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weltzivilgesellschaft
5 Marlies Glasius
Weltzivilgesellschaft und die Aussichten für eine globale Öffentlichkeit
21 Dario Azzellini
Konstituierende Macht statt Zivilgesellschaft
27Ali Paya
Die Gestalt der kommenden globalen ZivilgesellschaftVorschläge für eine mögliche islamische Perspektive
45 oliver marchart
Die List des KonfliktsProtest in der Weltzivilgesellschaft
55Radha D’Souza
Ein Blick in die Kristallkugel: »Zivilgesellschaft« und »Humanität« im 21. Jahrhundert
63Ashraf Sheikhalaslamzadeh
Philosophie der Liebe bei Jalal ad-Din Rumi
77Detlev Quintern
Über den Humanismus bei Ihwan as-Safa
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Bücher & medien:
Seite 110 polylog 18
Victor und Victoria Trimondi: Krieg
der Religionen. Politik, Glaube und
Terror im Zeichen der Apokalypse.
Wilhelm Fink Verlag, München 2006.
ISBN 3-7705-4188-X, 597 Seiten.
Die Auseinandersetzung mit der komplexen und konfliktgeladenen Vielfalt kultureller, gesellschaft-licher und ethnischer Iden-tität lässt sich gegenwärtig ohne einen Bezug zu den Religionen nicht führen; zu sehr sind politische, (pseu-do-)religiöse und kulturelle Faktoren miteinander ver-mischt. Welche konkreten Konsequenzen eine solche Verquickung – gerade auch auf weltpolitischer Ebe-ne – haben kann, zeigt das Buch von Victor und Vic-toria Trimondi auf, das die unheilvolle Verbindung von Politik, Glaube und Terror eingehend untersucht.
Das zugrunde liegende Muster, das sich – so die
These der Verf. – »in al-len Weltreligionen wie ein Code auffinden lässt«, wird als »apokalyptische Matrix« (S. 11) bezeichnet. In allen Heiligen Schriften der Re-ligionen finden sich dem-nach solche dramatischen Endzeitprophezeiungen, die einen kosmischen Krieg zwischen Gut und Böse bezeugen. Die Gegenwart wird als radikal böse erfah-ren, grundsätzlich abgelehnt und als Ausgangspunkt eines apokalyptischen Kampfes zwischen der »Macht des Bösen« und den »Gottes-kriegern« begriffen. Vor-liegende Studie möchte ver-deutlichen, »welchen hohen Stellenwert die Apokalyp-tik heute in der nationalen und internationalen Politik gewinnen konnte«, und da-rüber hinaus »auf die vielen Gewaltpassagen aufmerk-sam machen, die in den Hei-ligen Texten zu finden sind« (S. 25). Wer diese Thema-tik für skurril oder maßlos übertrieben hält, wird an-hand der vielen aktuellen Beispiele eines Besseren be-lehrt: die apokalyptischen Deutungen des 9/11, die re-
Tipps
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ligiöse Rechtfertigung des Irak-Kriegs, Formen des religiösen Zionismus und der islamischen Theokratie, politische Vorstellungen der Christlichen Rechten in den USA und schließlich der Nahost-Konflikt sind von ihrer Hermeneutik und Motivation her in hohem Maß von besagter »apoka-lyptischer Matrix« geprägt, ja mehr noch: »Die Apoka-lyptik zählt offensichtlich so umfassend zum Kulturerbe des Menschen, dass sie das Bewusstsein unabhängig von dessen religiöser oder a-religiöser Grundeinstel-lung geprägt hat« (S. 118). Dass dieser apokalyptische Sprengstoff, der auch von Säkularen weiterverbreitet wird, nicht nur der Logik der Religionen entspricht, sondern den Grundaussa-gen ihrer Heiligen Schriften entspringt (also nicht auf ei-ner verfälschenden und auch bloß einseitigen Lektüre ihrer Texte beruht), macht die Grundthese dieses Buches aus: »Die Gefahr re-ligiöser Gewalt stammt […] aus den Religionen selbst, aus ihrer blutigen Vergan-
genheit, insbesondere aus ihren Heiligen Texten. Dies aufzuzeigen, zu analysieren und zu bewerten ist eine vordringliche Aufgabe der Aufklärung und des Huma-nismus, um die Menschen vor der Destruktivität des religiösen Wahns zu schüt-zen« (S. 529f).
In dieser Studie werden wichtige – im europäischen Diskurs sicher unterschätzte – Motivationsquellen und Begründungsfiguren poli-tischer und militärischer Konflikte in aller Welt freigelegt und reflektiert, was als wertvoller Beitrag (nicht zuletzt in Bezug auf das Erkenntnisinteresse in-terkulturellen Philosophie-rens!) zu begrüßen ist. Ob es aber tatsächlich zutrifft, dass alle Heiligen Schriften der großen Religionen von einer »apokalyptischen Ma-trix« geprägt sind, bleibt fraglich. Trotz der Fülle von Zitaten und Belegen für eine (keinesfalls zu bestrei-tende) religiöse Aufladung politischer/ethnischer/kul-tureller Konflikte wurde etwa die mimetische The-orie und Gewaltforschung
René Girards nicht einbezo-gen. Weder wurde die Ge-waltkritik vieler religiöser Traditionen in gleichem Maß berücksichtigt wie deren Gewaltpotential noch die – theologisch entschei-dende – Differenz von »es-chatologisch« und »apoka-lyptisch« ernst genommen. Die Überlegungen und Er-gebnisse dieses Buches sind zweifellos aufschlussreich (und machen den Leser/die Leserin betroffen); der Ti-tel »Krieg der Religionen« dürfte aber wohl zu hoch gegriffen sein.
Franz Gmainer-Pranzl
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