25
Reihe 5 Das Magazin der Staatstheater Stuttgart Oper Stuttgart /Stuttgarter Ballett / Schauspiel Stuttgart Nr. 8 Juni – Juli 2017 Wer bin ich? Wo bin ich? Wer seid ihr? Ein Heft für Menschen unter 20

00 Reihe5 Nr8 gesamt RZ...Im Belgien des 16. Jahrhunderts kämpft Clärchen an der Seite ihres Liebsten, Egmont, gegen die Spanier – gut geht das nicht aus. Beethoven komponierte

  • Upload
    others

  • View
    2

  • Download
    0

Embed Size (px)

Citation preview

Page 1: 00 Reihe5 Nr8 gesamt RZ...Im Belgien des 16. Jahrhunderts kämpft Clärchen an der Seite ihres Liebsten, Egmont, gegen die Spanier – gut geht das nicht aus. Beethoven komponierte

Reihe 5Das Magazin der Staatstheater StuttgartOper Stuttgart /Stuttgarter Ballett / Schauspiel Stuttgart

Nr. 8 Juni – Juli 2017

Wer bin ich? Wo bin ich? Wer seid ihr?Ein Heft für Menschen unter 20

Page 2: 00 Reihe5 Nr8 gesamt RZ...Im Belgien des 16. Jahrhunderts kämpft Clärchen an der Seite ihres Liebsten, Egmont, gegen die Spanier – gut geht das nicht aus. Beethoven komponierte

3

EDITORIAL

Sehr geehrte Leserinnen und Leser,

wer jung ist, sucht seinen Platz in der Welt,hält Ausschau nach Seelenverwandten, mit denen sich losziehen und was anfangenlässt. Eine feine Sache, gäbe es da nicht diese Pubertätshormone, die einem Gemütund Glieder vermorphen, dass man sichmal fühlt, mal aussieht wie ein Lurch, malwie ein Elf, mal wie beides gleichzeitig.In einem Körper!

Jenseits dieser Verwandlungsphase istJungsein aber okay; vieles macht man nochimmer zum ersten Mal, hat Spaß, Kraft, Neugier, lauter Attribute, die weit entferntscheinen allein schon von dem Wort »Die Staatstheater Stuttgart«. Und dann T

itel

mo

tiv:

Na

ncy

Fo

uts

(Med

ien

: Lu

ftb

all

on

, Ka

ktu

ssta

chel

n)

Foto

:K

ai F

isch

er

die Gebäude, in denen sich das meiste ab-spielt: dicke Mauern, alte Treppen, riesigePortale, und auch die Geschichten, die erzählt werden, haben oft Jahrhunderteauf dem Buckel.

Aber wissen Sie was? Das ist alles totalerQuatsch! Tritt man ein und schaut sich um,entdeckt man einen Ort, der durchmischter,durchlässiger, ja lässiger nicht sein könnte.Kaum ein Ort der Welt, der so einladend und offen ist, wo sich so viele junge Men-schen entfalten können, wo sie gestalten, lernen, zupacken, mitsingen, mittanzen und mitdiskutieren können wie am Theater.Und für die Geschichten gilt ja dasselbe. Wahrheit, Lüge, Liebe, Fremdsein in der Welt, Gewalt, Treue, Pflicht und auch der

Tod: Die Themen sind gut, zeitlos. Und jung.Weil sie uns meist in der Jugend zum ersten Mal durchschütteln. Und danach niewieder verlassen. Diese Ausgabe von Reihe 5ist also jung. Einfach so. Weil wir Lust drauf hatten. Schwer fiel uns das nicht ;o)

Ach ja, eine Ausgabe für Ältere machen wir auch mal. Irgendwann. Bestimmt. Wir schwören!

Die Staatstheater Stuttgart

Im Hip-Hop fragt dich keiner, wo du herkommst. Am Theater übrigens auch nicht Neco Çelik (Seite 21)

SCHWERPUNKT JUGEND Willkommen im Heft für Menschen unter zwanzig. Erwachsene dürfen auch rein-schauen, schließlich stecken ja alle ihre Nase heute in alles rein. Was anders ist als sonst? Wir haben alle Themen jung besetzt. Mehr nicht. Aber auch nicht weniger

Wer, wie, was? Ein Motiv aus der Vexierbildserie Double Exposures des Stuttgarter Fotografen Kai Fischer

Page 3: 00 Reihe5 Nr8 gesamt RZ...Im Belgien des 16. Jahrhunderts kämpft Clärchen an der Seite ihres Liebsten, Egmont, gegen die Spanier – gut geht das nicht aus. Beethoven komponierte

4 5

INHALT

Editorial

FOYER

Bilder

Momente

Das Requisit

Mein WegArien? Nein danke! Ihre Mutter ist Opernsängerin Helene Schneiderman. Sie selbst aber machen lieber Popmusik Aus Prinzip dafür: Wie Christian Czeremnych seine Rolle als MolièresMenschenfeind ausfüllt

BÜHNE

Wir lernen TheaterAcht Menschen erzählen, warum sie es lieben, den ganzen Tag lang zu bauen, zu proben und zu tanzen

Schule ist wie Gefängnis Früher zog Neco Çelik mit seiner BerlinerGang durch die Straßen, heute inszenierter Opern. Ein Interview über Gewalt,Respekt und Kreativität

Bitte geh nicht fort!Tamala, 18 Jahre alt, chattet in ihrer Freizeit mit Jugendlichen, die tieftraurigsind. Hauptsache ist: zuhören

Erklär mir die LiebeWas wäre, wenn das eigene, zwanzig Jahre ältere Ich uns Liebestipps geben könnte? Ein Gedankenspiel von Jana Hensel

Der reinste HorrorArsen und Spitzenhäubchen: Regisseur Jan Bosse fi ndet eine alte Broadway-Klamotte erfrischend zeitgemäß

Die FremdenKafka: Choreograph Marco Goecke explo-riert für sein neuestes Ballett Franz Kafka.Und entdeckt einen Seelenverwandten

3

6

12

13

14

16

18

21

24

28

32

36

42

43

44

44

45

46

BACKSTAGE

Das TreppengesprächJana Neumann (12) und Nora Liebhäuser(12) über die Vereinbarkeit von Schuleund Hobby

In der ProbeWas eine Zuschauerin erlebte, als sieplötzlich mitspielen sollte

Mein Arbeitsplatz Bühnen malerin Verena Spatz kreiert Blumenwiesen, Betonfassaden und beiBedarf auch abblätternde Farbe

AbgeschminktDas Ende vom Lied? Malte Nuding steckt im Stimmbruch und hofft auf einSängerleben nach der Pubertät

Infografi kDie John Cranko Schule macht junge Menschen aus der ganzen Welt zu Profi tänzern

Was war da los?Ein Foto und seine GeschichteFo

tos:

Da

vid

Sp

aet

h; K

ai F

isch

er (a

us

der

Ser

ie »

off

erin

g te

nde

rnes

s«);

Ma

rtin

Sig

mu

nd

Illu

stra

tio

nen

: Ber

nd

Sch

iffe

rdec

ker;

Ch

rist

op

h K

lein

stü

ck

Ze

ich

nu

ng:

Ma

rco

Go

ecke

TiefergelegtMalte Nuding will trotz Stimmbruch

weitersingen

44

Leichen im Keller

Hochstapler, Irre und ein falscher

Präsident: die Komödie Arsen

und Spitzen-häubchen

32

Frühprofi sMal Oper, mal Schauspiel: Jana (links) und Nora stehen auf der Bühne, seit sie sich erinnern können

42

Von bösen Blumen und sanften Menschen Die Oper Der Schaum der Tage erzählt von Colin und Chloé; einem glücklichen Liebespaar, das ver-gebens gegen den Tod ankämpft – in Chloés Brust breitet sich eine Wasserlilie aus. Wir haben gefragt, wie das ist, wenn der Tod so früh nach einem greift. Was hilft, wenn aus Traurigkeit Depression wird undwomöglich Todessehnsucht?

24

Das Leben des Anderen Wie Marco Goecke

Franz Kafka für sich entdeckte. Und was

der Choreograph des Stuttgarter

Balletts in seiner Freizeit noch

alles so zeichnet

36

Jetzt kommt’sProkofjevs Sonate für zwei Violinen macht’s spannend

12

Spuck’s aus!Franziska Baur wird bald Dramaturgie-assistentin. Sie und sieben andere Menschen erzählen, warum sie unbedingt ans Theater wollten

18

Page 4: 00 Reihe5 Nr8 gesamt RZ...Im Belgien des 16. Jahrhunderts kämpft Clärchen an der Seite ihres Liebsten, Egmont, gegen die Spanier – gut geht das nicht aus. Beethoven komponierte

6 7

Foto

: Je

an

&C

lau

de

Augen zu und rein

Auch so kann man eine Rolle einstudieren. Josefi n Feiler, Sopra-nistin der Oper Stuttgart, träumt von Clärchen, dem Mädchen aus Goethes Drama Egmont. Im Belgien des 16. Jahrhunderts kämpft Clärchen an der Seite ihres Liebsten, Egmont, gegen die Spanier – gut geht das nicht aus. Beethoven komponierte die Musik zur Geschichte. Zu hören im 7. Sinfoniekonzert am 9. und 10. Juli in der Liederhalle

FOYER

Page 5: 00 Reihe5 Nr8 gesamt RZ...Im Belgien des 16. Jahrhunderts kämpft Clärchen an der Seite ihres Liebsten, Egmont, gegen die Spanier – gut geht das nicht aus. Beethoven komponierte

98 98

Foto

:S

tutt

gart

er B

all

ett

Große Klasse!

Auf diesen Moment haben sich die Schülerinnen und Schüler ein Jahr lang vorbereitet. Sie alle besuchen die John Cranko Schule, und zwei-mal pro Jahr gehört das Stuttgarter Opernhaus ihnen. Die Vorstel-lungen sind natürlich auch für das Publikum ein Highlight, denn die Schüler, die es bis hierher geschafft haben, sind schon jetzt Aus-nahmekönner. Am 9. und 16. Juli auf der Bühne und als kostenlose Liveübertragung im Park

FOYER

Page 6: 00 Reihe5 Nr8 gesamt RZ...Im Belgien des 16. Jahrhunderts kämpft Clärchen an der Seite ihres Liebsten, Egmont, gegen die Spanier – gut geht das nicht aus. Beethoven komponierte

1110

Foto

: Ma

uri

ce W

eiss

/ O

STK

RE

UZ

Des Rudels Kern

Was ist wichtig? Familie, Freund-schaft, Gesundheit, sagen die meisten Menschen. Beobachtet man, was sie wirklich tun, scheint es eher um Protz und Prestige zu gehen. Molière stellt in seiner Komödie Der Menschenfeind die französische Hofgesellschaft des 17. Jahrhunderts bloß, das Schauspiel Stuttgart macht daraus eine Party für Darsteller und Publikum. Ab 7. Juli im Foyer des Schauspielhauses

FOYER

Page 7: 00 Reihe5 Nr8 gesamt RZ...Im Belgien des 16. Jahrhunderts kämpft Clärchen an der Seite ihres Liebsten, Egmont, gegen die Spanier – gut geht das nicht aus. Beethoven komponierte

12 13

FOYER

Das Stuttgarter Hutzelmännlein, Minute 64 »Wenn der Satz fällt, versteht Seppe, die Hauptfigur, das als Auffor de -rung, ein Schwein zu schlachten. Christian Czeremnych (der den Seppe spielt) greift sich einfach die nächstbeste Person: Felix Mühlen. Der schreit, quiekt, und als ihm

der Bauch aufge schlitzt wird, fließt so viel Blut, dass nicht nur die Zuschauer, sogar auch wir Schauspieler nur noch ein Schwein in ihm sehen. Dafür liebe ich Theater: Mit einem Satz erschaffen wir eine neue Welt.«

Feuerprobe

Fairytale

Splatter

Don Quijote, 3. Akt, Grand Pas de deux »Es ist das große Finale des Balletts, der Moment, wenn Kitri und Basilio sich endlich kriegen. Der Fokus liegt auf den Hauptdar-stellern, die ein technisch höchst anspruchs-volles Feuerwerk vollführen müssen. Alles muss perfekt sein, jeder im Saal spürt das. Wenn das Orchester die ersten Takte der Musik spielt und die beiden Tänzer voller Adrenalin hinter den Kulissen warten, liegt die Spannung wie ein Knistern in der Luft.«

DAVID MOORE ist Erster Solist beim Stuttgarter Ballett und hat die Rolle des Basilio in Don Quijotebereits selbst getanzt. Neben den

Vorstellungen im Opernhaus wird Don Quijotebei Ballett im Park am 8. Juli gezeigt

Sergej Prokofjev, Sonate für zwei Violinen, 3. Satz »Bei Prokofjev habe ich immer das Gefühl, seine langsamen Sätze sind Märchenerzählungen. So auch in dieser Sonate. Im dritten Satz wissen wir bis zum letzten Akkord nicht, wie die Geschichte ausgehen wird – ob gut oder

ALEXANDER JUSSOW ist Geiger im Staatsorchester Stuttgart und wirkt mit beim 7. Kammer-konzert am 28. Juni

VIKTORIA MIKNEVICH spielt in dem Stück ebenfalls mehrere Rollen. Ab September gehört sie fest zum Ensemble des Schauspiels Stuttgart

Und einstmals hatten sie ein Schwein gemetzelt

böse. Es ist völlig unvorhersehbar. Die Musik schwankt zwischen Dur und Moll. Am Ende erwarte ich einen G-Dur-Akkord, aber Prokofjew schreibt ein ganz leises g-Moll. Das Märchen geht wohl nicht gut aus.«

Die Frage höre ich über-raschend oft, bei Verfilmungen

scheint das jedem einzu- leuchten. Denn wie im Film geht

es im Theater darum, gute Geschichten zu erzählen. Es gibt

viele interessante Stücke, aber eben auch tolle Romane,

die uns heute noch etwas zu sagen haben. Natürlich ist es

eine große Herausforderung, einen 600-Seiten-Roman wie

Nikolai Gogols Die toten Seelen so zu bearbeiten, dass das

Besondere der Geschichte er- halten bleibt. Das gilt aber

auch für Schillers Räuber: Wenn man dieses Drama nicht

kürzt, braucht man fünf Stun- den. Es kann – wie beim

Film – vorkommen, dass der Zuschauer vom Ergebnis

enttäuscht ist. Oft ist es aber so, dass Dinge, die man im Roman

überlesen hat, erst durch das Theaterstück wieder in den

Fokus rücken. Man wird einem Roman trotzdem nicht

immer gerecht. Ich finde aber, der Versuch ist es wert.

Das Protokoll führte Christoph Kolossa. Wenn Sie auch

eine Frage haben, dann schreiben Sie uns eine E-Mail an

[email protected]

Warum bringt man

Romane auf die Bühne?

ARTHUR SCHLAGE (18), Schüler aus Hamburg, fragt:

CARMEN WOLFRAM (53), Dramaturgin am Schauspiel

Stuttgart, antwortet:

JETZT KOMMT’S!

Es gibt Momente, da wird es noch stiller im Saal. Menschen an den Staatstheatern Stuttgart

und ihre Lieblingsszenen

Foto

:Jo

ha

nn

es E

rler

; Seb

ast

ian

Kle

in; R

om

an

No

vitz

ky; S

tutt

gart

er B

all

ett;

Fa

bia

n S

chel

lho

rn; A

nn

ette

Ca

rdin

ale

Das Requisit Das zierliche Gefäß istnur zehn Zentimeter lang und ein-einhalb Zentimeter breit. Von den oberen Rängen aus kann man es kaum erkennen. Doch dieses Fläsch-chen aus Messing, das Julia da in der Hand hält, erzählt die Geschichteeiner Wandlung.

Romeo und Julia, dritter Akt, dritteSzene. Julia ist allein in ihrem Schlaf-zimmer. Die von ihren Eltern arrangier-te Hochzeit mit dem wohlhabendenParis steht bevor, aus der sie sich zu winden versucht. In ihrer Verzweiflunghat die junge Frau sich an Pater Lorenzo gewandt, der ihr ein Fläsch-chen überreichte. Der Trank darin soll sie in einen todesähnlichen Schlafversetzen. Romeo, so der Plan, wird sie dann aus der Familiengruft retten.

Es ist eine Kernszene des Hand-lungsballetts. Wenn Julia lieben will, muss sie eine Entscheidung über ihr Leben treffen. Der Todesschlaf ist ihr

Übergang vom Mädchen zur Frau. Auch für die Tänzerin, die die Julia darstellt, bedeutet der Moment eine Verwandlung: ein Solo ohne Tanz, die schwierigste Szene, die man sich für eine junge Tänzerin vorstellen kann. Die Bewegungen der Julia sind gehetzt. Sie setzt sich, steht auf, die Flasche an ihren Körper gepresst. Zunächst zögert, dann trinkt sie. Reißt die Augen auf, drückt ihre Keh-le, schlingert, stürzt zu Boden. Jede Sekunde ist choreographiert – doch sie tanzt keinen einzigen Schritt.

Die Szene stammt aus den Anfän-gen des Choreographen John Cranko und der Ballerina Marcia Haydée. DasSolo ohne Tanz war der Anfang einer Zusammenarbeit, die beide zu Weltstars machte. Haydée erzählt oft, wie Cranko sie mit Romeo und Julia zu einer »Tänzerschauspielerin« machte. »Bis zum Pas de deux im dritten Akt bist du eine Tänzerin«,

sagte er. »Ab dann bist du eine Schau-spielerin. Ich will nicht, dass du läufst und stehst wie eine Tänzerin. Wenn du das Gift nimmst, mache es normal.« Er wollte den inneren Kampf sehen, wollte fühlen, wie Julia mit sich ringt. So lernte Haydée, Tanz und Dramatik zu verbinden.

Drei dieser Fläschchen sind am Stuttgarter Ballett im Umlauf; auch während der Vorstellungen bleiben sie leer. Ursprünglich wollten Cranko und der Bühnenbildner Jürgen Rose ein Gefäß aus Glas benutzen. In den Proben fiel es in Scherben – einNo-Go auf der Tanzbühne. Im Fundusdes Opernhauses fanden sie schließ-lich das heutige Modell. Der erste Auftritt des Fläschchens liegt schon 55 Jahre zurück. Jana Petersen

Solo mit Flakon

ROMEO UND JULIA Ballett von John Cranko nach William Shakespeareab 7. Juni im Opernhaus

Page 8: 00 Reihe5 Nr8 gesamt RZ...Im Belgien des 16. Jahrhunderts kämpft Clärchen an der Seite ihres Liebsten, Egmont, gegen die Spanier – gut geht das nicht aus. Beethoven komponierte

Die Stuttgarter Staatstheater bieten Oper, Ballett und Schauspiel aufhöchstem Niveau. Private Förderung trägt dazu bei, dieses herausragende

und umfassende Kulturprogramm aufrechtzuerhalten.

Das Engagement des Fördervereins der Staatstheater Stuttgart reicht vonder Unterstützung von Theaterprojekten an Schulen, der Finanzierung von

Stipendien bis hin zur Förderung besonders wichtiger Produktionen.

Als Mitglied oder Stifter sind Sie bei uns in bester Gesellschaft. Erleben SieTheater hautnah – bei Proben, Sonderveranstaltungen und exklusiven

Gesprächen mit den Künstlern der Staatstheater. Wir informieren Sie gerne:

förderverein der staatstheater stuttgart e.v.

Am Hauptbahnhof 2, 70173 StuttgartTelefon 0711.12 43 41 35Telefax 0711.12 74 60 93

info@foerderverein-staatstheater-stgt.dewww.foerderverein-staatstheater-stgt.de

IBAN: DE66 6005 0101 0002 4130 04BIC: SOLADEST

förderverein der staatstheater stuttgart e.v.

SPITZENKUNST FÖRDERN –EXKLUSIVE VORTEILE GENIESSEN

FFS16_Anzeige_neues_Format_208x268_BEL.indd 1 17.02.16 17:20

14

FOYER

W enn ihre Mutter in der Maske für einen Auf-tritt verwandelt wurde, schauten Liviya und Lara Flamme zu und schminkten sich

auch. Sang die Mutter in der Generalprobe, saßen sie hinter den Kulissen und ließen sich von der Aufregung der anderen Künstler anstecken. Für die Schwestern war die Oper ein großes Abenteuer: »Wir fanden es cool.« Für ihre Mutter Helene Schneiderman, Kammersängerin der Oper Stuttgart, war es der Traumberuf, aber auch harte Arbeit. Vor allem wenn sie müde von den Proben nach Hause kam und nur noch sagte: »Ich muss jetzt meine Stimme schonen.«

Die Mädchen wussten bald, dass sie auch Musik ma-chen wollten. »Nur war uns das Notenlesen zu aufwen-dig, wir spielten lieber nach Gehör«, sagt Liviya. Fragten Kollegen und Fans der Mutter, ob sie ebenfalls sängen, sagten die Schwestern: »Ja. Aber Pop.« Da flaute das Interesse schnell ab. Schlimm fanden sie das nicht. »Wir hätten immer in Mamis Schatten gestanden«, sagt Liviya. Sie gingen lieber eigene Wege. Anfangs filmten sich die beiden beim Covern von Songs und stellten die Videos ins Netz. Seit zehn Jahren nehmen sie Gesangs-

unterricht. Lara ist Frontfrau der Funk-Gruppe Fairy’Nuff und studiert Sexologie. Liviya singt in der Elektroband enter name here (die heißt wirklich so). Sie studiert an der Akademie Deutsche Pop. Bis sie von ihrer Musik le-ben kann, arbeitet sie als Logopädin, trainiert Sänger und gibt selbst ihrer Mutter gelegentlich Tipps.

Dass Helene Schneiderman zu den gefragtesten Mezzosopranistinnen der Welt gehört, fanden die beiden toll, meistens jedenfalls. Sie durften mit ihr zu Auftritten nach Paris und Toronto fliegen, andererseits sahen sie sie oft wochenlang nicht. »Das waren schwere Zeiten.« Heute träumen die Schwestern von einem Auftritt mit der Mutter. »Jede von uns hat eine Stärke, mit der sie die Schwäche der anderen ausgleicht«, sagt Lara. »Liviyas Stimme ist dunkler, eine starke Hauptstimme. Ich singe heller.« Dazu der Mezzosopran eines Opernstars – per-fekt. Eins wäre allerdings genauso tabu wie früher: der Mutter die Pausenbanane wegzuessen. Isabel Stettin

Sex, Pop und LogopädieSingen? Super. Aber keine Arien! Lara und Liviya Flamme sind musikalisch wie ihre berühmte Mutter, Helene Schneiderman – und leben ihren eigenen Traum

UNSERE WEGE

LIVIYA 1989New JerseyUSA

1989 StuttgartDeutschland

2014Heidelberg

LARA 1992New Jersey USA

1992 Stuttgart

2015YorkGroßbritannien

2016Stuttgart

LIVIYA (27, links) und LARA FLAMME (24) haben als Kinder ihre Gartenhütte selbst bemalt. Infos zu ihren Bands gibt’s auf Facebook

Foto

:R

ain

er K

wio

tek

Helene Schneiderman, die Mutter der beiden, ist ab 11. Juni als Gräfin in Peter Tschaikowskys Oper PIQUE DAME und am 23. Juli im 6. LIEDKONZERT mit Liedern der jiddischen Operette zu erleben

Page 9: 00 Reihe5 Nr8 gesamt RZ...Im Belgien des 16. Jahrhunderts kämpft Clärchen an der Seite ihres Liebsten, Egmont, gegen die Spanier – gut geht das nicht aus. Beethoven komponierte

FOYER

16

Foto

:Fa

bia

n S

chel

lho

rn

N ein, die Schauspielerei war kein Kindheits-traum, sagt Christian Czeremnych. Er wollte Journalist werden, weil er es liebt, sich immer

neue Themen anzueignen, dem Miteinander der Men-schen in Gesellschaft und Politik auf den Grund zu gehen. Zum Schauspiel kam er eher zufällig.

Aufgewachsen und zur Schule gegangen ist Czerem-nych in Bergisch Gladbach. Köln liegt ganz in der Nähe, und während der Abizeit ging er dort ins Theater. »Da hat es mich geflasht«, sagt er. »Ein paar von den Darstellern vermochten es, sich auf der Bühne zu verwandeln und gleichzeitig sie selbst zu sein.« Ihm wurde klar, auch am Theater wechseln die Themen ständig, »doch Schauspie-ler lassen das viel näher an sich ran«. Sich selbst zum Medium der Auseinandersetzung machen, das fand er interessant. »Ich wollte meinen Körper und meine Per-sönlichkeit zur Verfügung stellen.«

Er schloss sich in Köln einer Jugendtheatergruppe an, sprach an Schauspielschulen vor, und bald bekam er Nachricht: ein Studienplatz an der Schauspielschule in Stuttgart. Zum Schauspiel Stuttgart kam Czeremnych als Student in seinem praxisorientierten Studienjahr.

Umso vertrauter waren ihm der Ort und die Kollegen, als er fest ins Ensemble übernommen wurde.

Beim Sommertheater im Foyer des Schauspielhauses übernimmt er die Hauptrolle in Molières Der Menschen-feind. Er spielt den Alceste, einen melancholischen Mann, der an dem oberflächlichen, verlogenen Getue am Hof des Sonnenkönigs verzweifelt.

In diesen Charakter steigt Czeremnych mit seinen 27 Jahren nun ein. Was den Schauspieler und den Men-schenfeind verbindet: Wie Alceste regt es ihn auf, wenn Menschen nur noch über Arbeit, Geld und Mode reden. Doch anders als im Dramentext wird er sich nicht von der Welt abwenden. »Mein Alceste kämpft. Er will die Gesellschaft verändern, er fordert, rückhaltlos ehrlich zu sein, mit sich und allen anderen.« Kann sein, dass das nervt oder komisch wirkt, vielleicht naiv. Das Risiko geht der Schauspieler gern ein. »Gerade in diesen Zei-ten. Ich glaube, dass die junge Generation sich nicht in Partys flüchten darf. Sie sollte sich einmischen, auch mit Mitteln des Theaters.« Hiltrud Bontrup

Im WiderstandSich auflehnen,

am Normalen rütteln, das reizt den Schauspieler.

Jetzt spielt er eine Rolle, die perfekt dazu passt

MEIN WEG

1990Bergisch GladbachDeutschland

2011Köln

2011Stuttgart

CHRISTIAN CZEREMNYCH (27) machte seine Ausbildung an der Staatlichen Hoch-schule für Musik und Darstellende Kunst in Stuttgart. Nun spielt er den Alceste in Molières Der Menschenfeind

DER MENSCHENFEIND von Molière. Premiere am 7. Juli, Sommertheater im Foyer des Schauspielhauses

SAMMLUNG KLEIN

Über den Umgang mit Menschen, wenn Zuneigung im Spiel ist.

15.07. – 05.11.2017

Sea

n Sc

ully

, Lan

dlin

e G

reen

Whi

te (

Det

ail)

, 201

4, Ö

l auf

Alu

min

ium

, 215

,9 x

190

,5 c

m, S

amm

lung

Kle

in, F

oto:

Sea

n Sc

ully

, © S

ean

Scul

ly /

Cou

rtes

y Ke

rlin

Gal

lery

, Dub

lin

Page 10: 00 Reihe5 Nr8 gesamt RZ...Im Belgien des 16. Jahrhunderts kämpft Clärchen an der Seite ihres Liebsten, Egmont, gegen die Spanier – gut geht das nicht aus. Beethoven komponierte

BÜHNEBÜHNE

THEATERWas sind das für Leute, die jeden Tag auf der Bühne stehen?

Muss man da nicht auch ein bisschen verrückt sein? Was macht eigentlich ein Dramaturg? Sind die Schlosser dort

noch Handwerker oder schon Künstler? Wie entspannt man den Körper, wenn man den ganzen Tag lang tanzt?

Wie tri£ t man den Ton, wenn alle durcheinandersingen?Acht Menschen erzählen, wie viel Spaß sie haben, wenn sie

den ganzen Tag lang üben, üben, üben

PROTOKOLLE: HILTRUD BONTRUP, JANA PETERSEN FOTOS: DAVID SPAETH

WIR lernen,

gestalten, machen

Franziska studiert Philosophie in Paris, im September startet sie als Dramaturgieassistentin am Schauspiel Stuttgart: »Bevor ich in Stuttgart anfange, wollte ich noch mal Abstand gewinnen, mich in Bücher vertiefen. Aber ich gehe auch in Paris oft ins Theater. Mittlerweile weiß ich, in Frankreich sind Dramaturgen meist die Autoren der Stücke, in Deutschland haben sie ganz andere Aufgaben. Sie arbeiten fest an einem Haus, überlegen, was das Publikum interessiert, wäh-len die Stücke aus, sind verantwortlich für den Text, sie sitzen

bei den Proben und nehmen die Perspektive des Zuschauers ein … Vor allem arbeiten sie ganz eng mit dem Regisseur zu-sammen. In all das gewinne ich bald als Assistentin Einblick, aber ich weiß schon aus meiner Zeit als Hospitantin: Die Leu-te, die ein Theaterstück entwickeln, verbringen eine intensive Zeit miteinander. Sie probieren viel aus, diskutieren, wie eine Szene angelegt sein sollte, was man am besten weglässt. Dabei kann es auch mal richtig knallen, aber das halte ich aus. Diese Reibung bringt sehr schöne Früchte.«

FRA

NZ

ISK

A B

AU

R, 2

4 J

AH

RE

18

Page 11: 00 Reihe5 Nr8 gesamt RZ...Im Belgien des 16. Jahrhunderts kämpft Clärchen an der Seite ihres Liebsten, Egmont, gegen die Spanier – gut geht das nicht aus. Beethoven komponierte

21

FRA

NZ

ISK

A B

ENA

CK

, 30

JAH

RE

Franziska leitet seit 2016 die Produktionen der Veran-staltungsreihe Nordlabor: »Im Nordlabor wollen wir die vierte Wand einreißen. So nennen wir am Theater die unsicht-bare Trennung zwischen Bühne und Publikum. Bei uns sollen Künstler und Zuschauer gemeinsam etwas machen. Viele Zu-schauer haben Angst davor, sie fürchten, etwas Dummes zu sagen. Das kann ihnen hier nicht passieren. Bei der Aktion Meet the Performer stellen wir eine Box im Foyer auf. Sie ist gerade mal groß genug für einen Gast und den Performer.

Das kann ein Schauspieler sein, aber auch ein Rüstmeister oder Maskenbildner. Küche und Kultur haben sich zwei Schau-spielerinnen ausgedacht. Nach der Vorstellung laden wir das Publikum an eine gedeckte Tafel ein. Neulich hat einer der Kö-che Rezepte seiner Oma nachgekocht. Wenn man so zusam-mensitzt, spielt es keine Rolle, wer Künstler ist und wer nicht. Es fühlt sich an, als würde man mit Freunden Wein trinken. Das passt zu unserem Motto: ausprobieren, experimentieren. Es ist kein Problem, wenn wir scheitern. Das gehört dazu.«

Neco Çelik, gibt es für junge Kreuzberger etwas Uncooleres als Oper?Das hat wenig mit Kreuzberg zu tun. Die meisten Jugendlichen haben, wenn sie nicht gerade aus einem Bildungsbürgerhaushalt kommen, keinen Kontakt in diese Richtung. Aber das liegt auch an der Oper selbst, die zu selten an diese Gruppe denkt. Es ist ein gestörtes Verhältnis.Was hätte der zwanzigjährige Neco Çelik von der Oper gehalten?Es wäre drauf angekommen, wie sie insze-niert gewesen wäre. Ich war immer sehr musik affi n und sehr neugierig – auch wenn ich aus einer ungebildeten Gastarbeiter-familie stamme, in der es noch nicht einmal Bücher gab. Ich habe aber alles aufgesaugt, während sich andere nur auf die Fresse ge-hauen haben. Allerdings waren meine mu-sikalischen Kontakte früher eher Hip-Hop. Warum sollte ich mir als junger Mensch etwa Benjamin anschauen?Weil es ein spirituelles Erlebnis ist, weil in ei-ner Oper urmusikalische Elemente ihre Kraft entfalten, die Stimmen. Wenn dreißig Chor-leute und zehn Solisten ihre Stimmen erhe-ben, ist man völlig weg. Außerdem sind mei-ne Stücke immer ein Erlebnis, weil ich es mit Brecht halte: Theater muss Spektakel sein. Sie waren in einer legendären Kreuzberger Gang, den 36ern, benannt nach der früheren Postleitzahl des Bezirks. Was sagen Ihre alten Kumpel heute zu Ihrer Kunst?Die sind begeistert und stolz und freuen sich, obwohl sie keine Ahnung haben von der Materie, aber das ist es ja auch, was echte

Wenn Sie über Ihre Vergangenheit bei den 36ern reden, geht es oft um Gewalt und Respekt. Und Respekt, der nur durch Gewalt entsteht. Hört sich an wie die Hölle. Damals empfand man das nicht so, es war halt eine Jugendkultur, die auf Gewalt basierte und aus Amerika übernommen wurde, weil sie einen Nerv traf und wir Langeweile hatten. Mit dieser Kultur wurde man entweder kreativ oder gewalttätig, das war ein unglaublich schmaler Grat. Ich bin Künstler geworden. Das hätte damals auch niemand gedacht. Warum spielt und spielte Gewalt eine so große Rolle?Gewalt ist ein Mittel in allen Schichten, um sich Respekt zu verschaffen. Allerdings einen Respekt, der auf der Angst der anderen grün-det, nicht auf der eigenen Leistung. Diesen Unterschied merken viele erst, wenn sie im Knast gelandet sind.

Es geht immer um Respekt , haben Sie einmal gesagt. Andere reden von

Ehre . Das klingt konkret und ist doch schwammig. Was versteht man darunter?Das kann man schwer erklären, im Grunde geht es immer um den Ruf. Das ist die wich-tigste Währung. Wenn man selbst nichts hat oder macht, für das einen andere respek-tieren könnten, ist Gewalt eine schnelle Lö-sung. Aber sie ist ein fl üchtiges Mittel – und am Ende hast du nur noch Feinde. Sport oder Kreativität sind da dauerhafter. Das sehen aber einige zu spät ein. Ist es heute denn anders als früher?

Freundschaft ausmacht: Sie unterstützen mich. Ich sage ihnen immer: Kommt, und schaut es euch mal an. Und folgen sie dem Lockruf? Ich glaube, bis jetzt hat es nur einer geschafft (lacht). Der Alltag, die Arbeit, es gibt ja im-mer tausend Gründe, warum es nicht klappt. Aber es geht auch um das Gefühl, dass sie vielleicht nicht dahin gehören. Da geht es ih-nen wie vielen Jugendlichen. Diese Orte der Hochkultur suggerieren oft, dass man etwas Besonderes sein muss, um da sein zu dürfen. Das grenzt brutal aus.Was kann man dagegen tun?Es gibt Intendanten, die sich dabei große Mühe geben. Auch die Anwesenheit von je-mandem wie mir macht einen Unterschied aus. Ich habe eine bunte Biografi e, man kennt mich aus der Hip-Hop-Szene, das erleichtert Jüngeren die Identifi kation.

»Dein Ruf ist die wichtigste Währung«

Was für eine Geschichte! Neco Çelik wuchs als Sohn türkischer Gastarbeiter in Berlin-Kreuzberg auf, war Gangmitglied, Gra¤ tisprayer,

Typograf und Erzieher. Parallel fi ng er an, Filme zu drehen. Seit 2006 inszeniert er Stücke als Theater- und Opernregisseur.

Ein Gespräch über Lebenswege und Auswege

INTERVIEW: RAINER SCHMIDT

Straßenschlau: Neco Çelik (45). Für die Junge Oper Stuttgart

führte er 2011 erstmals Regie bei Gegen die Wand, der Oper nach

Fatih Akins gleichnamigem Film

Foto

: N

eco

Çel

ik

BÜHNE

Page 12: 00 Reihe5 Nr8 gesamt RZ...Im Belgien des 16. Jahrhunderts kämpft Clärchen an der Seite ihres Liebsten, Egmont, gegen die Spanier – gut geht das nicht aus. Beethoven komponierte

23

BÜHNE

22

sind Väter geworden, leben ein normales Leben. Nur ein kleiner Teil ist im Gefängnis gelandet, wurde drogenabhängig oder ist tot – trotzdem natürlich traurig. Gerettet ha-ben uns neben unserer Freundschaft auch unsere Erfahrungen zu Hause: Wir sind die Kinder der Gastarbeiter, ihr Zusammenhalt, das Familienleben, das Archaische auch prägen einen, selbst in einer sogenannten modernen Gesellschaft, selbst wenn bei mir zu Hause etwa null Bildung war. Was mir meine unqualifizierten Eltern auf anderer Ebene mitgegeben haben, hat mich stark gemacht. Sie, das Kind der Gastarbeiter der ersten Generation, haben mit Filmen neben der Erziehertätigkeit angefangen. Für die Oper Gegen die Wand haben Sie den Preis Der Faust gewonnen. Der Schrift- steller Feridun Zaimoglu, mit dem Sie schon gearbeitet haben, hat den gleichen Background, er gehört heute zu den wichtigsten Autoren des Landes. Bilder- buchkarrieren sozusagen. Wie kann das anderen mit ähnlichem Hintergrund auch gelingen?Wir beide sind im Kulturbetrieb und deswe-gen sichtbar, aber es gibt Zigtausende wie uns in anderen Berufen, erfolgreich und normal – ich nenne das die »goldene Gene-ration«. Wir können keine Ratschläge geben, sondern nur Vorbild durch unsere Handlun-gen sein. Jugendliche kann man nicht beleh-ren, man muss ihnen einen Weg vorleben und sie ermuntern, sich selbstbewusst ein-zubringen. Mein Tipp an die Jugendlichen: Wer nichts fordert, wird nichts bekommen und sich weiter ausgegrenzt fühlen. Im Theater wie in der Gesellschaft. Sie haben mal beschrieben, wie sich manche türkischstämmige Jugendliche vielleicht bewusst gegen die deutsche Mehrheitsgesellschaft stemmen, weil ihre Eltern mit dieser so schlechte Erfahrungen gemacht und sich immer ausgegrenzt gefühlt haben. Herkunft spielt eigentlich keine Rolle für Jugendliche, deren Kultur ist so universell, das können wir uns als Erwachsene gar nicht vorstellen. Im Hip-Hop fragt dich keiner da-nach, wo du herkommst. Im Theater übri-gens auch nicht. Da sieht man immer, wie frei die Menschen sich fühlen, wenn sie nicht mehr nach ihrer Herkunft beurteilt werden. Anders ist es leider etwa im Jugendfußball, wie ich als Vater von zwei Jungen weiß. Da sprechen schon zehnjährige deutsche Kin-der von »Ausländern« und »ausländischen Mannschaften«, wenn sie gegen Teams mit

»An der Schule ist es wie im Gefängnis.

Du musst zu einer Gruppe gehören, als

Einzelgänger hast du schlechte Karten«

Ach, es ist jetzt viel komplizierter. Es ist ja alles virtuell geworden, die Jugendlichen treffen sich weniger draußen. Das ist natür-lich gut, weil sie sich weniger auf die Fresse hauen. Aber ein Funke kann auch heute eine Explosion auslösen. Es sind Leute schon für nichts gestorben, in völlig sinnlosen Aus-einandersetzungen. Übrigens auch, weil man denkt, man kann voll reinhauen und dem anderen passiert nicht viel, weil in den YouTube-Filmen auch nie etwas passiert. Aber in echt sterben eben echte Leute.Woher kommt die rohe Gewalt? Spielt es eine Rolle, ob man arm ist oder reich? Es gibt körperliche Gewalt und psychische Gewalt, und natürlich ist körperliche Gewalt mehr in der Unterschicht verbreitet, aber die meisten Amokläufer in Deutschland kom-men aus bürgerlichen Kreisen, wo man auch mal Mitglied im Schützenverein ist. Die psy-chische Gewalt ist nicht so sichtbar, für die Betroffenen allerdings nicht minder grausam, eigentlich sogar gefährlicher. Gerade Benja-min zeigt auch, dass Gewalt vor Blutsbanden

Sie haben lange in einem Kreuzberger Jugend- und Kulturzentrum gearbeitet und sich dabei auch geprügelt – als Erzieher. Dazu haben Sie einmal bemerkt, dass Sie glauben, damit den Jugend- lichen durchaus geholfen zu haben, weil sie somit erstmals Grenzen spürten. Das entspricht aber nicht ganz den Idealen einer liberalen Sozialpädagogik. Natürlich nicht, ich hatte aber das besonde-re Problem, dass mich viele aus der neuen Kreuzberger Generation bereits aus meiner Gang-Zeit kannten und sich jetzt mit mir messen wollten; das war der Geist der Stra-ße, ich konnte mich diesen Situationen nicht entziehen. Irgendwann bin ich dem aus dem Weg gegangen.Sie waren in einer Bande, Sie hatten die Hauptschule gerade mal so gescha¬t, Sie waren in einem teilweise kriminellen Umfeld. Wie kommt man da raus?Es gibt immer eine Chance, besonders hier in Deutschland. Ich würde sogar sagen, nirgends hast du diese Chance so wie in Deutschland. Du musst aber produktiv blei-ben, dir wird nichts geschenkt. Egal in was, es kommt auf deine Leistung an. Aus eigener Kraft – oder ist man auf andere angewiesen?Man braucht auf jeden Fall auch andere – für die Inspiration, für den Perspektivwechsel, für die Motivation, als Vorbild. Ich war frü-her ein sehr guter Fußballer, aber da war der Sport noch nicht so kommerziell, deswegen fehlten mir bald die Motivation und Perspek-tive. Aber eines Tages habe ich etwas gese-hen, jemand hatte den Schriftzug »Dragon« auf eine Wand gesprüht. Das war so schön, so liebevoll und elegant, das hat mich und alle meine Sinne umgehauen. Da wusste ich: Ich will Writer werden. Das war sozusagen Zufall, aber gibt es ein Rezept für den Ausstieg?Es gibt kein Rezept, jeder macht seine Erfah-rung, es muss nur viele Möglichkeiten der Begegnung geben. Theater ist so ein Ort. Ich war in jungen Jahren mal im Grips-Theater, das hat sich bei mir total im Unterbewusst-sein verankert. Als ich viel später gefragt wurde, ob ich ein Stück des Schriftstellers Feridun Zaimoglu inszenieren will, habe ich als Filmregisseur gesagt: »Cooles Experi-ment!«, wusste natürlich nicht sofort, was zu tun ist – aber mein Mut hatte sicher mit der Erfahrung aus der Grips-Theater-Zeit zu tun. Sie wurden Künstler, andere aus Ihrer Gang haben den Ausstieg nicht gescha¬t.Rund neunzig Prozent haben es anderswo geschafft, haben normale Berufe ergriffen,

Migrantensöhnen antreten. Das lernen sie von ihren Eltern vom Spielfeldrand, das ist unfassbar, was da abgeht.Ihre eigene Herkunft hat Sie für einige zum Spezialisten für Herkunfts- fragen werden lassen, ein Etikett, das Sie immer schon genervt hat.Ja, ein unangenehmer Kampf. Es muss bei mir immer um Perspektive, Ästhetik und Haltung gehen, nicht aber um Herkunft, das habe ich der Theaterwelt, die mit mir zu tun hat, klargemacht. Herkunft ist kein Faktor, der irgendetwas besser macht. Auf der Bühne geht es nur um den gemeinsa-men Nenner, da gibt es nur das eine Wir, das ist mein Konzept.Benjamin hat auch eine positive Botschaft, denn der verstoßene Sohn Josef überlebt, macht Karriere und rettet später seine Familie, beson- ders den Lieblingsbruder Benjamin. Das ist definitiv eine der vielen Botschaf-ten, ja. Aber es geht auch um die Maß-losigkeit der Liebe des Vaters zu Benjamin, die diesem zu schaffen macht. Der Kampf um unsere Maßlosigkeit steht eigentlich im Mittelpunkt des Stücks. Ich habe den Ben-jamin mit einem Tänzer besetzt, der nichts sagt, sodass man nicht genau weiß, ob das nun der Benjamin ist oder ob der für etwas anderes steht, etwa Gott, der alle prüft. Wenn Sie die Wahl hätten, wie sähe Ihr ideales Publikum für Benjamin aus?Wie ein ganz normaler Querschnitt der Be-völkerung. Aber das Schönste ist für mich immer, wenn ich junge Menschen durch die Tür kommen sehe, die sich mit größter Selbstverständlichkeit ein Stück ansehen.Denken Sie nicht manchmal, dass Sie mit Filmen mehr von denen erreichen würden als mit einer Oper?Nein, denn wo nachgedacht werden muss, wo es nicht Mainstream ist, hast du immer weniger Leute, egal ob das ein anspruchs-voller Film ist oder eine Oper. Wir sind in der Hochkultur unterwegs, da sind die An-sprüche noch einmal anders. Aber wenn die Zuschauer nach Hause gehen, nehmen sie diese Bilder und Eindrücke mit, die nachts wiederkommen, und das ist diese tolle Magie, die es nur auf der Bühne gibt. Hat diese Magie im digitalen Zeitalter eine Zukunft? Woanders in der Welt vielleicht nicht, in Deutschland auf jeden Fall. Das ist ein we-sentlicher Teil der hiesigen Kultur und der intellektuellen Macht. Wir inspirieren mit unseren Arbeiten die ganze Welt, alle kom-men her, um zu lernen. Das ist doch toll.

Worum geht’s?

Die Oper Benjamin – eine Produktion der Jungen Oper Stuttgart – ist für alle Menschen ab vier-zehn Jahren gedacht. Sie erzählt eine uralte Geschichte über Bluts-bande, Gewalt, Ehre und Erlösung. Im Kern steht die Josefssage, die sowohl in der Bibel als auch im Koran vorkommt. Sie handelt von Josef, dem Lieblingssohn seines Vaters. Die zehn älteren Brüder hassen und de- mütigen ihn dafür; nur Benjamin nicht, der jüngs-te, den Josef abends regelmäßig in den Schlaf singt. Eines Tages fallen die Brüder über Josef her und verkaufen ihn an Sklavenhändler. Als Jahre später eine furcht-bare Dürre aufkommt, schickt der Vater seine Söhne nach Ägypten, um Nahrung zu besorgen. Dort ist Josef mittlerweile Statthalter des Pharaos geworden. Er stellt nun seine Brüder auf die Probe, verlangt von ihnen ein Menschenopfer: Benjamin!

BENJAMINvon Gion Antoni Derungs Premiere am 23. Juni im Kammertheater

36er nannte sich Neco Çeliks Kreuzberger Gang. Seine alten Kumpel sind heute Rapper, Musikproduzenten, Sozialarbeiter und Künstler. Ein Sternekoch ist auch dabei: Tim Raue

nicht haltmacht – und dass sie uns Menschen von Anfang an begleitet, auch wenn wir mei-nen, kultiviert zu sein. Sie äußert sich heute vielleicht in einigen Kreisen subtiler, aber sie ist immer da. Es kann jederzeit kippen.Wie kann man, wenn man sechzehn oder siebzehn ist, der Bedrohung durch Gewalt, den Demütigungen und Erniedrigungen entkommen? Man muss versuchen, auszuweichen und Freunde zu finden, die einen schützen kön-nen. An den Schulen ist es wie im Gefängnis: Man muss zu einer Gruppe gehören, als Ein-zelgänger hat man ganz schlechte Karten. Il

lust

rati

on

en:

Ch

rist

op

h K

lein

stü

ck

Page 13: 00 Reihe5 Nr8 gesamt RZ...Im Belgien des 16. Jahrhunderts kämpft Clärchen an der Seite ihres Liebsten, Egmont, gegen die Spanier – gut geht das nicht aus. Beethoven komponierte

24 25

BÜHNE

Bitte geh nicht fort

Depression ist die zweithäufigste Todesursache (nach Autounfällen) für junge Menschen unter zwanzig. Wer tieftraurig ist, will nicht reden, schon gar nicht mit einem

Erwachsenen. Viele junge Menschen bieten daher ihre Hilfe an – in Chats, am Telefon und per Mail. Eine von ihnen ist Tamala. Warum wir diese Geschichte erzählen? Weil es

an der Oper Stuttgart eine Inszenierung gibt, die von einem Liebespaar handelt; im Brustkorb der Frau wächst eine Blume, die sie umbringt. Die Blume lässt sich als

Metapher für Krebs lesen. Aber auch für Depression

PROTOKOLL: PATRICK BAUER

Tamala (18) arbeitet seit zwei Jahren bei Youth-Life-Line.

Tamala ist nicht ihr richtiger Name, für ihre Arbeit verwendet

sie diesen Nickname. Mehr Infos zur Beratung unter

www.youth-life-line.de

Worum geht’s?

Der Schaum der Tage ist die Opernfassung des wohl berühmtesten Romans von Boris Vian, Jazzer, Chansonnier, Journalist, Schriftsteller, Party-Animal. L’Écume des jours (erschienen 1946) erzählt die tragi-sche, lebensfrohe und surreale Liebesgeschich-te von Colin und Chloé, in deren Lunge eine Was-serlilie wächst. Ein Arzt verschreibt noch mehr Blumen, viele Blumen, die aber letzten Endes ihr Leben nicht retten. Vian war selbst herz- und lungen krank. Nach seinem frühen Tod 1956 wurde das Buch zum Kultbuch der Hippie-generation. Irgendwann fiel es dem russischen Komponisten Edison Denisov in die Hände, der aus der Liebesgeschichte eine Oper machte. 1986 wurde Der Schaum der Tage uraufgeführt – ein intensives, mal jazziges, mal fast schon musical-artiges Erlebnis. Vor dem Hintergrund von Chloés Krankheit haben wir ge-fragt, wie man Menschen hilft, die auf den Tod zusteuern.

Manchmal hat man einen traurigen Vogel in sich und weiß nicht, warum der so traurige Lieder singt. Warum man diesen tiefen Schmerz

spürt und wie man damit umgehen soll. Wer sich so fühlt oder in einer Krise steckt, kann sich an uns wenden. Er sucht sich einen Nick-name aus und sendet eine verschlüsselte Mail. Auf diesem Weg schreiben uns sehr vie-le Leute, jedes Jahr rund 550. Ich habe bislang acht begleitet, meistens dauert das mehrere Monate. Im Durchschnitt sind sie sechzehn Jahre alt, rund zwei Drittel sind Mädchen.

Für viele ist es unvor-stellbar, mit einem Erwach-senen über Schulstress, Streit mit den Eltern oder Selbstmordgedanken zu reden. Mit Gleichaltrigen geht das einfacher. Wir freunden uns nicht an, und ich gebe nur wenig über mich preis: meinen Beraternamen, mein Alter, und auf der Website ist ein Foto von mir zu sehen. Die Ausbildung zur Beraterin habe ich vor zwei Jahren gemacht, da war ich sech-zehn und machte ein frei-williges soziales Jahr im Kindergarten.

Wir kommunizieren nur per Mail. Ich muss jedes Wort abwägen. Wenn sich zum Beispiel jemand ritzt, sage ich nicht: Hör auf damit! Ich muss akzeptieren, dass sie oder er das jetzt braucht, und frage: Warum? Seit wann? Wie kam’s dazu? Danach überlegen wir uns Lösungen. Könnte Sport eine Alter-native sein? Würde es reichen, sich nur noch heftig zu zwicken? Oder wie sonst lässt sich der Zwang zum Ritzen überwinden?

Einfach nur da sein und das Problem an-derer ernst nehmen, das mag nicht nach viel klingen. Aber die meisten, die uns schreiben, erleben zum ersten Mal: Da hört mir jemand zu, verurteilt mich nicht und sucht mit mir einen Weg aus der Ausweglosigkeit.

Ich habe zum Beispiel ein Mädchen be-raten, das den Leistungsdruck in der Schu-le nicht mehr aushielt und nicht wusste, was es nach der Schule machen sollte.

Nachdem wir lange gemeinsam überlegt haben, was ihr helfen könnte, hat sie Musik für sich entdeckt. Einfach nur Musik hören. Danach fand sie immer die Kraft weiter-zumachen. Am Ende der Beratung hatte sie ihren Schulabschluss! Es ist sehr be-rührend, wenn jemand mich eines Tages nicht mehr braucht.

Ein anderes Mädchen dachte ernsthaft an Selbstmord. Sie nannte sich Nachtigall, war fünfzehn Jahre alt und schrieb in ihrer ersten Mail, alles sei sinnlos, nichts könne sich zum Guten wenden, und sie hasse das Leben. Sie wäre am liebsten jetzt schon

tot. Nur das Ritzen halte sie davon ab. Eine mei-ner Kolleginnen schrieb ihr: Was macht die Welt für dich zur Hölle? Spä-ter stellte sich heraus, dass sie von ihrem Opa missbraucht wurde. Sie begann eine Therapie, und es ging ein paar Wo-chen lang besser. Aber dann wollte sie von ei-nem Hochhaus springen und schrieb sogar einen Abschiedsbrief. Es war ein Auf und Ab. Nur der Kontakt zu uns war eine Konstante. Wir haben sie überzeugt, ihre Therapie

in einem Kinderhospital fortzusetzen. Da-nach schrieb sie, sie brauche unsere Hilfe nicht mehr und wolle weiterleben, mit dem Ritzen hatte sie aufgehört. Sie hatte sogar einen Plan: Sie wollte ihre Geschichte auf-schreiben und damit anderen helfen.

Die Verantwortung, die wir haben, ist rie-sengroß, aber ich trage sie nicht allein. Uns unterstützen zwei Pädagogen bei der Ar-beit. Sie lesen jede Mail, bevor sie rausgeht, und ich habe dadurch nie das Gefühl, etwas falsch zu machen.

Mich hat total geschockt, dass so vie-le Leute meines Alters schwere Krisen durchmachen. 2015 haben sich mehr als 530 junge Menschen in Deutschland das Leben genommen. Wir wissen, wir können nicht alle erreichen, aber wir können einen kleinen Teil dazu beitragen, dass es weniger werden. Das ist mir total wichtig.

Erwachsenwerden ist dramatisch und auch gefährlich. Im Sturm der Verwandlung verlieren viele die Orientierung und die Freude am Leben. Umso wichtiger, dass es Menschen gibt, die den Weg weisen

DER SCHAUM DER TAGEOper von Edison Denisov nach dem Roman von Boris VianWiederaufnahme am 14. Juli im Opernhaus

Illu

stra

tio

nen

:C

hri

sto

ph

Kle

inst

ück

Foto

: Ra

iner

Kw

iote

k

Page 14: 00 Reihe5 Nr8 gesamt RZ...Im Belgien des 16. Jahrhunderts kämpft Clärchen an der Seite ihres Liebsten, Egmont, gegen die Spanier – gut geht das nicht aus. Beethoven komponierte

VIT

TOR

IA G

IREL

LI, 1

9 JA

HR

EVittoria tanzt seit November 2016 im Corps de ballet: »AlsTänzerin muss ich professionell und diszipliniert sein. Ich ar-beite hart, darin bin ich gut. Aber eigentlich würde ich das Tanzen gar nicht Arbeit nennen. Es ist ein Geschenk. Ich tue, was ich liebe, niemand zwingt mich. Für mich ist Kunst der Ausdruck tiefer Leidenschaft. Wenn ich ein paar Tage frei habe, fl iege ich heim nach Italien. Oder nach London, wo mein Freund und meine Schwester

leben. Mit meiner Familie telefoniere ich jeden Tag, meistens abends, manchmal früh am Morgen. Ich habe viele Freunde aus der Schulzeit, mit denen skype ich, und wir schicken uns Nachrichten. Sie fi nden spannend, was ich mache. Manch-mal ist es aber auch hart. Wenn du verletzt bist, musst du für eine ganze Weile aufhören. Das kann sehr frustrieren, deshalb achte ich auf meinen Körper, er ist mein Instrument. Abends nehme ich ein heißes Bad und entspanne meine Muskeln.«

Patrick ist seit einem halben Jahr auszubildender Me-tallbauer und Jugendauszubildendenvertreter: »Gefühlist das Wichtigste, wenn du Metall bearbeitest. Wie fühlt es sich an? Wie reagiert es auf mich? Früher habe ich Philoso-phie und Geschichte studiert, jetzt versuche ich, eine schöne Schweißnaht zu ziehen. In voller Montur, mit Helm, Hand-schuhen, hohen Stiefeln. Die Funken fl iegen. Ich muss noch lange üben, bis ich das richtig gut kann.

Das Theater ist eine besondere Arbeitswelt, das spiegelt sich auch in der Architektur. Die Werkstätten, die Verwaltung, die Säle, organisch zusammengewachsen wie ein großes Gewächs. Es ist mein zweiter Lebensort. Wenn ich erzähle, dass ich am Theater arbeite, fragen die Leute nach Schwertern. Aber meistens bauen wir Gerüste für Bühnenbilder. Vielleicht mache ich noch eine Fortbildung zum Rüstmeister, dann fertige ich tatsächlich die Rüstungen und Säbel.«

PAT

RIC

K F

ISC

HER

, 28

JAH

RE

Page 15: 00 Reihe5 Nr8 gesamt RZ...Im Belgien des 16. Jahrhunderts kämpft Clärchen an der Seite ihres Liebsten, Egmont, gegen die Spanier – gut geht das nicht aus. Beethoven komponierte

28 29

BÜHNE

Erklär mir die Liebe

Sie ist groß, mächtig, wunderschön und irre. Sie macht uns zu Helden. Und zu Kreaturen im Kriechgang. Lässt uns fliegen. Und gleich wieder

abstürzen. Geht das nicht ein bisschen sanfter? Wäre es nicht schön, wir könnten jemanden um Rat fragen, wie die Liebe klappt? Vielleicht unser

zwanzig Jahre älteres Ich? Was würden wir lernen? Nichts

TEXT: JANA HENSEL

In meinem alten Kinderzimmer, also in diesem Zimmer unter dem Dach im Haus meiner Mutter, in dem heute nicht mehr als ein Bett, ein Schrank und ein kleiner Nachttisch stehen,

hängt noch heute ein großes Foto von mir in einem Rahmen an der Wand. Ich sehe da-rauf ein bisschen aus wie eine französische Filmschauspielerin.

Ich meine das gar nicht eitel, sondern eher, weil ich da so kindlich und irgendwie unschuldig und doch schon erwachsen und deshalb wahrscheinlich ein bisschen existenzialistisch in die Kamera schaue. Vielleicht auch altklug. Ich habe auf dem Bild eine ziemlich abgerissene, schwarze Lederjacke an, hochgestellter Kragen, eine Kaffeetasse halte ich in der Hand.

Ich könnte also Gedichte oder Theater-stücke schreiben, auf jeden Fall jemand sein, der mit Worten gerne zu beschreiben versu-

schwerer als Gefühle. Dinge haben Macht, denn sie schaffen Fakten. Sie errichten Gren-zen zwischen Menschen, die Gefühle nur selten einreißen können.

In Ödön von Horváths Stück Kasimir und Karoline ist das auch so. Denn kaum hat Kasimir seinen Job verloren, kaum ist er ab-gebaut, wie es bei Horváth heißt, sucht sich

»Und die Liebe höret nimmer auf«, lautet das Motto von Kasimir und Karoline. Die Liebe ist aber auch ziemlich unergründlich; und weil das Herz ein Muskel ist, schlägt es weiter und weiter, ohne zu wissen, für wen und wieso

chen würde, worum es eigentlich geht. »Fast erwachsen« steht auf dem Bild geschrieben, und ich erinnere mich, dass ein Freund es damals zu meinem zwanzigsten Geburtstag vergrößern ließ und mir zum Geschenk in diesen Rahmen getan hat.

Fast erwachsen. In dem kleinen Wörtchen »fast« steckt die

ganze Wahrheit, steckt ein Leben, eine Welt, beinahe so groß wie ein Kontinent.

Auf eine Art kommt mir diese Welt heute, zwanzig Jahre später, wie das Paradies vor. Aber nur auf eine Art. Denn zu den größten Merkwürdigkeiten des Lebens gehört für mich, dass ich zwar keine große Lust habe, älter und immer älter zu werden, aber ande-rerseits will ich auch nicht mehr jung sein.

Ich möchte mein jüngeres Ich nicht zu-rück. Anders gesagt, ich möchte nicht alt werden, aber ich möchte auch nicht noch einmal jung sein.

Als ich zwanzig Jahre alt war, wusste ich alles über das Leben. Heute weiß ich nichts wirklich Gültiges mehr darüber zu sagen.

Als ich zwanzig Jahre alt war, wusste ich auch alles über die Liebe. Sie schien eine einfache, die fast einfachste Sache der Welt zu sein. Sie brauchte doch nicht mehr als zwei Menschen mit hoffentlich großen Ge-fühlen füreinander.

Heute bin ich mir über die Liebe nicht mehr im Klaren, ganz und gar nicht mehr. Ich kann keinen wirklichen Grund nennen, warum sie sich einstellt, wenn sie sich ein-stellt, warum sie ausbleibt, wenn sie statt-finden soll, warum sie wieder verschwindet, wenn sie doch bleiben soll.

Liebe scheint mir heute die komplizier-teste Sache der Welt zu sein, und manch-mal habe ich den Eindruck, mit Gefühlen hat sie eigentlich nicht viel zu tun. Vielleicht eher mit Ängsten, wahrscheinlich eher mit

Gründen. Also eher mit Dingen wie Herkunft, Elternhaus, Milieu, Vermögen, Prägungen und Ansichten und Erziehung. Dingen also, die sich betrachten und benennen lassen, die man vor sich auf den Tisch legen kann, die in den Augen der anderen, und damit auch in den eigenen, plausibel klingen und nachvoll-ziehbar sind. Heute weiß ich, Dinge wiegen

»Ich schlief neben Män-nern ein, die den ganzen

Abend geschwiegen, Rotwein getrunken und

Musik gehört hatten, die ich nicht verstand«Il

lust

rati

on

:C

hri

sto

ph

Kle

inst

ück

Page 16: 00 Reihe5 Nr8 gesamt RZ...Im Belgien des 16. Jahrhunderts kämpft Clärchen an der Seite ihres Liebsten, Egmont, gegen die Spanier – gut geht das nicht aus. Beethoven komponierte

30

BÜHNE

seine Freundin auf dem Oktoberfest einen neuen Mann, eine hoffentlich bessere Partie.

Man kann das verurteilen, aber wer bin ich, um über Karoline zu richten? Natürlich schauen viele Menschen nicht nur auf das Herz, sondern auch in den Geldbeutel des anderen, auf die Herkunft, das Milieu, wenn sie sich verlieben wollen, wenn sie glauben wollen, sich verlieben zu können.

Mein zwanzigjähriges Ich war anders als Karolines. Ich hatte Bücher über die Liebe gelesen und Filme über die Liebe gesehen, meist mit Happy Endings. Und diese Bücher und Filme handelten von nichts anderem als Gefühlen. Ich glaubte an sie wie an nichts sonst auf der Welt. Mein zwanzigjähriges Ich hing ganz fest in den Fäden des sorglosen Lebens, dick wie Seile kamen sie mir damals vor, unglaublich stabil. Sie zogen mich mal in die eine, mal die andere Richtung. Ich schlief neben Männern ein, kaum älter als ich, die den gan-zen Abend geschwiegen, Rotwein getrunken und Musik gehört hatten, die ich nicht verstand.

Ich wachte neben Män-nern auf, die den ganzen Abend geredet hatten, nicht mit mir, um Gottes willen nicht mit mir, son-dern eher mit sich oder anderen Männern, die ich kaum wagte anzusehen. Sie sprachen über Litera-tur, Politik, den Lauf der Welt, so lange, bis auch der Letzte gegangen war und nur ich noch übrig blieb.

Ich fühlte mich in die-sen Betten nicht aufgehoben. Ich fühlte mich auch nur selten bei mir. Trotzdem war ich sorglos. Ich hätte mir nie gestattet, dass das Leben ohne mich einfach so vorüberzog. Das Leben würde schon auf mich aufpas-sen. Niemand konnte darin untergehen, so jemand wie ich schon gar nicht.

Aber das Leben passt auf niemanden auf. Auch das kann man bei Ödön von Horváth nachlesen. Kommt hier nicht jeder auf seine Art letztlich unter die Räder?

Trotzdem beginnt Kasimir und Karolinemit dem Motto: »Und die Liebe höret nim-mer auf.« Man kann es nur vom Schluss des Stückes verstehen, oder, anders gesagt, ich habe es so verstanden: Auch wenn wir irgendwann, wenn wir älter, meinetwegen erwachsener und reifer sind, alles über die Liebe wissen, dass wir nichts Gültiges mehr

Worum geht’s?

Kasimir und Karoline erzählt die Geschichte von zwei Menschen, die zueinander wollen, aber es nicht scha£en; weil sie zwar viel Liebe in den Herzen tragen, aber leider auch schlech- te Karten in den Händen halten. Ödön von Horváths Stück entstand zu Be-ginn der Dreißiger jahre: Die politische Situation ist unüberschaubar, die deutsche Wirtschaft liegt am Boden. Die Handlung spielt auf dem Oktoberfest, zwischen Achterbahn, Riesen-rutsche, Freakshow, Bier- zelten und Blaskapellen, es liegt Gewalt in der Luft. Kasimir hat gerade seinen Job verloren. Zum Trotz will er sich mit seiner Braut Karoline ins große Vergnügen stürzen, doch daraus wird nichts, denn Karoline schaut sich längst nach etwas Besserem um. »Das Leben ist hart und eine Frau, die wo etwas erreichen will, muss einen einflussreichen Mann immer bei seinem Gefühlsleben packen«, meint Karoline und fällt dabei heftig auf die Nase. Und auch Kasimir wird es schlecht ergehen.

KASIMIR UND KAROLINE von Ödön von Horváthab 1. Juni im Schauspielhaus

über sie sagen möchten, hören wir dennoch nicht auf, an die Liebe zu glauben.

Nie hören wir damit auf, keinen einzigen Tag hören wir damit auf.

Mein vierzigjähriges Ich hat nun die Liebe öfter scheitern gesehen als gelingen. Selten ist sie dabei an Gefühlen zugrunde gegan-gen, eher an Dingen, Zwecken und Gründen.

Da waren einmal zwei Menschen, von de-nen war einer erfolgreicher als der andere, und Gefühle konnten dieses Gefälle irgend-wann nicht mehr überbrücken.

Da waren ein andermal zwei Menschen, von denen wollte der eine mehr Sex als der andere, und wenn nötig sogar mit Fremden, und wieder konnten Gefühle diese verschie-denen Verlangen nicht besänftigen.

Da waren ein drittes Mal zwei Menschen aus verschiedenen sozialen Schichten, sagen wir, er kam von oben und sie kam von un-

ten, mit den Jahren konn-ten Gefühle auch diesen Widerspruch nicht über-brücken. Und dann waren da noch zwei Menschen aus verschiedenen Län-dern, sagen wir, sie kam von hier und er kam aus der Fremde, und als bei-de älter wurden, konnten Gefühle die wachsende Fremdheit zwischen bei-den nicht länger zum Ver-schwinden bringen.

Mein zwanzigjähriges Ich hätte all das wegge-lacht, hätte so mit der Hand abgewinkt und wahrscheinlich gerufen: »Nein, das glaube ich

nicht, nein, das will ich nicht glauben. Liebe kann doch alle Wunden heilen. Liebe sollte doch alle Wunden heilen.«

Aber wenn mein vierzigjähriges Ich mei-nem zwanzigjährigen Ich begegnen würde (was leider nicht geht, aber was manchmal ein schöner, vielleicht tröstlicher Gedanke ist), dann wären sich beide in einem Punkt einig.

Und wenn Ödön von Horváth (der nicht mal vierzig Jahre alt wurde, sondern als 37-Jähriger mitten auf den Champs-Élysées von einem herabstürzenden Ast eines Bau-mes getötet wurde), also wenn er auch noch hinzuträte, dann wären wir drei uns wahr-scheinlich einig: Die Liebe höret nimmer auf.

Weil wir nicht aufhören, an sie zu glau-ben. Selbst wenn wir alt genug sind zu wis-sen, dass es über die Liebe kaum gültige Sätze zu sagen gibt.

Jana Hensel, geboren 1976 in Leipzig, veröffentlichte 2002

den Bestseller Zonenkinder.Seither arbeitet sie als Jour nalistin

und Autorin. 2010 erhielt sie den Theodor-Wolff-Preis.

Im August dieses Jahres erscheint ihr erster Roman Keinland im

Wallstein Verlag

Illu

stra

tio

n: C

hri

sto

ph

Kle

inst

ück

Foto

: Mic

ha

el M

an

n

Ruth ist seit September 2016 Auszubildende in der Mo-disterei: »Ich glaube, jeder trägt etwas Künstlerisches in sich, man muss es nur wecken und viel üben. Ich drücke meine Empfindungen gern mit Farben aus. Etwas Schönes, Harmo-nisches herzustellen, das ist für mich wie atmen. Hier kann ich nicht so frei arbeiten, trotzdem finde ich es toll. Wir machen Kopfbedeckungen: Hüte, Kappen, Helme, sogar Papiertüten und viele Fantasiegebilde. Sie müssen richtig fest

sitzen und dürfen nicht beim Sprechen, Singen oder Tanzen stören, auch nicht beim Hören. Oft holen wir uns die Gips-abdrücke der Darsteller aus der Maske, um zu checken, wo genau ihre Ohren sitzen. Hüte aus Filz formen kann ich schon ziemlich gut. Man braucht hier viel Geduld, selbst ein Feder-gesteck an einen Dreispitz zu setzen kann ewig dauern. Ist das Material sehr störrisch, ramme ich mir schon mal die Nadel in den Finger. Beim ersten Mal war ich noch entsetzt.«

RU

TH

WU

LFFE

N, 2

0 JA

HR

E

Page 17: 00 Reihe5 Nr8 gesamt RZ...Im Belgien des 16. Jahrhunderts kämpft Clärchen an der Seite ihres Liebsten, Egmont, gegen die Spanier – gut geht das nicht aus. Beethoven komponierte

32 33

BÜHNE

»Wie ein Horrorfilm, aber

sehr lustig«

Was tun, wenn man in der eigenen Familie von Irren umgeben ist, die sich für Präsidenten halten

und brave Bürger ermorden? Die Komödie Arsen und Spitzenhäubchen ist fast achtzig Jahre alt und

hat erschreckend viel mit unserer Gegenwart gemein

INTERVIEW: HILTRUD BONTRUP

Jan Bosse, Arsen und Spitzenhäubchen ist eine Broadway-Komödie aus den Vierzigerjahren. Wie kamen Sie darauf, so was heute aufzuführen? Ich hab auch ein bisschen Angst (lacht). Viele Menschen kennen die berühmte Verfilmung, und da kann man sich schon fragen, was die-ses Stück heute auf der Bühne soll. Es ist zwar witzig, aber auf den ersten Blick auch sehr, sehr harmlos. Den schwarzen Humor muss man erst mal freilegen. Doch das lohnt sich, weil unter dem Firnis der Komödie eine bitterböse Satire liegt.Für Sie steckt also mehr in dem Stück als zwei Tanten in Rüschenkleidern, die Männer umbringen?Absolut! Was auch zum Vorschein kommt und was ich auf der Bühne entwickeln will, ist viel böser und chaotischer und schreck-licher. Im Grunde geht es um eine komplett irre Gesellschaft. Die sind alle völlig irre. Und zwar im Kern.Was meinen Sie mit im Kern ?Die ganze Familie, die wir hier erleben, ist genetisch verrückt. Die Schwestern Brews-ter begehen in ihrer Nachbarschaft Wohl-taten, aber zu Hause morden sie – in Serie! Auch ihre diversen Neffen sind wahnsinnig. Das Ganze spielt in einer alten Villa, in der schon der Großvater Menschenexperimente gemacht hat. Also ein Doktor-Jekyll-Mister-Hyde. Und dieser Großvater steckt in allen Figuren. Einzige Ausnahme ist der Neffe Mortimer, der die frischeste Leiche ent-deckt und dem ganzen Treiben auf die Spur kommt. Ausgerechnet er erfährt am Ende, dass er gar kein Brewster ist, und reagiert total glücklich. Für ihn ist die schreckliche Nachricht eine Befreiung.Niemand in dem Stück ist, was er scheint.Nehmen Sie Teddy, den zweiten Neffen, der sich für den amerikanischen Präsidenten hält. Spätestens wenn er auf seiner Trom-pete zum Angriff bläst, denkt man an Donald Trump. Da lässt sich viel rausholen. Teddy jedenfalls, dieser falsche Präsident Roose-velt, lebt in einer für ihn komplett stimmigen Welt, mit der Klarheit des völligen Irrsinns. Er hält die toten Herren für Opfer des Gelb-fiebers und verbuddelt sie im Keller, wo er meint, den Panamakanal zu graben. Und wie geht Mortimer damit um? Er spielt dessen präsidialen Wahn mit und verleiht ihm erst dadurch Macht. Durchgeknallte Regierungschefs erleben wir ja gerade weltweit. Und da sind wir alle Mortimer. Wir schauen ihnen zu und versuchen, damit umzugehen. Doch im Grunde haben wir keine Mittel da-

gegen. Wir kommen dem Irrsinn nicht bei, schon gar nicht mit vernünftigen Argumen-ten. Ich glaube, es liegt daran – und das spie-gelt dieses Stück sehr schön: Die Irren haben eine Vision. Die mag total kaputt sein oder skurril, aber sie haben eine. Teddy hält sich wirklich für den Präsidenten, da gibt es keine Lücke, in die man reinkann. Und die Tanten verfolgen ihr Konzept, die Welt zu retten. Für sie ist das Morden eine ihrer Wohltaten. Leider stecken ja auch in der Realität hinter vielen aberwitzig verbrecherischen Taten oft verquer dogmatische sogenannte Utopien. Und so hat Mortimer all diesen Figuren ge-genüber keine Waffen. Seine Familie ist ka-putt und seine Hilflosigkeit total. Mortimer steckt in einer Umbruchphase seines Lebens, er will heiraten. So wie ihm geht es doch fast jedem von uns, wenn wir erwachsen werden: Eines Tages durchschauen wir all die Lügen und Geheimnisse in unserer Familie. Mortimer fliegen sie allerdings mit voller Wucht um die Ohren.Es kommt noch verrückter. Mortimer ist ein zynischer Theaterkritiker, und an einem Punkt verreißt er ein Stück. Er macht sich lustig über eine Figur, die sich ahnungslos fesseln und knebeln lässt. Gleich darauf passiert ihm genau das Gleiche. Hier ver-schwimmt die Grenze zwischen Theater und Wirklichkeit, bis auch noch ein durch-geknallter Polizist O’Hara auftritt, der sich als heimlicher Schriftsteller entpuppt und genau das von ihm geschriebene Stück vor seinen Augen in der Realität ablaufen sieht. Heilloses Chaos.Ist das die Rolle der Jugend – das Ganze auf die Spitze zu treiben?Ich würde generell sagen: Gerade wenn der Wahnsinn auf der Bühne ausbricht, ist Thea-ter eher jung als alt. Am schönsten ist eine Aufführung für mich in dem Moment, in dem es trotz all der Regeln und Verabredungen zwischen Schauspielern richtig abgeht. Wo sekundenweise alles passieren könnte, weil wir ja live spielen. Weil jeder einzelne Zu-schauer in jedem Moment aufstehen und mitspielen oder ausflippen könnte. Manch-mal entsteht im Theater eine so anstecken-de Energie, dass man mitmachen will. Da schwappt die Energie über. Das hat etwas Unmittelbares, wie ein Popkonzert. Oder eine Nacht im Klub.Als das Stück entstand, gab es weder Pop noch Klubs. Werden Sie es in die Gegenwart übertragen?Nein, wir belassen es in den Vierzigern, aber wir holen es raus aus diesem Altmodisch-

Viktorianischen und entwickeln einen spe-zielleren, eigenen Stil. Keine Spitzenhäubchen?Zu harmlos. Die Tanten sind bei uns auch keine achtzigjährigen Muttchen, sondern fünfzigjährige Vollblutweiber in Vierziger-jahre-Eleganz. Das erinnert an das alte Hollywood und wirkt, als bewegten sie sich in einem Film. Ich finde es schöner, mit dem Stück in eine fremde Welt einzutauchen. Wie soll die aussehen? Mir gefällt, was der Bühnenbildner Moritz Müller vorgeschlagen hat: eine kulissenhafte Art-déco-Welt. Sie wird durch die Gangster, die dann noch auftauchen, sehr gothic-mäßig. Also im Grunde wie ein Horrorfilm, aber ein sehr lustiger. Klingt nach diesen düsteren Schwarz- Weiß-Krimis mit Humphrey Bogart.Es wäre toll, wenn sich dieses Genre rein-schöbe in die Komödie, in dieses Wir-backen-Kuchen. Sodass man denkt: Wenn da zwei Kuchen backen, was ist wirklich drin? Alles wirkt plötzlich verdächtig. Und diese vielen Leichen und Särge im Keller, das Grundstück an einem Friedhof, all diese Gothic-Elemente finde ich toll. Wenn man die stark macht, wird es richtig duster.

Werden wir Leichen sehen?Vielleicht. Womöglich machen unsere Lei-chen nicht, was sie sollen, liegen am fal-schen Platz. Oder sie erwachen noch mal zum Leben. Da ist ’ne Menge Walking Deaddrin. Geht die Redensart mit den

Leichen im Keller auf das Stück zurück?Das will ich unbedingt herausfinden. Jeden-falls bleiben die Leichen am Ende in dem Haus, und es wird verkauft. Ich könnte mir vorstellen, dass das Stück mit einem »For Sale«-Schild endet. Dann läuft es wie in je-dem guten Horrorfilm: Die Toten sind noch da, und wer als Nächster einzieht, kriegt es mit ihnen zu tun. Wie in Bates Motel.Oder American Horror Story. Eigentlich lebt jeder Horrorfilm davon, dass ein Fluch auf einer Person oder einem Haus liegt und der neue Bewohner ihn nicht los-wird. Im Grunde ist das auch die Idee des Stücks. Die Realität ist so absurd, dass sie keiner mehr glaubt. Wie die Leichen im Kel-ler, die liegen bleiben und von niemandem ernst genommen werden. Und so können alle ihr Unwesen weitertreiben.Ist das gerade Ihr Lebensgefühl? Das ist mein Weltgefühl. Man steht fas-sungslos vor den politischen Ereignissen und dem gesellschaftlichen Wahnsinn, der einem einfach so hingeknallt wird. Wenn dir zum Beispiel jemand sagt: »Dies und das ist so und so« und du mit Fakten und Studien ge-genargumentierst, dann heißt es nur noch: »Lügenpresse!« So hebelt man natürlich jede ernsthafte Auseinandersetzung aus.Hat Arsen und Spitzenhäubchen eine Lösung für das Problem?Nein. Theater kann sowieso keine Lösungen bieten, aber es kann Fragen stellen. Unter dieser Boulevardkomödie liegt ein Ringen darum, was aus dieser Gesellschaft wird. Das tritt jetzt ein bisschen deutlicher her-vor durch unsere komische Welt und wie sie sich gerade verändert. Letztlich fällt uns und Mortimer nichts anderes ein, als all den Horror zu verleugnen und zu ver-drängen. Er schiebt seine Familie in die Irrenanstalt ab.Also eine Bankrotterklärung? Ja, es ist sehr fatalistisch. Die Verrückten ge-winnen. Sie werden mit Trump zusammen glücklich leben und von der Anstalt aus die Welt regieren.

ARSEN UND SPITZENHÄUBCHEN von Joseph Kesselring

Premiere am 10. Juni im Schauspielhaus

Jan Bosse (47) ist freier Regisseur und lebt in Berlin.

In Stuttgart inszeniert er Arsen und Spitzenhäubchen,

einen alten Broadway-Hit, den die meisten Menschen

über fünfzig als Schwarz-Weiß-Klamotte mit Cary Grant und Peter Lorre kennen

Wer ist hier verrückt? Umringt von Toten und Psychopathen, gerät im Theaterstück ein abgebrühter Kritiker namens Mortimer an den Rand des Wahnsinns Il

lust

rati

on

: Ch

rist

op

h K

lein

stü

ckFo

to: u

llst

ein

bil

d /

Kie

lma

nn

Page 18: 00 Reihe5 Nr8 gesamt RZ...Im Belgien des 16. Jahrhunderts kämpft Clärchen an der Seite ihres Liebsten, Egmont, gegen die Spanier – gut geht das nicht aus. Beethoven komponierte

RIC

CA

RD

O F

ERLI

TO, 1

6 JA

HR

E

TAM

INA

PET

ERS

EN, 2

1 JA

HR

E

Riccardo tanzt Ballett und geht in die 6. Klasse der John Cranko Schule: »Am Anfang habe ich das Ballett gehasst! Meine Eltern haben mich überredet, weil sie selbst tanzen. Ich wollte lieber Fußball spielen und Hip-Hop hören wie die coolen Jungs – bis ich einen Tänzer gesehen habe, der war so gut; von dem Tag an wollte ich genauso gut werden.Vor vier Jahren bin ich allein von Sizilien nach Stuttgart ge-zogen, seitdem lebe ich im Internat der Schule. Die ersten

Wochen waren hart, mittlerweile habe ich hier viele Freunde. Nur die festen Schlafenszeiten nerven manchmal. Morgens gehe ich in die Realschule, nachmittags zum Training, abends proben wir oft. Ich übe gerade für meine Prüfungen in der Ballettschule, da bin ich natürlich aufgeregt. Alle Lehrer wer-den zuschauen, und beim klassischen Tanz sieht man den kleinsten Fehler. Eines Tages zur Compagnie des Stuttgarter Balletts zu gehören, das ist mein Traum.«

Tamina macht seit September 2016 ein freiwilliges soziales Jahr bei der Jungen Oper: »Früher dachte ich, man ist ein Halbgott, wenn man es an so ein großes Theater ge-schafft hat. Aber die Leute hier sind ganz normal. Sie haben keine Starallüren, sind auch mal unsicher. Sie interessieren sich einfach sehr für das, was sie tun, deshalb sind sie so gut darin. Für mich hat Kunst nicht unbedingt mit Können zu tun. Kunst heißt eher, Grenzen zu überschreiten.

In meinem Job muss ich viel Büroarbeit erledigen. Ordnung halten, strukturieren, mich konzentrieren – das fällt mir schwer, aber ich entwickle mich. Vielleicht ist das auch Teil des Erwach-senwerdens. Opern habe ich erst hier für mich entdeckt, ich bin super unmusikalisch. Klar, Noten lesen wäre von Vorteil. Neulich sollte ich einschätzen, bei welchem Teil einer Insze-nierung Laien mitsingen können. Da war es sogar praktisch, dass ich keinen Plan hatte.«

Page 19: 00 Reihe5 Nr8 gesamt RZ...Im Belgien des 16. Jahrhunderts kämpft Clärchen an der Seite ihres Liebsten, Egmont, gegen die Spanier – gut geht das nicht aus. Beethoven komponierte

36 37

BÜHNE

Die Fremden

Je länger man vor der Tür zögert, desto fremder wird man Franz Kafka

Ich fühle mich bis heute sonderbar in der Welt Marco Goecke

Ein Doppelporträt

TEXT: BJÖRN SPRINGORUM

Selbstporträt? Trugbild? Dudelei? Marco Goecke wäre auch gern Maler geworden, er zeichnet seit seiner Jugend. Dieses Motiv gehört zu seinen liebsten: »Gedanken, die herumschwirren und die ich festhalten will« (Wolkenkopf von 2013)

Die Nachmittagssonne fällt durch die hohen Fenster des Ballett-saals, an der Stange dehnen sich Tänzer. Marco Goecke schlendert herein, er trägt eine

weite schwarze Stoffhose, in der linken Hand einen Kaffeebecher, in der rechten eine Hundetasche. Dackel Gustav darf bei keiner Probe, bei keinem offiziellen Termin fehlen, er gehört zu dem Choreographen wie die Sonnenbrille. Gustav kennt sich hier aus; schon bald rollt er sich auf seiner Decke in einer Ecke des Saals zusammen, sorgsam bewacht von Marcia Haydée, der legendären Primaballerina und Direktorin des Stuttgarter Balletts, die von den Fotos an der Wand herabschaut. »Kinder, Kinder«, seufzt Goecke, rückt seine Sonnenbrille auf der Nase zurecht und schaut zum Fenster auf. »Ist das ein Wetter!«

Goecke klatscht laut in die Hände, die Probe beginnt und damit auch seine Ver-wandlung. Konzentriert, fokussiert und in seiner ganz eigenen Welt ist er plötzlich; er beobachtet, kritisiert, verfeinert, kitzelt alles

setzt sich langsam eine Szene zusammen, die Zeit verschwimmt, wird zu Tanz. »Holt mal die Gummiaxt!«, ruft Goecke, als eine Szene einstudiert ist. Schließlich ist es nicht irgendein Ballett, das hier entsteht. Es ist eins über Franz Kafka.

Krachend geht die Axt in den Händen ei-nes Tänzers zu Boden, wieder und wieder; jeder Hieb eine Mahnung an die berühmten Worte des Prager Schriftstellers: »Ein Buch muss die Axt sein für das gefrorene Meer in uns.« Gilt das auch für ein Ballett? Bei Goecke ganz bestimmt. Nicht zufällig gilt er als Enfant terrible, als einer, der erschüttern will. Der auch mal aneckt, weil er Finsteres auf die Bühne bringt oder in Abgründe starrt. Sein Stil ist fiebrig, seine Stücke verlangen den Tänzern alles ab, sie wirken wie der Ver-such, sich von etwas zu befreien.

Mehr als siebzig Werke hat Goecke mit seinen 45 Jahren bereits geschaffen. Auf-gewachsen ist er in Wuppertal; er studierte Ballett in München und Den Haag, arbeitete an der Deutschen Staatsoper Berlin und am Theater Hagen. Seine Choreographien haben

Für sein neues Stück Kafka schaute sich der Choreo-

graph Marco Goecke den Schriftsteller an. Und

entdeckte dabei: sich selbst

aus seinen Tänzern heraus. Die reagieren schnell und aufmerksam. Goecke bei einer Probe zuzusehen ist ein Erlebnis der hyp-notischen Art, wie von selbst schält sich ein Ablauf aus der vielfachen Wiederholung der Schritte heraus. Bewegung für Bewegung Ze

ich

nu

nge

n: M

arc

o G

oec

keFo

to: R

om

an

No

vitz

ky

Page 20: 00 Reihe5 Nr8 gesamt RZ...Im Belgien des 16. Jahrhunderts kämpft Clärchen an der Seite ihres Liebsten, Egmont, gegen die Spanier – gut geht das nicht aus. Beethoven komponierte

38 39

BÜHNE

den Körper konfrontiert. Doch die wirkliche Fremde lauert in uns allen. Tief in unserem Unterbewusstsein, verborgen unter der Oberfl äche wie der Großteil eines Eisbergs. Kafka kannte es besser als die meisten Men-schen: fremd in seiner eigenen Haut, fremd in der Familie unter den Augen des über-mächtigen Vaters, fremd als deutschsprachi-ger Jude in seiner Stadt Prag. Aus Angst und Verlorenheit schöpfte der glücklose Mann seine Werke, bis er 1924 mit vierzig Jahren an den Folgen einer Tuberkulose starb – als weitgehend unbekannter Autor.

In seinen Texten entfesselte er eine dunkle und absurde Welt, die von der per-fektionistischen Schönheit seiner Sprache zusammengehalten wird. Er lebte nicht, um zu schreiben. Er schrieb, um am Leben zu bleiben. Nie entkam er diesem Gefängnis. Zu Kafkas wenigen Freunden zählte der Verleger

Preise gewonnen, einige werden von Compa-gnien in aller Welt aufgeführt, von Montreal bis Tel Aviv. 2005/06 ernannte ihn Ballett-intendant Reid Anderson zum Hauschoreo-graphen des Stuttgarter Balletts; nach seinem Nussknacker 2006 und der Virginia-Woolf-Adaption Orlando 2010 ist Kafka sein drittes abendfüllendes Stück für das Haus.

Kafka tanzen, das passt gut. Tod, Angst, Isolation, Krankheit, Neurosen und Zwänge: Was den Schriftsteller quälte, nimmt auch in Goeckes Kreationen viel Raum ein, oft hinterlassen sie beim Zuschauer ein Gefühl des Unbehagens und der Rätselhaftigkeit. Dissonant, unheilvoll, schwelend klingt die Musik im Probensaal, wie eine alte Jazz-platte, die leiernd abgespielt wird. Aus wei-ter Ferne dringt Gesang ans Ohr, ein Stück aus dem verstörenden alten Film Charlie und die Schokoladenfabrik mit Gene Wilder. »Come with me and you’ll be in a world of pure imagination.« Surreal ist das. Beklem-mend und wunderschön.

Kafka schrieb, um am Leben zu bleiben

Doch auf das Dunkle allein will Goecke den Schriftsteller nicht reduzieren. Allzu oft übersähen die Menschen den Humor, sagt der Choreograph. Er recherchierte deshalb das Slapstickhafte des jiddischen Theaters, mit dem Kafka in Prag aufwuchs. Humor ist auch in Goeckes Stücken nicht leicht zu entdecken, dafür offenbart sich sein trockener Witz, sobald man mit ihm redet. »Eigentlich war Kafka ein ganz schö-ner Schluffen«, sagt er im Singsang seiner Heimat. Und meint das keineswegs abwer-tend. Er denkt an das Alltagsleben des Au-tors, der sich den Zwängen der Büroarbeit in einer großen Versicherung unterwarf, statt die Freiheit zu suchen. »Irgendwie doof« fi ndet Goecke das.

Er selbst saß als Jugendlicher im Pariser Café de Flore, wo vor ihm Intellektuelle wie Simone de Beauvoir und Jean-Paul Sartre, aber auch Karl Lagerfeld ihren Kaffee tran-ken. »Dort träumte ich davon, eines Tages ein berühmter Künstler zu sein.« Noch heute geht er gern in das Café, doch er vermisst den Glanz und die Träume der Vergangenheit. »Solche Verluste muss man ertragen. Was früher mal groß war, wird kleiner, also muss man die Begeisterung immer neu suchen.«

In seinen Stücken sucht er stets nach etwas, nur fündig wird er nie. Zweifel und Angst, Gefühle von Ungenügen kennt Goecke wie Kafka, der zahlreiche Texte nie vollende-te. Als junger Tänzer brach er oft Proben ab, weil er sich nicht gut genug fand. Heute ist

Das Zeichnen lernte er als Jugendlicher gemeinsam mit seiner Schwester. »Wir haben mit Augen angefangen«, sagt Goecke. »Ich weiß noch, wie glücklich ich war, als mir endlich eins gelang. Bis heute zeichne ich die Augen oft als Erstes.« (Bild aus dem Jahr 2014)

er gezwungen, seine Arbeiten zu vollenden. »Doch ich bin jedes Mal enttäuscht, weil ich das große Ganze nie erreiche.« Das große Ganze wäre auch ein Ankommen für ihn, das Ende seiner Suche nach sich selbst. Die begann in früher Jugend und gründete auf dem Gefühl, das ihn mit Kafka am stärksten verbindet: Fremdsein.

Wir alle sind fremd. Irgendwo, irgend-wann. Als Säugling in eine fremde Welt geworfen, in der Pubertät mit einem frem-

Auf viele Menschen wirken Goeckes Bilder düster, ihm geht es ganz anders: »Mir erklären sie die Welt – und mich selbst« (Studie eines Oberkörpers von 2007)

»Ich hätte nicht überlebt«, sagt Goecke,

»wenn ich mich nicht durch den Tanz

aus drücken könnte«

Page 21: 00 Reihe5 Nr8 gesamt RZ...Im Belgien des 16. Jahrhunderts kämpft Clärchen an der Seite ihres Liebsten, Egmont, gegen die Spanier – gut geht das nicht aus. Beethoven komponierte

40

BÜHNE

Max Brod, der sich dreist über Kafkas letzten Willen hinwegsetzte. Der Autor wollte nicht, dass seine abertausend Briefe, Romanfrag-mente, Erzählungen veröffentlicht wurden. Brod beging quasi Verrat, überließ uns da-durch aber einige der großartigsten Werke der deutschsprachigen Literatur.

Goecke teilt das Gefühl, anders zu sein. Er lächelt nachdenklich, die scharf geschnit-tenen Augen hinter dunklen Gläsern. »Ich fühle mich bis heute sonderbar in der Welt. Schon als Kind hörte ich oft, ich sei komisch.« Früh faszinierten ihn Kunst und Malerei, vor allem Pablo Picasso. Eine Leidenschaft, die kaum ein Mitschüler verstand. Seine Eltern ließen ihn in Ruhe, versuchten nicht, ihn zu verbiegen; einen echten Verbündeten aber fand er erst in seinem Kunstlehrer und Men-tor Udo Meyer, einem Wuppertaler Bildhau-er. Er begann zu zeichnen und zu malen, ver-wandelte seine Stimmungen in Zeichnungen und Gemälde, in düster-gespenstische Ge-stalten und Landschaften. Bis heute greift er oft zum Stift, und seine Bewunderer reißen ihm die Werke aus den Händen.

Die Malerei mag Goeckes erste Liebe sein, seine große Liebe aber ist der Tanz, und so war es Pina Bausch, die Wupperta-ler Choreographin, die ihm nach Jahren des Verlorenseins eine Welt zeigte, die sich wie Heimat anfühlte. »In dieser Stadt solch eine Sonderbare zu haben ist natürlich ein ho-hes Gut.« Bauschs Tanztheater wies ihm den Weg. »Als ich die ersten Stücke sah, spürte ich, dies war es, was schon immer in mir ge-schlummert hatte.« Heute offenbaren seine Werke, wie es in ihm aussieht. Und helfen ihm – trotz aller emotionalen Verheerung, die aus ihnen spricht. »Ich hätte nicht über-lebt, wenn ich mich nicht auf diese Weise hätte ausdrücken können.«

Doch wie tanzt man Kafka denn nun? Wie bringt man dieses gequälte Genie auf die Bühne? Immerhin braucht man den Kör-per dazu, und Körper waren Kafka fremd, Berührungen und Nähe widerten ihn an. Auch da passt Goeckes Herangehensweise: »Mein Körper erscheint mir wie ein Gefäng-nis. Mein Stil ist ein Ausdruck, sich daraus zu

befreien.» Sein fi ebriger, entrückter, rastloser und spannungsbetonter Tanz spiegelt Kaf-kas labyrinthische Albtraumwelten. Aus den nervösen Zuckungen, den wie unter Zwang ausgeführten Bewegungen sprechen die Nöte von Protagonisten, die in absurden Bürokratien feststecken oder am Morgen als Käfer aufwachen. Tanzstil und Schreibstil gehorchen der gleichen Dynamik.

Ist es Zufall oder Schicksal, dass sie nun erstmals aufeinandertreffen? Goecke weiß es nicht. Was er mittlerweile weiß: Aus seiner Ahnung, Gemeinsames zu fi nden, wurde ein Gefühl enger Verwandtschaft. Beide Künstler sind Getriebene, zwei verdammte Seelen mit Galgenhumor, die nach Wegen suchen, am Leben nicht zugrunde zu gehen. »Wir versu-chen, die Langeweile des Lebens mit Sinn zu füllen. Ihm etwas Nobles zu verleihen.« Er erinnert an einen Satz aus Kafkas Tagebü-chern: »Geschlafen, aufgewacht, geschlafen, aufgewacht, elendes Leben.« Dazwischen setzte das Schreiben eine ungeheure Energie frei, wie ein Ausbruch, dem sich der Autor bis zur völligen Erschöpfung ergab.

Goecke sehnt sich nach Erlösung

Die Probe geht dem Ende zu. Die Sonne schimmert golden, die Musik klingt plötzlich heiter. Die Tänzer springen leichtfüßig durch den Ballettsaal, weggeblasen ist das Gravitä-tische, Herabziehende der vergangenen zwei Stunden. Schließlich, betont Goecke, soll es nicht nur um die Ahnung des Todes gehen, sondern auch um Unterhaltung. »Selbst wenn man sich einen introvertierten Geist wie Kafka schlecht als tänzerischen Men-schen vorstellen kann«, meint er und grinst schief. »Doch manchmal muss er einfach nur tanzen. Da kenne ich nix.« Dem Autor selbst würde es kaum gefallen. Der wetterte im Sanatorium über die Leibesertüchtigung nackt am offenen Fenster – er machte sei-nen Hampelmann als Einziger in Unterhose.

Für ihn sollte das Buch »die Axt sein für das gefrorene Meer in uns«, für Goecke ist es das Ballett. »Ich suche Erlösung«, sagte er zu Beginn seiner Arbeiten an Kafka. Er wird sie wohl auch diesmal nicht fi nden. Gut für sein Publikum: So wird er noch vie-le Stücke erschaffen. Die Probe ist vorüber, Dackel Gustav hockt wieder im Körbchen. Der Choreograph verlässt den Saal, um zu Hause weiter an dem Stück zu feilen. Eine von Kafkas Weisheiten schwebt ihm hinterher: »Alles Wissen, die Gesamtheit aller Fragen und Antworten sind im Hund enthalten.« Noch ein Satz, der auch von Goecke stammen könnte.

»Wir versuchen, die Langeweile des Lebens

mit Sinn zu füllen. Ihm etwas Nobles zu

verleihen«

Worum geht’s?

Kafka heißt das neue, abendfüllende Ballett von Marco Goecke, Haus-choreograph des Stutt-garter Balletts. Der hat in dem Prager Schriftsteller einen Seelenverwandten gefunden. Beide Männer tauchen mit ihren Wer-ken in die Abgründe der menschlichen Psyche ein, machen Angst und Verlorenheit zum Thema. Goeckes fi ebriger, span-nungsgeladener Tanz und die beklemmende Stimmung seiner Stücke passen zu Kafkas alb-traumhaften Welten, in denen die Protagonisten gegen absurde Regeln und undurchschaubare Mächte kämpfen. Inspi-rieren ließ Goecke sich unter anderem von der Erzählung Die Verwand-lung und den Briefen, die Kafka an seinen über-mächtigen Vater schrieb. Durchbrochen wird die düstere Atmosphäre im-mer wieder von Goeckes besonderem Witz. Diese Brüche dürften Kafka gefallen haben, der (wie nur wenige wissen) auch Spaß an Slapstick hatte.

KAFKA Ballett von Marco GoeckePremiere der Uraufführung am 30. Juni im Opernhaus

Xenia singt im Projektchor der Oper Benjamin: »An die Musik in dieser Oper musste ich mich erst mal gewöhnen. Sie klingt nicht so harmonisch, enthält viele Unklarheiten. Es ist eine A-cappella-Oper, also ohne Klavier- oder Orchesterbeglei-tung. Da fällt es schwer, die Intonation zu halten. Außerdem kannte ich anfangs niemanden; der Chor wurde ja eigens für Benjamin zusammengestellt. Doch je länger wir arbeiten, des-to mehr verbindet uns. Es macht Spaß, das alles wachsen zu

sehen. Eigentlich will ich Medizin studieren oder Physik, doch jetzt wird mein alter Wunsch wieder wach, die Musik zum Be-ruf zu machen. Mit sechs habe ich begonnen, Geige zu lernen, ich wollte das unbedingt und habe so lange auf meine Mutter eingeredet, bis ich durfte. Dann kam Klavier dazu, außerdem singe ich fünfmal pro Woche in verschiedenen Chören. Dabei ist meine Familie gar nicht musikalisch. Aber sie unterstützt mich und kommt zu jeder Aufführung.«

XEN

IA M

OU

ZA

KA

, 18

JAH

RE

Illu

stra

tio

n: C

hri

sto

ph

Kle

inst

ück

Page 22: 00 Reihe5 Nr8 gesamt RZ...Im Belgien des 16. Jahrhunderts kämpft Clärchen an der Seite ihres Liebsten, Egmont, gegen die Spanier – gut geht das nicht aus. Beethoven komponierte

42 43

JANA NEUMANN (12, links) singt im Kinderchor der Oper Stuttgart, seit sie acht Jahre alt ist. NORA LIEBHÄUSER (12) fing mit sechs Jahren im Kleinen Chor an. Beide wirken auch beim Schauspiel Stuttgart in Theaterstücken mit. Jana spielt aktuell in Lolita am Schauspiel Stuttgart, am 23. und 28. Juni. Beide singen in der Oper Pique Dame von Peter Tschaikowsky, Premiere am 11. Juni im Opernhaus

Damit im Theater allewissen, was auf den

Bühnen passiert, gibt esDurchsagen im ganzen

Haus. Die schönsten drucken wir in Reihe 5

Foto

s:M

art

in S

igm

un

d; P

atr

ick

Ba

uer

Die Fragen stellte Patrick Bauer. Möchten auch Sie eine Probe besuchen? Dann schreiben Sie uns eine E-Mail [email protected]

DAS GESPRÄCH AUF DER TREPPE

»Wann machst du eigentlich deine Hausaufgaben?« Nora Liebhäuser und Jana Neumann stehen auf der Bühne, solange sie denken können. Die Proben sind Zeitfresser, die Auftritte echte Aufreger. Ein Gespräch über die Vereinbarkeit von Schule und Hobby

BACKSTAGE

EMILY HOOVER (15) aus Beutels-bach besuchte in der Spielstätte Nord eine Probe von Linien.Grenzen.Räume. Dies ist kein klassisches Theaterstück, sondern ein MATERIALEXPERIMENT,es wurde mit Flüchtlingen und Einheimischen entwickelt. Alle Schauspieler sind Laien, und die Zuschauer machen mit

Was hast du erwartet?Materialexperiment, das klang für mich nach Chemielabor. Wir sollten dann wirklich mit Material spielen, zum Beispiel mit Pappe und Klebeband. Was ist passiert?Wir haben herausgefunden, wie viel Raum jeder für sich braucht. Ich habe die Augen geschlossen, dann ging jemand auf mich zu, und ich sagte »stopp«, als ich spürte, er kommt mir zu nahe. Diesen Abstand habe ich um mich herum mit dem Material markiert. Gemeinsam haben wir dann mit Bällen gespielt. Da konnte man sehen, wie frei man sich in seinem eigenen Raum fühlt. Es hat viel Spaß gemacht. Alle haben überlegt, was sie noch verbessern können. Worauf wirst du bei der Auf-führung besonders achten?Ob die Schauspieler noch genauso locker sind wie bei der Probe. Die Atmosphäre war echt toll. Ich habe auf jeden Fall Lust auf Theater bekommen.

LINIEN.GRENZEN.RÄUMEEin Projekt von Bürgern, Geflüchte-ten, Künstlern und dem Schauspiel Stuttgart. Abschlusspräsentation am 9. Juni im Nord

Nora: Wir proben jeden Montag knapp zwei Stunden mit dem Chor, da üben wir auch die Stücke, die anstehen. Die Hausaufgaben schaffe ich. Aber wenn ich mein Zimmer aufräumen soll, sage ich manchmal: Mama, ich habe nachher eine Vorstellung und muss mich ausruhen. Das versteht sie zum Glück, sie singt im Staatsopernchor, da geht es ihr natürlich genauso.Jana (lacht): Ich sollte einmal die Spülma-schine ausräumen und habe meiner Mutter erklärt, dass ich noch den Text für Lolita ler-nen muss. Es hat nichts geholfen.Schwirren euch die Stücke nach den Proben noch im Kopf herum?Jana: Ich versuche, sie hinter mir zu lassen. Aber ich habe immer einen Ohrwurm.Nora: Als wir Carmen spielten, ging mir stän-dig diese Ouvertüre durch den Kopf. Dann muss ich schon eine CD mit anderen Liedern einlegen. Ich versuche, mich abzulenken, räume auf oder spiele mit den Katzen.Jana: Manchmal träume ich im Unterricht. Aber die Lehrer haben es noch nicht gemerkt.Bekommt ihr eigentlich extra schulfrei fürs Theater? Nora: Vielleicht zweimal im Jahr. Dann gebe ich eine Entschuldigung ab, und es ist okay. Viele aus meiner Klasse fehlen viel öfter, weil sie krank sind.Dennoch ist das ein ganz schönes Pensum. Wie wichtig sind euch Ferien? Nora: Da proben wir oft, manchmal beson-ders viel. Gerade arbeiten wir an der Oper Pique Dame, die hat kurz nach Pfingsten Premiere, da proben wir auch in den Ferien. Jana: Eigentlich fahre ich über Pfingsten immer in ein Zeltlager. Das fällt dieses Jahr aus, ich singe näm-lich auch bei Pique Dame mit. In den Faschingsferien war das schon mal so, da haben wir für Der Rosenkava-lier geprobt. Normalerweise fahren wir dann mit mehreren Familien in Skiurlaub. Mein Vater blieb mit mir zu Hause. Dadurch haben wir mal den Faschingsumzug erlebt.Nora: Ich finde, der Chor ist nun mal mein Hobby, und dann muss ich mir auch Zeit dafür nehmen. Und wenn ihr keine Lust habt?Jana: Eigentlich habe ich fast im-mer Lust …Nora: Ich auch. So gut wie immer.Jana: Ich find’s nur doof, wenn ich nicht zum Handballtraining gehen kann oder andere Sachen ausfallen müssen, die ich gern mache. Vor

allem, wenn ich eine Inszenierung nicht so toll finde.Nora: Das einzig Anstrengende ist, wenn wir immer wieder dasselbe singen. Dann habe ich so gar keine Lust auf Chor. Dann motiviert mich aber, dass ich meine Freunde dort sehe. Ist es schwierig, noch Freunde zu haben, die nicht singen oder schauspielern?Nora: Nö. Auch wenn das komisch klingt, kommt es mir so vor, als hätte ich mehr Frei-zeit als meine Freunde. Eine Freundin aus der Klasse hat oft keine Zeit, weil sie dauernd zu Konzerten geht. Was sagen eure Freunde in der Schule zu eurem Hobby?Jana: Mich fragen viele, wie ich es schaffe, in solche Stücke reinzukommen. Aber ich glaube nicht, dass sie neidisch sind oder so.Wie hat euch die Arbeit auf der Bühne verändert? Jana: Ich glaube, ich bin mutiger geworden. Früher war ich schüchtern und habe mich eher nicht getraut, Menschen anzusprechen.Nora: Vielleicht bewege ich mich in man-chen Situationen bewusster. Aber eigentlich weiß ich nicht genau, wie ich vorher war, ich habe ja schon mit sechs angefangen.Jana: Dann weißt du gar nicht, wie es früher war, vor dem Chor?Nora: Eher nicht …Welche Art Musik hört ihr, wenn ihr zu Hause seid?Nora: Klassik selten, davon habe ich im Chor genug. Lieber kaufe ich mir CDs mit den bes-ten Songs eines Jahres. Da übersetze ich die

Texte und versuche, sie zu verstehen. Jana: Wir haben ge-rade einen Stapel CDs aus der Bücherei aus-geliehen, da sind auch Opern dabei. Ich höre gern Popmusik, aber ich gehe auch oft in die Oper, zum Beispiel war ich neulich in La Bohème, da kannte ich sogar einen Großteil der Kinder auf der Bühne. Das war cool.Nora: Hast du mich gesehen? Jana: Ja, klar. Nora: Oje! Da hatte ich diese quietschgrü-ne Mütze auf. Die war schlimm.Die Fragen stellteMartin Theis

Nora, Jana, wie fühlt sich eigentlich Lampenfieber an?Nora: Solange ich hinten bei den Gardero-ben warte, ist alles okay. Direkt hinter der Bühne, zehn Sekunden vor dem Auftritt, geht die Aufregung los. Das fühlt sich an wie ein Bombeneinschlag. Aber sobald ich da raus-gehe, fällt alles von mir ab. Jana: Ist bei mir genauso. Hinter der Büh-ne ist noch alles ganz normal, aber sobald ich aufgerufen werde, trifft mich der Schlag! Ich spiele ja aktuell in Lolita die Lolita als kleines Mädchen. Es gibt noch zwei andere Schauspielerinnen, die verkörpern sie als Erwachsene. Für mich war das ganz an-ders, als im Kinderchor zu stehen, denn ich halte da einen Monolog, stehe völlig allein auf der Bühne. Am Schluss durfte ich mich dann auch allein verbeugen. Das war cool, vor allem bei der Premiere.Bleibt euch Zeit für Hausaufgaben?Jana: Lolita war total aufwendig, da muss-te ich dreimal pro Woche zum Theater. Jede Probe dauerte drei Stunden, danach bin ich schnell nach Hause gefahren, für die Schu-le lernen. Das ging, aber für andere Sachen hatte ich überhaupt keine Zeit mehr.

Die Lilien -mädchen bitte für die Platzierung!

DURCHSAGE13. April, 13.25 Uhr

In John Crankos Ballett Romeo und Julia tanzen die Brautjungfern mit Lilien in den Händen.

Vor dem Auftritt gehen sie ihre Schritte durch,

damit sie den perfekten Abstand zueinander

haben. Das ist beson-ders bei Gastspielen auf

fremden Bühnen hilfreich, aber auch zu Hause gang und gäbe.

IN DER PROBE

Page 23: 00 Reihe5 Nr8 gesamt RZ...Im Belgien des 16. Jahrhunderts kämpft Clärchen an der Seite ihres Liebsten, Egmont, gegen die Spanier – gut geht das nicht aus. Beethoven komponierte

22

44 45

BACKSTAGE

Was macht ein Sänger, wenn er in den Stimmbruch kommt? Malte Nuding erzählt von der Zeit der schrägen Töne

ABGESCHMINKT

Kieks, krächz, räusper

Foto

: Ch

rist

op

h K

olo

ssa

Illu

stra

tio

n: B

ern

d S

chif

ferd

ecke

r

Info

gra

fi k:

In

ga A

lber

s

»Früher kam ich bis zum dreigestrichenen F, das ist selbst für einen Kinderchorsänger ziemlich hoch. Heute schaffe ich das nicht mehr, seit November verändert sich meine Stimme, sie klingt immer tiefer. Meine Klassenkameraden haben das nach den Weihnachtsferien ge-merkt, der Chorleiter sofort: ›Noch krächzt du nicht‹, hat er gesagt. ›Aber wenn du die hohen Töne verfehlst, ist erst mal Schluss.‹ Mit der Kopfstimme treffe ich noch das dreigestrichene C, und so bleiben mir ein paar Wochen. Es war ein großer Schmerz, als ich dachte, vielleicht ist die nächste Aufführung meine letzte. Ich singe einfach gern, selbst zu Hause singe ich oft vor mich hin. Zum Beispiel den Gassenchor aus der Oper Carmen. Die Musik ist so schön, und das Lied erinnert mich an diesen tollen Moment, wenn das Publikum uns anschaut.

Manchmal kommt es vor, dass man nach dem Stimmbruch überhaupt nicht mehr singen kann. Aber ich glaube nicht, dass es mir so gehen wird. Sänger zu werden, an einer tollen Oper zu arbeiten – das ist mein Traum. Der Chorleiter hat mich mit einer Stimmbildnerin zusammengebracht, die mir zeigt, wie ich jetzt singen muss, und wenn ich Glück habe, kann ich ganz ohne Pause weitermachen – nur in einem anderen Chor.

Die anderen aus dem Opernchor werde ich sicher vermissen, natürlich habe ich da Freunde. Aber wir wissen schon, wie wir uns weiter treffen können. Mit einer Freundin mache ich jetzt einen Tanzkurs. Und wir werden uns zusammen Opern ansehen. Ein paar haben wir schon herausgesucht.« Hiltrud Bontrup

MEIN ARBEITSPLATZ

VERENA SPATZ (23)arbeitet im Malsaal

Welche Aufgaben haben Sie als Bühnenmalerin?Ich kümmere mich um alles, was auf der Bühne mit Farbe zu tun hat, vom einfachen Anstreichen bis zu detailreichenGemälden. Wir Bühnenmaler müssen Beton oder Marmor imitieren und manchmal Dinge alt und dreckig aussehen lassen. Die Ideen kommen vonden Bühnenbildnern.Sie selbst sind nicht kreativ?Doch, bei der Umsetzung. Wir müssen oft erst herausfi nden, wie man den gewünschten Eindruck erzeugt. Gerade sitze ich an Wänden, deren Anstrich aussieht, als würde er ab-blättern. Dabei muss er stabil sitzen, weil das Bühnenbild mehrmals auf- und abge-baut wird. Wir haben einen Stoff zerschnitten und ihn dann so lackiert, dass er wie geplatzte Wand-farbe erscheint.Geht bei der Arbeit auch manchmal etwas schief?Regelmäßig! Aber immer hat jemand eine zündende Idee.So etwas fasziniert mich: Egal wie abwegig ein Entwurf aussieht, mit der richtigen Maltechnik kriegt man eigentlich alles hin. Protokoll: Christoph Kolossa

Ohm und Unterweger bitte

zur Sommerlatte!

DURCHSAGE27. Januar, 11.40 Uhr

In Erich Kästners Pünktchen und Anton lernen sich die Prota-

gonisten im Café Som-merlatte kennen. Auch die dicke Berta und das

Kindermädchen Fräulein Andacht treffen dort

aufeinander. Rahel Ohm und Birgit Unterweger, die die Damen spielen, werden mit der Durch-

sage zur Bühne gerufen.

MALTE NUDING sang bis Mai im Kinderchor der Oper Stuttgart. Er war in Peter Pan undCarmen zu sehen, mitgeprobt hat er noch bei Pique Dame (Premiere am 11. Juni)

6 × wöchentlich 90 – 180 Min. (Mo bis Sa)

6 × wöchentlich ganztägiger Unterricht

Klassische Technik, Variationen, Reper-toire, Pas de deux, Spitzen- und Cha-raktertanz, spanischer, zeitgenössischer Tanz, Improvisation, Tanzgeschichte,

Musikgeschichte und -theorie, Ballettkunde (Anatomie, Tanztheorie); Schminken, Deutsch, Englisch, Sozialkunde

Staatlich geprüfte/r klassische/r Tänzer/in

International Gegründet 1971 von John Cranko als erste staatliche Ballettschule der Bundesrepublik, 1974 umbenannt in John Cranko Schule. Schüler kommen aus aller Welt. 57 Mitarbeiter kümmern sich um sie, darunter 13 Ballett-, 4 Gastpädagogen, 11 Korrepetitoren (Pianisten, die den Unterricht begleiten).

Lebendig An die Schule ange-schlossen ist ein Wohnheim für insgesamt 32 Schüler zwischen10 und 16 Jahren. Sie werden betreut durch Erzieher, die natür-lich auch nachts vor Ort sind. In den Schulferien schließt das Wohnheim.

Berühmt Die Bühne ist das Maß aller Dinge. Die Schüler wirken daher ständig bei den Repertoire-Aufführungen des Stuttgarter Balletts mit. Mehrmals im Jahr gibtes Schulvorstellungen und Gast-spiele, für die das ganze Jahr geprobt wird. Dann präsentieren sich nahezu 100 Schüler dem gespannten Publikum.

JOHN CRANKO SCHULE IM OPERNHAUS 9. und 16. JuliProgramm: Choreo-graphien von Marco Goecke, Demis Volpi, Tadeusz Matacz, LouisStiens, Goyo Montero, Katarzyna Kozielska, Fabio Adorisio, StephenShropshire u. a.

BALLETTSCHULE GRUNDAUSBILDUNG

Wie in der Vorschule fi ndet der Ballettunterricht nachmittags statt. Vormittags gehen die Schüler in die normale Schule. Schulpfl ichtige aus dem Ausland besuchen zunächst Deutschförderklassen

BALLETTVORSCHULE 2 × wöchentl.60 – 90 Min.

6 × wöchentlich 90 Min. (Mo bis Sa)

BALLETTAKADEMIE

4 × wöchentl.60 – 90 Min.

Vo

rsch

ule

1ca

. 7 Ja

hre

alt

Vo

rsch

ule

2ca

. 8 Ja

hre

alt

Vo

rsch

ule

3ca

. 9 Ja

hre

alt

Kla

sse

1ca

. 10

Jah

re a

lt

Aka

de

mie

A &

B16

– 1

8 Ja

hre

alt

Ab

sch

luss

Die John Cranko Schule ist 45 Jahre alt und eine der weltbesten Ballettschulen. Hier werden alle Schüler und Schülerinnen von klein auf gefördert – und gefordert

Vo

rsch

ule

4ca

. 10

Jah

re a

lt

Kla

sse

n 2

– 6

ca. 1

1 –

16 Ja

hre

alt

4

6

42

21

16

19 Mädchen

13 Jungen

15 Nationalitäten

70 % der Tänzer des Stuttgarter Balletts kommen aus der John Cranko Schule

Circa 300 Bewerbungen gehen jährlich für unterschiedliche Klassen ein, Schüler ab 12 Jahren bewerben sich per DVD. Außerdem fi ndet jährlich eine Aufnahmeprüfung statt.

1 × wöchentl.60 – 90 Min.

Förderung der musikalischen und rhythmischen Begabung

Die Akademie ist die intensivste Phase, die Schüler konzentrieren sich voll auf ihr Training und die Ausformung ihres Talents. Am Ende jedes Schuljahres stehen Prüfungen, die Intendant Reid Anderson undSchuldirektor Tadeusz Matacz persönlich abnehmen, auch um die individuelle Förderung zu planen

3 × wöchentl.60 – 90 Min.

Aufbau der physischen Fähigkeiten und Vorbereitung auf die Grundausbildung

Klassische Technik und Repertoire, außerdem je nach Altersstufe: Pas de deux, Improvisation, zeitgenössischer Tanz, spanischer Tanz, Kastagnetten

Page 24: 00 Reihe5 Nr8 gesamt RZ...Im Belgien des 16. Jahrhunderts kämpft Clärchen an der Seite ihres Liebsten, Egmont, gegen die Spanier – gut geht das nicht aus. Beethoven komponierte

BACKSTAGE

46

Reihe 5 im Abo!

Kostenlos und viermal im Jahr bieten wir Ihnen noch mehr Geschichten vor, auf und hinter der Bühne.

WAS WAR DA LOS?

Stefan Fuge (47), Garderobier beim Stuttgarter Ballett: »Wir sind hier beim Kostümwechsel während der Aufführung von Romeo und Julia. Fünfzehn Personen drängen sich in einem zelt arti-gen Raum direkt hinter der Bühne. Ich stehe vorn links, helfe gerade einem Tänzer in sein Wams und schließe die Häkchen am Rücken. Wir haben nur drei Minuten, um acht Personen komplett umzuklei-den. In der Szene davor wurde auf der Bühne gekämpft, die Tänzer

kamen mit Degen und Floretten angerannt. Als Nächstes eröffnen sie einen Ball, in feinen Wämsern und roten Capes. Jeder hat einen eigenen Platz, auf dem sein Trikot liegt, sein Kostüm, die Schläpp-chen. In der Eile reißt manchmal eine Naht, oder ein Reißverschluss geht kaputt. Ich versuche immer, auf jede Eventualität so gut wie möglich vorbereitet zu sein, Ersatzgewänder inklusive. Hinter der Bühne muss man hoch konzentriert sein, sonst macht man Fehler.«

Hauptsponsor des Stuttgarter Balletts

Partner der Oper Stuttgart

Förderer des Stuttgarter Balletts

Konzept ErlerSkibbeTönsmann & Grauel Publishing GmbHBeratung der HerausgeberJohannes Erler, Ralf GrauelRedaktion Hiltrud Bontrup (Ltg.),Jana Petersen, Kai Schächtele; Christoph KolossaRedaktion für Die Staatstheater Stuttgart Thomas Koch, Claudia Eich-Parkin (Oper); Vivien Arnold, Pia Boekhorst (Ballett); Carolina Gleichauf, Jan Hein (Schauspiel)

Gestaltung Anja Haas; Inga AlbersAnzeigen Simone [email protected] Bechtle Druck&Service GmbH, Esslingen Erscheinungsweise 4 × pro SpielzeitHausanschriftDie Staatstheater StuttgartOberer Schlossgarten 670173 Stuttgart

www.staatstheater-stuttgart.de

IMPRESSUMHerausgeber Die Staatstheater StuttgartGeschäftsführender IntendantMarc-Oliver HendriksIntendant Oper StuttgartJossi WielerIntendant Stuttgarter BallettReid AndersonIntendant Schauspiel StuttgartArmin Petras

Foto

: R

om

an

No

vitz

ky

Schlosser für die Fischbach-Aktion

nach Nord!

DURCHSAGE23. Februar, 11.30 Uhr

In der Oper Ariodantewird im ersten Akt ordent-

lich Wind gemacht. Die Aktion ist nach dem Her-steller der Windmaschine benannt: Fischbach. Die

Schlosser bringen sie auf die nördliche Seiten-

bühne, damit der Darstel-ler des Polinesso sie im

richtigen Moment auf die Bühne schieben kann.

Bestellen Sie unser Magazin Reihe 5einfach kostenlos nach Hause!

Per Post an:Die Staatstheater Stuttgart – PublikationenPostfach 10 43 45, 70038 Stuttgart

Online unter:www.staatstheater-stuttgart.de/reihe5

Page 25: 00 Reihe5 Nr8 gesamt RZ...Im Belgien des 16. Jahrhunderts kämpft Clärchen an der Seite ihres Liebsten, Egmont, gegen die Spanier – gut geht das nicht aus. Beethoven komponierte

Gelegentlich, und besonders in unserer schnelllebigen Zeit,

ist es angebracht daran zu erinnern, dass das Haus KESSLER

nach wie vor Deutschlands älteste Sektkellerei ist. Das bedeu-

tet, dass Georg Christian von Kesslers Nachfolger seit 1826

nicht nur von dem in zwei Jahrzehnten in Reims erworbenen

Wissen des Gründers über die Champagner-Herstellung

profitierten. Sondern dass sie auch fast zwei Jahrhunderte

Zeit hatten, es für diesen großen Sekt zu perfektionieren.

AUS DEM ÄLTESTENSEKTHAUS DEUTSCHLANDS.