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Knapp eine Milliarde Euro, bundesweit rund 30 Milliarden Euro, zahlen die gesetzlichen Krankenkassen in diesem Jahr für die niedergelassenen Ärzte in Schleswig-Holstein. Die Gelder werden von der Kassenärztlichen Vereinigung (KVSH) nach hochkomplexen Regularien unter den rund 5.100 niedergelassenen Ärzten und Psychotherapeuten im Land verteilt. Dies gibt immer wieder Anlass für Unfrieden – zwischen Kassen und Ärzten ebenso wie innerhalb der Ärzte- schaft. Und trotz des vielen Geldes erle- ben auch Patienten unzufriedene Ärzte und haben manchmal Schwierigkeiten, zeitnah einen gewünschten Behand- lungstermin zu erhalten. Jetziges Vergütungssystem ist intransparent und komplex Den Grund dafür sieht die Techniker Krankenkasse (TK) im teilweise intransparenten und überaus kom- plexen Vergütungssystem. Durch die starke Pauschalierung der Vergütung mit nachträglicher Abstaffelung wissen die niedergelassenen Ärzte oft nicht, was sie am Ende eines Quartals für ihre geleistete Arbeit tatsächlich an Honorar bekommen. Das jetzige Honorarsystem setzt außerdem zu wenig Anreize, die richtige Leistung zum richtigen Patienten zu bringen. Vor diesem Hintergrund wurde das IGES Institut von der TK beauftragt, Reformvorschläge zu entwickeln, die Fehlanreize reduzieren können, Patienten eine bessere Versorgung ermöglichen und Ärzten zu mehr Zufriedenheit verhelfen. Trennung der Vergütung in fixe und variable Kosten Die Studie, die das IGES Institut entwickelt hat, setzt als Alternative zur pauschalen Honorierung auf eine Einzelleistungsvergütung. Zentrales Gestaltungselement des Modells ist die Trennung der Vergütung in Fixkos- ten und variable Kosten. Der variable Teil, inklusive des Arztlohnes, wird für jede erbrachte Leistung unein- geschränkt vergütet. Die Fixkosten (z.B. die Praxisausstattung) werden dagegen nur so lange zusätzlich zu den variablen Kosten vergütet, bis die durchschnittlichen Fixkosten einer Arztpraxis abgegolten sind. Dazu müssen jedoch die Fixkosten diffe- renziert nach Arztgruppe und Region ermittelt werden. Da der Fixkostenzuschlag ab dem Zeit- punkt entfällt, an dem die Fixkosten der Praxis abgegolten sind, sinkt der Anreiz, aus rein betriebswirtschaftli- chen Gründen Leistungen zu erbringen, Liebe Leserin, lieber Leser, die Honorarverhandlungen für 2015 auf Bundesebene zwischen Kran- kenkassen und Kassenärztlicher Bundesvereinigung (KBV) wurden bereits in der zweiten Verhand- lungsrunde abgeschlossen. Das haben wir in den vergangenen Jah- ren schon anders erlebt. Im Ergeb- nis einigte man sich auf ein Plus von rund 800 Millionen Euro. Mit unserem Vorschlag, die jetzige Vergütungssystematik der Ärzte auf eine Einzelleistungsvergütung umzustellen, streben wir eine transparente und gerechte Vergü- tung der ärztlichen Leistung an, die auch eine bedarfsgerechte, am Patientenwohl orientierte Versor- gung gewährleistet. Die Kritik, dass wir damit einer unkontrollierbaren Mengenausweitung Tür und Tor öffnen, war zu erwarten. Die Stu- die des IGES Instituts widerspricht dem mit plausiblen Argumenten. Ich wünsche mir dazu einen kon- struktiven Dialog mit der Ärzte- schaft, der Politik und den Kran- kenkassen. Hier stehen wir alle gemeinsam in der Pflicht. Dr. Johann Brunkhorst Leiter der TK-Landesvertretung Schleswig-Holstein EDITORIAL Interview mit Dr. Ralph Ennenbach Arzneimittel: Bestandsmarktreport 2014 Regionale Unterschiede bei Fehlzeiten Stottern: erstmals Online-Therapie möglich spezial Nr. 3 2014 Informationsdienst der Techniker Krankenkasse SCHLESWIG-HOLSTEIN TK schlägt neues Honorarsystem für Ärzte vor

"TK spezial" für Schleswig-Holstein 3-2014

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Knapp eine Milliarde Euro, bundesweit rund 30 Milliarden Euro, zahlen die gesetzlichen Krankenkassen in diesem Jahr für die niedergelassenen Ärzte in Schleswig-Holstein. Die Gelder werden von der Kassenärztlichen Vereinigung (KVSH) nach hochkomplexen Regularien unter den rund 5.100 niedergelassenen Ärzten und Psychotherapeuten im Land verteilt. Dies gibt immer wieder Anlass für Unfrieden – zwischen Kassen und Ärzten ebenso wie innerhalb der Ärzte-schaft. Und trotz des vielen Geldes erle-ben auch Patienten unzufriedene Ärzte und haben manchmal Schwierigkeiten, zeitnah einen gewünschten Behand-lungstermin zu erhalten.

Jetziges Vergütungssystem ist intransparent und komplex

Den Grund dafür sieht die Techniker Krankenkasse (TK) im teilweise intransparenten und überaus kom-plexen Vergütungssystem. Durch die starke Pauschalierung der Vergütung mit nachträglicher Abstaffelung wissen die niedergelassenen Ärzte oft nicht, was sie am Ende eines Quartals für ihre geleistete Arbeit tatsächlich an Honorar bekommen. Das jetzige Honorarsystem setzt außerdem zu wenig Anreize, die richtige Leistung zum richtigen Patienten zu bringen.

Vor diesem Hintergrund wurde das IGES Institut von der TK beauftragt, Reformvorschläge zu entwickeln, die Fehlanreize reduzieren können, Patienten eine bessere Versorgung ermöglichen und Ärzten zu mehr Zufriedenheit verhelfen.

Trennung der Vergütung in fixe und variable Kosten

Die Studie, die das IGES Institut entwickelt hat, setzt als Alternative zur pauschalen Honorierung auf eine Einzelleistungsvergütung. Zentrales Gestaltungselement des Modells ist die Trennung der Vergütung in Fixkos-ten und variable Kosten. Der variable Teil, inklusive des Arztlohnes, wird für jede erbrachte Leistung unein-geschränkt vergütet. Die Fixkosten (z.B. die Praxisausstattung) werden dagegen nur so lange zusätzlich zu den variablen Kosten vergütet, bis die durchschnittlichen Fixkosten einer Arztpraxis abgegolten sind. Dazu müssen jedoch die Fixkosten diffe-renziert nach Arztgruppe und Region ermittelt werden.

Da der Fixkostenzuschlag ab dem Zeit-punkt entfällt, an dem die Fixkosten der Praxis abgegolten sind, sinkt der Anreiz, aus rein betriebswirtschaftli-chen Gründen Leistungen zu erbringen,

Liebe Leserin,lieber Leser,

die Honorarverhandlungen für 2015 auf Bundesebene zwischen Kran-kenkassen und Kassenärztlicher Bundesvereinigung (KBV) wurden bereits in der zweiten Verhand-lungsrunde abgeschlossen. Das haben wir in den vergangenen Jah-ren schon anders erlebt. Im Ergeb-nis einigte man sich auf ein Plus von rund 800 Millionen Euro.

Mit unserem Vorschlag, die jetzige Vergütungssystematik der Ärzte auf eine Einzelleistungsvergütung umzustellen, streben wir eine transparente und gerechte Vergü-tung der ärztlichen Leistung an, die auch eine bedarfsgerechte, am Patientenwohl orientierte Versor-gung gewährleistet. Die Kritik, dass wir damit einer unkontrollierbaren Mengenausweitung Tür und Tor öffnen, war zu erwarten. Die Stu-die des IGES Instituts widerspricht dem mit plausiblen Argumenten.

Ich wünsche mir dazu einen kon-struktiven Dialog mit der Ärzte-schaft, der Politik und den Kran-kenkassen. Hier stehen wir alle gemeinsam in der Pflicht.

Dr. Johann BrunkhorstLeiter der TK-LandesvertretungSchleswig-Holstein

EDitorial

Interview mit Dr. Ralph Ennenbach • Arzneimittel: Bestandsmarktreport 2014 • Regionale Unterschiede bei Fehlzeiten • Stottern: erstmals Online-Therapie möglich

spezialNr. 3 2014Informationsdienst der Techniker Krankenkasse

S c H L E S w I G - H o LS T E I N

tK schlägt neues Honorarsystem für Ärzte vor

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die nicht bedarfsgerecht sind. Für me-dizinisch notwendige Leistungen erhält der Arzt unbegrenzt die angemessene Vergütung für seine Tätigkeit bzw. für die variable Kosten der Praxis.

Modellrechnungen gehen von einmaliger Kostenstei-gerung aus

In ihrer Studie berichtet das IGES Institut, dass Erfahrungen in anderen Ländern zeigten, dass eine Einzel-leistungsvergütung mit geeigneten Begrenzungsinstrumenten nicht zu einer Kostenexplosion in der ambu-lanten Versorgung geführt hat. Nach Modellrechnungen geht das IGES davon aus, dass bei einer Umstellung auf eine Einzelleistungsvergütung mit den oben beschriebenen Gestal-tungselementen die zu erwartende Ausgabensteigerung einmalig bei 5,4 bis 5,9 Prozent liegen würde. Das entspricht bundesweit rund 1,3 bis 1,4 Milliarden Euro oder in etwa dem 1,5-Fachen des jährlichen Vergütungs-anstiegs für die Ärzteschaft. Da das neue Modell Vorteile für Patienten, Ärzte und das Gesundheitssystem bringt, hält die TK die zu erwartende Kostensteigerung für vertretbar. Sie könnte im Übrigen mit der jährlich zu erwartenden Honorarerhöhung kompensiert werden.

TK sucht Partner für Modellprojekt in Schles-wig-Holstein

Die Abkehr von den derzeit überwie-gend pauschalierten Honoraren und die Hinwendung zu einzeln vergüte-ten ärztlichen Leistungen ist aus Sicht der TK eine gute Alternative. „wir wollen Patienten zu einer besseren Versorgung und Ärzten zu mehr Zufriedenheit verhelfen. Deshalb können wir uns eine Einzelleistungs-vergütung gut vorstellen. Durch die Trennung der Vergütung in Fixkosten und variable Kosten werden auch zusätzliche Anreize für Ärzte gesetzt, sich in ländlicheren Regionen nieder-zulassen“, betont Dr. Johann Brunk-horst, Leiter der TK-Landesvertretung Schleswig-Holstein. Deshalb lädt die TK die KV und die Krankenkassen ein, das Modell zu erproben. „Schles-wig-Holstein ist als Bundesland mit ländlichen Räumen und Ballungszent-ren für eine Vorreiter-Rolle besonders geeignet“, so der TK-Landeschef.

Vorteile für Patienten, Ärzte und das Gesund-heitssystem

Vorteile für die Patienten erwartet die TK etwa im Hinblick auf eine schnellere Terminvergabe, kürzere wartezeiten in den Praxen und mehr Zeit für Gespräche zwischen Arzt und Patient. Profitieren würde zudem das gesamte Gesundheitssystem, weil Über- und Unterversorgung reduziert werden würden. Ärzte hätten mehr Transparenz und Planbarkeit. Zugleich entfällt durch die neue Form der Ver-gütung der Druck, technische Geräte im Rahmen der Behandlung einzuset-zen, um höhere Erlöse zu erzielen.

Weitere Informationen zum IGES-Gutachten unter www.tk.de, Webcode 656928.

Bilanz 2013: 830 Millio-nen für tK-Versicherte in Schleswig-Holstein

Mehr als 830 Millionen Euro gab die TK im vergangenen Jahr für die medizinische Versorgung ihrer Versicherten in Schleswig-Holstein aus. Im Vergleich zum Vorjahr entspricht das einer Steigerung der Ausgaben um 6,5 Prozent je Versicherten. Statistisch gesehen erhielt jeder TK-Versicherte im Land medizinische Leistungen im wert von 2.150 Euro.

Den größten Posten stellten die Ausgaben für die Krankenhäuser dar: Sie beliefen sich auf fast 257 Millionen Euro und legten damit um neun Prozent zu. Für die Arzneimittel gab die Kasse über 142 Millionen Euro aus (plus 9,2 Prozent). Die Aufwendungen für ambulante ärztliche Behandlun-gen betrugen über 178 Millionen Euro (plus 17,5 Prozent) und für die zahnärztlichen Leistungen 75 Millionen Euro (plus 8,4 Pro-zent). Die Ausgaben für sonstige Leistungen – darunter zum Bei-spiel für Hilfs- und Heilmittel – stiegen um 11,7 Prozent auf über 178 Millionen Euro.

Bundesweit weist die TK-Bilanz für das Jahr 2013 Leistungsaus-gaben in Höhe von 17,8 Milliarden Euro aus.

Weitere Informationen unter www.tk.de, Webcode 149044.

inforMation

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tK spezial | wo sehen Sie die Proble-me in der heutigen Systematik für die ambulante ärztliche Vergütung?

Dr. Ennenbach | Aus fi nanziellen Gründen hat der Gesetzgeber ein Bud-get für alle ambulanten Leistungen vorgesehen. Damit werden die Leis-tungen der Ärzte individuell begrenzt, obwohl der Patient eine Behandlung ohne derlei Beschränkungen erwartet.

Es ist nicht nur so, dass sich hier ein sachfremder, d.h. nicht-medizinischer Einfl uss in das Verhältnis von Arzt und Patient drängt. Das System ist für den Arzt oft nicht verständlich und keines-falls motivierend. Ja, es ist sogar so, dass Ärzte, die sich davon nicht beir-ren lassen wollen, am Ende beson-ders bestraft sind. Der Frust, die Ent-täuschung und das Unverständnis bleiben nicht in den Klamotten hän-gen; es schadet geradezu, weil es die Ressource verdirbt, die ein Gesund-heitswesen am dringendsten braucht: engagierte Ärztinnen und Ärzte.

Eine besonders schlimme Nebenwir-kung ist, dass die verstärkte Beteili-gung eines Arztes an der Versorgung kaum eine Änderung seines Bud-gets bewir-ken kann. Damit ist jeder Arzt in seiner öko-nomischen Situation quasi eingefro-ren, was dem wunsch einer bedarfs-gerechten freien Verfügbarkeit der ärztlichen Ressourcen komplett entge-gensteht.

Im Übrigen führt dieses System zu einem Gefühl aller Ärzte, letztlich „Ver-lierer“ zu sein. Da die Abrechnungs- und Budgetproblematik mehr als kom-plex ist, fällt es leicht, Misstrauen zwi-schen den Arztgruppen zu säen. Der Vorwurf einer Fehlverteilung des Honorars ist erheblich schneller erho-ben, als diesen zu entkräften, eben weil dann alle Kellergeschosse der

Verteilung zu diskutieren sind. Intrans-parenz und Komplexität sind leider ein Feind ärztlicher Kollegialität.

tK spezial | welche Vorteile bringt eine auf Einzelleistungsvergütung basierende Vergütungssystematik für die Ärzte und die Patienten?

Dr. Ennenbach | Es gibt damit wieder eine direkte Kopplung von Leistung und Honorar. Damit steht die Erwar-tung des Patienten an den Arzt mit der Erwartung des Arztes an dessen Versi-cherung im Einklang. Und im Übrigen sind all die Dinge Makulatur, die ich soeben zu den Schwächen des heuti-gen Systems ausgeführt habe.

tK spezial | Vorausgesetzt, das Modell der Einzelleistungsvergütung wird umgesetzt. wie würde sich die Rolle der KV verändern, und welche Schwerpunkte sehen Sie dann in den Aufgaben der KV?

Dr. Ennenbach | wir wären wieder ein Partner, der auch als solches durch den Arzt wahrgenommen wird. Heute sind wir diejenigen, die für Restriktion und Bürokratie „verantwortlich“ sind,

selbst wenn das nicht unser Eigenbild ist. Es bleibt die über allem stehende gewaltige Auf-gabe „Sicher-stellung der Ver-

sorgung“, die wir zusammen mit den Ärzten zu bewältigen haben. Geänder-te Lebensentwürfe junger Ärzte und Ärztinnen sind dabei mit Infrastruktur-fragen in Einklang zu bringen. wir als KV werden stärker als bislang die Auf-gabe haben, Praxisverbünde, Gemein-depraxen und alle Formen von über-greifender ärztlicher Zusammenarbeit zu begleiten oder auch zu initiieren. Sie ahnen, dass dafür ein Modell der Einzelleistungsvergütung nur hilfreich sein kann.

Interview mit Dr. Ralph Ennenbach, stellvertretender Vorstandsvorsitzender der Kassenärztlichen Vereinigung Schleswig-Holstein

„Ein Modell der Einzelleistungsvergütung kann nur hilfreich sein“

Dr. rer. nat. Dipl.-Phys. Ralph Ennenbach

Geboren 1962 in Leverkusen

1982 Abitur in Dormagen

1988–1993 wissenschaftlicher Angestellter am Lehrstuhl für Mathematik, RwTH Aachen

Promoviert zu Fragen der nu merischen Berechnung von Membranschwingungen

1994–1998 KBV: Referent, Fach-bereichsleiter, Dezernent für Gebührenordnung und Vergütung

1998–2000 Leiter des Stabsberei-ches Unternehmensentwicklung bei der TK in Hamburg

2000–2001 Geschäftsführer im Dialyse-Kuratorium Hamburg

2001–2005 zunächst Stellv. Hauptgeschäftsführer, dann Hauptgeschäftsführer der KVSH

2006 Vorstandsmitglied der KVSH

Seit 2010 Stellvertretender Vor-standsvorsitzender der KVSH

ZUr PErSon

wir wären wieder ein Partner, der auch als solches durch den Arzt wahrgenommen wird.“

wir wären wieder ein Partner, der auch als

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Viele, häufig teure, noch patentge-schützte Arzneimittel haben oft keinen wesentlichen Zusatznutzen für Patien-ten gegenüber bisher verfügbaren Medikamenten. Das zeigt der vorge-legte Bestandsmarktreport, den ein Team um Prof. Glaeske vom Zentrum für Sozialpolitik der Uni Bremen mit Unterstützung der Techniker Kranken-kasse (TK) erstellt hat. Die wissen-schaftler haben 17 wirkstoffe anhand von Kriterien der evidenzbasierten Medizin und auf Basis von TK-Verord-nungsdaten analysiert.

Nur für Präparate mit einem Zusatz-nutzen sollen die Pharmaunterneh-men auch einen höheren Preis verlan-gen dürfen. Das ist die zentrale Aufga-be der frühen Nutzenbewertung, die der Gesetzgeber mit dem Arzneimit-telmarktneuordnungsgesetz (AMNoG) eingeführt hat. Ursprünglich sollten nicht nur neu auf den Markt kommen-de Medikamente bewertet werden, sondern auch Mittel des sogenannten Bestandsmarkts. Davon ist der Gesetzgeber aber aus Gründen der Rechtssicherheit wieder abgerückt. Politisch mag diese Entscheidung nachvollziehbar sein.

Die Versorgungsqualität der Patienten steht im Vordergrund

Der vorliegende Bestandsmarktreport zeigt, dass es aus fachlicher Sicht kei-neswegs entbehrlich ist, auch bereits auf dem Markt vorhandene Arzneimit-tel auf ihren Zusatznutzen hin zu untersuchen. Dabei geht es nicht allein um Geld, das möglicherweise unnötig ausgegeben wird, sondern

nutzen teurer Präparate im Bestandsmarkt nicht belegbar

Bestandsmarktreport 2014

ganz wesentlich auch um die Versor-gungsqualität der Patienten. Der Report soll für Transparenz sorgen und so letztlich auch die Qualität in der Arz-neimitteltherapie verbessern.

Kein untersuchtes Arznei-mittel wurde mit „Grün“ bewertet

Für den Bestandsmarktreport wurden Arzneimittel aus drei wirkstoffgrup-pen untersucht. Darunter die „neuen oralen Antikoagulantien“ (NoAK) zur Blutgerinnungshemmung, neuere Antidiabetika sowie Biologika, die zur Behandlung von Rheuma verordnet werden. Keines der untersuchten Arz-neimittel wurde in der Ampel-Bewer-tung von Prof. Glaeske mit „Grün“ bewertet. Die bewerteten Antidiabeti-ka haben keine patientenrelevanten Vorteile gegenüber den bewährten Therapien. Sie werden zum Teil sogar außerhalb der Zulassung und der medizinischen Leitlinien eingesetzt. Die beiden anderen wirkstoffgruppen, die NoAKs und die Biologika, schei-nen Vorteile zu haben. Die Evidenz ist jedoch nicht eindeutig, oder die beob-achteten Verbesserungen fallen eher gering aus.

Schleswig-Holstein bei Verordnungen im Bundesdurchschnitt

Im Ländervergleich liegt Schleswig- Holstein bei den Verordnungen der im Bestandsmarktreport untersuchten Medikamente etwa im Bundesdurch-schnitt. Dennoch werden auch im Nor-den zu häufig neue und teurere Medi-kamente ohne echten Zusatznutzen verordnet. Beispielsweise wurden in Schleswig-Holstein fast ein Viertel der Patienten mit Vorhofflimmern nicht auf etablierte wirkstoffe wie etwa Marcumar eingestellt, sondern gleich auf die „neuen oralen Antiko-agulantien“, obwohl noch viele Unsi-cherheiten im Umgang mit diesen Präparaten bestehen.

Weitere Informationen zum Bestandsmarktreport 2014 unter www.tk.de, Webcode 656936.

Jeder sechste Senior nimmt potenziell ungeeignete Medikamente

Jeder sechste bei der TK ver-sicherte Schleswig-Holsteiner über 65 nimmt mindestens ein Medikament, das insbesonde-re bei älteren Patienten starke Neben- oder wechselwirkungen verursachen kann. Das zeigt eine aktuelle Auswertung der TK. Es handelt sich dabei um 83 Arzneimittelwirkstoffe, die für Senioren potenziell ungeeignet sind. Diese Medikamente stehen auf der sogenannten „Priscus-Liste“. Durchschnittlich erhielt 2013 jeder betroffene Versicherte 146 Tagesdosen dieser Medikamente. Darunter fallen zum Beispiel Mit-tel gegen Bluthochdruck, Depres-sionen und Schmerzen. Sie sind nur eingeschränkt zu empfehlen und sollten nur nach einer genau-en Nutzen-Risiko-Bewertung vom Arzt verordnet werden.

Um die Arzneimitteltherapie von älteren Patienten sicherer zu machen, bietet die TK ihren Versi-cherten einen speziellen „Arznei-mittel-Kontoauszug“ an. Diese Versicherteninformation Arzneimit-tel (kurz: TK ViA) listet alle verord-neten Medikamente der letzten zwei Jahre auf. wurde ein Priscus-Medikament verordnet, wird dies hervorgehoben. Patienten können mit dieser Information auf ihren Arzt zugehen und mögliche Alter-nativen besprechen.

Weitere Informationen unter www.tk.de, Webcode 480414, und unter www.priscus.de.

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TK spezial Schleswig-Holstein · 3/2014 | 5

Im Jahr 2013 war in Schleswig-Hol-stein jede der 185.000 bei der TK ver-sicherten Erwerbspersonen – dazu gehören sozialversicherungspflichtig Beschäftigte und Empfänger von Arbeitslosengeld I – 15,8 Tage krank-geschrieben. Ein Anstieg um vier Pro-zent gegenüber dem Jahr zuvor. Der Bundesdurchschnitt liegt bei knapp 14,7 Tagen pro Person. Das geht aus dem aktuellen Gesundheitsreport der Techniker Krankenkasse (TK) hervor. wie in der gesamten Bundesrepublik, sind auch in Schleswig-Holstein Mus-kel-Skelett-Erkrankungen (3,31 Fehlta-ge), psychische Probleme (2,93 Fehlta-ge) und Erkrankungen der Atemwege (2,23 Fehltage) für die meisten Fehltage verantwortlich.

Regionale Unterschiede bei Fehlzeiten in Schles-wig-Holstein

In Schleswig-Holstein gibt es teils große regionale Unterschiede bei den Fehlzeiten. In Neumünster war jeder Beschäftigte im Schnitt 19,9 Tage krankgeschrieben, im Kreis Pinneberg dagegen gab es Krankschreibungen für 14,6 Tage je Erwerbsperson.

regionale Unterschiede bei fehlzeiten – 1,3 Millionen fehltage wegen „rücken“

Gesundheitsreport der TK in Schleswig-Holstein

Schleswig-Holstein hat „Rücken“

obwohl in den Betrieben immer mehr Abläufe automatisiert werden und immer mehr Menschen an Schreibti-schen arbeiten, geht fast jeder zehnte Krankschreibungstag in Schles-wig-Holstein auf den Rücken. Durch-schnittlich war jede Erwerbsperson 1,5 Tage deswegen arbeitsunfähig. Hochgerechnet auf die Gesamtbevöl-kerung im Land ergeben sich rund 1,3 Millionen Fehltage. Auch hier gibt es teils große regionale Unterschiede: In Neumünster war jede Erwerbsperson im Schnitt 2,1 Tage wegen Rückenbe-schwerden krankgeschrieben, in den Kreisen ostholstein und Dithmar-schen für zwei Tage. Einen stärkeren Rücken haben die TK-Versicherten im Kreis Pinneberg und in Lübeck mit lediglich 1,2 Fehltagen.

Erkältungswelle sorgt für Anstieg von Fehlzeiten

Der in Schleswig-Holstein im Vergleich zum Vorjahr insgesamt feststellbare Anstieg der Fehlzeiten resultiert weit überwiegend aus den um 21 Prozent höheren Fehlzeiten wegen Erkrankun-gen des Atmungssystems. Durch-schnittlich 2,2 Tage war jede Erwerbs-person wegen Schnupfen und Husten krankgeschrieben. Ihren Höhepunkt hatte die Erkältungswelle im Februar 2013. In diesem Monat fehlten bun-desweit in den Unternehmen bis zu 5,8 Prozent der Belegschaft wegen Atemwegserkrankungen.

Psychisch bedingte Fehlzeiten: Anstieg im Norden

Bei den psychisch bedingten Fehlzei-ten gab es im Vergleich zum Vorjahr einen Anstieg von 4,5 Prozent. Auf-grund von Depressionen, Belastungs-

störungen u.Ä. war jede Erwerbsper-son hierzulande durchschnittlich fast drei (2,9) Tage krankgeschrieben. In den Top Ten der Hauptursachen von Krankschreibungen sind allein vier Dia-gnosen aus dem Bereich psychische Störungen. Bundesweit stagnieren die Fehlzeiten unter psychischen Diagno-sen erstmals mit 2,5 Tagen je Erwerbsperson auf dem hohen Niveau des Vorjahres.

Frauen und Männer im Gesundheitsvergleich

Schleswig-holsteinische Frauen gehen häufiger zum Arzt und sind länger krankgeschrieben als Männer. Statis-tisch gesehen hatte jede bei der TK versicherte Erwerbstätige im vergan-genen Jahr 3,9 Arzttermine mit min-destens einer Arzneimittelverordnung und war 17,5 Tage arbeitsunfähig. Die Männer hatten hingegen nur 2,8 Arzt-kontakte und wurden für 14,2 Tage krankgeschrieben.

Bei der Medikamentenmenge liegen die Männer hierzulande vorn. Ihnen wurden umgerechnet 241 Tagesdosen von Arzneimitteln verschrieben, Frau-en nur 236. Herz-Kreislauf-Medika-mente, darunter vor allem Blutdruck-senker, machen fast die Hälfte aller Medikamente aus, die Männer verord-net bekommen. Frauen erhielten am häufigsten Medikamente zur Behand-lung von Infektionskrankheiten und Erkankungen des Nervensystems.

Den TK-Gesundheitsreport mit allen Daten für Schleswig-Holstein und einer Grafik mit den regionalen Fehlzeiten finden Sie unter www.tk.de, Webcode 013710.

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Fünf von hundert Kindern stottern, meist bis zur Pubertät. Auch einer von hundert Erwachsenen stottert. 2013 wurde allein bei der TK in Schles-wig-Holstein bei 317 Versicherten die Diagnose „Stottern“ gestellt. Nur etwa ein Drittel dieser Patienten hat sich zu einer Behandlung entschlossen.

Erstmals können Betroffene der Sprachblockade jetzt mit einer reinen online-Therapie zu Leibe rücken. Das Programm hat die TK gemeinsam mit dem Institut der Kasseler Stotterthera-pie entwickelt. Das Erfolgsrezept beruht auf einer speziell entwickelten Sprechtechnik, individuellem Feedback

Die TK bietet eine Beratung pflegender Angehöriger via Internet an. Versicherte der TK können kostenlos, anonym und datensicher psychologisch gestützte Hilfe und Begleitung bei seelischen Belastungen in der Pflege von Angehö-rigen bekommen.

Ein leben ohne Stottern

online-Beratung für Pflegende

und Hilfe beim Überwinden von psy-chosozialen Belastungen und Sprechängsten.

Die Teletherapie wendet sich an Stot-ternde ab 13 Jahren im gesamten Bundesgebiet – teilnehmen können sie von zuhause aus. Vor dem Start der onlinetherapie müssen die Patien-ten sich einmal persönlich beim Insti-tut der Kasseler Stottertherapie vor-stellen, um zu überprüfen, ob das Pro-gramm für Sie geeignet ist.

Informationen zu dem Projekt unter www.tk.de, Webcode 646540.

Das Portal www.pflegen-und-leben.de soll den Umgang mit schwierigen Situationen in der alltäglichen Pflege erleichtern. So gibt es Hinweise zu den häufigsten seelischen Belastun-gen im Pflegealltag. Tipps, wie pfle-gende Angehörige sich die Kraft und Energie für ihren Alltag erhalten kön-nen, werden ergänzt durch entspan-nende Übungen zum Anhören. Dar-über hinaus können die Angehörigen von Pflegebedürftigen direkt Rat bei besonders geschulten Psychologinnen und Psychologen suchen. In einem schriftlichen Austausch helfen die Experten, einen angemessenen Umgang mit belastenden Situationen zu finden.

Weitere Informationen unter www.tk.de, Webcode 646008.

impressum

Herausgeber | Techniker Krankenkasse, Landesvertretung Schleswig-Holstein

Verantwortlich | Dr. Johann Brunkhorst redaktion | Volker clasen telefon | 04 31 - 981 58 - 0 telefax | 04 31 - 981 58 - 555E-Mail | [email protected] twitter | www.twitter.com/TKinSH internet | www.tk.de/lv-schleswigholstein

Erstmals per Online-Therapie

Hilfe und Begleitung in der Pflege

neue azubis bei der tK in Schleswig-Holstein

Zum Beginn des neuen Ausbil-dungsjahres sind bundesweit 270 neue Azubis an Bord der TK gegangen, davon neun in Schles-wig-Holstein. In Kiel erhalten sie eine Ausbildung zu Sozialversi-cherungsfachangestellten und Kaufleuten im Gesundheitswe-sen. Insgesamt werden derzeit 30 junge Menschen bei der TK in Schleswig-Holstein ausgebildet.

Informationen zur Ausbildung bei der TK unter www.tk.de, Webcode 503964.

tK auf Wachstumskurs

Über 411.000 Menschen sind jetzt bei der TK in Schleswig-Holstein versichert. Dies entspricht einer Steigerung von 4,2 Prozent seit dem 1.1. dieses Jahres. Bundes-weit versichert die TK jetzt über neun Millionen Menschen.

neue Broschüre „Sicherheit & innovation“

Die neue Broschüre „Sicherheit & Innovation“ der TK ist erschienen. Gemeinsam mit unseren Partnern präsentieren wir in dieser Broschü-re wieder Beispiele für Projekte und Initiativen, die wir als wegwei-send für das deutsche Gesund-heitswesen ansehen.

Die Broschüre als Download oder digitale Ausgabe unter www.tk.de, Webcode 269636.

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