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Schattendorf 1927; Demokratie am Wendepunkt

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VorwortKulturlandesrat Helmut Bieler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4

Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5

Pia BayerKonsens und Konflikt

! Burgenländische Landespolitik 1922–1927. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6

Dieter SzorgerDemokratie am Wendepunkt

! Die Wehrverbände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12! Der Republikanische Schutzbund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16! Die Frontkämpfervereinigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22! Die Heimwehrbewegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27

Pia Bayer, Dieter SzorgerSchattendorf 1927

! Schattendorf am Vorabend des 30. Jänner 1927 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30! Das Ereignis von Schattendorf und die politischen Folgen. . . . . . . . . . . . . . . . 32

Pia Bayer, Dieter SzorgerBiografien

! Josef Grössing . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47! Matthias Csmarits . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48! Josef Tscharmann . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49! Hieronymus Tscharmann . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51! Johann Pinter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52

Zeittafel 1921–1927. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54

Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56

Danksagung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58

INHALTSVERZEICHNIS

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Die „Schüsse von Schattendorf“stehen in der burgenländischenund österreichischen Geschichte

für den Beginn des Scheiterns eines erstjungen Demokratisierungsprozesses in derErsten Republik. Die triste wirtschaftlicheLage führte zu einer Radikalisierung undin weiterer Folge auch Militarisierung derpolitischen Lager. Am Ende dieser Ent-wicklung standen zwei aufeinanderfol-gende diktatorische Regime, die der jun-gen Demokratie in Österreich ein jähesEnde setzten.

Das Ereignis von Schattendorf undder Brand des Justizpalastes symbolisie-ren heute noch die vermehrte Gewalt-bereitschaft in der Gesellschaft durchparamilitärische Verbände und eine ge-waltsame Auseinandersetzung von poli-

tischen Kontrahenten, die dann im Bür-gerkrieg des Jahres 1934 gipfelten.

Wenn wir heute, 80 Jahre nach den„Schüssen von Schattendorf“, der Opfervon damals gedenken, rufen wir uns nichtnur die Vorgänge in der Ersten Republik inErinnerung, sondern wollen auch jene po-sitive politische Entwicklung sehen, dieunser Land nach 1945 stark gemacht hat:Ein Miteinander der Parteien nach demo-kratischen Grundsätzen, den Aufbau einessozialen Netzes sowie die Austragung un-terschiedlicher Standpunkte im Dialog.

Die Ereignisse von Schattendorf sollenuns daher stets als mahnendes Beispiel die-nen, dass Toleranz, Gesprächsbereitschaftund das Akzeptieren anderer MeinungenGrundlagen einer demokratischen Gesell-schaft sein müssen.

VORWORT

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Helmut Bieler Kulturlandesrat

Sehr geehrte Damen und Herren!

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Das tragische Ereignis von Schatten-dorf vom 30. Jänner 1927 leitete in-direkt jene Radikalisierung der

österreichischen Innenpolitik ein, an derenEnde die Abschaffung der parlamentari-schen Demokratie und die Auflösung derParteien standen.

Im Burgenländischen Landtag herrschtezwischen Sozialdemokaten und Christlich-sozialen darüber Konsens, keine Wehrfor-mationen zu gründen. Konflikte sollten mitWorten und nicht mit Waffen ausgetragenwerden. Diese Vereinbarung hielt bis1925/26 als die Frontkämpfervereinigungdamit begann, in den Bezirken Eisenstadt,Mattersburg und Oberpullendorf Ortsgrup-pen zu gründen. Dem folgte der planmäßigeAufbau des Republikanischen Schutzbundes.Reibereien und erste Schlägereien dieser

„Privatarmeen“ blieben nicht aus. Die Kon-flikte wurden zahlreicher und heftiger und er-reichten ihren ersten tragischen Höhepunktam 30. Jänner 1927 in Schattendorf, als beieiner Auseinandersetzung zwischen Front-kämpfern und Schutzbündlern auf sozialde-mokratischer Seite der Klingenbacher Schutz-bündler Matthias Csmarits und der sechsjäh-rige Josef Grössing erschossen wurden.

Als ein Geschworenengericht die ver-meintlichen Todesschützen am 14. Juli1927 freisprach, kam es in Wien zu heftigenMassendemonstrationen und am 15. Julizum Justizpalastbrand. Die blutigen Aus-schreitungen forderten letztendlich 89 Toteund über 600 Verletzte.

Österreich stand am Rande eines Bürger-krieges.

EINLEITUNG

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KONSENS UND KONFLIKT

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Am 1. Jänner 1922 fand die Land-werdung des Burgenlandes mitder Übergabe des Ödenburger

Abstimmungsgebietes an Ungarn (bis aufkleine Grenzkorrekturen) ihren Abschluss.Am 18. Juni 1922 erfolgte die erste Land-tagswahl im Burgenland und diese brachteeinige Überraschungen: Die Sozialdemo-kraten erreichten 38,1% der Stimmen undwurden damit stärkste Fraktion im Land-tag, während die Christlichsozialen mit31,2% nur den zweiten Platz errangen.Der Sieg der Sozialdemokraten war ge-nauso überraschend wie das gute Ab-schneiden des Burgenländischen Bauern-bundes, der mit 17,1% deutlich die Groß-deutsche Volkspartei mit 12,8% überflü-gelte. Umgemünzt auf die Mandatsvertei-lung bedeutete dies 13 Mandate für die So-

zialdemokraten, 10 für die Christlichsozia-len, 6 für den Bauernbund und 4 Mandatefür die Großdeutsche Volkspartei.

Die ersten Wahlen im Burgenland spie-gelten deutlich die politische Struktur desLandes wider: Die Sozialdemokratische Ar-beiterpartei rekrutierte den Großteil ihrerWähler aus den Wanderarbeiterorten desnördlichen Burgenlandes. Darüber hinauswar es ihr gelungen, auch viele Landarbei-ter der Gutshöfe, Kleinbauern und Klein-pächter, die wirtschaftlich und gesellschaft-lich nicht besser gestellt waren als die Ar-beiter, für sich zu gewinnen.

Das mittlere Burgenland (Bezirk Ober-pullendorf) teilte sich in zwei politischeLandschaften – in die sozialdemokrati-schen Dörfer des nördlichen Stoobtalesund des Beckens von Deutschkreutz – die

BURGENLÄNDISCHE LANDESPOLITIK 1922–1927

„Ernster Wille, Schaffensfreude und Begeisterung für das öffentliche Wohl wir-ken zu wollen, sind die Voraussetzungen für eine gedeihliche Zusammenarbeit.Das burgenländische Volk muß auch zur Erkenntnis gelangen, daß politischeGegnerschaft nicht Feindschaft bedeutet, daß wir trotz gegensätzlicher An-schauungen nebeneinander leben müssen und daß dieses Leben für uns alle nurdann erträglich wird, wenn jeder die Rechte seines Mitmenschen achtet, wennniemand in der Ausübung seiner Rechte gestört und wenn auch bei Meinungs-verschiedenheiten ein mittlerer Weg gefunden wird, der auch für den politi-schen Gegner gangbar ist.“

(aus der Antrittsrede von Landeshauptmann Josef Rauhofer am 4.1.1924, Stenographisches Protokoll)

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vorwiegend Wanderarbeiter bewohnten,sowie in den konservativen Süden undWesten des Bezirkes, wo vor allem bäuerli-che Strukturen vorherrschten.

Die drei südlichen Bezirke waren über-wiegend konservativ, wobei aber nicht dieChristlichsoziale Partei, sondern der Bau-ernbund die stärkste Partei stellte.

Die Kroaten – rund 15% der burgenlän-dischen Bevölkerung – wählten nicht ein-heitlich eine Partei, sondern waren in zweiLager gespalten: Während jene des mittle-ren und südlichen Burgenlandes demchristlichsozialen Lager angehörten, hattensich ihre nördlichen Volksgenossen der So-zialdemokratie angeschlossen.

Während es auf Bundesebene Dr. IgnazSeipel gelungen war, eine Koalition vonChristlichsozialen und Großdeutschen zubilden (im Mai 1922 und damit am Höhe-punkt des burgenländischen Wahlkamp-fes), gelang es dem sozialdemokratischenParteiführer Ludwig Leser, im Burgenlandeine bürgerliche Koalition zu verhindern.Am 19. Juli 1922 konstituierte sich die ers-te Regierung des Burgenlandes als Konzen-trationsregierung. Landeshauptmann wur-de der parteiunabhängige bisherige Landes-verwalter Dr. Alfred Rausnitz.

Zu den heikelsten Problemen, die es um-gehend zu lösen galt, zählte die Schulfrage.

KONSENS UND KONFLIKT

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Foto: Burgenländisches Landesmuseum

Die erste burgenländische Landesregierung (1922-1923)Stehend (von links nach rechts): LR Viktor Voit (BBd), er folgte am 30.1.1923 LR Gustav Walter, LR Dr. Alfred Walheim (GdP), LAD Dr. Hugo Reissig, LR Alfred Ratz(CsP), LR Ernst Hoffenreich (SdP). Sitzend (von links nach rechts): LH-Stv. Franz Stesgal (CsP), LH Dr. Alfred Rausnitz (parteilos), LH-Stv. Ludwig Leser (SdP).

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KONSENS UND KONFLIKT

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Im Unterschied zu Österreich, wo seit demReichsvolksschulgesetz von 1867 der Staatfür die Schule verantwortlich war und imWesentlichen deren Lerninhalte be-stimmte, standen die Schulen in Ungarnbis auf geringe Ausnahmen unter der Auf-sicht der Kirche, insbesondere unter jenerder katholischen. Diese Zustände warenfür die Sozialdemokratische Arbeiterparteisowohl ideologisch als auch machtpolitischunerträglich – das „klerikale Monopol“ aufBildung sollte ein für alle mal gebrochenwerden. Der „Angriff“ auf das Schulgesetzerfolgte aber nicht von sozialdemokrati-scher Seite selbst, sondern wurde vomSchulreferenten und großdeutschen Abge-ordneten Dr. Alfred Walheim eingebracht.Der Antrag wurde auch von den Bauern-bündlern unterstützt. Mit dieser Mehrheitgelang es, die Christlichsoziale Partei zuüberstimmen, allerdings wurde das Gesetzauf Bundesebene blockiert. Nur das Schul-pflichtgesetz, in dem die bisherige sechs-jährige Schulpflicht auf acht Jahre verlän-

gert wurde, konnte im Juli 1923 durchge-bracht werden. Der Schulstreit blieb nachwie vor brisant und war indirekt auch dieUrsache für den Sturz des Landeshaupt-mannes Rausnitz, der in dieser Angelegen-heit immer mehr zur ChristlichsozialenPartei tendierte. Zum unmittelbaren Anlassfür den Sturz von Rausnitz wurde seineHaltung in der Landeshauptstadtfrage, inder sich dieser für das „Wiener NeustadtProjekt“ exponierte. Dieses sah vor, diealte Theresianische Akademie aus der übri-gen Stadt herauszulösen und zum burgen-ländischen Regierungssitz zu machen – einPlan, den man Rausnitz ankreidete.

Um einem Misstrauensantrag zu ent-gehen, demissionierte Rausnitz selbst am14. Juli 1923. Dieser Rücktritt erfolgte inder gleichen Landtagssitzung, in der diepolitischen Parteien die Übereinkunft ge-schlossen hatten, keine privaten Wehrfor-mationen aufzustellen bzw. solche zu un-terstützen. Noch am selben Tag wurde Dr. Alfred Walheim zum neuen Landes-

Foto: Burgenländisches Landesmuseum

Die erste burgen-ländische Land-tagssitzung in einem Vortrags-saal der heutigenMartinskaserne, 15. Juli 1922.

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hauptmann gewählt. Die dadurch freige-wordene Landesratstelle, die proporzmäßigden Sozialdemokraten zufiel, wurde vonIgnaz Till besetzt. Die neue Stärke der Sozi-aldemokratischen Arbeiterpartei kam defacto kaum mehr zum Tragen, da das ganzeJahr 1923 von einem scharfen Wahlkampf– zuerst Gemeinderatswahlen (25. März),dann Nationalrats- und Landtagswahlen(21. Oktober) – erfüllt war.

Die Landtagswahlen mit einer erschre-ckend niedrigen Wahlbeteiligung von nur70% brachten für die Sozialdemokraten, miteinem Verlust von 3.000 Stimmen, einegroße Enttäuschung. Die geringe Wahlbe-teiligung hatte eine ihrer Ursachen in derWahlmüdigkeit, die sich besonders bei denWanderarbeitern, die fast ausschließlich so-zialdemokratische Wähler waren, auswirkte.

Der Christlichsozialen Partei hingegengelang es, über 5.000 Stimmen dazu zu ge-winnen, und darüber hinaus den Ruf einer„Magyaronenpartei“ loszuwerden.

Die Großdeutsche Partei musste dieschwersten Verluste hinnehmen, sie verlor80% ihrer Stimmen.

Nach langen Verhandlungen kam esEnde 1923 zum Abschluss eines rot-schwarzen Koalitionsabkommens und am4. Jänner 1924 schließlich zur Konstituie-rung des neuen Landtages und zur Wahlder neuen Regierung. Zum Landeshaupt-mann wurde der Christlichsoziale JosefRauhofer gewählt.

Der Beginn der Ära Rauhofer verliefüberraschend ruhig und politisch ausgegli-chen. Die beiden Regierungsparteien hattenin ihren Koalitionsvereinbarungen festge-

legt, ihre radikalen und dem Partner unan-genehmen Forderungen beiseite zu lassenoder nur gemeinsam zu lösen. Zur erstenBewährungsprobe der großen Koalitionwurde wiederum die Schulfrage. Der über-raschend schnelle Kompromiss in dieserAngelegenheit hatte seinen Grund vor al-lem in der Tatsache, dass beide Parteienmassive parteiinterne Probleme – in ersterLinie Flügelkämpfe und interner Wider-stand gegen die Koalition – zu lösen hattenund sich einen Bruch der Koalition nichtleisten konnten. Im Frühjahr 1925 erlitt dieKoalition einen schweren Rückschlag: Lan-deshauptmann Rauhofer sah sich außerStande, seine Partei weiter zu führen undkapitulierte. Er nahm die Landeshauptstadt-frage zum Anlass, am 30. April 1925 über-raschend zurückzutreten. An diesem Tagentschied der Landtag, aus den drei in dieengere Auswahl kommenden Orten Eisen-stadt, Sauerbrunn und Pinkafeld ersterenzum „Sitz der Landesregierung“ zu wählen– Rauhofer hatte sich für Sauerbrunn einge-setzt und hielt das „Eisenstädter Projekt“für finanziell nicht durchführbar.

Die Demission Rauhofers führte zu einerschweren politischen Krise, die sich bis De-zember 1925 hinzog („Lesers Interre-gnum“ kontra der Versuch einer Christlich-sozialen-Landbund-Koalition). Erst dannkam es wieder nach längeren Parteienver-handlungen zu einer Konzentration allerdrei Parteien des burgenländischen Landta-ges. Der neuen Regierung standen erneutRauhofer und als sein Stellvertreter Leservor. Die folgenden Monate verliefen ruhigund konstruktiv, die gespannte Atmosphäre

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KONSENS UND KONFLIKT

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bei den Landtagsdebatten war einem sach-lichen Ton gewichen und auch die Partei-presse gab sich moderat. Dieses friedlicheBild der burgenländischen Politik wurdeallerdings durch die so genannte Mandats-aberkennungsaffäre Walheim und Voit ge-trübt, im Zuge derer die Christlichsozialenund Bauernbündler aneinander gerieten.Es kam wieder zu einer politischen Krise,bis die Bauernbündler im April 1926 inOpposition gingen.

Wenige Monate später begann der Wahl-kampf für die am 24. April 1927 stattfin-denden Landtags- und Nationalratswahlen.Diese sollten, so hofften die beiden großenParteien, eindeutige Mehrheiten bringen.

Bei den Gemeinderatswahlen am 20. März 1927, die sich durch eine er-höhte Wahlberechtigung und eine starkeWahlbeteiligung auszeichneten, gelang essowohl den Sozialdemokraten als auch denChristlichsozialen, im Vergleich zu den Ge-meinderatswahlen 1923 beträchtliche Stim-men zu gewinnen.

Was den Wahlkampf für die Landtags-und Nationalratswahlen betraf, so hattendie Sozialdemokraten und die Christlichso-zialen in Hinblick auf die Ereignisse vonSchattendorf ein Übereinkommen getroffen:„die Parteien verpflichten sich, den Wahl-kampf mit sachlichen Argumenten zu füh-ren und auf ihre Angehörigen nachdrück-lich einzuwirken, daß jede Störung der geg-nerischen Agitation mit gewaltsamen Mit-teln unterbleibe. Insbesonders verpflichtensich die unterfertigten Parteienvertreter, ihreParteiangehörigen von Störungen undSprengungen der Versammlungen abzu-halten.“ (Eisenstadt, am 7. März 1927, un-terzeichnet von Ludwig Leser und JohannThullner, Burgenländische Heimat,11.3.1927)

Wie im übrigen Bundesgebiet bemühtesich die Christlichsoziale Partei im Wahl-kampf auch im Burgenland, eine Einheitsli-ste aller bürgerlichen Parteien aufzustellen.Während das christlichsoziale Werben umden Landbund wieder einmal fehlschlug,

„Eisenstadt mussHauptstadt wer-den!“ Bereits imJahre 1923 fandhinsichtlich der Landeshaupt-stadtfrage ein De-monstrationszugin Eisenstadt statt,3. Juli 1923.

Foto: Burgenländisches Landesmuseum

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gelang mit den Großdeutschen und derKroatenpartei eine Einigung auf eine Ein-heitsliste. Den beiden kleineren Parteienwurden entsprechende Mandate einge-räumt, so auch dem Führer der Kroaten-partei, Dr. Lorenz Karall, der sich bald andie Spitze der Christlichsozialen Partei em-porarbeiten sollte.

Die Wahl ergab dann folgendes Resultat:Die Einheitsliste erhielt 42,38%, auf dieSozialdemokratische Arbeiterpartei entfie-len 40,80% und der Landbund errang16,66% der Stimmen. Für die Mandatsver-teilung bedeutete dies: 14 für die Einheits-liste (3 für den NR), 13 für die Sozialdemo-kraten (3 für den NR) und 5 Mandate fürden Landbund (1 für den NR). Damit hat-ten die beiden großen Parteien je ein Land-

tagsmandat gewonnen, die erhoffte Ent-scheidung aber war ausgeblieben.

Nach vierwöchigen Verhandlungen wardas Ergebnis wieder ein Kompromiss: eineKonzentrationsregierung unter Landeshaupt-mann Josef Rauhofer. Sein Stellvertreterwurde erneut Ludwig Leser.

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„Gleichenfeier“ des Landhauses, 22. Oktober 1927.

Fotos: Burgenländisches Landesmuseum

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DEMOKRATIE AM WENDEPUNKT

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Der Ursprung der paramilitärischenVerbände liegt in der Zeit unmit-telbar nach dem Ersten Weltkrieg

begründet. Als ehemalige Soldaten und ent-lassene Kriegsgefangene der geschlagenenk.u.k. Armee in ihre Heimat zurückkehrenwollten, kam es immer wieder zu Plünde-rungen und Zwangsrequirierungen. EineZentralmacht vermochte den Landbewoh-nern „Deutschösterreichs“ nicht zu helfenund sie schritten zur Selbsthilfe. Spontanformierten sich Volksmilizen oder Heimat-wehren. In Kärnten und der Steiermarkwurden die Wehrformationen zur militäri-schen Abwehr der Gebietsansprüche Slowe-niens eingesetzt. Dazu kam in der ländli-chen Bevölkerung eine sich verstärkendeAbneigung gegenüber dem sozialdemokra-tisch geführten „roten Wien“, die durch dierevolutionären Strömungen in Europa, be-sonders in Bayern und Ungarn, noch ver-

stärkt wurde. Diese Heimatwehren bildetenden Kern der späteren Heimwehrbewe-gung.

Auch die Arbeiterbewegung schritt zurSelbsthilfe, indem sich in den Industrieortenso genannte Arbeiterwehren formierten, dieden Schutz der Industriebetriebe und somitder Arbeitsplätze zum Ziel hatten. Bereits1919 kam es in Neufeld als Reaktion auf die Zwangsmaßnahmen des Horthy-Regimes zur Gründung der ersten burgen-ländischen Arbeiterwehr. Ende August1921, als im Zuge der ersten Landnahmendie österreichische Gendarmerie bei Agen-dorf in schwere Gefechte verwickelt wurde,war es die Neufelder Arbeiterwehr, die denGendarmen zu Hilfe eilte. Als Wehrforma-tion der Sozialdemokratischen Arbeiterpar-tei wurde im Jahr 1923 in Wien der Schutz-bund gegründet. Dessen planmäßiger Auf-bau im Burgenland begann im Jahr 1926.

DIE WEHRVERBÄNDE

„Wir haben uns hier im Gespräch mit den führenden Herren der christlich-sozialen Partei wie auch des Landbundes immer auf dem Wege begeben, daß im Burgenland die Bewaffnung irgendeiner Formation etwas sehr schädlichesist, was man unterdrücken muß. Wir haben das nicht nur aus innerpolitischenGründen …, sondern auch aus außerpolitischen Gründen getan, weil wir fin-den, daß es direkt eine Gefährdung des Landes ist, wenn hier irgendwelche be-waffnete Gruppen errichtet werden. Die Waffen gehören in die Hand des Solda-ten, Gendarmen oder Polizisten. Im politischen Kampfe sollen wir in diesemGrenzland den Grundsatz gelten lassen: die Waffen nieder.“

(SdP-Landesrat Ernst Hoffenreich in der Landtagssitzung vom 14. Juli 1923, Stenographisches Protokoll)

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Die SS bzw. SA der Nationalsozialistenund die Frontkämpfervereinigung Deutsch-österreichs sind die bedeutendsten Wehr-formationen, die dem „Dritten Lager“ zu-zurechnen sind. Während erstere im Bur-genland in den Jahren vor 1927 kaum eineRolle spielten, leitete die Gründung derOrtsgruppen der Frontkämpfervereinigungeine für das Burgenland und die Erste Re-publik verhängnisvolle Entwicklung ein.

Der von den burgenländischen Parteienin den Anfangsjahren der „Ersten Repu-blik“ gemeinsam getragene Kurs des politi-schen Konsenses war ausschlaggebend da-für, dass es – anders als in den übrigenBundesländern – vorerst nicht zur Grün-dung von „Privatarmeen“ der Parteienkam. Aus Rücksicht auf die bevorstehendeAufbauarbeit und mit Bedacht auf die sen-sible Situation im Bezug auf den auf Revi-sion des Vertrages von St. Germain hoffen-den ungarischen Nachbarn, einigten sichdie im burgenländischen Landtag vertrete-nen Parteien im Zuge einer Landtagssit-zung (14. Juli 1923), auf den Aufbau vonPrivatarmeen zu verzichten. Dieser Grund-konsens wurde von der Frontkämpferverei-nigung 1925/26 verlassen. Auf die Grün-dung von Ortsgruppen in den Bezirken Ei-senstadt und Mattersburg reagierte die So-zialdemokratische Arbeiterpartei mit derAufstellung des Republikanischen Schutz-bundes. Als Reaktion auf die „Schüsse vonSchattendorf“ und den Brand des Justizpa-

lastes stellte schließlich auch das bürgerli-che Lager seine Wehrformation auf: dieHeimwehr bzw. den „Heimatschutzver-band Burgenland“.

Ende 1927 standen sich im Burgenlandca. 10.000 Heimwehrler, 3.000 Schutz-bündler und einige Hundert Frontkämpferschwer bewaffnet gegenüber. Die politi-schen Konflikte verlagerten sich mehr undmehr auf die Straße, das Vertrauen in dieProblemlösungskompetenz der Demokratiesank und besonnene Politiker verloren zu-sehends an Einfluss. Die jeweiligen Positio-nen wurden immer gegensätzlicher undalle Parteien ließen den Willen zum Kon-sens zunehmend vermissen.

In einem Auszug aus dem Lageberichtdes Bezirkshauptmannes von Mattersburgvom 1. November 1927 beschrieb dieserdie politische Situation wie folgt:

„Die allgemeine politische Lage im Bezirke ist unverändert, die Spannungzwischen den zwei politischen Parteiendauert naturgemäss fort. Es ist eine all-gemeine Rüstung beider Parteien, bezw.Parteigarden wahrzunehmen, welcher Um-stand früher oder später unbedingt zu ei-nem katastrophalen Ende führen wird.An Sonn- und Feiertagen finden Aufmär-sche statt, die weder der Oeffentlichkeitnoch den Veranstaltern nützlich sindund vom Standpunkte der Sicherheit fürdas Volk eine unmittelbare Gefahr dar-stellen.“

DEMOKRATIE AM WENDEPUNKT

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DEMOKRATIE AM WENDEPUNKT

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Ort Heimatschutz Schutzbund Frontkämpfer

Wehrformationen im Bezirk Mattersburg Quelle: BLA, Vereinsakten

Antau X X

Bad Sauerbrunn X

Baumgarten X X

Draßburg X X X

Forchtenstein X X

Hirm X X

Krensdorf X X X

Loipersbach X X X

Marz X

Mattersburg X X X

Neudörfl X X

Neustift X

Pöttelsdorf X

Pöttsching X

Rohrbach X X X

Schattendorf X X X

Sieggraben X

Sigleß X X X

Stöttera X X X

Walbersdorf X X

Wiesen X X X

Zemendorf X X

Heimatschutzverband Burgenland: 327 Ortsgruppen, Landesver-band in Mattersburg, Bezirks-organisationen in Neusiedl, Eisenstadt, Mattersburg

Republikanischer Schutzbund:61 Ortsgruppen, Landes-organisation in Eisenstadt, Bezirksorganisationen in Eisen-stadt, Mattersburg, Neutal (für den Bezirk Oberpullendorf),Oberwart

Frontkämpfervereinigung Deutschösterreichs:23 Ortsgruppen, Landesleitungin Eisenstadt, vertreten nur inden Bezirken Eisenstadt, Mattersburg und Oberpullendorf

Wehrverbände im Burgenland:

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DEMOKRATIE AM WENDEPUNKT

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Ort Heimatschutz Schutzbund Frontkämpfer

Wehrformationen im Bezirk Eisenstadt Quelle: BLA, Vereinsakten

Breitenbrunn X

Donnerskirchen X

Eisenstadt X X X

Großhöflein X X

Hornstein X X

Kleinhöflein X

Klingenbach X X

Leithaprodersdorf

Loretto X

Mörbisch X X

Müllendorf X X

Neufeld X X

Oggau X X

Oslip X X

Purbach X

Rust X

St. Georgen X

St. Margarethen X X X

Schützen a. G. X

Siegendorf X X

Steinbrunn X X

Stotzing X

Trausdorf X X X

Wimpassing X

Wulkaprodersdorf X

Zagersdorf X X X

Zillingtal X X

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DEMOKRATIE AM WENDEPUNKT

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Die Gründung des Republikani-schen Schutzbundes, der „Partei-armee“ der Sozialdemokrati-

schen Partei, erfolgte am 19. Februar 1923.Zur eigentlichen Geburtsstunde wurde aberbereits der Parteitag der Sozialdemokrati-schen Arbeiterpartei Deutschösterreichs(SDAP) von 1922. Kurz nach dem Aus-scheiden der Sozialdemokratie aus der Re-gierungsverantwortung und dem Verlustder Macht und damit des Einflusses aufExekutive und Volkswehr sah man in derGründung des Schutzbundes die einzigeMöglichkeit, die Interessen der Sozialdemo-kratie zu schützen. Mit Dr. Julius Deutschstand nicht nur ein guter Organisator ander Spitze, Deutsch war auch der ersteHeeresstaatssekretär der Ersten Republikgewesen.

Der Schutzbund entstand aus der Tradi-tion der Arbeiterwehren und war als Ge-genpol zu den Wehrformationen der„Rechten“ konzipiert. Die Arbeiterwehrenhatten bereits bei den Kämpfen um dasBurgenland eine wichtige Rolle gespielt

und die Gendarmerie in ihrem Kampf ge-gen die ungarischen Freischärler unter-stützt. Der Schutzbund verfügte über einbeachtliches Waffenarsenal. Zahlenmäßigwar die Organisation in Wien sowie in denIndustriegebieten Oberösterreichs, Nieder-österreichs, Kärntens und der Steiermarkam stärksten.

Ein erstes Auftreten des Schutzbundesim Burgenland erfolgte am 10. Juli 1925,am sozialdemokratischen Ordnertag in Ei-senstadt. Daran nahmen Schutzbundeinhei-ten aus Niederösterreich teil. Die Veranstal-tung wurde zur Machtdemonstration. Ne-ben einer politischen Kundgebung standenursprünglich auch militärische Gelände-übungen im Leithagebirge am Plan. Diesewurden allerdings nach Protesten derChristlichsozialen Partei abgesagt.

1925/26 begann die monarchistischeFrontkämpfervereinigung, vermehrt Orts-gruppen zu gründen, was die SDAP als Af-front wertete. Zunehmend kam es zu Aus-

DER REPUBLIKANISCHE SCHUTZBUND

„Die burgenländische Sozialdemokratie hat den Knüppel als politisches Argu-ment bisher abgelehnt. Wer aber glaubt, daß sie ruhig zuschauen wird, wie an-dere Prügelgarden organisieren, um auf sie loszustürzen, der irrt … Wir werdenden Frontkämpfern unseren Republikanischen Schutzbund auch im Burgenlandentgegenstellen.“

(Burgenländische Freiheit, 21. Mai 1926)

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einandersetzungen, die von Frontkämpfernprovoziert wurden. Als Reaktion darauf be-gann die Sozialdemokratische Arbeiterpar-tei bis Jahresmitte 1926, erste Schutzbund-ortsgruppen zu gründen – zu Beginn inden „roten Hochburgen“ Neufeld undSteinbrunn. Bis zu diesem Zeitpunkt fühlteman sich an ein Parteiabkommen mit der

Christlichsozialen Partei, das den Verzichtauf Wehrverbände vorsah, gebunden. Aufdieses „Wettrüsten“ der beiden Waffenver-bände musste schließlich auch das bürger-liche Lager reagieren. Nur wenige Monatenach dem Schutzbund begann die Aufstel-lung der Heimwehr, die im Burgenland dieBezeichnung „Heimatschutz“ führte.

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Schutzbundauf-marsch in Eisen-stadt, (ohne Jahresangabe).

Foto: Burgenländisches Landesmuseum

Foto: Burgenländisches Landesmuseum

Sozialdemokratischer Ordnertag in Eisenstadt, 10. Juli 1925.

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Quelle: Burgenländisches Landesarchiv, Vereinsakte

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Anfangs war es Strategie der SDAP, auf ge-meldete Veranstaltungen der Frontkämpferdurch das Anmelden von Gegenveranstal-tungen der Partei zu reagieren. Um offene

Konflikte der beiden Gruppen zu verhin-dern, sah sich die Bezirkshauptmannschaftoftmals dazu gezwungen, beide Veranstal-tungen behördlich zu untersagen. In Schat-

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Quelle: Burgenländisches Landesarchiv, Zeitgeschichtliche Sammlung – Parteiarchiv SDAP

Beitrittserklärung

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tendorf verließ man am 30. Jänner 1927 die-sen Weg und verzichtete darauf, die Gegen-veranstaltung behördlich zu melden.

Jenseits der Grenze, in Ungarn, beobach-tete man das Aufrüsten im Burgenland miteinem wachsamen Auge. Besonders im Er-

starken des „linken“ Schutzbundes sah maneine ernste Gefahr für die eigene Sicherheit.Man konnte sich schließlich auf ein Aufrüs-tungsverbot aus dem Friedensvertrag von St. Germain beziehen. Ungarische Zeitungenäußerten sich sehr kritisch gegenüber den –

Quelle: Burgenländisches Landesarchiv, Zeitgeschichtliche Sammlung – Parteiarchiv SDAP

Aufforderung zum Ordnerdienst

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aus ihrer Sicht vom Schutzbund provozier-ten – Auseinandersetzungen im Burgenland.Über die Ereignisse von Schattendorf wurdein ungarischen Medien ausführlich berich-tet. Als zu den Begräbnissen der Opfer des30. Jänner mehr als 10.000 Personen – da-runter viele Schutzbündler in Uniform – ka-men, mobilisierte die ungarische Seite dieGendarmerie. Allein in Agendorf gingen 150ungarische Gendarmen in Stellung.

Die Leitung des Schutzbundes war jenerder Sozialdemokratischen Arbeiterpartei un-terstellt. Neben der Landesleitung, die langevon Koloman Tomsich geführt wurde, exis-tierte noch eine hierarchische Struktur aufBezirksebene. Die Mitglieder des Republika-nischen Schutzbundes entstammten fast aus-schließlich deutschen und kroatischen Arbei-terfamilien bzw. waren Land- oder Wander-arbeiter. In der Folgezeit sollte es der Schutz-bund bis auf 3.000 Mitglieder im Burgen-land bringen, österreichweit waren es mehrals 80.000 (1928). Im März 1930 wurdeeine eigenständige Landesorganisation ge-gründet, die in Bad Sauerbrunn, Schulgasse130, ihren Sitz hatte. Gleichzeitig entstan-den in Eisenstadt, Neutal, Mattersburg undOberwart Bezirksorganisationen.

Am 30. März 1933 wurde die Wehrfor-mation der Sozialdemokratie verboten, be-stand im Untergrund als schlagkräftige Or-ganisation aber noch weiter. Am 12. Fe-bruar 1934 kam es schließlich zur Katastro-phe: Im Zuge von Hausdurchsuchungen imArbeiterheim „Hotel Schiff“ in Linz eröffne-

ten Schutzbündler das Feuer. Der folgendeBürgerkrieg kostete 239 Österreichern dasLeben. Auch im Burgenland kam es im Fe-bruar 1934 zu Kampfhandlungen zwischendem Schutzbund und der Gendarmerie, diebei der Niederschlagung des Aufstandes vonder Heimwehr unterstützt wurde.

Der Schattendorfer Schutzbund war ei-ner der ältesten des Landes. Am 18. Mai1926 gab die „Zentralleitung“ des Republi-kanischen Schutzbundes in Wien die not-wendige Zustimmung zur Gründung einerOrtsgruppe Schattendorf, die Obmann Julius Deutsch persönlich gegenzeichnete.Die Gründungsanzeige wurde dem Amtder Burgenländischen Landesregierungbzw. der Bezirkshauptmannschaft Matters-burg am 13. Juli 1926 übermittelt. Propo-nent und erster provisorischer Leiter warAndreas Allram. Am 5. September 1926kam es schließlich zu der Gründungsver-sammlung, im Zuge derer Michael Trankerzum Obmann gewählt wurde. Bei dieserfeierlichen Versammlung waren 240Schutzbündler anwesend, darunter auchGenossen aus den Ortsgruppen Sauer-brunn, Wiesen und Sigleß, die dazu eigensmit dem Zug angereist waren. Nach einemBericht des Polizeikommissariates Eisen-stadt zählte der Schattendorfer Schutz-bund ca. 200 Mitglieder. Der Wirkungsbe-reich der Ortsgruppe war auf den BezirkMattersburg beschränkt. Ihr Ende kam am30. März 1933, die Streichung des Vereinsaus dem Vereinsgrundbuch folgte am 16. Mai 1933.

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Unmittelbar nach Kriegsende fan-den sich ehemalige Offizierezum „Bund für Ordnung und

Wirtschaftsschutz“ zusammen. Kurze Zeitspäter wurden auch niedrigere Chargen indie Vereinigung aufgenommen und so dieOrganisation zusehends verbreitert. Mangab sich den Namen Frontkämpfervereini-gung Deutschösterreichs. Ziele der Verei-nigung waren die „Vereinigung aller ari-schen Frontkämpfer“ sowie die „Pflegeder Liebe zur Heimat“. Juden, Kommunis-ten und Sozialdemokraten waren von An-fang an ausgeschlossen. Das Rekrutie-rungspotential dieser militanten Vereini-gung ist nicht zu unterschätzen: Immer-hin wohnten der konstituierenden Vollver-sammlung am 30. April 1920 bereits mehrals 2.000 Mitglieder bei. Gründungsmit-glieder der Frontkämpfervereinigung wa-ren u. a. Oberst Hermann Ritter von Hiltl,Hauptmann Anton Seifert (beide traten imJänner 1927 im Burgenland in Erschei-nung) und Major Emil Fey. Es folgte derorganisatorische Aufbau in Oberösterreich,

Salzburg und in der Steiermark. Im Bur-genland fasste die Organisation im Jahr1923 Fuß.

Das ideologische Korsett der Bewegunghatte eine auffallende Nähe zur NSDAP.Neben einem Arierparagraphen, einem be-tonten Antimarxismus, dem Führerprinzip,dem expliziten Anschlusswunsch, der Ab-lehnung der demokratischen Republik undeinem profunden Militarismus fanden sichauch legitimistische Ansätze im Programmder Bewegung.

Die Frontkämpfer trugen eine eigene Uni-form mit einer markanten Uniformmütze.Gefährlich war die Vereinigung auf Grundihrer Entschlossenheit und der guten Aus-bildung ihrer Mitglieder. Kaum ein Mitgliedwar nicht geübt im Umgang mit Schusswaf-fen. Die Rekrutierungsbestrebungen wur-den mit der Verabschiedung des Linzer Pro-gramms der Sozialdemokratie von 1926noch beschleunigt. Die Frontkämpfer botensich infolge allen nichtmarxistischen Par-

DIE FRONTKÄMPFERVEREINIGUNG

In den Satzungen der „Frontkämpfervereinigung Deutschösterreichs“ stehtgleich zu Beginn ihr Leitspruch, der lautet: „Allgemeines Volkswohl geht vorkleinlicher Parteipolitik.“Und weiter: „Zweck des Verbandes (ist die) Pflege der Liebe zur Heimat undzum deutschen Volk bei Ausschaltung aller Partei- und Klassengegensätze, Un-terstützung der öffentlichen Sicherheitsorgane zur Aufrechterhaltung von Ruheund Ordnung (und) Schutz von Personen gegen jeden Terror …“

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teien als Saalschutz an. Sitz der Frontkämp-fervereinigung Deutschösterreichs war dieRasumofskygasse im III. Bezirk in Wien.Vom dortigen „Reichsverband“ ging die Ver-breitung der Bewegung aus.

Im Burgenland sind bis ins Jahr 1927zwei Gründungswellen zu konstatieren.1923 wurden die Ortsgruppen Eisenstadtund St. Margarethen gegründet. An derersten Tagung der burgenländischen Front-kämpfer in Eisenstadt am 12. August 1923nahmen bereits über 400 Mitglieder, da-runter sehr viele Kameraden aus Wien, teil.

Zur Jahreswende 1925/26 folgte eineweitere Gründungswelle. Ortsgruppen-gründungen wurden aus Oslip, Deutsch-kreutz, Nikitsch, Wiesen, Rohrbach, Loi-persbach und Schattendorf gemeldet. Biszum Jänner 1927 gab es Stützpunkte inden Bezirken Eisenstadt, Oberpullendorfund Mattersburg. Die Ortsgruppen wurdennicht nur in Gemeinden mit bürgerlicherMehrheit gegründet, sondern auch in sozi-aldemokratischen Gemeinden. Im Mai1928 meldete der „Führer“ des Bundes-

verbandes Oberst Hiltl die Gründung eineseigenständigen Landesverbandes der Front-kämpfervereinigung behördlich an.

Die Vereinigung war durchaus erfinde-risch in der Art der Verbreitung. Nachdemdie burgenländischen Behörden Neugrün-dungen von politischen Organisationen aufBasis des Vereinsgesetzes aus dem Jahr1867 nur sehr eingeschränkt zuließen, gingman in den burgenländischen Gemeindendazu über, „Zahlstellen“ anstatt selbststän-diger Vereine einzurichten. Eine Zahlstellesollte lediglich zur Abwicklung der Mitglie-derbetreuung des Bundesverbandes dienen.Derart umging man geschickt ein zu erwar-tendes Verbot der Gründung, da der Haupt-verband in Wien regulär gemeldet war. ImLaufe des Jahres 1928 wurde eine neueSatzung genehmigt, was schließlich dieUmwandlung in Ortsgruppen ermöglichte.

„Führer“ der Bewegung war der 1872 inOlmütz (Mähren) geborene Hermann Rittervon Hiltl, der von 1907 bis 1912 als Lehreran der Infanteriekadettenschule in Wienwirkte und als Oberst aus der k.u.k. Armee

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Foto: Burgenländisches Landesmuseum

Erste Tagung derburgenländischenFrontkämpferDeutsch-österreichs, Bahn-hof Eisenstadt, 12. August 1923.

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abrüstete. Im Ersten Weltkrieg kämpfte erin Serbien und zuletzt in Italien, wo er auch– als Kommandant des FeldjägerbataillonsNr. 21 – in Kriegsgefangenschaft geriet.Kurz nachdem er aus der Gefangenschaftzurückgekehrt war (August 1919), wurdeOberst Hiltl zu einem der Gründer derFrontkämpferbewegung. Er trat auch mehr-fach im Burgenland in Erscheinung und

wurde rasch zum Feindbild der Sozialdemo-kraten. Wo immer Hiltl auftauchte, konntedie Polizei mit Unruhen rechnen.

1925/26 intensivierten die Frontkämpferihre Werbungstätigkeit im Burgenland. DieVeranstaltungen liefen meist nach demselbenSchema ab: Ein hoher Funktionär – meist der„Führer“ der Bewegung – hielt eine Rede,welche die Gefahren des Marxismus zum In-

Quelle: Burgenländisches Landesarchiv, Polizei – Vereine

Gründung des Landesverbandes Burgenland derFrontkämpfervereinigung

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halt hatte. Die Kundgebungen waren von derZentrale in Wien organisiert und immer be-hördlich korrekt gemeldet. Die ansässigen So-zialdemokraten fühlten sich durch diese Ver-anstaltungen provoziert. Im Laufe des Jahres1926 trat die SDAP-Parteileitung solchenVeranstaltungen zusehends entschlossenerentgegen, was dazu führte, dass die Front-kämpfer Verstärkung aus Wien und den um-liegenden „Ortsgruppen“ hinzuzogen.

Umstritten sind die Finanzierungskanäleder Organisation. Von den im burgenländi-schen Landtag vertretenen Parteien muss-ten sich die Frontkämpfer den nicht unbe-gründeten Vorwurf gefallen lassen, ein In-strument der ungarischen Irredenta zu seinund sich von ungarischen Kreisen finan-ziell unterstützen zu lassen.

Von Waffenverstecken in der Umgebungvon Ödenburg war die Rede und von ge-

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Quelle: Burgenländisches Landesarchiv, Vereinsakte

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heimen Depots in den Ortschaften. Auchdie Auswahl der Ortschaften, in denenFrontkämpferorganisationen bzw. „Zahl-stellen“ gegründet wurden, unterlag einemstrategischen Konzept. Diese Gründungengruppierten sich einerseits um die StadtÖdenburg bzw. fanden in Orten statt, diefür den militärischen Nachschub in einempotentiellen Bürgerkrieg in Österreich vonBedeutung sein konnten. Dies waren imBesonderen die Bahnhöfe auf der StreckeWr. Neustadt-Ödenburg.

Die politische Bedeutung der Frontkämp-fervereinigung im Burgenland und in Öster-reich war vergleichsweise gering. Insgesamtwurden im Burgenland bis 1927 14 Grup-pen bzw. „Zahlstellen“ eingerichtet. DieMitgliederzahl dürfte bei 500 – 700 gelegensein. Österreichweit lag die Mitgliederzahlder Frontkämpfer Mitte der 1920er Jahrenach eigenen Angaben bei ca. 100.000. Bis1929 halbierte sich die Mitgliederzahl.

Die Organisation geriet sukzessive stärkerins Fahrwasser der Nationalsozialisten, diemit Beginn der 1930er Jahre den wesentli-

chen Anteil der Mitglieder ausmachten.Hiltl war bereits 1929 persönlich mit AdolfHitler zusammengetroffen. Das Ende derFrontkämpferbewegung kam im Jahr 1935.Die offizielle Auflösung der Frontkämpfer-vereinigung Deutschösterreichs folgte mitBescheid vom 15. Juni 1935, da der Vereinseine satzungsgemäße Widmung als „unpo-litischer“ Verein überschritten hatte.

Was die Frontkämpferbewegung in Schat-tendorf betraf, so existierte vereinsrechtlichim Jahr 1927 keine eigenständige Orts-gruppe Schattendorf der Frontkämpferverei-nigung Deutschösterreichs. Die am 30. Jän-ner in Schattendorf geplante Veranstaltungwar entsprechend § 6 der Satzung eine„Vollversammlung“ aller Mitglieder. DieFührung der Ortsgruppe („Zahlstelle“) über-nahm Josef Grafl. Die offizielle Einrichtungder „Zahlstelle“ war am 25. Juli 1926 er-folgt und bereits unmittelbar nach dieserGründungsversammlung hatte es eine Schlä-gerei mit den Sozialdemokraten gegeben.Das Vereinslokal der Frontkämpfereinigungin Schattendorf war das Gasthaus von JosefTscharmann.

Foto: Burgenländisches Landesmuseum

Frontkämpferauf-marsch vor demLandhaus inEisenstadt, 1933.

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Die Heimwehren, auch Heimatweh-ren, Heimatschutz oder Heimat-dienst genannt, bildeten die wich-

tigsten „austrofaschistischen“ Organisationen.Sie entstanden 1918 in den Bundesländernund dienten dem Schutz der von benachbar-ten Mächten bedrohten Heimat. Ideologischdominierten Antimarxismus, Großstadtfeind-lichkeit, Antisemitismus und „Heimattreue“.Das wesentliche Rekrutierungsfeld war dieLandbevölkerung, aber auch Angestellte spiel-ten eine wichtige Rolle. Die Kommandokorpsentstammten provinziellen Führungsschich-ten. Ideologisch teilten sich die Heimwehrenin die Gruppe der deutsch-nationalen undjene der katholisch-österreichischen Bewe-gung. Gemeinsam war ihnen die Schutzfunk-tion gegen die Sozialdemokratie bzw. denSchutzbund.

Einen ersten Höhepunkt erhielt diese hete-rogene Bewegung unmittelbar nach dem Er-sten Weltkrieg. In der Zeit von 1924 bis zumJuli 1927 ging österreichweit der Einfluss derHeimwehren zurück. Das änderte sichschlagartig mit dem 15. Juli 1927, als dieHeimwehren in den Bundesländern zum Bre-chen der sozialdemokratischen Streikbewe-gung eingesetzt wurden. Ab diesem Zeit-punkt konnten sich die Heimwehren als Ge-genkraft zur „linken Macht der Straße“ profi-lieren.

Erste Bemühungen zur Gründung vonHeimwehren im Burgenland erfolgen imHerbst 1927. Die Initiative ging nicht vomBurgenland aus. Noch unter dem Einfluss derUnruhen vom 15. Juli 1927 traten bürgerlicheKreise aus Wien an den christlichsozialenNationalratsabgeordneten Franz Binder mitdem Ansinnen zur Gründung eigener burgen-ländischer Ortsgruppen heran. Landtagsabge-ordneter und späterer Landeshauptmann Jo-hann Wagner (1956–1961) wurde Burgen-lands erster Ortsführer. Die Anhänger derHeimwehrbewegung rekrutierten sich aus derChristlichsozialen Partei wie auch aus demLandbund. Die politischen Führer der Bewe-gung waren Franz Binder (CSP) und MichaelVass (Landbund). Daneben gab es eine militäri-sche Führung: Oberst Gustav Berger und Ma-jor Wilhelm Stipetic. Im Südburgenland, wobislang keine Wehrformationen Fuß fassenkonnten, entstanden die ersten Ortsgruppen.Zuvor war noch ein Versuch, die Frontkämp-fer des Nordburgenlandes zu „übernehmen“,am Widerstand ihres Führers, Oberst Hiltl,fehlgeschlagen. Die burgenländische Heim-wehrbewegung wurde zum Teil von ungari-schen Großgrundbesitzern finanziert, die vonden radikalen Bodenreformplänen der Sozial-demokraten beunruhigt waren.

Die Führungsriege der burgenländischenCSP stand dem Projekt anfangs eher skep-

DIE HEIMWEHRBEWEGUNG

„…. daß wir im Burgenland nun starke Heimwehren haben, liegt einzig und allein in der klassenkämpferischen Tätigkeit der sozialdemokratischen Politik“.

(Burgenländische Heimat, 31. August 1928)

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tisch gegenüber, ließ es aber geschehen. Inder Anfangsphase des Bestehens war derLandbund der Motor der Bewegung. In kür-zester Zeit entstanden in nahezu allen bur-genländischen Orten Heimwehrgruppen. Ob-wohl viele Vereine nur auf dem Papier exi-stierten, zählte die burgenländische Heim-wehrbewegung, die sich die Bezeichnung„Heimatschutzverband Burgenland“ gab,bald über 10.000 Mitglieder und übertraf

den Schutzbund damit um einVielfaches. Ein erstes offiziellesAuftreten von burgenländischenHeimwehren erfolgte am 7. Okto-ber 1928 am berühmt geworde-nen Aufmarsch in Wr. Neustadt,an dem die Heimwehren von Mat-tersburg, Wiesen, Rohrbach, Groß-warasdorf, Neudörfl, Eisenstadtund Wimpassing teilnahmen. Andiesem Tag fand die erste macht-volle Demonstration der Heim-wehren in einer sozialistischenHochburg statt. Die sozialdemokra-tische Vormacht der Straße war da-mit gebrochen.

Die sich häufenden Zusammen-stöße der beiden Wehrverbändeführten 1929 zu einem von Junibis September befristeten Auf-marschverbot. Unmittelbar danachgingen die gegenseitigen Provoka-tionen unvermindert weiter. ImNordburgenland, das bis dahinvom Schutzbund dominiert wor-den war, hielt die burgenländischeHeimwehr erstmals am 27. Okto-ber 1929 eine Veranstaltung inSchützen am Gebirge ab.

Der politische Einfluss der Bewegung stiegin den kommenden Jahren und gipfelte in in-ternen Auseinandersetzungen mit der Partei-leitung der CSP, die den autoritären Kurs derHeimwehren nicht mittragen wollte. Das än-derte an der politischen Orientierung der Be-wegung nichts. Mit dem Korneuburger Eiddes Jahres 1930 wurde der antidemokra-tisch-autoritäre Kurs der Bewegung zemen-tiert.

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Quelle: Burgenländisches Landesarchiv, Vereinsakte

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Quelle: Burgenländisches Landesarchiv, Polizei – Vereine

Auszug aus dem Lagebericht der BH Jennersdorf vom 28. September 1927

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Schattendorf, unmittelbar an der un-garischen Grenze gelegen, gehörtebis 1921 dem Ödenburger Komitat

an, wurde dann vorerst dem Bezirk Eisen-stadt zugewiesen, schließlich aber dochdem Bezirk Mattersburg einverleibt.

Die erste Volkszählung im Burgenlandaus dem Jahre 1923 ergab eine Bevölke-rungszahl von 2.173. Davon gaben 2.169Katholisch und 4 Evangelisch als ihre kon-fessionelle Zugehörigkeit an. Schattendorfwar fast rein deutschsprachig, die Volks-gruppenzugehörigkeit ergab: 2.154 deutsch– 10 kroatisch – 9 ungarisch.

In der Grenzgemeinde wurde 1921 einGendarmerieposten eingerichtet. Schwierig-keiten bereitete in den ersten Jahren nachdem Anschluss des Burgenlandes an Öster-

reich die Lösung der traditionellen wirtschaft-lichen und verkehrsmäßigen Bindungen zuÖdenburg. Gezwungenermaßen verlagertesich danach der Handel von Ödenburg nachMattersburg und Wiener Neustadt. Ein bis-her wesentlicher Teil des Absatzmarktes wardurch die Grenzziehung verlorengegangen.

Später als in anderen Orten, erst im Au-gust 1922, wurde eine Gemeindeverwal-tungskommission gebildet. Die ersten Ge-meinderatswahlen im Burgenland vom 25. März 1923 brachten der Sozialdemokra-tischen Arbeiterpartei (SDAP) 617 Stimmen(8 Mandate), der Christlichsozialen Partei(CSP) 460 Stimmen (6 Mandate). Erster Bür-germeister wurde der Sozialdemokrat JohannGrafl, er übte dieses Amt bis 1931 aus. Der

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SCHATTENDORF AM VORABEND DES 30. JÄNNER 1927

Foto: Burgenländisches Landesmuseum

Frühe Ansicht vonSchattendorf.

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Versuch, die konfessionelle Schule in eineGemeindeschule umzuwandeln, sowie dieDurchführung des Straßenbaus entzweitendie politischen Fraktionen. 1924 kam es zueinem Misstrauensantrag der CSP-Fraktiongegen den Bürgermeister, schließlich zurSelbstauflösung des Gemeinderates und am 8. November 1925 zu Neuwahlen. Bei die-sen Wahlen erlangte die SDAP 679 Stimmen(10 Mandate), die CSP 424 Stimmen (6 Mandate). Die politischen Meinungsver-schiedenheiten beherrschten auch die folgen-den Jahre und verhinderten weitgehend einekonstruktive Arbeit. Immer wieder kam eszu Berufungen der CSP-Fraktion gegen Ge-meinderatsbeschlüsse, die von der Landesre-gierung zum Teil als berechtigt anerkannt,teilweise aber auch abgewiesen wurden.

Bei den Gemeinderatswahlen vom 20. März 1927 erreichte die SDAP 728 Stim-men (9 Mandate), die CSP 456 Stimmen (6 Mandate). Da sich die politischen Parteienüber die Zusammensetzung des Gemeinde-vorstandes nicht einigen konnten, musste dieLandesregierung schlichtend eingreifen.

Während die Politiker auf Landesebeneum Konsens bemüht und übereingekommenwaren, keine paramilitärischen Wehrver-bände im Burgenland aufzustellen, erfolgtediese Entwicklung seit 1925 von Seiten derFrontkämpfer. Auf Betreiben der Wiener Füh-rung begann die FrontkämpfervereinigungDeutschösterreichs auch im Burgenland ausstrategischen Gründen, insbesondere in Ort-schaften entlang der Bahnlinie Ödenburg-Wr. Neustadt, so genannte Zahlstellen, dieder Mitgliederrekrutierung dienen sollten,einzurichten. Als Reaktion darauf reagiertendie Sozialdemokraten mit der Gründung vonRepublikanischen Schutzbundgruppen.

Seit Aufstellung beider Gruppierungen inSchattendorf im Sommer 1926 äußerten sichdie politischen Gegensätze nun verstärktdurch Raufereien, Drohungen und Versamm-lungsstörungen. Immer wieder kam es zukleineren Zusammenstößen.

Am 30. Jänner 1927 allerdings wurdeSchattendorf zum Schauplatz eines Ereig-nisses, das noch weitreichende Folgen ha-ben sollte.

Foto: Burgenländisches Landesmuseum

Aufnahme vonSchattendorf ausder NS-Zeit.

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Sonntag, 30. Jänner 1927

Die Werbetätigkeiten der Front-kämpfervereinigung im BezirkMattersburg seit Beginn der

1920er Jahre wurden in sozialdemokrati-schen Kreisen als blanke Provokation auf-gefasst. Für den 30. Jänner 1927 war inSchattendorf eine solche Frontkämpferver-anstaltung geplant, gemeldet und auch be-hördlich genehmigt.

Um dieser Provokation entsprechendentgegenzutreten, setzte die Sozialdemo-kratische Arbeiterpartei* – trotz warnen-der Stimmen – ebenfalls eine Versamm-

lung an, die im Vereinslokal GasthausMoser stattfinden sollte. Es wurde verab-säumt, diese Versammlung behördlich zumelden. Beide Veranstaltungen warenzeitgleich für 15.00 Uhr angesetzt. Dadie Schattendorfer Frontkämpfervereini-gung nur an die 30 Mitglieder und derörtliche Schutzbund mehr als 70 Mannzählte, wiegte sich letzterer in Sicherheit.Was man in Schattendorf nicht wusste:Zu der Veranstaltung wurden nicht nurdie Ortsgruppe Loipersbach, sondernauch Frontkämpfer aus Wien erwartet. Eswar vorgesehen, dass die LoipersbacherFrontkämpfer die Wiener Funktionärs-

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DAS EREIGNIS VON SCHATTENDORF UND DIE POLITISCHEN FOLGEN

„Die Geschehnisse selbst hätten damals auch in einer anderen Gemeinde statt-finden können und ich bin überzeugt, dass die handelnden Personen die politi-schen Hintergründe gar nicht einschätzen konnten. Es war jedenfalls eine tragi-sche Verstrickung, die den Beginn des Zerfalls der Demokratie in Österreich be-deutete.Mehr kann ich dazu in einem kurzen Brief nicht darlegen – meine Anteilnahmegilt jedenfalls allen Opfern dieser schicksalshaften Zeit.“

(Zitiert aus einem Brief von Dr. Fred Sinowatz an Josefa Trimmel-Tscharmann vom 21. Juli 2004)

* In diversen Quellen wird fälschlich angeführt, dass es sich nicht um eine Veranstaltung der örtlichenParteileitung, sondern des Republikanischen Schutzbundes handelte. Allerdings ist in den Erhebungsma-terialien der Gendarmerie immer von einer Veranstaltung der SDAP-Leitung die Rede. Da diese nicht be-hördlich der Bezirksverwaltung gemeldet, sondern lediglich „ausgetrommelt“ wurde, ermittelte die Gen-darmerie gegen den Ortsgruppenleiter der SDAP Johann Pinter und nicht gegen den SchutzbundführerMichael Tranker.

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Page 33: Schattendorf 1927;  Demokratie am Wendepunkt

gruppe vom Bahnhof abholen sollten, umsie zum Gasthof Tscharmann zu begleiten.

ca. 10.00 UhrVom Plan der Schattendorfer Frontkämp-

fer erhielten die hiesigen Schutzbündler amVormittag des 30. Jänner durch den von

Wien kommenden Friedrich HofmannKenntnis. Oberleutnant Friedrich Hofmanndiente in der Wiener Volkswehr, war Lan-desführer des Wiener Schutzbundes, Se-kretär der Schutzbund-Reichsleitung undals Referent der SDAP-Veranstaltung inSchattendorf vorgesehen.

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Anmeldung derFrontkämpferver-sammlung für den30. Jänner 1927.

Quelle: Burgenländisches Landesarchiv, Polizei – Vereine

Foto: Josefa Trimmel-Tscharmann

Gasthaus Tscharmann, dasVereinslokal derFrontkämfer, inden 1920er Jahren.

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ca. 11.00 UhrGerüchteweise war zu vernehmen, dass

die Frontkämpfer versuchen würden, diesozialdemokratische Veranstaltung zusprengen. Eine Beratung über die weitereVorgangsweise fand im Gasthof Paul Moserstatt. Daran nahmen neben Hofmann auchder Bezirksleiter des Schutzbundes undLeiter der Ortsgruppe Baumgarten ThomasPreschitz, die Gruppenleiter Michael Tran-ker (Schattendorf) und Josef Wild (Draß-burg), der SDAP-Obmann von Schatten-dorf Johann Pinter und mehrere andereMitglieder teil. Man kam überein, eine ak-kordierte Aktion gegen die Pläne derFrontkämpfer zu starten, in welche auchandere Schutzbundgruppen der Umgebungeingebunden sein sollten. Hofmann ver-

fasste einen Brief, der zur Teilnahme ander Veranstaltung aufforderte. Ein Fahrrad-bote brachte den Brief nach Klingenbach.Preschitz mobilisierte die Gruppen Baum-garten und Draßburg persönlich.

Es war abzusehen, dass kein hoher bur-genländischer Parteifunktionär in Schatten-dorf anwesend sein würde, da zeitgleich inNeufeld eine Veranstaltung der Sozialde-mokratischen Jugendorganisation geplantwar, an welcher die Führungsriege derSDAP teilnehmen sollte. Es darf aber ange-nommen werden, dass die Mobilisierungvierer Schutzbundeinheiten nicht die Zu-stimmung der Parteileitung erhalten hätte,da diese versuchte, möglichen Provokatio-nen aus dem Weg zu gehen.

Am 18. Mai 1927 erhält der Schattendorfer Schutzbund vom Obmann des Zentralver-bandes, Dr. Julius Deutsch, die offizielle Genehmigung zur Gründung einer Ortsgruppe.

Quelle: Burgenländisches Landesarchiv, Vereinsakte

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ca. 11.30 UhrDer Fahrradkurier erreichte am späten

Vormittag Klingenbach, wo im Zuge einerimprovisierten Versammlung der Brief ver-lesen wurde. Nach kurzer Diskussion ent-schied man, dem Ruf Hofmanns und derSchattendorfer Genossen Folge zu leisten.Die Abteilung trug Zivil und die Schutz-bundkappe, verstieß aber dennoch gegenein behördlich verhängtes Uniformierungs-verbot und überschritt gleichzeitig den inden Klingenbacher Statuten festgelegtenWirkungsbereich, der auf den Bezirk Ei-senstadt eingeschränkt war.

ca. 12.00 UhrDer Schattendorfer Postenkommandant,

Gruppeninspektor Johann Wittwer, infor-mierte sich bei Bürgermeister Johann Graflüber die geplante Veranstaltung der SDAP,von der er gerüchteweise erfahren hatte.Im Laufe des Gesprächs, bei welchemauch Hofmann anwesend war, kam auchzur Sprache, dass Schutzbündler aus ande-ren Orten in Schattendorf erwartet wür-den.

ca. 13.15 UhrDie Schutzbundgruppen von Schatten-

dorf, Baumgarten, Draßburg und Klingen-bach trafen beim Gasthaus Moser ein.

Aus Klingenbach marschierten 25 Mannan, die Gruppe Schattendorf war die zah-lenmäßig stärkste mit 39 Schutzbündlern.Aus Draßburg kamen 28, aus Baumgartenfolgten 20 Mann dem Aufruf Hofmanns.Insgesamt sammelten sich 112 Angehörigedes Republikanischen Schutzbundes undnach einer kurzen Lagebesprechung er-folgte der Abmarsch mit Ziel Bahnhof Loi-persdorf-Schattendorf, um – wie vorgese-hen – den Einmarsch der Frontkämpfernach Schattendorf zu verhindern.

ca. 13.30 UhrAuf der Höhe des Gasthauses Tschar-

mann, des Vereinslokales der Frontkämp-fer, brach eine Gruppe von 10-15 Schutz-bündlern, darunter Thomas Preschitz, ausder Marschkolonne aus und dang ins Lokalein. Dort kam es zur ersten Auseinander-setzung des Tages, im Zuge derer der

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Gasthaus Moser(spätere Abbil-dung), das Vereinslokal derSchattendorfer So-zialdemokraten.

Foto: Burgenländisches Landesarchiv

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Quelle: Burgenländisches Landesarchiv, Polizeiakt

Liste der beteiligten Schutzbündler aus Schattendorf

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Quelle: Burgenländisches Landesarchiv, Polizeiakt

Liste der beteiligten Schutzbündler aus Klingenbach, darunter befindet sich an zweiterStelle der Name von Matthias Csmarits.

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Wirtssohn Josef Tscharmann einen erstenSchuss abgab, um die Gendarmerie zu alar-mieren.

Dem herbeigeeilten GruppeninspektorJohann Wittwer gelang es, den Streit zuschlichten.

Der Großteil der Gruppe marschierte in-des zum Bahnhof weiter. Dort bezogen dieSchutzbündler vorerst Stellung.

ca. 14.40 UhrDer Zug mit den aus Wien erwarteten

Frontkämpfern traf ein. Dieser Gruppe, dienur aus 10 Personen bestand, gehörten ne-ben acht Mattersburger Frontkämpfernzwei hohe Funktionäre aus Wien an:Hauptmann a. D. Anton Seifert sowie derSekretär der Österreichischen Frontkämp-fervereinigung, Josef Landgraf. Es kam zueiner Rauferei mit einem Teil der Schutz-bündler, woraufhin sich die Frontkämpferim Bahnhofsgelände verschanzten.

Die Situation geriet außer Kontrolle undRevierinspektor Anton Schmied ersuchte

das Gendarmeriebezirkskommando Mat-tersburg um Verstärkung.

Unter Vermittlung der Gendarmerie ver-ständigte man sich darauf, die Veranstal-tung im Gasthaus Tscharmann abzusagen.Die Frontkämpfer zogen sich entlang derBahnlinie Richtung Mattersburg zurück.

ca. 14.45 UhrNachdem die etwa 40 Mitglieder der

Frontkämpfer Ortsgruppe Loipersbach bei-nahe zeitgleich den Bahnhof erreicht hat-ten, kam es zu der erwarteten Schlägerei,bei der die ersten Schüsse fielen. Die Loi-persbacher traten auf Grund des unglei-chen Kräfteverhältnisses den Rückmarschan. Niemand wurde ernsthaft verletzt, le-diglich der Kommandant der Loipersba-cher Frontkämpfer erlitt durch einen Streif-schuss am Ohr eine leichte Verletzung.

ca. 15.45 Uhr Der Schutzbund hatte seine Ziele ge-

waltsam durchgesetzt: Den auswärtigenFrontkämpfern wurde der Einmarsch in

Foto: Burgenländisches Landesmuseum

Bahnhof Loipers-bach-Schattendorf

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den Ort verweigert und die SchattendorferFrontkämpfer mussten ihre Generalver-sammlung absagen. Im Bewusstsein, sichin voller Linie gegen den politischen Geg-ner durchgesetzt zu haben, marschiertendie Schutzbündler zurück zum GasthofMoser. Sie wurden begleitet von Parteigän-gern der SDAP, aber auch von Unbeteilig-ten – darunter Frauen und Kinder.

Im Ort verbreitete sich inzwischen aberbereits das Gerücht, dass der Loipersba-cher Frontkämpferkommandant erschos-sen worden sei.

ca. 16.00 UhrEin weiteres Mal passierte der Zug des

Schutzbundes das Gasthaus Tscharmann,in dem sich etliche Frontkämpfer aufhiel-

ten. Aus der am Ende marschierenden Klin-genbacher Ortsgruppe lösten sich einigeSchutzbündler aus dem Verband und dran-gen ins Gasthaus ein, darunter auch derKlingenbacher Schutzbündler MatthiasCsmarits. Steine flogen auf die Außenfas-sade des Gebäudes und Drohungen wur-den geäußert. Einige Frontkämpfer, darun-ter auch die beiden Wirtssöhne Josef undHieronymus Tscharmann sowie derenSchwager Josef Pinter, fühlten sich bedrohtund zogen sich in die Privatwohnung desGasthauses zurück, in der schon auf Grundder Vorkommnisse des frühen Nachmittagsgeladene Gewehre bereitstanden.

Während Josef Tscharmann einigeSchüsse auf die gegenüberliegende Hof-mauer abgab, um die bereits in den Hof

Beim Rückmarsch vom Bahnhof zum Gasthaus Moser passierten die Schutzbündler erneut das Gasthaus Tscharmann.

Foto: Burgenländisches Landesarchiv

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Privathaus Tscharmann: Straßenansicht mit Beschädigungen an der Hausmauer, die von Steinwürfen verursacht wurden.

Foto: Burgenländisches Landesarchiv

Gasthaus Tschar-mann – Innenhof:Um die ins Gast-haus eingedrunge-nen Schutzbünd-ler zu vertreibenfeuert JosefTscharmann ei-nige Schüsse aufdie gegenüberlie-gende Gasthaus-mauer ab.

Foto: Burgenländisches Landesarchiv

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Quelle: Burgenländisches Landesarchiv, Polizeiakt

Tatortskizze

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und in die Küche eingedrungenen Schutz-bündler zu vertreiben, feuerten Hierony-mus Tscharmann und Johann Pinter voneinem straßenseitigen, vergitterten Fensterauf die Straße. Auch Josef Tscharmannkam in das vordere Zimmer und gab nochmindestens einen Schuss ab, wie er späterselbst gestand.

Die Schüsse hatten verheerende Folgen:Mehrere Personen, zum Teil unbeteiligteSchaulustige, wurden verletzt, zwei Men-schen aber, der sechsjährige Josef Grössingaus Schattendorf und der KlingenbacherSchutzbündler Matthias Csmarits, bliebeninmitten der auseinander tobenden Men-schenmenge tödlich getroffen liegen.Csmarits wurde von einer Schrotladung

von hinten in Kopf und Nacken getroffen.Der kleine am gegenüberliegenden Stra-ßenrand stehende Junge starb an einemHerzschuss.

Später NachmittagFahrradkuriere der Sozialdemokraten

verbreiteten die Nachricht über die Ge-walttat in Neufeld und Eisenstadt. Nur mitMühe konnte die spontane Mobilisierungeinzelner Schutzbundgruppen (darunterder Eisenstädter Schutzbund) verhindertwerden.

Auch die Frontkämpfer von Mattersburghatten am Nachmittag eine Mobilisierungerwogen, nachdem Seifert und Landgrafvon dem Vorfall am Schattendorfer Bahn-hof berichtet hatten.

Standorte, an denen Josef Grössing und Matthias Csmarits tödlich getroffen wurden.

Foto: Burgenländisches Landesarchiv

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Foto: Burgenländisches Landesmuseum

Ehrenwache ander Stelle, woMatthias Csmaritszu Tode kam.

Foto: Burgenländisches Landesmuseum

Totenwache am Grab Josef Grössings

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AbendsAls einziges Mitglied der SDAP-Landes-

leitung kam Landesparteisekretär HansBögl persönlich nach Schattendorf, umsich ein Bild der Lage zu machen.

31. Jänner 1927 Der Unmut über das Schattendorfer Er-

eignis äußerte sich in spontanen Protest-kundgebungen in mehreren GroßbetriebenWiens und Wr. Neustadts.

Im Burgenland reagierte die SDAP-Par-teileitung sofort und versuchte die Protest-welle in geordnete Bahnen zu lenken; fürden Vormittag wurde in Neufeld eine Pro-testversammlung angekündigt. Die Sirenender Neufelder Industriebetriebe gaben um11.00 Uhr das Signal, die Arbeit niederzu-legen. Landtagsabgeordneter Franz Schön,der Bürgermeister von Neufeld und Lan-deshauptmannstellvertreter Ludwig Lesersprachen bei der Protestversammlung, ander 6.000 Personen teilnahmen.

2. Feber 1927 Die Begräbnisse der beiden Opfer in Klin-

genbach und Schattendorf wurden beein-druckende sozialdemokratische Kundge-bungen, an denen mehr als 10.000 Perso-nen teilnahmen. In ganz Österreich wurdeum 11.00 Uhr ein 15minütiger General-streik abgehalten.

3. Feber 1927 Bei der Nationalratssitzung kam es zu

tumultartigen Szenen. Die Sozialdemokra-tischen Abgeordneten forderten in einerdringlichen Anfrage die Regierung auf, dieSchuldigen von Schattendorf zur Verant-wortung zu ziehen und die Frontkämpfer-vereinigung aufzulösen.

8. Feber 1927 In der Landtagssitzung verurteilten alle

im Landtag vertretenen Parteien die Ereig-nisse von Schattendorf auf das Schärfste.Eine gemeinsam getragene Resolution be-

Foto: Burgenländisches Landesmuseum

Nach dem Begräb-nis von Josef Grössing, das um14.00 Uhr stattge-funden hatte, zogein 10.000 Men-schen umfassenderTrauerzug nachKlingenbach, woum 16.00 Uhr Matthias Csmaritsbeerdigt wurde.

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inhaltete die ernste Mahnung, politischeKämpfe mit geistigen Waffen auszutragenund die Absicht, gegen „hochverräterischeElemente“ mit aller Strenge vorzugehen.

5.–14. Juli 1927Am 5. Juli begann im Wiener Landesge-

richt für Strafsachen II der Prozess gegenJosef Tscharmann, Hieronymus Tschar-mann und Johann Pinter. Dieser Geschwo-renengerichtsprozess verlief unter regerAnteilnahme der Presse und der Öffent-lichkeit. Die Anklage lautete auf: „Verbre-chen der öffentlichen Gewalttätigkeitendurch boshafte Handlungen unter beson-ders gefährlichen Verhältnissen nach § 87des Österreichischen Strafgesetzes“. Über100 Zeugen wurden vorgeladen, 42 Zeu-genaussagen verlesen. Die Angeklagtenselbst bestritten nie, die tödlichen Schüsseabgegeben zu haben, gaben jedoch an,nicht in der Absicht geschossen zu haben,zu töten oder zu verletzen. Der für alle

überraschende Freispruch war darin be-gründet, dass es die Anwälte geschickt ver-standen hatten, die eigentliche Schuld demSchutzbund zuzuweisen.

15. Juli 1927 Die Nachricht über den Freispruch der

Angeklagten und ein Artikel von FriedrichAusterlitz, Chefredakteur der Arbeiter-Zei-tung, lösten in Wien spontane Demonstra-tionen aus. Kristallisationspunkt des Unmu-tes war der Justizpalast, der infolge inBrand gesetzt wurde. Die Intensität derProteste überraschte den Schutzbund ge-nau so wie die Polizei. Trotz intensivsterBemühungen der handelnden Personen(Dr. Julius Deutsch und Polizeipräsident Dr. Johann Schober) eskalierte die Situation.

Der 15. Juli 1927 kostete 89 Menschendas Leben, über 600 Personen wurden ver-letzt. Österreich stand am Rande einesBürgerkrieges – und die Demokratie amWendepunkt.

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Foto: Burgenländisches Landesmuseum

Wien, 15. Juli1927: Mit Karabi-nern bewaffnetePolizei.

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Feuerwehr nach dem Brandeinsatz vor dem zerstörten Justizpalast.

Foto: Burgenländisches Landesmuseum

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Josef Grössing war der Sohn des Ei-senbahners Josef sen. (geb. 1881)und der Susanne Grössing (geb.

1884). Vater Josef war zwar nicht Mitglieddes Schutzbundes, stand der Sozialdemo-kratie allerdings ideologisch nahe. JosefsSchwester Susanne war 14 Jahre alt, als ihrBruder starb. Mutter Susanne sollte ihrenSohn nur um zehn Jahre überleben – siestarb im Jahr 1937.

Am Tag des tragischen Ereignisses be-gleitete Josef mit einer Gruppe von Gleich-altrigen den Aufmarsch des Schutzbundesdurch den Ort. Als es am Nachmittag beimGasthof Tscharmann zu Auseinanderset-zungen kam, stand Josef auf der gegen-überliegenden Straßenseite. Aus demTscharmannhaus wurden mehrere Schüsseabgegeben. Dabei traf ihn eine Schrotla-dung ins Herz. Er lief noch wenigeSchritte bis zum benachbarten Haus undbrach dort tot zusammen. Der neben Josefstehende Josef Haring wurde leicht anHand und Oberschenkel verletzt.

Das am 2. Februar stattfindende Begräb-nis gestaltete sich zu einer sozialdemokrati-schen Machtdemonstration, an der mehrals 10.000 Trauergäste teilnahmen. Am

Grab von Josef Grössing sprachen Bundes-rat bzw. Obmann des Vereins „FreieSchule – Kinderfreunde“ Max Winter, Lan-deshauptmannstellvertreter Ludwig Leserund Bürgermeister Johann Grafl. Jahr-zehnte nach dem Begräbnis sorgte seineletzte Ruhestätte für Aufsehen, da diese imZuge von Straßenarbeiten verlegt werdenmusste. Im Jahr 1984 errichtete die SPÖeine Gedenktafel, die an die Opfer des 30.Jänner 1927 erinnert.

1997, 70 Jahre nach seinem Tod, be-nannte die Gemeinde Wien nach ihm eineFreizeitanlage am nördlichen Stadtrand:den Josef-Grössing-Park.

BIOGRAFIEN

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JOSEF GRÖSSING(12.2.1920–30.1.1927)

Foto: Burgenländisches Landesarchiv

Nachstellung aus dem Polizeiakt, zeigtden Standort der Kindergruppe um JosefGrössing.

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Page 48: Schattendorf 1927;  Demokratie am Wendepunkt

BIOGRAFIEN

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Der Bauarbeiter Matthias Csmaritswurde 1892 in Klingenbach ge-boren. Er war verheiratet mit

Maria (geb. Reisner) und hinterließ einensechsjährigen Sohn namens Franz.

Im Ersten Weltkrieg wurde Csmaritsdreimal verletzt und verlor ein Auge. Nachdem Fall der Räteregierung Bela Kuns flohCsmarits, wie viele Arbeiter der Umge-bung, aus Angst vor ungarischen Zwangs-maßnahmen ins nahegelegene Niederöster-reich. Im Jahr 1921 beteiligte er sich anden Kämpfen um das Burgenland. MatthiasCsmarits war dann vorübergehend arbeits-los, erhielt aber bald eine Beschäftigung alsBauarbeiter bei den Elektrizitätswerkender Stadt Wien. Seit Mitte Jänner 1927war er erneut arbeitslos. Der gebürtigeKroate war fest im Organisationsgeflechtder Sozialdemokratie verankert: Mitgliedder Sozialdemokratischen Partei, der Frei-denker, des Unterstützungsvereins derElektrizitätswerke und Mitglied des Klin-genbacher Schutzbundes.

Nachdem die Schutzbündler erfahrenhatten, dass am 30. Jänner auch auswär-tige Frontkämpfer in Schattendorf erwartetwurden, erfolgte umgehend die Mobilisie-rung von Schutzbundgruppen der näheren

Umgebung. Im Laufe des Vormittagesmachte sich der Klingenbacher Schutz-bund, darunter Matthias Csmarits, auf denWeg nach Schattendorf. Csmarits war auchan der Auseinandersetzung mit Front-kämpfern am Bahnhof Schattendorf-Loi-persbach beteiligt. Dabei geriet Csmaritsmit der Gattin des Bahnhofvorstehers Mar-gera in ein kurzes Wortgefecht. Darin be-klagte er, dass seine Kinder Hunger leidenmüssten. Kurz vor 16.00 Uhr marschierteder Zug der Schutzbündler zurück in Rich-tung Gasthof Moser. Die KlingenbacherGruppe war am Ende der Marschkolonnegereiht. Auf der Höhe des Vereinslokalesder Frontkämpfer lösten sich einigeSchutzbündler aus der Formation unddrangen ins Gasthaus Tscharmann ein.Darunter befand sich auch Matthias Csma-rits. Es fielen Schüsse. Wieder auf derStraße, versuchte Csmarits hinter einemBaum Deckung zu nehmen. MehrereSchrotkugeln trafen ihn in den Kopf. Mat-thias Csmarits war sofort tot, sein Leich-nam wurde im Gemeindegasthaus Moseraufgebahrt.

Am 2. Februar fand das Begräbnis statt.Grabreden hielten der Parteiideologe Otto

MATTHIAS CSMARITS(15.9.1892–30.1.1927)

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BIOGRAFIEN

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Josef Tscharmann war Sohn der Gast-hausbesitzer Josef und Maria Tschar-mann. Er besuchte die Volksschule in

Schattendorf. Vater Josef führte neben demGasthaus auch eine Landwirtschaft. Er war

ein tüchtiger Wirt und brachte es zu eini-gem Wohlstand. Das Gasthaus „Zum lusti-gen Bauern“, wie das Lokal auf Postkartenbezeichnet wurde, war das erste privateWirtshaus im Ort und galt als Treffpunkt

JOSEF TSCHARMANN JUN. (2.7.1896–15.11.1972)

„Josef Tscharmann jun. geboren am 2. JULI 1896 in Schattendorf Bezirk Mat-tersburg im Burgenland und zuständig, österr. Bundesbürger kath.verheiratet,dessen Gattin heisst Maria Tscharmann hat ein Kind im Alter von 1 1/2 Jahren,vermögenslos, Landwirtsohn, kann lesen und schreiben, hat 6 klassige Volks-schulbildung, dessen Eltern heissen Josef und Maria Tscharmann, zuletzt inSchattendorf Nr. 59 wohnhaft und ist bisnun straflos.“

(zitiert aus dem Polizeiakt)

Bauer, Landeshauptmannstellvertreter Lud-wig Leser, der Führer des Republikani-schen Schutzbundes Julius Deutsch undLandtagsabgeordneter Anton Propst. Mehrals 10.000 Trauergäste nahmen am Be-gräbnis teil.

Das Grab von Matthias Csmarits wurdezur „Pilgerstätte“ für die Arbeiterbewe-gung. Matthias Csmarits und Josef Grös-sing waren die ersten politischen Opfer desBurgenlandes. Bis heute legen die RotenFalken am 30. Jänner an seinem Grab ei-nen Kranz nieder.

Foto: Burgenländisches Landesarchiv

Das Bild zeigt die Stelle, an der MatthiasCsmarits tödlich getroffen wurde.

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der Bürgerlichen. Das Lokal wurde zumVereinslokal der Frontkämpfervereinigung,die am 25. Juli 1926 in Schattendorf ge-gründet wurde. Josef Tscharmann jun., derbereits früh mitarbeitete, übernahmschließlich das Gasthaus und führte es biszu seinem Tod. Die Familie pflegte gutewirtschaftliche und private Kontakte nachUngarn, die durch den Anschluss des Bur-genlandes an Österreich erschwert wur-den. Als Jagdpächter lud die Familie zuJagdgesellschaften ein, an denen auch Un-garn teilnahmen.

Für den 30. Jänner 1927 war im väterli-chen Gasthaus die „Jahreshauptversamm-lung“ der Frontkämpfer von Schattendorfangesagt. Gegen 13.30 Uhr drangen meh-rere Schutzbündler in das Gasthaus einund verlangten nach Wein. Es kam zu hef-tigen Wortgefechten. Auf Ersuchen seinesVaters feuerte Josef, mit der Absicht dieGendarmerie zu alarmieren, mehrereSchüsse in die Luft ab. Die heraneilendeGendarmerie konnte die Lage vorerst wie-der beruhigen.

Nach einer Auseinandersetzung zwi-schen Loipersbacher Frontkämpfern undden Schattendorfer Schutzbündlern beimBahnhof marschierte gegen 16.00 Uhr derSchutzbund ein weiteres Mal am Gasthofvorbei. Durch das abermalige Eindringenvon Schutzbündlern ins Lokal verängstigt,zog sich Josef mit einer Gruppe von Front-kämpfern ins gegenüberliegende Wohn-haus der Familie zurück und ergriff ein fürdiesen Fall bereitgestelltes Gewehr. Er feu-

erte zunächst drei Schüsse aus dem hinte-ren Wohnzimmer in das gegenüberlie-gende hofseitige Gebäude und begab sichdann in das straßenseitig gelegene Wohn-zimmer. Nach eigenen Aussagen soll ervon dort aus einen einzigen Schuss auf dieStraße abgegeben haben.

Gerüchten zufolge gewährte ihm derDorfpfarrer Josef Kleindl, dem ein Nahver-hältnis zur Frontkämpferbewegung nach-gesagt wurde, nach seiner Flucht Unter-schlupf. Kleindl war außerdem der Onkelvon Josefs Gattin Maria, wodurch aucheine verwandtschaftliche Bindung exi-stierte. Am 31. Jänner wurde Josef Tschar-mann verhaftet und ins BezirksgerichtMattersburg überstellt.

Am 5. Juli begann der Schwurgerichts-prozess, im Zuge dessen er am 14. Juliüberraschend freigesprochen wurde.Daran waren die drei „Staranwälte“, diedie Frontkämpfer organisiert hatten, nichtunbeteiligt. Als Josef enthaftet wurde, wa-ren die Unruhen des 15. Juli bereits imGang. Dadurch beunruhigt und verängstigtentschied er sich gemeinsam mit den bei-den Mitangeklagten, in Ungarn Zufluchtzu suchen. Nachdem es im Burgenland zukeinen Ausschreitungen gekommen war,kehrten sie wieder nach Schattendorf zu-rück.

Josef Tscharmann war als Hilfsgendarm(HIGA) im Zweiten Weltkrieg und lebte biszu seinem Tod im Jahr 1972 in Schatten-dorf. Politisch wurde Josef nicht mehr aktiv.

BIOGRAFIEN

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Page 51: Schattendorf 1927;  Demokratie am Wendepunkt

BIOGRAFIEN

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Hieronymus war Sohn der Gast-hausbesitzer Josef und MariaTscharmann. Er hatte zwei

Schwestern – Theresia und Maria – sowiedie zwei Brüder Josef und Paul. PaulTscharmann fiel im Ersten Weltkrieg. An-fang der 1920er Jahre kaufte Josef Tschar-mann sen. die Mühle, die sein Sohn Hiero-nymus bis zu seinem Tode als letzterSchattendorfer Müllermeister führte. Wiesein Vater und sein Bruder pflegte auchHieronymus gute wirtschaftliche und pri-vate Kontakte nach Ungarn. Sein Taufpatestammte aus Ödenburg. Vom Anschlussdes Burgenlandes an Österreich erwarteteHieronymus wirtschaftliche Nachteile.Darin könnte auch das Motiv seiner Mit-gliedschaft bei der Frontkämpfervereini-gung liegen, da die burgenländischenFrontkämpfer gerüchteweise für den Wie-

deranschluss an Ungarn agitierten. Wider-sprüchlich scheint hingegen, dass er alsNicht-Weltkriegsteilnehmer – Hieronymuswar zu Kriegsbeginn gerade neun Jahre alt– einer Vereinigung der ehemaligen Kriegs-teilnehmer beitrat.

Am Vorabend des 30. Jänner 1927 be-suchte Hieronymus Tscharmann wie vieleseiner Altersgenossen eine Ballveranstal-tung der Sozialdemokraten. Gezeichnetvom Vortag schlief er in der Mühle, bis eram frühen Nachmittag von Familienange-hörigen um Hilfe gerufen wurde. Zuvorwar es im väterlichen Gasthaus bereits zueiner ersten Kontroverse mit Schutzbünd-lern gekommen. Als gegen 16.00 Uhr dieSchutzbundgruppe erneut das Gasthauspassierte und Drohgebärden äußerte, zogsich Hieronymus mit seinem Bruder Josef,

HIERONYMUS TSCHARMANN (15.2.1905*–18.2.1994)

„Hieronymus Tscharmann ist am 15. Feber 1905 in Schattendorf Bezirk Matters-burg im Burgenlande geboren und zuständig, österr. Staatsbürger, röm.kath.ledig, wirtschaftlicher Hilfsarbeiter, in Schattendorf Nr. 59 wohnhaft, kann lesenund schreiben, besitzt kein Vermögen hat für niemanden zu sorgen, Eltern Josefund Maria Tscharmann geborene Pinter und sind hier keine Vorstrafen bekannt.“

(zitiert aus dem Polizeiakt)

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BIOGRAFIEN

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dem Schwager Johann Pinter und mehre-ren Frontkämpfern in die elterliche Woh-nung zurück. Mit den dort bereitgestelltenSchusswaffen wurde straßenseitig auf dievorbeimarschierende Menschengruppe dasFeuer eröffnet. Bis heute ist nicht geklärt,wer tatsächlich die tödlichen Schüsse ab-gab.

Unmittelbar nach der Tat hielten sich dieSchützen versteckt.

Beim folgenden Schwurgerichtsprozesswurden Hieronymus Tscharmann und dieMitangeklagten von einer Gruppe von„Staranwälten“ vertreten, unter welchensich auch der Nazijurist Dr. Walter Riehlbefand. Um sich die Rechtsvertretung lei-

sten zu können, musste die Familie meh-rere Grundstücke veräußern. Nach demunerwarteten Freispruch zog es Hierony-mus vor, die folgenden Tage in Ungarn zuverbringen. Nach seiner Rückkehr in seinHeimatdorf war er dann weiterhin als Mül-ler tätig.

Als Soldat der Deutschen Wehrmachtgeriet er in jugoslawische Kriegsgefangen-schaft, aus der er 1946 entlassen wurde.

Hieronymus Tscharmann vermied jedeweitere politische Tätigkeit im Ort. Erstseine Tochter Josefa wurde wieder kom-munalpolitisch tätig.

Zeit seines Lebens vermied HieronymusTscharmann jegliche Diskussion über dieEreignisse von 1927.

* Das Standesamt von Schattendorf vermerkt den Geburtstag am 14.3.1905.

JOHANN PINTER(16.4.1901*–8.5.1985)

„Johann Pinter ist am 16. April 1901 in Schattendorf Bezirk Mattersburg imBurgenlande geboren und zuständig, in Schattendorf 190 wohnhaft österr.Staatsbürger, röm.kath.verheiratet, kann lesen und schreiben, besitzt kein Ver-mögen hat für seine Gattin Maria und 1 Kind im Alter von 2 1/2 Jahren zu sor-gen, Eltern Johann und Barbara Pinter und erscheint ha. nicht vorbestraft auf.“

(zitiert aus dem Polizeiakt)

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Page 53: Schattendorf 1927;  Demokratie am Wendepunkt

Johann Pinter entstammte einer Schat-tendorfer Bauernfamilie. Er übernahmden elterlichen Hof und führte diesen

bis zu seiner Pensionierung. Seine GattinMaria war die Schwester von Josef und Hie-ronymus Tscharmann, mit denen er auchfreundschaftlich verbunden war. Währendseiner Schulzeit litt er besonders unter derdurch eine restriktive Magyarisierungspoli-tik verordneten ungarischen Schulsprache.Ganz in diesem Sinne befürwortete er denAnschluss des Burgenlandes an Österreich.Seine politische Orientierung war also eherGroßdeutsch. Infolge dessen stand seineMotivlage bezüglich einer Mitgliedschaft inder Frontkämpfervereinigung jener der Brü-der Tscharmann konträr gegenüber. Im Ge-gensatz zu seinen beiden Schwagern, pas-sionierte Jäger, war Johann im Umgang mitSchusswaffen eher ungeübt.

Nachdem es am besagten 30. Jänner ge-gen 13.30 Uhr zu ersten Auseinanderset-zungen mit Schutzbündlern gekommenwar, fand sich auch Johann Pinter im Gast-haus seines Schwiegervaters ein. Bereits zuMittag desselben Tages waren Gewehre imWohntrakt des Hauses positioniert wor-den. Um ca. 16.00 Uhr wurde das Gast-haus Tscharmann ein weiteres Mal Schau-platz von Auseinandersetzungen. Zu die-sem Zeitpunkt befand sich Johann Pinterbereits im Gasthof, bereit den Schutzbünd-lern entschieden entgegenzutreten. Die in Unterzahl befindlichen Frontkämpferflüchteten aus der Gaststube und begabensich, wie vorgesehen, in den Wohntraktder Tscharmanns. Von hier wurde das

Feuer eröffnet. Johann Pinter wurde dabeierkannt, mehrere Schüsse abgegeben zuhaben. Ungeklärt bleibt, ob er einer der To-desschützen war.

Johann Pinter hielt sich aus Angst vorder Rache der Schutzbündler versteckt,wurde aber bald gefasst. Die Freundschaftzu Josef Tscharmann war auf Grund derTatsache, dass dieser ihn bei der erstenVernehmung schwer belastete, auf eineharte Probe gestellt.

Nach eingehender Untersuchung wurdegegen Johann Pinter und die anderen Be-teiligten die Anklage wegen „Verbrechender öffentlichen Gewalttätigkeiten durchboshafte Handlungen und besonders ge-fährlichen Verhältnissen nach § 87 desÖsterreichischen Strafgesetztes“ erhoben.Sowohl Johann Pinter als auch seine bei-den Schwager bestritten nie, die tödlichenSchüsse abgegeben zu haben, doch gabensie an, nicht in der Absicht geschossen zuhaben, zu töten oder zu verletzten.

Nach dem Freispruch und seiner Rück-kehr nach Schattendorf stellte sich für ihnnie die Frage, aus seinem Heimatort weg-zuziehen.

Auch in der Familie Pinter wurden dieGeschehnisse verdrängt. Von der Beteili-gung an den tragischen Ereignissen, diezum Tod zweier Menschen führten, erfuhrJohann Pinters Sohn erst mit 16 Jahren imZuge einer Wahlveranstaltung. Währendsich Johann Pinter allen Fragen seiner Kinder verschloss, war es die Mutter, die diesen vom tragischen Ereignis des 30. Jänner 1927 erzählte.

BIOGRAFIEN

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* Das Standesamt von Schattendorf vermerkt den Geburtstag am 13.4.1901

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Page 54: Schattendorf 1927;  Demokratie am Wendepunkt

ZEITTAFEL

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1 9 2 109.01.Konstituierung der „Burgenländischen Lan-desorganisation der SozialdemokratischenArbeiterpartei“ in Wiener Neustadt – Ob-mann: Johann Fiala25.01.„Burgenlandgesetz“ – Bundesverfassungsge-setz über die Stellung des Burgenlandes alsselbstständiges und gleichberechtigtes Bun-desland14.04.Konstituierung der „Christlichsozialen Lan-desparteileitung für das Burgenland“ inWien – Obmann: Rudolf Gruber

1 9 2 201.01.Das durch die „Ödenburger Volksabstim-mung“ verlorene Gebiet wird an Ungarnübergeben02.02.Konstituierende Sitzung der Landespartei-leitung der „Großdeutschen Volkspartei fürdas Burgenland“ in Sauerbrunn – Ob-mann: Karl Wollinger, Dr. Alfred Walheim18.06.Im Burgenland werden die ersten Wahlenfür den Landtag und zugleich für den Na-tionalrat durchgeführt15.07.Konstituierende Sitzung des Burgenländi-schen Landtages in der ehemaligen Militär-oberrealschule in Eisenstadt19.07.Wahl der ersten Burgenländischen Landes-regierung – Landeshauptmann: Dr. AlfredRausnitz

1 9 2 325.03.1. Gemeinderatswahlen im Burgenland12.07.Gesetz über die Einführung der 8jährigenSchulpflicht im Burgenland14.07.Demission von Landeshauptmann Rausnitz– Dr. Alfred Walheim wird zum neuenLandeshauptmann gewählt21.10.Nationalrats- und Landtagswahlen im Bur-genland13.11.Beginn der II. Wahlperiode (= Legislaturpe-riode) des Burgenländischen Landtages

1 9 2 404.01.Neuwahl der Burgenländischen Landesre-gierung – Landeshauptmann: Josef Rauhofer29.04.Gemeindeordnung für alle burgenländi-schen Gemeinden mit Ausnahme der Frei-städte Eisenstadt und Rust19.07.Eröffnung der Burgenländischen Arbeiter-kammer 30.07.Eröffnung der Burgenländischen Handels-kammer

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ZEITTAFEL

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1 9 2 513.03.Eröffnung der Burgenländischen Landwirt-schaftskammer30.04.Eisenstadt ist Landeshauptstadt – Eisen-stadt wird vom Landtag mit 20 gegen 9 Stimmen zum Sitz der Landesregierungund zum Tagungsort des Landtages ge-wählt15.05.Der Landtagspräsident Oskar Brugnaknimmt die Demission von Landeshaupt-mann Rauhofer zur Kenntnis; gleichzeitigwird Landeshauptmann-Stellvertreter Lud-wig Leser mit der Weiterführung der Agen-den des Landeshauptmannes betraut („In-terregnum Leser“)09.06.Neuwahl des Landeshauptmannes – JosefRauhofer

1 9 2 615.01.Gesetz über die Verfassung des Burgenlan-des03.11.Sozialdemokratisches Parteiprogramm („Lin-zer Programm“)29.11.Neufassung des Christlichsozialen Partei-programms 14.12.Grundsteinlegung zum Regierungsgebäudein Eisenstadt

1 9 2 730.01.Schattendorf – Zusammenstoß des Republi-kanischen Schutzbundes mit der Front-kämpfervereinigung02.02.Die Begräbnisse der beiden Opfer in Schat-tendorf und Klingenbach werden beein-druckende sozialdemokratische Trauer-kundkundgebungen; in ganz Österreichwird ein 15minütiger Generalstreik abge-halten03.02.Tumulte bei der Nationalratssitzung08.02.Landtagssitzung ist befasst mit dem Ereig-nis Schattendorf20.03.Gemeinderatswahlen im Burgenland24.04.Nationalrats- und Landtagswahlen im Bur-genland20.05.Beginn der III. Wahlperiode des Burgenlän-dischen Landtages14.07.Der „Schattendorfer Prozess“ vor einemWiener Schwurgericht endet mit dem Frei-spruch der Angeklagten15.07.Brand des Justizpalastes. Blutiger Aufstandin Wien

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Allgemeine Landestopographie des Burgenlandes. Der Verwaltungsbezirk Mattersburg,Hg. Amt der Burgenländischen Landesregierung, Eisenstadt 1993

Hans Arthofer, Vom Selbstschutz zur Frontmiliz, 1918–1936, Wien 1936

Ernst Bruckmüller, Sozialgeschichte Österreichs, Wien-München 2001

50 Jahre Burgenland, Burgenländische Forschungen Sonderheft III, Eisenstadt 1971

Charlotte Heidrich, Burgenländische Politik in der Ersten Republik, Bd. 4, Studien undQuellen zur österreichischen Zeitgeschichte, Wien 1982

Norbert Leser, Paul Sailer-Wlasits (Hg.), Als die Republik brannte. Von Schattendorf bisWien, Wien 2001

Hugo Portisch, Österreich I. Die unterschätzte Republik, Wien 1989

Schattendorf, Seine Geschichte und seine Menschen, Hg. Marktgemeinde Schattendorf,Schattendorf 2003

Fred Sinowatz, Gerald Schlag, Walter Feymann, Aufbruch an der Grenze. Die Arbeiter-bewegung von ihren Anfängen im westungarischen Raum bis zum 100-Jahre-Jubiläumder Sozialistischen Partei Österreichs, Wr. Neustadt 1989

Mario Strigl, Vom Legitimismus zum Nationalsozialismus. Die Frontkämpfervereinigungin Österreich, Diplomarbeit Institut für Zeitgeschichte, Wien 2000

Felix Tobler, Zur Frühgeschichte der NSDAP im Burgenland, in: Burgenland 1938, Burgenländische Forschungen Bd. 73, Eisenstadt 1989

Um Freiheit und Brot. Geschichte der burgenländischen Arbeiterbewegung von den Anfängen bis 1945, Hg. AG zur Erforschung und Dokumentation der Geschichte der burgenländischen Arbeiterbewegung, Eisenstadt 1984

Günther M. Unger, Die Christlichsoziale Partei im Burgenland, Burgenländische Forschungen Bd. 49, Eisenstadt 1965

Günter M. Unger, 60 Jahre ÖVP, Familienalbum zur Geschichte der ÖVP im Burgenland,Hornstein 2005

LITERATURVERZEICHNIS

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Bibliografische Literatur

Johann Bögl, Burgenland. Ein Bericht zur Zeitgeschichte, Wien 1974

Julius Deutsch, Ein weiter Weg, Zürich-Wien-Leipzig 1960

Oskar Helmer, 50 Jahre erlebte Geschichte, Wien 1957

Quellenverzeichnis

Burgenländisches Landesarchiv, Vereinsakte

Burgenländisches Landesarchiv, Erhebungsakt der Gendarmerie „Frontkämpfer und Republikanischer Schutzbund. Zusammenstoß in Schattendorf“ III-317/1927, Konvolut ca. 210 Seiten

Burgenländisches Landesarchiv, Zeitgeschichtliche Sammlung, Polizei – Vereine

Burgenländisches Landesarchiv, Zeitgeschichtliche Sammlung, Parteiarchiv SDAP

Stenographische Protokolle des Burgenländischen Landtages, 1922–1927

Burgenländische Heimat

Burgenländische Freiheit

Arbeiter-Zeitung

LITERATURVERZEICHNIS

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WIR BEDANKEN UNS FÜR DIEFREUNDLICHE UNTERSTÜTZUNG

BEI:

Dr. Evelyn Fertl, Schattendorf

Erwin Kurz, Schattendorf

Josefa Trimmel-Tscharmann, Schattendorf

DANKSAGUNG

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