Validierung und Anerkennung als Aufgaben für Hochschulen
OEAD-Fachseminar Recognition of prior Learning
Forum 3: Validierung als Chance und Möglichkeit für den tertiären Sektor
Universität Innsbruck 19.01.2016
Donau-Universität Krems
Department für Migrat ion und Globalisierung
Einleitung
Ziele
- Erweitertes Verständnisses von „Validierung und Anerkennung“
- Einbettung in österreichisches Bildungs- und Qualifikationssystem
- Einbettung in Kontext Europäischer Initiativen
- Strategische Überlegungen
Hintergrund
- Studie „Anerkennung ausländischer Qualifikationen und informeller Kompetenzen in Österreich“
- Laufende Forschung im Bereich Anerkennung und Validierung
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Gesteigerter Bedarf für Validierung und Anerkennung
Gründe
- Life Long Learning, Verlängerung der Bildungskarrieren
- Internationalisierung von Bildungs- und Berufsverläufen
- Diversifizierung + Internationalisierung der Bildungsangebote (z.B. nicht-formal, MOOCs, OER)
- Bildungsexpansion, Öffnung für bildungsferne Schichten
- Migration und Flucht
‚neue‘ Zielgruppen
- Nicht-traditionelle Studierende (z.B. ohne Matura)
- Internationale Studierende
- Mobile Studierende
- Studieninteressierte mit Berufserfahrung
- Personen mit undokumentierten Qualifikationen (z.B. Flüchlinge) 3
Herausforderungen für Anerkennung und Validierung an Hochschulen
Output-Kontrolle statt Kontrolle von Input + Anwesenheit
Verantwortung für welche Outputs im eigenen Studium?
Qualitätsgesicherte Durchlässigkeit
Vielzahl internationaler + nationaler Initiativen der Politik
Zusammenhang zwischen Validierung und Anerkennung
Begriffliche Unklarheiten, Ambivalenzen, Überschneidungen
Strategische Orientierung
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Definitionen (1) Kompetenz vs. Qualifikation
Kompetenz
- individuell erworben
- z.B.: Wissen, Verständnis, Fähigkeit, …
- Ergebnis eines Lernprozesses
Qualifikation
- institutionell vergeben
- z.B. Bescheinigung, Zertifikat, Zeugnis, Abschluss
- Kommunikation über individuelle Kompetenzen (z.B. Wissen, Verständnis, Fähigkeit)
- (Kommunikation über Berechtigungen)
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Definitionen (2) Zielkontexte für Validierung und Anerkennung
Gesellschaftliche Validierung und Anerkennung
- z.B. Arbeitsmarkt (AMS, Arbeitgeber)
Formale Validierung und Anerkennung
- Institutionalisiert, administriert
- Bildungs- u. Qualifikationssystem
- Schule, Hochschule, Lehre, reglementierte Berufe
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Zuständigkeiten für Anerkennungs- und Validierungsverfahren in Österreich Schule Hochschule Lehre reglementierte Berufe
EU / EWR, Schweiz Drittstaaten
Nostrifikation ausländischer Nostrifizierung ausländischer Gleichhaltung des ausländischen Freie Berufe
Schul- und Reifezeugnissen akademischer Grade Berufsausbildungszeugnisses mit der Ö. Apothekerkammer Universitäten
BMUKK Universitäten ö. Lehrabschlussprüfung (LAP) Ö. Ärztekammer Universitäten
FHS BMWFJ Bundeskammer der Architekten und Universitäten
Gleichwertigkeit von Reifezeugnissen Ingenieurkonsulenten
durch Abkommen Gleichwertigkeit aufgrund Gleichhaltung auf Basis von Kammer der Wirtschaftstreuhänder Universitäten; FHR (FHS-Kollegium)
BMWF (NARIC) bilateraler Abkommen Berufsbildungsabkommen Ö. Notariatskammer Universitäten
BMWF (NARIC) BMWFJ Ö. Patentanwaltskammer Universitäten
Einstufungsprüfung Ö. Rechtsanwaltskammertag Universitäten
Universitäten, FHS Anerkennung von Prüfungen und Ö. Tierärztekammer Veterinärmedizinische Universität
Diplomen für das (Weiter-)Studium Ö. Zahnärztekammer Medizinische Universitäten
Gleichhaltung von Reifezeugnissen Universitäten; FHR (FHS-Kollegium) Reglementierte Gewerbe
für LAP oder Gewerbeberechtigung BMWFJ regionale Gewerbebehörde
BMWFJ Empfehlung für die Bewertung (Bezirkshauptm., Magistrat Wien)
ausländischer Hochschuldiplome Nichtärztliche Gesundheitsberufe
Bewertung ausländischer BMWF (NARIC) Ö. Hebammengremium FHR (FHS-Kollegium)
Schulzeugnisse BMG, Abt II/A/3 Universitäten
BMUKK BMG, Abt II/A/2 FHR (FHS-Kollegium)
BMG, Abt II/A/2 BMG, Abt II/A/2
BMG, Abt II/A/2 Amt der Landesregierung,
Magistrat der Stadt Wien
Pädagogische Berufe und Berufe im öffentlichen Dienst
BMWF Universitäten
BMUKK Universitäten
Landesschulrat, Landesregierung PH
Alle Bundesministerien; Universitäten, FHR (FHS-Kollegium)
Landesregierungen/ Gemeinden
Landesregierung/ Gemeinden Landesregierung/ Gemeinden
Landesregierung/ Gemeinden FHR (FHS-Kollegium)
Land- und forstwirtschaftliche Berufe
BMLFUW Universität für Bodenkultur
BMLFUW BMLFUW
Landesregierung Landesregierung
Buchhaltungsberufe
Kammer der Wirtschaftstreuhänder Universitäten, FHR (FHS-Kollegium)
Paritätische Kommission Paritätische Kommission
Sonstige reglementierte Berufe
Landesregierung Landesregierung
ExternistInnenreifeprüfung Studienberechtigungsprüfung Lehrabschlussprüfung (LAP) Verleihung des Berufstitels Ingenieur
Landesschulräte Universitäten im zweiten Bildungsweg BMWFJ
Berufsreifeprüfung FHS Bezirksverwaltungsbehörden BMLFUW
Öffentliche höhere Schulen Berufliche Qualifikation als
Nachholen des Zugangsvoraussetzung an FHS Meisterprüfung – Befähigungsprüfung –
Hauptschulabschlusses FHS Unternehmerprüfung – Ausbilderprüfung
Landesschulräte Indiv. Zulassungsprüfung Länderkammern der WKO, Meisterprüfstellen
Definitionen (3) Lernkontexte
Formales Lernen
- sequenziell gestuftes Bildungssystem
- Anschlüsse zwischen Qualifikationen, Q-Niveaus
Non-formales Lernen
- außerhalb des gestuften Bildungssystem
- oft alleinstehende Qualifikationen
Informelles Lernen
- selbst organisiert, z.B. privat, Arbeitsplatz
- Zertifizierung (Vergabe von Qualifikation) nicht Teil des selben Lernkontextes
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Definitionen (4) Anerkennung und Validierung
Anerkennung von Qualifikationen (im formalen, d.h. sequentiell gestaffelten, nationalen Bildungssystem erworben)
Anerkennung von Qualifikationen formale Gleichwertigkeit mit österreichischen Qualifikationen (Abschlüssen), gleiche Berechtigungen (z.B. Nostrifizierung) Anrechnung von Qualifikationen zweckgebunden Gleichwertigkeit mit österreichischen Qualifikationen, eingeschränkte Berechtigungen (z.B. Weiterstudium, Erasmus) Bewertung von Qualifikationen offizielle Bestätigung ohne direkter Entsprechung zu österreichischen Qualifikationen, eingeschränkte/keine formalen Berechtigungen
Validierung von Kompetenzen (individuelle Kenntnisse, Fertigkeiten, Kompetenzen; nicht formal oder informell erworben) (Q: Schneeberger/ Schlögl/Neubauer 2009)
Formale Validierung von Kompetenzen Gleichwertigkeit mit Qualifikationen des formalen Bildungssystems angestrebt (z.B. Studienberechtigung, Externistenmatura) Summative Validierung von Kompetenzen Zertifikate außerhalb des formalen Bildungssystems (z.B. IHS, ULGs, Führerschein) Formative Validierung von Kompetenzen (Beschreibung und Bewertung individueller Kompetenzen, ohne standardisierten Zertifikaten)
Anerkennungs- und Validierungsverfahren: Typen
Schule Hochschule Lehre Reglementierte Berufe
EU/EWR, Schweiz Drittstaat
Anerkennung
von Qualifikationen
Nostrifikation ausl.
Schul- u. Reife-
zeugnissen
Gleichhaltung von
Reifezeugnissen
aufgrund von
Abkommen
Nostrifizierung aus-
ländischer akade-
mischer Grade
Gleichwertigkeit durch
Abkommen
Gleichhaltung des
Berufsausbildungs-
zeugnisses mit der
ö. Lehrabschluss-
prüfung (LAP)
Gleichhaltung auf
Basis von Berufsaus-
bildungsabkommen
Anzeige grenzüberschreit-
ender Dienstleistungen
Gleichhaltung von Aus-
bildungsnachweisen
Anerkennung von Berufs-
erfahrungen
Automatische Anerken-
nung auf Basis harmoni-
sierter Ausbildungser-
fordernisse
Nostrifizierung
Gleichhaltung
Anrechnung
von Qualifikationen
Einstufungsprüfungen Anerkennung von
Prüfungen und
Diplomen für
das (Weiter-)Studium
Gleichhaltung von Reife-
zeugnissen für Lehrab-
schlussprüfung
Gleichhaltung von Reifezeugnissen für die
Gewerbeberechtigung
Bewertung
von Qualifikationen
Bewertung ausl.
Zeugnisse
Empfehlung zur Bewer-
tung ausl. Hochschul-
diplome
Formale
Validierung
von Kompetenzen
ExternistInnen-
reifeprüfung
Berufsreifeprüfung
Nachholen des Haupt-
schulabschlusses
Studienberechtigungs-
prüfung
Berufliche Qualifikation
als Zugangsv. FHS
Individuelle
Zulassungsprüfung (WB)
Lehrabschlussprüfung im
zweiten Bildungsweg
Summative
Validierung
von Kompetenzen
Verleihung des Berufstitels Ingenieur
Meisterprüfung – Befähigungsprüfung – Unter-
nehmerprüfung – Ausbilderprüfung
Formative
Validierung
von Kompetenzen 10
Definitionen (5) Rechtliche Wirkung von Validierung und Anerkennung
Rechtlich bindend
- z.B. Bescheid
- Berechtigungen, z.B. Berufszulassung, Studienberechtigung
Rechtlich nicht-bindend
- z.B. Gutachten, Bewertung
- Kommunikationserleichterung, Information
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Rechtliche Wirkung unterschiedlicher Verfahren
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Rechtlich bindend Rechtlich nicht-bindend
Anerkennung von Qualifikationen
(formal erworben)
Anerkennung
formale Gleichwertigkeit
Anrechnung
für (Weiter-)Studium
(z.B. Erasmus)
Bewertung
(z.B. Empfehlungen)
Validierung von
Kompetenzen
(non-formal, informell erworben)
Formale Valdierung
(z.B. Zertifizierung extracurricularer
Aktivitäten)
Summative Validierung
(z.B. Zertifikate ULGs, HIS)
Formative Dokumentation
(z.B. Europass)
Europäische Initiativen zur Mobilität von Qualifikationen + Kompetenzen Regelungen, Instrumente, Infrastruktur
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Rechtlich bindend Rechtlich nicht-bindend
Regelungen zur
Anerkennung + Validierung
Lissabonner Anerkennungsübereinkommen
Richtlinie 2005/36/EG zur Anerkennung von
Berufsqualifikationen
Empfehlung des Rates der EU
zur Validierung 2012
Harmonisierung von
Qualifikationssys.
Bologna Prozess
Kopenhagen Prozess
Qualifikationsrahmen QF-EHEA
EQF
Transparenz-
instrumente
ECTS (+ ECVET)
Europass/
Diploma Supplement
European Professional Card
Institutionelle Infrastruktur ENIC-NARIC Netzwerk
Bologna Servicestelle, ExpertInnen, KoordinatorInnen
Nationale Kontaktstelle für Richtlinie 2005/36/EG
Koordinierungsstelle für den NQR (NKS)
Etc.
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Anwendungsfelder für Validierung im Hochschulbereich
Validierung zum Zweck der Studienberatung
- z.B. Einschätzung von Eignung, Anrechnungsmöglichkeiten, o.ä.
Validierung zum Zweck der Zulassung
- Studienberechtigungsprüfung
- Berufliche Qualifikation als Zugangsvoraussetzung (FHS)
- Individuelle Zulassungsprüfung (Donau-Uni Krems für WB-Lehrgänge)
Validierung zum Ersatz für Teile des Studiums
- einzelne Lehrveranstaltungen, Praktika, Praxiszeiten, o.ä.
Validierung zum Erwerb ganzer Qualifikationen/Abschlüsse
- z.B. auf Basis von Portfolios + Ergänzungsprüfungen
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Schlussfolgerungen
Hochschulen: Bildungs- und Zertifizierungsinstitutionen
Hochschulen: Interaktion (Konkurrenz/Kooperation) mit anderen Bildungs- und Zertifizierungsinstitutionen
Bildung + Zertifizierung: zunehmende Entkoppelung (z.B. Stellenwert von „Anerkennung“, weniger 1:1 Entsprechung der Lernkontexte)
Zertifikate: Geltungsansprüche, Reichweite, „Definitionsmacht“ (z.B. national/international; formal/gesellschaftlich)
Abnahme ‚rechtlicher verbindlicher‘, Zunahme ‚kommunikativer‘ Mechanismen (weniger ‚Konformität‘, mehr ‚Wirkung‘ im Umgang mit Anerkennung)
Unterschiedliche Interessen von Institutionen und Gesamtsystem
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Fragen an die Hochschule/den Studiengang
In welcher Disziplin, in welchem Studiengang agiert Ihr Studiengang?
Für welches Anwendungsfeld (Studienberatung, -zulassung, -teil, -abschluss) soll Validierung eingesetzt werden?
Welche Art von Kompetenz soll/kann validiert werden? Welche Stellung hat sie im Curriculum?
Welche Zielgruppe Ihres Studiengangs soll mit Validierung besonders angesprochen werden?
Referenzen
Pfeffer, Thomas / Skrivanek, Isabella (2013) Institutionelle Verfahren zur Anerkennung ausländischer Qualifikationen und zur Validierung nicht formal oder informell erworbener Kompetenzen in Österreich In: Zeitschrift für Bildungsforschung, Vol 3(1), 63-78.
DOI 10.1007/s35834-013-0058-4 http://thomas-pfeffer.wikispaces.com/file/view/2013_pfeffer_skrivanek_anerkennung_validierung.pdf
Biffl, Gudrun / Pfeffer, Thomas (2013) Recognition of qualifications of citizens of another EU Member State. Background paper for the conference “Europe on the move – Participation and Integration of EU-citizens”, organized by the Federal Ministry of Interior (b:mi), 7-8 May 2013, Vienna. http://www.integration.at/media/files/konferenz/Sammelmappe3.pdf
Biffl, Gudrun / Pfeffer, Thomas / Skrivanek, Isabella / Egger-Subotisch, Andrea / Kerler, Monira / Doll, Evelyn / Kirilova, Sofia (2016) Anerkennung von im Ausland erworbenen Qualifikationen in Österreich – eine theoretische und empirische Auseinandersetzung. ÖIF-Forschungsbericht. Wien (Österreichischer Integrationsfonds). (Im Erscheinen)
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Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!
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