Abhngigkeit beachtet sein, der
der Grlitzer Meister vor allem von jenem Zeitpunkt ab unterworfen ist, als erals fahrender Hndler und als (ungedruckter) Schriftsteller sich und seineFamilie zu ernhren hat. Diese Abhngigkeit mu er auf sich nehmen, weil ihnder Geist treibt und weil er seinen Brdern so nennt er die Freunde undSucher das anvertraute Talent nicht vorenthalten darf. Von 1619/1620 an istes namentlich die Abhngigkeit von Adeligen, denen er mit seinem Werk dientund die ihn mit dem Allerntigsten versorgen. Auch davon legen die Briefe ein
beredtes Zeugnis ab (z.B. 5,2; 6,1; 21,4; 32,2; 33,6; 37; 65,3; 66,10; 67,1; 69,6;73,3; 74).
Anhand dieser und hnlicher Gesichtspunkte wird deutlich, da Bhmesreligise Erfahrung, sodann auch die von ihm erwartete und geleistete spirituelle
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Wegweisung nicht etwa abseits des gelebten Lebens empfangen und vollzogenwurde. Vielmehr belegen gerade die Theosophischen Sendbriefe auf vielfltigeWeise, wie der Lebensalltag und die esoterische Vertiefung dieses Lebens,Zeitgeschichte und die gttliche Fhrung des einzelnen wie der Menschheit aufsengste miteinander verwoben und aufeinander bezogen sind.
Fr den heutigen Leser dieser Texte ergeben sich daraus gewisse Konsequenzen.Er wird sich dieses Zusammenhangs bewut bleiben mssen und keine Theo-sophie oder christliche Esoterik suchen drfen, die ihn von seinem eigenen, ganzindividuellen Schicksal entfernt. Er wird sodann nicht jedes Wort, nicht jedeDeutung, schon gar nicht zeitbedingte Vorstellungen nur deshalb bernehmendrfen, weil sie von einem so geisterfllten Menschen wie Jakob Bhmestammen. Vielmehr obliegt es jedem einzelnen, gleichsam durch diese mehr alsdreihundertjhrigen Wortlaute hindurchzusehen und hindurchzuhren auf dasberzeitlich-Spirituelle, das sich hier eingetragen hat. Und deutlich genug
spricht es Bhme auch den ersten Empfngern seiner Briefe gegenber aus,worauf es eigentlich ankommt, sind doch die Schriften und Briefe nur irdischeGefe eines letztlich unausschpflichen Inhalts oder Hinweisschilder auf demWeg, den der einzelne selbst gehen mu:
Denn das Buch, da alle Heimlichkeit innen lieget, ist der Mensch selbst ... Dasgroe Arcanum lieget in ihm, allein das Offenbaren gehret dem Geiste Gottes.(20,3)
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Kommentar
ZU DEN THEOSOPHISCHEN SENDBRIEFEN 1-74
1. Sendbrief
Carl von Ender (Carl Ender von Sercha) auf Schlo Leopoldshain eineWegstunde stlich von Grlitz, spielt im Leben Jakob Bhmes eine wichtigeRolle. Er gehrt zur Schar jener Adeligen Schlesiens, die sich fr das Werk desGrlitzers interessieren, und zwar von Anfang an. Er war nicht allein ein Mannvon Bildung, sondern er brachte bereits eine entsprechende Aufgeschlossenheitmit, als er den Autor der Morgenrte und dessen Erstlingsschrift kennen- undschtzenlernte. Der Landedelmann zhlte nmlich zu jenen Familien, die derLehre ihres Landsmannes Kaspar Schwenckfeld (1489-1561) anhingen und beidenen, die die seit 1609 im Druck erschienenen Weigelschen bzw. Pseudo-Weigelschen Schriften lasen. Carl von Ender war es, der sich fr die hand-schriftliche Verbreitung der Morgenrte (Aurora) einsetzte.
Wenn sich Bhme dem edlen, gestrengen, wohlehrenfesten Herrn gegenberauch als einfltiger Mann ausgibt, so ist in den (mindestens) sechs bis siebenJahren ihrer persnlichen Bekanntschaft zwischen beiden ein recht enges
Vertrauensverhltnis gewachsen. Dazu kommt, da auch Bhmes Selbstbewut-sein seit der Niederschrift der Aurora gestrkt wurde. Den hohen Leutenvermag der, der aus dem Handwerkerstand kommt, als einer gegenberzutreten,in dem das hohe Licht entzndet und der feurige Trieb (1,2) seinerGeistbegabung entfacht worden ist.
Es ist weder das erste noch das letzte Mal, da der Autor versichert, seinSchreiben sei ausschlielich ein persnliches Bedrfnis gewesen; es sei ohne
jegliche Publikationsabsicht erfolgt. Wenn es nun doch eben mit Unter-sttzung, wenn nicht durch Initiative des Adressaten zur Verffentlichung
der Aurora kam, so erblickt der Briefschreiber darin das Walten dessen, der diePerson nicht ansieht und der sich daher ber die bestehenden Standesgrenzensouvern hinwegsetzt. (1,4)*
*) ber Bhme und sein Erstlingswerk vgl. die Einfhrung zu Jakob Bhme: Aurora oderMorgenrte im Aufgang. Insel Verlag, Frankfurt 1991. Ferner Gerhard Wehr: Jakob Bhme.Geisteslehrer und Seelenfhrer. Aurum Verlag, Freiburg 1979.
Das Niedrige ist gerade recht, um zum Gef der gttlichen Offenbarungerkoren zu werden. Und dieser sich offenbarende Gott will in allen Dingenerkannt werden. Das ist der Auftrag, dessen der Schuster innewird. Das legiti-
miert ihn allein, seinen Leisten beiseite zu legen und aufs neue zur Feder zugreifen. Da Bhme seine Einsicht nicht etwa von abstrakten theologischenStzen ableitet, sondern da er als ein anschauender Denker schreibt, unter-
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streicht der Hinweis auf die Himmelskrfte, die Gott in Bildnissen, Gewchsenund Farben kundmachen (1,5). Das ist nur ein Gleichnis fr die ber die Welthinausweisende Dimension des Wesenhaften, das alles Irdische inqualieret,das heit: mit seinen schaffenden Krften geistdynamisch durchwirkt.
Die Lehre von den drei Prinzipien, in der die Polaritt des grimmigen Zorn-
feuers und des Lichts der Liebe Gottes (in Christus) eine besondere Rolle spielt,bentzt Bhme als einen Erkenntnisschlssel. Dieses Schlssels bedarf er umsomehr, als das gttliche Licht unmittelbarer Erkenntnis infolge des tragischen(Snden-) Falls verlorengegangen ist (1,6f).
Indem Bhme diesen Tatbestand berhrt, ist er schon bei seinem universalenThema, bei dem Weltendrama von Schpfung, Fall und Erneuerung desMenschen. Es gilt, den in der vergnglichen (monstrosischen) Physis verbor-genen rechten Menschen ans Licht zu heben und bewut zu machen. SeinUrstand ist in Gott; die Neugeburt durch Christus lt dieses Faktum zu einerindividuellen Erfahrungstatsache werden, und zwar schon jetzt (1,11). Diesesneue Sein verbrgt Erkenntnis (1,22). Insofern gibt es Abstufungen desmenschlichen Erkennens (1,14). Wahres Erkennen ist zum andern ein Geschenkdes erleuchtenden Gottes, der das Erkenntnislicht im Menschen anzndet (1,14).
Das von Bhme gemeinte Erkennen entspricht auf der anderen Seite einemwunderbaren, aber auch ngstigenden Geburtsvorgang. Das Wunder bestehtdarin, da diese Geburt bildlich gesprochen durch eine gealterte Frau(1,15) erfolgt. Bhme mag an biblische Vorbilder (Abrahams Frau Sarah; dieMutter Johannes des Tufers, Elisabeth u.a.) denken. Dabei ist er selbst derBetroffene, denn auch aus ihm soll ein Geisteskind geboren werden (1,17). Ergeht nach jahrelangem Schweigen mit seinem zweiten Buch DreiPrinzipien gttlichen Wesens (1619) zum Zeitpunkt dieses Briefes schwanger.Es zeugt fr das groe Vertrauen, das der Briefschreiber dem Empfngerentgegenbringt, wenn er das Ungeborene ankndigt, wiewohl er fast mit zuvielen weltlichen Geschften beladen ist und die Geburtsngste ganz bewutdurchlebt.
2. Sendbrief
Bhme hat schwere, entsagungsreiche Jahre hinter sich. Denn das Bekannt-werden der Aurora hat seinem Autor Verleumdungen, ffentliche Maregelungund die entschdigungslose Wegnahme des Manuskripts eingebracht. DerTreiber es ist der fanatisch-orthodoxe Oberpfarrer von Grlitz, GregorRichter setzte ihm hart zu. Um so mehr wei Bhme die Treue desEdelmanns Carl Ender von Sercha zu schtzen (2,2). Darber hinaus kann er
dem adeligen Freund die Echtheit seiner Erfahrung besttigen, nmlich dieWahrnehmung der edlen Perle als einer Licht, Hoffnung und Zuversichtstiftenden Kraft (2,4). Sie ist es eigentlich, die ihn zum Schreiben antreibt. Seine
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Schriftstellerei begreift er daher als einen einzigen Akt des Gehorsams gegenGott, mit seinem Bistum!) verantwortlich umzugehen (2,6), das heit, dieanvertraute Gabe nicht etwa als einen privaten Besitz anderen vorzuenthalten,sondern sie weiterzugeben.
Bhmes Verbundenheit mit Carl Ender, der das geistig Empfangene an die
ffentlichkeit gebracht hat und der gesonnen ist, dies auch knftig zu tun,gewinnt von daher eine neue Dimension. Sptestens seit diesem Brief und seitder Bereitschaft zur Niederschrift seines zweiten Buches datiert die GewiheitBhmes, nicht allein sich selbst zum Memorial zu schreiben, sondern alsOffenbarungstrger fr andere zu fungieren. Wenn sich auch immer wiederSkrupel oder Unsicherheiten einschleichen wollen, ob der beschrittene Weg alsSchriftsteller der richtige sei, so kann Bhme darauf verweisen, da dieErgebnisse seines Tuns gar nicht von ihm, dem an seinen Stand alsSchuhmacher gewiesenen Kleinbrger stammen, sondern da er die Antriebe
aus der transpersonalen Tiefe seines Unbewuten inspirativ entgegennimmt(2,10). So heit es schon in der Rechenschaft des Autors der Aurora, von wemer seine hohen Gaben des Geistes empfangen habe: Gott hat mir das Wissengegeben. Nicht ich, der ich der Ich bin, wei es, sondern Gott wei es in mir ... Und weiter: Nicht ich, der ich der Ich bin, habe es nicht zuvor gewut, das icheuch habe geschrieben. Ich vermeinte, ich schrieb allein mir, und es ist ohnemeinen Bewut also geraten. Damit bezeichnet Bhme tiefenpsychologischexakt den Quellgrund seines Schaffens.
In der Ahnung, ja in der sicheren Erwartung, vor einer Offenbarung einer
greren, weil ber Moses und die Propheten hinausreichenden Erkenntnis zustehen, berreicht Bhme dem Empfnger dieses Briefs neue Manuskriptteile(2,11 f.). Der Leser von damals wie von heute mag etwas von dem verspren,was Bhmes Tun und Leben durchpulst. Es ist die Hoffnung auf die schne,von Gott verheiene Lilie (2,13), Symbol der spirituellen und universalenReformation, der Jakob Bhme den Weg bereiten mchte.
4. SendbriefAuch Christian Bernhard, der Zolleinnehmer von Sagan, gehrt zu den engstenFreunden Bhmes. Mit einem gewissen Recht nennt ihn Hans GrunskyGeneralsekretr und Botschafter Bhmes, weil er Bhmes Schriften kopierteund unter Hintanstellen seines Berufes so die Verbreitung derBhmeschen Theosophie ermglichen half. Dazu kommt das enge persnlicheVerhltnis zwischen beiden Mnnern, das sich in den Briefen niedergeschlagenhat.
Bernhard ist fr Bhme mein gar guter, lieber Bruder ..., weil ihr mich habetaus dem Schlafe erwecket (4,17) eine sehr hohe Einschtzung! Sie zeugtdavon, wie frh der Zolleinnehmer die spirituelle Berufung des Schusters
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erkannt haben mu. Nicht umsonst zhlt ihn der so Erweckte vier Jahre spterzu den Erstlingen (45,6), denen er ein weiteres inneres Wachstum wnscht.
Im vorliegenden Brief steht zunchst die Tatsache im Vordergrund, da auchBernhard das Erkannte nicht fr sich behalte, sondern freiwillig allenKreaturen darbiete (4,2), ungeachtet der groen Widerstnde, mit denen er
selbst seit Jahren zu kmpfen hat. Dergleichen ist nur mglich, wenn dasirdische Leben ist eingepfropfet in das heilige Leben Jesu Christi (4,4). DiesesWissen um die mystische Tatsache der Christuseinwohnung und des In-Christo-Seins, wie es der Apostel Paulus genannt hat, schenkt eine durch nichts zuerschtternde Gewiheit (4,6f.). Bhme ist sich bewut, da derartigeErfahrungen des Widerstandes geradezu die Voraussetzung fr den spirituell-regenerativen Proze des Ausgrnens darstellen. Von daher gesehen erscheintdie Notwendigkeit der Menschwerdung Christi in einem neuen Licht (4,10).*
*) Ausfhrlicher in Jakob Bhme: Von der Menschwerdung Jesu Christi. Insel Verlag,
Frankfurt 1995.
Dieser Proze des Ausgrnens spielt in diesem Brief und berall dort einezentrale Rolle, wo Bhme als Seelenfhrer gefordert ist. Ihm obliegt es, Sterbenund Auferstehen des Menschen mit und in Christus zu begleiten als einer, deraus eigener Erfahrung sprechen kann. Fr wieder erwacht (4,18) hlt sichBhme, weil ihm klargeworden ist, da die einst ergangenen visionrenEinsichten der weiteren Vertiefung und Verarbeitung auch der klarerenDarstellung bedrfen, um andere Schlafende zu erwecken.
Erweckung ist sodann ein aktuelles, jetzt und hier zu geschehendes, zuerhoffendes pfingstliches Ereignis, das nicht beliebig reproduzierbar, sonderndas allein der Gnade Gottes vorbehalten ist (4,20f). Das hermeneutischeProblem, das Problem mit der Dunkelheit und der Schwerverstndlichkeit seinerSchriften, bringt Bhme selbst in diesen Zusammenhang (4,21).
Ein wichtiger Gesichtspunkt ist jener, wo Bhme auf die von ihm gebrauchteNatursprache verweist (4,26). Gemeint ist ein Verstehen- und Sprechen-knnen, das im Gegensatz zu einer menschlichen Sprache nicht erlernbar sei,sondern das ein intimes intuitives Vertrautsein mit der Sache selbst voraussetzt.
Nicht darum geht es, uere Sinngehalte oder Sachverhalte zu beschreiben,sondern die Tiefe des Logos (etwa laut Heraklit) Bhme sagt: die Geisterder Buchstaben vom Urgrund (Bhme: Urkund) her zu erfahren (4,27).Der Wunsch Bhmes, seine Seele mit dem Fragesteller teilen zu knnen (4,25),deutet darauf hin, da eine Korrespondenzebene gesucht und gefunden werdensollte, die nicht nur die der gedanklichen Argumentation umfat, sondern dieauch noch jene Bereiche einbezieht, die unterhalb-oberhalb desAlltagsbewutseins liegen. Im Zusammenhang seiner Darstellung zurbertragungsproblematik hat C.G. Jung auf derartige Wechselbezge unter demStichwort Heiratsquaternio hingewiesen.*
*) C.G. Jung:Die Psychologie der bertragung(1946), in: Gesammelte Werke, Band 16, S.234ff
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Zwischenhinein fgt Bhme die Notiz von der beruflichen und familirbedingten Geschftigkeit, der er sich als fahrender Hndler und Familienvater zuunterwerfen hat, wohl wissend, da derlei Geschfte das Reich Gottesverhindern (4,30). Allein die Frsorge fr Weib und Kind duldet keinenAufschub. Aber eben nicht nur die Zeit, sondern auch und gerade die Ewigkeit
ist es, die den dafr erweckten Schuster drngt.Ein anderes Problem taucht auf, das fr die berlieferung der Bhme-Schriftenvon nicht geringer Bedeutung ist, nmlich die Frage nach zuverlssigen Nach-und Abschriften seiner Wortlaute (4,35ff). Der Autor trgt Sorge dafr, da vorallem in der ersten Fassung nur authentische Texte entstehen.
Zeitgeschichte spiegelt sich fr einen Moment in den Reiseerlebnissen desGeschftigen. Bhme ist whrend seiner Wanderung nach Prag Zeuge desEinzugs von Kurfrst Friedrich V., des sogenannten Winterknigs, geworden,der in der kurzen Zeit des Winters 1619/20 in der Stadt an der Moldau hofhielt.*
*) ber die Zusammenhnge des Winterknigs Friedrich mit der gleichzeitigenRosenkreuzer-Bewegung vgl. Francis Yates: Aufklrung im Zeichen des Rosenkreuzes.Edition Alpha, Stuttgart 1975.
Schon meldet sich bei Bhme das Bedrfnis, die miterlebte Zeitgeschichte vonder Heilsgeschichte her deuten zu wollen (4,39ff). Fr den Briefschreiber ist dasuere politische Geschehen nur ein Symptom fr die anstehende groeAuseinandersetzung zwischen dem Gottesvolk und Babel, dem Inbegriff derwidergttlichen Macht. Die irdische Geschichte ist Abschattung der GeschichteGottes mit der Menschheit. Noch ist die vielgenannte Schlacht am Weien Bergstlich von Prag, am 8. November 1620, nicht in Sicht, da erblickt Bhme vorseinem inneren Auge bereits die Ausweitung des groen Kriegs und Streites, ...Zerbrechung vieler Stdte, Schlsser und mchtiger Lnder (4,41). Er sollterecht behalten. Dabei lt Bhme in seiner Geschichtsprophetie Vorsicht walten.Er wei sehr wohl, da dem Rat Gottes die irdische Sichtweise im Grundeunangemessen ist (4,43). Die gttliche Geschichte mit mit anderen Maen.
Die im Abschnitt (4,45) ausgedrckte Hoffnung, Carl Ender werde dieRckerstattung der durch den Magistrat ein gezogenen Urschrift der Aurora
erwirken knnen, blieb freilich unerfllt. Bhme bekam sein Buch nie mehr zuGesicht. Dennoch war durch die vorausgegangene Abschrift und durch neueKopien fr die Verbreitung gesorgt.
5. und 6. Sendbrief
Wie den bisherigen Brieftexten zu entnehmen war, enthalten Bhmes Sendbriefenicht nur alltgliche Mitteilungen. Der grundstzliche, lehrmige, auf die
Menschenfhrung hin gerichtete Charakter dominiert in der Regel, selbst wennder Briefschreiber in Eil ist (5,14). Stets gilt es, das Bewutsein von derHerankunft der groen Wunder Gottes und vom Erblhen der schnen
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Lilien (5,9) wachzuhalten. Dazu ist er befhigt, weil ihn die edle JungfrauWeisheit (5,7), die von Bhme immer wieder angerufene gttliche Sophia,inspiriert und an einer Weisheit teilnehmen lt, die nicht auf den hohenSchulen zu erlernen ist. Diese Weisheit ist in den Augen des Briefschreibers einzu treuhnderischem Umgang anvertrautes Gut, das in Wort und Schrift, in
Gestalt seelsorgerlicher Unterredung und in der Weitergabe neuer Manuskripteden Mitmenschen zu bermitteln ist (6,4).
7. Sendbrief
Auch Balthasar Walther, der weitgereiste paracelsische Arzt, spielt in BhmesLeben eine wichtige Rolle. Der etwa zehn Jahre ltere wird dem Autor derAurora um das Jahr 1617 begegnet sein. Welchen starken Eindruck er von dem
schlichten Schuster empfing, darf daran abgelesen werden, da Dr. Walther eswar, der Bhme den honorigen Titel Philosophus teutonicus, deutscherPhilosoph, beilegte und ihm jene vierzig Fragen von der menschlichen Seeleunterbreitete. Von ihrer Beantwortung durch Bhme versprach sich Waltherviel. In der Tat lie er sich zu einer gleichnamigen Schrift anregen. Den ihmzugedachten Titel nahm er gleichfalls an, wie die Unterschriften der Briefe 23,37, 38, 61 und 63 belegen. Durch Balthasar Walther mag Bhme tiefer in dieKabbala sowie in die Alchymie und die Naturphilosophie eingefhrt wordensein. Die gelegentliche Mitteilung Abraham von Frankenbergs, der kundige Arzt
habe drei Monate lang viel geheime und vertraute Gesprche mit ihmgepflogen, macht dies noch wahrscheinlicher. Mancher lateinische Terminus bei Bhme drfte auf Walthers Vorschlag zurckgehen. Bhme war desLateinischen nicht mchtig.
Auf die Wahrung der Arkandisziplin bedacht, hebt Bhme im 7. Sendbriefhervor, da seine Schriften nicht jedermanns Speise seien, weshalb sie entgegen Walthers Absichten nicht einem jedem ausgehndigt werdendrften. Der Esoteriker Bhme sieht sich als Schriftsteller und als Seelenfhreran die Kinder des Geheimnisses (7,4) gewiesen. Es sind jene, die in sich
viele edle Perlen bergen. Es sind Weisheitshungerige, keine Satten!Zu beachten ist zum anderen die bescheidene Nchternheit, mit der Bhme
jegliche Herausstellung seiner Person als eines Wundermannes von sich weist(7,6). Bhmes Theosophie ist eine in Gott verborgene Wissenschaft. Als solcheentzieht sie sich denen, die nicht aus Gott geboren sind (7,7). Das hatentsprechende Konsequenzen fr das Verstndnis seiner Schriften. Selbst denDruck der entstehenden Manuskripte, an den Walther offensichtlich gedacht hat,lehnt der Autor zu diesem Zeitpunkt ab (7,8). Aus dem Zusammenhang heraus,in dem diese Ablehnung geuert wird, drfte klarwerden, da Bhme seine
Texte als Mysterienschriften versteht, die nur an dafr Vorbereitete, an innerlichGereifte oder nach Reife Strebende weitergegeben werden sollen.
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8. Sendbrief
Der 8. Sendbrief vom 14. August und der 11. vom 19. November des Jahres
1620 heben sich dadurch von dem brigen Briefwerk ab, da beide Texte denCharakter von traktatartigen Episteln angenommen haben. Das mag auch derGrund gewesen sein, weshalb der Herausgeber der Bhme-Gesamtausgabe von1730 beide Wortlaute auerhalb der Theosophischen Sendbriefe publizierte.
Das Thema mit der Frage nach der Zeitbestimmung des erwarteten Weltendeswar immer wieder aktuell, auch im dritten Jahr des Dreiigjhrigen Krieges. Einentsprechender Text, zwei Bchlein, des kaiserlichen Zolleinnehmers PaulKaym in Liegnitz, zeigt das. Von der Aurora und anderen Arbeiten Bhmesangesprochen, hatte Kaym seine Ausarbeitung an Bhme in der Erwartung
gesandt, der seherisch Begabte knne seine Errechnungen besttigen.Dank einer vermittelnden Empfehlung durch Carl Ender begrt Bhme denLiegnitzer als einen geistesverwandten Bruder. Der lange Antworttext erfhrtgleich eingangs (8,2) eine echt Bhmesche Akzentuierung. Darin kommt vor,was ihm allein wichtig ist, nmlich: die Nhe der Wiederaufrichtung deszerbrochenen (geistigen) Jerusalems, mehr noch die Wiederherstellung des inAdam verblichenen Menschenbildes und damit die Erkenntnis und dieWiedergewinnung der verlorenen Perle in der Kraft des Hl. Geistes.
Damit ist von vornherein auch klar zum Ausdruck gebracht, was wenn ber-haupt demzufolge von nachrangiger Bedeutung ist: beispielsweise Elaborate,in denen der stets zum Scheitern verurteilte Versuch von endzeitlichen Termin-rechnungen unternommen wird. Bhme lt es an brderlicher Zuneigung nichtfehlen. Er verkennt nicht das ernste Suchen und Fragen Kayms. Das hindert ihnnicht, unmiverstndlich zu sagen, da seine eigenen Erkenntnisse auf einemanderen Sektor liegen, als sie der Fragesteller erhofft. Daher ist in BhmesSchriften kein Platz fr Endzeitspekulationen, die letztlich der Neugierde einerungezgelten menschlichen Phantasie entstammen. Oder, auf eine knappeFormel gebracht: Nicht das ist entscheidend zu wissen, wie es sich mit dem inder Johannes-Offenbarung erwhnten tausendjhrigen Sabbat verhalte, dennwir haben genug am Sabbat der neuen Wiedergeburt (8,69). Damit ist einabstrakt-lehrhaftes Offenbarungswissen relativiert. Die Entscheidung fllt nichtin irgendeiner so oder so ausgedeuteten oder gar errechneten Zukunft, sondernganz konkret in dem jetzt und hier zu durchlaufenden Proze der Wiedergeburt.Alles andere kann Bhme getrost gttlicher Allmacht befehlen.
Andererseits gengt es nicht, unter Berufung auf eine etwaige tiefere Schrift-erkenntnis die Situation zu analysieren, die Inkarnation dessen, was Babel
heute ist, zu entlarven, sondern es gilt mit der Tat und mit dem Leben, den Wegder Christusnachfolge in beispielhafter Weise zu gehen (8,7ff). Im brigenkommt es darauf an, in Gott zu sein, will man die Mysterien seines Wesens
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ergrnden (8,5). Deshalb ist es Bhme so wichtig, von der Geburt des neuenengelischen Menschen zu knden als von einer neuen Qualitt des Menschli-chen berhaupt (8,21). Die Wiederherstellung Zions ist demnach fr Bhmenicht ein ueres Phnomen, sondern ein im neuen Menschen gegrndetes neuesSein (8,25). In Christus sein, das heit fr Bhme, schon im Anbruch der
Christus-Zukunft leben, im endzeitlichen Sabbat (8,27). Fr ihn hat die Zukunftschon begonnen.
9. Sendbrief
ber Christian Bernhard vgl. 4. Sendbrief. Es ist kennzeichnend fr BhmesBriefeschreiben, da er ganz hnlich wie in seinen Bchern nicht zgert,das von ihm frher Ausgesprochene wieder und wieder darzulegen. Schlielich
ist Christian Bernhard ein Mann, der seit Jahren mit dem Kopieren von Bhme-Texten beschftigt ist. Bhme knnte demnach all das als bekannt voraussetzen,was er in dem vorliegenden Brief zur Sprache bringt: da die rechte Lehre imMenschen selbst sei (9,2); was sich in den Bhme-Bchern finde (9,3); daLeben mit Christus immer ein Passionsgeschehen sei (9,4); da nur dasGltigkeit habe, was der Geist Gottes aus uns spricht (9,8). Alles das knnte derBriefschreiber bei seinem Adressaten als bekannt voraussetzen, kme es ihm aufdas bloe Bescheidwissen an. Aber Bhme geht es eben nicht um uereSachverhalte. Dem spirituellen Exerzitienmeister liegt hnlich wie jedem
meditativ Arbeitenden daran, das Wibare durch stndige Wiederholung unddurch neue Verdeutlichung oder Vergegenwrtigung tiefer zu verankern. Aussolchen Beispielen mag es abzulesen sein, da die Theosophischen Sendbriefeselbst als Anregungen zum meditativen Umgang aufgenommen werden sollen.
10. Sendbrief
Weil wir einer Autobiographie Jakob Bhmes entraten mssen und mancherlei
autobiographische Notizen in seinen Schriften nach Vervollstndigung verlan-gen, sind die auf Bhmes eigenen Lebens- und Erkenntnisweg bezglichenMitteilungen innerhalb der Theosophischen Sendbriefe von besonderem Wert.
Auch Abraham von Sommerfeld, ein in Wartha bei Beuthen wohnenderLandedelmann, dem der vermutlich Ende April 1620 geschriebene Brief gewid-met ist, gehrt zu der Schar derer, die Bhme seit dessen Aurora ihre besondereAufmerksamkeit widmen.
Hier hebt Bhme mit Nachdruck hervor, da es nicht allein die geistige Schau
war, die ihn heimgesucht hat, sondern gleichzeitig jener feurige Trieb, der ihnan die Schriftstellerei heranfhrte. Whrend ein seelisch extravertierter, also einnach auen gerichteter Mensch, in aller ffentlichkeit das aussprechen und
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bereden mu, was er erlebt hat, sucht Bhme allein das Herz Gottes, sichdarein zu verbergen, das heit: er wendet sich nach innen und er wirddarber zum Schriftsteller (10,3).
So ist es auch nicht weiter zu verwundern, wenn Bhme als Autobiograph nichtvon ueren, sondern in erster Linie von inneren Begebenheiten zu berichten hat
(10,7ff), so schwer es ihm fllt, passende Bilder und Vergleiche fr das ihmWiderfahrene heranzuziehen: das Bild vom unerwarteten, jh einsetzendenPlatzregen, vom Sturm und Ungewitter, vom unscheinbaren Senfkorn oder vonder aufblhenden Lilie. Durch diesen geistfeuernden Trieb angestoen und nichtetwa verstandesmig geplant oder erdichtet, entstehen innerhalb wenigerMonate etliche Bcher (10,10ff.).
Auch Abraham vom Sommerfeld ist fr Bhme einer von den hohenMenschen, whrend er sich selbst ganz einfltig (10,14) dnkt. DieseEinschtzung betrifft aber nur seinen gesellschaftlichen und bildungsmigenStatus, denn der Grlitzer Meister ist sich seiner auerordentlichen Begabungvoll bewut. Lngst zweifelt er nicht mehr an der Notwendigkeit und an derBerechtigung zu schreiben, wie er schreibt (10,16f): Es ist Gottes Werk ... Weil dem so ist und weil es bei seinem Tun nicht um nichtiges Menschenwerkgeht, deshalb mute sich die anhaltende Verketzerung durch die Amtskirche als
besonders gnstig fr die Verbreitung auswirken. In der Tat hat Bhme Anla,sich darber zu wundern. Freilich betrifft dieses Verwundern nur den uernMenschen (10,27). Der innere Mensch ist es, der an dem Mysterium teilhat,ohne irgendeiner ueren Hilfestellung, eines Studiums oder Anstoes zu
bedrfen. Der Geist allein tuts. Solange er anwest, aber auch nur solange,vermag Bhme sich und sein Werk zu verstehen (10,29). Sobald dieserinspirierende Geist entweicht, ist er nur noch der unzulngliche Mensch, derungebildete Schuster aus Grlitz. Bhme ist verstndig genug, daraus dieerforderlichen Konsequenzen zu ziehen (10,30).
Aufschlureich ist Bhmes Einschtzung seines ersten Buches Morgenrte imAufgang. Demnach ist es nur ein erster, vorlufiger Versuch, die groenGeheimnisse zu erkennen (10,36) und einsichtig zu machen. Es bedurfteanderer Schriften, das Mysterium zu erhellen. Jedoch knnen auch sie letztlich
nicht mehr sein als Beitrge, die strenggenommen ein und demselben Themagewidmet sind. Schon deshalb hlt es der Autor fr gut, da endlich aus allen(Bchern) nur eines gemachet wrde (10,46). In Feststellungen wie diesen
bringt Bhme zum Ausdruck, wie sehr ihm daran liegt, dem Auftrag und demImpuls des einen Geistes gerecht zu werden, der ihn zum Werk gerufen hat, zuseinem, des Geistes, Werk, denn: Bei mir suche niemand das Werk. (10,43)
Wenn es Bhme in diesem Zusammenhang ablehnt, mit den Praktiken(Handgriffen) der zeitgenssischen Alchymisten etwas zu tun zu haben, sospricht er doch hier und an vielen anderen Stellen vom Werk, dem opus derBereitung des Lapis philosophorum (Stein der Weisen). Gemeint ist damit dasRealsymbol fr das letztlich unverfgbare Walten des Geistes, der den
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Menschen in den Dienst stellt und erneuert.
Bei Bhme sieht es so aus, da er dem, was der Geist redet, zu gehorchen hat,auch wenn es dem Schreiber mit den zitternden Hnden oft schwerfllt, dasGeschaute und innerlich Erlauschte rasch genug mit der Feder festzuhalten(10,45). Das ist sodann einer der Grnde, weshalb das da und dort mangelhaft
Ausgedrckte und dunkel Gebliebene in einer weiteren Schrift aufs neueergriffen werden solle.
11. Sendbrief
Dieser zweite traktatartige Brief an Paul Kaym setzt noch deutlicher als der erste(vgl. 8. Sendbrief) die fr Bhme allein wichtigen Akzente. Erst im Schluteil(11,46ff) kommt der Briefschreiber auf Kayms eschatologische Spekulationenvom Sabbat in dieser Welt zu sprechen. Mit aller Klarheit spricht er nochmalsaus: Wenn wir den neuen Menschen in Christo erlangen, so sind wir ... schonim Sabbat (11,48), das heit: in dem neuen Seinszustand. Da mit nur ja keinMiverstndnis zurckbleibt, fgt er hinzu, da die Johannes-Offenbarunggeistlich und als im Mysterio, also im Geheimniszustand befindlich mithoch erleuchtetem Gemt gedeutet werden msse (11,57), keinesfalls aberwie ein rational fabarer uerer Sachverhalt. Wer diese Magia erfassen will,der bedarf eines magischen Fhrers, eines Fhrers, der in der Wesensmittedes inneren Menschen (11,58) wohnt. Freilich, ungeprft ist einer Fhrung nicht
zu vertrauen (11,64).
So ist es zu verstehen, weshalb Bhme sein Schreiben mit einer ausfhrlichenErrterung zur Frage spirituellen Wahrnehmens und Erkennens beginnt, denn:Ein jeder Geist forschet nur seine eigene Tiefe (11,3). Dessen Reichweite ist
begrenzt, sofern er nicht in dem Wesen ist, das er schauend zu erkennen begehrt. Wenn nun der Mensch seit Adams Fall aus dem ursprnglichenSeinszusammenhang herausgefallen ist, ging er auch seiner ursprnglichenErkenntnisfhigkeit verlustig (11,4).
Auf der Basis einer solchen spirituellen Erkenntnistheorie, die sich an dem Seinin Christus (11,2 und 11,5) orientiert, grndet Bhmes Theosophie. Es ist eineTheosophie, Christosophie und Anthroposophie wrtlich: eine Weisheit vonGott, Christus und Mensch die im Zeichen der Wandlung und der Neugeburtsteht (11,6). Der Geist Gottes ist es, der neues Sein schafft. Und nicht nur das:Diese Geistverbundenheit ist erforderlich, damit der Mensch seinenErdenauftrag erfllen kann, indem er die Schpfung vollendet nach Bhme:indem er das Ende in den Anfang bringe (11,18). Bhme versteht daruntereine Vereinigung der ueren Natur mit der Lichtwelt (11,35), zumal der
Mensch ein Brger dieser beiden Welten ist. Dem entsprechen im Sinne des Neuen Testaments die Arbeit im Weinberg Gottes und der Bau am ReicheGottes (11,36ff) Fr Bhme ist dergleichen immer zuerst eine Frucht der
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Erkenntnis, deren Hervorbringung und Ausreifung ihm aufgetragen ist (11,37),wiewohl sie nicht als sein Werk angesehen werden kann. Bhme anerkennt dieVielfalt der Gaben und der Begabungen. Sie entsprechen den Lebensentwrfen,mit denen Menschen ihren Erdenweg antreten. Angetrieben und gefhrt werdensie jedoch letztlich aus einem und demselben Geist. Bhmes Gabe und Aufgabe
ist es, zu erwecken (11,42), deshalb auch seine Theosophischen Sendbriefe.ber dem allen vergit er nicht, da die Geburt des Lebens ein steter Streit ist(11,45). Erst durch den Widerstand, den Arbeit, Mhe und Verfolgungendarstellen, wird die neue Qualitt errungen und erfahren. Damit sagt Bhme einunmiverstndliches Ja zum Qualhaus der Sterne und Elemente, in dem wiruns vorfinden.
12. SendbriefJakob Bhme zeigte sich immer wieder beglckt, wenn er sah, da sich nichtnur Unbekannte bei ihm meldeten, weil seine Schriften ihr Interesse geweckthatten, sondern vor allem, wenn er merkte, da Suchende in die Mysterien derGottesweisheit eingefhrt werden wollten. Der Beuthener Zllner KasparLindner ist ein solcher Sucher. Bhme pflegte ernstliches Suchen mitrckhaltloser Offenheit ber sich und sein Tun zu vergelten. Der 12. Sendbriefkann als Musterbeispiel dafr gelten. Von hier fllt ein bezeichnendes Licht aufBhmes innere Erfahrungen.
Der Autor stellt sich erneut als einer vor, der allein das Herze Jesu Christigesucht hat, um sich darin zu verbergen (12,6). Und gerade deshalb widerfuhrihm das Auerordentliche der geistigen Schau. Davon berichtet er in diesemautobiographisch bedeutsamen Brief: von seiner Vision und von derMglichkeit, das innerlich Wahrgenommene in das uere zu bringen, dasheit schildern zu knnen (12,10). Berichtet wird, wie es ihm seit jenementscheidenden Moment seines Schauens ergangen ist, innerlich wie uerlich.
Gleichzeitig legt Bhme dar, worin der Weg besteht (12,37), den er selbst
betreten hat und auf den er andere aufmerksam macht, seinem Beispiel zu folgen(12,42). Ebensowenig wie die nach auen gerichtete Vernunft das Wesenhaftezu erfassen vermag, auf das Bhme hindeutet, so wenig lt sich Zion, dieverheiene Stadt der Zukunft, auf der Erde finden, denn: Der Himmel mu imMenschen offenbar werden (12,48). Das geschieht nicht ein fr allemal.Vielmehr bedarf jede Zeit ihres Erkenners oder Arztes (12,52); gemeintsind geistig-geistliche Fhrergestalten.
Unter diesem Gesichtspunkt gelangt der Briefschreiber zu positiv-kritischenUrteilen ber Autoren der Vergangenheit (12,53ff), unter ihnen Kaspar
Schwenckfeld (1489-1561) oder Valentin Weigel (1533-1588). Auch wennBhme ihnen gegenber auf eine gewisse Distanz geht, so ist doch nicht zubersehen, da beide Mnner dem Philosophus teutonicus vorgearbeitet haben.
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Indem er sich mit den Christusvorstellungen dieser beiden sowie mitungenannten Autoribus auseinandersetzt, bezeugt er eine gewisse Kenntniseinschlgiger Literatur. Eben das trifft auch fr eine Reihe seiner Freunde undBriefempfnger zu. Das Bildwort von der Biene, die aus vielen BlumenHonig saugt (12,62), trifft auf Bhme selbst zu, ja er nimmt es fr sich in
Anspruch. Das vermindert natrlich nicht die Originalitt seines geistigenSchauens und Erlebens.
15. Sendbrief
Zwischen Ende April und Anfang Juni des Jahres 1621 reiste Jakob Bhmedurch Schlesien. Auf dieser Reise besuchte er im Gebiet von Striegau einenKreis gebildeter Mnner, die sich naturphilosophischen und religisen Fragen
widmeten. Es kam offensichtlich zu manchen kritischen Rckfragen, denen derphilosophisch ungeschulte Philosophus standzuhalten hatte.
Der Arzt Johann Daniel von Koschwitz gehrt zu diesem Zirkel. Der 15.Sendbrief lt durchblicken, da noch mancherlei Differenzen zwischen demGrlitzer und den Striegauern bestehen (15,1ff). Genannt werden auch Dr.Staritius, bekannt als Herausgeber der Werke von Paracelsus, sowie Theodor(Hans Dietrich) von Tschesch, Rat des Herzogs von Brieg (15,3f).
Das Thema, das diese Mnner beschftigt, ist die alte philosophisch-
theologische Frage nach der Willensfreiheit, von Bhme als Problem derGnadenwahl bezeichnet (15,4).
Wenn an dieser Stelle des Briefs ein Traktat zu diesem Thema erwhnt wird, sohandelt es sich dabei noch nicht um das gleichnamige Buch Von derGnadenwahl, sondern erst um einen vorausgehenden krzeren Text (vgl. 19.Sendbrief an Dr. Koschwitz gleichen Datums).
Dem vorliegenden Brief ist zunchst zu entnehmen, da die wenige Wochenzurckliegende Striegauer Unterredung fr den dialektisch ungebten JakobBhme ziemlich unbefriedigend ausgefallen sein mu, nicht allein wegen des
unterschiedlichen Bildungsniveaus, sondern auch weil der daheim ganz migund nchtern Lebende dem Wein und der kstlichen Speise seiner Gastgeber(15,6) nicht gewachsen war. Dabei scheint es (nach zu schlieen) nicht
besonders christlich, nicht ganz ohne Affekte oder Schmhung abgegangenzu sein. Dennoch stellt sich Bhme weiterer Verantwortung. Es entspricht wohldem introvertierten Naturell dessen, der eher ein Mann der Schreibe als derRede ist, da er die Fragen seiner Gesprchspartner in schriftlicher Formwnscht (15,7).
Soweit es ihm mglich ist, sucht Bhme auf die Geistesart seiner Briefpartner
einzugehen. Weil Dr. Koschwitz alchymistische Interessen hegt, bedient sichauch Bhme der astrologisch-alchymistischen Symbolsprache, um die Stufen
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des Prozesses anzudeuten. Dabei mu es, abgesehen von dem Gnadenwahl-Disput, zu einer heimlichen Abrede (15,10) zwischen beiden Mnnerngekommen sein. Was den Brief betrifft, der sich parabolischer Begriffe
bedient, steht auer Frage, da das Arcanum auch hier zu wahren ist; der Federist nicht zu trauen (15,17). Doch da Bhme den Arzt bei seinen
alchymistischen Operationen auch praktisch untersttzt habe, ist zu bezweifeln,zumal er wiederholt zum Ausdruck gebracht hat, ber keine Kunst nochHandgriffe (10,43) zu verfgen.
16. Sendbrief
Zeitlich und thematisch gehren die am selben Tag geschriebenen Sendbriefe 15und 16 eng zusammen. Der Empfnger des 16. Briefs ist ebenfalls Arzt und
praktizierender Chymikus. Bhme liegt offensichtlich viel daran, da immermehr Menschen ein begrndetes Wissen um die Willensfreiheit des Menschenempfangen, weil letztlich alles darauf ankomme, da das in Adam verloreneMenschenbild wieder gebracht werde (16,3). Wer der Gewinnung dieserEinsicht dient, handelt brderlicherweise (16,5). Er stellt die Verbindung zumMitmenschen her. Im Menschenbruder findet er sein eigenes wahres Selbst.Dagegen ist alles abstrakte, rechthaberische Disputieren unfruchtbar. Von dahererklrt sich Bhmes Abgrenzung gegen alles bloe Whnen und Meinen.Abschreckende Beispiele des konfessionalistischen Haders gibt es in diesen
Tagen der lutherischen Orthodoxie in Flle.Bhmes auf Selbst- und auf Gotteserkenntnis gerichtetes Bemhen klingtschlielich auch mit der Bereitung des Steins der Weisen zusammen, geradeweil der Grlitzer darunter nicht primr eine chemische Operation versteht,sondern einen Reifungsproze, der im Menschen selbst in Gang zu bringen ist.Doch das Werk ist letztlich nicht machbar. Dennoch bedeutet das nichtUnttigkeit (16,13), sondern Anregung zu freiwilliger Arbeit.
18. Sendbrief
Die hohe Einschtzung des schlesischen Junkers Hans Sieg(is)mund vonSchweinichen auf Schweinhaus hebt Bhme dadurch hervor, da er ihnzusammen mit David von Schweinichen als Erstling einstuft (18,7). In der Tatist es der Adressat, an dem Bhme spter Anzeichen einer spirituellen Reifungwahrnimmt. Es ist derselbe H.S. von Schweinichen, dem Bhme als einzigemgestattet, ein kleines Druckwerk, bestehend aus meditativ gehaltenen Schriften,nmlich Christosophia, herauszubringen.*
*) Vgl. die kommentierte Neuausgabe Jakob Bhme: Christosophia. Ein christlicherEinweihungsweg. Insel Verlag, Frankfurt 1991.
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Welchen Sturm der Entrstung diese einzige, im letzten Lebensjahr Bhmespublizierte Schrift bei den Gegnern ausgelst hat, ist u.a. dem 53. Sendbrief zuentnehmen.
19. Sendbrief
Anfang 1621 hatte Balthasar Tilke, ebenfalls ein schlesischer Adeliger, anetlichen Kapiteln der Aurora Kritik gebt und einen giftigen Pasquill, eineSchmhschrift, gegen Bhme gerichtet. Wieder spielt die Frage nach derGnadenwahl eine Rolle (vgl. 15. Sendbrief). Bhme entgegnete mit einer erstenSchutzschrift. In diesem Zusammenhang ist auch der 19. Sendbrief zu lesen.Wichtig ist fr Bhme in jedem Fall der Hinweis darauf, da der mit demCharisma des Geistes Begabte von Gott gelehrt (19,10) und damit
geistunmittelbar sei, folglich von Menschen nicht be- oder gar verurteilt werdenknne. Abgesehen davon steht jeglicher Schulenstreit der brderlichen Liebeentgegen (19,12).
20. Sendbrief
Die Tatsache, da Jakob Bhme auf dem Boden der reformatorischenErkenntnis von der Rechtfertigung des Gottlosen steht, kann nicht darberhinwegtuschen, da er sich von deren Veruerlichung mit hnlicher Schrfedistanziert, wie das vor ihm andere getan haben (z.B. Thomas Mntzer, KasparSchwenckfeld, die Tufer). Er lehnt eine Glaubenshaltung ab, die sich mit demHinweis auf die theologische Formel von der uern zugerechnetenGerechtigkeit (20,16) zufriedengibt, whrend es an der Bereitschaft, in ChristiTod einzugehen und in ihm auszugrnen (20,17), mangelt.
Der in den Briefen hufig gebrauchte apokalyptische Terminus Babel wirddemnach nicht nur auf die erklrten Feinde des Christentums angewandt, sond-
ern gerade auf solche, die sich orthodoxer, theologisch richtiger Lehraussagen bedienen, ohne sich jedoch viel um eine tatschliche Vernderung ihresMenschseins zu kmmern. Dabei liegt das eigentliche Arcanum (Geheimnis)(20,12) im Menschen selbst. Hier fallen die Entscheidungen. Das selbstherrlicheIch, meine Ichheit (20,22), mu sich in den Proze der Passion Christihineinbegeben. Bhme liegt nun daran, immer wieder zu betonen, da er diesenProze selbst begonnen habe. Sein Schreiben ist daher zuallererst fr ihn selbstin einer geistlichen bung in der Erkenntnis Gottes zu sehen (20,28). Auchder heutige Leser wird sich dieses Exerzitiencharakters des BhmeschenSchrifttums nicht entziehen knnen, selbst wenn im vierten Jahrhundert nachJakob Bhme der spirituelle Schulungsweg manche methodische Abwandlungverdient.
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22. Sendbrief
Mit welchen auergewhnlichen Fragen sich der Grlitzer Meister bisweilenauch abzugeben hatte, zeigt der 22. Sendbrief. Wie der Vorbemerkung zuentnehmen ist, soll sich Bhme mit einem parapsychologischen Phnomen
auseinandersetzen. Der Grabstein einer unlngst verstorbenen adeligen Frauvergiee Trnen, so heit es. Der Witwer bittet um eine Erklrung.
Bhme geht vorsichtig zu Werk. Auch aus anderen Texten, etwa aus den Briefenan Paul Kaym, wissen wir, da Bhme kein Mann des raschen Urteils war, vorallem, wenn das betreffende Problem auerhalb seiner Kompetenz lag. Soverweist er zunchst auf jene, die die Sachverhalte aus unmittelbarerBeobachtung kennen (22,2), ehe er dem Empfnger zu erwgen gibt, was hiervorliegen mag. Leiten lt er sich von einem Wirklichkeitsverstndnis, dasneben den materiellen Gesetzmigkeiten immaterielle gelten lt (22,3 ff).
Durch den leiblichen Tod werde die immaterielle Dimension nicht beeintrchtigt(22,8). Bhme unterscheidet neben dem physischen (elementarischen) Leibeinen feinstofflichen (siderischen), der zwar auch vergnglich ist, der jedochnach dem Tod noch eine Zeitlang als Trger dessen fungieren kann, was derMensch an seelischen Eindrcken, Impulsen oder Begierden in sich trgt,wodurch er geimpresset, also gleichsam imprgniert ist (22,9). Auf dieseWeise legt Bhme dem Witwer nahe, seine Frau knne zu Lebzeiten inirgendeiner Weise seelisch besonders belastet gewesen sein, was sich nun aufdiese auerordentliche Weise manifestiere. Jedoch eines bindenden Urteils
enthlt er sich auch nach diesen berlegungen (22,13 ff).
24. Sendbrief
In einer Reihe von Sendbriefen schlgt die apokalyptische Stimmunggespanntester Erwartung dessen, was kommen soll, voll durch. Whrend etwanoch 20,16 unter Babel vernehmlich ein auf formaler Rechtglubigkeitverharrender Protestantismus verstanden wird, enthllt sich hier vor dem
Visionr Bhme das Schreckensbild der brennenden Stadt des Antichrists(24,5).*
*) ber die Prophetie Jakob Bhmes vgl. Ernst Benz: Endzeiterwartung zwischen Ost undWest. Studien zur christlichen Eschatologie. Freiburg 1973, besonders S. 41-65. Ders.: Der
Prophet Jakob Bhme. Eine Studie ber den Typus nachreformatorischen Prophetentums.Wiesbaden 1959.
Was sich im vierten Jahr des Dreiigjhrigen Krieges abzeichnet, deutet derBriefschreiber als Ausbruch des Zornfeuers Gottes. Whrend nun der Schlunahelge, alle Ereignisse als Manifestationen einer einzigen unabwendbaren
Katastrophe zu sehen, blickt Bhme durch diese Phnomene des Unheilvollenhindurch auf das Aufleuchten der Gnadensonne, auf die neue Geistesaus-gieung und auf das da und dort individuell wahrnehmbare Aufblhen des
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Lilienzweiges (24,6f). Gemeint ist letztlich eine fr alle Vlker gltigeTatsache. Freilich, das Offenbarwerden des edlen Perlenbaums, d.h. desChristus in uns, fngt zunchst bei den Kindern der Weisheit Christi (24,7)an, die sich in der gttlichen bung (24,8) hingeben. Zu solchen Zeitgenossensieht sich Bhme gerufen. Ihnen schreibt er seine Theosophischen Sendbriefe,
um das individuell-berindividuelle Christusereignis vorbereiten zu helfen.
25. Sendbrief
Bhme fhlt sich mit den Empfngern seiner Briefe in einer engelischenBruderschaft (25,1) verbunden, die sich des Studiums der TheosophischenSchule (25,3) befleiigen. In ihr ist nicht er, sondern allein der Geist derLehrer. Wer nun den Anstrmen von auen gewachsen sein soll, dessen inneres
Wachstum bedarf einer besonderen Frderung. Er entspricht daher einemWunsch seiner Freunde und Schler, wenn er eine kleine, aber meditativgehaltvolle Schrift Von der wahren Bue verfat (25,3).*
*) Der volle Wortlaut samt Erklrungen ist enthalten in: Jakob Bhme: Christosophia. Einchristlicher Einweihungsweg. Insel Verlag, Frankfurt 1991.
Der intime, auf Initiation ausgerichtete Charakter dieser Schrift wird vom Autornoch dadurch unterstrichen, da er den Text als Frucht und als Dokument seineseigenen Einweihungsprozesses betrachtet (25,4). Zum andern liegt Bhmedaran, seinen Schlern mit dem Bchlein, dem er eine groe Ernte verheit(25,7), eine Anleitung fr die meditative Praxis zu bergeben.
28. Sendbrief
Es ist zu vermuten, da auch Dr. Steinberg dem Striegauer Gelehrtenkreisangehrt (vgl. 16. Sendbrief). Wieder ergibt sich aus dem Schreiben, da Bhme
bestrebt ist, auch die leidvollen Erfahrungen von Kreuz und Trbsal, das
individuelle und das Zeitenschicksal, in einen greren Sinnzusammenhang zurcken. Vor diesem Hintergrund sind erste Kennzeichen der edlen Sophien(28,1) wahrzunehmen. Die himmlische bzw. gttliche Sophia ist jene spirituelleWirklichkeit einer personifiziert vorgestellten Gottesweisheit, auf die Bhmesganzes Sinnen und Trachten gerichtet ist. Das Ziel ist die geistliche Hochzeit mitder Jungfrau Sophia.*
*) Weitere Aufschlsse durch Text und Erluterung in Jakob Bhme: Christosophia, fernerGerhard Wehr: Heilige Hochzeit. Ksel Verlag, Mnchen 1986.
Die schne Rose wchst eben nur am Dornstrauch; das Leben mu dem
Sterben abgerungen werden. So lautet die Einsicht, zu der sich der GrlitzerMeister durchgerungen hat. Ein symbolkrftiger Vergleich ist sicher jener vondem durchglhten Eisen (28,2), geht es doch darum, da der kreatrliche
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Mensch von dem Geistfeuer Gottes ergriffen und durchglht wird, wodurch eineneue Qualitt entsteht, der mit Christus verbundene Mensch (28,3).
Damit wird eine Tatsache begrndet, die durch eine blo von auen zugerech-nete Gnade (28,6; vgl. auch 20,16) oder durch theologische Rechtfertigungs-formeln nicht zu ersetzen ist. Der Bereich der leicht gesagten Worte (Ina
Seidel) ist verlassen, der Bezirk der billigen Gnade aufgegeben. HochgespannteErwartungen beflgeln den Seher, wenn er meint, es sei die Zeit angebrochen,da alle Tren aufgetan werden ... da die Sonne des Lebens soll ber alle Vlkerscheinen (28,10).
Man kann den Eindruck gewinnen, da alles das, was Bhme im Klartextmitteilt, von ihm auch noch im Blick auf die Tiefendimension des Gesagtenartikuliert werden msse. Zwei Ausdrucksmittel dafr sind in seinen Augen diesogenannte Natursprache, die im Gegensatz zu anderen Sprachen nicht lehrbarsei, zum anderen die alchymistische Symbolik. Bei ihr dreht sich das bildhafteReden und Operieren zwar um Prozesse, die im stofflichen Bereich einzuleitensind. Der 28. Sendbrief weist jedoch mit allem Nachdruck darauf hin, da dasauf die Stofflichkeit beschrnkte Hantieren mit Mineralien falsch sei (28,13),es sei denn einer selber von ehe das, was er darinnen suchet (28,12), nmlichin der neuen Geburt. Wenn Bhme im gleichen Zusammenhang den
programmatischen Satz niederschreibt: Die Welt mu zum Himmel und derHimmel zur Welt wieder gemacht werden, so steht fr ihn fest, da allewahrhafte Vernderung innen zu beginnen hat. Der von Bhme abschlieendgegebene Literaturhinweis unterstreicht das Gesagte nochmals. Denn der
Wasserstein der Weisen bringt die Notwendigkeit der Selbstverwandlung desgottliebenden Chymisten voll zur Geltung.*
*) Ein vollstndiger, originalgetreuer Nachdruck der 1619 erstmals erschienenen Schrift liegtin der Ausgabe von 1661 vor. Aurum Verlag, Freiburg 1977. Ferner Gerhard Wehr: Diedeutsche Mystik. O.W. Barth Verlag, Mnchen 1988.
30. Sendbrief
Rose, Lilie und Weinstock sind die von Jakob Bhme hufig gebrauchtenSymbole zur Ankndigung des Neuen, nmlich des Sommers Christi und derLilienzeit (30,3). Das, wie schon angedeutet, Bemerkenswerte besteht nundarin, da Bhme nicht etwa als ein Unheilsprophet agiert, sondern da ihmvielmehr aufgetragen ist, das Wunder Gottes mitten im Feuer der Trbsal zuBabel als das Christusereignis des frhen 17. Jahrhunderts bewutzumachenund Menschen, namentlich die Empfnger der Theosophischen Sendbriefe,darauf vorzubereiten. Hinausgehen lie Bhme die Parole der wahren Sucherwenige Monate vor Abfassung dieses Briefs. Sie findet sich am Schlu der
Anfang 1622 abgeschlossenen wichtigen Schrift De signatura rerum (Von derGeburt und Bezeichnung aller Wesen):
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Eine Lilie blhet ber Berg und Tal in allen Enden der Erden; wer da suchet,der findet. Amen. (De sign. rer. 16,48)
31. SendbriefDie Theosophischen Sendbriefe Jakob Bhmes dienen der geistlichenOrientierung und der spirituellen Wegweisung, und zwar in einem doppeltenSinn: einmal sind es wie wir bereits in den vorausgegangenen Texten des 1.Teils gesehen haben Zeitdokumente. Dafr spricht die Datierung samt dengerade aktuellen Bezgen; diese sprechen dafr, wie aufmerksam Bhme dieVorgnge am Anfang des Dreiigjhrigen Krieges beobachtet und aus seinerSicht gedeutet hat. Zum andern aber dienen die Sendbriefe in einem hohenMae der geistlichen Fhrung und der spirituellen Unterweisung. Beide, der
zeitgeschichtliche und der seelsorgerliche Aspekt, hngen zusammen. Da essich nicht um sogenannte Lehr- und Schulungsbriefe handelt, sondern in derRegel um tatschliche Briefe, das zeigen von Fall zu Fall die eingestreutenMitteilungen technischer oder alltglicher Art.
Der vorliegende 31. Sendbrief bringt klar zum Ausdruck: Jetzt regiert derAntichrist in Babel bzw. in der durch Babel gefhrdeten Christenheit (31,2).Darunter sind aber nicht nur die spektakulren Zeitereignisse zu verstehen.Deshalb der ausdrckliche Hinweis: Wer zu gttlicher Beschaulichkeit undEmpfindlichkeit in sich selber gelangen will, der mu in seiner Seele den
Antichrist tten ... (31,4) Statt den Feind auf einen ueren Gegner, auf eineuere Situation oder Gefahr zu projizieren, gilt es, die Aufmerksamkeit auf dieeigene Problematik zu lenken. Hier hat der Proze einer tiefgreifendenUmwandlung des eigenen Wesens zu beginnen, wie er in Bhmes christosophi-schen Schriften* im einzelnen beschrieben ist.
*) Jakob Bhme: Christosophia. Ein christlicher Einweihungsweg. Insel Verlag Frankfurt/M.1991.
Standes- oder klassenmige Unterschiede darf es unter Christen letztlich nichtgeben (31,5). Vielmehr wird der Vorgesetzte, der bergeordnete auf seine
besondere Verantwortlichkeit hin angesprochen. Der einzige Orientierungspunktist Christus, und zwar der durch die Stufen der Passion hindurchgegangeneChristus. So wie Jesus Christus sich selber erniedrigte, so soll jeder einzelne auf dem Weg mystischer Verwirklichung seine Ichheit tten und in das neueLebenselement in Gottes Erbarmen eintauchen (31,6f). Dieser Vorgangentspricht einerseits einem Kampf mit dem inneren Antichrist, andererseitsgilt es, den Fall Adams zu korrigieren, soweit der einzelne mit Christus dazufhig ist (31,9f). Die Aufgabe als solche besteht in jedem Augenblick.
Diesen Vorgang, in dem der alte Adam stirbt und in dem Christus im Menschenerweckt wird, nennt Bhme das groe Geheimnis (Mysterium magnum), das bisin den Erkenntnisbereich hinein ausstrahlt (31,11). Wie ntig das ist!
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verdeutlicht Bhme mit dem Hinweis auf die theologisch verbrmte Streitsuchtin unserer vermeinten Religion, also im Protestantismus des frhen 17.Jahrhunderts, in dem sich die Wut der Theologen (rabies theologorum) austobt.Grundstzliche Bedeutung hat diese Notiz insofern, als die bloe Beschftigungmit Buchstaben, also mit Texten, mit Textkritik allein noch nicht gengt
(31,13) um das Wort in den Wrtern vernehmen zu knnen. Im brigen tuscheman sich nicht: Nur zu oft dient der Mantel Christi, der uere Anschein, dieuere Mitgliedschaft u.. dazu, das Wesen des unverwandelten alten Adamzu verdecken (31,14ff). Hier setzt Bhmes Kritik an, wonach sich gerade der
protestantische Christ mit einer von auen zugerechneten Gerechtigkeitzufriedengebe. Es ist eine Kritik, die bereits bei Thomas Mntzer, bei SebastianFranck im Reformationsjahrhundert, dann bei Valentin Weigel* laut wird.Gerade von ihm mu Bhme vielfltige Anste bekommen haben.
*) Gerhard Wehr: Die deutsche Mystik. O.W. Barth Verlag, Mnchen 1988, S. 230ff.
Das Miverstndnis vieler besteht darin, man werde allein aus Glauben undallein aus Gnaden vor Gott gerecht. Dies ist auch durchaus Luthers Lehre.Da sich jedoch daraus ganz bestimmte ethische und spirituelle Konsequenzenergeben, das wird allermeist bersehen. Aber gerade darauf komme es brigens auch bei Luther an, die Einwendung zu vollziehen und sich mitChristus zu verbinden (31,15ff). Das Ziel ist der geistliche Mensch (31,19).Im Grunde umkreist Jakob Bhme dieses Thema unablssig und immer in derAbsicht, die Leser seiner Schriften und Briefe anzuregen, um nun endlich dendafr ntigen Schritt zu tun. Und eben darin erweist sich der Autor der
Theosophischen Sendbriefe als Seelenfhrer, der diejenigen, die sich ihmanvertrauen, auf dem zu beschreitenden Weg ein Stck weit begleitet.
32. und 33. Sendbrief
Christian Bernhard, ein naher Freund des Meisters und eifriger Kopist vonBhme-Schriften (vgl. Theosophische Sendbriefe I), obliegt eine wichtigeMittlerfunktion. Dies geht aus dem vorliegenden Brief abermals deutlich hervor.
Bhme gibt, und er empfngt, was er zum Lebensunterhalt braucht an seinerliterarischen Lebensleistung gemessen freilich ein mehr als bescheidenesHonorar!
Bemerkenswert ist es, da der Autor seinem Kopisten und Verleger bisweilenberlt, welche Traktate schleunigst abgeschrieben werden sollen (32,2).
Natrlich war keiner der Briefe fr den Druck bestimmt.
Whrend der 32. Sendbrief mehr von der Mitteilung uerer Sachverhalte bestimmt ist, wird der durch Bhmes Anliegen beherrscht. Die Erwartung
Christian Bernhards, die spirituelle Erneuerung werde auch den alten Adam,das heit den Alltagsmenschen in einer allen sichtbaren Weise erfassen und ausder Alltglichkeit herausheben, kann Bhme nicht besttigen. Nur hin und
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wieder blitzt wie in einem freundlichen Anblick etwas davon auf, was in derVerborgenheit des inneren Menschen bereits geschehen ist (33,2). Das Lebendes Christen, der zu inneren Erlebnissen gelangt, bleibt konflikthaft. Das Lebenwird wohl reicher, aber nicht in einem trivialen Sinne leichter oder gar
bequemer!
Bhme spricht dabei aus eigener oft leidvoller Erfahrung. Gibt es dann gar keinueres Zeichen? Bhme antwortet (33,3): Man erwarte in keinem Falle etwasSensationelles. Aber in dem Ma, in dem ein Mensch den Aufgaben in dieserWelt gewachsen ist, indem er seine besondere Gabe einsetzt, in dem Maewird etwas transparent von dem, was er innen empfangen hat. Dabei ist schondie instndige Sorge um den rechten Lilienzweig (33,4) ein Indiz dafr, daein Proze begonnen hat und da der betreffende Mensch auf dem Weg ist.Bhme sieht seine Aufgabe als Seelenfhrer im besonderen darin, durch seinenZuspruch er sagt: Mahnung zu erwecken, Bewutsein zu bilden fr das,
was allein not tut. Das macht ihn zum Bruder in Christo, der sich fr alle dieverantwortlich fhlt, die ihn nach dem Weg nach innen fragen.
34. Sendbrief
Ein namentlich Unbekannter hat sich an Bhme gewandt. Die Antwort, diedieser Brief darstellt, zeigt, wie der Grlitzer Meister bei hnlicher Gelegenheitnun seinerseits den Kontakt aufnimmt. Er tut es, indem er den Fragesteller
darauf anspricht, wie er in den Lebensorganismus Christi eingewurzelt werdenknne (34,3).
Als einer, der selbst in diesem spirituellen Zusammenhang darinnensteht, bieteter dem Suchenden seine Hilfe an. Der Brief als solcher ist bereits ein sichtbaresZeichen dieser Bereitschaft zur Hilfe. Damit sich der Adressat ein Bild vonBhmes uerer und innerer Situation machen kann, stellt er sich mit einerknappen Selbstcharakteristik vor (34,6ff).
Das Wesentliche von den Lebensumstnden ist schon aus anderen biographisch
bedeutsamen Briefen bekannt (vgl. Theosophische Sendbriefe 10 und 12).Bemerkenswert ist aber Bhmes Bedrfnis, das zentrale Ereignis seines Lebensimmer wieder zu bezeugen. Dabei mu er gestehen, wie schwer er sich vorallem anfangs getan hat, das Erlebte in Worte zu fassen (34,10). Nicht wenigerliegt Bhme daran hervorzuheben, da die erfahrenen Widerstnde aus seinemLeben nicht wegzudenken sind. Im Gegenteil: Sie haben sich in seinem Lebenals eine notwendige und frderliche Hilfe erwiesen (34,14).
Immer wieder werfen die Zeitereignisse ihre Schatten auf das in den Theosophi-schen Sendbriefen Geschilderte. Bhme ist bestrebt, in derlei Vorgngen und
Beobachtungen eine gewisse Figur des knftigen Gerichtes (34,23) zu sehenund damit die Aktualitt von hherer Warte aus zu deuten.
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35. Sendbrief
Eine der groen Erschtterungen im Leben Jakob Bhmes besteht in derErkenntnis, da die Christenheit im Laufe ihrer Geschichte, ja sogar seit denTagen der Reformation selbst antichristlich (35,2) geworden ist. Hierin liegt
der Grund fr die Ausgieung des gttlichen Zornfeuers in Gestalt des Kriegs.Das kleine Huflein von Gottesfreunden ist zwar nicht der Anla des herein-gebrochenen Unheils, aber es ist den kriegerischen Zeitereignissen in gleicherSchrfe unterworfen wie alle anderen Menschen. Was fr die antichristlicheChristenheit Gericht bedeutet Bhme denkt und schreibt in endzeitlich-apokalyptischen Kategorien das wirkt sich fr die Kinder Gottes alsLuterung und als Stunde der Bewhrung aus. Hier heit es: standhalten.
Darum tut es gerade jetzt not, eine gelassene Seele zu bewahren und in denwahren Proze Christi (35,3) einzutreten, ihn zu durchlaufen, um den
Lilienzweig und die kstliche Perle zu erhalten. Das Reich Gottes steht auf demSpiel. In der wahren Gelassenheit (35,4) fngt dieses Reich an, fr deneinzelnen Wirklichkeit zu werden. Gemeint ist alles andere als passiveGleichgltigkeit, sondern vielmehr die innere Aktivitt des Mystikers, der sichselbst verleugnet, die Relativitt und Vorlufigkeit des Irdischen durchschautund der sich allein Gott hingibt, um schlielich dem Hochziel christlicherMystik, der unio mystica, teilhaft zu werden. So gesehen ist Jakob Bhme denMystikern zuzurechnen. Mystiker wie Meister Eckhart, Johannes Tauler,Heinrich Seuse, der anonyme Autor der weitverbreiteten Theologia deutsch
und viele andere haben Wesen und Wert dieser Gelassenheit herausgestellt.**) Vgl. Gerhard Wehr: Meister Eckhart in Selbstzeugnissen und Bilddokumenten. RowohltVerlag, Reinbek 1980; Theologia Deutsch. Eine Grundschrift deutscher Mystik, hg. vonGerhard Wehr. Edition Argo i. Dingfelder Verlag, Andechs/Obb. 1989.
Bhme selbst hat in seinem Bchlein Von wahrer Gelassenheit (enthalten indem Band Christosophia) diesem Thema seine besondere Aufmerksamkeitgeschenkt.
Im gleichen Zusammenhang (35,4) macht Bhme deutlich, da eben dieseSeelen- und Geisteshaltung Voraussetzung fr das Erkenntnisleben ist, und zwar
sowohl fr das Forschen in gttlicher Erkenntnis als auch fr das natrlicheErkennen. Wir werden nicht fehlgehen, wenn wir annehmen, da der Brief-schreiber hier an Paracelsus und an Valentin Weigel* anknpft. SprichtParacelsus von zwei Lichtern, die dem wahrhaft Erkennenden leuchten mssen,nmlich vom Licht der Natur und von dem Licht der Gnade, bzw. des HeiligenGeistes, so waren es im besonderen die Schriften des lutherischen Pfarrers vonZschopau, Valentin Weigel, der eben diesen Hinweis des Paracelsus in seineneigenen Arbeiten aufgenommen und weitergegeben hat. Zum Zeitpunkt der
Niederschrift dieses Briefes mu Bhme mit dem Weigelschen Schrifttum
bekannt gewesen sein, zumal es seit dem Jahre 1609 auch in gedruckter Formzugnglich war.
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*) 14 Vgl. Gerhard Wehr: Paracelsus. Aurum Verlag, Freiburg, 1979; derselbe: ValentinWeigel Der Pansoph und esoterische Christ. Aurum Verlag, Freiburg 1979.
Wesentlich ist allemal, da der Mensch in sich selbst im inneren Centro derSeele Gottes Wort vernimmt (35,5). Das uere buchstabische Wort (35,6),Gelehrsamkeit jeglicher Art, stellt keinen Ersatz dar, ja sie verursacht eher noch
die Illusion echter Weisheit, die damit jedoch nicht gegeben ist. Der Geistkommt eben nicht von der hohen Schule! Wahre Erkenntnis Bhme sagt:der rechte Verstand grndet im lebendigen Wort Gottes, impulsiertdurch den Heiligen Geist (35,7).
37. Sendbrief
Welche groe Bedeutung Carl Ender von Sercha im Leben Bhmes spielt,
wurde bereits gesagt (vgl. Theosophische Sendbriefe I). Dieser kurze Briefunterstreicht nun Bhmes Einschtzung des Junkers als seinen von Gottzugefgten Patron, dem er in einem hohen Mae, nmlich soviel schuldig seials meiner eigenen Seelen. Ender, der auf seine Weise an der Verbreitung derAurora groen Anteil gehabt hat, erfhrt, da ein neues Werk aus der Feder desMeisters zu erwarten sei: Mysterium magnum (deutscher Titel: Erklrung berdas erste Buch Mosis; 1622/23). Dieses umfangreichste Buch Bhmes umfat inder Gesamtausgabe von 1730 gegen 900 Druckseiten. Es stellt einen Genesis-Kommentar dar. Im Gegensatz zu seinem Erstling Aurora hat Mysterium
magnum bei weitem nicht die gleiche Beachtung gefunden.Carl Ender kann diesem Brief zufolge den Anspruch erheben, bei unseren
Nachkmmlingen als Frderer der Theosophie anerkannt zu werden. Das istauch kaum zu bestreiten. Schlielich ist aufschlureich, wie Bhme sein Schrei-
ben signiert: Indem er mit Teutonicus unterzeichnet, gibt er zu erkennen, daer den Titel seines Freundes Dr. med. Balthasar Walther (vgl. TheosophischeSendbriefe I) angenommen hat. Er versteht sich somit selbst als Philosophusteutonicus, zumindest Freunden gegenber, die diese anspruchsvolle Titulaturnicht nur nicht miverstehen, sondern Bhmes tatschliche Lebensleistung
bereits abzuschtzen vermgen.
38. Sendbrief
Fr Jakob Bhme ist die kumene des Geistes eine immer wieder zu machendeErfahrung, nmlich dann, wenn er einem Menschen begegnet, der einwachsender Zweig am Lebensbaum Gottes in Christo ist (38,2). Auch in demungenannten schlesischen Adeligen des 38. Sendbriefs hat der Briefschreibereinen solchen Menschen erkannt. Diese Wahrnehmung bedeutet fr Bhmesogleich die Verpflichtung mit ihm im Weinberg Christi ttig zu sein, das
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heit zur spirituellen Arbeitsgemeinschaft zu gelangen. Es entsteht die Solidari-tt derer, die die bestrzenden Zeitereignisse weniger wichtig nehmen als esblich ist, und die sich vor allem nicht durch gldene Gnadenmntel oderdurch von auen angenommene Gnadenkinder irritieren lassen.
Bhme tritt jenen entgegen, die sich damit begngen, die reformatorische
Erkenntnis von der Rechtfertigung des Gottlosen allein aus Gnaden zuzu-sprechen, ohne da in ihnen eine wirkliche Wesenswandlung erfolgt. Das heit:sich mit fremden Schein trsten. Prfstein ist, ob der Christ aus Gott geboren,in Christus lebt, dessen Sterben und Auferstehen in sich selber durchmacht(38,4). Erst unter dieser Voraussetzung kann von dem Mysterium magnum desMenschen gesprochen werden (38,6). Nur von einem erneuerten Menschen sindentsprechende Frchte zu erwarten (38,7).
Ein unverwandelter Mensch gleicht in Bhmes Augen einem falschen Tier(38,8), dem man Christi Purpurmantel umhngen mchte eine im Protes-tantismus weithin gebte und daher von Bhme gergte Praxis. Einen Maul-christen hat schon Valentin Weigel einen genannt, fr den das Christentumnicht mehr als bloes Gerede und als theologischer Formelkram ist. Deshalb istkeiner im Vollsinn des Wortes ein Christ, er sei denn aufs neue mit dem GeistChristi tingieret (38,9). Die Vokabel tingieren (Tinktur) stammt aus demWort-schatz der Alchymisten und besagt hier eben das vllige Durchtrnktseinvon dem Lebenselement des Christus. Am Urstnden in der Christus-wirklichkeit liegt alles.
Es sind daher vermeint(liche) Religionen (38,13), die in der ffentlichkeitden Ton angeben. Sie erschpfen sich im Streit und in pseudotheologischerRechthaberei. Selig macht aber allein der Christus in uns, nicht aber das bloeFr-wahr-Halten orthodoxer Bekenntnisformeln. Deshalb lasse man den GeistGottes in seinem Denken sein (38,15), rt der Briefschreiber.
39. Sendbrief
Bhmes Bestreben ist es, dem Theologengeznk zu entgehen, ja wenn mglich,es beenden zu helfen. Seine eigenen Erfahrungen sind freilich die, da kritischeBetrachter seiner Darlegungen viele Einwrfe machen (39,4). Manches deutetdaraufhin, da der Schreiber dieser Briefe und Schriften sich schwerlich
behaupten konnte, wenn es hin und wieder zu einem Disput kam. Das warbeispielsweise 1622 der Fall.
Anfang 1623 entstand das Buch Von der Gnadenwahl, das der Autor als einesseiner klarsten betrachtete, und von dem Leopold Ziegler an Reinhold Schneiderschrieb, er zhle das Buch zu den tiefsten Erleuchtungen der ganzen
Christenheit. (Vgl. die Einfhrung zur Neuausgabe Von der Gnadenwahl des InselVerlags.)
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Der vorliegende Sendbrief ist in diesem Zusammenhang zu lesen. Mit dieserSchrift hofft Bhme dem Streit ber die Frage nach der Vorherbestimmung(Prdestination), wie er seit langem zwischen Lutheranern und Reformierten,und nicht nur zwischen ihnen, ausgetragen wird, ein Ende zu machen (39,6). Ergibt sich zuversichtlich, meint er doch Anzeichen zu sehen, die dafr sprechen,
da dem so sei. Wer in Christi Geist lebt und Frchte trgt, dem sind unter-schiedliche Meinungen (Interpretationen und theologische Erklrungs-versuche) im Grunde belanglos (39,10). Wieder hngt alles von dem Mysteriumdes Sterbens und des Erwecktwerdens ab. Die strikte Ablehnung der auen zugerechneten Gnade auch hier (39,12). Bhme stellt das Verdienst Christi unddie Wirklichkeit der Gnade keineswegs in Frage. Worauf es ihm ankommt, dasist die Zuordnung von Wiedergeburt und Begnadung (39,16).
Der Rest dieses Briefes stellt eine summarische Antwort auf Fragen nachUrstand, Fall und Wiederbringung des Menschen dar, ber die Bhme an
anderer Stelle wiederholt geschrieben hat. Sein bereits erwhnter Genesis-Kommentar Mysterium magnum ist eine breit angelegte Darlegung dieserZusammenhnge. Auf dieses Buch verweist der Autor.
40. Sendbrief
Der Brief an den Arzt Dr. Krause bezieht sich ebenfalls auf den lebhaftenGedankenaustausch zum Thema der Gnadenwahl. Ein Widerpart ist Balthasar
Tilke, ein Schwager des Briefempfngers (vgl. Sendbrief 34). Bhme bemhtsich um eine Diskussion, die persnliche Verunglimpfung zu vermeiden, aberauch abzuwehren (40,3). Dabei pocht er nicht etwa auf sein Talent, sondernrumt ausdrcklich ein, da auch anderen Gaben anvertraut sind (40,14). Dashindert ihn nicht hervorzuheben, wie er stets vom spirituellen Centro und vomallerinnersten Grund her die Schrift zu deuten sucht. ScheinbareWidersprche der Bibel gilt es zu beleuchten (40,4). Whnen und Meinungsind vorgefate Urteile oder theologische Rechthabereien, die nicht vomgttlichen Geist getragen sind (40,6). Das innerliche gttliche Licht (40,9)
allein erffnet wahre Schrifterkenntnis. Das ist auch die Basis fr Bhmesgesamte spirituelle Hermeneutik.
Da dieses Licht auch und gerade einem ungebildeten albernen Menschen wieihm selber geleuchtet hat (40,17), ist fr Bhme ein immerwhrender Anla zurVerwunderung. Er ist freilich der Meinung, da die Zeit einer, eben dieser neuenErkenntnisart angebrochen sei (40,16f). Ein neues Sein entspricht diesem neuenBewutsein, nmlich das Sein in Christus (40,20)
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41. Sendbrief
Abraham von Franckenberg (1593-1652) ein juristisch gebildeter Landedelmannzu Ludwigsdorf bei Oels, nimmt in der Bhme-Schule eine wichtige Stellungein. Bhme beeindruckte den mystisch interessierten jungen Mann, als er ihm
1622 begegnete. Er wurde Bhmes erster Biograph, auch zur Sammlung desBhme-Nachlasses trug er bei. Und, was dabei kaum weniger wichtig ist:Franckenberg beeinflute in spteren Jahren den wesentlich jngeren AngelusSilesius Johann Scheffler (1624-1677), ja er vermachte ihm seineHandbibliothek und sorgte so fr Kontinuitt.*
*) ber Abraham von Franckenberg vgl. Will-Erich Peuckert:Das Rosenkreuz, 2. neugefateAufl., Berlin 1973, S. 217-328; derselbe:Pansophie: . Aufl. Berlin 1976.
Der vorliegende Brief informiert ber einige Umstnde jenes Weihnachten 1622stattgefundenen Disputs zwischen Bhme und zahlreichen Gebildeten, unter
denen sich auch Abraham von Franckenberg befand.Durch Bhme erfahren wir nun, weshalb er damals seinen Gesprchspartnernoffensichtlich nicht gewachsen war: Man sprach immer wieder lateinisch, vorallem war er durch die ungewohnten alkoholischen Getrnke (41,2) berfordert.Sie verdeckten den subtilen Verstand des Meisters, das heit sie dmpftensein Bewutsein. So kam gerade das nicht zum Vorschein, was die nachSchulen-Art Gebildeten allein htte berzeugen knnen.
Bemerkenswert an diesem Brief ist das Postskript, das der Herausgeber der
Ausgabe von 1730 wie ein gesondertes Schreiben behandelt, indem er mit derZhlung der Verse nochmals beginnt. Bhme schlgt einen ausgesprochenprophetisch-apokalyptischen Ton an. Das aktuelle Thema der ZerbrechungBabels, d.h. der Aufhebung der alten Lebensverhltnisse im Menschen, inKirche und Welt, beschftigt Bhme ja in vielen seiner Sendbriefe. Hier redet erdurchwegs in einer Bildsprache, wie sie von den alttestamentlichen Schrift-
propheten, aber auch von der Johannes-Offenbarung her bekannt ist. Und da istauch das Mysterienbild vom Aufgang der Sonne in der Finsternis derMitternacht (9), ein Signal der Hoffnung auf das anbrechende, zur Offenbarungdrngende Neue, das aus dem Scho tiefer Finsternis geboren werden soll.
Wenn der Postillion aus dem Grunde der Natur angekndigt wird (14), sodenke man nicht an die biedermeierliche Figur eines Postkutschenfahrers! Hierspricht ein Apokalyptiker! Gemeint ist die Posaune des Gerichts, deshalb dasber die Erde ausgereckte Schwert ... Ein neues Feuer wird offenbar; derGnadenbrunnen tut sich auf; die Heilszeit fr die Elenden dieser Erde bricht an!
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42. Sendbrief
Der Briefwechsel zeigt, wie hart sich Bhmes Zeitgenossen mit der Frage nachder Willensfreiheit taten. Der 42. Brief stellt den Versuch einer knappen Zusam-menfassung dessen dar, was in der Schrift Von der Gnadenwahl ausfhrlich
behandelt ist.Bhme liegt daran, da das Problem als solches bewltigt werde (42,9). Fr ihnist das nicht eine Frage gedanklicher Auseinandersetzung. Vielmehr ist eineWendung nach innen, in den Zustand der geistigen Schau vonnten: Wenn ichin das Zentrum eingehe, so finde ich allen Grund. (42,11). Das zunchst dunkeloder widersprchlich Anmutende wird sonnenklar. Die Heilsgeschichte tutsich dem von innen Betrachtenden auf. Bhme zeigt, wie er diesen Vorgangerlebt (41,12f).
In das Universal Christi (42,14) eingehen, heit: Christus in seiner trans-personalen, kosmischen Flle mystisch erfassen lernen. Sie ist grer als dasmenschliche Herz, auch grer als die Gegenstze von Gut und Bse (42,15).Dieses Grere, das gttliche Licht und die gttliche Liebe liegt in jedem, auchim gottlosen Menschen verborgen (42,15). So ist es nach Bhmes berzeugungin der Willensfreiheit des Menschen beschlossen, dieses Licht und diese Liebezu ergreifen (42,22ff). Das Nichtwollen ist im Wege ... (42,26). Der ZornGottes ist letztlich nur Ursache und Ansporn des Liebeswillens Gottes(42,29).
Schlielich ist der Brief Ausdruck des Ringens Bhmes um die Erkenntnis beiseinen theosophischen Schlern. Da darf die Berufung auf die eigeneInnenerfahrung (42,31) ebenso wenig fehlen wie der glhende Eifer (42,34ff),diese Erfahrung beim Briefpartner zu entfachen. Das ist ohnehin die Intention,die den theosophischen Briefwechsel bestimmt. Und Bhme denkt nicht alleinan den unmittelbaren Empfngerkreis, denn: Eine Lilie grnet allen Vlkern.Wohl denen, welche sie ergreifen! (42,44).
43. Sendbrief
Bhme hat auf persnliche Probleme des ungenannten Fragestellers zuantworten. Die Antwort fllt naturgem so aus, da er deutlich macht, worindie Problematik und die zu lsende Aufgabe letztlich besteht, nmlich darin, dasDrachenhafte in und am Menschen durch und in die Liebe Christi zutransmutieren. Das Bild eines alchymistischen Wandlungsprozesses wird
beschworen (43,5) in dem Alchymist und Substanz, Schauplatz und Ziel derMensch selber ist.
Wichtig ist zweifellos die Feststellung, da die persnlichen Schwierigkeitendes Ungenannten bereits ein Indiz dafr seien, da Christus am Werk ist (43,6):Wo er nicht wre, da gbe es keinen Streit, keine Auseinandersetzung seinet-
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wegen. Zweifellos eine bedenkenswerte seelsorgliche Anregung!
44. und 45. Sendbrief
Wenngleich beide Briefe zeitlich einige Monate auseinanderliegen, so ist dochdie Aufeinanderfolge durch das gleiche Motiv gerechtfertigt: Bhme hat nichtnur eine Lehre zu vermitteln. Er will ja als Seelenfhrer dazu beitragen, da einspiritueller Proze in Gang kommt. Deshalb ist es wichtig und beglckend frihn, bei seinen Freunden Anzeichen wahrzunehmen, die darauf deuten, dainnere Fortschritte gemacht werden.
Johann Sigmund von Schweinichen auf Schweinhaus (44,3) hat nicht allein ansich selbst von den erneuernden Krften erfahren. Er war es auch, der mitBhmes Einwilligung einige der christosophischen Traktate Ende 1623 inGrlitz im Druck erscheinen lie. (Die Texte sind enthalten in Jakob Bhme:Christosophia. Ein christlicher Einweihungsweg.)
Zu solchen Menschen gewinnt der Seelenfhrer ein geradezu brderlichesVerhltnis. Da Christian Bernhard zu diesem Kreis von M