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Der Turmhahn ist zunächst ein Mitglied der Gattung ›Wetterhahn‹. Wenn er rich-tig gut geschmiert ist, dann dreht er sich im Wind. Er zeigt dann tatsächlich die Windrichtung an. Seit mehr als tausend Jahren gibt es ihn und an ihm konnten die Menschen zum Beispiel die Änderung der Windrichtung und damit oft auch eine Wetteränderung ablesen. Das heißt: Ein Wetterhahn war also in früheren Zeiten ein Messinstru-ment — aber natürlich noch viel mehr.

Denn zu sehen ist ja ein ›Hahn‹ auf vielen unserer Kirchen. Der Hahn spielt eine wichtige Rolle in einer Bibelgeschichte. Da geht es um Petrus, den Wortführer der Jüngergruppe, der ›Fels‹ genannt. Und ausgerechnet zu ihm sagt Jesus: »Du wirst mich verleugnen, dreimal, bis der Hahn kräht.« Und tatsächlich: Als Jesus gefangen genommen wird und vor Ge-

richt steht, da schleicht Pet-rus im Hof herum und wird angesprochen. »Du gehörst doch auch zu ihm!« Nein, sagt Petrus. Dreimal lügt er, bis der Hahn kräht. So hat sich Petrus also im Wind gedreht — wie der Hahn oben auf dem Kirchturm. An diese Geschichte erinnert der Wetterhahn auf Kirchtür-men: Er mahnt zur Reue und zum Mut. Und daran, dass wir als Christen es nicht nötig haben, unser Fähnlein immer in den Wind zu hängen, sondern ›typisch evangelisch‹ wir auf dem Grund der Bibel stehen dürfen; auch dann, wenn uns eine harte Bö ins Gesicht schlägt. Pfarrer Paul Schempp, den Friedemann Glaser in dieser Ausgabe portraitiert, ist ein Zeugnis dafür.

Es gibt noch weitere Deutungen:

Der Hahn ist der erste, der das Ende der Nacht ankündigt — so wie Jesus Chris-tus die Dunkelheit des Todes besiegt hat. Beide künden also das Licht an.

Turmhähne sind oft auch Zeitzeugen in luftiger Höh‘. So mancher Turmhahn sitzt auf einer Kugel, in der Schriftstücke aus dem Zeitge schehen, Urkunden oder auch Münzen verwahrt sind.

Heute ziert er vorwiegend evangelische Kirchtürme. Daneben gibt es auch andere Wetterfahnen. Auf manchen Kirchturmspitzen drehen sich in luftiger Höhe ein Schwan, ein Ross oder an die Küste und auf den Inseln ein Schiff. Die meisten katholische Kirchen haben dagegen eine Kreuz an der Spitze.

Nur nicht Wallenhorst bei Osnabrück. Da ist auf einer katholischen Kirche kein Hahn, sondern eine Henne zu sehen. Warum? Diese alte Kirche hat viele Nachbarkir-chen »ausgebrütet«, heißt es. Was gäbe es da passenderes als eine Henne.

Und die Kirche in Ihrer Nähe? Schauen Sie mal bewusst nach oben. Schauen Sie doch mal bei den Kirchen in Ihrer Region; auch das ist ein Anlass, sich aufzumachen zu einem Sonntagsbesuch bei Freunden (siehe Seite 10). Ein Gesprächseinstieg ist durch den Turmhahn gleich gefunden.

Quelle: Noch eine Frage, Herr Pfarrer. 111 himmlische Antworten, LVH, 2010 | Jan Linge

Mehr als nur eine Wetterfahne

Der Turmhahn

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Iptingen gehört mit seinen etwa 630 See-len zu den kleinsten Kirchengemeinden im Dekanat Mühlacker. Aber an diesem Dorf könnte man die Kir-chengeschichte der Jahre 1800 bis 1950 exemplarisch erzählen. Denn immer wie-der lebten und arbeiteten in Iptingen sehr interessante Theologen, die das Profil der Kirche geschärft haben.

Johann Georg Rapp (1757-1847) etwa, ein radikaler Pietist, der Anfang des 19. Jahrhunderts mit über siebenhundert Anhängern aus ganz Süddeutschland in die USA auswanderte und dort christliche Gemeinschaftssiedlungen gründete (Har-mony, Economy und New Harmony).

Johann Christoph Blumhardt (1805-1880), der neu die Verbindung von Heil und Heilung entdeckte, war Pfarrver-weser 1837/8 in Iptingen, bevor er dann nach Möttlingen und nach Bad Boll ging.

Und schließlich Paul Schempp (1900-1959), der Kopf des kirchlichen Wider-standes in Württemberg während der NS-Zeit. An ihn soll hier besonders erinnert werden.

Geboren in Stuttgart als Sohn eines Kauf-manns, erlebte Schempp den 1. Weltkrieg zwar nicht mehr selbst als Soldat, aber die unruhigen Jahre der Revolution und des Beginns der Weimarer Republik. Von 1918 bis 1922 studierte er Theologie in Tübingen, Marburg und Göttingen und wurde wie so viele seiner Kommi-litonen durch Karl Barths ›Dialektische Theologie‹ geprägt, die radikal mit dem Kulturprostestantismus der Kaiserzeit gebrochen hatte.

Von Stuttgart nach Iptingen

Über verschiedene Stationen als Vikar, Repetent und Pfarrer wurde er 1931 Religionslehrer am Olgastift in Stuttgart, einem Gymnasium für Mädchen. Schon wenige Wochen nach Hitlers Machtantritt 1933 sagte Schempp sehr hellsichtig: »Ich gehe jetzt zu meinen zukünftigen Krieger-witwen« – worauf er von seinem ›brau-nen‹ Schuldirektor denunziert und aus dem Staatsdienst fristlos entlassen wurde.

Zum 1. Oktober 1933 wurde Paul Schempp als Pfarrverweser nach Iptingen geschickt. Hier hat er sich mit seiner Frau und später vier Kindern sehr wohlgefühlt. Und viele ältere Iptinger erinnern sich noch gut an diesen Pfarrer, der so ganz anders war als die »Pfarr-Herren« seiner Zeit: Ein guter Sportler, einer, der mit den Sorgen der Menschen im Dorf vertraut war, der auch einmal ein Bier am Feier-abend mittrank und mit den Konfirman-den Radausflüge machte. Aber auch ein guter Prediger und einfühlsamer Seelsor-ger.

Paul Schempp im Kirchenkampf

Die Zeit in Iptingen war für Paul Schempp freilich vor allem geprägt durch den Kampf um den Weg der Kirche in der NS-Zeit. Der Iptinger Pfarrer schloss sich der Bekennenden Kirche an und predig-te auf deren erster Bekenntnissynode in Barmen, wo auch die Theologische Erklärung gegen die ›Deutschen Christen‹ verabschiedet wurde, die wir heute noch im Evangelischen Gesangbuch finden (EG 836). Diese ›Deutschen Christen‹ wollten den Glauben an Jesus verbinden mit der nationalsozialistischen Ideologie und z.B. das Alte Testament ganz abschaffen oder alles »Undeutsche« aus der Kirche entfernen.

Paul SchemppQuelle: Landeskirchliches Archiv

Kirchengeschichte im Kirchenbezirk

Paul Schempp und der Kirchenkampf in Iptingen

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von Personen

7 Fragen beantwortet von Martin Schlüntz | Oberderdingen

Herr Schlüntz, was ist für Sie ›typisch evangelisch‹?

SCHLÜNTZ Dass die Auslegung der Bibel im Mittelpunkt des Gottesdienstes steht – ja, das ist für mich typisch evangelisch. Und viel gute Kirchenmusik ist für mich auch ein evangelisches Markenzeichen. Typisch Evangelisch – wahrscheinlich mische ich das ein bisschen mit typisch württembergisch – ist für mich auch die Nüchternheit der Gottesdienste, die ich sehr schätze.

Ist es etwas Besonderes oder anderes, ein ›Pfarrmann‹ zu sein?

SCHLÜNTZ Ja, es ist etwas Besonderes. Man steht viel mehr in der Öffentlichkeit, ist viel mehr im Fokus. Manchmal wird man gefragt, ob es nicht schwierig ist für einen Mann, »im Schat-ten seiner Frau« zu stehen. Aber damit habe ich wirklich keinerlei Schwierig-keiten. Eher damit, dass auf die Pfarrfa-milie halt immer ein bisschen besonders geschaut wird. Insgesamt ist zu spüren, dass ein Pfarr-mann kein Einzelfall mehr ist und sich die Gesellschaft auch daran gewöhnt hat.

Wenn Sie von Oberderdingen her in den Kirchenbezirk hinein schauen, was gefällt Ihnen am Evangelischen Kirchenbezirk Mühlacker?

SCHLÜNTZ Die Landschaft, wenn ich ehr-lich bin. Ich bin hier in der Nähe aufge-wachsen und Fahrten durch den Kirchen-bezirk führen mich wieder in heimische Gefilde. Davon abgesehen habe ich hier im Bezirk schon einige sehr schöne Kirchengebäude entdeckt, das Kloster Maulbronn gefällt mir gut, aber auch die Waldenserkirchen und ihre Geschichte, die Diefenbacher Kirche finde ich sehr schön zum Beispiel. Oberderdingen finde ich natürlich beein-druckend und ich genieße es sehr, dort wohnen zu können.

Ihre Frau leitet und gestaltet eine der gro-ßen Kirchengemeinden unseres Bezirks vergleichbar einer Filiale eines Unterneh-mens. Wie gestalten sich hier Familie und Beruf?

SCHLÜNTZ Wir sind ja nun schon einige Jahre verheiratet und meine Frau ist ja auch schon einige Jahre Pfarrerin, sodass wir schon viel Gelegenheit hatten, dieses besondere Leben kennenzulernen. Es gestaltet sich je nach Lebenssituation und ich denke auch, je nach Pfarrstelle anders. Früher war ich selbst voll berufs-tätig und da war es oft schwierig, gemein-same Zeit zu finden.Jetzt in Oberderdingen bin ich Haus-mann, bin viel mehr zu Hause und dadurch sehr viel mehr mit dem Pfarramt und seinen Aufgaben und Auswirkungen konfrontiert. So kommt es, dass wir hier einige Dinge durchaus auch als Team anpacken und nicht mehr so sehr trennen zwischen Privatem und Beruf. Dass meine Frau die Pfarrerin ist und ich der Hausmann, dass wir also die Rollen getauscht haben, klappt eigentlich gut, wir sind in dieser Hinsicht halt auch schon lange eingespielt.

Sind Sie für die Menschen vor Ort »Herr Schlüntz« oder der »Herr Pfarrer«, ver-gleichbar zur „Frau Pfarrer“, der Ehefrau eines Pfarrers?

SCHLÜNTZ An der Stelle mache ich gern den kleinen Scherz: »Ich bin Herr Pfar-rerin« – als Pendant zur üblichen Frau Pfarrer.Aber natürlich sprechen mich die Leute nicht wirklich so an. Meistens sagen Sie »Herr Schlüntz« oder auch »Herr Grefe-Schlüntz«. Wenn jemandem der Name nicht gleich zur Hand ist, sagt mancher schon auch mal »Herr Pfarrer«, aber es ist immer klar, wie es gemeint ist.

»Typisch evangelisch? Im Gegenüber zur römisch-katholischen und auch zu manch anderer Kirche sind Pfarre-rinnen typisch evangelisch: Frauen im Talar, Frauen auf der Kanzel, Frauen als Leiterinnen einer Gemeinde oder eines Kirchenbezirks.« Seit 1968 ordiniert die Evangelische Landeskirche Frauen zu Pfarrerinnen.

Sieben Fragen beantwortet Martin Schlüntz, Ehemann von Pfarrerin Ditta Grefe-Schlüntz, Oberderdingen. Er gibt einige Einblicke, wie es ist als »Pfarrmann« - auch das ist typisch evangelisch.

Weiteres zum Thema Frauenordina-tion findet sich auf der Internetseite des Evangelischen Kirchenbezirks Geislingen unter www.kirchenbezirk-geislingen.de/

cms/startseite/aktuelles/kirche/

frauenordination

Dort wurde das Eingangszitat entnommen.

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SCHLÜNTZ Hier in Oberderdingen haben wir ja gerade wieder unser Mega-Amthof-fest hinter uns, ein dreitätiges Gemein-defest, das wirklich seinesgleichen sucht. Wieder bin ich völlig beeindruckt davon, was man mit einem Heer an ehrenamtli-chen Helfern auf die Beine stellen kann. Das ist Gemeinde pur – jung und alt, groß und klein, Musik und Kirchenpflege, Blumen und Kuchen, auch die Ökumene trägt und wird spürbar. Gemeinde wie sie sein kann und soll. Das ist toll und doch ist es sicher so, dass der einzelne mit seiner Leistung kaum erwähnt und genügend wertgeschätzt werden kann. Es wird ja in vielerlei Hinsicht versucht, gerade den ehrenamtlichen Mitarbeitern zu danken und sie und ihr Engagement zu würdigen. Daneben stehen dann auch die hauptamt-lichen Mitarbeiter, die sich ja auch weit über ihr Soll hinaus einbringen – da ist oft das Vergleichen und die Ausgewogenheit von Dank und Würdigung nicht einfach. Vielleicht kann man sich einfach vorneh-men, an Anerkennung nicht zu sparen, weil Gemeinde ohne Menschen einfach nicht möglich ist.

Ihnen vielen Dank für diese Auskünfteund Einblicke!

Eine himmlische Kunst:

Evangelische Kirchenmusik

Kantorin Christiane Sauter-Pflomm, Gesamtkirchengemeinde Mühlacker

Miteinander im Gespräch:

Martin Schlüntz, Oberderdingen

Michael Gutekunst, Kirchenbezirk Mühlacker

Typisch evangelische Kirchenmusik ist für manche mit barocker Orgelmusik verbunden, mit Bachs Präludien und Fugen oder mit seinen Kantaten. »Für mich ist Bach der größte Prediger«, hat der französische Komponist und Organist Charles-Marie Widor gesagt.

Als eine »himmlische Kunst« und als ein »Geschenk Gottes« verstand der Refor-mator Martin Luther die Musik. Mit ihm begann natürlich auch die Geschichte der evangelischen Kirchenmusik.

Kirchenmusik heute

Was bedeutet nun die »himmlische Kunst« heute, was ist an ihr typisch evan-gelisch?Kirchen-Musik: hier ist die Musik zu-nächst wörtlich mit der Kirche verknüpft und somit zweckgebundene Musik, die im Gottesdienst ihren Dienst tut und mitpre-digen soll. Eine große Verantwortung an alle Musikausübende in den Gottesdiens-ten. Gab es zu Bachs Zeiten nur wenige Got-tesdienstformen, so haben wir heute eine Fülle von verschiedenen Gottesdiensten, die alle eine angemessene, predigen-

Was würden Sie gerne voranbringen oder fördern in unserer Kirche?

SCHLÜNTZ Ich hätte einfach gern, dass den Leuten die Kirche wieder wichtiger wird und ihnen als Kraftquelle zum Leben wieder nahe kommt. Und natürlich würde ich mich freuen, wenn auch junge Leute wieder Heimat und Sinn in der Kirche finden würden.Fördern würde ich gerne die für mich wichtigste Aufgabe von Kirche – dass sie für soziale Gerechtigkeit kämpft und be-dingungslos auf der Seite der Schwachen steht und durchaus auch auf politischem Boden ihre Stimme erhebt. Dieses Gesicht von Kirche ist im Grund das, was mir sehr nahe ist und zu meiner Gesinnung passt.

Fördern würde ich gerne die für mich wichtigste Aufgabe von Kirche – dass sie für soziale Gerechtigkeit kämpft und be-dingungslos auf der Seite der Schwachen steht und durchaus auch auf politischem Boden ihre Stimme erhebt. Dieses Gesicht von Kirche ist im Grund das, was mir sehr nahe ist und zu meiner Gesinnung passt.

Wer wird zu wenig gelobt und wem wird zu wenig gedankt für sein kirchliches Engagement aus Ihrer Sicht?

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de Musik brauchen. Deshalb trägt die Organistin am Sonntagmorgen genauso große Verantwortung, wie die Band beim Jugendgottesdienst oder bei Zweitgottes-diensten, der Posaunenchor so wie der Kirchenchor oder andere Vokalgruppen.Für mich persönlich ist es das Wichtigste, dass sowohl klassische, als auch die sog. ›populäre‹ Musik und ihre Ausübenden sich Ihrer Verantwortung des Predigens bewusst sind und das Beste tun, damit es qualitativ gute und aussagekräftige Musik bleibt. Nur wenige Gottesdienstbesucher wissen, wie viel Zeit und Mühen des Übens es erfordert, wirklich gut zu musizieren.

Neben der Musik zum Ausgang oder Eingang des Gottesdienstes, einem ins-trumentalen Zwischenspiel oder ande-rem bleibt die Hauptaufgabe der Kir-chenmusik in allen Gottesdiensten, das Singen der Gemeinde zu begleiten und zu stützen. Eine Fülle von Liedern steht in zahlrei-chen verschiedenen Liederbüchern zur Verfügung. Allerdings wird dadurch das gemeinsame Singen der Gruppen und Ge-nerationen immer schwieriger.

Gemeinsames Liedgut über alle Generationen hinweg

Die badische und württembergische evangelische Landeskirchen haben des-

halb eine Liste von ›Kernliedern‹ zusam-mengestellt. Sie sollen verstärkt gesun-gen werden, damit ein Liederrepertoire wächst, das alle evangelischen Christen, ob jung oder alt, miteinander verbindet im Gottesdienst, aber auch zu Hause, im Kindergarten, in der Schule oder in den vielen Kreisen unserer Gemeinden.

Natürlich gibt es auch Kirchenmusik in Konzerten, dies ist aus unserem kirchli-chen Alltag nicht mehr wegzudenken und ein wichtiger Beitrag auch als Ergänzung und Gegenpol für das weltliche Kon-zertleben. Für viele Menschen ist die Hemmschwelle, eine Kirche zu betreten bei Konzerten niedriger als beim Gottes-dienstbesuch. Ein Konzertbesucher sagte mir: »Seit dem Tod meiner Frau gehe ich nicht mehr gerne in den Gottesdienst, aber die Musik, die gibt mir etwas.«

Evangelisch sein heißt: im Grundsatz frei sein durch den Glauben, typisch evange-lische Kirchenmusik stimmt deshalb mit Miriam in das älteste Lied der Bibel ein: das Befreiungslied aus 2. Mose 15, 20 f. »Lobet den Herrn, dienet ihm gern, er hat Ross und Reiter ins Meer gestürzt, lobet den Herrn, dienet ihm gern, er ists, der uns beschützt.« Die Kinderchöre der Andreas- und Pau-lusgemeinde singen diese freie Übertra-gung des Miriamliedes bei der Auffüh-rung des Musicals ›Israel in Ägypten‹ in diesem Sommer gleich in drei Gottes-

diensten. Ich hoffe und wünsche mir, dass sich die Freiheit in der Kirchenmusik auch in Zukunft fortsetzt und sie nicht durch falsche Entscheidungen, Spar- zwänge oder unnötigen Zwistigkeiten daran gehindert wird.

Lieder vom Glauben Im Vorfeld des 500. Reformationsjubilä-ums 2017 hat die Evangelische Kirche in Deutschland für dieses Jahr den Schwer-punkt »Reformation und Musik« ausge-rufen. Die württembergische Antwort und Ergänzung ist das Projekt »Lieder vom Glauben«. Das Amt für Kirchenmusik der evangelischen Landeskirche stellt einen Querschnitt, der in den Gemeinden ge-bräuchlichen Lieder als Video-Clips (ca. drei Minuten dauernd) ins Internet. Unter www.Lieder-vom-Glauben.de wur-den neben traditionellen und neuen Lie-dern aus dem evangelischen Gesangbuch auch Lieder des Ergänzungsheftes »Wo wir dich loben, wachsen neue Lieder« aufgenommen.

Leitgedanke der Darstellung ist das Kirchenjahr, beginnend mit dem 1. Advent und abschließend mit dem Ewigkeits-sonntag. Dem sogenannten Wochenlied, das sich inhaltlich am Thema der je-weiligen Woche orientiert, sind weitere, inhaltlich verwandte Lieder aus allen Epochen der Liedgeschichte, vom Mittel-alter bis in unsere Tage, beigefügt. Als Untertitel gibt es auch Hinweise zur Entstehungsgeschichte der Lieder zu lesen. Auch die Maulbronner Kurrende ist mit einigen Aufnahmen vertreten.

Kirchenmusik ist, so Martin Luther, eine himmlische Kunst.

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Zum ›Gottesdienstpilgern‹ als spirituell-kulturelle Entdeckungsreise in der Region lädt der Evangelische Kirchenbezirk Mühlacker ein. Gottesdienstangebote in den Evangelischen Kirchengemeinden der Region können bei ›Sonntagsbesu-chen bei Freunden‹ entdeckt und Ge-meinschaft erlebt werden.

Einladung, die Vielfalt an spirituellen und kulturellen Angeboten zu entdecken

Neben den sonntäglichen Gottesdiensten in den Gemeinden bieten eine Vielzahl unterschiedlicher Angebote wie Zweit- und Abendgottesdiensten, Gottesdiensten im Grünen, Jugendgottesdienste, Andachten, Bibelwochen und anderes mehr dazu Gelegenheit. Ebenso sind Besucher zu den Gottesdiensten und An-dachten in Krankenhäusern und Senio-renheimen eingeladen.

Schätze heben und ein Halbedelstein als Erinnerung

Als Zeichen der Verbundenheit erhalten Gottesdienstpilgernde im Anschluss an den jeweiligen Gottesdienst einen Halbedelstein als Symbol für die Schätze, die in die-sen Gottesdiensten gehoben werden können.

Mit den Worten »wir besuchen einander, kommen zur Ruhe an verschiedenen Orten und in ver-schiedenen Gottesdiensten. Wir nehmen staunend wahr, was Gott uns schenkt im Reichtum der got-tesdienstlichen Feier« umschreibt Dekan Ulf van Luijk mit das inhaltli-che Anliegen der Aktion ›Sonntags-besuch bei Freunden‹.

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Die Kirchengemeinden des Kirchenbezirks laden ein zu einem Sonntagsbesuch bei Freunden

Vielfältige Informtionsmöglichkeiten

Der Evangelische Kirchenbezirk Mühla-cker möchte mit diesem Angebot-- die vielfältigen gottesdienstlichen Angebo-te aufzeigen, die regelmäßig gestaltet werden. Übersichtsplakate und Faltblät-ter sowie eine interaktive Karte unter www.kirchenbezirkmuehlacker.de/gottesdienstpilgern informieren über die gottesdienstlichen Angebote. Mittels Motivpostkarten können Pilger andere ermutigen, sich ebenfalls auf den Weg zu machen. Diese liegen — ebenso wie die Gottesdienstübersicht — in den Gemeinden aus.

Eine Einladung an alle Menschen

Eingeladen sind Gemeindeglieder, einen Gottesdienst in einer der Nachbarge-meinden zu besuchen ebenso wie Men-schen, die sich aus Interesse aufmachen, um Gottesdienste neu zu entdecken. Dabei besteht die Möglichkeit, neben den Gottesdiensten auch die Kirchen der Region mit ihren kulturellen Schätzen zu erkunden.Informationen zum Gottesdienstpilgern finden sich im Internet unter www.kirchenbezirkmuehlacker.de/gottes dienstpilgern oder auf Faltblättern, die in den Ortsgemeinden aufliegen.

Das Gottesdienstpilgern findet im Rah-men des Jahres des Gottesdienstes der Evangelischen Landeskirche in Württem-berg statt und ist ein Angebot im Rahmen des Bezirksthemas des Kirchenbezirks ›Gemeinsam Glauben Leben‹.

Bernd Dingler, Vorsitzender der Bezirkssynode [links im Bild] und Dekan Ulf van Luijk laden ein, am Gottesdinestpilgern teilzunehmen und einen Sonntagsbesuch bei Freunden zu machen.

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Beitrag zum Wohnen Christi unter uns:

Prädikanten - Echt Evangelisch.

So steht es über der Festschrift, die 2009 zu 50 Jahre Lektoren- und Prädikanten-dienst in Württemberg erschienen ist. Als viele Pfarrer im Krieg waren, wurden Ehrenamtliche beauftragt, Lesegot-tesdienste zu halten bzw. vorgegebene Predigten vorzulesen. So konnte auch in Zeiten des Pfarrerman-gels Gottesdienst gefeiert und das Evan-gelium verkündigt werden.

10.000 Gottesdienste jährlich gestalten Prädikanten

Zwischen 1939 und 1945 als Notlösung praktiziert, wurde ab 1959 eine systema-tische Lektorenausbildung begonnen und so die Verkündigung durch Laien fort-geführt. Geeignete Personen (d.h. Men-schen, die sich in anderen Diensten in der Gemeinde ›bewährt‹ hatten) wurden zu ersten Kursen (unter anderem auch ins Haus Schmie) eingeladen. Rund 60 Personen waren es am Anfang, ab 1969 waren auch Frauen dabei. Heute sind in unserer Landeskirche ca. 800 Frauen und Männer im Predigt-dienst tätig und leiten ungefähr 10.000 Gottesdienste im Jahr. Der Bedarf ist im ländlichen Raum wie dem Schwarzwald, Hohenlohe oder Oberschwaben größer als in städtischen Zentren.

Im Kirchenbezirk Mühlacker sind zur Zeit sechs Prädikantinnen und sieben Prädikanten tätig. Im Jahr 2011 haben diese 173 Gottesdienste geleitet, davon 16 im Krankenhaus und in Altenpflege-heimen. Und es dürfen gerne noch mehr PrädikantenInnen werden. Sie werden gebraucht!!!

Nicht Lückenbüßer, sondern gelebtes Priestertum aller Gläubigen und Bereicherung

PrädikantenInnen kommen zum Einsatz bei Krankheit und Urlaub der PfarrerIn-nen, wenn Pfarrstellen nicht besetzt sind

oder wenn – wie in Festzeiten – viele Gottesdienste gefeiert werden.Sind PrädikantenInnen also „Lückenbü-ßer“, wenn Pfarrer`s verhindert sind? Immer wieder ›geisterte‹ diese Vor-stellung durch Prädikanten- und Pfar-rerschaft und durch die Gemeinden und tut es manchmal noch heute.

Doch es ist verkehrt und unevangelisch, PrädikantenInnen einfach als Ersatzleu-te zu verstehen. In einer Kirche, die das »Priestertum aller Gläubigen« vertritt, ist es angemessen und wichtig, dass auch geeignete Nichttheologen das Evangeli-um verkünden. Sie bringen ihre eigenen gottesdienstlichen Erfahrungen, ihre Glaubensprägung, ihren beruflichen Hin-tergrund (ob als Techniker, Altenpflege-rin, Softwareentwickler oder Historikerin, Bestatter, Versicherungsangestellte, Land-wirt, Lehrerin, Lehrmeister oder Haus-frau…) in den Dienst ein und bereichern so Gottesdienste und die Verkündigung.

Prädikant sein — ein Gewinn für sich selbst

Die Ausbildung geschieht in drei Grund-kursen, in einem Zeitraum von ca. 15 Monaten. Danach erfolgt die öffentliche Einführung in der Bezirkssynode und die Beauftragung immer für sechs Jahre. Nach einer entsprechenden Weiterbil-dung können PrädikantenInnen ermäch-tigt werden, auch Sakramentsgottes-dienste (Taufe, Abendmahl) zu leiten. Und das ist nun wirklich » ... echt evangelisch«. Immer wieder höre ich, dass sowohl die Grundausbildung, als auch die regelmä-ßigen Fortbildungen mit unterschied-lichsten Themen als sehr bereichernd und gewinnbringend erlebt werden. Nicht nur für die Aufgabe als Prädikan-tIn, sondern auch für das persönliche theologische Interesse und den eigenen Glauben. Pfarrerin Katrin Schipprack-Tröndle,

Mühlacker | Bezirks-Lektorenpfarrerin

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Konnten zu Luthers Zeiten nur drei bis vier Prozent der Bevölkerung lesen, wur-de mit der Einführung der reformatori-schen Kirchenordnungen auch die Praxis von Sonntags- und die Errichtung von Grundschulen beschlossen – für Jungen und für Mädchen, in der Stadt wie auf dem Land.

Bildung — sicher und für alle!

Der vom Calvinismus und Pietismus geprägte preußische König Friedrich Wil-helm I. führte 1717 die allgemeine Schul-pflicht ein, durch die Kinder vom fünften bis zum zwölften Lebensjahr in die Schule gehen und erst entlassen werden sollten, wenn sie lesen und schreiben konnten und den Glaubenskatechismus auswen-dig gelernt hatten.

Gedacht war die Schulpflicht als Siche-rung der Bildungschance für alle. Doch wie so oft: Wo Zwang ist, nimmt die Lust Reißaus. Und so ist in unseren Schulen oft nicht mehr viel von dem zu spüren, was Philipp Melanchthon, der aus Bretten gebürtigen Mitstreiter Luthers, als para-diesischen Zustand preist:

»Leben ist eine fröhliche Schule, in der die Älteren und Besseren ihre Mitmenschen über religiöse und naturwissenschaftliche Fragen, die Unsterblichkeit der menschli-chen Seele, die Himmelsbewegungen und

alle Obliegenheiten des Lebens belehren.«Doch wenn wir uns verdeutlichen, welche Freiheit es mit sich bringt, sich eine eigene Meinung bilden und sich selbst informieren zu können, vielleicht können wir dann auch manchen schulpfichtge-stressten Mitmenschen wieder deutlich machen, dass ihm in der Bildung der Himmel auf Erden offen steht.

Schulpflichtbefreit ist es an jedem von uns, lebenslang weiter zu lernen und uns daran zu erfreuen, wenn sich uns Zusam-menhänge immer besser erschließen und wir erkennen, was wo für uns zu denken, tun und sagen ist. Dieser Bildungslust weiß sich die evangelische Kirche von ihrem Ursprung an verpflichtet – nicht zuletzt wird dies deutlich in der Vielfalt der Erwachsenenbildungsangebote, die wir halbjährlich in der Broschüre des evangelischen Bildungswerks Mühlacker zusammengefasst finden und die uns Türöffner in Melanchthons Paradies sein sollen.

›Ich bin mein Papst‹ – Diese reformatori-sche Erkenntnis hat Kreise gezogen, auch über die evangelischen Kirchen hinaus. Sie stand an der Schwelle zur Neuzeit, in der Bildung immer mehr Menschen zu-gänglich wird, so dass in der Mitte des 20. Jahrhunderts der oben erwähnte Angelo Giuseppe Roncalli, Papst Johannes XXIII, sagen konnte: »Jeder kann Papst werden, das beste Beispiel bin ich.«

Pfarrerin Franziska Müller, Bezirksbeauftragte für Erwachsenenbildung

Lernen als lebenslange Aufgabe — die Freude macht und neue Herausforderungen stiftet

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… ist der Titel eines Liedes, dass wir Kolle-ginnen während meiner berufsbegleiten-den Ausbildung oft und gerne miteinan-der gesungen haben und das zum Motto unserer jährlichen Treffen wurde.

14 Frauen in Pfarrämtern oder Dekanats-büros, die quer über das Gebiet der würt-tembergischen Landeskirche verstreut sind, und doch, dank Internet, nur einen Mausklick von einander entfernt sind.

Gut, dass wir einander haben — bei kniffligen Fragen zum Führen der Amts-handlungsverzeichnisse, - bei Problemen mit diversen kirchlichen Datenverarbei-tungsprogrammen eben: »Sorgen, Freude, Kräfte teilen und auf einem Wege gehn.«

Und dann: ausgerechnet am Tag der Bezirkssynode beschließt der Dekanats-kopierer, in den Streik zu treten. Und das, obwohl die Liedblätter für den Gottes-dienst noch nicht kopiert sind. Einen Anruf später die Lösung des Problems: ich kann den Kopierer in der Servicestel-

Auf ein Wort »Gut, dass wir einander haben…«mit Carmen Neuwirth, Dekanatssekretärin

le benutzen. Alles wird noch rechtzeitig fertig für das Großereignis und auch hier denke ich: gut, dass wir einander haben. Es ist gut, dass ich nicht jeden Tag allein versuchen muss, das ›Rad neu zu erfin-den‹, sondern dass ich immer wieder auf Menschen treffe, die mir in irgendeiner Form weiterhelfen.

Es ist gut, dass ich um Hilfe bitten kann und um Hilfe gebeten werde. Es ist gut, dass wir auch ganz ohne Face-book Netzwerke bilden können und das nicht nur in der Weite der württembergi-schen Landeskirche sondern gerade hier im Kirchenbezirk.

Aber das Lied geht ja noch weiter: »gut, dass wir nicht uns nur haben, dass der Kreis sich niemals schließt und dass Gott, von dem wir reden, hier in unserer Mitte ist«.

Das ist doch ein schöner Gedanke – dass wir letztendlich alle Mitglieder in Gottes ›großem Netzwerk‹ sind.

In der Rubrik »Auf ein Wort« zeigen

Menschen auf, welchem Wort sie eine

besondere Bedeutung beimessen und

stellen dieses Wort vor.

Carmen Neuwirth, Dekanatssekretärin

Die religiöse Dimension des Lebens im Blick:

Evangelisches Profil im Kindergarten

»Unser Kindergarten ist ein Teil der Kir-chengemeinde. Wir beteiligen uns an Gottes-diensten, indem wir Familiengottesdienste vorbereiten, die Gemeinde dazu einladen und mit ihr zusammen feiern wir diese. Wir beteiligen uns auch an anderen Ange-boten unserer Gemeinde, z.B. beim Sommer-fest.«

»Wir erzählen regelmäßig Bibelgeschichten in unserer Einrichtung. Wir singen mit den Kindern christliche Lieder, wir feiern mit den Kindern die Feste des Kirchenjahres.Wir beten mit unseren Kindern. Wir üben mit den Kindern christliche Rituale ein.«

»Uns ist die Bewahrung der Schöpfung wichtig, deshalb schulen wir unsere Kinder in diese Richtung, so dass sie sensibel für dieses Thema werden.«

»Bei uns im Team herrscht ein offener Um-gang, wir arbeiten vertrauensvoll zusammen. Wir wertschätzen unsere Mitmenschen, insbesondere sind das die Kinder, die Eltern, unsere Kolleginnen und auch unsere Träger.«

»Wer in einem evangelischen Kindergar-ten arbeitet, ist Mitglied einer Kirche der Arbeitsgemeinschaft christlicher Kirchen, das unterscheidet uns von den kommunalen Einrichtungen.«

»Wir sind ein evangelischer Kindergarten, d.h. aber nicht, dass wir andere Religionen ablehnen, wir nehmen auch Kinder auf, die nicht evangelisch sind und akzeptieren ihre Religion.Allerdings: wir feiern christliche Feste, keine buddistischen Feste, keine hinduistischen Feste, keine muslimische Feste, usw.«

Dies ist ein kleiner Querschnitt durch

unsere kirchlichen Kindertagesstätten.

Natürlich trifft nicht alles auf alle zu. Jede

Einrichtung ist individuell und hat ihre

eigene Prägung.

Aber: eine oder mehrere dieser Antworten

passen zu jeder unserer evangelischen

Kindertagesstätten.

»Was ist typisch evangelisch in euren Kindertageseinrichtungen?“ habe ich die Leiterinnen der Ein-richtungen beim Leiterinnentreffen gefragt. Die folgenden Antworten habe ich bekommen:

Diakonin Anita Leize, Kindergartenfachberaterin

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Das Ehrenamt stärken, fördern und anerkennen finde ich eine wichtige und sehr gute Sache. Gerade im Mesnerdienst bin ich immer wieder auf die Hilfe und Mitarbeit von Ehrenamtlichen angewiesen und dafür auch sehr dankbar. Aber was steckt wirklich dahinter, das in dieser und in der letzten Ausgabe [gemeint sind die Ausgaben 1/2011 und 2/2011, Anm. der Redaktion] von Konkret das Thema Ehrenamt behandelt wird?

Als in verschiedenen Gremien engagierter Mesner und Hausmeister beobachte ich immer öfter einen Grund für das plötzliche verstärkte Interesse an Ehrenamtlichen. Ersatz von bezahlten Mitarbeitern durch kostenlose Ehrenamtliche, vor allem in meiner Berufsgruppe. Oft geht es hier nicht um die Einbindung von Ehrenamtlichen mit ihren Talenten in die Gemeindearbeit, sondern es hat finanzielle Gründe, die nicht offen genannt werden. Im Gegenteil, es werden von Verantwortlichen Lobreden gehal-ten, wie wichtig doch die angestellten Mesner und Mesnerinnen sind, aber die Wirklichkeit sieht ganz anders aus.

Ist aber erst mal der Angestellte ersetzt, kommt den Dienststellenleitungen irgendwann die Erleuch-tung. Ein Ehrenamtlicher braucht viel mehr »Betreuung« als ein Angestellter, dem gebe ich Anweisun-gen, die er (sie) umsetzen muss, aber Ehrenamtliche müssen gepflegt werden. Da aber viele Dienststellenleitungen in Personalführung ein Defizit haben, sie sind ja Theologen und keine Verwaltungsmenschen, kommt es früher oder später zu Problemen. Ich habe es schon erlebt, dass Ehrenamtliche sagten, wenn das nicht so gehandhabt wird wie wir das wollen, machen wir gar nichts mehr. So einen Spruch kann ich mir als bezahlter Mitarbeiter nicht leisten.

Es wird die Zeit kommen, da müssen die Gemeinden um jeden Mitar-beiter und Mitarbeiterin kämpfen. Zum Teil ist das im Erzieherinnen-bereich schon so. Aber das zieht sich früher oder später durch alle Berufsgruppen. Die Reduzierungen von Stellenumfängen, unattraktive Arbeitszeiten, indirekt eingefordertes ehrenamtliches Engagement (manchmal auch offen: Sie bekommen die Stelle als Erzieherin nur, wenn sie sonntags die Kinderkirche übernehmen), dafür aber geringe Bezahlung, werden dazu führen, dass sich auf Stellenausschreibun-gen nur wenige oder niemand mehr meldet. So geschieht es schon bei der Suche nach Nachfolgern im Mesner-dienst. Dies alles dann durch Ehrenamtliche abzudecken, ist Utopie. Aber das spukt in vielen Köpfen Verantwortlicher herum. Für sie sind bezahlte Mitarbeiter nur Unkostenfaktoren die man unbedingt so weit als möglich reduzieren muss. Ohne dabei die Spätfolgen im Blick zu nehmen, nur der jetzt im Augenblick eingesparte Betrag ist wichtig. Dabei sind engagierte Mitarbeiter ein Kapital, das nicht zu unterschätzen ist. Zufriedene Mitarbeiter leisten mehr und bessere Arbeit.

Also wie gesagt, ich bin um jede ehrenamtliche Mitarbeit froh, aber dieses Interesse an den Ehren-amtlichen und die Betreuung wünschte ich mir auch für alle Mitarbeiter, egal ob Haupt-, Neben- oder Ehrenamtlich in der ganzen Landeskirche.

Mit freundlichen GrüßenThomas Weixler

Leserbrief zum Thema »Ehrenamt«In den beiden letzten Ausgaben unseres Bezirksjournals thematisierte Peter Feldtkeller das Thema Ehrenamt und welche Aktivitäten hierzu in den Gemeinden und im Kirchenbezirk geschehen. Als Reaktion darauf erreichte ihn das folgende Schreiben, das wir hier abdrucken mit freundlicher Genehmigung des Verfassers, um auch dieser Sichtweise Raum zu geben.

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Luther und das ApfelbäumchenViele Legenden ranken sich um Martin Luther und die Bäume. Er liebte sie und erfreute sich an ihnen, so sah er im frischen Grün der ausschlagenden Bäume im Frühling ein Sinnbild für die Auferstehung der Toten. In den Bäumen soll er die göttliche Gnade im irdischen Leben gesehen haben.»Wenn ich wüsste, dass morgen die Welt unterginge, würde ich heute noch ein Apfel-bäumchen pflanzen«, soll Martin Luther einst gesagt haben. Dieser Satz lässt sich ihm aber nicht belegbar nachweisen. Wahrscheinlich wurde dieser Spruch dem Reforma-tor in der schwierigen, zwischen Verzweiflung und Hoffnung schwankenden Situation nach dem Zweiten Weltkrieg in den Mund gelegt, vermutet Volkmar Joestel, Autor des Buches ›Legenden um Martin Luther und andere Geschichten aus Wittenberg‹.

Der Blitzschlag bei StotternheimMartin Luther reiste wenige Wochen nach Beginn des Jurastudiums nach Mansfeld zu seinen Eltern. Auf dem Rückweg, so will es die Legende, wurde er am 2. Juli 1505 von einem schweren Gewitter beim Dorf Stotternheim in der Nähe von Erfurt überrascht.Auf dem freien Feld suchte er unter einem Baum Schutz, als ihn plötzlich ein Blitz-schlag sich zu Boden werfen ließ. In Todesangst rief er die Heilige Anna an und gelobte: »Ich will Mönch werden!«. Zwei Wochen später trat Martin Luther am 17. Juli 1505 in das Augustinerkloster ein, der strengsten Mönchsgemeinschaft von Erfurt. Weder Freunde noch sein Vater konnten ihn umstimmen.

»Später erzählte er die Geschichte so, als hätte ihn der Himmel selbst überrumpelt«, schreibt Buchautor Christian Feldmann in ›Martin Luther‹. Sicher sei, dass er schon zuvor mit dem Gedanken gespielt habe, Mönch werden zu wollen und er wohl eher Angst vor der Reaktion seines Vaters hatte. »Ein in Todesangst überstürzt abgelegtes Gelübde war auch nach mittelalterlichem Kirchenrecht nicht bindend«, schlussfolgert Feldmann.

Der Wurf mit dem TintenfassDer Legende nach soll der Teufel Martin Luther im Winter 1521/1522 in seiner Stube auf der Wartburg in Thüringen belästigt haben.

Als der Mönch, vertieft in seine Arbeit, ein Kratzen und Schaben hörte, soll er beherzt nach dem Tintenfass gegriffen und gezielt nach der Teufelsfratze geworfen haben, um den zu verscheuchen, der ihn beim Über-setzen der Heiligen Schrift ins Deutsche so störte.

So soll ein blauer Tintenfleck an der Wand neben dem Ofen entstanden sein, wo heute allerdings nur noch ein Loch ist. Niemand aber kann wirklich sagen, was sich damals in der Gästestube auf der Wartburg tat-sächlich zugetragen hat. Obwohl Luther von vielen Ereignissen der Burg in seinem Leben berichtet hat, so

schwieg er doch über den angeblichen Tintenklecks.Schriftzeugnisse und Bilder seit 1650 widmen sich dem Fleck an der Wand. Ob der Tintenfleck an der Wand überhaupt aus der Zeit von Martin Luther stammte, darf bezweifelt werden. Später wurde er ein halbes Dutzend Mal nachgemalt oder an neuer Stelle an-gebracht. Manch ein Besucher der Lutherstube begnügte sich nicht damit, ihn anzufassen, sondern kratzte gleich ein Stückchen ab, um ihn als Reliquie mit nach Hause tragen zu können. Es heißt, dass der Klecks in der Stube oben hinter dem grünen Ofen zu sehen war. Heute fehlt er ganz. Es gibt auch Erzählungen, die berichten, dass Luther das Tintenfass nicht bei seiner Arbeit, sondern nachts geworfen haben soll, als er wegen Geräuschen im Raum nicht hatte schlafen können. Wie er aber von seinem Bett aus das Tintenfass in die Hand hätte nehmen können, auch das bleibt offen.Möglicherweise wurde Luthers Aussage zu wörtlich genommen, wenn der Reformator behauptet, er habe den Teufel mit Tinte ver-trieben: also mit seinen Schriften.

Luther - Dichtung & WahrheitMartin Luther darf nicht fehlen, wenn es um ›typisch evangelisch‹ geht. Im Jahr 2017 jährt sich das Reformationsjubiläum zum 500. Mal. ›Was von Wittenberg im 16. Jahr-hundert ausging, veränderte Deutschland, Europa und die Welt. Das Reformationsju-biläum 2017 wird daher [...] in globaler Gemeinschaft von Feuerland bis Finnland, von Südkorea bis Nordamerika gefeiert.‹ Informationen — und weitere Hintergründe auf www.luther2017.de.

Quelle dieser Texte: www.luther2017.de/luther-historisch/dichtung-und-wahrheit

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