Im Gedenken an Erich Zenger (1939 – 2010),
einen der maßgeblichen Initiatoren
und Moderatoren der Revision
der Einheitsübersetzung
Die revidierte Einheitsübersetzung
Ludger Schwienhorst-Schönberger
Übersetzungen von Anfang anVon ihren Anfängen an liest die Kirche ihre Heilige Schrift in verschiedenen Übersetzungen.
Damit steht sie in einer Tradition, die im Judentum seit dem 3. Jh. vor Chr. mit der
Übersetzung der Tora ins Griechische ihren Anfang nahm und Theologie wie Exegese vor
neue Herausforderungen stellte. Bereits im 3. Jh. nach Chr. gab es in der hellenistischen Welt
mehrere griechische Übersetzungen des Alten Testaments. Am weitesten verbreitet war die
im 3. Jh. v. Chr. sukzessive entstandene Septuaginta. Daneben existierten aber auch die
griechischen Übersetzungen von Theodotion aus dem 1. Jh. n. Chr. und die von Aquila und
Symmachus aus dem 2. Jh. n. Chr. Alle diese Übersetzungen waren jüdische Übersetzungen
der Heiligen Schrift aus dem Hebräischen ins Griechische. Die Kirchen des römischen
Reiches, in denen man Griechisch sprach, übernahmen von den Juden für das Alte Testament
die Septuaginta, in einigen Fällen bevorzugten sie aber auch die Übersetzung Theodotions.
Jenseits der Grenzen des römischen Reiches im Osten nach Mesopotamien und Persien hin
lasen die Kirchen die Bibel in einer syrischen Übersetzung, der später sogenannten Peschitta,
die etwa ab dem 2. Jh. n. Chr. aus dem hebräischen Alten Testament und aus dem
Griechischen bei jenen Teilen des Alten Testaments, die nur auf Griechisch vorlagen,
angefertigt worden war. In Nordafrika begannen die Christen etwa um 200 n. Chr. die
Septuaginta ins Lateinische zu übersetzen. Von dort aus verbreiteten sich die ersten
lateinischen Übersetzungen, die unter der Sammelbezeichnung Vetus Latina geführt werden,
nach Gallien, Spanien und Italien.
Bereits aus diesem historischen Faktum des Gebrauchs unterschiedlicher Bibelübersetzungen
in der frühen Kirche lässt sich Grundlegendes zum Verständnis des christlichen Glaubens
erschließen. Das Christentum verehrt nicht den Wortlaut eines geoffenbarten Buches. In
diesem Sinne ist es keine Buchreligion. Das für sein Selbstverständnis maßgebliche Buch, die
Bibel, ist nicht die Offenbarung Gottes, sondern bezeugt sie. Dem christlichen Verständnis
nach hat Gott sich selbst mitgeteilt, und diese Selbstmitteilung Gottes wird im Wort der
Heiligen Schrift bezeugt.
Einem der bedeutendsten Theologen der frühen Kirche, Origenes (185 – 254 n. Chr.), fiel
dabei auf, dass dieses Zeugnis in unterschiedlichen Übersetzungen vorlag, die in einigen
theologisch durchaus relevanten Punkten voneinander abwichen. Er hat nun nicht par ordre du
mufti eine der in Umlauf befindlichen Versionen für wahr und alle übrigen für falsch erklärt,
sondern in der Haltung eines seriösen Bibelwissenschaftlers die verschiedenen Versionen
miteinander verglichen und über die Unterschiede nachgedacht. Dabei fiel ihm auf, dass sich
einige der Differenzen als Schreibfehler erklären ließen und beseitigt gehörten. Er stieß aber
auch auf Unterschiede in den Übersetzungen, die sich nicht als Fehler, sondern nur dadurch
erklären ließen, dass sie auf unterschiedliche Textvorlagen zurückgingen. In der Septuaginta
wich der Wortlaut manchmal vom hebräischen Text ab. Die Genialität des Origenes bestand
nun darin, dass er die Wahrheit des christlichen Glaubens nicht dadurch gefährdet sah, dass
dieser in voneinander abweichenden Textüberlieferungen und Übersetzungen bezeugt wurde.
Die Heilige Schrift existiert offensichtlich in mehreren Formen. Die hebräische wie die
griechische Bibel gelten als inspiriert.
Die Erinnerung an diesen frühen Meister der Bibelwissenschaft kann helfen, die Bedeutung
von Bibelübersetzungen in rechter Weise einzuschätzen. Bibelübersetzungen gehören zum
Selbstverständnis des christlichen Glaubens, da sich in ihnen der Gestus des
fleischgewordenen Wortes widerspiegelt, eines Wortes, das in die Welt, und das heißt auch in
die Lebens- und Sprachwelt der Menschen, eingegangen ist und immerfort eingehen will.
Bibelübersetzungen sind dem christlichen Verständnis nach also keine bedauernswerten
Abweichungen von einem schön klingenden und letztlich unübersetzbaren Original, wie es –
maßgeblichen Interpretationen zufolge – beim Koran der Fall sein soll, der aufgrund seiner
klanglichen Schönheit und seiner unbegrenzten Interpretationsmöglichkeiten im Grunde
unübersetzbar ist. Im Zentrum der christlichen Botschaft steht nicht die Schönheit eines
Textes, sondern die durch einen Text bezeugte Wahrheit, und diese kann – wie der Tod Jesu
zeigt – durchaus grausam und hässlich sein. In der Bibel geht es nicht wie beim Koran um den
schönen Klang ursprünglicher Offenbarungsworte mit hoher normativer Ambiguitätstoleranz,
sondern um ein vielstimmiges und zugleich einheitliches Zeugnis der Wahrheit. Diese erhebt
einen universalen Geltungsanspruch, womit zugleich gesagt ist, dass sie prinzipiell in allen
Sprachen und Kulturen der Welt verstanden und in sie hinein übersetzt werden kann. Dort
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kann und soll sie dann allerdings auch in ihrer Schönheit erstrahlen und als Glanz der
Wahrheit (splendor veritatis) die Heiden erleuchten (vgl. Lk 2,32).
Um dieses vielstimmige Zeugnis in seinem Verweis auf die bezeugte Wahrheit vor der mit
jeder Tradierung einhergehenden Gefahr einer sich ins Unbestimmte hinein verlierenden
Verflüssigung zu bewahren, haben sich Judentum wie Christentum schon früh um die Pflege
und Übersetzung von Texten bemüht, in denen sie authentische Formen dieses Zeugnisses
erkannten. So sehr also die Offenbarung nach christlichem Verständnis nicht mit einer
bestimmten Textform zu identifizieren ist, so ist doch der Wortlaut des die Offenbarung
bezeugenden Textes und dessen Verständnis keineswegs unbestimmt und beliebig.
Entsprechend hat sich die Kirche immer darum bemüht, angemessene Übersetzungen der
Bibel anzufertigen. In diese ehrwürdige über zweitausendjährige Tradition reiht sich nun auch
die im Jahre 2016 erschienene Revision der deutschen Einheitsübersetzung ein.
Die Einheitsübersetzung und ihre RevisionDie Einheitsübersetzung ist die erste offizielle deutschsprachige Bibelübersetzung der
katholischen Kirche für die Bistümer des deutschen Sprachraums. Schon vor dem Zweiten
Vatikanischen Konzil, im Jahre 1961, fassten die katholischen Bischöfe des
deutschsprachigen Raums aufgrund einer Denkschrift des Katholischen Bibelwerks Stuttgart
den Beschluss, eine neue Übersetzung der Bibel aus den Urtexten für den kirchlichen
Gebrauch zu erstellen. Mit seiner Forderung, dass „das Wort Gottes allen Zeiten zur
Verfügung stehen muss“, und der erklärten Verpflichtung, dass sich die Kirche bemüht,
„geeignete und richtige Übersetzungen in die verschiedenen Sprachen zu erarbeiten,
insbesondere aus den Urtexten der Heiligen Bücher“ (Dei Verbum 22), fand das Vorhaben der
Bischöfe eine fundamentale Bestätigung durch das Konzil. Im Jahre 1979 wurde die
Übersetzung nach einer Erprobungsphase von einigen Jahren von den Bischöfen approbiert.
Im Jahre 2006 vereinbarten sie auf vielfach geäußerten Wunsch eine „moderate Revision“.
Über die einzelnen Schritte und Gründe der Revision informiert ausführlich ein eigens
herausgegebener Rechenschaftsbericht.1 Richten wir unsere Aufmerksamkeit auf das
vorliegende Ergebnis.
1 Die Revision der Einheitsübersetzung der Heiligen Schrift 2005 – 2014. Eine Rechenschaft, hg. von Joachim Wanke, Stuttgart: Katholische Bibelanstalt 2017. Vgl. auch Joachim Wanke, Genau, komplett, verständlich. Die revidierte Einheitsübersetzung der Bibel, in: HerKorr 70 (11/2016) 22-24. Ein Überblick findet sich auch im Anhang der neuen Bibelausgabe. Eine schöne Einführung in die revidierte EÜ bietet Thomas Söding, Die Bibel für alle. Kurze Einführung in die neue Einheitsüberstezung, Freiburg 2017.
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Näher am Text Die Revision der Einheitsübersetzung (EÜ) lässt eine klare Tendenz in Richtung einer
quellsprachenorientierten Übersetzung erkennen. Das heißt, die Übersetzung wird wieder
stärker an den Wortlaut des zu übersetzenden Textes angeglichen, unter Umständen auch
unter Inkaufnahme einer gewissen Härte in der Zielsprache. Bei der Revision ging es also
nicht nur darum, kleinere Übersetzungsfehler zu korrigieren und zeitbedingte Ausdrücke zu
ersetzen, sondern um eine insgesamt deutlichere Ausrichtung der Übersetzung an dem zu
übersetzenden Text. Darin zeigt sich ein signifikanter, theologisch relevanter
Mentalitätswechsel. Die ursprüngliche Einheitsübersetzung war geprägt von einem
Verständnis des Zweiten Vatikanischen Konzils als einer Öffnung der Katholischen Kirche
hin zur modernen Lebenswelt. Wer von sich – in einer durchaus nicht unmissverständlichen
Weise – behauptet, dass die „Freude und Hoffnung, die Trauer und Angst der Menschen
dieser Zeit“ auch „die Freude und Hoffnung, die Trauer und Angst der Jünger Christi“ sei
(Gaudium et spes 1), muss auch die Sprache der Menschen „dieser Zeit“ sprechen. Die
Sprache der Kirche und ihrer Bibel sollte keine von der Welt abgekapselte Sondersprache
mehr sein. Entsprechend war die alte Einheitsübersetzung darum bemüht, tatsächliche oder
vermeintliche Sprachbarrieren zwischen der Bibel und dem modus loquendi ihrer
zeitgenössischen Rezipienten abzubauen oder einzuebnen; in der Terminologie der
Translationswissenschaft gesprochen war sie eine zielsprachenorientierte, tendenziell sogar
eine dynamisch-äquivalente Übersetzung. Nicht selten führte dieser in der damaligen
Übersetzungswissenschaft favorisierte Übersetzungstyp dazu, spezifisch biblische
Redeformen und Metaphern, wenn sie als dem modernen Sprachempfinden gegenüber fremd
galten, aufzulösen und durch sinngemäße Ausdrücke zu ersetzen. Dieses Prinzip kam vor
allem in einer ersten für eine Erprobung freigegebenen Fassung zum Tragen. So wurden die
Seligpreisungen zu „Wohligpreisungen“: „Wohl denen, die keine Gewalt anwenden“, so
lautete die Übersetzung von Mt 5,5 in der ersten zur Erprobung frei gegebene Fassung der
EÜ. Dieser Trend wurde dann aber in der endgültigen Ausgabe wieder ein wenig
zurückgenommen: „Selig, die keine Gewalt anwenden“, heißt es in der EÜ von 1979. Die jetzt
vorliegende Revision hat die Übersetzung noch stärker an Syntax und Semantik des
griechischen Urtextes angeglichen; so lesen wir jetzt: „Selig die Sanftmütigen“. Allerdings ist
es der Revision nicht gelungen, dieses Prinzip konsequent anzuwenden. Dies zeigt sich bereits
in der Bergpredigt. Die erste Seligpreisung ist mit „Selig, die arm sind vor Gott“ unverändert
geblieben, hätte aber im Sinne der Zielsetzung der Revision mit „Selig, die Armen im Geiste“
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korrigiert werden müssen, was aber angesichts des verbreiteten Missverständnisses vermieden
wurde. Hier zeigt sich die Spannung zwischen Wörtlichkeit und Verständlichkeit, in der jede
Übersetzung steht.
Das die Revision leitende Bemühen einer stärkeren Angleichung an den Ausgangstext ist eine
exegetisch und theologisch sehr zu begrüßende Tendenz. Denn bei der die alte EÜ heimlich
leitenden Vorstellung, biblische Texte müssten gleich beim ersten Hören jedem Zeitgenossen
auf Anhieb verständlich sein, handelt es sich um ein theologisches Missverständnis. Die in der
Bibel bezeugte Wahrheit ist keine ungebrochene Verlängerung eines wie auch immer
geprägten menschlichen Selbst- und Weltverständnisses. Die Botschaft des Alten wie des
Neuen Testamentes bedeutet immer auch Bruch mit einer Welt, die die Worte verdreht (vgl.
Ps 73,15; 116,11). Dieser Bruch darf nicht durch eine allzu modernitätsbeflissene Sprache
verschleiert werden.
Konkordant übersetzenEin wichtiges Prinzip dieser wieder stärker am Ausgangstext orientierten Übersetzung ist der
Versuch, so weit wie möglich – zumindest innerhalb eines Buches – konkordant zu
übersetzen; das heißt, es wird versucht, für ein hebräisches oder griechisches Wort immer
dieselbe deutsche Übersetzung zu wählen. Durchgehend ist das in einem so komplexen
Textbestand wie dem der Bibel nicht möglich, wohl jedoch innerhalb eines Buches und
zusammenhängender Büchergruppen. Das erkennbare Bemühen, konkordant zu übersetzen,
halte ich für eine der wichtigsten Fortschritte der Revision. Damit wird ein für das
Verständnis biblischer Texte grundlegendes Stilelement auch in einer Übersetzung
einigermaßen erkennbar. In der Exegese der vergangenen Jahre wurde dieses der patristischen
und jüdischen Schriftauslegung vertraute Prinzip unter der Bezeichnung Intertextualität neu
entdeckt. In den 60er und 70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts, da die EÜ entstand, war
die Exegese stark von der Frage nach der Gattung abgrenzbarer Texteinheiten geprägt; dem
Prinzip der Vernetzung der Texte untereinander wurde keine besondere Aufmerksamkeit
zuteil. Es geriet weitgehend aus dem Blick. Zur Veranschaulichung der Trendwende ein
Beispiel: Psalm 1 und 2 sind im hebräischen Text durch gemeinsame Stichwort eng
miteinander verknüpft. Damit wird signalisiert, dass beide Psalmen zusammenhängend zu
lesen sind. Sie legen sich wechselseitig aus und bilden die doppelte Eingangspforte zum
Psalter. Die alte Einheitsübersetzung lässt diese Bezüge oft nicht mehr erkennen. Sie
übersetzt:
Ps 1,1f Wohl dem Mann, der nicht dem Rat der Frevler folgt,
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nicht auf dem Weg der Sünder geht,
nicht im Kreis der Spötter sitzt,
sondern Freude hat an der Weisung des Herrn,
über seine Weisung nachsinnt bei Tag und bei Nacht ...
Ps 2,1 Warum toben die Völker,
warum machen die Nationen vergebliche Pläne?
Die revidierte Übersetzung macht die im hebräischen Text vorliegenden Bezüge wieder
sichtbar (Kursivschreibung von L.S.-S.):
Ps 1,1f Selig der Mann, der nicht nach dem Rat der Frevler geht,
nicht auf dem Weg der Sünder steht,
nicht im Kreis der Spötter sitzt,
sondern sein Gefallen hat an der Weisung des HERRN,
bei Tag und bei Nacht über seine Weisung nachsinnt ...
Ps 2,1 Warum toben die Völker,
warum ersinnen die Nationen nichtige Pläne?
Bei dem in der Revision mit „nachsinnen / ersinnen“ übersetzten Wort handelt es sich im
hebräischen Text um ein und dasselbe Wort (hagah). Gemeint ist eine Art murmeln im Stile
eines halblauten Rezitierens, wie es noch in der lateinischen Übersetzung mit meditari
anklingt. Ob nun die Entscheidung für murmeln oder nachsinnen fällt, in jedem Fall hat die
Revision mit der konkordanten Übersetzung den Kontrast zwischen den beiden Lebensformen
sprachlich sichtbar gemacht. Die alte EÜ hat einmal mit „nachsinnen“ (Ps 1,1) und einmal mit
„Pläne machen“ (Ps 2,1) übersetzt und damit den Bezug zwischen den Aussagen verschleiert.
Ferner hat die revidierte Fassung das erste Wort wieder mit „selig“ übersetzt. Damit wird ein
Zusammenhang zu den Seligpreisungen der Bergpredigt hergestellt, die das gleiche Wort
wählen wie die Septuaginta in Ps 1,1: μακάριος. Auf diese Weise wird der Zusammenhang
zwischen dem Alten und dem Neuen Testament viel deutlicher, als dies in der alten EÜ der
Fall war.
Wer die neue EÜ liest, sollte auf die Wortwiederholungen achten. Hebräische Texte werden
oft durch Wiederholung von Leitwörtern strukturiert. Die alte EÜ hat, dem im Deutschen
geltenden Stilprinzip variatio delectat folgend, Wortwiederholungen oft durch Variation des
Ausdrucks unkenntlich gemacht. Damit geht ein wichtiges Prinzip zum Verständnis biblischer
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Texte verloren. Die Revision hat sich hier wieder an vielen Stellen dem Ausgangstext
angepasst. Dazu ein weiteres Beispiel: In Jes 60,1-3 begegnet dreimal das Wort zarach. Die
alte EÜ übersetzt zweimal mit „leuchten“, einmal mit „strahlen“. Die Revision übersetzt nun
in allen drei Fällen mit „strahlen“. Auf diese Weise wird die innere Konsistenz des Textes
auch in der deutschen Übersetzung sichtbar und nachvollziehbar. In bibelpastoralen
Handreichungen sollte auf dieses wichtige Prinzip aufmerksam gemacht und so eine
Hilfestellung zum angemessen Lesen und Verstehen biblischer Texte geboten werden. Es ist
sehr zu begrüßen, dass die Revision sich darum bemüht hat, die Übersetzung diesem
biblischen Strukturprinzip anzugleichen. Leider ist es nicht in allen Büchern in gleicher Weise
gelungen.2
Beseitigung fehlerhafter Übersetzungen: Marta und MariaAuch für die Beseitigung fehlerhafter Übersetzungen gibt es Beispiele. Die nur bei Lukas
überlieferte Perikope von Marta und Maria (Lk 10,38-42) hat insbesondere aufgrund der
lateinischen Übersetzung eine interessante Wirkungsgeschichte entfaltet. Marta und Maria
galten als Personifikationen der vita activa und der vita contemplativa. Das an Marta
gerichtete Wort Jesu: „Maria enim optimam partem elegit“ wurde im Sinne eines Superlativs
verstanden und von der alten EÜ komparativisch übersetzt: „Maria hat das Bessere gewählt“.
Der griechische Text spricht jedoch lediglich vom „guten Teil“ (τὴν ἀγαθὴν μερίδα), den
Maria erwählt hat, was in der revidierten EÜ jetzt auch richtig wiedergegeben wird und von
Meister Eckhart schon viele Jahrhunderte vor der Revision als richtig erkannt wurde.
Heilige Schrift von Juden und Christen: Jungfrau oder junge Frau?Über einzelne Übersetzungen wird man diskutieren können. Nicht ganz konsequent scheint
mir Jes 7,14 übersetzt zu sein. Im Anschluss an die Septuaginta und ihre Rezeption in Mt 1,23
bleibt es bei der Jungfrau, in Angleichung an den hebräischen Text wird jedoch das Tempus
der drei Verben in die Abfolge von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft gesetzt, so dass
jetzt folgende ungewohnt klingende Übersetzung aufscheint: „Siehe, die Jungfrau hat
empfangen, sie gebiert einen Sohn und wird ihm den Namen Immanuel geben.“ Die alte EÜ
hat sich hier konsequent an der Septuaginta orientiert, auf die sich das christologische
Verständnis von christlicher Seite stützt: „Seht, die Jungfrau wird ein Kind empfangen, sie
wird einen Sohn gebären, und ihm den Namen Immanuel (Gott mit uns) geben.“ Die
2 Eine genaue Durchsicht zeigt, dass die angestrebte konkordante Übersetzung nicht überall, wo sie möglich gewesen wäre, tatsächlich durchgeführt wurde. Einzelne Stellen zu diskutieren, würde hier zu weit führen. In Zukunft anstehende Revisionen sollten diesen Aspekt im Auge behalten.
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revidierte EÜ präsentiert im Grunde eine Mischung aus hebräischem Text und Septuaginta.
Moderne jüdische Übersetzungen orientieren sich verständlicherweise konsequent am
hebräischen Text,3 moderne christliche Übersetzungen teils am hebräischen Text, teils an der
Septuaginta. Es sei daran erinnert, dass es sich bei der Septuaginta um eine jüdische
Übersetzung handelt, die allerdings an dieser Stelle bereits in der Antike von den jüdischen
Revisoren Aquila, Symmachus und Theodotion wieder stärker an den hebräischen
Originaltext angeglichen wurde; die genannten Revisoren ersetzen ἡ παρθένος („die
Jungfrau“) durch ἡ νεᾶνις („die junge Frau“), was der hebräischen Vorlage wieder näher
kommt. Wie auch immer man sich bei der Übersetzung von Jes 7,14 entscheidet, der bereits
in seinem hebräischen Wortlaut offene Text gibt in jedem Fall zu denken.
Gendergerechte Sprache?Zu einer der umstrittensten sprachpolitischen Regelungen gehört seit Jahren die Forderung
nach einer gendergerechten Sprache. Gesetzestexte und universitäre Studienordnungen
werden aufgrund behördlicher Anordnungen „gegendert“. Philologisches Wissen, stilistisches
Empfinden und Sprachökonomie halten nicht selten mit guten Gründen dagegen. Wie hat sich
die Revision der EÜ in dieser kontroversen Diskussion positioniert? Es lassen sich drei
Aspekte erkennen:
(1) Die Diskussion um eine gendergerechte Sprache hat in einigen Fällen zu einer
Sensibilisierung in der Wahrnehmung fehlerhafter androzentrischer Übersetzungen geführt.
Diese wurden in der Revision korrigiert. Beispiel Spr 3,13: „Wohl dem Mann, der Weisheit
gefunden, dem Mann, der Einsicht gewonnen hat.“ Im hebräischen Text steht jedoch adam
und nicht isch, so dass jetzt richtig übersetzt wurde: „Selig der Mensch, der Weisheit
gefunden, der Mensch, der Einsicht gewonnen hat.“ Die Anrede ἀγαπητοί, in der alten EÜ mit
„liebe Brüder“ wiedergegeben, wird jetzt richtig mit „Geliebte“ übersetzt (u. a. Jud 3; 17; 20).
Diese und ähnliche Korrekturen sind, streng genommen, nichts anderes als eine dem Original
entsprechende Übersetzung des Textes. Eine elegante und philologisch korrekte Lösung ist
die Übersetzung von Lk 5,17 mit „ein Mensch, der gelähmt war“ statt „ein Gelähmter“ wie in
der alten EÜ. Damit wird der Unterschied zur Parallele in Mk 2,1-12 und Mt 9,1-8 wieder
sichtbar, wo dem griechischen Text entsprechend richtig mit „Gelähmter“ übersetzt wird.
Lukas, in dessen Evangelium Frauen eine besondere Aufmerksamkeit zuteil wird, scheint
avant la lettre mit den Richtlinien einer geschlechtersensiblen Sprache vertraut gewesen zu
3 So übersetzt beispielsweise Tanakh. The Holy Scriptures (The standard Jewish Bible for the English-speaking world): „Look, the young woman is with child and about to give birth to a son. Let her name him Immanuel.“
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sein. Nach diesem Modell wäre eigentlich auch Lk 10,30 mit „Ein Mensch ging von
Jerusalem nach Jericho ...“ zu übersetzen gewesen, was aber doch allzu gewollt klingt,
weshalb es bei: „Ein Mann ging von Jerusalem nach Jericho ...“ geblieben ist.
(2) Es gibt Fälle, in denen die Bischöfe dem Vorschlag der Kommission, gendersensibel zu
übersetzen, nicht gefolgt sind. Im Fall von Psalm 1,1 handelt es sich dabei um eine richtige
und kluge Entscheidung. Die Übersetzer-Kommission hatte vorgeschlagen, mit „Selig der
Mensch“ zu übersetzen. Bei der Approbation ist es aber bei „Selig der Mann“ geblieben. Es
handelt sich hierbei nicht nur um die wörtlich richtige, sondern auch um die sinngemäß
richtige Übersetzung, da es sich bei der in Psalm 1 entworfenen Figur um eine königlich-
messianische Gestalt handelt, wie in der Abfolge der Psalmen 1, 2 und 3 deutlich wird und
wie es sowohl von der jüdischen als auch von der christlichen Auslegungsgeschichte richtig
erfasst worden ist. Erst über diese Figur und nicht an ihr vorbei wird die universale
Perspektive des Textes eingeholt. Die „Bibel in gerechter Sprache“, die hier mit „Glücklich
sind die Frau, der Mann, die nicht ...“ übersetzt, liegt an dieser Stelle völlig falsch.
(3) Es gibt Fälle, in denen die „gendergerechte“ Übersetzung problematisch ist. An einigen
Stellen bewirkt sie das Gegenteil von dem, was sie intendiert. In der Briefliteratur wurde die
Anrede ἀδελφοί durchgehend mit „Brüder und Schwestern“ wiedergegeben. Mit dieser
Übersetzung macht die Revision eine Ausnahme von ihrem sonst durchgehend angewandten
Prinzip, sinngemäße durch wörtliche Übersetzungen zu ersetzen. In diesem Fall hat sie die
bisherige wörtliche Übersetzung „Brüder“ durch eine sinngerechte Übersetzung
wiedergegeben. Im Anhang heißt es als Begründung dazu, dass „an Stellen, wo eine
Maskulinform Menschen beiderlei Geschlechts bezeichnet, eine sachgemäße Wiedergabe
gefunden werden“ musste (S. 1454). Diese Entscheidung kann an einigen Stellen dazu führen,
dass genau das Gegenteil von dem erreicht wird, was beabsichtigt ist. In 1 Kor 15,1-11 wird
die Anrede ἀδελφοί „gendergerecht“ mit „Brüder und Schwestern“ wiedergegeben. In dem
mit dieser Anrede eröffneten Argumentationsgang schreibt Paulus wenige Zeilen später, dass
Jesus „fünfhundert Brüdern“ zugleich erschienen sei. Von der vorangehenden Anrede her und
aufgrund der Erklärung im Anhang ist nun das Wort „Brüder“ ausschließlich auf männliche
Personen zu beziehen. Demnach wären unter den fünfhundert Brüdern keine Frauen, was
jedoch als sehr unwahrscheinlich gilt (vgl. Röm 16,7).
Es gibt weitere Fälle, die zeigen, dass eine dem Prinzip der „gendersensiblen“ Sprache
folgende Übersetzung semantisch relevante Bezüge des Ausgangstextes unkenntlich macht. In
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Röm 8,14 wurde die alte und genaue Übersetzung „Söhne Gottes“ für υἱοὶ θεοῦ durch
„Kinder Gottes“ ersetzt. Damit wird der Zusammenhang zur „Sohnschaft“ (υἱοθεσία) im
folgenden Vers verschleiert. In Vers 16 wird dann τέκνα richtig mit „Kinder“ wiedergegeben,
womit allerdings die Differenz zu 8,14 verloren geht und das Prinzip konkordanten
Übersetzens aufgegeben wird. Damit wird implizit unterstellt, der griechische Ausdruck
„Söhne Gottes“ in Röm 8,14 würde sich nur auf männliche Personen beziehen. Die Beispiele
zeigen, dass eine gendergerechte Sprache auf der einen Seite Probleme und Missverständnisse
beseitigt, auf der anderen Seite aber wieder neue Probleme und Missverständnisse schafft.
Insgesamt gesehen hat sich die Revision in dieser kontrovers diskutierten Frage klug
entschieden. Es ist unfair, wie es bereits in einer beiläufigen Stellungnahme in der Presse
geschah, die Revision in den Strom einer völlig überzogenen „gendergerechten“
Sprachbereinigung zu stellen. Das wird der Übersetzung in keiner Weise gerecht. Sie bestätigt
im Grunde eine Entwicklung, die seit Jahren zu beobachten ist, dass nämlich eine radikal
gegenderte Sprache auf die Diktion der Verwaltung und den Stil eines kleinen Justemilieus
beschränkt bleibt, während literarisch anspruchsvolle Texte und die auf Verständigung und
nicht auf Bekenntnis hin ausgerichtete Sprache alltäglicher Kommunikation sich von der
feministischen Sprachkritik nicht bevormunden lassen. So spricht auch die Revision der EÜ
völlig korrekt weiterhin vom „Brief an die Römer“ und fügt nicht ein redundantes „und die
Römerinnen“ hinzu.
„Es sprach der HERR zu meinem Herrn“ (Ps 110,1)Jede Bibelübersetzung muss sich mit der Frage befassen, wie der Gottesname wiedergegeben
werden soll. Im Hebräischen steht dafür ein Wort mit vier Buchstaben, das sogenannte
Tetragramm: JHWH. Die alte EÜ hat den Gottesnamen in der Tradition der Septuaginta
(κύριος) und der Vulgata (dominus) stehend mit „der Herr“ wiedergegeben. In einigen Fällen
hat sie aber auch mit „Jahwe“ übersetzt (u. a. in Ex 3,15f; Dtn 6,4; Hos 11,10). Die Revision
bringt zwei Änderungen: Sie gibt den Gottesnamen durchgehend mit „der HERR“ (in
Kapitälchen) wieder und vermeidet konsequent die Verwendung des Namens Jahwe. Das ist
eine kluge und richtige Entscheidung. Damit wird sowohl der jüdischen als auch der im
Neuen Testament bezeugten Tradition entsprochen, den Gottesnamen nicht auszusprechen.
Die Schreibung in Kapitälchen signalisiert beim Lesen, dass „der HERR“ – in Kapitälchen
geschrieben – von einem menschlichen Herrn zu unterscheiden ist. So wird beispielsweise
auch in der Übersetzung deutlich, wer in Ps 110,1 zu wem spricht: „So spricht der HERR zu
meinem Herrn“.
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Die konsequente Übersetzung des Gottesnamens mit „der HERR“ stellt an jenen Stellen das
Verstehen des Textes allerdings vor besondere Herausforderungen, an denen ausdrücklich auf
den Gottesnamen als solchen verwiesen wird, wie zum Beispiel in Hos 12,6: „Der Herr, der
Gott der Heere, dessen Name Jahwe ist“ (so die alte EÜ) lautet jetzt: „Der HERR, der Gott der
Heerscharen, dessen Name HERR ist“. An dieser und ähnlichen Stellen sollte eine kurze
erklärende Anmerkung hinzugefügt werden, aus der deutlich hervorgeht, dass es hier um den
Gottesnamen JHWH geht.
Allerdings gibt es bei der Wiedergabe des Gottesnamens in der revidierten Übersetzung eine
Spannung, vor die sich alle modernen christlichen Bibelübersetzungen gestellt sehen. Im
Neuen Testament finden sich zahlreiche alttestamentliche Zitate, in denen entsprechend der
Septuaginta das griechische κύριος für den hebräischen Gottesnamen steht. In allen diesen
Zitaten steht nun „der Herr“ nicht in Kapitälchen. Damit wird zumindest im Schriftbild der
Zusammenhang zwischen dem Alten und dem Neuen Testament verschleiert, was der
römischen Instruktion Liturgiam authenticam widerspricht, in der es heißt, dass bei der
Übersetzung auf „die Einheit und den Zusammenhang zwischen den beiden Testamenten“ zu
achten ist (Nr. 41). So wird beispielsweise in Dtn 6,4 HERR in Kapitälchen gesetzt, in Mk
12,29f jedoch, wo Dtn 6,4 zitiert wird, nicht: „Höre, Israel! Der HERR, unser Gott, der HERR
ist einzig. Darum sollst du den HERRN, deinen Gott, lieben mit ganzem Herzen ...“ (Dtn 6,4)
lautet in Mk 12,29f: „Höre, Israel, der Herr, unser Gott, ist der einzige Herr. Darum sollst du
den Herrn, deinen Gott, lieben mit ganzem Herzen ...“. Damit wird außerdem der Unterschied
zwischen dem auf Jesus Christus bezogenen titularen Gebrauch von κύριος (Kol 1,3: „Wir
danken Gott, dem Vater unseres Herrn Jesus Christus“; Phil 2,11: „Jesus Christus ist der
Herr“) und der Übersetzung des Gottesnamens mit demselben Wort κύριος verwischt. Die
konsequente typographische Unterscheidung hätte hier für die notwendige Klarheit gesorgt.
Das gilt auch für jene Stellen, an denen der neutestamentliche Autor einen über den
alttestamentlichen Sprachgebrauch hinausgehenden Horizont eröffnet und christologische
Konnotationen eines alttestamentlichen Zitats einspielt wie etwa in Mk 1,3: „Stimme eines
Rufers in der Wüste: Bereitet den Weg des Herrn!“ So geschrieben meint der Leser, das Wort
„Herr“ sei primär auf Jesus zu beziehen. In Wahrheit aber ist es an dieser Stelle doppeldeutig.
In seinem ursprünglichen alttestamentlichen Kontext bezieht sich „Herr“ auf Gott und wird
dort folgerichtig in Kapitälchen geschrieben (Jes 40,3). Im Kontext des Evangeliums erfährt
diese genuin theologische Bedeutung eine christologische Öffnung hin auf das Kommen des
„Herrn Jesus Christus“, der nach der Aufforderung von Mk 1,2 in Mk 1,9 tatsächlich die
Bühne betritt.
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Das hier angesprochene Problem verweist auf eine Spannung innerhalb moderner
Bibelübersetzungen in den Kirchen des Westens. Vereinfachend gesagt: Die Hagiographen
des Neuen Testaments lasen die Septuaginta, die modernen Alttestamentler lesen den
hebräischen Text der Masoreten. Das Neue Testament folgt in seinen alttestamentlichen
Zitaten in der weitaus überwiegenden Zahl der Septuaginta, die modernen Übersetzungen des
Alten Testaments jedoch dem masoretischen Text. Sieht der Übersetzer des Neuen
Testamentes in einem alttestamentlichen Zitat das Wort κύριος, übersetzt er es mit „Herr“,
also so, wie er das Wort immer übersetzt, ganz gleich, ob Gott, Jesus oder irgendein anderer
Herr gemeint ist. Sieht der Übersetzer des Alten Testaments das Tetragramm JHWH übersetzt
er mit „der HERR“. Vielleicht sollte man in den zukünftigen Ausgaben diesen Zusammenhang
erklären.
Einheitsübersetzung und GotteslobAls äußerst misslich wird von vielen die Tatsache angesehen, dass die biblischen Texte des
2013 neu herausgegebenen Gotteslob noch der alten EÜ entstammen. Einige sprechen sogar
von einem Skandal. Aufgrund mangelnder Koordination ist es nicht gelungen, die revidierten
Texte, insbesondere den Psalter, die zum Zeitpunkt der Fertigstellung bereits vorlagen, in das
neue Gotteslob einzufügen. So werden nun in der Liturgie zwei verschiedene
Bibelübersetzungen verwendet, was der Instruktion Liturgiam authenticam widerspricht:4 Mit
dem Gotteslob freut sich der Beter, dass er wohnen darf „im Hause des Herrn für lange Zeit“
(GL 37), mit der revidierten EÜ soll er „heimkehren ins Haus des HERRN für lange Zeiten“
(Ps 23,6). Welche Übersetzung ist denn nun richtig, wird sich der aufmerksame Beter und
Leser der Schrift fragen.
Meines Erachtens ist die Verwendung unterschiedlicher Bibelübersetzungen in der Liturgie
nicht so tragisch wie vielfach behauptet wird. Gewisse Differenzen sind beispielsweise häufig
auch zwischen den Antiphonen, den ihnen zugrunde liegenden biblischen Texten in ihrer
jeweils approbierten Übersetzung und der künstlerischen Verarbeitung biblischer Texte im
Liedgut anzutreffen. Das hängt damit zusammen, dass zahlreiche Antiphonen auf die
altlateinischen Übersetzungen (Vetus latina) zurückgehen. Sie waren bis zum 8. Jh. die im
Westen vorrangig benutzten lateinischen Bibelübersetzungen. Bis zu diesem Zeitpunkt 4 „Damit die Gläubigen wenigstens die bedeutendsten Texte der Heiligen Schrift, durch die sie auch im privaten Gebet geformt werden, im Gedächtnis behalten können, ist es sehr wichtig, dass die für den liturgischen Gebrauch bestimmte Bibelübersetzung eine gewisse Einheitlichkeit und Beständigkeit aufweist; d. h. man soll im ganzen Gebiet eine einzige approbierte Übersetzung gebrauchen, die in allen Teilen der verschiedenen liturgischen Bücher verwendet wird. Eine solche Beständigkeit ist besonders für die Übersetzung der biblischen Schriften wünschenswert, die häufiger verwendet werden, wie für den Psalter, der das grundlegende Gebetbuch des christlichen Volkes ist“ (LA 36).
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bildeten sich die lateinischen Liturgien aus. Die auf den hebräisch-masoretischen Text
zurückgehende Übersetzung des Hieronymus setzte sich erst nach dem 8. Jh. als die im
Westen allgemein gebräuchliche (Vulgata) lateinische Bibelübersetzung durch. Vor allem bei
den zahlreichen dem Psalter entnommenen Antiphonen macht sich der Unterschied
bemerkbar. Ihnen liegen sehr oft die altlateinischen Versionen zugrunde.
Die Verwendung einheitlicher Bibelübersetzungen in der Liturgie wäre wünschenswert. Die
Einheit der Liturgie wird allerdings durch den gleichzeitigen Gebrauch unterschiedlicher
Bibelübersetzungen nicht infrage gestellt. Sie muss nicht zur Verwirrung der Gläubigen
führen, sondern kann daran erinnern, dass das „Wort Gottes“ in unterschiedlichen
Übersetzungen bezeugt wird und nicht mit einem geoffenbarten Wortlaut zu verwechseln ist.
Zudem können die Differenzen ein willkommener Anlass für den Prediger sein, dem
gläubigen Volk die Unterschiede in ihrer je eigenen theologischen Akzentsetzung zu
erschließen.
Ein Problem ist allerdings, dass sich Texte nur dann dem Gedächtnis einprägen, wenn sie auf
der Grundlage eines feststehenden Wortlautes auswendig gelernt werden können. Deshalb hat
man bei der Revision auf eine Veränderung der „eingebeteten“ Texte wie Magnifikat,
Benediktus und Nunc dimittis verzichtet, obwohl auch hier einige Passagen zu korrigieren
wären wie etwa der zweite Teil des Magnifikat (Lk 1,51-55), der mit seinen sieben aus dem
Alten Testament erwähnten Taten Gottes im Tempus der Vergangenheit hätte übersetzt
werden müssen, also: „Mit seinem Arm vollbrachte er machtvolle Taten, er hat zerstreut, die
im Herzen voll Hochmut sind.“ In der mangelnden mnemotechnischen Verwendbarkeit des
biblischen Textes beim gleichzeitigen Gebrauch unterschiedlicher Übersetzungen in ein und
demselben (liturgischen) Handlungskontext sehe ich das Hauptproblem des hier
anzuzeigenden Sachverhalts. Ein großer Gewinn ist in jedem Fall, dass die in der revidierten
EÜ vorliegenden Übersetzungen der Psalmen, die in enger Zusammenarbeit mit Experten für
Gregorianik und Liturgiewissenschaft erfolgten, nun in allen Modi des gregorianischen
Gesangs gesungen werden können. Auch dieser Aspekt war bei der Revision zu
berücksichtigen.
Fazit und AusblickDie Revision der Einheitsübersetzung stellt eine deutliche Verbesserung gegenüber ihrer
Vorgängerin dar. Das groß angelegte Projekt hat sich gelohnt. Die der Revision zugrunde
liegenden Richtlinien sind zu begrüßen. Mit ihnen konnten frühere Fehlentwicklungen sanft
korrigiert werden. Es ist allerdings nicht durchgehend gelungen, sie konsequent anzuwenden.
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Zeitbedingte Moden konnten weitgehend in Grenzen gehalten werden. Die neue Übersetzung
lädt Christen und ihre Sympathisanten zu einer echten Neuentdeckung ein.
Die Revision der Einheitsübersetzung sollte zum Anlass genommen werden, dem Lesen der
Heiligen Schrift wieder die gebührende Aufmerksamkeit zu schenken. Die lectio divina, das
langsame und sorgfältige Lesen der Heiligen Schrift mit offenem Geist, ist der grundlegende
und elementare Akt christlicher Spiritualität. Ihr folgt die meditatio, das achtsame Erwägen
und Bedenken des Gelesenen, „um mit Hilfe der eigenen Vernunft eine verborgene Wahrheit
zu entdecken.“5 Das erkennbare Bemühen der Revision, die Übersetzung wieder stärker dem
Stil und der Wortwahl des Ausgangstextes anzupassen und soweit wie möglich konkordant zu
übersetzen, kommt dem achtsamen Lesen und Meditieren der Heiligen Schrift sehr entgegen.
Denn dadurch werden Zusammenhänge sichtbar, die zu erkennen zum angemessenen
Verständnis der Schrift unabdingbar sind. Nicht vergessen werden sollte aber auch, dass die
recht verstandene Lektüre der Heiligen Schrift eine Dynamik entfaltet, die über sich selbst
hinausweist und zur contemplatio führt. In der Kontemplation erhebt sich die von Gott
ergriffene Seele und bekommt einen Vorgeschmack der ewigen Seligkeit.
5 Guigo II, Scala Claustralium.
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