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Fachbereich Landschaftsnutzung und Naturschutz Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde
Berücksichtigung von Nachhaltigkeitskriterien in der öffent-
lichen Beschaffung von Verpflegungsdienstleistungen
Eine Analyse von politischem Anspruch und administrativer Wirklich-
keit in Berlin und Brandenburg
Bachelorarbeit
Michaela Haack
Matrikelnummer: 11207372
Erstbetreuerin: Dr. Susanne Freifrau von Münchhausen Zweitbetreuerin: Prof. Dr. Anna Maria Häring Eberswalde, 04.03.2016
II
Zusammenfassung
Mit dem wachsenden Bewusstsein für den Wert und die Notwendigkeit einer nach-
haltigen Wirtschaftsweise, nimmt auch die Verantwortung des Staates bei der Be-
schaffung von Gütern und Dienstleistungen zu. Die öffentliche Hand verfügt mit ei-
nem Beschaffungsvolumen von 19 % des europäischen Bruttoinlandsproduktes
über die nötige Nachfragmacht, um eine nachhaltige Entwicklung durch die Berück-
sichtigung ökologischer, sozialer und ökonomischer Kriterien in öffentlichen Verga-
beverfahren voranzutreiben. Dieses Potenzial scheint jedoch – trotz sich ändernder
vergaberechtlicher Rahmenbedingungen – bisher nicht ausgeschöpft zu werden. Im
Bereich der Gemeinschaftsverpflegung deuten verschiedene Berichte aus Forschung
und Praxis auf eine Diskrepanz zwischen gesellschaftspolitischem Anspruch
und administrativer Umsetzung bei der Berücksichtigung von Nachhaltigkeitszie-
len in der öffentlichen Beschaffung hin.
Zwar konnten in der bisherigen Forschung Barrieren identifiziert werden, die die
Anwendung von Nachhaltigkeitskriterien in Vergabeverfahren hemmen. Um jedoch
Ansatzpunkte für zielgerichtete Maßnahmen zur Förderung einer nachhaltigen Be-
schaffung herauszustellen, ist es das Forschungsziel dieser Arbeit konkrete
Schwachstellen in Vergabeverfahren für Verpflegungsdienstleistungen aufzuzeigen.
Damit soll diese Arbeit einen Beitrag zur Schließung der Lücke zwischen Theorie
und Praxis leisten. Die Analyse basiert auf Fallstudien für die Verpflegung von Schu-
len und Kitas in Berlin und Brandenburg.
Der methodische Ansatz zur Umsetzung des Forschungsziels umfasst drei Schritte:
(1) eine Literaturanalyse zeigt Kriterien und Nutzen nachhaltiger Verpflegungs-
dienstleistungen sowie deren vergaberechtliche Rahmenbedingungen
(2) eine Analyse von Vergabeunterlagen für Verpflegungsdienstleistungen stellt
heraus, inwieweit Nachhaltigkeitskriterien in Vergabeverfahren tatsächlich berück-
sichtigt werden
(3) mithilfe von Experteninterviews wird bewertet, inwieweit die zuletzt durchge-
führten Beschaffungsprozesse nachhaltige Verpflegungsdienstleistungen fördern
oder hemmen
Die Ergebnisse der durchgeführten Analysen bestätigen die Diskrepanz zwischen
Theorie und Praxis in der öffentlichen Vergabe von Verpflegungsdienstleistungen.
Die Literaturanalyse zeigt, dass die Beschaffung nachhaltiger Verpflegungsdienst-
III
leistungen sowohl rechtlich umsetzbar als auch gesellschaftspolitisch erwünscht ist.
Als relevante Nachhaltigkeitsaspekte gelten: Lebensmittel aus ökologischer Erzeu-
gung, Regionalität, Abfallvermeidung/Nutzung umweltfreundlicher Geräte und Rei-
nigungsmittel, Einhaltung sozialer Standards, Förderung von kleinen und mittleren
Unternehmen und die Förderung von Innovationen. Die Modernisierung des euro-
paweiten Vergaberechts im Jahr 2004 ermöglicht die Berücksichtigung der genann-
ten Kriterien in öffentlichen Vergabeverfahren. Unterschiede lassen sich jedoch in
den Länderregelungen in Berlin und Brandenburg erkennen. In diesen werden
Nachhaltigkeitsziele verschieden priorisiert.
Die Auswertung der Vergabeunterlagen und der Expertengespräche zeigt, dass
die Potenziale einer nachhaltigen Beschaffung in Berlin und Brandenburg unter-
schiedlich ausgeschöpft werden. In Berlin hat die politische Entscheidung einheitli-
cher Ausschreibungen und eines Festpreises von 3,25 Euro für ein Mittagessen in
Schulen zu einem „Qualitätswettbewerb“ unter den Catering-Unternehmen und ei-
nem damit verbundenen Anstieg des Bio-Anteils auf über 40 % geführt. Die Auftei-
lung der Aufträge in kleine Losgrößen ermöglichte es, dass sich unter den insgesamt
knapp 20 Catering-Firmen, die die Zuschläge für das Schulessen erhielten, auch viele
kleine Unternehmen befinden. Als kritisch zu betrachten sind die gewählten Zu-
schlagskriterien: 50 % der Punkte werden für die (wirklichkeitsferne) Verkostung
des Essens vergeben, während weitere relevante Nachhaltigkeitskriterien – wie z. B.
die Produktherkunft – in den Berliner Vergabeverfahren keine Rolle spielen. In
Brandenburg ist die öffentliche Beschaffung von Verpflegungsdienstleistungen im
Gegensatz zu Berlin durch einen Preiswettbewerb gekennzeichnet, was in einem
Durchschnittspreis von 2,57 Euro pro Mittagessen resultiert. Nachhaltigkeitskrite-
rien waren für die Vergabeentscheidungen kaum ausschlaggebend. Losgrößen bis zu
1.600 Essen pro Tag, damit verbundene große Auftragswerte und die Erfordernis
vergleichbarer Referenzen erschweren den Marktzugang für kleine und neugegrün-
dete Unternehmen. Uneinheitliche Zuschlagskriterien und unterschiedliche Ausle-
gungen von Kriterien wie „Regionalität“ führen zu Intransparenz und dazu, dass sich
die Unternehmen schwer auf die Bedürfnisse des Marktes einstellen können.
Ansatzpunkte für Maßnahmen zur Förderung von Nachhaltigkeitszielen, die
sich aus dem Spannungsfeld zwischen Theorie und Praxis ergeben, sind
die Abstimmung über einen Fest- oder Mindestpreis in Brandenburg bzw.
die Erhöhung des festgelegten Preises in Berlin
IV
Teilung der Aufträge in Losgrößen, die den Zugang für kleine und neuge-
gründete Unternehmen ermöglichen
transparente, einheitliche, klar definierte und leicht überprüfbare
Zuschlagskriterien
Berücksichtigung von weiteren Nachhaltigkeitszielen, wie der Produkther-
kunft, Abfallvermeidung, Innovationsförderung
Um diese Ziele gemeinsam mit den Catering-Unternehmen umzusetzen, kann die
vergaberechtlich geregelte Möglichkeit des Dialoges mit potenziellen Bietern1 ein
bisher nicht genutztes Instrument darstellen.
1 Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird in dieser Arbeit bei Personenbezeichnungen nicht in männliche und weibliche Formen unterschieden. Es wird versucht, genderneutrale Bezeichnungen zu wählen. Wenn dies in einzelnen Fällen nicht möglich ist und die männliche Form verwendet wird, ist die weibliche Form jedoch immer mitgemeint.
V
Inhalt
Zusammenfassung .................................................................................................................................... II
Abkürzungsverzeichnis ....................................................................................................................... VII
Abbildungs- und Tabellenverzeichnis ............................................................................................ VII
1 Einleitung ............................................................................................................................ 1
1.1 Hintergrund .............................................................................................................................................. 1
1.2 Zielstellung und Aufbau der Arbeit ................................................................................................ 3
2 Bisherige Forschungsergebnisse zur Berücksichtigung von Nachhaltigkeitszielen in der Vergabepraxis ........................................................... 5
2.1 Stand der Diskussion und aktuelle Umsetzung ......................................................................... 5
2.2 Einschätzung des Forschungsstandes ........................................................................................ 11
3 Ziele und Potenziale nachhaltiger Verpflegungsdienstleistungen .............. 13
3.1 Gesellschaftspolitischer Anspruch ............................................................................................... 13
3.1.1 Kriterien nachhaltiger Verpflegungsdienstleistungen .......................................... 13 3.1.2 Umweltleistungen ................................................................................................................. 15 3.1.3 Sozialorientierte Leistungen ............................................................................................. 16 3.1.4 Wirtschaftliche Entwicklung ............................................................................................ 17
3.2 Vergaberechtlicher Rahmen ........................................................................................................... 20
3.2.1 Anwendungsbereich des Vergaberechts ..................................................................... 20 3.2.2 Europäische Vergaberichtlinien ...................................................................................... 22 3.2.3 Umsetzung auf Bundesebene ........................................................................................... 23 3.2.4 Regelungen in Berlin und Brandenburg ...................................................................... 25
3.3 Umsetzbarkeit von Nachhaltigkeitskriterien in Vergabeverfahren .............................. 27
3.3.1 Besonderheiten der Vergabe für Verpflegungsdienstleistungen ..................... 27 3.3.2 Anforderungen an die Formulierung von Vergabekriterien .............................. 28 3.3.3 Rechtliche Möglichkeiten der Berücksichtigung von
Nachhaltigkeitskriterien ..................................................................................................... 30
4 Methodischer Ansatz und Untersuchungsumfang ............................................. 34
4.1 Ziele und Umfang der Untersuchung .......................................................................................... 34
4.2 Auswahl von Fallbeispielen und Experten ............................................................................... 35
4.3 Analyse Vergabeunterlagen ............................................................................................................ 36
4.4 Durchführung von Expertengesprächen ................................................................................... 37
5 Ergebnisse ........................................................................................................................ 38
5.1 Auswertung Vergabeunterlagen ................................................................................................... 38
5.1.1 Berlin ........................................................................................................................................... 38
VI
5.1.2 Brandenburg ............................................................................................................................ 40
5.2 Auswertung Expertengespräche................................................................................................... 45
6 Diskussion der Ergebnisse ......................................................................................... 49
7 Literaturverzeichnis ..................................................................................................... 52
Anhang ....................................................................................................................................................... LVI
VII
Abkürzungsverzeichnis
Abs. Absatz
BbgVergG Brandenburgisches Vergabegesetz
BerlAVG Berliner Ausschreibungs- und Vergabegesetz
DGE Deutschen Gesellschaft für Ernährung, Deutsche Gesellschaft für Ernährung e.V.
DLK Dienstleistungskonzession
EU Europäische Union
GWB Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen
k.A. keine Angaben, keine Angaben
KMU Kleine und mittlere Unternehmen
VDL Verpflegungsdienstleistungen
VS Vergabestelle
VwVBU Verwaltungsvorschrift Beschaffung und Umwelt
Abbildungs- und Tabellenverzeichnis
Tabelle 1: Schwellenwerte für europaweite Ausschreibung ................................................20
Tabelle 2: Arten der Auftragsvergabe ............................................................................................21
Tabelle 3: Auswertung Vergabeunterlagen Berlin ...................................................................39
Tabelle 4: Auftragswerte und Losgrößen in Brandenburg ...................................................42
Tabelle 5: Zuschlagskriterien Vergabestelle 2 ...........................................................................43
Tabelle 6: Zuschlagskriterien Vergabestelle 3 ...........................................................................43
Tabelle 7: Zuschlagskriterien Vergabestelle 4 ...........................................................................43
Tabelle 8: Zuschlagskriterien Vergabestelle 5 ...........................................................................43
Tabelle 9: Zuschlagskriterien Vergabestelle 6 ...........................................................................43
Tabelle 10: Zuschlagskriterien Vergabestelle 7 .........................................................................44
Tabelle 11: Zuschlagskriterien Vergabestelle 8 .........................................................................44
Tabelle 12: Zuschlagskriterien Vergabestelle 9 .........................................................................44
Tabelle 13: Zuschlagskriterien Vergabestelle 10 ......................................................................44
Tabelle 14: Fördernde und hemmende Faktoren für nachhaltige
Verpflegungsdienstleistungen ..........................................................................................................48
VIII
Abbildung 1: Umsetzung von nachhaltiger Beschaffung in der EU ..................................... 5
Abbildung 2: Anteil von Bio-Lebensmitteln in Verträgen der Schulverpflegung .......... 7
Abbildung 3: Durchschnittlicher Essenspreis an Grundschulen und weiterführenden
Schulen .......................................................................................................................................................... 8
1
1 Einleitung
1.1 Hintergrund
Mit der Entscheidung, was wir essen und trinken, wie wir uns kleiden, wie wir woh-
nen, welche Verkehrsmittel wir benutzen, beeinflussen wir unser Umfeld. Bewusst
oder unterbewusst bestimmt unser Konsumverhalten unter anderem, inwieweit
sich kleine und mittlere Unternehmen in unserer Nähe etablieren können, ob Land-
wirtschaft und Industrie ressourcenschonend wirtschaften und unter welchen Ar-
beitsbedingungen produziert wird.
Ein Akteur, der den Markt mit seinen Kaufentscheidungen besonders prägt, ist die
öffentliche Hand. Annähernd 19 % des europäischen Bruttoinlandproduktes geben
öffentliche Einrichtungen jedes Jahr für neue Gebäude, Straßen, Energieversorgung,
Büromaterial, Dienstleistungen etc. aus (Europäische Kommission 2015a). Damit
nicht einzelne Unternehmen von dieser Kaufkraft des Staates profitieren, sollen
Wettbewerb, Transparenz und Nichtdiskriminierung in der öffentlichen Beschaffung
durch verschiedene gesetzliche Vorgaben2 sichergestellt werden. Diese Verordnun-
gen und Gesetze regeln zum Beispiel, dass im Vorfeld einer öffentlichen Auftrags-
vergabe eine sogenannte Ausschreibung durchgeführt werden muss, die – je nach
Volumen der Vertragsleistung – auf nationaler oder europaweiter Ebene zu erfolgen
hat und auf die sich Unternehmen als Bieter bewerben können.
Bis zum Jahr 2004 waren Wirtschaftlichkeit und Wettbewerb die leitenden Ziele im
Vergabeverfahren. Relevant war in erster Linie die Qualität des Produktes im Bezug
zum Preis. Als „vergabefremd“ wurden im Beschaffungswesen Kriterien bezeichnet,
die sich auf eine Nachhaltigkeit der Produktionsprozesse bezogen (Morgan und
Sonnino 2007, S. 3). Da aber mit dem wachsenden Bewusstsein und der Notwen-
digkeit einer nachhaltigen Wirtschaftsweise auch die Verantwortung der öffentli-
chen Hand hinsichtlich der Qualität der von ihr beschafften Güter und Dienstleistun-
gen zunahm, wurde mit der europaweiten Reform des Vergaberechts3 eine Möglich-
keit geschaffen, soziale, ökologische und ökonomische Kriterien in die Vergabever-
fahren einzubeziehen.
2 z.B. Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) und die Vergabe- und Vertragsord-nung für Leistungen (VOL/A) 3 Novellierung der Richtlinie 2004/18/EG
2
Ein wichtiger Bereich in der öffentlichen Beschaffung ist die Gemeinschaftsverpfle-
gung. Diese umfasst neben Betriebsrestaurants auch Schulen, Kitas, Krankenhäuser,
Pflegeheime und Studentenwerke. Der Einsatz von – möglichst saisonalen und regi-
onalen – Lebensmitteln aus ökologischer Erzeugung in der Gemeinschaftsverpfle-
gung wird als wesentlicher Faktor für die Entwicklung einer nachhaltigen Land- und
Ernährungswirtschaft betrachtet. Eine nachhaltige Beschaffung von Verpflegungs-
dienstleistungen hat das Potenzial, die steigenden Nachfrage nach ökologisch er-
zeugten Lebensmitteln, Transparenz in der Lieferkette und damit den Ausbau regio-
naler Wertschöpfungsketten zu fördern (Foodlinkscommunity 2013; Europäische
Kommission 2015a).
Auch wenn die Novellierung des Vergaberechts eine nachhaltige Beschaffung von
Lebensmitteln und Catering-Dienstleistungen für Einrichtungen der Gemeinschafts-
verpflegung – zumindest theoretisch – ermöglicht, scheint es dennoch in der prakti-
schen Umsetzung Barrieren zu geben. Sowohl bei Runden Tischen und Fachtagun-
gen4 als auch in Presseberichten finden sich Hinweise darauf, dass es zahlreiche
Hemmnisse bei der Beschaffung nachhaltig erzeugter Lebensmittel gibt und in
Vergabeverfahren für Catering-Dienstleistungen oftmals doch der Preis das aus-
schlaggebende Kriterium sei. Häufig genannte Probleme erstrecken sich von der
Kündigung von Verträgen seitens der Caterer bzw. fehlende Bieter bei Ausschrei-
bungen wegen zu niedriger Preise, über das Scheitern von Elterninitiativen zur
Steigerung des Bio-Anteils im Schulessen, die Bevorzugung von Großunternehmen
wie Sodexo gegenüber kleinen Unternehmen aus ökonomischen Gründen, bis hin
zur Wiederholung von Vergabeverfahren aufgrund gestiegener Angebotspreise der
Caterer (Klesmann 2013; Wiechers 2014; Klamann 2015; Vieth-Entus 2014).
4 z.B. Fachtag im Netzwerk Schulverpflegung Brandenburg (Vernetzungsstelle Schulverpfle-gung Brandenburg 2015)
3
1.2 Zielstellung und Aufbau der Arbeit
Die hier skizzierte Problemstellung der anzunehmenden Differenz zwischen gesell-
schaftspolitischen Anforderungen an die öffentliche Beschaffung von Verpflegungs-
dienstleistungen und der administrativen Umsetzung führt zu folgendem
Forschungsziel:
Aufzeigen des Spannungsfeldes zwischen Anspruch und Wirklichkeit und
der sich daraus ergebenden Ansatzpunkte für politische Maßnahmen zur
Umsetzung von Nachhaltigkeitszielen in der öffentlichen Beschaffung
Wissenschaftliche Teilziele der Arbeit
Zur Erreichung des Gesamtziels werden folgende Teilziele berücksichtigt:
(1) Herausstellung von Kriterien nachhaltiger Verpflegungsdienstleistungen
(2) Ermittlung des rechtlichen Rahmens
(3) Bewertung von Vergabeunterlagen
(4) Darstellung der sich daraus ergebenen hemmenden und fördernden Fakto-
ren für nachhaltige Verpflegungsdienstleistungen
Methodik zur Umsetzung der Forschungsziele
Zur Umsetzung der Forschungsziele soll zunächst eine Literaturanalyse den aktuel-
len Forschungsstand zur Umsetzung von Nachhaltigkeitszielen in der öffentlichen
Beschaffung aufzeigen. Ziel ist es, einen ersten Überblick der Problematik und den
derzeitigen Forschungsbedarf darzustellen. Im Kapitel 3 soll die Frage nach der
Bedeutung und Notwendigkeit von Nachhaltigkeitszielen in der öffentlichen Be-
schaffung aufgegriffen werden. Verschiedene Studien zur Bedeutung einer nachhal-
tigen Beschaffung sollen Ansätze dafür zeigen, welches Potenzial diese für Gesell-
schaft und Umwelt birgt. Daraus ableitend werden auf Grundlage von Leitfäden zur
öffentlichen Beschaffung Kriterien aufgeführt, die bei der Gestaltung von Vergabe-
verfahren berücksichtigt werden sollten, damit die zuvor genannten Potenziale aus-
geschöpft werden können. Anschließend werden in einem weiteren nach Kapitel
zunächst die Grundlagen des Vergaberechts kurz ausgeführt, bevor der rechtliche
Rahmen in Europa, Deutschland und auf Länderebene analysiert wird. Im letzten
Unterkapitel des Theorieteils sollen schließlich die anfangs aufgestellten Kriterien
4
für nachhaltige Verpflegungsdienstleistungen auf eine rechtliche Umsetzbarkeit
geprüft werden.
Im praktischen Teil der Arbeit sollen schließlich auf Basis der zuvor ermittelten
rechtlich umsetzbaren Kriterien Vergabeunterlagen zur Schulverpflegung analysiert
werden. Diese Analyse beschränkt sich auf Vergabeverfahren in Berlin und Bran-
denburg der vergangenen drei Jahre. Anhand der Ergebnisse dieser Analyse sollen
schließlich Expertengespräche mit Akteuren der Schulverpflegung in Berlin und
Brandenburg geführt werden, um die Konsequenzen der aktuellen Ausschreibungs-
praxis für Catering-Unternehmen darzustellen. Die sich daraus ergebenden hem-
menden und fördernden Faktoren bilden anschließend die Grundlage für die Dis-
kussion.
5
2 Bisherige Forschungsergebnisse zur Berücksichtigung von
Nachhaltigkeitszielen in der Vergabepraxis
2.1 Stand der Diskussion und aktuelle Umsetzung
Die Literaturauswertung zur Umsetzung von Nachhaltigkeitszielen in der Vergabe-
praxis zeigt, dass die Empfehlungen zur nachhaltigen Beschaffung in öffentlichen
Vergabeverfahren bisher nicht ausreichend umgesetzt werden (Bouwer et al. 2006;
Renda et al. 2012). In Abbildung 15 wird deutlich, dass es hier erhebliche Unter-
schiede zwischen den EU-Ländern gibt. Während umweltorientierte Kriterien in
Schweden, Dänemark, Belgien und den Niederlanden in 40-60 % aller Vergabever-
fahren der 10 untersuchten Produkt- und Dienstleistungsgruppen berücksichtigt
wurden, belief sich der Anteil in Deutschland, Frankreich, Spanien etc. auf nur 20-
40 % (Renda et al. 2012, S. 8).
Abbildung 1: Umsetzung von nachhaltiger Beschaffung in der EU
Quelle: (Renda et al. 2012)
6
In der vorrausgehenden EU- Studie zur Aufnahme von Umweltkriterien weisen
Bouwer et al. (2006) darauf hin, dass die Ergebnisse aus den Befragungen der
Behörden positiver ausfallen, als die Ergebnisse aus der Analyse der Vergabeunter-
lagen: „It is clear that organisations perceive that they are implementing GPP more
than they are actually doing it: 67% of all questionnaire respondents perceive that
they use environmental criteria when purchasing, while in reality only 36% of the
tender documents of all 25 Member States actually contain environmental criteria“
(Bouwer et al. 2006, S. 10). Die Umsetzung von Umweltkriterien variiert nicht nur
zwischen den einzelnen EU- Mitgliedsländern, auch hinsichtlich der Produkt- und
Dienstleistungsgruppen werden Unterschiede deutlich. Umweltorientierte Kriterien
werden in 48 % der Vergabeverfahren für Lebensmittel und Verpflegungsdienstleis-
tungen gar nicht angewandt (Renda et al. 2012, S. 12).
Die Ergebnisse einer in Deutschland durchgeführten Studie zur Nachhaltigkeit in der
öffentlichen Beschaffung, die sich ebenfalls vorrangig auf Befragungen von Kommu-
nalverwaltungen stützt, verdeutlichen die geringere Relevanz von umweltorientier-
ten und sozialen Kriterien zu ökonomischen Aspekten. Ökologische und soziale Kri-
terien werden mit durchschnittlich knapp 20 % bzw. 14 % wesentlich niedriger als
ökonomische Aspekte (z. B. Preis) mit 66 % gewichtet (Beck und Schuster 2013, S.
20).
Interessant scheint es auch, die Problematik nachhaltiger Verpflegungsdienstleis-
tungen in der öffentlichen Beschaffung vom Blickwinkel ihrer Etablierung in öffent-
lichen Kantinen aus zu betrachten. Hier zeigen verschiedene Untersuchungen zur
Nachhaltigkeitsaspekten in der Gemeinschaftsverpflegung, dass ökologische und
regionale Lebensmittel bisher kaum integriert sind (Arens-Azevedo 2012; Arens-
Azevedo et al. 2015; Rückert-John et al. 2010; Niessen 2011). Der Anteil von Bio-
Lebensmitteln in Verträgen der Schulverpflegung wurde von Arens-Azevedo et al.
(2015) auf Basis einer bundesweiten Befragung von Schulträgern und Schuleitern
ermittelt. Wie in Abbildung 2 ersichtlich, werden in knapp 60 % der Verträge keine
Bio-Lebensmittel gefordert und 26 % der Befragten wissen nicht, ob ein solcher
Anteil vertraglich festgelegt wurde (Arens-Azevedo et al. 2015, S. 29).
7
Abbildung 2: Anteil von Bio-Lebensmitteln in Verträgen der Schulverpflegung
Quelle: (Arens-Azevedo et al. 2015, S. 29)
Auch regionale Lebensmittel werden nach einer weiteren Studie zur Gemeinschafts-
verpflegung von Arens-Azevedo bislang eher zufällig im Speiseplan integriert, ob-
wohl eine Erhöhung des Anteils zum Zwecke des Ausbaus regionaler Wertschöp-
fungsketten politisch gewollt ist (Arens-Azevedo 2012, S. 148).
Hinsichtlich gesundheitlicher Aspekte von Verpflegungsdienstleistungen werteten
Arens-Azevedo et al. 760 Speisepläne zu ihrem ernährungsphysiologischen Wert
aus. Die Ergebnisse zeigen, dass in Bezug zum Anteil an Gemüse und Rohkost die
Qualitätsanforderungen der Deutschen Gesellschaft für Ernährung e.v. (DGE) nicht
eingehalten werden (Arens-Azevedo et al. 2015, S. 12). Darüber hinaus ist der
Fleisch-Anteil in den Speiseplänen zu hoch und der Anteil an Seefisch zu niedrig
(Arens-Azevedo et al. 2015, S. 12).
Eine Studie im Auftrag der Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Wissenschaft
Berlin zeigt Anhaltspunkte auf, mit welchem Preis der Anspruch an ein qualitativ
hochwertiges Mittagessen in Berliner Schulen umsetzbar ist (Arens-Azevedo und
Tecklenburg 2012, S. 3). Die Gegenüberstellung des 2012 erhobenen tatsächlichen
Durchschnittpreises für ein Mittagessen in Berliner Grundschulen von 2,01 € und
dem kalkulierten Preis von mindestens 3,17 €, mit dem Caterer kostendeckend
wirtschaften können, macht deutlich, dass die Durchschnittpreise zu niedrig sind
(Arens-Azevedo und Tecklenburg 2012, S. 38). Während in Berlin dieses Ergebnis zu
einer Qualitätsoffensive führte und ein Festpreis von 3,25 Euro für das Mittagessen
in Schulen vorgegeben wurde (Senatsverwaltung für Bildung und Jugend und Wis-
8
senschaft 2013, S. 6), scheint die Problematik in anderen Bundesländern weiterhin
zu bestehen. Wie aus Abbildung 3 hervorgeht, liegt der durchschnittliche Essens-
preis in Schulen mit 2,83 Euro in Grundschulen bzw. 3,05 Euro in weiterführenden
Schulen unter dem für Berlin kalkulierten notwendigen Mindestpreis von 3,25 Euro.
In Brandenburg beträgt der Essenspreis im Schnitt nur 2,57 Euro (Vernetzungsstel-
le Schulverpflegung Brandenburg 2015).
Abbildung 3: Durchschnittlicher Essenspreis an Grundschulen und weiterführenden Schulen
Quelle: (Arens-Azevedo und Tecklenburg 2012, S. 25)
Die in diesem Kapitel bereits angedeutete Relevanz des Preiskriteriums bei der
Durchführung von Vergabeverfahren (Beck und Schuster 2013), die sich in der Pra-
xis am Essenspreis widerspiegelt, scheint also eine Hürde bei der Etablierung nach-
haltiger Verpflegungsdienstleistungen zu sein. Welche weiteren Barrieren bei der
Umsetzung von Nachhaltigkeitskriterien bekannt sind, soll in den nächsten Ab-
schnitten betrachtet werden.
Forschungsergebnisse zeigen vielfältige Gründe für die aufgezeigte zögerliche und
partielle Umsetzung einer nachhaltigen Beschaffung auf. Diese reichen von man-
gelnder Information über fehlende Beschaffungsziele bis hin zu wirtschaftlichen
Zwängen. Nachfolgend sollen die wesentlichen Punkte aufgeführt werden.
9
(1) Beschaffungsziele
Fehlende Zielvorgaben zur nachhaltigen Beschaffung sowie falsch angesetzte Steue-
rungsinstrumente werden laut unterschiedlicher Studienergebnisse als Barrieren
für die Umsetzung einer nachhaltigen Beschaffung angeführt (McKinsey&Company
2008; Europäische Kommission 2015b; Beck und Schuster 2013). Relevante Instru-
mente der Förderung von Nachhaltigkeitskriterien werden bisher kaum eingesetzt
(Beck und Schuster 2013, S. 23). Zu solchen Steuerungsinstrumenten zählen Dienst-
anweisungen, kommunale Beschaffungsrichtlinien, kommunale Nachhaltigkeitsstra-
tegien, Kriterien/Indikatoren, Leitfäden, Controlling/Monitoring, Benchmarking,
gesondertes Budget für Nachhaltigkeitsaktivitäten und Nachhaltigkeitszielsysteme
(Beck und Schuster 2013, S. 23).
Eine Studie des Öko-Institutes zur Umsetzung von einer umweltfreundlichen Be-
schaffung weist darauf hin, dass es zwar in den letzten Jahren einen Zuwachs an
verbindlichen Regelungen gab, es jedoch immer noch Bundesländer ohne spezifi-
sche Vorgaben gibt (Schmidt und Dubbers 2014, S. 28). In den Ländern, die Vorga-
ben zur umweltfreundlichen Beschaffung haben, sind diese oftmals sehr abstrakt
und beziehen sich nur auf wenige Produktgruppen (Schmidt und Dubbers 2014, S.
28). Um eine Wirkung zu entfalten, müssten gesetzliche Vorgaben durch Verwal-
tungsvorschriften für alle relevanten Produktgruppen und Dienstleistungen weiter
konkretisiert werden (Schmidt und Dubbers 2014, S. 29).
(2) Transparenz:
Die McKinsey-Studie weist darauf hin, dass es notwendig ist, die Potenziale der ein-
zelnen nachhaltig orientierten Beschaffungsmaßnahmen aufzuzeigen, damit die
Wirksamkeit spezifischer Maßnahmen ermittelt werden kann (McKinsey&Company
2008, S. 28). Eine weiteres Hemmnis, das damit im Zusammenhang steht, ist, dass
den Beschaffungseinheiten oftmals die Anreize fehlen, Zeit und Geld in nachhaltige
Güter und Dienstleistungen zu investieren (McKinsey&Company 2008, S. 29). Der
Zeitfaktor spielt eine wesentliche Rolle, da eine nachhaltige Beschaffung durch die
erforderliche sorgfältige Planung zeitaufwändig ist und die Verantwortlichen in der
öffentlichen Beschaffung oftmals mit ihren täglichen Aufgaben ausgelastet sind
(Bonfield 2014; Risku-Norja 2015).
10
(3) Kosten nachhaltiger Güter oder Dienstleistungen:
Die höheren bzw. als höher wahrgenommenen Kosten einer nachhaltigen Beschaf-
fung sind ein essentieller Hindernisfaktor für deren Umsetzung (Europäische Kom-
mission 2015b; Morgan 2014; FOODLINKSCOMMUNITY 2013; Spigarolo et al.
2010b). Die rechtlich mögliche Berücksichtigung von Lebenszykluskosten – bzw.
externer Kosten im Falle der Lebensmittelerzeugung – ist noch nicht weit verbreitet.
Das preisgünstigste Angebot hat oftmals Vorrang vor dem wirtschaftlichsten Ange-
bot, bei welchem auch weitere Aspekte einbezogen werden (McKinsey&Company
2008, S. 29).
Potenziell höhere Kosten für nachhaltige Produkte scheinen im Falle der Schulver-
pflegung ein besonderes Problem darzustellen, da hier die höheren Einkaufskosten
an die Eltern weitergegeben werden müssten (Vernetzungsstelle Schulverpflegung
Brandenburg 2015). Eine sozialverträgliche Gestaltung der Essenspreise hat für die
Schulträger und Schulleiter eine besondere Priorität, damit alle Kinder die Möglich-
keit auf ein warmes Mittagessen haben (Vernetzungsstelle Schulverpflegung Bran-
denburg 2015).
(4) Qualifikationen und Informationen:
Hinsichtlich der rechtlichen Möglichkeiten, Nachhaltigkeitsaspekte in Vergabever-
fahren zu berücksichtigen, fühlen sich viele der Verantwortlichen in der öffentlichen
Beschaffung überfordert (Europäische Kommission 2015b; Beck und Schuster 2013;
Morgan 2014). Besonders in kleineren Vergabestellen fehlen den Verantwortlichen
die nötigen Informationen für die Durchführung geeigneter Vergabeverfahren
(McKinsey&Company 2008, S. 29). Obwohl sich die rechtlichen Rahmenbedingun-
gen dahingehend geändert haben, dass Nachhaltigkeitskriterien berücksichtigt wer-
den dürfen, herrschen große Unsicherheiten in den Vergabestellen bezüglich der
rechtlichen Zulässigkeit (Morgan und Sonnino 2007; Europäische Kommission
2015b). Eine Folge dieser Wissensdefizite ist, dass von verschiedenen Vergabestel-
len verschiedene Standards genutzt werden. Dies kann dazu führen, dass die Verga-
beprozesse von den Bietern als intransparent und verwirrend empfunden werden
und diese aufgrund der Komplexität nicht als Bieter auftreten (Bonfield 2014, S. 9;
Bouwer et al. 2006). Besonders für neue Unternehmen oder KMU stellen uneinheit-
liche und als unübersichtliche wahrgenommene Ausschreibungen ein Hindernis dar,
sich an öffentlichen Vergabeverfahren zu beteiligten (Bonfield 2014, S. 9)
11
2.2 Einschätzung des Forschungsstandes
Die Ergebnisse der Literaturanalyse zum Status-Quo von Nachhaltigkeitszielen in
Vergabeverfahren verdeutlichen die in der Einleitung aufgestellte These, dass Nach-
haltigkeitsaspekte in öffentlichen Vergabeverfahren bislang nur sehr wenig berück-
sichtigt werden. Die Gründe hierfür sind vielfältig und wurden in verschiedenen
Studien betrachtet. Zwar bieten die Literaturergebnisse einen guten Überblick zum
Status-Quo, zeigen Barrieren auf und nennen Handlungsempfehlungen zur mögli-
chen Überwindung der teilweise sehr komplexen Hemmnisse. Jedoch fehlt es bislang
an ganz konkreten Ansatzpunkten, wie diese umgesetzt werden könnten.
Ursachen hierfür können darin liegen, dass sich die Studien
a) stichprobenartig auf ganz Europa bzw. ganz Deutschland beziehen (Studien
von Bouwer et al. 2006; Renda et al. 2012; Beck und Schuster 2013), mit denen
unterschiedliche (rechtliche) Rahmenbedingungen einhergehen, die konkrete
und umsetzbare Handlungsempfehlungen erschweren,
b) auf die öffentliche Beschaffung allgemein beziehen und dementsprechend
die potenziell unterschiedlichen Erfordernisse der Vergabe für einzelne Pro-
dukt- oder Dienstleistungstypen nicht beachtet werden können,
c) auf Befragungen von Vergabestellen stützen und damit die potenziellen
Schwachpunkte der Vergabeverfahren im Hinblick auf die Berücksichtigung von
Nachhaltigkeitskriterien nicht objektiv betrachtet werden. Ohne die Identifizie-
rung solcher Schwachstellen scheint es schwierig, konkrete Handlungsempfeh-
lungen zu geben.
Um folglich die in der Einleitung benannte Zielstellung dieser Arbeit – dem Aufzei-
gen von Ansatzpunkten zur Schließung der Lücke zwischen Theorie und Praxis –
umzusetzen, soll ein Forschungsdesign gewählt werden, welches die Datenerhebung
a) auf eine Region mit einheitlichen Rahmenbedingungen,
b) auf eine Produkt- oder Dienstleistungsklasse und
c) auf eine Status-Quo Analyse von Vergabeverfahren im Hinblick auf die An-
wendung von Nachhaltigkeitskriterien fokussiert.
12
Eine solche Datenanalyse, die bisher nicht vorhanden ist, kann als Grundlage der
Entwicklung konkreter Handlungsempfehlungen zur Überwindung der bereits ge-
nannten Barrieren dienen.
13
3 Ziele und Potenziale nachhaltiger Verpflegungsdienstleis-tungen
3.1 Gesellschaftspolitischer Anspruch
Ziel dieses Kapitels ist es zu veranschaulichen, welche Potenziale eine nachhaltige
Beschaffung von Verpflegungsdienstleistungen (VDL) für die Umsetzung gesell-
schaftlicher Ziele haben kann. Die Frage, die dieses Kapitel zu beantworten sucht,
ist:
Woraus begründet sich die gesellschaftliche Relevanz, bei der Beschaffung von Ver-
pflegungsdienstleistungen bestimmte Nachhaltigkeitskriterien zu berücksichtigen?
Hierfür sollen zunächst Kriterien nachhaltiger Verpflegungsdienstleistungen be-
nannt werden. Anhand der drei Säulen der Nachhaltigkeit – Ökonomie, Ökologie
und Soziales – werden anschließend die Wirkungsbereiche der genannten Kriterien
und ihr potenzieller gesellschaftlicher Nutzen aufgezeigt. Als Grundlage für diese
Darstellung dienen neben dem Forschungsstand zur nachhaltigen öffentlichen Be-
schaffung auch Projektergebnisse zur ökologischen und regionalen Gemeinschafts-
verpflegung.
3.1.1 Kriterien nachhaltiger Verpflegungsdienstleistungen
Nachhaltigkeit ist eine Entwicklung, die die Bedürfnisse der Gegenwart befriedigt,
ohne die Möglichkeit künftiger Generationen zu gefährden (Hauff 1987). Kriterien
für nachhaltige Verpflegungsdienstleistungen lassen sich aus verschiedenen Leitfä-
den und Projektergebnissen zur nachhaltigen Gemeinschaftsverpflegung ableiten.
Sie basieren v. a. auf den EU-Empfehlungen zum Green Public Procurement (Europäi-
sche Kommission 2009) und zur sozialorientierten Beschaffung (Europäische Kom-
mission 2011b), dem Bericht zur Nationalen Nachhaltigkeitsstrategie der Bundesre-
gierung (Presse- und Informationsamt der Bundesregierung 2012) sowie den Er-
gebnissen des Foodlinks-Projekt (FOODLINKSCOMMUNITY 2013). Auch wenn ein-
zelne Kriterien Wirkungen in verschiedenen Nachhaltigkeitsfeldern haben können,
soll hier für eine bessere Übersichtlichkeit versucht werden, die Kriterien in einen
der drei Bereiche Ökologie, Soziales und Ökonomie einzuordnen.
14
Übersicht ökologische Kriterien
Lebensmittel aus ökologischer Erzeugung
Regionalität/Saisonalität
Produkte aus artgerechter Tierhaltung
Aquakultur- und Meeresprodukte aus anerkannter Zertifizierung
Reduzierung Verpackungsanteil
Abfalltrennung und Minimierung von Abfällen in allen Bereichen der Wert-
schöpfungskette
Minimierung des Einsatzes gefährlicher Chemikalien und Verwendung von um-
weltfreundlichen Reinigungs- und Geschirrspülmitteln
energieeffiziente und wassersparende Küchengeräte
kurze Transportwege
Übersicht soziale Kriterien
Kriterien in Bezug zu Arbeitnehmerrechten:
Fairtrade-Produkte
Förderung von Beschäftigungschancen
Aus- und Weiterbildung Mitarbeiter
Einhaltung von arbeitsrechtlichen und sozialen Bestimmungen
soziale Eingliederung (einschließlich Menschen mit Behinderungen)
Chancengleichheit
Barrierefreiheit
Gesundheitsorientierte Kriterien:
frische, wenig verarbeitete Lebensmittel
vegetarische Speisen
Übersicht ökonomische Kriterien
Förderung von Kleinen und Mittleren Unternehmen (KMU)
Förderung regionaler Wertschöpfungsketten
Förderung von Innovationen
Einbeziehung von Lebenszykluskosten
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Bei den genannten Kriterien wurde versucht, verschiedene Bereiche der Wertschöp-
fungskette für Lebensmittel einzubeziehen (Erzeugung, Verarbeitung, Verpackung,
Transport, Lagerung, Konsum, Resteverwertung). Jedoch sollen die Kriterien nur
Vorschläge für eine nachhaltige Beschaffung sein. In Abhängigkeit von politischen
Vorgaben und rechtlichen Möglichkeiten der einzelnen Länder, können einzelne
Kriterien priorisiert und weitere Kriterien hinzugefügt werden.
Inwieweit die hier genannten Kriterien zur Beschaffung von VDL rechtlich umsetz-
bar sind, soll im Kapitel 3.3 erläutert werden. Nachfolgend wird dargestellt, welchen
gesellschaftlich relevanten Nutzen ihre Anwendung in öffentlichen Vergabeverfah-
ren haben kann.
3.1.2 Umweltleistungen
Das Ziel ökologisch nachhaltiger VDL ist nach Roehl und Strassner (2012) ein um-
weltbewusster Umgang bei Einkauf, Produktion und Entsorgung und die natürlichen
Lebensgrundlagen nur soweit zu beanspruchen, wie sie sich regenerieren können
(Roehl und Strassner 2012, S. 16). Als relevante Ziele für die Beschaffung von VDL
und Lebensmitteln lassen sich anhand der von der Europäischen Kommission aufge-
führten Umweltauswirkungen des Lebensmittelkonsums folgende Punkte festhal-
ten:
Vermeidung von Eutrophierung, Versauerung und toxischen Wirkungen auf
die menschliche Gesundheit und die Umwelt durch Düngemittel- und Pesti-
zidrückstände in Wasser, Luft, Boden und Lebensmitteln
Vermeidung von Bodenerosion, Waldzerstörung und Verlust von Artenviel-
falt durch unangepasste landwirtschaftliche Methoden, eine zu intensive tie-
rische Erzeugung und intensive Fischerei und Aquakultur
artgerechte Behandlung von Tieren und Achtung des Tierschutzes
Minderung des Energie- und Wasserverbrauch bei der Erzeugung und Ver-
arbeitung von Lebensmitteln
Vermeidung von Verpackungsmüll
Vermeidung des Verbrauchs von Reinigungsmitteln und anderen Chemika-
lien, die sich negativ auf die Gesundheit des Küchenpersonals und über das
Abwasser auf die Umwelt auswirken können
Minderung von Wasser- und Energieverbrauch von Küchengeräten
16
Minderung von CO2- Emissionen und anderen Schadstoffen (Europäische
Kommission 2009)
Nachhaltig beschaffte Lebensmittel und Verpflegungsdienstleistungen gehören laut
Forschungsergebnissen der Initiative ICLEI zu den sechs Produktgruppen mit dem
größten Umweltentlastungspotenzial (Procura+ Sustainable Procurement Campaign
2007).
3.1.3 Sozialorientierte Leistungen
Mit den Aspekten des sozialverantwortlichen öffentlichen Auftragswesens beschäf-
tigt sich besonders der Leitfaden der Europäischen Kommission für die sozialorien-
tierte öffentliche Beschaffung. Laut diesem zählen zu den Zielen des sozialorientier-
ten Auftragswesens u. a die Verbesserung von Arbeitnehmerbedingungen durch:
Förderung der Einhaltung von arbeits- und sozialrechtlichen Bestimmungen
Förderung von sozialbewussten Märkten
Integrationsförderung (Europäische Kommission 2011b)
Während sich die genannten Ziele auf Bedingungen von Arbeiternehmern im Allge-
meinen fokussieren, finden sich in der Literatur zur Gemeinschaftsverpflegung noch
weitere – speziell auf die Beschaffung von Lebensmitteln und VDL beziehbare – Zie-
le, die einen gesellschaftlichen Nutzen inne haben. Diese die Konsumenten betref-
fenden Aspekte sollen hier unter dem Schwerpunkt Gesundheit und Lebensquali-
tät zusammengefasst werden. Darunter fällt zum einen die ernährungsphysiologi-
sche und gesundheitliche Bedeutung von VDL. Demnach sollte die Beschaffung von
VDL dazu beitragen, dass sich Konsumenten in der Gemeinschaftsverpflegung ge-
sünder und bewusster ernähren. Hervorzuheben sind hier v.a. Krankenhauspatien-
ten, Kinder und Menschen in Pflege- oder Altersheimen (Bonfield 2014; Arens-
Azevedo et al. 2015; Arens-Azevedo 2012). Der Einsatz von nachhaltigem Essen in
der Gemeinschaftsverpflegung hat nach Bonfield (2014) das Potenzial, dass Kinder
lernen, ihr Essen mehr zu wertschätzen, wo ihr Essen herkommt und wie sie selbst
gesund kochen können (Bonfield 2014, S. 7). Bezogen auf die Entwicklung von Ganz-
tagsschulen in Deutschland, betonen auch Arens-Azevedo et al. (2015), dass die
Qualität der Mahlzeit die Leistungsfähigkeit beeinflusst und die Schulverpflegung
ein Ernährungsverhalten nachhaltig prägen kann und somit einen bedeutenden Bei-
17
trag zur Prävention ernährungsbedingter Krankheiten darstellt (Arens-Azevedo et
al. 2015, S. 13). Bezüglich der Wertschätzung für eine besondere Qualität, die über
die Qualitätsanforderungen für Essen in öffentlichen Einrichtungen hinausgeht, ist
daher zu bedenken, dass die Verpflegung in öffentlichen Einrichtungen wie Schulen
oder Krankenhäuser für viele Menschen einen Teil – und im Falle von Pflege- oder
Altenheimen die gesamte Ernährung sicherstellt (Arens-Azevedo 2012, S. 148).
Ein weiterer relevanter Aspekt der nachhaltigen Beschaffung von VDL ist die Ent-
sprechung gesellschaftlicher Erwartungen in Bezug zu Qualitätsanforderungen an
Lebensmittel. Roehl und Strassner (2011) belegen drei relevante Konsumenten-
trends: „Nachfrage nach Sicherheit (Herkunft & Regionalität), Gesundheit (Vegetari-
sche Angebote, Salate) und Frische“ (Roehl und Strassner 2011, S. 35). Weitere Stu-
dienergebnisse bestätigen den Trend zu ökologischen und regionalen Lebensmitteln
(BÖLN 2016; Nestlé Deutschland 2012). Als Motive für diese Forderungen werden
sowohl ökologische Ziele (z.B. artgerechte Tierhaltung, Umweltschutz und gentech-
nikfreie Lebensmittel), gesundheitliche und soziale Gründe (z.B. weniger Zusatz-
und Verarbeitungsstoffe, gesunde Ernährung und Lebensmittelmittelskandale, Fair
Trade), als auch ökonomische Gründe (z.B. Unterstützung regionaler Betriebe) ge-
nannt (BÖLN 2016).
3.1.4 Wirtschaftliche Entwicklung
Im Hinblick auf die wirtschaftliche Entwicklung lässt sich der Nutzen einer nachhal-
tigen Beschaffung von VDL in drei Aspekte unterteilen:
Schaffung von Vorreitermärkten für nachhaltige Produkte und Dienstleis-
tungen
Einsparung externer Kosten
Förderung von KMU und Aufbau regionaler Wertschöpfungsketten
Mit einem Beschaffungsvolumen, das 19 % des europäischen Bruttoinlandsprodukts
entspricht (Europäische Kommission 2015a), verfügt die öffentliche Hand über die
Nachfragemacht, um nachhaltige Produkte zu fördern. Nach einer Studie zu den Po-
tenzialen der öffentlichen Beschaffung können durch eine nachhaltige öffentliche
Beschaffung Vorreitermärkte für umweltfreundliche Produkte und Dienstleis-
tungen geschaffen werden (McKinsey&Company 2008, S. 10). Das Potenzial – durch
das Setzen von Anreizen – Innovationen zu fördern, wird auch von der Europäischen
Kommission herausgestellt (Europäische Kommission 2011a, S. 5).
18
Als zweiter wesentlicher Punkt, der zur wirtschaftlichen Entwicklung beitragen
kann, wird die langfristige Entlastung der öffentlichen Haushalte durch Einsparun-
gen externer Kosten genannt (McKinsey&Company 2008; Europäische Kommissi-
on 2011a). Indem z. B. die Lebenszykluskosten bei der Beschaffung bedacht werden,
können öffentliche Ressourcen geschont (Europäische Kommission 2011a, S. 5) so-
wie infolgedessen auch Energieverbrauch und Treibhausgasemissionen vermindert
werden (McKinsey&Company 2008, S. 10).
Der dritte Punkt, der insbesondere in Projektberichten zur Gemeinschaftsverpfle-
gung betont wurde, ist die Förderung von KMU und der damit verbundene Aufbau
regionaler Wertschöpfungsketten. Die öffentliche Nachfrage nach nachhaltigen
Lebensmitteln und VDL hat das Potenzial neue, regionale Beschaffungsmärkte zu
schaffen und eine innovative Lebensmittelerzeugung- und Verarbeitung zu unter-
stützen (FOODLINKSCOMMUNITY 2013, S. 9). Als Ziel einer effizienten öffentlichen
Beschaffung nennt Spigarolo et al. (2010b) die Entwicklung nachhaltiger Partner-
schaften zwischen den Mitgliedern der Wertschöpfungskette und deren strategische
Weiterentwicklung (Spigarolo et al. 2010b, S. 11). Der Hintergrund für diese Forde-
rungen an die öffentliche Beschaffung ist die Besonderheit des Lebensmittelmarktes.
Eine der wesentlichen Hemmnisse für die Etablierung regionaler und ökologischer
Lebensmittel in Einrichtungen der Gemeinschaftsverpflegung ist die mangelnde
Produktverfügbarkeit aufgrund kaum ausgebauter regionaler Wertschöpfungsket-
ten (Spigarolo et al. 2010b; Rückert-John et al. 2010; Risku-Norja und Løes 2016).
Die größten Probleme scheinen in der Beschaffung regionaler Bio-Lebensmittel zu
liegen. Deren Verfügbarkeit ist je nach Produktgruppe und gewünschter Quantität
bzw. Qualität schwierig. Unzufriedenheit herrscht besonders bezüglich Produkt-
und Lieferqualitäten. Passende Gebindegrößen, Mindestbestellmengen, kurzfristige
Bestellungen und Verarbeitungsgrad stellen kaum überwindbare Hürden für die
Verstetigung einer nachhaltigen Gemeinschaftsverpflegung dar (Niessen 2011;
Rückert-John et al. 2010; Risku-Norja und Løes 2016; Spigarolo et al. 2010a). Politi-
sches Engagement und präzise formulierte Ausschreibungen sind notwendig, um
diese Barrieren zu überwinden (Morgan 2014; Spigarolo et al. 2010b; FOODLINK-
SCOMMUNITY 2013). Die Förderung regionaler KMU in Vergabeverfahren öffnet für
diese aufgrund der oft langfristigen Verträge mit öffentlichen Einrichtungen einen
geschützten Raum, in dem sie sich auf ihre Kernaktivitäten fokussieren und sich am
Markt etablieren können (Risku-Norja und Løes 2016, S. 16).
19
Eine nachhaltige öffentliche Beschaffung scheint also einen essentiellen Beitrag für
die Entwicklung regionaler Märkte zu sein. Um jedoch den tatsächlichen Einfluss
nachhaltiger Beschaffungsmaßnahmen aufzeigen zu können, wären genaue Daten
des Beschaffungsvolumens der verschiedenen Produktbereiche notwendig, die laut
der Recherchen der McKinsey- Studie nicht existieren (McKinsey&Company 2008, S.
9). Auch für den Markt der Gemeinschaftsverpflegung stellen Roehl und Strassner
(2011) in ihrer Sektoranalyse zum Außer-Haus-Markt fest, dass es keine umfassen-
den und einheitlichen Daten zum Markt der Gemeinschaftsverpflegung in Deutsch-
land gibt (Roehl und Strassner 2011, S. 17).
20
3.2 Vergaberechtlicher Rahmen
3.2.1 Anwendungsbereich des Vergaberechts
Bei einer geplanten Beschaffung von Liefer- und Dienstleistungen sind bestimmte
Auftraggeber grundsätzlich verpflichtet, eine öffentliche Ausschreibung durchzufüh-
ren, um somit allen potentiellen Auftragnehmern gleiche Chancen einzuräumen. Als
öffentliche Auftraggeber gelten gemäß § 98 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbe-
schränkungen (GWB):
Gebietskörperschaften6
Juristische Personen des öffentlichen7 oder privaten Rechts8, die Aufgaben
im Allgemeininteresse nichtgewerblicher Art erfüllen oder die von öffentli-
chen Auftraggebern überwiegend finanziert sind
Sektorenauftraggeber aus den Bereichen Trinkwasser- und Energieversor-
gung, Verkehr
Ausschreibungen können auf nationaler oder auf europaweiter Ebene durchgeführt
werden, was sich gemäß § 2 VgV nach dem geschätzten Auftragswert richtet. Für
Beschaffungsvorhaben, deren Volumen oberhalb der EU-Schwellenwerte liegen,
besteht die Pflicht einer europaweiten Ausschreibung. Die Schwellenwerte für die
Anwendung der jeweiligen Vergabevorschriften sind hierbei abhängig von der
Art der Leistung und Art des Auftraggebers (siehe Tabelle 1). Das bedeutet, dass z. B.
eine Ausschreibung für die Schulverpflegung in einem geschätzten Auftragswert von
150.000 Euro von einer Gemeinde deutschlandweit zu erfolgen hat, während ein
Bundesministerium die gleiche Ausschreibung europaweit veröffentlichen müsste.
Liefer- und Dienstleistungen
Auftraggeber Oberste und obere Bundesbehörden
Subzentrale öffentliche Auftraggeber
Sozial-, Gesundheits- und Bildungsbereich
Schwellenwert 134.000 EUR 207.000 EUR 750.000 EUR
Tabelle 1: Schwellenwerte für europaweite Ausschreibung Quelle: eigene Darstellung auf Basis von Richtlinie 2014/24/EU, Abschnitt 2 Abs. 4
6 Bund, Länder, Kreise und Gemeinden 7 Körperschaften wie z. B. Hochschulen, berufsständische Vereinigungen, Wirtschaftsvereini-gungen, Sozialversicherungen, Studentenwerke etc. 8 Krankenhäuser, Kindergärten, Heime, Museen etc.
21
Sowohl für die nationale als auch für die europaweite Ausschreibung gibt es gemäß
§§ 3, 3 EG VOL verschiedene Arten der Auftragsvergabe, die in Tabelle 2 darge-
stellt sind. Öffentliche Auftraggeber sind prinzipiell dazu verpflichtet, Aufträge als
offenes Verfahren bzw. öffentliche Ausschreibung zu vergeben. Nur in begründeten
Ausnahmefällen sind andere Verfahren zulässig. Solche Ausnahmen bestehen z. B.
im Rahmen eines nicht offenen Verfahrens/einer beschränkten Ausschreibung,
wenn für die Erfüllung der Leistung eine außergewöhnliche Eignung notwendig ist
oder die Durchführung eines offenen Verfahrens/einer öffentlichen Ausschreibung
zu keinem wirtschaftlichen Ergebnis geführt hat bzw. dieses aus anderen Gründen
(z. B. Dringlichkeit oder Geheimhaltung) unzweckmäßig ist (§ 3 EG Abs. 2 VOL). In
der Regel wird hierfür eine beschränkte Anzahl von Unternehmen zur Angebotsab-
gabe aufgefordert.
Nationales Vergabeverfahren (unter-
halb EU-Schwellenwert)
Europaweites Vergabeverfahren (ober-
halb EU-Schwellenwert)
Öffentliche Ausschreibung Offenes Verfahren
Beschränkte Ausschreibung Nicht offenes Verfahren
Freihändige Vergabe Verhandlungsverfahren
Wettbewerblicher Dialog
Tabelle 2: Arten der Auftragsvergabe Quelle: eigene Darstellung auf Basis der §§ 3, 3 EG VOL
Eine weitere Möglichkeit der Auftragsvergabe stellt das Verhandlungsverfahren mit
oder ohne vorhergehenden Teilnahmewettbewerb bzw. die freihändige Vergabe
dar, deren spezifische Bedingungen in §§ 3 EG Abs. 3f. , 3 Abs. 2 VOL aufgeführt
werden.
Die zuletzt genannte zulässige Variante im europaweiten Verfahren ist der wettbe-
werbliche Dialog, der nach § 3 EG Abs. 7 VOL voraussetzt, dass die Auftraggeber
objektiv nicht in der Lage sind, die technischen Spezifikationen des Auftrages anzu-
geben bzw. die rechtlichen oder finanziellen Bedingungen des Auftrages zu ermit-
teln. Um diesen Dialog zu eröffnen, erläutert der Auftraggeber in der Vergabebe-
kanntmachung oder der Leistungsbeschreibung seine Bedürfnisse und Anforderun-
gen, woraufhin ausgewählte Unternehmen mit Lösungsvorschlägen den Dialog mit
dem Auftraggeber eröffnen. Dieser Dialog kann sich über mehrere Phasen erstre-
22
cken, bis eine oder mehrere Lösungen gefunden wurden bzw. absehbar ist, dass es
keine annehmbare Lösung gibt.
3.2.2 Europäische Vergaberichtlinien
Mit dem Ziel der Stärkung des Europäischen Binnenmarktes wurden die Rahmen-
bedingungen für das öffentliche Beschaffungswesen zu Beginn der 90er Jahre für
alle Mitgliedsstaaten vereinheitlicht. Die auf dem Vertrag der Arbeitsweise der Euro-
päischen Union (AEUV)9 basierenden Richtlinien schufen die Grundlage dafür, dass
Aufträge, die zuvor vorrangig inländischen Unternehmen vorbehalten waren, fortan
grenzüberschreitend ausgeschrieben werden konnten und mussten (Europäisches
Parlament 2015). Die Anwendung der EU- Grundsätze von Wettbewerbsfreiheit,
freiem Dienstleistungsverkehr, Transparenz und Nichtdiskriminierung in der öffent-
lichen Beschaffung sollte dazu beitragen, wirtschaftliche Ressourcen und öffentliche
Gelder sinnvoller zu nutzen (Europäisches Parlament 2015). Als Zuschlagskriterien
für die Verträge galten entweder der niedrigste Preis oder das wirtschaftlichste An-
gebot in Bezug zur gewünschten Qualität (Morgan und Sonnino 2007, S. 2). Die hier-
für vertraglich festlegbaren Qualitätskriterien beschränkten sich auf die direkten
Eigenschaften des Vertragsgegenstandes. Darüber hinausgehende Aspekte – wie
etwa die Berücksichtigung externer Kosten oder ökologischer Produktionsmetho-
den – konnten nicht als Auswahlkriterien herangezogen werden (Morgan und Son-
nino 2007, S. 2).
Prioritätenwandel in der europäischen Beschaffungspolitik
Mit dem stärker werdenden Ideal der ökologischen und sozialen Nachhaltigkeit
wurde die bis dahin bestehende Priorität des günstigsten Angebotes Ende der 90er
Jahre erstmals hinterfragt. Die im Artikel 6 des 1997 beschlossenen EU-Vertrages10
verankerte Forderung, Umweltschutz und soziale Ziele in allen EU-Richtlinien zu
verankern, wurde schließlich in der EU-Vergaberichtlinie von 2004 umgesetzt
(Morgan und Sonnino 2007, S. 2). Seitdem können soziale und ökologische Aspekte,
die im Bezug zum Auftragsgegenstand stehen, in den Vergabeverfahren berücksich-
tigt werden. Im Rahmen der letzten Modernisierung des Vergaberechts wurde mit
10 Vertrag von Amsterdam, in Kraft getreten am 01.05.1999
23
den EU-Vergaberichtlinien11 von 2014 die Umsetzung weiterer umwelt-, sozial- und
industriepolitischer Ziele priorisiert. Zu diesen gehören u.a.:
Berücksichtigung von Lebenszykluskosten und des Produktionsprozesses
Förderung von Innovationen
mögliche Bevorzugung von geschützten Werksstätten und Unternehmen, die
benachteiligte Arbeitnehmer integrieren
Erleichterung des Zugangs für KMU (Forum Vergabe 2015).
Diese neuen Richtlinien räumen den Mitgliedsstaaten zugleich neue Handlungsspiel-
räume ein. Mit ihnen sollen Vergabeverfahren effizienter, einfacher und flexibler
gestaltet und die Nutzung von Nachhaltigkeitszielen unterstützt werden (Bundes-
ministerium für Wirtschaft und Energie 2015b, S. 1). Dies soll Unternehmen zu Gute
kommen, die bereits nachhaltig wirtschaften und Anreize an weitere Unternehmen
setzen, ihre Unternehmensverantwortung einzuhalten (Bundesministerium für
Wirtschaft und Energie 2015b, S. 1).
Um das Potenzial dieser neuen rechtlichen Möglichkeiten aufzuzeigen und für die
öffentlichen Einrichtungen umsetzbar zu machen, wurden im Auftrag der Europäi-
schen Kommission verschiedene Empfehlungen und Leitfäden für die umweltorien-
tierte, soziale und innovative Beschaffung ausgearbeitet, die sich auf verschiedene
Produkte und Dienstleistungen anwenden lassen (Europäische Kommission 2011a,
2011a, 2009, 2011b, 2015a).
3.2.3 Umsetzung auf Bundesebene
Durch das Gesetz zur Modernisierung des Vergaberechts12 sollen die im letzten Un-
terkapitel aufgeführten EU-Vergaberichtlinien aus 2014 bis zum 17. April 2016 in
nationales Recht umgesetzt werden. Die wesentlichen Regelungen werden damit im
Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB), welches für Aufträge im Ober-
schwellenbereich gilt, zusammengeführt (Bundesministerium für Wirtschaft und
Energie 2015a). Das GWB gehört zusammen mit der Vergabe- und Vertragsordnung
für Leistungen (VOL) Teil A und B, der Vergabeverordnung (VgV) sowie den Verga-
begesetzen der Länder zum gesetzlichen Rahmen des öffentlichen Beschaffungswe-
sens.
11 Richtlinie 2014/24/EU, Richtlinie 2014/25/EU und Richtlinie 2014/23/EU 12 das Vergaberechtsmodernisierungsgesetz (VergRModG) wurde am 17./18.12.2015 von Bundestag und Bundesrat angenommen (Forum Vergabe 2015)
24
Ziel der Modernisierung der öffentlichen Auftragsvergabe in Deutschland ist es, die-
se einfacher und anwendungsfreundlicher zu gestalten (Bundesministerium für
Wirtschaft und Energie und Öffentlichkeitsarbeit 2015). Wesentliche Eckpunkte der
Umsetzung sind:
Stärkung ökologischer, sozialer und innovativer Aspekte im Einklang mit der
Wirtschaftlichkeit
Erhaltung kommunaler Handlungsspielräume
weitgehende Digitalisierung des Beschaffungsprozesses
Verminderung des bürokratischen Aufwandes
Erleichterung der Teilnahme von KMU an öffentlichen Vergabeverfahren
(Bundesministerium für Wirtschaft und Energie 2015a).
Eine Betrachtung der derzeit in Deutschland geltenden Vergabevorschriften, die mit
der Umsetzung der EU-Richtlinien13 von 2004 in Kraft gesetzt wurden, zeigt, dass
schon vor der aktuellen Reform die Berücksichtigung von Nachhaltigkeitsaspekten
rechtlich möglich war. Die allgemeinen Grundsätze des am 01.01.1999 in Kraft
getretenen Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen lauten nach § 97 GWB:
Gleichbehandlung der Teilnehmer, d. h. alle Unternehmen, die ein gültiges
Angebot eingereicht haben, müssen gleich behandelt werden
Berücksichtigung mittelständischer Interessen, d. h. umfangreiche Beschaf-
fungsvorhaben sollen in mehrere Lose aufgeteilt werden
Möglichkeit der Berücksichtigung sozialer, umweltbezogener oder innovati-
ver Aspekte, insofern diese im sachlichen Zusammenhang mit dem Auftrags-
gegenstand stehen
Wirtschaftlichkeit, d. h. den Zuschlag erhält das wirtschaftlich günstigste An-
gebot, das den Anforderungen der Ausschreibung entspricht
Inwiefern nun die geplanten Änderungen des deutschen Vergaberechts die durch
die EU-Richtlinien eingeräumten Spielräume zu einer Stärkung von Nachhaltigkeits-
aspekten nutzen und eine tatsächliche Modernisierung darstellen, wurde nach dem
Stand der Forschung bisher nicht wissenschaftlich evaluiert.
13 2004/18/EG und 2004/19/EG
25
3.2.4 Regelungen in Berlin und Brandenburg
Da die in den vorhergehenden Kapiteln aufgeführten Richtlinien, Gesetze und Ver-
ordnungen nur für Vergaben über dem EU-Schwellenwert verbindlich sind, soll die-
ses Kapitel die Regelungen und Vorschriften in Berlin und Brandenburg betrachten.
Im Hinblick auf die Analyse der Fallbeispiele im Kapitel 5 wird der Schwerpunkt
hierbei bei gesetzlichen Vorgaben zu Nachhaltigkeitsaspekten zum Schul- und Kita-
essen liegen.
Evaluierungen der Länderregelungen auf dem Gebiet der umweltfreundlichen Be-
schaffung haben aufgezeigt, dass es in Deutschland auf Länderebene in den letzten
Jahren einen Zuwachs an verbindlichen Regelungen gab, es jedoch immer noch Län-
der ohne solche Vorgaben gibt (Hermann und Acker 2011; Schmidt und Dubbers
2014). Eine besondere Ausnahme bildet hierbei neben Hamburg das Land Berlin:
„Diese Länder verfügen über ein Vergabegesetz, in dem der Wille des Gesetz-gebers zum Ausdruck kommt, das öffentliche Beschaffungswesen umwelt-freundlich zu gestalten, indem Grundsätze und Ziele benannt und den Norma-dressaten verbindlich vorgegeben werden.“ (Schmidt und Dubbers 2014, S. 29).
Berlin
In Berlin schreibt das Berliner Ausschreibungs- und Vergabegesetz (BerlAVG) im
§ 7 zur umweltverträglichen Beschaffung vor, dass Auftraggeber verpflichtet sind,
bei der Vergabe ökologische Kriterien zu berücksichtigen. Vollständige Lebenszyk-
luskosten sollen gemäß des § 7 bei der Bewertung der Angebote miteinbezogen
werden. Auch in Bezug zu sozialen Kriterien beinhaltet das Gesetz Vorgaben zu Ta-
riftreue, Mindestlohn und der Bevorzugung von Unternehmen, die Ausbildungsplät-
ze anbieten. In der Verwaltungsvorschrift Beschaffung und Umwelt
(VwVBU)werden weitere Ziele der umweltfreundlichen Beschaffung dargelegt. Der
Anhang 1 der VwVBU enthält ökologische Mindestanforderungen für relevante Pro-
dukt- und Dienstleistungsgruppen. So gibt es für die Essen- und Getränkeverpfle-
gung die Anforderung, einen Mindestanteil von 15 % biologische Lebensmittel an-
zubieten, wobei jeden Tag mindestens eine Komponente aus biologischer Landwirt-
schaft stammen muss (Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt 2013, S.
63).
In Berlin führte die öffentliche Diskussion zur Qualität des Schulessens zu einem
Beschluss der Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Wissenschaft, Neuregelun-
gen zur Qualitätsverbesserung der Schulverpflegung aufzustellen (Senatsverwal-
26
tung für Bildung und Jugend und Wissenschaft 2013). Diese beinhalten unter ande-
rem einen verbindlichen Bio-Mindestanteil von 15 % und einen festgelegten Fest-
preis von 3,25 Euro pro Mahlzeit (Senatsverwaltung für Bildung und Jugend und
Wissenschaft 2013, S. 6). Außerdem wird die Vorgabe gemacht, dass die für die Aus-
schreibungen verantwortlichen Bezirksämter, die Aufträge so teilen sollen, dass ein
Vergabelos (ein Auftrag) der Versorgung einer Schule entspricht (Senatsverwaltung
für Bildung und Jugend und Wissenschaft 2013, S. 6). Die festgelegten Zuschlagskri-
terien sollen bezwecken, dass die Bieter zusätzliche Punkte für besondere Qualität
erhalten und damit ein „Qualitäts- statt Preiswettbewerb“ stattfindet (Senatsverwal-
tung für Bildung und Jugend und Wissenschaft 2013, S. 6). Das heißt, dass diejenigen
Wettbewerber den Zuschlag erhalten, die für 3,25 Euro pro Mittagessen die höchste
Qualität liefern. Inwieweit dieses Vorgehen zum gewünschten Erfolg führt, soll in
der Auswertung der Ergebnisse im Kapitel 5.2 dargelegt werden.
Brandenburg
Das am 01.01.2012 in Kraft getretene Brandenburgische Vergabegesetz (BbgVergG)
stellt Mindestanforderungen für die Vergabe von öffentlichen Aufträgen auf. Dieses
enthält zwar die Möglichkeit nach § 2 ökologische, soziale oder innovative Anforde-
rungen in Vergabeverfahren zu berücksichtigen. Jedoch enthält es keine verbindli-
chen Mindestkriterien.
27
3.3 Umsetzbarkeit von Nachhaltigkeitskriterien in Vergabeverfahren
In diesem Kapitel soll geprüft werden, inwieweit die in Kapitel 3.1.1 erarbeiteten
Kriterien in einem Vergabeverfahren rechtlich umsetzbar wären. Bevor ermittelt
wird, welche Möglichkeiten der rechtlich zulässigen Anwendbarkeit es für die Be-
rücksichtigung von Nachhaltigkeitskriterien in Vergabeverfahren gibt, sollen zu-
nächst die Besonderheiten in Bezug zur Beschaffung von VDL aufgezeigt und die
Relevanz der präzisen Formulierung von Vergabekriterien in den Ausschreibungen
betrachtet werden.
3.3.1 Besonderheiten der Vergabe für Verpflegungsdienstleistungen
Die Essensversorgung in Einrichtungen der Gemeinschaftsverpflegung öffentlicher
Träger, zu denen u.a. Schulen, Pflegeheime und Krankenhäuser gehören, kann ent-
weder in Eigenbewirtschaftung selber zu übernommen oder als Verpflegungsdienst-
leistung in Fremdbewirtschaftung an ein anderes Unternehmen vergeben werden
(Roehl und Strassner 2011, S. 24). Laut EU-Verordnung 282/2011 Art. 6 beinhaltet
eine Verpflegungsdienstleistung:
„… die Abgabe zubereiteter oder nicht zubereiteter Speisen und/oder Geträn-ke, zusammen mit ausreichenden unterstützenden Dienstleistungen, die deren sofortigen Verzehr ermöglichen. Die Abgabe von Speisen und/oder Getränken ist nur eine Komponente der gesamten Leistung, bei der der Dienstleistungs-anteil überwiegt. (…) Verpflegungsdienstleistungen sind die Erbringung sol-cher Dienstleistungen an einem anderen Ort als den Räumlichkeiten des Dienstleistungserbringers.“
Verpflegungsdienstleistungen können im Rahmen einer öffentlichen Ausschreibung
im Sinne des Vergaberechts oder als Dienstleistungskonzession (DLK) erfolgen.
Letztere unterliegt im Gegensatz zu einem Dienstleistungsauftrag nicht dem Verga-
berecht und ist gemäß Richtlinie 2014/23/EU14 ein Vertrag zwischen einem oder
mehreren öffentlichen Konzessionsgebern und einem oder mehreren Wirtschafts-
teilnehmern. Während beim Dienstleistungsauftrag ein Entgelt für die zu erbringen-
de Leistung vertraglich vereinbart wird, ist die DLK gemäß dem genannten Artikel
14 Amtsblatt der Europäischen Union (2014): RICHTLINIE 2014/23/EU DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS UND DES RATES vom 26. Februar 2014 über die Konzessionsvergabe
28
dadurch charakterisiert, dass die Gegenleistung in einem Recht zur Verwertung der
Dienstleistung besteht.
Am Beispiel einer Verpflegungsdienstleistung für Schulen würde dies bedeuten. dass
der Anbieter seine Vergütung nicht vom öffentlichen Träger der Schule, sondern
direkt von den Eltern erhält. Das Abgrenzungsmerkmal zum öffentlichen Auftrag ist
damit die Übernahme des wirtschaftlichen Risikos durch den Auftragnehmer. Im
genannten Beispiel würde dies bedeuten, dass dem Anbieter der Verpflegungs-
dienstleistung keine festen Abnahmezahlen für das Essen garantiert werden. Auch
wenn die DLK nicht dem Vergaberecht unterliegt15, sind Auftraggeber zu einer Aus-
schreibung verpflichtet (Deutsches Vergabenetzwerk 2011).
3.3.2 Anforderungen an die Formulierung von Vergabekriterien
Da Auftraggeber gemäß § 97 GWB nach dem Grundsatz der Wirtschaftlichkeit dazu
angehalten sind, in einem Vergabeverfahren demjenigen Teilnehmer den Zuschlag
zu erteilen, der das günstigste Angebot im Zusammenhang mit der geforderten Qua-
lität abgibt, ist die genaue Festlegung von Vergabekriterien der Schlüsselfaktor zum
Erhalt einer gewünschten Qualität (Europäische Kommission 2011a, S. 33). Nach-
dem die unter Punkt 3.2.1 beschriebene Vergabeart festgelegt wurde, veröffentlicht
der Auftraggeber eine Ausschreibung, welche gemäß § 8 VOL neben den Bewer-
bungsbedingungen, eine Angabe über die Zuschlagskriterien sowie die Leistungsbe-
schreibung und die Vertragsbedingungen enthalten muss.
Die Leistungsbeschreibung, die die Grundlage für die spätere Vertragsschließung
ist, sollte so formuliert sein, dass die gewünschte Leistung vom Anbieter auch so
erbracht und ggf. eingefordert werden kann. Sie sollte gemäß § 7 VOL so eindeutig
und ausführlich formuliert werden, dass alle Anbieter die Anforderung im gleichen
Sinne verstehen und vergleichbare Angebote ausgewertet werden können. Die Qua-
lität der gewünschten Leistung kann mithilfe von Eignungskriterien16 präzise be-
schrieben werden. Zulässige und unzulässige Kriterien sind in den Rechtsverord-
nungen aufgeführt. So muss beispielsweise bei der Forderung nach einem Gütezei-
15 Gesetzesentwurf zur Modernisierung des Vergaberechts aus 12/2015 sieht Änderung der Rechtslage zu DLK vor. 16 Bezeichnung variiert je nach Vergabeart; weitere übliche Bezeichnungen sind technische Kriterien (nach § 8 EG VOL) und Mindestanforderungen.
29
chen der Zusatz „oder gleichwertiger Art“ genannt werden, um keinen Bieter zu dis-
kriminieren17.
Für Verpflegungsdienstleistungen wird z. B. von den Vernetzungsstellen Schulver-
pflegung (Bier et al. 2014) empfohlen, Vorgaben zu folgenden Aspekten festzulegen:
Verpflegungssystem/Küchensystem/Ausgabesystem
Logistik (Anlieferung, Warmhaltezeit der Speisen)
Umfang Essensangebot: Anzahl Menülinien
ernährungsphysiologische Kriterien
Warenqualität und Wareneinkauf (Bio-Anteil, Verpackungen)
Bestell- und Abrechnungssystem
besondere Belange der Essensteilnehmer
Qualitätssicherung
Pädagogisches Konzept
Referenzen des Auftragnehmers im Bereich der Verpflegung von Kindern
Einsatz von qualifiziertem Personal
Die Eignungskriterien bestimmen also die Qualität der Vertragsleistung, das Nicht-
erfüllen dieser Kriterien führt zum Ausschluss des Teilnehmers (§ 19 EG VOL). Alle
Angebote, die den Anforderungen der Leistungsbeschreibung entsprechen, werden
anschließend anhand sogenannter Zuschlagskriterien bewertet. Diese Kriterien
zur Gewichtung der Angebote werden zuvor vom Auftraggeber festgelegt und ge-
mäß § 8 VOL bekannt gegeben. Berücksichtigt werden können hierbei gemäß
§ 19 EG Abs. 9 VOL z. B. Qualität, Preis, technischer Wert, Ästhetik, Zweckmäßigkeit,
Umwelteigenschaften, Betriebskosten, Lebenszykluskosten, Kundendienst und Lie-
ferzeitpunkt. Auf Grundlage einer Wichtung der gewählten Zuschlagskriterien (z. B.
Preis 40 %, Bio-Anteil 30 %, Saisonalität der Waren 30 %) und des Grad der Erfül-
lung der jeweiligen Kriterien (z. B. Bio-Anteil: unter 20 % 1 Punkt, zwischen 20 und
40 % 2 Punkte, über 40 % 3 Punkte)wird der Zuschlag für die Vergabe erteilt. In-
wieweit Nachhaltigkeitsaspekte in den Eignungs- und Zuschlagskriterien berück-
sichtigt werden können, soll im nächsten Punkt ausgeführt werden.
17 Änderung durch Art. 43 Abs. 1 Richtlinie 2014/24/EU erlaubt Nachweise in Form von Gütezeichen für spezifische umweltbezogene Merkmale
30
3.3.3 Rechtliche Möglichkeiten der Berücksichtigung von Nachhaltigkeitskriterien
Aufbauend auf den unter Punkt 3.1.1 ermittelten Nachhaltigkeitskriterien für VDL
soll nachfolgend dargelegt werden, inwieweit deren Anwendung in Vergabeverfah-
ren rechtlich zulässig sind. Diese Aufstellung hat nicht den Anspruch, eine Anleitung
zur Berücksichtigung der Kriterien zu sein, sondern soll vorwiegend prüfen, ob und
nach welchen vergaberechtlichen Grundsätzen die Nachhaltigkeitskriterien umge-
setzt werden können. Wenn einzelne Kriterien den gleichen rechtlichen Vorgaben
entsprechen, sollen sie für eine bessere Übersicht zusammengefasst werden.
(1) Lebensmittel aus ökologischer Erzeugung
Ökologisch erzeugte Lebensmittel sowie Produkte aus artgerechter Tierhaltung und
Aquakultur- und Meeresprodukte aus anerkannter Zertifizierung können nach
§ 97 GWB rechtlich zulässig in Ausschreibungen für VDL vorgeschrieben werden
(Europäische Kommission 2009). Es ist sowohl legitim einen Mindestanteil unter
den Eignungskriterien zu verlangen, den der Dienstleister erfüllen muss, als auch
unter den Zuschlagskriterien Zusatzpunkte zu geben, wenn der Anteil höher als der
erforderliche Mindestanteil ist (Europäische Kommission 2009). Außerdem kann
festgelegt werden, welche Produktgruppen (Milchprodukte, Fleisch, Gemüse etc.)
vorzugsweise aus ökologischer Erzeugung sein sollen (Europäische Kommission
2009).
(2) Regionalität/Saisonalität
Nach nationalem und europäischem Recht ist es unzulässig Bieter mit einer be-
stimmten Ortsansässigkeit zu bevorzugen, da dies gegen das Diskriminierungsver-
bot nach § 97 Abs. 2 GWB verstößt (Hermann 2012, S. 59). So ist es nach dem glei-
chen Grundsatz ebenfalls nicht gestattet, Bieter mit kurzen Transportwegen zu be-
vorzugen (Hermann 2012, S. 59). In Bezug auf die Herkunft der Lebensmittel (und
nicht des Bieters) findet sich jedoch in der Literatur und in Rechtstexten keine ein-
deutige Antwort, die dies bejaht oder verneint. Es könnte sich hier um eine rechtli-
che Grauzone handeln. Eine sichere Möglichkeit scheint es jedoch nach Angaben in
der Literatur, anstelle von regionalen Lebensmitteln saisonale Lebensmittel bzw.
Lebensmittel, die nicht im Gewächshaus gezogen worden sind, zu fordern (Hermann
2012; Europäische Kommission 2009). Hinsichtlich der gewünschten kurzen Trans-
portwege können bei der Beschaffung von VDL maximale Warmhaltezeiten des Es-
31
sens vorgegeben werden, die lange Transportwege erschweren oder unmöglich ma-
chen (Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt 2013).
(3) Abfallvermeidung/ Umweltfreundliche Geräte und Reinigungsmittel
In den Auftragsbestimmungen können sowohl Vorgaben gemacht werden zur Ver-
packung, der Abfallvermeidung, dem Einsatz gefährlicher Chemikalien und Verwen-
dung von umweltfreundlichen Reinigungs- und Geschirrspülmitteln sowie energieeffizi-
enter und wassersparender Küchengeräte (Europäische Kommission 2009). So ist es u. a.
rechtlich möglich bestimmte Energieeffizienzstandards, einen Recyclinganteil der Trans-
portverpackungen und die Trennung von Abfällen zu verlangen.
(4) Soziale Standards
Die Forderung nach Fairtrade-Produkten ist schwierig umzusetzen. Zumindest kön-
nen nicht – wie auch bei anderen Umweltzeichen – pauschal Produkte mit Fairtrade-
Siegel vorausgesetzt werden (Hermann 2012, S. 42). Der Auftraggeber kann in der
Leistungsbeschreibung nicht ein bestimmtes Umweltzeichen verlangen, sondern
muss auf die Kriterien, die die Basis zur Erteilung eines Umweltzeichens bilden, zu-
rückgreifen (Hermann 2012, S. 43). Für die rechtliche Zulässigkeit müssen also auch
andere Nachweise als das spezifische Umweltzeichen erlaubt werden (Hermann
2012, S. 44).
Weitere Nachhaltigkeitskriterien wie die Förderung von Beschäftigungschancen,
Aus- und Weiterbildung von Mitarbeitern, Einhaltung von arbeitsrechtlichen und
sozialen Bestimmungen, soziale Eingliederung (einschließlich Menschen mit Behin-
derungen), Chancengleichheit und Barrierefreiheit können nach § 97 GWB in die
Leistungsbeschreibung einbezogen werden, wenn sie im Zusammenhang mit dem
Auftragsgegenstand stehen (Europäische Kommission 2011b, S. 29–33).
(5) Förderung von Kleinen und Mittleren Unternehmen (KMU) und regionaler
Wertschöpfungsketten
Nach § 97 Abs. 3 GWB sind mittelständische Interessen im Vergabeverfahren vor-
nehmlich zu berücksichtigen. Um dies zu gewährleisten, sollen größere Aufträge in
kleinere Mengen (Teillose) oder nach Fachgebiet (Fachlose) aufgeteilt werden. Die
Vergabe von mehreren Teil- oder Fachlosen an einen Anbieter aus wirtschaftlichen
32
oder technischen Gründen ist zu begründen. Ein weiterer relevanter Aspekt für die
Erhöhung der Teilnahme von KMU an öffentlichen Vergabeverfahren ist der Abbau
administrativer Hürden (Europäische Kommission 2011b, S. 9). Dies lässt sich bei-
spielsweise durch überschaubare Verträge, angemessen lange Ausschreibungsdau-
ern und die Wahrung der Verhältnismäßigkeit bei Festlegung von wirtschaftlichen
Erfordernissen etc. umsetzen (Europäische Kommission 2011b, S. 9).
Eine über die Berücksichtigung der Interessen von KMU hinausgehende gezielte
Förderung von regionalen Wertschöpfungsketten scheint aufgrund des Diskriminie-
rungsverbotes nach § 97 Abs. 2 GWB nicht möglich.
(6) Förderung von Innovationen
Nach § 97 Abs. 4 können innovative Aspekte im Vergabeverfahren beachtet werden.
Im Leitfaden zur innovativen Beschaffung des Bundesministeriums für Wirtschaft
und Energie werden zur Innovationsförderung verschiedene Empfehlungen wie
z. B. eine frühzeitige Marktkommunikation und eine eingehende Markterkundung
gegeben (Bundesministerium für Wirtschaft und Energie 2014, S. 27). Die Möglich-
keit des sogenannten „technischen Dialoges“ bzw. des „antizipativen Dialoges“ als
Instrument um geeignete Kriterien in Vorbereitung auf eine Ausschreibung festzule-
gen, wird auch als ein Schlüsselfaktor für den Aufbau geeigneter Lebensmittel-
Wertschöpfungsketten genannt (Risku-Norja und Løes 2016; Spigarolo et al. 2010a).
Das Verfahren eines solchen Dialoges muss jedoch transparent und nichtdiskrimi-
nierend sein (Europäische Kommission 2011a, S. 18).
Ein weiteres geeignetes Mittel könnte der unter Punkt 3.2.1 beschriebene wettbe-
werbliche Dialoges sein, der durchgeführt werden kann, wenn die technischen Spe-
zifikationen der zu beschaffenden Leistung vom Auftraggeber nicht klar angegeben
werden können. Ebenfalls vergaberechtlich zulässig ist die Methode, Angebotsvari-
anten zu akzeptieren, bei denen Bieter umweltfreundlichere Alternativvorschläge
zum Auftragsgegenstand machen können (Europäische Kommission 2011a, S. 29).
(7) Einbeziehung von Lebenszykluskosten
Der Artikel 68 der aktuellen EU-Vergaberichtlinie 2014/24/EU enthält detaillierte
Vorgaben zur Lebenszykluskostenrechnung. Hiermit werden Kosten öffentlicher
Auftraggeber oder anderer Nutzer umfasst wie z. B. Anschaffungskosten, Nutzungs-
33
kosten, Wartungskosten, Kosten am Ende der Nutzungsdauer sowie Kosten, die
durch externe Effekte der Umweltbelastung entstehen. Diese Kosten dürfen bei der
Bewertung der Angebote einbezogen werden, jedoch muss nach Art. 68 Abs. 2 die
Methode zur Bewertung externer Umweltkosten nachprüfbar und darf nicht dis-
kriminierend sein.
Die Berücksichtigung von Nachhaltigkeitskriterien scheint also – wenn auch teilwei-
se über Umwege – rechtlich zulässig zu sein. Zu deren Umsetzung empfiehlt die Eu-
ropäische Kommission den Auftraggebern, in Abhängigkeit vom Vertragsgegenstand
und der Zielsetzung zu entscheiden, welche der Kriterien in der jeweiligen Aus-
schreibung berücksichtigt werden sollen (Europäische Kommission 2011b, S. 7).
34
4 Methodischer Ansatz und Untersuchungsumfang
4.1 Ziele und Umfang der Untersuchung
Nachdem sich der theoretische Teil der Arbeit mit dem gesellschaftlich-politischem
Anspruch einer nachhaltigen Beschaffung und derer rechtlicher Umsetzbarkeit be-
fasst hat, ist es Gegenstand der praktischen Untersuchung zu prüfen, inwieweit die-
se Potenziale in der Vergabepraxis genutzt werden. Hierfür soll in einem ersten
Schritt eine Analyse von öffentlichen Ausschreibungen für Verpflegungsdienstleis-
tungen durchgeführt werden. Ziele dieser Analyse sind es zu prüfen, in welchem
Umfang Nachhaltigkeitsziele berücksichtigt und welche rechtlichen Möglichkeiten
hierfür genutzt werden. Die Entscheidung, dies mittels einer Analyse von Vergabe-
unterlagen und nicht anhand von Experteninterviews mit Verantwortlichen der
öffentlichen Beschaffung durchzuführen, liegt darin begründet, dass hier sehr sub-
jektive Antworten zu erwarten wären. Wie im Kapitel 2 herausgestellt wurde, stell-
ten schon Renda et al. (2012) und Beck und Schuster (2013) in ähnlichen Befragun-
gen fest, dass öffentliche Vergabestellen teilweise ein abweichendes Bild von Nach-
haltigkeitskriterien haben bzw. das eigene Handeln in dieser Hinsicht zu positiv be-
werten (Beck und Schuster 2013; Renda et al. 2012). Aus diesem Grund scheint eine
objektive Analyse von Beschaffungsvorgängen ein geeigneteres Mittel zu sein, um
das gewünschte Ergebnis eines Status-Quo von Nachhaltigkeitskriterien in Vergabe-
verfahren zu erreichen.
Basierend auf den Ergebnissen dieser Analyse sollen dann in einem zweiten Schritt
Expertengespräche geführt werden. Ziel der Expertengespräche ist es zu einer Ein-
schätzung zu gelangen, ob die durchgeführten Ausschreibungen eine Realisierung
von Nachhaltigkeitszielen im Bereich der Verpflegungsdienstleistungen ermögli-
chen.
Die Untersuchung soll sich räumlich auf Berlin und Brandenburg und zeitlich auf die
letzten drei Jahre konzentrieren. Dies liegt darin begründet, dass die Aussagekraft
der Ergebnisse nur vor einem ähnlichen politischen und rechtlichen Kontext sinn-
voll scheint. Wie aus der Analyse des rechtlichen Rahmens im Kapitel 3.2 hervor-
geht, hat die Modernisierung des bundesweiten Vergaberechts im Jahr 2009 dazu
geführt, dass Nachhaltigkeitsziele auch in öffentlichen Vergabeverfahren umsetzbar
geworden sind. Daher sollen nur Beschaffungsprozesse betrachtet werden, die nach
diesem Zeitraum durchgeführt wurden. Die Fokussierung auf Fallbeispiele in Berlin
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und Brandenburg ist darauf zurückführbar, dass in diesen beiden Ländern die Um-
setzung von Nachhaltigkeitszielen im Vergabewesen auf der politischen Agenda
unterschiedlich priorisiert wurde (siehe Kapitel 3.2.4). Ein Vergleich kann hier aus-
sagekräftige Ergebnisse in Bezug zur Bedeutung der Landesvorgaben bringen.
Des Weiteren wurde der Untersuchungsumfang auf Vergabeverfahren für Schulen
und Kitas begrenzt, da Verpflegungsdienstleistungen für andere Arten der Gemein-
schaftsverpflegung eventuell andere Rahmenbedingungen aufweisen und an dieser
Stelle eine Vergleichbarkeit gewährleistet werden soll.
4.2 Auswahl von Fallbeispielen und Experten
Um geeignete Fallbeispiele für die Analyse der Vergabeunterlagen aufzustellen,
wurde in einem ersten Schritt mithilfe einer öffentlich zugänglichen Vergabe-
Datenbank (www.ausschreibungen-deutschland.de) unter den Stichworten „Ver-
pflegung“ und „Essensversorgung“ nach Bekanntmachungen vergebener Aufträge in
Brandenburg recherchiert. Insgesamt wurden 19 Bekanntmachungen aus 2013,
2014 und 2015 gefunden, welche Verpflegungsdienstleistungen für Kitas und Schu-
len betreffen. Daraufhin wurden die betreffenden 19 Vergabestellen per Email bzw.
telefonisch mit der Bitte kontaktiert, ihre Vergabeunterlagen für diese Arbeit zu-
gänglich zu machen. Eine positive Antwort inklusive Vergabeunterlagen kam von
insgesamt 9 der 19 kommunalen Vergabestellen in ganz Brandenburg. In ein
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