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Grenzen und Gefahren
2. Grenzen und Gefahren des
ökonomischen Verhaltensmodells
Vorlesung an der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg
WS 2007/2008
Prof. Dr. Lars P. FeldRuprecht-Karls-Universität Heidelberg,
ZEW Mannheim, Universität St. Gallen (SIAW-HSG), CREMA Basel und CESifo München
Grenzen und Gefahren 1
Grenzen und Gefahren des ökonomischen Verhaltensmodells
• Empirischer Gehalt und Erweiterung des ökonomischen Denkansatzes
• Verhaltensanomalien
• Die Ökonomie des Dr. Pangloss, oder: Wir leben in der besten aller Welten
• Die Überschätzung der Machbarkeit der Verhältnisse
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Literatur• G. Kirchgässner (2000), Homo oeconomicus,
Mohr, Tübingen, 2. Auflage 2000, Kap. 6.
• B.S. Frey und R. Eichenberger (1989), Zur Bedeutung entscheidungstheoretischer Anomalien für die Ökonomik, Jahrb. f. Nationalök. und Stat. 206, 81-101.
• B.S. Frey und R. Eichenberger (1989), Anomalies and Institutions, JITE 145, 423-437.
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Empirischer Gehalt und Erweiterung des ökonomischen Denkansatzes I
• Überschätzung der Aussagekraft des ökono-mischen Modells und Verdrängung von Anomalien durch ihren Einschluss ins Modell
• Ökonomie des Dr. Pangloss: Betonung und Berücksichtigung von Transaktions- und Informationskosten kann die Welt als ‚die beste aller Welten‘ erscheinen lassen.
• Durch geeignetes Setzen von Restriktionen lässt sich nicht jedes beliebige Verhalten erzeugen.
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Empirischer Gehalt und Erweiterung des ökonomischen Denkansatzes II
• Empirisch gehaltvolle Theorien sind „gleicher-maßen unbeweisbar“ und sie sind „gleich unwahrscheinlich“ (Lakatos, 1974, S. 93).
• Anomalien als empirische Beobachtungen, die nicht mit der Theorie vereinbar sind.
• Anomalien sind kein Grund, eine Theorie zu ver-werfen, solange keine bessere Alternative vorliegt.
• Andererseits sind Anomalien Herausforderungen.
Grenzen und Gefahren 5
Empirischer Gehalt und Erweiterung des ökonomischen Denkansatzes III
• Immunisierung des ökonomischen Verhaltensmodells gegen mögliche Misserfolge durch ad hoc Annahmen in Zielfunktionen oder Restriktionen.
• Resultat: empirische Gehaltlosigkeit.• Richtige Strategie?
– Welche Anomalien spielen im Aggregat eine Rolle?– Ergeben sich andere wirtschaftspolitische
Schlussfolgerungen?– Sinnvolle Ergänzung des ökonomischen
Verhaltensmodells
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Verhaltensanomalien I
• Erwartungsnutzenmodell der Mikrotheorie• Beispiel
– Würden Sie $500 zahlen, um in einer Lotterie eine 50%ige Chance des Gewinns von $1000 zu haben?
– Fairer Preis: 1/2 x $1000=$500
• Viele ökonomische Modelle basieren auf dem Erwartungsnutzenmodell– CAPM als prominentes Beispiel.
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Verhaltensanomalien II
• Bernoulli (1738): Menschen sind risikoavers: Sie schätzen den ersten Dollar etwas höher als den zweiten ein usw.– Die $500 Beteiligungskosten an der Lotterie sind subjektiv
mehr als die zusätzlichen $500, die sie gewinnen.
• Allais-Paradoxon– Sichere Ergebnisse werden bei gleichem Erwartungs-
nutzen stärker als unsichere Ergebnisse gewertet.
• Sicherheitseffekt von Kahneman & Tversky (1979).
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Verhaltensanomalien III
• Prospect theory von Kahneman & Tversky (1979)– Wähle zwischen
• a. einem sicheren Gewinn von $3200• b. einer 80% Chance, $4000 zu gewinnen und • einer 20% Chance, nichts zu gewinnen.
– Wähle zwischen• einem sicheren Verlust von $3200 • einer 80% Chance, $4000 zu verlieren und• einer 20% Chance, nichts zu verlieren.
– Erweiterung des Erwartungsnutzenansatzes• Keine einfache Multiplikation des Nutzens mit W‘keit• zusätzliche Gewichtung der Wahrscheinlichkeiten.
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Verhaltensanomalien IV
• Präferenzumkehr– Vor die Wahl zwischen zwei Lotterien gestellt
wählen die Individuen risikoavers• eine Lotterie mit kleiner Chance auf großen Gewinn und
eine Lotterie mit großer Chance auf kleinen Gewinn bei gleichem Erwartungswert.
– Bei direkter Bewertung mit Geld, wird für die Alternative mit hohem Risiko mehr gezahlt.
• Representativeness Bias– Individuen verlassen sich zu stark auf augenfällige
Merkmale (Aussehen von Personen und Beruf)
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Verhaltensanomalien V• Availability Bias
– Individuen verzerren Information mit nicht relevanten Filtern
– leicht erinnerliche Information: Spektakuläre Ereignisse.
• Referenzpunkteffekt– Gewinne und Verluste werden in Abweichung
von einem Referenzpunkt berechnet.– Meist der Status quo: Status quo bias.
• Endowment effect– Im Besitz befindliche Güter höher bewertet als
nicht im Besitz befindliche.
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Verhaltensanomalien VI
• Framing effect– Darstellung der Entscheidungssituation beeinflusst
die Handlungen der Individuen.– Bsp.: Entscheidung für wirtschaftspolitisches
Programm• ALQ von 10% und INFL von 12% gegen ALQ von 5%
und INFL von 17% • 35% zu 64% Stimmen• Beschäftigung von 90% und INFL von 12% gegen
Beschäftigung von 95% und INFL von 17% • 54% zu 40% Stimmen
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Verhaltensanomalien VII• Framing effect
– Klassisches Bsp. (Tversky/Kahneman, 1981): Imagine you have operable lungcancer and must choose between two treatments, surgery and radiation therapy.
• Of 100 people having surgery, 10 die during the operation, 32 (including those original 10) are dead after one year, and 66 afterfive years.
• Of 100 people having radiation therapy, none die during treatment, 23 are dead after one year, and 78 after five years.
• Which treatment would you prefer? 42% Choose radiation• Of 100 people having surgery, 90 survive the operation, 68 are
alive after one year, and 34 after five years. • Of 100 people having radiation therapy, all survive treatment, 77
are alive after one year, and 22 after five years. • Which treatment would you prefer? 25% Choose radiation
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Verhaltensanomalien VIII
• Sunk cost effect– Individuen berücksichtigen bei ihren Entscheidun-
gen versunkene Kosten.• Opportunity cost effect
– Individuen bewerten Opportunitätskosten systema-tisch tiefer als direkte Geldkosten gleicher Größe.
• Preisnachlässe und Gewinnmöglichkeiten werden relativ bewertet.– Ersparnis von 50 Cent bei billigerem Benzin
werden eher zu realisieren versucht als solche von 20€ beim Kauf eines Neuwagens.
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Verhaltensanomalien IX
• Sind diese Anomalien wichtig?– Margolis (1987): Musterwahrnehmung– Menschen treffen Entscheidungen im Zusammenhang mit einem
‚Muster‘ der Entscheidungssituation, das sie als Daumenregel entwickelt haben.
– Individuelle Möglichkeit rationalen Verhaltens– Im Alltag kein Problem, da hinreichend viele Muster zur
Verfügung stehen.– In außergewöhnlichen Situationen fehlt das richtige Muster.– Experimente verzerren per Konstruktion individuelle
Entscheidungen.
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Verhaltensanomalien X• Sind diese Anomalien wichtig?
– Hohe Bedeutsamkeit einiger Anomalien im Alltag.– Kriegsministerium vs. Verteidigungsministerium
• Spielen Anomalien im Aggregat eine Rolle?– Ökonomisches Verhaltensmodell modelliert
typisches individuelles Verhalten, nicht jegliches.– Ausgleich des Verhaltens durch Aggregation– Insbesondere wenn gesellschaftliche Institutionen
existieren, die ‚normales‘ Verhalten belohnen oder ‚anomales‘ Verhalten bestrafen.
– Potentiell nutzen Märkte solches Verhalten aus.– Verluste lassen sich auf Dauer nicht durchhalten.
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Verhaltensanomalien XI• Wirtschaftspolitische Relevanz
– Status-Quo Bias in der Politik– Finanzmärkte
• Aktien kleiner Firmen werfen bei gleichem Risiko höhere Erträge als die großer Firmen ab.
• Negative Korrelation von Risiko und Erträgen zwischen verschiedenen Branchen.
• Negative Korrelation von Preis-Ertrags-Verhältnis und Ertragsentwicklung.
• Institutionen zur Lösung von Anomalien– Wiederholungen von Spielen– Kommunikation und Identifikation– Selbstbindung– Versicherungszwang
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Die Ökonomie des Dr. Pangloss I• Freiwilliger Tausch führt zu einem Pareto-
Optimum– Markt als Institution, die dies ermöglicht.– Gleichsetzung von Güteroptimum und sozialem
Wohlfahrtsmaximum.– Trugschluss nach Hans Albert (1953).– Welches Pareto-Optimum erreicht wird, hängt von
den Ausgangsausstattungen ab.• Trotzdem wird der Markt häufig als
Allheilmittel gesehen.– Transaktionskosten– Staatsversagen
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Die Ökonomie des Dr. Pangloss II• Theorie der rationalen Erwartungen
– Jede systematische Politik der Nachfragesteuerung ist wirkungslos.
– Die ökonomische Welt entwickelt sich dann am besten, wenn der Staat nicht oder wenig eingreift.
• Makroökonomik des Dr. Pangloss (Buiter, 1980)– Voltaires ‚Candide‘: Entwickler der besten aller Welten
aus der ‚Metaphysico-theologo-cosmologo-nigologie‘.• „Es ist erwiesen, dass die Dinge gar nicht anders sein können als sie
sind. Denn sintemal alles zu einem bestimmten Zweck geschaffen ist, so ist alles zum allerbesten Zweck geschaffen. ... Demzufolge sind alle, die behaupten, alles sei hintenden vortrefflich eingerichtet, samt und sonders Dummköpfe. Sie hätten nämlich sagen müssen, alles sei aufs Vortrefflichste bestellt.“ (S. 8).
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Die Ökonomie des Dr. Pangloss III• Theorie der rationalen Erwartungen
– Ökonomie des Dr. Pangloss mit zwei Zusätzen:– Genau genommen gilt dies nur für die USA.– Und nur dann, wenn sich der Staat jeglicher
Einmischung in die Wirtschaft enthält.
• Umweltprobleme (Mishan, 1971)– Interview mit Dr. Pangloss– Abstreiten jeglichen Verschmutzungsproblems– „Die Leute handeln in ihrem Interesse viel besser als andere Leute für sie
handeln könnten.“ (S. 113)– „Gut wie die Dinge jetzt sind, sie wären noch viel besser, wenn es keine
Staatseingriffe gäbe.“ (S. 115)
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Die Ökonomie des Dr. Pangloss IV
• Selbstheilungskräfte des Marktes keine notwendige Folge der Anwendung des ökonomischen Verhaltensmodells– Bsp. Umwelt: Festlegung der Eigentumsrechte.– Beste Welt bei Abwesenheit der Staatseingriffe
als Dogma.
• Wertfreiheit der Ökonomie– Keine Festlegung auf eine konservative oder
sozialdemokratische Position.
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Überschätzung der Machbarkeit der Verhältnisse
• Gegenpol des Dr. Pangloss– Illusion, nahezu jeder gesellschaftliche Zustand sei
durch staatliche Eingriffe erreichbar.
• Wissensproblem• Keine Präferenzbeeinflussung• Lucas-Kritik
– Veränderung der Wirtschaftspolitik verändert Restriktionen.– Wirtschaftspolitik lässt sich nur bedingt abschätzen.
• Verdrängung intrinsischer Motivation
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