{0_1415365_34_20101208-FAZ-D1-14003}epaperdemopdf

Embed Size (px)

DESCRIPTION

estructura de las columnas e imagenes en la sección cultural del faz

Citation preview

  • FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG MIT T WOCH, 8. DEZEMBER 2010 NR. 286 SEITE N 3Geisteswissenschaften

    Zum Nachleben der Groen gehrenauch jene liebenswrdigen gelehrten Mi-niaturen, die sich an die Darstellung derbiographischen und lokalen Feinstruktu-ren machen. Unverffentlichtes aus demNachlass von Carl Schmitt, soweit es dieKunstrezeption des Rechtsdenkers in derNachkriegszeit betrifft, stellt nun kom-mentierend Gerd Giesler vor (CarlSchmitt und die Knste in der Plettenber-ger Nachkriegszeit. Plettenberger Minia-turen, Heft 3, 2010).

    Mit der Kunstmoderne war CarlSchmitt frh in Berhrung gekommen.Aber das lebhafte Interesse, das auchFreundschaften mit Knstlern und Dich-tern einschloss, endete nicht mit der he-

    roischen Moderne-Epoche der zwanzigerJahre. Nach dem gemeinsamen Besuch ei-ner Kandinsky-Ausstellung in der KlnerGalerie Mller meldete Schmitt seinemFreund, dem katholischen Kunst- und Li-teraturkritiker Walter Warnach: Natr-lich ist das ,Abstrakte in der modernenMalerei zunchst nur eine polemische Ab-lehnung des bisherigen Konkreten, Schaf-fung freien Raumes, Landnahme. Kan-dinskys russische ,Unschuld ist die rech-te Disposition dafr. Mein Fehler ist mei-ne Ungeduld, das neue Konkrete zu fas-sen; Ihre Strke und Jugend ist die gre-re Geduld.

    Zu den Plettenberger Freunden gehr-te auch der Bildhauer Heinrich Holthaus,der in den letzten beiden Kriegsjahrenmit den Resten des Tons von Kthe Koll-witz modelliert hatte. Da Holthaus, wieGiesler anmerkt, auch Theologie bei Ru-dolf Bultmann und Karl Barth studiert

    hatte, war der Kontakt fr Schmitt auchintellektuell reizvoll.

    Zu den bemerkenswertesten Knstlernum Schmitt gehrte Hugo Kkelhaus(1900 bis 1984). Dieser gelernte Tischler,der Philosophie und Soziologie studierthatte, verffentlichte 1934 das Buch Ur-zahl und Gebrde, das, wie die zeitge-nssische philosophische Anthropologie,Denken, Wortbildung und krperlicheBewegungssequenzen wieder in einen en-geren Zusammenhang stellen wollte. AnSchmitt schrieb er im Dezember 1953 ei-nen Brief, der ganz diesen Geist atmet:Gestern abend las ich Ihre AbhandlungRecht und Raum und bin dabei von ei-nem Bein aufs andere gehpft. So ein Feu-erofen in einer Eiszeit. Das Wort Sieb als Sieb, das den Begriff gerade nur alsHemd ber sich trgt, als Faltenwurf, derseine Leiblichkeit durch Verhllung stei-gert . . . L.J.

    Wer Passanten nach dem Weg fragt, lei-tet das zumeist mit Entschuldigungein. Wenn jemand hingegen ohne Ent-schuldigung mit der Wendung EineFrage einsetzt, dann handelt es sichum die Unterbrechung schon laufenderInteraktion. Eine Frage, Herr Ober,wie spt ist es eigentlich? Der Spre-cher entschuldigt sich gewissermaennicht fr die Kontaktaufnahme, son-dern dafr, dass er mit seiner Frage auseinem erwartbaren Ablauf ausschert.Darum kndigt er sie eigens an unddass es nur eine sein wird. Der Hotel-empfang nimmt die Zimmerschlsselentgegen, und der Gast sagt Eine Fra-ge (noch). Wo ist denn hier die nchsteBank? Wer Eine Frage sagt, erwar-tet auerplanmige Zuwendung undverspricht dafr, es kurz zu machen.

    Sind Schlerfragen, die sich nichtauf Lehrerfragen beziehen, ein solcherFall fr auerplanmige Zuwendung?Der in Hannover lehrende Erziehungs-wissenschaftler Thomas Wenzl hat ge-rade eine bemerkenswerte Studie zurKommunikation in Schulklassen vorge-legt (,Sich-Melden. Zur inhrentenSpannung zwischen individuellemSchlerinteresse und klassenffentli-chem Unterrichtsgesprch, in: Sozia-ler Sinn. Zeitschrift fr hermeneuti-sche Sozialforschung, Jg. 11, 2010).Darin stellt er eine Abfolge fest, in derdie Kinder lernen, welche Art von Ge-sprch das Unterrichtsgesprch ist. Inder ersten Grundschulklasse wird zu-nchst versucht, die Melderegel durch-zusetzen: Nicht reinrufen, nicht nachvorne laufen, keine Beitrge zu The-men, die gar nicht dran sind.

    Schon in der vierten Klasse haltendie Schler diese Regel zumeist ein, lei-den aber oft darunter, dass immer nureiner zugleich sprechen darf und ande-re drangenommen werden. Sie schnip-sen, bitten, rudern mit den Armen, wodie Kleineren noch einfach losredeten.Der bergang vom Fremdzwang zumSelbstzwang ist fast geleistet. Die Aufga-be des Lehrers ist es darum jetzt nichtmehr, die Regel durchzusetzen, son-dern das Rederecht fair zu verteilen.

    Ab der fnften Klasse kommt esdann zu situativen Brechungen derMelderegel und zwar unter Nutzungder Wendung Eine Frage. MancheSchler beginnen, wenn sie etwas ge-fragt werden, mit Ich hab mal eine Fra-ge vom vorgegebenen Gesprchsthe-ma abzuweichen. Das tun sie aber nichtmit privaten Anliegen. Sondern mitEine Frage wird eingeleitet, was sieam Unterrichtsgesprch beschftigt,auch wenn es oder: weil es geradenicht errtert wurde. Die Lehrerinfragt, wie Caesar zu Brutus stand, unddie Schlerin antwortet Eine Frage.Hatte Caesar eigentlich eigene Kin-der? Die Schler haben, so Wenzl, indiesem Alter verstanden, dass der Un-terricht allgemeinverbindliche Themenhat und individuelle Beitrge sich dar-auf beziehen mssen. Sie wissen, dasssie den erwartbaren Ablauf unterbre-chen und ihre Frage eventuell nur sieselbst interessiert, aber sie wissenauch, dass es eine thematisch einschl-gige Frage ist.

    Doch weshalb erscheint den Sch-lern dann ihre Frage als legitimierungs-bedrftig? Hat denn der Unterrichtnicht auch den Sinn, individuelle ber-legungen der Schler zu bercksichti-gen? Die Pointe und der Mut vonWenzls Studie liegen darin, das zu ver-neinen. Die verbreitete Vorstellung, dieSchule wende sich in erster Linie an In-dividuen, ist falsch. Sie entstammt ei-ner pdagogischen Literatur, derenKlassiker Hauslehrer waren, und teiltmit ihnen das Vorurteil, die Klassenfr-migkeit des Unterrichts sei nur ein ko-nomischen Zwngen sich verdanken-der, pdagogisch aber funktionsloserSachverhalt. Je kleiner die Klasse, des-to besser, weil es am besten gar keineKlasse gbe, sondern Einzelstunden.Gute Lehrer unterrichten dann gewis-sermaen gegen die Tatsache, dass siemehrere Kinder unterrichten. Ihre pri-mre Orientierung sei die individuelleBegabung.

    Demgegenber unterstreicht Tho-mas Wenzl, was gut daran ist, dass inSchulklassen und nicht individuell un-terrichtet wird: Die Situation verlangedann von den Schlern eine am Allge-meinen orientierte Haltung. Hat das,was mir durch den Kopf geht, auch eineBedeutung fr die anderen das ist dieFrage, die der Klassenunterricht denSchlern nahelegt. Damit bernimmtdie Schule gegenber der Familie einegenuine Erziehungsfunktion. In Famili-en gibt es kaum Interaktionen, bei de-nen streng darauf geachtet wird, dassdie Beitrge zum Thema erfolgen.Wenn ein Kind vom Fokus des aktuel-len Gesprchs abweicht, wird das meis-tens toleriert. Die Schule hingegensetzt Situationen durch, die thematischfokussiert sind. Dazu trgt die Klassen-gre bei, denn sie macht es unmg-lich, auf unsachliche Beitrge beson-ders einzugehen, und sie legt es denSchlern nahe, von ihrer Individualittabzusehen.

    Das klingt unfreundlich. Aber wirschtzen im sozialen Leben eben bei-des: Individualitt und das Absehenvon Individualitt, die Fhigkeit, vonsich zu abstrahieren. Erziehung mussdarum beides vorsehen, beides unter-sttzen. Jeder ist einzigartig, und allesind gleich. Eine gute Art, dieses Para-dox aufzulsen, ist die Sachlichkeit: Je-der kann besondere Beitrge zu etwasAllgemeinem leisten. JRGEN KAUBE

    Abstrakt, konkret

    A ls der in Hannover aufgewachsenepolnisch-jdische Student Her-schel Grynszpan im Alter von sieb-zehn Jahren am 7. November 1938 in Pa-ris den deutschen BotschaftssekretrErnst vom Rath niederschoss Goebbelsentfesselte nach dem Ableben des Diplo-maten das reichsweite Pogrom der soge-nannten Kristallnacht , uerte der da-mals im mexikanischen Exil lebende rus-sische Revolutionr Leo Trotzki Sympa-thien fr den Attentter. Dessen Verhal-ten, so schrieb er in der amerikanischenZeitung Socialist Appeal, sei politischzu missbilligen, moralisch aber keines-wegs zu verurteilen.

    Grynszpans Tat war Ausdruck der tie-fen Depression, in die die Ausweisungspo-litik des NS-Regimes seine Familie ge-strzt hatte. Die Eltern waren von dendeutschen Behrden nach Polen abgescho-ben, von den polnischen Grenzern aber zu-rckgewiesen worden. Wie viele andere Ju-den irrten sie im Niemandsland zwischenden beiden Nachbarstaaten umher. Als die

    von Stalin-Anhngern beherrschte kom-munistische Presse behauptete, Grynsz-pan htte in Frankreich trotzkistische Ver-sammlungen besucht, antwortete Trotzki,er msse dies leider dementieren: Inden Organisationen der Vierten Interna-tionale, so fuhr er fort, wre Grynszpanzum revolutionren Massenkampf erzo-gen worden und htte auf seinen individu-ellen Verzweiflungsakt verzichtet.

    Das politische Urteil russischer Revolu-tionre ber Anschlge auf Einzelperso-nen war nicht immer so eindeutig, wie esdiese berlegungen vermuten lassen. Pro-grammatik und Schulungstexte orthodo-xer Marxisten standen gleichwohl seitetwa 1900 im Zeichen der zunehmendenAbgrenzung von einer anderen sozialisti-schen Strmung, deren Vorkmpfer sichseit den siebziger Jahren des neunzehntenJahrhunderts und dann noch einmal nach1902 dem individuellen Terror verschrie-ben hatten. Attentate auf Gouverneureund Grofrsten, Minister und Offizierewaren das Werk der Volkstmler, Naro-dowolzen, von denen einige zu Beginndes neuen Jahrhunderts die Partei der So-zialisten-Revolutionre (kurz: Sozialrevo-lutionre oder SR) grndeten; der spekta-kulrste Schlag war 1881 die ErmordungZar Alexanders II.

    Ehe sie mit der Anschlagserie von sichreden machten, hatten die Narodniki be-gonnen, ins Volk zu gehen, um die Um-verteilungsgemeinde des russischen Dorfsgegen den Zarismus zu mobilisieren. DieEnttuschung der agrarrevolutionrenHoffnungen lie die groenteils aus gebil-deten und privilegierten Familien stam-menden Revolutionre und Revolution-rinnen der Frauenanteil war in der Tatbetrchtlich zur Pistole oder zum Dyna-mit greifen.

    Benjamin Schenk und Anke Hillbren-ner haben in einem Themenheft neuereStudien zur Geschichte des russischen Ter-rorismus zusammengetragen und ausfhr-lich kommentiert (Modern times? Terro-rism in late imperial Russia, in: Jahrb-cher fr die Geschichte Osteuropas, Jg. 58,Heft 2, 2010). Ihr Ausgangspunkt ist dieForschungslage zum gesamten Themen-komplex seit dem 11. September 2001; zu-gleich rekapitulieren sie die Forschungs-strnge zur Volkstmlerbewegung in Russ-land, beginnend bei der sowjetischen Lite-ratur und bei dem frhen italienischenStandardwerk von Franco Venturi.

    Am Beispiel der Schesterka, sechs jun-ger Frauen, die in die sozialrevolutionrePropaganda der Tat nach 1902 verwi-ckelt waren, rekonstruiert Sally A. Bonie-ce die soziale und ethnische Herkunft, dasakademische Curriculum und die politi-sche Biographie russischer, weirussi-

    scher und jdischer Attentterinnen. Deut-lich wird in diesem berwiegend sozialhis-torisch argumentierenden Aufsatz der Zu-sammenhang zwischen den vom Staatsap-parat tolerierten, wenn nicht gar angezet-telten antijdischen Pogromen, den drako-nischen Manahmen zur Unterdrckungvon Bauernrevolten und den Todesurtei-len der Sozialrevolutionre gegen beson-ders verhasste Reprsentanten des Re-gimes. Groe Bedeutung kommt den Gen-der-Fragen zu: Die Partei erscheint viel-fach als Familienersatz, in den Lebensge-schichten der Frauen fehlte selten der lte-re Kampfgefhrte, der sie auf den Wegzum radikalen Dissens und darber hin-aus fhrte.

    Etwas ratlos lsst den Leser der AufsatzAnke Hillbrenners ber einen berchtig-ten Anschlag auf das Caf Libman im Zen-trum der multiethnischen HafenstadtOdessa. Als Tter wurde die anarchisti-sche Gruppe der Bezmotivniki derUnmotivierten entlarvt, die aus einerHandvoll zu allem entschlossener jugendli-cher Gewalttter und einigen Hintermn-nern bestand, welche wiederum selbstnicht viel riskierten. Die Verfasserin se-ziert den Verlauf des Attentats, den Pro-zess gegen die Anarchisten und die Ge-walteskalation in den darauf folgendenWochen, in denen der von aufstndischenMatrosen gesteuerte Panzerkreuzer Potem-kin im Hafen von Odessa festmachte.

    Die performative und kommunikativeFunktion von Kleidung steht im Mittel-punkt eines von Lynn Patik beigesteuer-ten Textes: Lass uns ausrechnen, wie vielPud Roggen in Form von Ohrringen anDeinen Ohren hngen, Veruschka! Diekritische Bemerkung eines literarisch ge-bildeten und sozial sensiblen Onkels trugnicht wenig zur politischen Radikalisie-rung der legendren Vera Figner bei, dieden Kontakt zur Opposition suchte, weilsie keine perfekt ausstaffierte Puppemehr sein wollte. Als Mitorganisatorindes Anschlags auf Alexander II. 1881 ver-haftet, vor Gericht gestellt und zum Todeverurteilt, verbrachte sie nach ihrer Begna-digung zwanzig Haftjahre auf der Inselfes-tung Schlsselburg.

    Fridtjof Benjamin Schenk greift den As-pekt der Moderne im Agieren der Narodo-wolzen und Sozialrevolutionre herausund konzentriert sich auf die Eisenbah-nen als Fortbewegungsmittel, vor allemaber auch als Objekt terroristischer Angrif-fe. Handelte es sich anfnglich nur darum,den geeigneten Streckenabschnitt fr ei-nen dann fehlgeschlagenen Anschlag aufden Sonderzug des Zaren ausfindig zu ma-chen, so bildete die Anonymitt der Gro-stadtbahnhfe zwei Jahrzehnte spter dieKulisse fr so manches Attentat.

    Claudia Verhoeven schlielich setztsich mit dem Phnomen der revolution-ren Ungeduld auseinander und rekonstru-iert das Selbst der Narodowolzen, diezwischen hektischer Aktivitt und nerven-zehrendem Abwarten aufgerieben wur-den. Ihr Ziel sei es gewesen, das Zaren-reich in eine andere Zeit zu katapultieren,wobei sich der Einsatz auch gegen die br-gerliche Moderne gerichtet habe. Dieberlegungen reichten immerhin schonso weit, den Palast des Selbstherrschersmit Hilfe eines Flugapparats zu bombar-dieren. Bei alldem interessiert auch, dassdie Partei der Sozialrevolutionre, andersals die erfolglose Vorlufergruppierungder Volkstmler, zur strksten politischenStrmung im ganzen Zarenreich anwuchs.Erst ihre Weigerung, sich dem Lager derbedingungslosen Kriegsgegner anzuschlie-en, kostete sie 1917 den Konsens der Bau-ern und vieler Arbeiter.

    Der Einsatz des Terrors als Kampfmit-tel war keinesfalls spontan erfolgt, son-dern er wurde der Parteiorganisation vonoben aufoktroyiert. Dies erklrt auch, wa-rum der Leiter der sozialrevolutionrenKampforganisation einen hohen Grad anMacht auf sich konzentrieren konnte.

    Evno Azef, Sohn eines armen jdischenHandwerkers, hatte in Karlsruhe undDarmstadt studiert und war dann von derzaristischen Polizei als Spitzel angewor-ben worden; zugleich aber gehrte er zuminnersten Kern des Zentralkomiteesder SR, wie Manfred Hildermeier darlegt.Der Fall belegt die prinzipielle Unbere-chenbarkeit des bezahlten Agenten.Denn Azef zgerte nicht, den russischenInnenminister ermorden zu lassen, den erfr zahlreiche Judenpogrome verantwort-lich machte. ROLF WRSDRFER

    Sie hat Flgel und trgt ein Kleid aus Fe-dern. Doch diese bedecken nur notdrf-tig die zahllosen Augen, die sich entlangihres Gefieders verteilen und dabei inalle Richtungen gleichzeitig sphen.Und da sie zustzlich noch Ohren inmehrfacher Ausfhrung besitzt, kannman nicht das kleinste Geheimnis vorihr bewahren. Im Besitz einer Trompeteblst sie es heraus. Fama, die nach ihrerrmischen Phase als Gttin der gutenwie der blen Nachrede zur Allegoriedes Ruhmes aufgestiegen ist, hat alsKlatschreporterin begonnen. Daran er-innerte die LiteraturwissenschaftlerinUta Kornmeier jetzt im Berliner Muse-um fr Kommunikation.

    Bei Vergil noch wird Fama als Kolpor-tagegttin beschrieben. ber den ab-trnnigen Trojaner-Sohn, den mit derGrndung einer neuen Stadt beauftrag-ten Aeneas, verbreitet sie: Aeneas seigekommen, ein Spross aus trojanischemBlute, an den sich als ihren Mann dieschne Dido zu binden geruhe; genss-lich wrmten sie derzeit einander denlieben langen Winter, ihrer Knigswr-de nicht gedenkend und von liederlicherBegierde ergriffen. Aeneas also ziehtdie Ausschweifung seiner gttlichenBauherrenpflicht vor und den Zorn fastaller Beteiligter auf sich, einschlielichden seines Nebenbuhlers Iarbas.

    Schlechter Leumund, wir wissen es,verbreitet sich im Handumdrehen dabedarf es gar keiner Gerchte-Gttin.Ein paar aufmerksame Zeitgenossen,der messianische Betreiber einer Inter-netplattform und eine funktionierendeffentliche Meinung gengen vllig.Und obwohl Fama auch in der zweitenwichtigen antiken Quelle, in den Meta-morphosen Ovids, als zwiespltigeKundschafterin dargestellt wird (Dochdie geschwtzige Fama, welche so gern

    zum Wahren das Falsche gesellt und wieLgen wchst so klein sie auch war),und selbst bei Isidor von Sevilla noch alsjanuskpfiges in eine Fama mala undeine Fama buona gespaltenes Wesen er-scheint, verliert sich ihr eigener schlech-ter Ruf im Laufe der Zeit auf rtselhafteWeise.

    Knige und Frsten, Kardinle undmythische Gestalten werden fortan mitFama als einer Allegorie des Ruhmesdargestellt. Die einstige Gerchte-Gt-tin lsst groe Mnner in hellem Lichterstrahlen und scheint ihr Schmuddel-image abgestreift zu haben. Doch es dau-ert nicht lange, da wird sie mit anderenGttinnen verwechselt. In synkretisti-scher Manier erscheint sie vor allem imachtzehnten Jahrhundert mit Attributender Curiosit oder der Gloria. Die Famaauf der Dresdner Kunstakademie hltbezeichnenderweise einen Glorien-kranz in der Hand.

    Dann verschwindet das Allegorischeallmhlich wieder aus der zeitgenssi-schen Bildrhetorik. Bei Diderot undDAlembert findet Kornmeier neben ei-nem Eintrag zum Thema hros aucheinen zum grand homme letztererals einer von uneigenntzigem Interessegeleiteten Persnlichkeit, der Fama ge-bhrt. Die Fama selbst als pikturales Bei-werk einer wie auch immer gestaltetenHeldenverehrung kommt in dem Maeaus der Mode, in dem Individualitt zurneuen Brgertugend wird. Wo aberkonnte man diese neuen aufgeklrtenHelden seinerzeit bewundern?

    Uta Kornmeier zitiert verschiedeneBildprogramme, doch das Wachsfiguren-kabinett von Philippe Curtius, das sp-ter von dessen Ziehtochter Marie Tus-saud erweitert und aus dem Pariser Pa-lais Royal nach London exportiert wur-de, gehrt sicherlich zu den prgenden

    Orten dieser Heldenverehrung moder-nen Typs. Neben der kniglichen Fami-lie fanden auch die neuen grandeshommes darin ihren angemessenenPlatz: Intellektuelle wie Rousseau undVoltaire, aber auch die Politiker La Fay-ette oder Benjamin Franklin. Mit ande-ren Worten: Gegen Ende des achtzehn-ten Jahrhunderts verdrngen Realismusund die Entdeckung der Individualittdie Personifizierung als bildnerischesMittel. Bei Tussaud kommt es im Zugedieser neuen Bildpolitik zu einer Ver-schiebung von Ruhmesdarstellungenhin zur Darstellung berhmter Persn-lichkeiten.

    Madame Tussauds Jahrhundert istnicht umsonst auch jenes der Rotations-presse. Und selbstverstndlich wurdenauch die ersten Medienberhmtheiten,die sich oft dadurch auszeichnen, dasssie kaum je eine heroische Tat voll-bracht haben, darin als Wachsfigurenverewigt: Die Serienmrder WilliamBurke und William Hare aus Edinburghbeispielsweise, die ihre Opfer an die rt-liche Anatomieschule verkauften.

    Whrend im neunzehnten Jahrhun-dert die Presse ganz offensichtlich dieQualitten der Fama annimmt und dieKunde vom Serienmord im ganzen Knig-reich verbreitet, kehrt langsam die dmo-nische Seite der Fama zurck auf die Bild-flche und zwar in Gestalt des individu-ell Bsen. Sie ging den weiten ideenge-schichtlichen Weg von einer Allegoriedes Gerchts ber ein Attribut der Tu-gend bis hin zum modernen Medium, dasnicht mehr Gerchte verbreitet, sondernNachrichten. Fama, so Uta KornmeiersThese, ist keine Gttin mehr, sonderneine Zeitungsseite voller Stars und Sensa-tionen. Im Internet, msste man hinzuf-gen, findet sie endlich ein Medium aufAugenhhe. KATHARINA TEUTSCH

    Carl Schmitt und die Knstler

    Terror und Moderneim Zarenreich

    Vera Figner (1852 bis 1942) Foto Picture Alliance

    Alexander II., Opfer des Terrors Foto AKG

    Antike KlatschreporterinAllegorie zwischen Gut und Bse: Der Weg der Fama in die Neuzeit

    Eine Frage noch

    Sich melden

    Vorgeschichte des politi-schen Verbrechens:Die Volkstmler, privile-gierte junge Idealisten,wollten die Bauern-schaft revolutionrmobilisieren undentdeckten dabei denNutzen von Attentaten.

    Wer etwas gelten will, muss krftige Blser haben: Franois-Frdric Lemot (1772 bis 1827) gestaltete das Relief LHistoire et laRenomm (Die Geschichte und das Ansehen, der Ruhm), von dem wir den Ausschnitt des Renommees zeigen. Foto AKG