Upload
stefanmz
View
1.086
Download
0
Embed Size (px)
DESCRIPTION
Vortrag »Motivation und Zwang« beim Seminar zum Thema »Motivation«, Berlin, Januar 2011
Citation preview
Die Entwicklung des Motivationsbegriffs
in der »Grundlegung der Psychologie«
Stefan Meretz, grundlegung.de
Motivation und Zwang
No rights reserved. Do what you want.
»Motivation« in der GdP
Übersicht:
I. GdP – Herangehen und ÜbersichtII. Psychisches und DifferenzierungenIII. Jagen und Treiben in der SozialkoordinationIV. Die Axt in der SozialkooperationV. Produzierte Lebensbedingungen in der GesellschaftVI. Motivation und Zwang im Kapitalismus
GdP = Grundlegung der Psychologie
I. GdP – Herangehen und Übersicht
Wenn man versteht, wie etwas ist, verstehtman auch, was es noch werden kann
Man versteht wie etwas ist, wennman versteht, wie es geworden ist
Klaus Holzkamp: Grundlegung der Psychologie,Campus-Verlag, 600 Seiten, erschienen 1983
Herangehen
● Psychisches als »Gegenwärtig-Gewordenes«● Rekonstruktion des Werdensprozesses● Werdensprozess als Einheit von Differenzierung und
Vermittlung des Differenzierten
Zeitliche Übersicht
II. Psychisches und Differenzierungen
Psychisches = Signalvermittelte Lebenstätigkeit
Vorher: Unvermittelter Umweltkontakt● Organismus :: Umwelt (hoffentlich verträglich...)
Nachher:● Organismus :: Psychisches :: Umwelt● Differenzierung: Nahrung & Signal (Nichtnahrung)● Vermittlung: Psychisches („Verträglichkeitsprüfung“
der Umwelt)Differenzierungsprodukt:● psychische Funktionen● Verändertes Organismus-Umwelt-Verhältnis
Orientierung und Ausführung
Orientierung= zur Ausführung hinführende Aktivität
Ausführung:● Nahrungsaufnahme (Selbsterhaltung)● Fortpflanzung (Arterhaltung)● ... und auf die Ausführung hinführende Aktivitäten
Differenzierungsprodukt:● Unterschiedliche Formen der Orientierung (hier
ausgeblendet)
Emotion und Bedeutung/Bedarf
Emotionalität =● Bewertungsinstanz● einer in der
Orientierung● erfassten
Bedeutung● am Maßstab des
Bedarfs● gefolgt von einer
Aktivität● ... bei positiver
Bewertung
Motivation
Emotionalität vermittelt zwischen Orientierung undAusführung (Wahrnehmung und Handlung)
Lern- und Entwicklungsfähigkeit (ausgelassen)Lernen hat eine Sach- und eine Zeit-Dimension
Motivation = gelernte Wertungsantizipation= gelernte emotionale Bewertungsvorwegahnung= emotionaler Zustand in der Zukunft
Differenzierungsprodukt:● Individualgedächtnis: internes Modell der Außenwelt
(Sach- und Sozialintentionalität)
Sozialstrukturen
Überindividuelle Vermittlungsebenen:● Sozialkoordination:
wechselseitg. »sozialer Werkzeuggebrauch«
● Sozialkooperation: überschaubare, interindividuelle Kooperation
● Gesellschaft: in sich erhaltungsfähiges Kooperationssystem
III. Jagen und Treiben in der Sozialkoordination
● Jäger-Treiber-Beispiel: Treiber scheuchen Wild auf, Jäger erlegen es, die Beute wird verteilt
● Sozialer Werkzeuggebrauch: Artgenossen benutzen sich gegenseitig als »Werkzeug«
● Soziale Motivation: Antizipierte Bewertung der individuellen Aktivitäten am Maßstab des kollektiven Erfolgs
● Kollektiver Erfolg bedeutet individuelle primäre Befriedigung Bedarf nach kollektiver Kontrolle
● Verselbstständigung der sozialen Motivation: Vorsorge
Zweck-Mittel-Umkehrung
● Mittelherrichtung und -nutzung für den Einzelfall● Wegwerfen = »Bedeutungsdeaktualisierung«● ZMU: Mittel wird als Selbstzweck hergestellt● Mittel ist jetzt vor dem Zweck da● Mittel erhaltenen dauerhafte, soziale Bedeutung und
stehen im Sozialverband allgemein zur Verfügung● Lebensbedingungen werden nicht mehr nur
vorgefunden, sondern in kollektiver Vorsorge geschaffen
● Sachintentionalität ist Sozialintentionalität● Prozess gegenständlicher Erfahrungskumulation
beginnt
● Axt-Beispiel: Werkzeug als gegenständliche Verallgemeinerung, Abstraktion, Vereindeutigung
● Verallgemeinerung: Kausalbeziehungen werden allgemein (=wiederholbar) vergegenständlicht
● Abstraktion: Zwischen Wesentlichem (»Schärfe der Schneide«) und Unwesentlichem (»Farbe des Stils«) wird unterschieden
● Vereindeutigung: Bedeutungsverdichtung zu »praktischen Begriffen« (Sprachentstehung)
● Herstellung von Arbeitsmitteln wird zu verallgemeinerter vorsorgender Schaffung von Lebensbedingungen
IV. Die Axt in der Sozialkooperation
Gesellschaftliche Zielkonstellationen
● In Arbeitsmitteln (allgemein: Lebensbedingungen) ist vergegenständlicht, was getan werden muss, damit die gesellschaftliche Vorsorge gesichert ist
● Gesellschaftliche Zielkonstellationen bilden den objektiven Handlungszusammenhang, an dem sich die individuellen Handlungen ausrichten,denen die Operationenuntergeordnet sind
● Dreigliedrige Struktur:Aktivitäten, Ursachen,Wirkungen (Feldbau:Saat, Wuchs, Ernte)
Drei Bedingungen der Motivation
1. Der Zusammenhang zwischen dem Beitrag zur gesellschaftlichen Vorsorge und der vorsorgenden Sicherung der eigenen Existenz besteht tatsächlich2. Dieser Zusammenhang ist in den gesellschaftlichen Denkformen adäquat abgebildet3. Das Individuum kann diesen Zusammenhang (oder sein Fehlen) kognitiv erfassen
Motivationswiderspruch:● Wertung der zukünftigen Lebensqualität● Wertung der erwarteten Anstrengungen & Risiken
V. Produzierte Lebensbedingungenin der Gesellschaft
● Bisher: Naturprozess, jetzt: Gesellschaftsprozess● Sozialkooperation: überschaubarer Zusammenhg.● Gesellschaft: in sich erhaltungsfähiges System● Gesamtgesellschaftliche Vermitteltheit individueller
Existenz● Unmittelbarkeitsdurchbrechung: Gesellschaftliche
Notwendigkeiten sind individuell Möglichkeiten● Bewusstes Verhalten-zu: So oder auch anders
handeln können (Freiheit)● Erkennende Welt- und Selbstbeziehung● Subjektivität und Intersubjektivität
Zwang
● Drei Motivationsbedingungen nicht mehr selbstevident, sondern problematisch
● Motivation nicht mehr Handlungsvoraussetzung● Handlungsziele können übernommen oder zurück-
gewiesen werden● Zusammenhang zwischen gesellschaftlicher und
individueller Vorsorge u.U. nur vorgeblich existent● Individuum kann auch nicht motiviert, sondern
erzwungen handeln Selbstdisziplinierung, Druckausübung gegen sich selbst / von anderen
● Widerspruch: Zwang – emotionale Befindlichkeit ● Voraussetzung von Unterdrückung
● Handlungen sind in den Lebensbedingungen begründet so wie je ich sie erfahre (nach Position und Lebenslage)
● Gründe sind Medium der Selbst-/Verständigung (Begründungsdiskurs)
● Doppelte Möglichkeit = subjektiver Möglichkeits-raum: Nutzung und Erwei-terung der Verfügung über Handlungsbedingungen
Subjektive Handlungsgründe
VI. Motivation und Zwang im Kapitalismus
● Problem: Herrschaftsverhältnisse be-/verhindern Verfügung über Handlungsbedingungen
● Restriktive Handlungsfähigkeit (RH): Handeln unter Verzicht auf Verfügungserweiterung
● Verallgemeinerte Handlungsfähigkeit (VH): Handeln in Erweiterung der Verfügungsmöglichkeiten
● Achtung: Keine Persönlichkeitstypisierung! Sondern Analysemittel zur Selbst/-Verständigung
● RH und VH sind subjektiv funktional = begründet● Kernproblematik RH: Individuelle Reproduktion =
Herrschaftsreproduktion (doppelte Funktionalität) und Selbstfeindschaft
Widerspruch zwischen Streben nach restriktiver Handlungsfähigkeit und Förderung der Herrschafts-strukturen, die mich bedrohen und mir schaden »Zersetzung ›meiner‹ elementaren Lebensqualität«
Apriori: Der Mensch kann sich nicht bewusst schadenBewusstheit des Handelns bedeutet: individ. Handeln● kann objektive Lebensinteressen verletzen● aber nicht subjektive Bedürfnisse subjektive Schädigungen können nicht bewusst sein, die Mitverantwortung dafür muss verdrängt, verleugnet, dissoziiert, mystifiziert etc. werden
Selbstfeindschaft und Unbewusstes
Motivation und Zwang
● Individuelles un-/motiviert sein bei prinzipiell gesicherter Handlungsfähigkeit unproblematisch
● Problematik erst bei erzwungenem Handeln, d.h. bei potenzieller/realer Selbstschädigung
Motivation im restriktiven Bewältigungsmodus:● Entstehung/Lösung von Motivationsproblemen
scheinbar nur in unmittelbarer Lebenspraxis● Tendenzen zur Personalisierung/Psychisierung● Äußere Zwänge werden unbewusst verinnerlicht:
innerer Zwang● Ausblendung kritischer Emotionen/Denkansätze
Thesen (1)
● Die Krise des Kapitalismus ist auch eine allgemeine Krise der Motivation
● Die gesellschaftlichen Zielkonstellationen verspre-chen keine dauerhaft vorsorgende Existenzsicherung
● Damit ist die individuelle vorsorgende Existenz-sicherung allgemein prekär geworden, und zwar unabhängig vom aktuellen Status
● Individuelles Handeln unter den aktuellen Bedingun-gen kann durchschnittlich nur erzwungen erfolgen
● Der äußere Zwang besteht in der notwendigen Unter-werfung unter den allgemeinen Verwertungsimperativ
● Neoliberalismus ist das Programm der Internalisie-rung des Zwangs zur individuellen Verwertung
Thesen (2)
● Motiviertes Handeln ist ein solches, dass darauf abzielt, neue gesellschaftliche Zielkonstellationen, also eine neue Produktionsweise in die Welt zu setzen
● Die Machtfrage stellt sich gesellschaftlich nicht als Frage der Mit-/Verfügung über den allgemeinen Verwertungs- und Selbstverwertungsprozess
● Neue gesellschaftliche Zielkonstellationen, die heute motiviertes Handeln erlauben, müssen auf einer Logik der allgemeinen Inklusion basieren, d.h. auf Verhält-nissen, wo »die freie Entwicklung eines jeden die Bedingung für die freie Entwicklung aller ist«