Transcript
Page 1: Therapiekonzepte bei kraniofazialen Dysmorphien

6

Osteopathische MedizinP R A X I S & T E C H N I K

14. Jahrg., Heft 4/2013, S. 6–11, Elsevier GmbH, www.elsevier.de/ostmed

Therapiekonzepte bei kraniofazialen DysmorphienGabi Prediger*, Steven von Gernet**

KeywordsCraniofacial dysmorphism, craniosynosto-sis, plagiocephaly, brachycephaly, molding helmets, cranioplasty

auch Neurochirurgen) zu verbessen. Nur wenn die einzelnen Akteure im Gesundheitswesen Einblick in die Tätigkeitsfelder der anderen Disziplinen erhalten, können unsere Patienten bestmöglich betreut und rechtzeitig in die richtigen Hände weiterleitet werden.

Grundlagen

Unter einer kraniofazialen Dysmorphie wird eine von der Norm abweichende morphologische Unverhältnismäßig-keit von Kopf und Gesicht verstanden. Zu diesen Fehlbildungen im Kopf- und Gesichtsbereich zählen die Kraniosyn-ostosen, die Plagiozephalie und die Brachyzephalie.

Kraniosynostose

Von einer Kraniosynostose wird gespro-chen, wenn sich eine oder mehrere Schädelnähte des Säuglings frühzeitig verschlossen haben. Bei einer isolierten Verknöcherung der Schädelnähte ist die Ursache der Störung bis heute nicht be-kannt [1]. Kinder, bei denen ein geneti-scher Defekt beispielsweise das Apert-, Pfeiff er- oder Crouzon- Syndrom ausge-löst hat, leiden ebenfalls unter einer Kra-niosynostose. In Deutschland kommt auf 2.000–2.500 Geburten ein Kind, bei dem ein vorzeitiger Nahtverschluss fest-gestellt wird [2]. Das eingeschränkte Wachstum und die eingeschränkte Mo-bilität im Bereich der verschlossenen Naht können Ursachen für verschiedene „anormale“ Kopff ormen sein.

ZusammenfassungDer folgende Artikel soll eine Brücke schlagen zwischen Osteopathen, Kinderärzten und Chi-rurgen. Dazu werden die verschiedenen For-men der kraniofazialen Dysmorphien und ihre Folgen beschrieben. Bei der Diagnostik der Plagiozephalie und der Brachyzephalie (syn-ostotisch oder lage bedingt) spielen die Anam-nese und das klinische Bild eine grundlegende Rolle. Neben der osteopathischen Behandlung der Plagiozephalie und der Brachyzephalie gibt es andere Behandlungsmöglichkeiten, die dem Osteopathen bekannt sein sollten und hier vor-gestellt werden. In einem weiteren Abschnitt werden die verschiedenen Formen der Kranio-synostose erläutert. Schon die Sichtdiagnose und die klinische Untersuchung können auf den Verschluss einer oder mehrerer Schädel-nähte hinweisen. Bildgebende Untersuchun-gen können weitere Informationen liefern. Die Th erapie erfolgt operativ.

SchlüsselwörterKraniofaziale Dysmorphie, Kraniosynos-tose, Plagiozephalie, Brachyzephalie, dyna-mische Kopforthese, Kranioplastik

AbstractWith this article, a bridge shall be built between osteopaths, pediatricians and sur-geons. Th e diff erent forms of craniofacial dysmorphism are therefore described. In diagnosis of plagiocephaly and brachy-cephaly (synostotic or deformational) anamnesis and the clinical picture are essential. Imaging techniques can give further information. In addition to the osteopathic treatment there are various options of treatment, that should be known by osteopaths. Common forms of cranio-synostosis, the diagnostic possibilities and surgical therapy will be shown.

* Gabi Prediger absolvierte von 1997 bis 2002 die Osteopathieausbildung am Deutschen Osteopathie Kolleg (DOK). 2005 eröff nete sie die Osteopathiepraxis „Praxis am Schloss“ in München. Seit 2006 ist sie Geschäft sführerin des Registers für traditionelle Osteopathie in Deutsch-land (ROD). 2008 wurde ihr die Leitung der Exekutive des Deutschen Osteopathie Kolleg übertragen. In der Bundesarbeitsgemeinschaft Osteopathie e.V. (BAO) gehört sie seit 2010 dem Vorstand an. Sie ist Mitherausgeberin der Zeitschrift „Osteopathische Medizin“.

** Dr. med. Steven von Gernet studierte Humanmedizin an der Ludwig-Maximilians-Universität München von 1985 bis 1992. Seit 1994 arbeitet er am Klinikum München-Bogenhausen des Städtischen Klinikums München, in der Klinik für Neurochirurgie (seit 1996) und in der Klinik für Plastische- und Rekonstruktive Chirurgie (1997). Dort leitet er seit 2003 als Oberarzt den Funktionsbereich der Kraniofazialen Chirurgie. Steven von Gernet ist Mitglied des wissenschaft lichen Beirats der Elterninitiative Apert-Syndrom und verwandte Fehlbildungen e.V.

Eltern, die mit der Diagnose einer Kraniosynostose, einer Plagiozephalie (frontal und/oder okzipital) oder einer Brachyzephalie ihres Kindes konfron-tiert werden, fühlen sich mit ihren Ängsten und Unsicherheiten bezüglich der Gesundheit und der Zukunft ihres Kindes oft allein gelassen. Sie müssen Entscheidungen über Operationen, dynamische Kopforthesen und Behand-lungen treff en, von denen sie bis dato nicht einmal wussten, dass es sie gibt. Gespräche mit Kollegen zeigen, dass auch ihr Wissen über diese Krankheits-bilder und die Möglichkeiten der Behandlungen oft nicht ausreicht, um den Eltern die nötige Unterstützung zu bieten. Im Folgenden sollen daher die verschiedenen Formen der Kraniosyn-ostosen des Plagiozephalus und der Brachyzephalie (synostotisch oder lagebedingt) mit den klinischen Merkmalen, die Möglichkeiten der weiterführenden Diagnostik und die Behandlungsmöglichkeiten, die neben der Osteopathie existieren, beschrieben werden. Auf die osteopathischen Be-handlungsansätze, die in der Osteopa-thischen Medizin mehrfach beschrieben wurden, soll in diesem Artikel nicht ein-gegangen werden. Unser Ziel ist es zu helfen, die Zusam-menarbeit von Osteopathen, Kinderärz-ten und Chirurgen (plastischen oder

++OM_04_2013.indb 6++OM_04_2013.indb 6 18.11.2013 13:53:4618.11.2013 13:53:46

Page 2: Therapiekonzepte bei kraniofazialen Dysmorphien

7

Osteopathische MedizinP R A X I S & T E C H N I K

14. Jahrg., Heft 4/2013, S. 6–11, Elsevier GmbH, www.elsevier.de/ostmed

Abb. 1: a Trapezförmige Deformität bei isolierter Koronarnahtsynostose, b parallelförmige Deformität bei lagebedingtem Plagiozephalus. (Aus Mulliken 1999 [22])

Plagiozephalus

Unter einem Plagiozephalus versteht man eine Schiefk öpfi gkeit. Diese kann sich sowohl im Gesichtsschädelbereich als auch am Hinterkopf zeigen. Man unterscheidet eine vordere und eine hintere Plagiozephalie. Die Ursachen einer vorderen Plagiozephalie sind häufi g primär (genetische Disposition), wie z.B. der Verschluss einer der Koronarnähte (Kranznähte).Der hintere Plagiozephalus entsteht meist sekundär durch intrauterine Fehllagen, Zwillingsschwangerschaft en, Beckenendlagen usw. Häufi g wird er erst in den ersten 1–2 Lebensmonaten nach der Geburt deutlich. Ihm können Funk-tionsstörungen der Halswirbelsäule mit eingeschränkter Rotation und Seitneige vorausgehen. Der betroff ene Säugling liegt in einer Vorzugshaltung mit rotier-tem Kopf und gegensinniger Seitneige. Diese Position hat zur Folge, dass das noch weiche und elastische Gewebe des Hinterkopfes durch das Eigengewicht des Schädels zunehmend verformt wird. Versuche, durch visuelle oder akustische Reize das Kind dazu zu bewegen, den Kopf in die entgegengesetzte Richtung zu drehen, bleiben in den meisten Fällen ohne Erfolg. In den vergangenen Jahren sahen wir in den osteopathischen Praxen immer mehr Kinder mit einem Plagiozephalus. Ein Grund hierfür ist die Empfehlung der American Pediatric Society [3], die sich 1992 als Prophylaxe gegen den plötzlichen Kindstod unter anderem für die Lagerung der Säuglinge in Rücken-lage aussprach. Auch die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufk lärung (BZgA) empfi ehlt neben anderen Maßnahmen die Lagerung der Säuglinge auf dem Rücken. Durch die Aufk lärung der Eltern und die Umsetzung dieser Emp-fehlungen hat sich die Rate der Fälle des plötzlichen Kindstods deutlich reduziert (www.kindergesundheit-info.de/the-men/risiken-vorbeugen/ploetzlicher-kindstod-sids/sids/). Dr. A. Capone-Mori von der Universi-täts-Kinderklink in Zürich berichtet, dass sich die Zahl der lagebedingten Pla-giozephalien in den Jahren 1992–1994

im Vergleich zu den vorangegangenen 13 Jahren versechsfacht hat [4]. Auch die oft stundenlange Immobilisierung der Kinder in Trageschalen oder Wippen muss als ein Faktor für eine Asymmetrie berücksichtig werden.

Klassifi zierung der PlagiozephalieDie Plagiozephalie wird in 5 Typen un-terschieden:• Typ 1: einseitige Abfl achung des

Okziput• Typ 2: zusätzlich gleichseitige

Verschiebung der Schädelbasis und des Ohres der betroff enen Seite nach ventral

• Typ 3: zusätzlich Abfl achung des Os frontale der kontralateralen Seite

• Typ 4: zusätzliche Gesichtsskoliose mit einer Asymmetrie im Bereich der Zygoma

• Typ 5: zusätzliche Verformung in kranialer oder temporaler Richtung

FolgenSchon in den ersten Monaten ist fest-zustellen, dass ein Säugling mit ausge-prägter Asymmetrie die Hand häufi ger einsetzt, zu der Kopf hinrotiert ist. Die Seitneigung der Halswirbelsäule wird mit einer Rumpfrotation zur Gegen-seite kompensiert. Drehen erfolgt aus-schließlich über die Seite der Rotation. Die symmetrische Entwicklung der Muskulatur wird gestört. Welche Spätfolgen sich aus der Nichtbehandlung einer Plagiozephalie ergeben, kann nicht mit Bestimmtheit

gesagt werden. Es kommen Skoliosen, Haltungsasymmetrien, off ener oder Kreuzbiss, Kiefergelenkprobleme, Beckenfehlstellungen, Kopfschmerzen und Verdauungsstörungen in Betracht. Eine Studie aus den USA stellte bei Kindern mit einem Plagiozephalus eine signifi kant höhere Rate mentaler und psychomotorischer Verzögerungen fest [6]. Auch die ästhetische Komponente sollte nicht außer Acht gelassen werden.

Brachyzephalus

Unter einem Brachyzephalus versteht man einen Kopf, der im Bereich des Okziput symmetrisch abgefl acht ist. Die Ursachen sind auch hier meist Funkti-onsstörungen in der Halswirbelsäule und die Lagerung auf dem Rücken.

Diagnostik

Bei der Diagnostik ist in erster Linie wichtig sicherzustellen, dass es sich bei der Asymmetrie oder der symme-trischen Abfl achung um eine lagebe-dingte Störung handelt und nicht um eine primäre Nahtsynostose. Ersten Aufschluss geben die Anamnese bzw. die Erzählung der Mutter über die Schwangerschaft und die Geburt. Berichtet die Mutter über Komplika-tionen, Zwangslagen des Kindes durch Zwillingsschwangerschaft, Be-ckenendlage, eingeschränkte Mobilität des Fetus, z.B. durch die Nabelschnur oder zu viel Fruchtwasser (Hydram-

++OM_04_2013.indb 7++OM_04_2013.indb 7 18.11.2013 13:53:4618.11.2013 13:53:46

Page 3: Therapiekonzepte bei kraniofazialen Dysmorphien

8

Osteopathische MedizinP R A X I S & T E C H N I K

14. Jahrg., Heft 4/2013, S. 6–11, Elsevier GmbH, www.elsevier.de/ostmed

nion), oder von einer traumatischen Geburt, kann dies ein erster Hinweis auf die Ursache einer Funktionsstö-rung der Halswirbel und der Kopfge-lenke sein.Auch die Aussage der Eltern über die Kopff orm direkt nach der Geburt und die Entwicklung des Kopfes in den ersten Wochen bzw. Monaten ist für die Diagnostik ein wichtiger Anhalts-punkt. In der Regel können die Suturen bei Säuglingen gut palpiert werden, bei Synostosen ist neben der aufgehobenen Mobilität im Bereich einer Sutur auch ein deutlicher Knochenwulst zu sehen und zu spüren. Ein weiteres Unter-scheidungsmerkmal ist die Kopff orm (Abb. 1). Besteht Unklarheit ob es sich tatsächlich „nur“ um eine lagebedingte Asymmetrie handelt, muss das Kind auf jeden Fall an einen Kinderarzt oder Facharzt verwiesen werden.

Behandlung bei Plagio- und BrachyzephalieSelbstverständlich steht, dem osteopathi-schen Konzept folgend, die Suche nach der Ursache und ihre Beseitigung im Vordergrund. Das gilt sowohl für die iso-lierten Funktionseinschränkungen der HWS als auch für alle anderen Dysfunk-tionen, die diese Zwangshaltungen mit hervorrufen. Weitere Informationen zu den osteopathischen Behandlungsansät-zen der Plagiozephalie und der Haltung-sasymmetrie wurden bereits in der Os-teopathischen Medizin erläutert [7–9].Für einen möglichst raschen Behand-lungserfolg sind Anleitung und Mitar-beit der Eltern von größter Wichtigkeit, um die gewonnene Bewegungsfreiheit zu manifestieren. Hierzu zählen das Handling, das seitliche Aufnehmen des Säuglings, Lagerung des Kindes, Trai-ning der Bauchlage („tummy time“), Drehen des Kinderbetts, Ansprechen von der rotationsabgewandten Seite und die Vermeidung von Trageschalen, um nur einige Punkte zu nennen.Das prozentual größte Wachstum des Kopfes fi ndet im ersten Lebensjahr statt. Deshalb ist eine frühzeitige Th e-rapie für eine vollständige Korrektur

sehr wichtig. Die allgemeine Aussage „Das verwächst sich“ können wir nicht teilen. Die durch die empfohlene Rückenlage entstandene Abfl achung kann durch die vorhandenen Selbsthei-lungskräft e (intrakranieller Druck und Hirnwachstum) nicht korrigiert wer-den [19]. Bei anhaltender Vorzugshal-tung kommt es zu einer immer weite-ren Abfl achung mit der Entstehung einer Kante am Hinterkopf. Trotz zunehmender motorischer Ent-wicklung ist das Kind meist nicht in der Lage, der Zwangshaltung zu entfl iehen. Ein stark abgefl achter Hinterkopf wird bei Entspannung und im Schlaf immer wieder auf der fl achen Stelle zur Ruhe kommen. Für den Säugling wird es im-mer schwieriger, die entstandene Asymmetrie durch eigene Muskelkraft zu überwinden. Das große Schädelwachstum der ersten Lebensmonate, das hiermit verbundene Potenzial zur Korrektur und die konse-kutiven Schwierigkeiten einer länger bestehenden ausgedehnten Plagioze-phalie machen die Notwendigkeit einer frühen Behandlung deutlich. Bei Säug-lingen, die eine starke Plagiozephalie oder Brachyzephalie aufweisen und erst spät beim Osteopathen vorgestellt werden, sollte immer die Möglichkeit einer adjuvanten Helmtherapie in Betracht gezogen werden. Die dynami-schen Kopforthesen werden nach manueller Messung, Messung mithilfe der Lasertechnik oder nach Kopfscann

(3D-Fototechnik), die für das Kind nicht belastend und stressfrei sind, angefertigt. Nach einer Eingewöhnungs-zeit müssen die Helme täglich für 23  Stunden getragen werden. Das Tragen dieser aus sehr leichtem Material (außen Polyethylen [Kunststoff ], innen Polyurethan [geschlossen-poriger Hartschaum]) gefertigten Helme stellt für die Kinder im Allgemeinen kein Problem dar (Abb. 2). Der Helm sollte am besten im fünft en Lebensmonat angefertigt und je nach Schweregrad zwischen 4 und 8 Monate getragen werden (manchmal auch län-ger). Während der Helmtherapie wird das normale Wachstum des Kopfes nicht eingeschränkt; es wird lediglich in die richtige Richtung gelenkt, denn der Helm wird fortwährend nach den aktuellen Erfordernissen an den Kopf angepasst. Unsere Erfahrung in der Praxis hat gezeigt, dass es sinnvoll ist, neben der Versorgung mit einer Kopf-orthese das Kind regelmäßig osteopa-thisch zu behandeln. Durch diese kom-binierte Behandlung werden in der Regel bessere Ergebnisse erzielt. Wird eine Funktionseinschränkung frühzeitig diagnostiziert und behan-delt, kann eine lagebedingte Plagioze-phalie verhindert oder minimiert werden. Es sollte deshalb unsere Auf-gabe sein, Hebammen und Kinderärzte über die Möglichkeiten der osteopathi-schen Behandlung dieses Krankheits-bildes aufzuklären.

Abb. 2: Dynamische Kopforthese (© Dr. med. C. Blecher, Cranioform)

++OM_04_2013.indb 8++OM_04_2013.indb 8 18.11.2013 13:53:4618.11.2013 13:53:46

Page 4: Therapiekonzepte bei kraniofazialen Dysmorphien

9

Osteopathische MedizinP R A X I S & T E C H N I K

14. Jahrg., Heft 4/2013, S. 6–11, Elsevier GmbH, www.elsevier.de/ostmed

Abb. 4: Skaphozephalus (klinisch)

Abb. 8: Anteriorer Plagiozephalus (klinisch)

Abb. 7: Anteriorer Plagiozephalus (schematisch)

Abb. 5: Trigonozephalus (schematisch)

Kraniosynostosen

SichtdiagnoseAuch wenn dieses Krankheitsbild in Relation selten vorkommt, kann es sein, dass Kinder mit dem Verschluss einer oder mehrerer Schädelnähte als Patienten in die Praxis kommen. Meist wurde die Diagnose schon in der Geburtsklinik oder vom Kinderarzt gestellt. Manchmal ist es aber der Osteopath, dem das Kind auff ällig erscheint und der es zur weiteren Di-agnostik an die Fachärzte verweisen muss. Schon die Form des Kopfes kann auf den Verschluss einer oder mehrerer Schädelnähte hinweisen. Im Folgenden werden die häufi gsten kurz vorgestellt.

Skaphozephalus (Kahnschädel)Verschluss der Sagittalnaht (Abb. 3)• Langer Längsdurchmesser des Schä-

dels (tastbarer sagittaler Knochen-wulst)

• Verkleinerter Querdurchmesser (v.a. hinten)

• Vorgewölbte verbreiterte vordere Schädelgrube

• Ausladender Hinterkopf (Abb. 4)

Trigonozephalus (Dreiecksschädel)• Verschluss der Metopicanaht (Abb. 5)• Hypotelorismus (verringerter Au-

genabstand)• Kielförmige Stirn (tastbarer Kno-

chenwulst)• Abgefl achte Parietalregion (Abb. 6)

Anteriorer Plagiozephalus (vorderer Schiefschädel)• Einseitiger Verschluss der Koronar-

naht (Abb. 7)• Abgefl achte Stirn auf der betroff enen

Seite• Orbita nach oben und hinten gezogen• Abgefl achte zurückgesetzte Supraor-

bitalspange mit teils ungenügender Bulbusbedeckung

• Kompensatorisch vorgewölbte Stirn auf der Gegenseite

• Schädel- und Gesichtsskoliose (be-trifft auch die Schädelbasis; Abb. 8)

Abb. 3: Skaphozephalus (schematisch) Gelb: verschlossene Schädelnaht, breiter Pfeil: vermehrtes Wachstum, schmaler Pfeil: verringertes Wachstum

Abb. 6: Trigonozephalus. a Klinisch, b im 3D-CCT

++OM_04_2013.indb 9++OM_04_2013.indb 9 18.11.2013 13:53:4718.11.2013 13:53:47

Page 5: Therapiekonzepte bei kraniofazialen Dysmorphien

10

Osteopathische MedizinP R A X I S & T E C H N I K

14. Jahrg., Heft 4/2013, S. 6–11, Elsevier GmbH, www.elsevier.de/ostmed

Abb. 12: a, b 6 Monate alter Säugling mit einem vorzeitigen Verschluss der linken Koronar-naht; man beachte die deformierte Orbita links mit dem nach kranial und dorsal gezogenen Os sphenoidale (gelber Pfeil); im seitlichen Bild stellt sich die verschlossene linke Koronar-naht im Gegensatz zur rechten nicht dar (gelber Pfeil). c, d 7 Monate alter Säugling mit einem vorzeitigen Verschluss der Sagittalnaht; man beachte in der a.p.-Aufnahme die skle-rosierte Sagittalnaht (gelber Pfeil) und in der seitlichen Ansicht die Funktionsfähigkeit der Koronar- und Lambdanähte (streifenförmig, dunkle Linien). Zusätzlich erscheint besonders der Hinterkopfbereich von der Knochendichte her aufgelockert (gelbe Pfeile) als Ausdruck eines beginnenden oder bestehenden erhöhten Hirndrucks (sog. „Wolkenschädelbildung“).

Akro-Brachyzephalus (Kurzschädel)

Beidseitiger Verschluss der Koronar-naht (Abb. 9)• Hohe fl ache Stirn• Kurzer Längsdurchmesser und lan-

ger Querdurchmesser des Schädels• Kurze vordere Schädelgrube• Bei syndromalem Ursprung (z.B.

Apert-Syndrom) häufi g kompensa-torische Sprengung der Metopica- und Sagittalnaht (Abb. 10)

Klinische Untersuchung

Die Art der Kopfdeformation deutet auf die betroff ene Schädelnaht hin. Im Bereich der verschlossenen Naht wird eine leistenartige Verdickung spürbar. Besteht der Verdacht auf eine Kranio-synostose, muss das Kind an den Kin-derarzt bzw. an ein Kinderkrankenhaus mit einer Abteilung für plastische Chi-rurgie, Mund-, Kiefer- und Gesichts-chirurgie oder pädiatrische Neurochi-rurgie weiterverwiesen werden.

Bildgebende Verfahren

Zur weiteren Diagnostik wird eine Ultraschalluntersuchung (Abb. 11) durchgeführt; hierauf folgt ein Röntgen-bild des Schädels (Abb. 12), bei Bedarf wird ein 3D-CCT (kraniale Computer-tomographie mit dreidimensionaler Darstellung; Abb. 13) angefertigt.

Operative Therapie

Die vordringlichste Indikation zu einer Operation (Kranioplastik) ist die Gefahr der Kompression durch die Schädelknochen, die das Gehirn beim Wachstum erfahren könnte, und der hierdurch entstehende Hirndruck. Dieser kann durch die Untersuchung des Augenhintergrunds festgestellt werden. Im Ultraschall des Kopfes kön-nen über die Beurteilung der Ventrikel und des äußeren Liquorraums eben-falls Aussagen über den Hirndruck gemacht werden. Internationale Stu-dien zeigten, dass sich bereits unter einer einzelnen verschlossenen Schä-delnaht Stoff wechselveränderungen im Gehirn einstellen können [20, 21].

Abb. 9: Akro-Brachyzephalus (schematisch)

Abb. 10: Akro-Brachyzephalus (klinisch)

Abb. 11: Ultraschallbild von einer geschlossenen (a) und einer offenen (b) Schädelnaht (Metopicanaht). Gut zu sehen ist rechts die knöcherne Lücke und darüberliegend das Periost. (© PD Jan Regelsberger, UKE Hamburg)

++OM_04_2013.indb 10++OM_04_2013.indb 10 18.11.2013 13:53:4918.11.2013 13:53:49

Page 6: Therapiekonzepte bei kraniofazialen Dysmorphien

11

Osteopathische MedizinP R A X I S & T E C H N I K

14. Jahrg., Heft 4/2013, S. 6–11, Elsevier GmbH, www.elsevier.de/ostmed

Während der Operation werden die verschlossenen Schädelnähte entfernt, und der Kopf wird entsprechend seiner normalen Konfi guration remo-delliert. Die Kinder sollten zum Zeitpunkt der Operation im Allgemei-nen zwischen 6 und 12 Monate alt sein. Die Operation kann 2–5 Stunden dauern. Die Kinder erholen sich erstaunlich schnell von den operativen Strapazen, der stationäre Aufenthalt dauert ca. 8–10 Tage. Nach den Operationen werden sie regelmäßig vom Operateur betreut, oft bis in das jugendliche Alter hinein.

Korrespondenzadresse:

Gabi PredigerPraxis am SchlossNotburgastr. 280639 München

[email protected]

Literatur[1] Cohen MM Jr (2000) Sutural Pathology. In: Cohen

MM Jr. (ed.) Craniosynostosis. Diagnosis, Evaluati-on, and Management. Oxford University Press

[2] Cohen MM Jr (2000) Epidemiology of Craniosy-nostosis. In: Cohen MM Jr. (ed.) Craniosynostosis. Diagnosis, Evaluation, and Management. Oxford University Press

[3] American Academie of Pediatrics (AAP) Task Force on Infant Positioning and SSID (1992). Pediatrics 89: 1120–1126

[4] Capone-Mori A, Boltshauser E (2002) Plagiocepha-lus: Prävention und Th erapie. Paediatrica 4: 24

[5] Argenta L (2004) Clinical classifi cation of positional plagiocephaly. J Craniofac Surf 15 (3): 368–372

[6] Kordestani RK, Patel S, Bard DE, Gurwitch R, Pan-chal J (2006) Neurodevelopment delays in children with deformational plagiocephaly. Plast Reconstr Surg 117: 207–218

[7] Kaiser F (2007) Die Rolle des Ösophagus bei der Entsteheung einer Plagiocephalie beim Säugling. Osteopathische Medizin 3: 9–15

[8] Amiel-Tison C, Soyez-Papiernik E (2009) Die Rolle der Osteopthie in der Korrektur von Schädeldefor-mierungen bei Neugeborenen und Kleinstkindern. Osteopathische Medizin 4: 10–15

[9] Riedel M (2013) Osteopathische Aspekte der Hal-tungsasymmetrie des Säuglings – eine funktionelle Betrachtung. Osteopathische Medizin 1: 9–13

[19] Turk AE, Mc Carthy JG, Th orne CH, Wisoff JH (1996) Th e “back to sleep campaign” and deforma-

tional plagiocephaly: is there cause for concern? Craniofac Surg 7 (1): 12–18

[20] David LR, Wilson JA, Watson NE, Argenta LC (1996) Cerebral perfusion defects secondary to sim-ple craniosynostosis. J Craniofac Surg 7 (3): 177–85

[21] David LR, Genecov DG, Camastra AA, Wilson JA, Argenta LC (1999) Positron emission tomography studies confi rm the need for early surgical interven-tion in patients with single-suture craniosynostosis. J Craniofac Surg 10 (1): 38–42

[22] Mulliken JB, Vander Woude DL, Hansen M, LaBrie RA, Scott RM (1999) Analysis of posterior plagiocephaly: deformational versus synostotic. Plast Reconstr Surg 103 (2): 371–80

Kliniken, in denen häufi g kraniofaziale Eingriffe durchgeführt werdenCharité – Universitätsmedizin Berlin Campus Virchow-KlinikumAugustenburger Platz 113353 BerlinArbeitsbereich Pädiatrische NeurochirurgieLeiter: Priv. Doz. Dr. med. Ernst-Johannes HaberlTel. 030 / 450 560 092

Centrum für Craniofaciale Chirurgie MünsterSchorlemerstr. 2648143 MünsterProf. Dr. Dr. Dr. h.c. mult. Ulrich JoosTel. 0251 / 39 64 704

Städtisches Klinikum MünchenKlinikum BogenhausenKlinik für Plastische, Rekonstruktive,Hand- und VerbrennungschirurgieEnglschalkinger Str. 7781925 MünchenChefarzt: Prof. Dr. med. univ. M. NinkovicFunktionsbereich Kraniofaziale ChirurgieOberarzt: Dr. med. S. v. GernetTel. 089 / 92 70 20 30

Universitätsklinikum WürzburgJosef-Schneider-Str. 27080 WürzburgSektion für Pädiatrische NeurochirurgieSektionsleiter: Dr. med. Jürgen KraußTel. 0931 / 201-0

Abb. 13: 3D-CCT eines Kindes mit rechtssei-tiger Koronarnahtsynostose (vorderer Plagio-zephalus): deformierte Orbita rechts, Abfl a-chung der betroffenen Stirnseite und Überkompensation auf der Gegenseite, defor-mierte vordere Schädelgrube mit deutlicher Skoliose auch der Schädelbasis (gelbe Pfeile)

++OM_04_2013.indb 11++OM_04_2013.indb 11 18.11.2013 13:53:5218.11.2013 13:53:52


Recommended