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Sekundarstufe II und Erwachsenenbildung
24 | Rundgang 4 · Dezember 2013
grosse Unterschiede zur Theorie.
Zu häufig noch müssen Schüler ellen-
lange Wortschatzlisten lernen, wo-
möglich vom Deutschen in die Ziel-
sprache und oft ohne grossen Kontext.
Dass auf diese Weise «gelernte» Wörter
dann meistens im Kurzzeitspeicher
landen, macht die Sache ziemlich
sinnlos. Das Gleiche gilt für die vom
Kontext losgelöste Grammatik. Strate-
gien zur gezielten Förderung der
rezeptiven und produktiven Kompe-
tenzen werden auf diese Wiese nicht
nachhaltig geübt. Vielmehr können
sich die Schülerinnen und Schüler mit
Teilwissen zufriedengeben – und so
wird das eingangs erwähnte «veraltete»
Bild vom Sprachenlernen weiterhin
gestützt. Das ganzheitliche Verständ-
nis und der spontane Ausdruck im
Alltag, der nicht von einer perfek-
tionistischen Idee ausgeht, werden
vernachlässigt.
Dass auf den verschiedenen Stufen –
von der Primar- bis zur Sekundar-
stufe II – verschiedene Philosophien
des Fremdsprachenunterrichts vor-
herrschen, macht aus den Stufenüber-
gängen oft problematische Schnitt-
stellen anstatt Treffpunkte. Gefordert
sind also stufenübergreifendes Den-
ken, ohne der anderen Stufe etwas
beweisen zu wollen, sowie eine hohe
Eigenmotivation der Lehrperson für
die Sprachen.
Mehr Austausch im SprachgebietEbenso sollten Schüler vermehrt die
Zielsprache in der Realität erfahren,
sei es durch Musik, Film und vor allem
durch direkten Kontakt mit den
Menschen im Sprachgebiet. Dass in
unserer mehrsprachigen Schweiz
Schüleraustausche oder Aufenthalte
im Sprachgebiet nicht regelmässig
praktiziert werden, ist absolut un-
verständlich. Ein Austausch bedeutet
wohl Aufwand, der Nutzen für die
Motivation im Fremdsprachenunter-
richt ist jedoch enorm. Erst diese
Kontakte lassen die Sprache lebendig
« Französisch bleibt wichtig ! »
Zurzeit gibt kaum ein Thema der Bil-
dung so viel zu reden wie der Nutzen
des Fremdsprachenlernens in der Volks-
schule. Eltern, deren Kinder Mühe
beim Erwerb von Fremdsprachen
haben, reden von Überforderung. Lehr-
personen, die möglicherweise selber
unsicher und mit Erwartungen von
Eltern konfrontiert sind, rufen nach
fakultativem Fremdsprachenunterricht.
Und auch manche Partei hat sich des
Themas dankbar angenommen.
Die seit Jahren andauernde Diskussion
um die Notwendigkeit von Französisch
hat leider einen grossen Einfluss auf
die mangelnde Motivation der Lernen-
den. Wenn von Überforderung gespro-
chen wird, muss vielfach das Franzö-
sisch den Kopf dafür hinhalten. Dabei
habe ich den Eindruck, dass viele Poli-
tikerinnen und Politiker – wie auch
Eltern von Schulkindern – in dieser
Diskussion von einem negativen Bild
des Fremdsprachenlernens ausgehen;
einem Bild, das aus ihrer eigenen
Schulzeit stammt. Wir besitzen heute
genug Kenntnisse darüber, wie effi-
zienter und nachhaltiger Fremd-
sprachenunterricht funktionieren
sollte. Ebenso gibt es mittlerweile
eine grosse Auswahl von Lehrmitteln,
die eine gute Basis für einen solchen
Unterricht bieten – egal, ob es sich
dabei um Englisch- oder Französisch-
unterricht handelt.
Grosse Unterschiede in der PraxisWie jedoch die Umsetzung in den
Klassen selber geschieht, da zeigen
sich – wie in jedem Schulfach –
Fremdsprachendidaktiker Sandro Forni schaut in seinem Gastartikel mit kritischem Auge auf das Lernen und Lehren von Fremdsprachen an den Schulen. Ausserdem zeigt er auf, warum neben Englisch auch Französisch eine wichtige Rolle im Berufsleben spielt.
Sprachaufenthalte in der Westschweiz würden viel zur Motivation im Französischunterricht beitragen.
Rundgang 4 · Dezember 2013 | 25
Französisch
und aus der Sicht der Schüler sinnvoll
werden. Und dass Schulen Aufenthalte
im anglophonen Gebiet (inklusive USA)
organisieren, jedoch selten oder nie
in der Westschweiz, ist nicht nur aus
finanzieller Hinsicht unglaublich.
Französisch im Beruf – forget it?Klar: Im privaten, im schulischen wie
im beruflichen Alltag setzt sich seit
Jahren das Motto English for everything
durch. Reicht also eine Fremdsprache
für alles im Leben?
Fragt man bei den Betrieben in der
Schweiz nach, kommt sehr schnell
eine gegenteilige Antwort. Im Aussen-
dienst und in kommunikativen Bran-
chen ist Französisch zum Beispiel
meist stärker gefragt als in technischen
Berufen, wo Englisch dominiert.
In der Schweiz gibt es laut Aussagen
vieler Betriebsverantwortlichen immer
noch einen grossen Bedarf an Mit-
arbeitenden, die sich in Französisch
ausdrücken können, bedingt durch
die geografische Nähe zur Westschweiz
und zu Frankreich sowie die für die
Schweiz bedeutende staatspolitische
Verpflichtung.
Sowohl Englisch als auch Französisch!Warum also dieser bei Schule und
Eltern spürbare Widerstand insbeson-
dere gegen das Französischlernen?
Bezogen auf den Englisch- und Franzö-
sischunterricht gibt es allgemein-
gültige Aussagen und sprachenspezi-
fische. Es ist eine Binsenweisheit,
dass der anfängliche Zugang zur engli-
schen Sprache in der heutigen Zeit
für Schüler einfacher ist als zum Fran-
zösischen. Englischsprachige Musik,
Kinofilme sowie Fernsehserien sind
nun mal allgegenwärtig und beeinflus-
sen Kinder und Jugendliche stark.
Deutschsprachige Schülerinnen und
Schüler haben dazu noch den Vorteil
der Nähe der beiden Sprachen Englisch
und Deutsch. Als Tourist mit Basis-
kenntnissen kann sich jeder schnell
mal auf Englisch durchschlagen,
während im Französischen mehr Auf-
wand nötig ist. Anderseits ist aber
auch bekannt, dass auf einem höheren
Niveau (ab ca. B1/B2) das Englische
deutlich anspruchsvoller wird als das
Französische, das heisst, Französisch
wird ab diesem Niveau einfacher.
Im Fokus: interkulturelle Kompetenzen Wer heute Fremdsprachen lernt,
eignet sich auch interkulturelle Kom-
petenzen an. Diese sind im Umgang
mit Frankophonen nicht zu unter-
schätzen. Beschränkten sich frühere
Lehrmittel oft auf eine oder zwei
Kompetenzen – meistens auf das Schrei-
ben von Briefen und vielleicht noch
das Lesen von Texten –, verfolgen die
modernen Lehrbücher auch einen
interkulturellen Ansatz. Dazu gehört
etwa die Frage: Wie verhalte ich mich
in einem Gespräch mit Personen aus
anderen Kulturen?
Da vor allem Personen aus dem franko-
phonen Raum sehr sensibel sind
gegenüber dem Verhalten ihrer Ge-
sprächspartner, lohnt es sich umso
mehr, Interkulturalität im Französisch-
unterricht insbesondere an Berufs-
schulen oder Gymnasien zu beachten.
Anders gesagt: Von zwei verschiedenen
Betrieben, die einem französisch-
sprechenden Kunden gegenüber die
gleichen Leistungen offerieren, ist
derjenige mit einem interkulturellen
Ansatz und mit entsprechenden
Sprachkenntnissen ganz sicher im
Vorteil. Und ich gehe so weit zu sagen,
dass er den grösseren Vorteil hat,
als wenn er auf Englisch verhandeln
würde.
Jüngere Leute haben heutzutage weit-
gehend gute Kenntnisse des Englischen.
Im Berufsleben unterscheiden sie sich
erst von ihren Konkurrenten, wenn sie
noch andere Fremdsprachen als Eng-
lisch beherrschen.
Daher: «Französisch bleibt wichtig!»
Text: Sandro Forni
Zur Person
Sandro Forni ist Fremdsprachen-lehrer an der Kaufmännischen Berufs-schule Schwyz und Dozent für Fremd-sprachendidaktik an der Pädago-gischen Hochschule Schwyz, wo er nebst der Lehrtätigkeit auch für die Nachqualifikation Französisch ver-antwortlich ist. Zu seinen beruflichen Schwerpunkten zählen u. a. Fremd-sprachen im beruflichen Kontext, Austausche, Evaluation von Fremd-sprachenkenntnissen (ESP) und Sprachzertifikate. Ausserdem ist Sandro Forni Leiter der eidgenössi-schen Kommission für Lehrabschluss-prüfungen (LAP) Französisch und er war Leiter der AG Neuer Rahmen-lehrplan Fremdsprachen Eidgenös-sische Berufsmatura.
Bei der Entwicklung des Französisch-lehrwerks «ECO.com» für die kauf-männische Bildung war Sandro Forni als Mitautor tätig. Er erarbeitet auch zusammen mit dem Mitautor Claude Beyeler die Neuausgabe des Lehr-werks «écocom», das im Frühling 2014 bei Klett und Balmer erscheint.