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Neueste Daten zum Rauchen -
Gesundheitsfolgen für Aktiv- und Passivraucher
Weltnichtrauchertag in Münster
Erbdrostenhof, 30. Mai 2015
Ulrich Keil
Institut für Epidemiologie und Sozialmedizin, Universität Münster
„Zwei Pflanzen von großer Bedeutung
sind von Amerika zu uns herüber-
gekommen, die eine zum Segen,
die andere zum Verderben.
Die Segenspflanze ist die Kartoffel,
die Pflanze des Verderbens das
Kräutlein Tabak“
Alexander von Humboldt
(1769–1859)
Überlebenskurven (%) bei britischen Ärzten ab 35 Jahre:
Raucher bzw. lebenslange Nicht-Raucher, geboren 1900–1930
Quelle: Doll R, Peto R et al. Mortality in relation to smoking: 50 years' observations on male British doctors. BMJ 2004;328:1519–1528
2
Figure 1
Peto, Richard; Whitlock, Gary; Jha, Prabhat New England Journal of Medicine. 362(9):855-857, March 4, 2010.
Figure 1 . Effects of BMI and Smoking Status on Survival among Men between the Ages of 35 and 100 Years. Morbid obesity and cigarette smoking each shorten life expectancy by approximately 10 years, and moderate obesity shortens it by approximately 3 years. Panel A shows the results of the analysis from the Prospective Studies Collaboration of body-mass index (BMI) among men; the effects among women are not greater. Panel B shows the results of an analysis of persistent cigarette smoking among male British doctors.
Einfluss von Übergewicht und Rauchen auf die Lebenserwartung
SCORE Deutschland
10-Jahres-Risiko für tödliche Herz-Kreislauf-Erkrankungen in der deutschen Bevölkerung
Krankheitsspezifische Relative Risiken für Aktivraucher
im Vergleich zu Nichtrauchern
Erkrankung Relatives Risiko Literatur
Männer Frauen
Lungenkrebs 22,4 11,9 American Cancer Society 1998
KHK 2,0 2,0 Manson et al. 1992, Burns 2003
Conroy et al. 2003, Keil et al. 2005
Schlaganfall 1,4 1,7 Shinton & Beevers 1989
COPD 9,7 10,5 Wald & Hackshaw 1996
Rauchen – Krebs, Herz-Kreislauf-Erkrankungen
und Lebenserwartung
• Tabak hat mehr Krebs verursacht als die Medizin
je geheilt hat Richard Peto
• Raucher verkürzen ihr Leben durchschnittlich
um 10 Jahre Richard Peto
• Rauchen ist für noch mehr Todesfälle an
Herz-Kreislauf-Krankheiten als an Lungenkrebs
verantwortlich Ulrich Keil
Risikofaktor
DALYs
(Anteil in %)
1. Tabak 13,7
2. Bluthochdruck 11,2
3. Alkohol 7,5
4. Hohes Cholesterin 7,2
5. Hoher BMI 7,1
6. Körperliche Inaktivität 3,2
7. Geringer Verzehr von Obst und Gemüse 2,2
8. Illegale Drogen 1,7
9. Ungeschützter Geschlechtsverkehr 0,8
10. Eisenmangel 0,5
Anteile der 10 häufigsten Risikofaktoren an der
Krankheitslast (DALYs) in Deutschland 2002
DALYs = Disability-adjusted life-years. Ein DALY entspricht einem verlorenen Jahr an Lebenszeit in Gesundheit
World Health Organisation. The European Health Report 2005: Causes of the burden of diseases.
Rangfolge von Risikofaktoren für DALYs 2010 nach Weltregionen (Auswahl)
Hoher Blutdruck
Rauchen und Passivrauchen
Alkoholkonsum
Luftverschmutzung im Haus
Geringer Verzehr von Obst
Hoher BMI
Hoher Nüchternblutzucker
Untergewicht bei Kindern
Luftverschmutzung
Mangelnde körperliche Aktivität
Hoher Salzkonsum
Hohes Gesamtcholesterin
1 2 4
2 1 1
3 4 3
4 - -
5 7 7
6 3 2
7 6 5
8 38 39
9 11 14
10 5 6
11 10 11
15 8 9
Weltweit Westeuropa Nordamerika
Lim S et al. A comparative risk assessment of burden of disease…attributable to 67 risk factors …in 21 regions,
1990-2010: a systematic analysis for the Global Burden of Disease Study 2010. Lancet 2012; 380: 2224-60
Zeitliche Entwicklung des Anteils der Raucherinnen und Raucher in der 25-69 jährigen
Bevölkerung Deutschlands von 1990-2011
Datenbasis: Gesundheitssurveys des Robert Koch-Instituts: NUS90–92, BGS98, GSTel03, GEDA09, DEGS1 2011.
Quelle: Lampert T et al Bundesgesundheitsblatt 2013;56:802-808
Häufigkeit des Rauchens und des starken Rauchens nach sozialem Status bei
18-79-jährigen Frauen und Männern in Deutschland 2011 (n=7858/7717)
Datenbasis: Gesundheitssurvey des Robert Koch-Instituts: DEGS1 2011.
Quelle: Lampert T et al Bundesgesundheitsblatt 2013;56:802-808
Häufigkeit des starken Rauchens nach Alter bei 18-79-jährigen
Frauen und Männern in Deutschland 2011 (n=7755)
Datenbasis: Gesundheitssurvey des Robert Koch-Instituts: DEGS1 2011.
Quelle: Lampert T et al Bundesgesundheitsblatt 2013; 56: 802-808
Passivrauch
Passivrauch besteht aus dem Nebenstromrauch, der beim
Verglimmen der Zigarette zwischen den Zügen entsteht, sowie aus
den vom Raucher wieder ausgeatmeten Bestandteilen des
Hauptstromrauches.
Unterschiede zwischen Aktiv- und Passivrauch
Hauptstromrauch entsteht bei einer Verbrennungstemperatur
von 950 Grad Celsius
Nebenstromrauch entsteht bei 500 Grad Celsius, deshalb
entstehen mehr toxische und krebserregende Stoffe
Passivrauch besteht zu 85 % aus Nebenstromrauch
und zu 15 % aus ausgeatmetem Hauptstromrauch
Atemwegsbeschwerden (Entstehung und Verschlimmerung)
– Asthma
– Lungenentzündung
– Bronchitis
– Mukoviszidose (Verschlimmerung)
– Chronisch obstruktive Lungenerkrankungen (COPD)
Herz- und Gefäßerkrankungen
– Koronare Herzkrankheit
– Schlaganfall
– Periphere arterielle Verschlusskrankheit
Krebserkrankungen
– Lungenkrebs
– Gebärmutterhalskrebs (mutmaßlich)
Passivrauchen und chronische Krankheiten bei Erwachsenen
Quelle: Rote Reihe »Tabakprävention und Tabakkontrolle«, Band 5, 2005
Berechnung der Prävalenz des Passivrauchens
Anteil der Nichtraucher, der eine regelmäßige Exposition gegenüber
dem Tabakrauch anderer Personen hat.
Grundlage der Berechnung ist die Frage aus dem Bundes-Gesund-
heitssurvey von 1998: „Halten Sie sich tagsüber oder abends häufiger
in Räumen auf, in denen geraucht wird?“
Mögliche Orte der Exposition: zu Hause, am Arbeitsplatz und andere
Orte.
Anteil aktueller Raucher sowie Prävalenz des Passivrauchens
unter Nichtrauchern bei Männern in Deutschland
Quelle: Bundes-Gesundheitssurvey 1998, eigene Berechnungen
%
zu Hause
nur bei der Arbeit
Passivrauchen
bei aktuellen
Nichtrauchern (NR) nur Sonstiges
kein Passivrauch aktuelle Raucher (R)
20–29 30–39 40–49 50–59 60–69 70–79
0
10
20
30
40
50
60
70
80
90
NR R NR R NR R NR R NR R NR RJahre
0
10
20
30
40
50
60
70
80
90
NR R NR R NR R NR R NR R NR R
20–29 30–39 40–49 50–59 60–69 70–79 Jahre
%
Quelle: Bundes-Gesundheitssurvey 1998, eigene Berechnungen
Anteil aktueller Raucher sowie Prävalenz des Passivrauchens
unter Nichtrauchern bei Frauen in Deutschland
zu Hause
nur bei der Arbeit
nur Sonstiges
kein Passivrauch Passivrauchen
bei aktuellen
Nichtrauchern (NR)
aktuelle Raucher (R)
Krankheitsspezifische Relative Risiken für passivrauchbelastete
Nichtraucher im Vergleich zu unbelasteten Nichtrauchern
Erkrankung Relatives Risiko Literatur
Männer Frauen
Lungenkrebs 1,25 1,25 Hackshaw et al. 1997, Lublin 1999, Zhong et al. 2000
Taylor et al. 2001, Bofetta 2002, Brennan et al. 2004
KHK 1,25 1,25 Law et al. 1997, He et al. 1999, Thun et al. 1999
Schlaganfall 1,18 1,18 Eigene Berechnungen, basierend auf
Irribarren et al. 2004, Whincup et al. 2004
COPD 1,24 1,26 Eigene Berechnungen, basierend auf Hirayama
1981, Sandler et al. 1989, Enstrom & Kabat 2003
SIDS 2,08 2,08 Anderson & Cook 1997
Bearbeitung: Institut für Epidemiologie und Sozialmedizin der Universität Münster, Tropen- und Hygieneinstitut der Universität Heidelberg
Berechnung der Attributablen Risiken
Mit den oben genannten Angaben zur Prävalenz und den Relativen
Risiken für passivrauchbelastete Nichtraucher kann das
Attributable Risiko (AR) für Passivrauchen berechnet werden:
N
NNN
I
II 0AR
Das Attributable Risiko kann
auch wie folgt berechnet werden:
1RR1
1RRAR
NN
NNN
p
p
IN = Inzidenz der Erkrankung
IN0 = Inzidenz unter den Nicht-Exponierten
pN = Prävalenz des Passivrauchens
RRN = Relatives Risiko der Krankheit
durch Passivrauchen
N = Nichtraucher
Berechnung der Anzahl (nN) passivrauchbedingter
Todesfälle
nN = Anzahl passivrauchbedingter Todesfälle
ARN = Attributables Risiko
mN = Anzahl der verstorbenen Nichtraucher
nN = ARN mN
Berechnung der Anzahl der verstorbenen
Nichtraucher
a = Anteil der Nichtraucher unter allen Lungenkrebsfällen aus Fall-Kontroll-Studien
mN = Anzahl der verstorbenen Nichtraucher
m = Anzahl aller Todesfälle in der Bevölkerung
p = Prävalenz des Aktivrauchens
RR = Relatives Risiko für Aktivrauchen
amm N
11
1
RRp
mpmN
Für Lungenkrebs:
Für KHK, Schlaganfall, COPD:
Passivrauchbedingte krankheitsspezifische
Sterblichkeit pro Jahr in Deutschland
Todesursache Frauen Männer *
Lungenkrebs 212 51 263 ( 263 )
Koronare Herzkrankheit (KHK) 1423 725 2148 ( 2597 )
Schlaganfall 585 189 774 ( 882 )
Chronisch obstruktive
Lungenerkrankungen (COPD) 48 8 56 ( 62 )
Plötzlicher Kindstod (SIDS) 25 35 60 ( 60 )
Gesamt 2293 1008 3301 ( 3864 )
* Passivrauchexposition zu Hause und/ oder am Arbeitsplatz
Verschiedene RR für die Beziehung Passsivrauch und KHK
und Einfluss auf die berechnete Zahl passivrauchbedingter
KHK-Todesfälle
Relative Risiken Passivrauchexposition
zu Hause
Passivrauchexposition
zu Hause und/ oder am
Arbeitsplatz
Passivrauchexposition
an allen Orten
1,17 * 1471 1784 6252
1,25 § 2148 2597 8970
1,30 $ 2569 3097 10603
1,41 # 3481 4175 14031
* Untere Grenze des 95%-Konfidenzintervalls, aus Meta-Analysen entnommen [He et al 1999, Thun et al 1999]
§ Schätzer aus Meta-Analysen entnommen [He et al 1999, Thun et al 1999] und in der gegenwärtigen Studie verwendet
$ Schätzer aus einer Meta-Analyse entnommen [Law et al 1997], welche auf Bevölkerungsebene verwendet wurde [Jamrozik 2005,
Woodward & Laugesen 2001]
# Obere Grenze des 95%-Konfidenzintervalls, aus aktuellen Meta-Analysen entnommen [Barnoya & Glantz 2005]
Einfluss von unterschiedlichen Zielpopulationen auf die
berechnete Zahl passivrauchbedingter KHK-Todesfälle
Passivrauchexposition
zu Hause
Passivrauchexposition
zu Hause und/ oder am
Arbeitsplatz
Passivrauchexposition
an allen Orten
Prävalenz Zahl der
Todesfälle Prävalenz
Zahl der
Todesfälle Prävalenz
Zahl der
Todesfälle
Nie-Raucher
(d = 66.238*)
12,4
1174
26,3
1336
51,1
4680
Aktuelle Nicht-Raucher (Nie-Raucher und
Ex-Raucher, d = 123.612*)
12,0
2148
26,2
2597
50,8
8970
Gesamtbevölkerung
(Nie-Raucher, Ex-Raucher
und Aktuelle Raucher,
d = 163.435)
27,3
5857
41,0
6500
61,1
13792
Relatives Risiko für Passivrauchen: 1,25
d = Summe aller KHK-Todesfälle
* Berechnet mit dem relativen Risiko für Aktivrauchen = 2,0
= Erhöhung = Senkung
Mechanismen: Rauchen und Herzinfarkt
LDL-Cholesterin-Peroxidation
Blutviskosität
Fibrinogen
CRP
Carboxyhämoglobinbildung
durch Kohlenmonoxid (CO)
Endothelschädigung durch PAK*
Thrombozytenaggregation
VLDL
Triglyceride
HDL-Cholesterin
* PAK = polycyclische aromatische Kohlenwasserstoffe
Rauchen
Fibrinogen
Zusammenfassung (1)
• Jeden Tag sterben in Deutschland ca. 9 Menschen an den Folgen
des Passivrauchens durch Lungenkrebs, KHK, Schlaganfall, COPD
und SIDS; insgesamt über 3300 Todesfälle
• Rund 70% der passivrauchbedingten Todesfälle betreffen Frauen
• Zwei Drittel der passivrauchbedingten Todesfälle sind auf die
Koronare Herzkrankheit zurückzuführen
Zusammenfassung (2)
• Weiterhin tritt eine Vielzahl nicht tödlicher Neuerkrankungen an den
untersuchten Krankheitsbildern auf
• Sensitivitätsanalysen zeigen, dass die geschätzte Zahl von
passivrauchbedingten Todesfällen stark vom verwendeten relativen
Risiko, von der Definition der Exposition und von der Definition der
exponierten Bevölkerung abhängt.
• Die vorliegenden Berechnungen sind konservativ, da weitestgehend
nur die Passivrauch-Exposition zu Hause berücksichtigt wurde, für
die die Datenlage wissenschaftlich am besten gesichert ist
Risikokommunikation (1)
An den Folgen des Passivrauchens versterben in
Deutschland jährlich mit mehr als 3300 Nichtrauchern
mehr Menschen als an illegalen Drogen, Asbest, BSE,
SARS, Vogelgrippe und Schweinegrippe zusammen.
Risikokommunikation (2)
Die geschätzte Zahl von 3300 passivrauchbedingten
Todesfällen pro Jahr in Deutschland ist von der Politik
aufgegriffen worden; sie ist als wichtige Begründung für
die Notwendigkeit des Nichtraucherschutzes in die 16
Landesgesetze zum Nichtraucherschutz eingegangen.
Risikokommunikation (3)
• Tabakindustrie, BG Nahrungsmittel und Gaststätten und
DEHOGA, aber auch Medien wie Zeit-Online haben die
geschätzten Zahlen in polemischer und teilweise aggressiver
Form kritisiert.
• Dabei wurde deutlich, dass die zur Schätzung der Zahlen
angewendeten international gebräuchlichen epidemiologischen
Methoden von Journalisten und Fachleuten nicht immer richtig
verstanden wurden.
Schlussfolgerung
An den Folgen des Aktivrauchens sterben in Deutschland
jährlich mehr als 110 000 Menschen, an den Folgen des
Passivrauchens mehr als 3300. Mit Recht spricht die
Weltgesundheitsorganisation deshalb beim Rauchen vom
wichtigsten Risikofaktor für die Gesundheit. Deshalb sollte
alles getan werden, um den Tabakkonsum in Deutschland
zurückzudrängen.
Wirksamkeitsüberprüfte Maßnahmen zur Verringerung
des Tabakkonsums 1. Erhöhung der Tabaksteuern
2. Bekämpfung des illegalen Handels mit Tabakprodukten
3. Verbot von Tabakwerbung und Sponsoring
4. Schaffung einer rauchfreien Umwelt
5. Produktregulierung und Verbraucherinformation
6. Abgabe und Vertrieb von Tabakwaren (z.B. >850.000 Zigarettenautomaten)
7. Schulische Tabakprävention
Quelle: Bornhäuser A., Pötschke-Langer M. Gesundheit fördern – Tabakkonsum verringern. Handlungsempfehlungen für eine wirksame
Tabakkontrollpolitik in Deutschland. Rote Reihe: Tabakprävention und Tabakkontrolle, Sonderband I.
Deutsches Krebsforschungszentrum, Heidelberg 2002.
8. Massenmediale Tabakprävention
9. Beratungs- und Behandlungsmaßnahmen zur Tabakentwöhnung
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