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Physik aquatischer Systeme I Werner Aeschbach-Hertig 1.1 2005/06 1 1. Physikalische Eigenschaften des Wassers 1.1 Der globale hydrologische Kreislauf Der hydrologische Kreislauf oder globale Wasserkreislauf bildet den Rahmen, inner- halb dessen die einzelnen aquatischen Systeme existieren, deren Physik wir unter- suchen wollen. Die Hydrologie befasst sich mit quantitativen Aspekten des Wasser- kreislaufes, insbesondere mit der Verteilung und Dynamik des Wassers auf und unter der Erdoberfläche (z. B. Niederschlag, Speicherung, Nutzung und Abfluss in Einzugsgebieten). Im Gegensatz dazu befasst sich die aquatische Physik mit internen physikalischen Prozessen in einzelnen Subsystemen (z. B. Schichtung, Mischung und Transport in Seen und Aquiferen). Zur Hydrosphäre zählt man sämtliche Formen von Wasser auf und unter der Ober- fläche der Erde. Dies schließt den gesamten Ozean und den globalen Wasserkreis- lauf ein, nachdem der Niederschlag die Erde erreicht hat. Wasser ist aber auch in den anderen Sphären präsent und wichtig: Wasserdampf in der Atmosphäre, flüs- siges Wasser in der Biosphäre, Eis in der Kryosphäre. Auch die feste Erde enthält Wasser, gebunden als Kristall- und Formationswasser sowie das (zur Hydrosphäre zählende) durch den Porenraum zirkulierende Grundwasser. 70 % der Erdoberfläche sind von Ozeanen bedeckt, welche 97 % des Wassers der Hydrosphäre (inkl. Kryosphäre) enthalten. Das größte Süßwasser-Reservoir stellen die polaren Eisschilde dar, gefolgt von Grundwasser. Die wichtigsten Kompartimente des globalen Wasserkreislaufes sind in Tab. 1.1 aufgeführt, Abb. 1.1 zeigt ein ganz grobes Schema der Flüsse zwischen ihnen. Aus den Ozeanen verdunsten jährlich 425'000 km 3 Wasser, wovon das meiste als direkter Niederschlag ins Meer zurück- kehrt. 40'000 km 3 Wasser werden auf die Kontinente "exportiert", und kehren als Abfluss wieder zurück. Der Niederschlag von 111'000 km 3 Wasser pro Jahr auf die Landmaßen ist also zu fast 2/3 "hausgemacht" (Verdunstung von Kontinenten), nur 1/3 ist vom Ozean importiert. Die mittlere Aufenthaltszeit (= Volumen/Durchfluss) des Ozeans beträgt über 3000 Jahre, diejenige des atmosphärischen Wasser- dampfes nur gut 10 Tage. Auf den Kontinenten verweilt das Wasser im Mittel gut 300 Jahre, mit enormen Unterschieden zwischen verschiedenen Teilreservoiren (kurz in Flüssen und Seen, lange in Grundwasser und Eis). Ein detaillierteres Bild des hydrologischen Kreislaufes gibt Abb. 1.2. Für die hydro- logische Wasserbilanz entscheidende Prozesse sind Niederschlag, Verdunstung, Evapotranspiration, Oberflächenabfluss und Infiltration. Seen und Grundwasserleiter wirken als temporäre Speicher. Während für die Wasserbilanz nur die mittlere Aufenthaltszeit in diesen Speichern von Bedeutung ist, werden wir uns mit ihrer internen Struktur und den internen Transportprozessen befassen. Die Verteilung des Wassers über die Erde ist sehr ungleichmäßig, wie Abb. 1.3 zeigt. Viel Niederschlag erhalten die Tropen und küstennahe Gebirge. Trocken sind die Subtropen und das Innere der grossen Kontinente der Nordhalbkugel. Wasser- knappheit herrscht überall dort, wo trockenes Klima mit großer (und immer noch wachsender) Bevölkerungsdichte zusammentrifft (z.B. Nordafrika, naher Osten, Nordchina, usw.)

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Physik aquatischer Systeme I Werner Aeschbach-Hertig 1.1 2005/06

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1. Physikalische Eigenschaften des Wassers

1.1 Der globale hydrologische Kreislauf Der hydrologische Kreislauf oder globale Wasserkreislauf bildet den Rahmen, inner-halb dessen die einzelnen aquatischen Systeme existieren, deren Physik wir unter-suchen wollen. Die Hydrologie befasst sich mit quantitativen Aspekten des Wasser-kreislaufes, insbesondere mit der Verteilung und Dynamik des Wassers auf und unter der Erdoberfläche (z. B. Niederschlag, Speicherung, Nutzung und Abfluss in Einzugsgebieten). Im Gegensatz dazu befasst sich die aquatische Physik mit internen physikalischen Prozessen in einzelnen Subsystemen (z. B. Schichtung, Mischung und Transport in Seen und Aquiferen). Zur Hydrosphäre zählt man sämtliche Formen von Wasser auf und unter der Ober-fläche der Erde. Dies schließt den gesamten Ozean und den globalen Wasserkreis-lauf ein, nachdem der Niederschlag die Erde erreicht hat. Wasser ist aber auch in den anderen Sphären präsent und wichtig: Wasserdampf in der Atmosphäre, flüs-siges Wasser in der Biosphäre, Eis in der Kryosphäre. Auch die feste Erde enthält Wasser, gebunden als Kristall- und Formationswasser sowie das (zur Hydrosphäre zählende) durch den Porenraum zirkulierende Grundwasser. 70 % der Erdoberfläche sind von Ozeanen bedeckt, welche 97 % des Wassers der Hydrosphäre (inkl. Kryosphäre) enthalten. Das größte Süßwasser-Reservoir stellen die polaren Eisschilde dar, gefolgt von Grundwasser. Die wichtigsten Kompartimente des globalen Wasserkreislaufes sind in Tab. 1.1 aufgeführt, Abb. 1.1 zeigt ein ganz grobes Schema der Flüsse zwischen ihnen. Aus den Ozeanen verdunsten jährlich 425'000 km3 Wasser, wovon das meiste als direkter Niederschlag ins Meer zurück-kehrt. 40'000 km3 Wasser werden auf die Kontinente "exportiert", und kehren als Abfluss wieder zurück. Der Niederschlag von 111'000 km3 Wasser pro Jahr auf die Landmaßen ist also zu fast 2/3 "hausgemacht" (Verdunstung von Kontinenten), nur 1/3 ist vom Ozean importiert. Die mittlere Aufenthaltszeit (= Volumen/Durchfluss) des Ozeans beträgt über 3000 Jahre, diejenige des atmosphärischen Wasser-dampfes nur gut 10 Tage. Auf den Kontinenten verweilt das Wasser im Mittel gut 300 Jahre, mit enormen Unterschieden zwischen verschiedenen Teilreservoiren (kurz in Flüssen und Seen, lange in Grundwasser und Eis). Ein detaillierteres Bild des hydrologischen Kreislaufes gibt Abb. 1.2. Für die hydro-logische Wasserbilanz entscheidende Prozesse sind Niederschlag, Verdunstung, Evapotranspiration, Oberflächenabfluss und Infiltration. Seen und Grundwasserleiter wirken als temporäre Speicher. Während für die Wasserbilanz nur die mittlere Aufenthaltszeit in diesen Speichern von Bedeutung ist, werden wir uns mit ihrer internen Struktur und den internen Transportprozessen befassen. Die Verteilung des Wassers über die Erde ist sehr ungleichmäßig, wie Abb. 1.3 zeigt. Viel Niederschlag erhalten die Tropen und küstennahe Gebirge. Trocken sind die Subtropen und das Innere der grossen Kontinente der Nordhalbkugel. Wasser-knappheit herrscht überall dort, wo trockenes Klima mit großer (und immer noch wachsender) Bevölkerungsdichte zusammentrifft (z.B. Nordafrika, naher Osten, Nordchina, usw.)

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Physik aquatischer Systeme I Werner Aeschbach-Hertig 1.2 2005/06

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Tab. 1.1: Kompartimente der Hydrosphäre (nach Mook, 2001) Kompartiment Volumen

(103 km3) % des tot. Wassers

% des Süßwassers

Fluss (103 km3/a)

Austausch-zeit (a)

Ozeane 1 350 000 97.3 425 3000 Süßwasser 36 000 2.7 100

Eis 27 700 77 2.4 12000 Grundwasser a) 8 000 22 15 500 Seen b) 225 0.6 Bodenfeuchte 70 0.2 90 0.8 Atmosphäre 15 0.04 496 0.03 Flüsse 2 0.005 40 0.05 Biosphäre 2 0.005

Total 1 390 000 100 100 a) bis zu einer Tiefe von 5000 m b) ca. zur Hälfte salziges Wasser (z.B. Kaspisches Meer: 78 000 km3, S = 12 ‰)

Abb. 1.1: Wasserreservoire und -flüsse im globalen hydrologischen Kreislauf. Fette Zahlen

bezeichnen Volumina in 103 km3 (s. Tab. 1.1) bzw. Flüsse (kursiv) in 103 km3/a. Die jährlichen Niederschlagsflüsse auf Kontinente und Ozeane sind auch in mm angegeben. Der totale globale Verdunstungs- bzw. Niederschlagsfluss beträgt 496·103 km3/a, oder 973 mm/a bezogen auf die Oberfläche der Erde.

OzeaneKontinente

425385

40

71 111

40V [103 km3] F [103 km3/a]

746 mm 1066 mm

1'350'00036'000

Atmosphäre 15

361.106 km2149.106 km2

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Physik aquatischer Systeme I Werner Aeschbach-Hertig 1.3 2005/06

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Abb. 1.2: Der hydrologische Kreislauf (aus Bear, 1979).

Abb. 1.3: Globale Verteilung des jährlichen Niederschlags (Bos Atlas, Wolters-Noordhof,

1988; übernommen aus Mook, 2001).

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1.2 Bedeutung des Wassers in der Umwelt Der hydrologische Kreislauf durchdringt und verbindet Lithosphäre, Atmosphäre und Biosphäre. Angetrieben durch die Sonnenstrahlung transportiert der Wasserkreislauf neben dem Wasser selber Energie sowie Mineral- und Nährstoffe zwischen allen Teilen der Umwelt. Wasser ist ein zentraler Teil der globalen "Klimamaschine". Der Ozean speichert große Wärmemengen und transportiert sie über weite Strecken. Bei Verdunstung und Kondensation werden bedeutende Energiemengen umgesetzt. Wasserdampf absorbiert Infrarotstrahlung und liefert den größten Beitrag zum natürlichen Treib-hauseffekt, andererseits reflektieren Wolken die einfallende Sonnenstrahlung. Von Bedeutung ist auch der Austausch von Spurengasen zwischen Ozean und Atmo-sphäre, insbesondere für das sehr gut lösliche Treibhausgas CO2. Wasser spielt eine wichtige Rolle bei Verwitterungsprozessen und der Erosion. Flüsse transportieren große Mengen von Feststoffen als suspendiertes Feinmaterial oder als Geschiebe und formen so die Landschaft mit Tälern und Schwemmebenen. Gletscher hinterlassen ebenfalls markante Spuren. Wasser löst und transportiert Mineralstoffe, deren Ablagerung unter gewissen geochemischen Bedingungen zur Bildung von Erzlagerstätten führen kann. Das für die Biosphäre und die menschliche Zivilisation verfügbare Oberflächen-wasser stellt einen vergleichsweise winzigen Bruchteil des gesamten Wasservor-kommens dar (vgl. Tab. 1.1). Dennoch ist Wasser das häufigste Molekül der Bio-sphäre. Es ist einer der anorganischen Rohstoffe, aus denen in der Photosynthese organisches Material synthetisiert wird. Den Lebewesen dient Wasser u.a. für den Transport von Nährstoffen und Ionen und für die Regulierung ihres Wärmehaushalts. Wasser ist das Medium der chemischen Reaktion des Lebens. In fast all seinen physikalischen Eigenschaften ist Wasser entweder einzigartig oder befindet sich zumindest bei einem Extremwert des Eigenschaftsbereichs. Seinen ungewöhnlichen physikalischen Eigenschaften liegt seine polare Molekülstruktur und spezielle Chemie (H-Brücken) zugrunde. Auf diese chemischen und physikalischen Besonderheiten wiederum ist die physikalische, chemische und biologische Bedeu-tung des Wassers in der Umwelt zurückzuführen. Tabelle 1.2 gibt einen ersten Überblick über die physikalischen Besonderheiten von Wasser. Zahlenwerte für die wichtigsten physikalischen Eigenschaften finden sich in den Tabellen 1.4 bis 1.8. Auf die meisten der in diesen Tabellen aufgeführten Eigen-schaften werden wir in diesem Kapitel ausführlich zu sprechen kommen. Im Zentrum steht dabei die sehr spezielle Form der so genannten Zustandsgleichung des Wassers, d.h. der Gleichung, welche die Dichte als Funktion des Druckes, der Temperatur und der Salinität beschreibt. Ebenfalls wichtig für die Rolle von Wasser in der Umwelt sind seine spezifische und latente Wärme, sowie die Transport-prozesse für Wärme und gelöste Stoffe im Wasser. Im Folgenden behandeln wir zunächst die mit dem Wärme- und Stofftransport zusammenhängenden Eigenschaften des Wassers, danach die verschiedenen Faktoren, welche die Dichte des Wassers beeinflussen.

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Physik aquatischer Systeme I Werner Aeschbach-Hertig 1.5 2005/06

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Tab. 1.2: Einige außerordentliche physikalische Eigenschaften von Wasser (nach: The Open University, volume "Seawater": Its Composition, Properties and Behaviour, S. 6)

Eigenschaft Vergleich mit anderen

Substanzen Implikationen für Geosphäre und Biosphäre

Spezifische Wärme (auf die Masse bezogen)

Größer als diejenige aller anderen relevanten natürlichen Flüssigkeiten und Festkörper

Schützt die Umwelt vor extremen Temperaturschwankungen. Transport von Wärme in der Hydro-sphäre, vor allem im Meer, ist groß und klimarelevant.

Latente Schmelzwärme

Größer als diejenige aller anderen Substanzen außer NH3.

Stabilisierung der Umgebungs-temperatur beim Schmelzpunkt durch Gefrieren und Auftauen.

Latente Verdampfungswärme

Größer als diejenige aller anderen Substanzen

Die Verdampfungswärme ist entscheidend für die Regulierung der Umgebungstemperatur. Unter-schiede zwischen Tag und Nacht werden verkleinert.

Thermische Ausdehnung

Wasser hat eine Temperatur max. Dichte oberhalb des Gefrierpunktes (Temperatur-Anomalie). Für Meerwasser verschwindet die Anomalie.

Süßwasserseen sind unterhalb 4°C invers geschichtet und können so gefrieren.

Oberflächenspannung Maximal unter allen Flüssigkeiten

Wichtig für die Physiologie der Zelle, bestimmt die Tropfenbildung.

Lösungsvermögen Groß Für viele biologische und chemische Prozesse wichtig.

Wärmeleitfähigkeit Am größten unter allen Flüssigkeiten

Relevant für kleine Skalen (z. B. Zelle). Über große Distanzen dominiert der Wärmetransport durch Advektion.

Molekulare Viskosität Relativ klein im Vergleich zu anderen Flüssigkeiten.

Fließt bei gegebenem Druckgradient relativ gut.

Transparenz Relativ groß Im sichtbaren Bereich ist die Licht-absorption relativ klein, nicht so im Infrarot und UV. Dies ermöglicht die Photosynthese auch in großer Wassertiefe.

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1.3 Spezifische Wärme, Umwandlungswärme Die spezifische Wärme bei konstantem Druck, cp, beschreibt die Änderung der Temperatur (der "fühlbaren" Wärme) pro Masse und Energiezufuhr. Die Umwand-lungswärme (latente Wärme) beschreibt den Energiebedarf (bzw. die Energie-freisetzung) bei einer Phasenumwandlung (fest, flüssig, gasförmig) pro Masse bei konstanter Temperatur. Die Werte von cp, Schmelz- und Verdampfungswärme für Wasser (bzw. Eis oder Wasserdampf) werden in Tab. 1.3 mit typischen Werten anderer Substanzen verglichen. Man beachte, dass nur leichte Gase wie H2 und He eine höhere spezifische Wärme als Wasser besitzen, und die Verdampfungswärme von keiner anderen Substanz übertroffen wird. Tab. 1.3: Spezifische Wärme cp und Umwandlungswärme von Wasser im Vergleich zu anderen Stoffen (siehe auch Tab. 1.4) Eigenschaft Wasser Andere Substanzen Spez. Wärme cp, 25°C [J⋅kg-1K-1] 4.18⋅103 a) Al: 0.90⋅103 Fe: 0.44⋅103 H2-Gas: 14.3 103 He: 5.18⋅103

Eis, 0°C [J kg-1K-1] 2.11⋅103 Verdampfungswärme 25°C [J kg-1] 2.44⋅106 CO2 (0°C): 2.32⋅105 NH3 (0°C): 1.26⋅106 Schmelzwärme 0°C [J kg-1] 3.34⋅105 a) Zwischen 0 und 100°C variiert cp nur um ungefähr 1% (s. Tab. 1.4).

Eine kleine Rechnung zeigt die Bedeutung der Verdampfungswärme. Pro Jahr verdunsten 496·103 km3 oder ca. 5·1017 kg Wasser (vgl. Abb. 1.1). Dies benötigt eine Energie von 1.2·1024 J a-1. Die solare Einstrahlung auf die Erde beträgt 5.4·1024 J a-1. Davon wird ca. ein Drittel direkt reflektiert, so dass an der Erdoberfläche nur rund 3.6·1024 J a-1 einfallen. Ein Drittel der verfügbaren Sonnenenergie wird also im Wasserdampf zwischengespeichert!

Tab. 1.4 gibt Zahlenwerte für cp, die Verdampfungswärme, sowie verschiedene weitere physikalische Eigenschaften von Wasser (s. Abschnitte 1.4 und 1.5) im Temperaturbereich zwischen T = 0°C und 100°C.

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Tab. 1.4: Einige physikalische Eigenschaften von Wasser bei Atmosphärendruck

Temp. T

[°C]

Dampfdruck ew

[mbar]

Spez. Wärmecp

[J kg-1 K-1]

Verdampfungs-wärme

[106 J kg-1]

Molek. Diff. für Wärme DT

[10-6 m2s-1]

Kinemat. Viskosität ν [10-6 m2s-1]

0 6.1 4217.4 2.501 0.134 1.787 5 8.7 2.489 1.519

10 12.3 4191.9 2.477 0.138 1.307 15 17 2.465 1.14 20 23.3 4181.6 2.454 0.142 1.004 25 31.6 2.442 0.893 30 42.3 4178.2 2.43 0.146 0.801 35 56.2 2.415 0.724 40 73.8 4178.3 2.406 0.152 0.658 45 95.8 2.391 0.602 50 123 4180.4 2.382 0.553 60 199 4184.1 2.357 0.158 0.475 70 311 4189.3 2.333 0.413 80 473 4196.1 2.308 0.164 0.365 90 701 4204.8 2.283 0.326

100 1013 4215.7 2.257 0.166 0.294

1.4 Wärmeleitfähigkeit, molekulare Diffusion und Viskosität In flüssigen und gasförmigen Medien können Wärme und Masse auf zwei Arten transportiert werden: (1) Durch molekulare Prozesse und (2) durch makroskopische Bewegungen in der Trägersubstanz (Flüssigkeit, Gas). Der erste Prozess (er tritt auch in festen Körpern auf) beruht auf der molekularen Temperaturbewegung; entsprechend heißen die Transportkoeffizienten "molekulare Wärmeleitfähigkeit" bzw. "molekulare Diffusivität". Diese Koeffizienten sind stoffspezifisch. Bemerkung: Prozesse der zweiten Art heißen advektiv oder turbulent; sie werden im Kapitel 3 besprochen. Molekulare Diffusion von Wärme (Wärmeleitfähigkeit)

(1.1) Definition: Fth = −γ

∂T∂x

[W m-2] = [J s-1m-2]

Fth Fluss thermischer Energie pro Zeit und Fläche [W m-2]

∂ T∂ x

Temperaturgradient [K m-1]

γ Wärmeleitfähigkeit [W m-1K-1]

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Physik aquatischer Systeme I Werner Aeschbach-Hertig 1.8 2005/06

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Oft wird auch der "Temperaturfluss" zur Beschreibung der Wärmeleitung benützt:

(1.2) Definition: FT = −DT

∂ T∂x

[K ms-1]

FT: "Temperaturfluss" pro Zeit [K ms-1] DT: molekularer Diffusionskoeffizient für Wärme [m2s-1]

Zusammenhang: (1.1) und (1.2) Fth = cpρ FT, cp: spezifische Wärme, für Wasser 4.18⋅103 J⋅kg-1⋅K-1 also γ = cpρ DT, ρ: Dichte, für Wasser 1000 kg⋅m-3

Typische Werte für γ und DT sind in Tab. 1.5 zusammengestellt. Tab. 1.5 Zahlen zur Wärmeleitfähigkeit: (vgl. auch Tab. 1.3) 0°C 10°C 20°C Wasser γ [W m-1K-1] 0.564 0.578 0.598 DT [10-6 · m2s-1] 0.134 0.138 0.142 Eis DT 1.20 (sinkt mit zunehmendem Lufteinschluss) Eisen γ [W m-1K-1] bei 25°C 80.3 Aluminium 237 Kupfer 398 Bemerkung: Man kann die Wärmeleitgleichung (1.1) benützen, um die lokale

Temperaturänderung als Folge der Wärmediffusion zu berechnen. Dieser Übergang entspricht demjenigen vom ersten zum zweiten Fick'schen Gesetz der molekularen Diffusion (vgl. unten):

(1.3)

∂ T∂ t

= −1

cpρ∂Fth∂x

cpρ∂2 T∂ x2 = DT

∂2 T∂ x2

Um die Analogie zwischen Wärmeleitung und Stoffdiffusion (Gl. 1.5) zu verdeutlichen, benützt man daher oft DT statt γ.

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Molekulare Diffusion von Stoffen im Wasser 1. Fick'sches Gesetz

(1.4) FC = −Dc

∂ C∂x

Fc: Fluss der (gelösten) Substanz [mol m-2s-1]

∂ C∂ x

: Konzentrationsgradient der (gelösten) Substanz [mol m-4]

Dc: Molekularer Diffusionskoeffizient für die Substanz mit Konzentration C (wässrige Lösung) [m2s-1] 2. Fick'sches Gesetz

(1.5) 2

Cc 2

FC CDt x x

∂∂ ∂= − =

∂ ∂ ∂

Typische molekulare Diffusionskoeffizienten in Wasser bei 20°C; Werte in [10-8·m2s-1] Kationen: H+: 0.85, Na+: 0.119, K+: 0.175, NH4+: 0.177, Mg2+: 0.063, Ca2+:

0.071 Anionen: OH-: 0.471, NO3-: 0.169, HCO3-: 0.11, CO32-: 0.083, SO42-: 0.094, HS-: 0.092 Gase: Luft: 0.194, O2: 0.202, N2: 0.177, CO2: 0.174, CH4: 0.157, Rn: 0.121 Viskosität Flüssigkeiten sind mehr (Öl) oder weniger (Wasser) zäh, d.h. sie besitzen eine innere Reibung, welche dazu führt, dass die Bewegung (der Impuls) eines Flüssig-keitspaketes auf seine Umgebung übertragen wird.

(1.6) Definition: τ = (−)µ

∂ u∂ z

[N m-2]

τ: Schubspannung ("shear stress") [N m-2] µ: dynamische Viskosität [N m-2 s] = [kg m-1s-1] u: Strömungsgeschwindigkeit in x-Richtung [m s-1]

∂ u∂ z

: Geschwindigkeitsgradient in z-Richtung [s-1]

(1.7) Definition: ν =

µρ

: Kinematische Viskosität [m2 s-1]

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Physik aquatischer Systeme I Werner Aeschbach-Hertig 1.10 2005/06

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Eine Schubspannung wird im Allgemeinen als positive Größe definiert. In Analogie zu den Gleichungen (1.1) und (1.4) müsste man ihr eigentlich auch ein Vorzeichen geben und dann auf der rechten Seite von (1.6) ein Minuszeichen einführen. Dann wäre (für den eindimensionalen Fall) das Analogon des 2. Fick'schen Gesetzes:

(1.8) ρ

∂u∂ t = −

∂τ∂z = µ

∂2 u∂ z2

bzw.

(1.9)

∂ u∂ t

=µρ

∂2 u∂ z2 = ν

∂2 u∂z2

Die kinematische Viskosität ist somit jene Größe, die man mit DT oder Dc verglei-chen kann; sie hat ja auch die gleiche Dimension. Werte finden sich in Tab. 1.6. Tab. 1.6 Zahlen zur Viskosität von Flüssigkeiten: (vgl. auch Tab. 1.4) 0°C 10°C 20°C 30°C ________________________________________________________________ Wasser µ [10-3kg m-1s-1] 1.79 1.31 1.00 0.80 ν [10-6· m2s-1] 1.79 1.31 1.00 0.80 Azeton µ [10-3· kg m-1s-1] 0.40 0.30 Glyzerin 12'100 1'490 630 Glukose 22°C: 9.1·1015 30°C: 6.6·1013 __________________________________________________________________________ Bemerkung: Drückt man alle Eigenschaften in den Stoffgrößen aus, welche die

Dimension [L2T-1] besitzen, so gilt für Wasser folgende Größenrang-folge: Kinematische Viskosität ν ~ 10-6 m2s-1

Wärmeleitung DT ~ 10-7 m2s-1 Molekulare Diffusion von Ionen Dc ~ 10-9 m2s-1

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11

1.5 Dichte von reinem Wasser Die Dichte ist definiert als der Quotient von Masse und Volumen (Dimension M L-3). Die Dichte von Wasser ist nicht nur druck- und temperaturabhängig (wie diejenige aller Substanzen), sondern hängt auch von der exakten chemischen und physikali-schen Zusammensetzung des Wassers ab. Auch für destilliertes Wasser muss man die genaue Isotopenzusammensetzung (insbesondere die Häufigkeit von 2H (Deuterium) und 18O) kennen und wissen, ob das Wasser gasfrei (bzw. luftfrei) ist. Eine gute Übersicht findet man in F.J. Millero, A. Gonzales und G.K. Ward, J. Mar. Res. 34, 61-93 (1976). Für Seen relevant ist auch die Arbeit von C.T.A. Chen und F.J. Millero "Precise thermodynamic properties for natural waters covering only the limnological range" (Limnol. Oceanogr. 31, 657-662 (1986), siehe Anhang A1). Tab. 1.7 gibt eine Übersicht zu Dichte und thermischem Ausdehnungskoeffizient α von Wasser als Funktion der Temperatur. Die größte Dichte besitzt Wasser bei einer Temperatur von 3.98°C (ρ = 999.972 kg m-3). Tab. 1.7: Dichte und thermische Ausdehnung von Wasser in Abhängigkeit von

Temperatur und Drucka), berechnet nach Chen und Millero (1986) Dichte ρ(T)b) Thermischer Ausdehnungskoeffizient α(T,p) [kg⋅m-3] [10-6 K-1] T [°C] p = 0 p = 0 p = 20 p = 50 p = 100 p = 180 0 999.839 -68.00 -60.64 -49.59 -31.18 -1.72 1 999.898 -50.09 -43.03 -32.43 -14.78 13.48 2 999.940 -32.77 -26.00 -15.85 1.08 28.17 3 999.964 -16.01 -9.53 0.20 16.42 42.37 4 999.972 0.22 6.43 15.75 31.27 56.11 5 999.964 15.96 21.90 30.81 45.66 69.42 10 999.700 87.99 92.70 99.76 111.52 130.35 15 999.100 150.89 154.55 160.05 169.21 183.86 20 998.204 206.76 209.58 213.79 220.82 232.07 25 997.045 257.17 259.33 262.55 267.93 276.54 30 995.671 303 40 992.238 385 50 988.052 423 60 983.20 523 80 971.80 641 100 958.36 750 a) Der hydrostatische Druck p [bar] ist an der Wasseroberfläche null b) Dichte bei einem Luftdruck von 1013 mbar.

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Physik aquatischer Systeme I Werner Aeschbach-Hertig 1.12 2005/06

12

Der thermische Ausdehnungskoeffizient α ist definiert durch

(1.10) α = −

∂ρ∂T

⎛ ⎝ ⎜

⎞ ⎠ ⎟ p [K-1]

α bezeichnet demnach die relative Dichteänderung (∆ρ/ρ) des Wassers pro Tempe-raturänderung (∆T). Das negative Vorzeichen kommt daher, dass α die relative Ausdehnung beschreiben soll, eine Zunahme der Dichte aber einer Kontraktion entspricht. Man kann α anstatt durch die Dichte ρ = m/V auch durch das spezifische Volumen v = ρ-1 ausdrücken, dann wird das Vorzeichen positiv:

(1.11) p

1 vv T

∂⎛ ⎞α = ⎜ ⎟∂⎝ ⎠ [K-1]

mit v = ρ-1: Spezifisches Volumen von Wasser Da ρ oberhalb Tρmax = 3.98°C mit T abnimmt (v zunimmt), ist α dort positiv, für T< Tρmax negativ und bei der Temperatur maximaler Dichte (Tρmax) null. α und Tρmax sind druckabhängig (siehe Tab. 1.7 und Kap. 1.8). Den Verlauf von ρ(T) für reines Wasser bei einem Druck von 1013 mbar (1 atm) kann man durch eine einfache parabolische Gleichung approximieren (1.12) ρ(T) ≈ 999.972 – 7·10-3 (T– 4)2 (T in [°C]) [kg m-3] oder falls es nur auf relative Dichteänderungen ankommt, noch einfacher durch (1.13) ρ(T) = 1000 – 7·10-3 (T– 4)2 [kg m-3] Für die einfache Approximation, Gl. (1.12) oder (1.13), wird α zur linearen Funktion (1.14) α(T) ≈ 14·10-6 (T– 4) [K-1] In Abb. 1.4 werden die Näherungsformeln von ρ(T) und α(T) mit dem exakten Verlauf verglichen.

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Physik aquatischer Systeme I Werner Aeschbach-Hertig 1.13 2005/06

13

993

994

995

996

997

998

999

1000

exaktNäherung

0 5 10 15 20 25 30 35D

icht

e [k

g m

-3]

999.84

999.88

999.92

999.96

1000

0 2 4 6 8

-100

0

100

200

300

400

0 5 10 15 20 25 30 35

exaktNäherung

α [1

0-6 K

-1]

Temperatur [°C]

Abb. 1.4: Dichte ρ und thermischer Ausdehnungskoeffizient α von Wasser: Vergleich der exakten Werte mit den Näherungen (1.12) und (1.14).

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Physik aquatischer Systeme I Werner Aeschbach-Hertig 1.14 2005/06

14

Kompressibilität Der Kompressibilitätsmodul Km (englisch: tangent bulk modulus) ist das Inverse der isothermen Kompressibilität γ

(1.15) Km

−1 = γ =1ρ

∂ρ∂ p

⎝ ⎜

⎠ ⎟

T= −

1v

∂ v∂ p

⎝ ⎜

⎠ ⎟ T

[bar-1] oder [Pa-1]

Nach Chen and Millero (1986) wird Km durch das folgende Polynom beschrieben: (1.16) Km [bar] = 19'652.17 + 148.113 T - 2.293 T2 + 1.256·10-6 T3 -418·10-5 T4 + (3.2726 - 2.147·10-4 T + 1.128·10-4 T2)p + (53.238 - 0.313 T + 5.728·10-3p)S

T in [°C], S in [‰], p in [bar]. Werte von γ sind in Tab. 1.8 zusammengestellt. Tab. 1.8: Isotherme Kompressibilität γ in [10-6 bar-1] für reines Wasser als

Funktion von T und p (nach Chen und Millero, 1986). T(°C)

p (bar) 0 5 10 15 20 25 30

0 50.89 49.17 47.81 46.73 45.89 45.25 44.77 10 50.74 49.04 47.68 46.61 45.77 45.13 44.65 20 50.60 48.90 47.55 46.49 45.66 45.02 44.54 30 50.45 48.77 47.43 46.37 45.54 44.90 44.42 40 50.31 48.63 47.30 46.25 45.42 44.79 44.31 50 50.17 48.50 47.18 46.13 45.31 44.67 44.19 60 50.03 48.37 47.05 46.01 45.19 44.56 44.08 80 49.74 48.10 46.80 45.77 44.96 44.33 43.85

100 49.46 47.84 46.55 45.54 44.73 44.11 43.63 140 48.90 47.32 46.07 45.07 44.28 43.66 43.18 180 48.35 46.81 45.58 44.61 43.84 43.22 42.74

Druckeinheiten: 1 Pascal (Pa) = 1 N m-2 1 bar = 106 dyn cm-2 = 105 Pa 1 atm = 1.013·105 Pa = 760 Torr (Atmosphären-Normaldruck) Eine Säule von einem Meter reinem Wasser (ρo≅ 1000 kg m-3) entspricht einer hydrostatischen Druckdifferenz von ∆p = 9.81·103 Pa = 0.0981 bar = 0.0967 atm

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Physik aquatischer Systeme I Werner Aeschbach-Hertig 1.15 2005/06

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1.6 Gelöste Substanzen, Dichte und elektrische Leitfähigkeit a) Dichte als Funktion des Salzgehaltes Gelöste Salze und Gase verursachen eine Dichteänderung des Wassers, welche man in erster Näherung durch eine lineare Beziehung der Form (1.17) ρ(T,C) = ρ(T) (1 + βCC) darstellen kann. βC ist der spezifische Kontraktionskoeffizient von Wasser bezüglich der Stoffkonzentration C (man beachte die Bedeutung der Vorzeichenkonvention im Vergleich zum thermischen Ausdehnungskoeffizienten α):

(1.18) βC =

∂ ρ∂C

⎛ ⎝ ⎜

⎞ ⎠ ⎟

T,p [M-1L3]

Normalerweise enthält Wasser ein komplexes Gemisch an Stoffen. Die Verallge-meinerung von (1.17) lautet: (1.19) ρ(T,Ci) = ρ(T) [1+

i∑ βi Ci]

(1.20)

βi =1ρ

∂ ρ∂ Ci

⎝ ⎜

⎠ ⎟ T,p,cj≠ i

[M-1L3]

Einige βi-Werte sind in Tab. 1.9 zusammengestellt. Lösung von Salzen führt zu einer Dichtezunahme (positive βi für Ionen). βi kann aber auch negativ sein (z.B. für gelöste Gase), das bedeutet eine Dichteabnahme mit zunehmender Konzentration. Man beachte, dass Schwebstoffe (unter der Annahme, sie hätten eine feste Dichte) bezüglich ihres Einflusses auf ρ wie gelöste Stoffe behandelt werden können. Ob ein gelöster Stoff die Dichte des Wassers erhöht oder erniedrigt hängt in erster Näherung von seinem molaren Masse/Volumen-Verhältnis im Vergleich zu dem-jenigen des Wassers ab. Allerdings spielen auch die Konzentrationen aller gelösten Stoffe, die Temperatur und der Druck eine Rolle. Auf die Berechnung der βi gehen wir hier nicht näher ein. Normalerweise dominieren die Salze unter den gelösten Stoffen. Da sich die Konzentrationen gelöster Salzionen ausserdem relativ bequem über die elektrische Leitfähigkeit messen lässt (s. unten), wird gewöhnlich der Einfluss nicht-ionaler Stoffe auf die Dichte vernachlässigt. Dies ist meist gerechtfertigt. Auch der Einfluss des Salzgehaltes auf die Dichte kann bei Süßwasser manchmal im Vergleich zum Temperatureffekt vernachlässigt werden. Jedoch können gelöste Salze bei Temperaturen in der Nähe von Tρmax (wo α ungefähr null ist) sowie bei hohem Salzgehalt auch eine völlig dominante Rolle für die Dichte spielen.

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Physik aquatischer Systeme I Werner Aeschbach-Hertig 1.16 2005/06

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Tab. 1.9: Einfluss gelöster Stoffe und suspendierter Partikel auf die Dichte von Wasser (βi nach Gl. 1.20 bzw. 1.22, für T = 25 °C). Substanz βi NaCl 0.719⋅ 10-6 l⋅mg-1 Na2(SO4) 0.922⋅ 10-6 l⋅mg-1 Ca(HCO3)2 0.813⋅ 10-6 l⋅mg-1 Mg(HCO3)2 0.815⋅ 10-6 l⋅mg-1 Na(HCO3) 0.728⋅ 10-6 l⋅mg-1 K(HCO3) 0.669⋅ 10-6 l⋅mg-1 Fe(HCO3)2 0.838⋅ 10-6 l⋅mg-1 NH4(HCO3) 0.462⋅ 10-6 l⋅mg-1 CO2 0.273⋅ 10-6 l⋅mg-1 CH4 - 1.25⋅ 10-6 l⋅mg-1 Luft - 0.090⋅ 10-6 l⋅mg-1 Schwebstoffe mit ρs = 2.5 g⋅cm-3 0.60⋅ 10-6 l⋅mg-1 mit ρs = 1.1 g⋅cm-3 0.09⋅ 10-6 l⋅mg-1

Salinität des Meeres (S) (βS) 0.761· 10-3 (‰)-1 Da die Messung sämtlicher chemischer Konzentrationen Ci sehr aufwändig ist, wäre es vorteilhaft, einen chemischen Summenparameter zu benützen. Für Meerwasser ist dies die (via Leitfähigkeit oder Chlorinität bestimmbare) Salinität S. Die Salinität wird heute in der Ozeanographie durch eine dimensionslose Zahl definiert:

(1.21) S =

Masse aller Salze [in kg] im Salzwasservolumen VTotale Masse des Salzwassers [kg] in V

⋅ 1000

Dies ist äquivalent zur alten Definition von S als die Masse aller Salze [in g] in einem kg Meerwasser, für die früher die Einheit [g/kg] oder auch [‰] benützt worden ist. Da die relative chemische Zusammensetzung des Meerwassers außerordentlich konstant ist, kann man ρ direkt aus S (oder auch aus der elektrischen Leitfähigkeit) berechnen, gemäß folgender Formel (s. Anhang A2 für genauere Berechnung): (1.22) ρ(T,S) = ρ(T) (1 + βSS) βS = ρ-1 ∂ρ/∂S ergibt sich aus den Beiträgen der einzelnen im Meer gelösten Elektrolyten (vor allem Cl- , Na+, Mg2+ und SO4

2-) zur Dichte (vgl. Tab. 1.9).

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Physik aquatischer Systeme I Werner Aeschbach-Hertig 1.17 2005/06

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Für Süßwasser existiert keine feste chemische Zusammensetzung, welche ein ana-loges Vorgehen ermöglichte. Auch der Begriff Salinität ist in Süßwasserstudien eher unüblich, obwohl natürlich die Definition (1.21) ohne weiteres übertragbar ist (statt-dessen wird z. B. TDS = Total Dissolved Solids verwendet). Wir werden im Fol-genden die Salinität gemäß (1.21) auch für Wässer mit anderer Ionenzusammen-setzung als Meerwasser verwenden. Zur Bestimmung von S und βS muss im Prinzip für jedes Gewässer die genaue Ionenzusammensetzung bestimmt werden. In vielen Gewässern dominieren aber wenige Ionen (oft Ca2+ und HCO3

-), so dass einfache Approximationen möglich werden (z. B. βS = 0.8⋅10-6 l⋅mg-1, vgl. Tab. 1.9). Meist wird jedoch anstelle der Ionenkonzentrationen die elektrische Leitfähigkeit κ bestimmt. Daher ist es sinnvoll, eine direkte Beziehung zwischen Leitfähigkeit und Dichte herzustellen. b) Salzgehalt und Leitfähigkeit Zunächst betrachten wir den Zusammenhang zwischen elektrischer Leitfähigkeit und Ionenkonzentrationen. Da beim Lösen von Salzen in Wasser geladene Ionen frei werden, erhöht sich die elektrische Leitfähigkeit κ. Der Zusammenhang κ(S) ist jedoch ziemlich komplex, da sich die Ionen gegenseitig beeinflussen und κ ausser-dem noch von der Temperatur abhängt. Die elektrische Leitfähigkeit κ einer Lösung ist definiert durch

(1.23) jE

κ = [Ω-1 m-1]

mit E [V m-1]: Elektrische Feldstärke, j [A m-2]: Stromdichte Die Einheit Ω-1 = (V/A)-1 wird oft durch Siemens (S) oder - wie noch in der älteren amerikanischen Literatur - durch mhos (mho ist "Ohm" rückwärts gelesen) ange-geben. Somit hat κ die Einheit S m-1, in der Literatur meist µS cm-1. Die elektrische Leitfähigkeit von Wasser wird von der Anzahl der Ionen (Ladungs-träger) und deren Beweglichkeit bestimmt. Die elektrische Leitfähigkeit von reinem Wasser ist so klein, dass sie gegenüber dem Beitrag der Ionen vernachlässigt werden kann. κ hängt insbesondere ab von der: - Viskosität des Wassers, µ (Funktion der Temperatur, siehe Abschnitt 1.5) - Ladungskonzentration der einzelnen Ionen, mi [eq/L] = Ci [mol/L]⋅Zi [eq/mol] - Aequivalenzleitfähigkeit der Ionen bei unendlicher Verdünnung, λi

∞ [S m-1 (eq/L)-1] Für eine unendlich verdünnte Lösung gilt:

(1.24) ( )N

1 N i ii 1

m ,...,m m∞

=

κ = λ ⋅∑

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Physik aquatischer Systeme I Werner Aeschbach-Hertig 1.18 2005/06

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Da die Ionen bei grosser Ionenstärke (Gesamtkonzentration freier Ladungen) sich gegenseitig beeinflussen und sogar ungeladene Paare bilden, schwächt sich der Beitrag jeder Ionensorte bei grosser Ionenstärke ab. Dies kann durch konzentra-tionsabhängige Abschwächungskoeffizienten fi beschrieben werden. Die Leitfähigkeit nimmt also mit wachsender Konzentration Ci langsamer als linear zu, gemäß

(1.25) ( ) ( )N

1 N i 1 N i i ii 1

C ,...,C f C ,...,C C Z∞

=

κ = λ ⋅ ⋅∑

Die Aequivalenzleitfähigkeit lässt sich herleiten aus dem Gleichgewicht zwischen der beschleunigenden Kraft im E-Feld und der bremsenden Stokes'schen Reibung:

(1.26) 2

ii

i

Ze6 r

∞λ =πµ

mit µ: molekulare Viskosität (N m-2 s), vgl. Abschnitt 1.5 ri: Radius des Ions i (m) Zi: Anzahl Elementarladungen des Ions i e: Elementarladung (C) Der starke Anstieg von λi

∞ und damit κ mit der Temperatur ist eine Folge der Abnah-me von µ mit T. Um κ als Maß der chemischen Zusammensetzung des Wassers zu benützen, muss κ immer auf die gleiche Temperatur (meist T = 20°C) umgerechnet werden. Diese Umrechnung hängt aber ebenfalls von der Ionenzusammensetzung ab (Anteile der Ionen mit unterschiedlicher Wertigkeit und Ionenradius). Für Ca(HCO3)2 dominiertes Wasser kann das folgende, empirisch bestimmte Polynom in T verwendet werden (Bührer und Ambühl, 1975): (1.27) κ20 = κT (1.72118 - 0.0541369 T + 1.14842·10-3 T2 - 1.222651·10-5 T3) mit κT: Elektrische Leitfähigkeit bei Temperatur T [°C] Nun suchen wir den Zusammenhang zwischen der normierten Leitfähigkeit κ20 und der Salinität. Für feste relative Häufigkeit der gelösten Ionen und geringe Konzentra-tionsänderungen bzw. stark verdünnte Lösungen (konstante fi) nimmt κ linear mit der Gesamtionenkonzentration zu. Dasselbe gilt für die Salinität:

(1.28) i i1S M C= ⋅ρ ∑

mit Mi: Molekulargewicht des Ions i.

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Physik aquatischer Systeme I Werner Aeschbach-Hertig 1.19 2005/06

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Folglich kann die Salinität als lineare Funktion der Leitfähigkeit angesetzt werden: (1.29) S = η.κ20 Für Ca(HCO3)2 dominierte Gewässer gilt näherungsweise η ≈ 0.87.10-3 ‰ (µS/cm)-1 bzw. η ≈ 0.87 (mg/l).(µS/cm)-1 c) Dichte als Funktion der Leitfähigkeit In der physikalischen Limnologie ist es üblich, die Dichte direkt aus der Leitfähigkeit zu berechnen. Dazu wird ein zu Gl. (1.17) analoger Ansatz verwendet: (1.30) ρ(T,Ci) = ρ(T)⋅(1 + βκ⋅κ20) Analog zu (1.18) definiert man

(1.31) βκ =

dρdκ20

⎝ ⎜

⎠ ⎟ (µS/cm)-1

Offenbar gilt βκ = ηβs und für Ca2+/HCO3

- dominierte Seen gilt ungefähr:

βκ = 0.705.10-6 (µS/cm)-1. Zusammengefasst: In Ca(HCO3)2 dominierten Gewässern entspricht eine Zunahme der Leitfähigkeit um 1 µS/cm einer Zunahme des Salzgehaltes um ca. 0.87 mg/l (Gewichts-ppm) bzw. einer relativen Dichtezunahme um 0.7 ppm. In vielen Süßwasser Seen oder Flüssen liegt der Salzgehalt in der Größenordnung 100 mg/l (Leifähigkeit ca. 100 µS/cm). Der Erhöhung der Dichte aufgrund der gelösten Salze ist somit relativ gering (Größenordnung 100 ppm oder 0.1 kg m-3). Die Dichte bleibt sehr nahe bei 1000 kg m-3. Im Ozean beträgt die mittlere Salinität rund 35 ‰, wodurch die Dichte um ca. 2.7 % erhöht wird. Eine detaillierte und beispielhafte Diskussion der Zustandsgleichung ρ(T,S,p) für ein Süßwassersystem findet sich in: Wüest, A., G. Piepke and J. D. Halfman, 1996. Combined Effects of Dissolved Solids

and Temperature on the Density Stratification of Lake Malawi. In "The Limnology, Climatology and Paleoclimatology of the East African Lakes", Johnson, T.G. and E.O. Odada (eds), Gordon and Breach, Toronto, p183-202.

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Physik aquatischer Systeme I Werner Aeschbach-Hertig 1.20 2005/06

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1.7 Grundbegriffe der physikalischen Limnologie Die Limnologie ist die Wissenschaft die sich mit Süßwasser und den Binnen-gewässern beschäftigt. Der Begriff Limnologie stammt vom griechischen "limne", was "stehendes Gewässer" oder See heisst. Die moderne Limnologie erforscht die Struktur und Funktion der Binnengewässer als Ökosystem. Sie ist überwiegend biologisch ausgerichtet, aber Kenntnisse der physikalischen und chemischen Zusammenhänge bilden ebenfalls Grundvoraussetzungen zum Verständnis der Prozesse in Gewässern. Die physikalische Limnologie oder "Limnophysik" beschäftigt sich mit der physikali-schen Struktur und den physikalischen Prozessen in Binnengewässern, und ist somit einer der Pfeiler der aquatischen Physik. Ein Klassiker der physikalischen Limnologie ist die Beschreibung der Dichteschichtung in Seen und ihrer jahres-zeitlichen Dynamik (Abb. 1.5). Dieses Thema besprechen wir hier kurz qualitativ, die quantitative Behandlung folgt im nächsten Abschnitt sowie in Kap. 3.

Abb. 1.5 Dichteschichtung in Seen im Jahresverlauf. Die aussergewöhnlichen physika-

lischen Eigenschaften des Wassers (Dichtemaximum bei 4 °C) sind für die vertikale Temperaturverteilung im See verantwortlich: Das Tiefenwasser verharrt während des ganzen Jahres im Zustand maximaler Dichte. Sowohl das kältere Wasser im Winter als auch das wärmere Wasser im Sommer schwimmt auf dem Tiefenwasser (stabile Schichtung). Eine bis an den Seegrund reichende intensive Durchmischung des Sees ist nur im Frühling oder Spätherbst möglich, kommt aber nicht in allen Seen jedes Jahr vor.

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Physik aquatischer Systeme I Werner Aeschbach-Hertig 1.21 2005/06

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Grundlage für das Verständnis von Abb. 1.5 ist die einzigartige Abhängigkeit der Dichte des Wassers von der Temperatur (vgl. Kap. 1.6). Der See gewinnt oder ver-liert Wärme in erster Linie an seiner Oberfläche. Wenn sich im Verlaufe des Jahres an der Oberfläche eine Wassertemperatur von 4°C einstellt, sinkt dieses Wasser maximaler Dichte in die Tiefe ab. Dort sammelt sich somit ein Tiefenwasserkörper mit nahezu homogener Temperatur und maximaler Dichte. Im Sommer entsteht an der Seeoberfläche infolge des Temperaturanstiegs leichte-res Wasser, das heisst eine sogenannte stabile Schichtung. Sie verlangsamt das Vordringen des warmen Wassers in grössere Tiefen. Im Herbst und Winter kühlt sich das Oberflächenwasser ab und sinkt, wodurch Konvektion entsteht und die Tiefe der durchmischten Oberflächenschicht anwächst. In vielen Seen kühlt das Wasser solange ab, bis im ganzen See eine Temperatur von ungefähr 4°C herrscht. Zu diesem Zeitpunkt besteht keine starke Dichteschichtung mehr und eine vollständige vertikale konvektive Mischung (Zirkulation) kann stattfinden. Kühlt sich im Winter das Oberflächenwasser noch weiter ab, schwimmt dieses käl-tere Wasser (und Eis) wieder auf dem 4-grädigen Wasser auf. Man spricht von einer inversen Schichtung. Da diese wiederum die vertikale Mischung unterdrückt, geht von da an eine weitere Abkühlung des Sees fast nur noch auf Kosten des Oberflä-chenwassers. Deshalb kann ein See, wenn er einmal den Zustand der inversen Schichtung erreicht hat, sehr rasch zufrieren. Im Frühjahr stellt sich erneut ein Zustand gleicher Temperatur in allen Tiefen (Homothermie) bei ca. 4 °C ein. Danach bildet sich wieder die sommerliche thermische Stratifikation. Die horizontale Temperaturschichtung des Sees unterteilt den See in Zonen ver-schiedener physikalischer Eigenschaften. Als Sprungschicht oder Thermokline wird jene Zone bezeichnet, in der im Sommer die Wassertemperatur mit zunehmender Tiefe stark abfällt. Die darüberliegende, gut durchmischte Zone des Oberflächen-wassers heisst Epilimnion, die darunterliegende Zone des Tiefenwassers heisst Hypolimnion. Ein See, der jedes Jahr eine Phase der vollständigen vertikalen Mischung (bei ca. 4 °C) durchläuft, heisst holomiktisch (falls es zwei solche Phasen im Herbst und Frühjahr gibt, auch dimiktisch). Seen, deren vertikale Schichtung nie vollständig aufgehoben wird heissen meromiktisch. Dies ist insbesondere dann möglich, wenn das Tiefenwasser durch einen erhöhten Salzgehalt stabilisiert wird. Die Abbildungen 1.6 und 1.7 zeigen zur Illustration Temperaturprofile aus verschiedenen Teilen des Vierwaldstättersees.

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Physik aquatischer Systeme I Werner Aeschbach-Hertig 1.22 2005/06

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Abb. 1.6 Die vertikale Temperaturverteilung im Vierwaldstättersee im Wandel der Jahreszeiten (Prof. H. Ambühl, EAWAG)

Abb. 1.7 Vertikale Temperaturprofile im Alpnachersee zu verschiedenen Jahreszeiten

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Physik aquatischer Systeme I Werner Aeschbach-Hertig 1.23 2005/06

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1.8 Dichteanomalie und vertikale Stabilität einer Wassersäule Die Temperatur maximaler Dichte, Tρmax, spielt eine wichtige Rolle bei der Be-stimmung der Stabilität einer Wassersäule. Es sei daran erinnert, dass der ther-mische Ausdehnungskoeffizient α bei Tρmax einen Nulldurchgang hat. Für T < Tρmax ist α < 0, für T >Tρmax ist α > 0. Wie aus Tab. 1.7 ersichtlich, verschiebt sich Tρmax mit wachsendem Druck zu tieferen Temperaturen. Es gilt: (1.32) Tρmax (p) = 3.98°C – 1.99 · 10-2p, p in [bar] Das bedeutet, dass für Süßwasser Tρmax pro 100 m Tiefenzunahme um rund 0.2°C sinkt. An der tiefsten Stelle des Baikalsees von ca. 1600 m ist somit Tρmax= 0.8°C. In diesem See spielt dieses Phänomen tatsächlich eine wichtige Rolle.

Abb. 1.8: Die Veränderung der Temperatur maximaler Dichte, Tρmax, und der Schmelz-

temperatur, TS, für Wasser wachsender Salinität S (siehe 1.33 und 1.34)

4

2

0

-2

-4

0 5 10 15 20 25 30Salinity S

(°C)

Density ρ = 1.01994 gcm -3

T= - 1.34°C

TS ~ - 0.054SS = 24.8‰

Tρmax ~ 3.98-0.213 S

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Physik aquatischer Systeme I Werner Aeschbach-Hertig 1.24 2005/06

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Auch die Salinität S hat einen Einfluss auf die Dichteanomalie des Wassers: Tρmax sinkt mit zunehmendem S: (1.33) Tρmax = 3.98°C – 0.213 S Gleichzeitig sinkt auch der Schmelzpunkt TS: (1.34) TS = – 0.054 S Wie Abb. 1.8 zeigt, sinkt bei einer Salinität von S = 24.8‰ Tρmax unter TS, so dass das Wasser gefriert, bevor es Tρmax erreicht. Typisches Meerwasser (S ∼ 35‰) hat keine Dichteanomalie. Mit der vollständigen Gleichung ρ(T,S,p) kann man nun, so würde man zunächst denken, eine einfache Methode entwickeln, um die vertikale Stabilität einer Wasser-säule zu analysieren, indem man die Dichte ρ als Funktion der Tiefe z berechnet. Stabile Verhältnisse hätte man dann, wenn ρ(z) mit der Tiefe zunimmt. Tatsächlich ist die Sache aber komplizierter. Ob Wasser stabil geschichtet ist, muss man dadurch feststellen, indem man zwei Wasserpakete verschiedener Tiefe in einer gemeinsamen Tiefe (z. B. an der Wasseroberfläche) bezüglich ihrer Dichte vergleicht. Hat in der Vergleichstiefe jenes Wasserpaket, das aus der größeren Tiefe stammt, eine größere Dichte, ist die Wassersäule stabil. Daraus sieht man, dass die Dichtezunahme aufgrund der Kompressibilität des Wassers keine Rolle spielt für die Stabilität, hingegen ein anderes Phänomen: Wird Wasser aus der Tiefe z an die Oberfläche geholt, dehnt es sich wegen des abnehmenden hydrostatischen Druckes aus (Kompressibilität) und leistet damit Arbeit gegen den äußeren Druck p. Als Folge davon kühlt sich das Wasser ab. Falls kein Wärmeaustausch stattfindet (adiabatischer Prozess), ist die mit dem Druck verknüpfte in situ Temperaturveränderung gegeben durch die Relation (Lord Kelvin, 1875):

(1.35)

∂ T∂p ad

=T *αρcp

[K Pa-1]

Dabei bedeuten: T*: absolute Temperatur T* ∼ 278 K α: thermischer Expansionskoeffizient α ∼ 1.6 ·10-4 K-1 (T∼ 5°C; S ∼ 35‰) ρcp: Spezifische Wärme bei konst. p ρcp = 4.0 ·106 Jm-3K-1(Meerwasser) Diese Temperaturerhöhung pro Druckeinheit unter adiabatischen Bedingungen (engl.: adiabatic lapse rate) beträgt für die angegebenen Zahlen:

− −∂≈ ⋅

∂8 1

ad

T 1.1 10 K Pap

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Physik aquatischer Systeme I Werner Aeschbach-Hertig 1.25 2005/06

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Meistens wird nicht die Temperaturerhöhung pro Druckeinheit, sondern der adiaba-tische Temperaturgradient angegeben. Für die Umrechnung wird die hydrostatische Annahme getroffen: dp = - g ρ dz (z positiv nach oben)

(1.36) ad pad

dT T gT*g (T,S,p)dz p c

∂ α⎛ ⎞ = − ρ = − ≡ −Γ⎜ ⎟ ∂⎝ ⎠

mit dem entsprechenden typischen Wert von: 3 10.11 10 K m− −Γ ≈ ⋅ oder 0.11 K pro km Tiefe In Seen dagegen ist α bei tiefen Temperaturen sehr gering (z.B. α = 16·10-6 K-1 für T= 5°C); entsprechend wird der Gradient unbedeutend. Dies gilt nicht für tiefe tropische Seen, wo die Temperatur auch im Tiefenwasser >20°C ist und somit α groß wird. Entsprechend ist dort die adiabatische Korrektur notwendig, wie das Beispiel des Malawisees zeigt (Abb. 1.9). Potentielle Temperatur (Θ) Die Bedeutung des adiabatischen Gradienten besteht also darin, dass sich die in situ Temperatur T ändert, falls sich das Wasserpaket vertikal verschiebt. In einer homoge-nen Wassermasse nimmt also die in situ Temperatur nach unten zu. Dieser Umstand ist störend, wenn die Temperatur als Erhaltungsgröße bei der Verfolgung von Wasser-massen verwendet werden soll (z.B. bei Bilanzierung). Es lässt sich eine potentielle Größe definieren, bei der diese Druckabhängigkeit wegkorrigiert wird, und die somit eine druckunabhängige Erhaltungsgröße darstellt. Es wird deshalb die folgende Definition getroffen:

Potentielle Temperatur Θ(z,zo) = Temperatur des aus der Tiefe z stammenden Wasserpaketes, nachdem dieses adiabatisch (isentropisch) in die Tiefe zo gebracht worden ist.

Oft wird als Referenztiefe die Wasseroberfläche gewählt (zo = 0); aber gerade in der Ozeanographie wird zur Charakterisierung des Tiefenwassers oft auch zo = 4000 m als Referenztiefe verwendet, um die Integration über die lapse rate nicht über zu große vertikale Distanzen durchführen zu müssen. In Formeln ausgedrückt:

(1.37) ( ) [ ]Θ = − Γ Θ∫oz

oz

z,z T(z) (z,z '),S(z),p(z ') dz'

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Physik aquatischer Systeme I Werner Aeschbach-Hertig 1.26 2005/06

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22.5 22.6 22.7 22.8200

300

400

500

600

Temperature [°C]

22.5 22.6 22.7 22.8

In-SituTemperature

PotentialTemperature

Abb. 1.9 In situ Temperatur und potentielle Temperatur im Malawisee (aus "Combined Effects of Dissolved Solids and Temperatur on the Density Stratification of Lake Malawi" A.Wüest et al, 1996, in "The Limnology, Climatology and Paleoclimatology of the East African Lakes", p183-202)

Die potentielle Temperatur ist nach Gl. (1.37) eine Funktion von Temperatur, Druck und Salinität in der Ursprungstiefe z und des Druckes in der Referenztiefe zo. Die vertikale Koordinate z ist positiv nach oben gewählt. Die auf die Temperatur bezogene lapse rate Γ hängt ebenfalls von der (lokalen) Temperatur, vom Druck und von der Salinität ab (siehe Gl. 1.36), da α und cp ihrerseits von diesen Größen abhängen. Daher verändert sich Γ während der Integration; nur die Salinität des Wasserpaketes bleibt konstant, daher das Argument S(z) im Integranden von Gl. (1.37). Hinweis: In der Ozeanographie genügt es in vielen Fällen, den Integranden von Gl. (1.37) durch Γ[T(z),S(z),p(z)] zu ersetzen, weil die Temperaturveränderungen im Wasserpaket während des Transportes zwischen der Tiefe z und zo klein bleiben

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Physik aquatischer Systeme I Werner Aeschbach-Hertig 1.27 2005/06

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und somit auch α und cp nur schwach variieren. Auch in Süßgewässern variiert T nicht stark, aber weil T oft in der Nähe der Temperatur maximaler Dichte liegt, kann Γ während der Integration sogar das Vorzeichen wechseln, nämlich dann, wenn die Temperatur im transportierten Wasserpaket das lokale Tρmax erreicht. Das ist auch der Grund, wieso das Konzept der lokalen Dichte streng genommen zu Widersprüchen führt. Man kann nämlich zeigen, dass in gewissen zwei- oder dreidimensionalen Temperaturfeldern die potentielle Dichte vom Weg abhängig ist, entlang dem man ein Wasserpaket von der Tiefe z in die Tiefe zo transportiert. Ferner eignet sich streng genommen der vertikale Gradient der potentiellen Dichte (siehe unten) nicht für eine Evaluation der Stabilität der Wassersäule (siehe Peeters et al., 1996. Description of stability and neutrally buoyant transport in freshwater lakes. Limnol. Oceangr. 41, 1711-1724)).

Potentielle Dichte ρθ = Dichte, die ein Wasserpaket hätte, wenn dieses isentropisch (ohne Wärme- und Salzaustausch) in die Referenztiefe zo gebracht würde.

Hinweis: Wird die Referenztiefe nicht an der Wasseroberfläche gewählt, wird zur Berechnung der potentiellen Dichte der Effekt der Kompressibilität weggelassen, d.h. es wird angenommen, der hydrostatische Druck sei null. Auftriebs- bzw. Abtriebskräfte gewährleisten die vertikale Stabilität der Wassersäule. So genannte inverse Dichteschichtungen, d.h. Situationen, wo ein Wasserpaket größerer Dichte sich oberhalb eines Paketes kleinerer Dichte befindet, sind nicht langlebig; sie werden durch lokale Mischungsprozesse schnell eliminiert. Eine vertikale Wassersäule ist dann stabil, wenn ein Wasserpaket, das isentropisch (adiabatisch) vertikal aus seiner Gleichgewichtslage verschoben wird, immer eine rücktreibende Kraft erfährt. Diese Aussage ist gleichbedeutend zur Forderung, dass die isentropische Dichteveränderung pro Tiefe größer ist als diejenige der Wassersäule:

(1.38)

dρdz

⎛ ⎝ ⎜

⎞ ⎠ ⎟

isen−

dρdz

> 0

Man kann zeigen, dass diese Bedingung identisch ist mit

(1.39) isen

1 d d dT dS 0dz dz dz dz

⎡ ⎤ρ ρ⎛ ⎞ ⎛ ⎞− = α + Γ − β >⎢ ⎥⎜ ⎟ ⎜ ⎟ρ ⎝ ⎠ ⎝ ⎠⎣ ⎦ (Γ aus Gl. 1.36)

wobei der Effekt eines allfälligen Salinitätsgradienten mitberücksichtigt worden ist. Gl. (1.39) liefert somit eine elegante Methode, die Stabilität einer Wassersäule zu analysieren. In vielen Fällen ist überdies die lapse rate deutlich kleiner als der lokale Temperaturgradient, so dass man Γ vernachlässigen kann.

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Physik aquatischer Systeme I Werner Aeschbach-Hertig 1.28 2005/06

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Um die Bedeutung von Gl. (1.39) besser zu erfassen, stellen wir uns ein Wasser-paket vor (Masse m, Volumen V = m/ρ, Dichte ρ), das aus seiner Gleichgewichtslage um den infinitesimalen Betrag ζ vertikal ausgelenkt wird. Nach dem Gesetz von Archimedes erfährt dieses eine rücktreibende Kraft

isen

d dK gVdz dz

⎡ ⎤ρ ρ⎛ ⎞= − − ζ⎢ ⎥⎜ ⎟⎝ ⎠⎣ ⎦

(g: Erdbeschleunigung). Diese verursacht die Beschleunigung

(1.40) ⎡ ⎤ζ ρ ρ⎛ ⎞= = − − ζ = − ζ⎜ ⎟⎢ ⎥ρ ⎝ ⎠⎣ ⎦

22

2isen

d K g d d Ndt m dz dz

mit

(1.41) ⎡ ⎤ ⎡ ⎤ ⎡ ⎤ρ ρ Θ⎛ ⎞ ⎛ ⎞ ⎛ ⎞= − = α + Γ − β = α − β⎜ ⎟ ⎜ ⎟ ⎜ ⎟⎢ ⎥ ⎢ ⎥ ⎢ ⎥ρ ⎝ ⎠ ⎝ ⎠ ⎝ ⎠⎣ ⎦ ⎣ ⎦⎣ ⎦

2

isen

g d d dT dS d dSN g gdz dz dz dz dz dz

N (Dimension T-1) ist die Stabilitätsfrequenz, oft auch nach ihren Erfindern Brunt-Väisälä Frequenz genannt. Kann die adiabatische lapse rate vernachlässigt werden, vereinfacht sich Gl. (1.40) zu

(1.41a) ⎡ ⎤ρ ⎛ ⎞= = α − β⎜ ⎟⎢ ⎥ρ ⎝ ⎠⎣ ⎦2 g d dT dSN g

dz dz dz

N beschreibt die Kreisfrequenz, mit der ein Wasserpaket (falls es keinen Austausch mit seiner Umgebung hat) um seine Gleichgewichtstiefe oszilliert. Die Stabilität einer Wassersäule kann somit folgendermaßen formuliert werden:

(1.42) >⎧

⎪= =⎨⎪<⎩

2

0 stabilN 0 labil

0 instabil

Die zwei Beiträge in Gl. (1.41) implizieren, dass sich die Stabilität aus dem Temperatur- und dem Salinitätsgradienten zusammensetzt. Im Allgemeinen können weitere Inhaltsstoffe zur Stabilität beitragen wie beispielsweise nicht-ionale Stoffe (Gase, Kieselsäure), welche in der zur Salinitätsmessung meist verwendeten elektrischen Leitfähigkeit nicht erscheinen, oder suspendierte Partikel. In Seen unserer Klimazone ist die Stabilität in der oberen Thermokline durch die Temperatur, hingegen über dem Sediment und im tiefen Hypolimnion meist durch Salze be-stimmt. Im mittleren Hypolimnionbereich spielen oft beide Faktoren eine Rolle. Im Meer lassen sich die Einflussbereiche weniger klar charakterisieren. In Tab. 1.10 werden drei Beispiele für die Berechnung der Stabilität gegeben.

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Physik aquatischer Systeme I Werner Aeschbach-Hertig 1.29 2005/06

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Gemäß Gl. (1.41a) können Stabilität bzw. Instabilität einer Wassersäule durch verschiedene Kombination von Temperatur- und Salzgradienten bestimmt sein. Eine besondere Situation ergibt sich dann, wenn die Beiträge der Temperatur bzw. der Salinität zum Dichtegradienten unterschiedliches Vorzeichen aufweisen. Zwei Fälle können unterschieden werden: (1) Temperatur stabilisierend ( α∂θ ∂ >/ z 0 ), Salinität destabilisierend (β∂ ∂ >S/ z 0 ) (2) Temperatur destabilisierend ( α∂θ ∂ </ z 0 ), Salinität stabilisierend (β∂ ∂ <S/ z 0 ) Wenn der stabilisierende Einfluss größer ist, als der destabilisierende, ist insgesamt die Wassersäule stabil, aber wegen der unterschiedlichen molekularen Diffusivität von Wärme und Salz tritt ein neues Phänomen auf, die Doppeldiffusion. Die Konfiguration (1), bei welcher die Temperatur stabilisierend wirkt, heißt Finger-Regime, weil sich Salzzungen („Finger“) vertikal in die benachbarten Wasser-schichten hineinschieben. Solche Situation treten dort auf, wo sich kaltes, wenig salines Wasser unter wärmeres und salineres Wasser schiebt, z.B. in Fjorden, bei Zuflüssen oder als Folge starker Verdunstung (Salinität nimmt an der Wasserober-fläche zu). Die Konfiguration (2), bei welcher die Salinität stabilisiert, heißt diffusives Regime. Solche Situationen können durch den geothermischen Wärmefluss am Seegrund, durch die Eintritt von warmen Quellen oder durch schmelzendes Eis hervorgerufen werden. Mehr über die Doppeldiffusion findet man in D.M. Imboden & A. Wüest, Mixing Mechanisms in Lakes, In: A. Lerman, D. M. Imboden, J. Gat [Eds.], Physics and Chemistry of Lakes, Springer, 1995, Chapter 4, (S. 83-138).

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Physik aquatischer Systeme I Werner Aeschbach-Hertig 1.30 2005/06

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Tabelle 1.10: Numerische Beispiele für die Stabilitätsfrequenz in Seen Fall 1: In der Thermokline

-1 20T = 1 K m , T = 12°C, = 0 z z

∂κ∂∂ ∂

Es folgt: -4 -1 -4

stab

T= 1.1 10 K , 0.11 kg mz z

∂ρ ∂⎛ ⎞α × ≈ −αρ = −⎜ ⎟∂ ∂⎝ ⎠

2 3 2 -1 2N = 1.08 10 s , N = 0.033 s (Periode = = 190 s)N

− − π×

Fall 2: Hypolimnion, thermisch stabilisiert

-1 20T = 0.01 K m , T = 4.5°C, = 0 z z

∂κ∂∂ ∂

Es folgt: -6 -1 5 -4

stab

T7 10 K , 7 10 kg mz z

−∂ρ ∂⎛ ⎞α = × ≈ −αρ = − ×⎜ ⎟∂ ∂⎝ ⎠

2 7 2 -4 -1N =6.9 10 s , N=8.3 10 s (Periode 2.1 h)− −× × ∼ Fall 3: Hypolimnion, chemisch stabilisiert

-1 -120T = 0, = -0.1 ( S/cm) m z z

∂κ∂µ

∂ ∂

Es folgt: -6 -1 -420

stab

0.705 10 ( S/cm) , 0.705 kg mz zκ κ

∂κ∂ρ⎛ ⎞β = × µ ≈ β ρ = −⎜ ⎟∂ ∂⎝ ⎠

2 7 2 -4N = 6.9 10 s , N = 8.3 10 (Periode 2.1h)− −× × ≈

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Physik aquatischer Systeme I Werner Aeschbach-Hertig 1.31 2005/06

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Anhang A1: Dichte von Wasser mit kleiner Salinität

(C.T.A. Chen and F.J. Millero (1986), Limnol. Oceanogr. 31, 657-662)

(A1.1) ρ(T,S,p) = ρ°(T,S,p) 1-

pKm

⎣ ⎢

⎦ ⎥

−1

(A1.2) ρ°(T,S) = 0.9998395 + 6.7914x10-5 T - 9.0894x10-6 T2 [g⋅cm-1] + 1.0171x10-7 T3 - 1.2846x10-9 T4 + 1.1592x10-11 T5 - 5.0125x10-14 T6 + ρ1(T,S) ρ°(T,S) [g cm-3): Dichte von reinem Wasser bei mittlerem Atmosphärendruck

(1.013 bar, entspricht Meereshöhe) p: [bar]: Hydrostatischer Druck im Wasser (abzüglich des Luftdruckes,

d.h. p = 0 an der Wasseroberfläche) T: [°C]: Wassertemperatur ρ1(T,S) [g cm-3]: Einfluss der Salinität auf die Dichte, vgl. Abschnitt 1.7. Km(T,p,S) [bar]: Kompressibilitätsmodul (vgl. Gl. 1.15 und 1.16) Für S = 0 hat ρ°(T,S) ein Maximum (Tρmax: Temperatur maximaler Dichte): (A1.3) Tρmax(S = 0, p = 0) = 3.9839°C ρ°(Tρmax, S = 0) = 0.9999720 g cm-3

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Physik aquatischer Systeme I Werner Aeschbach-Hertig 1.32 2005/06

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Anhang A2: Internationale Zustandsgleichung für Meerwasser (Unesco-Formel) 1980 wurden alle experimentellen Daten über die Abhängigkeit der Dichte als Funktion von Temperatur, Salinität und Druck zusammengetragen und in einem UNESCO-Report veröffentlicht. Demgemäß wird die Dichte durch die Funktion

(A2.1)

ρ(S,T,p) =ρ(S,T,p = 0)

1- pKS S,T,p( )

empirisch beschrieben, wobei der Zähler ρ(S,T,p=0) die Dichte des Wassers an der Oberfläche (p=0) bedeutet. Die Beziehung ist von der gleichen Form wie Gl. (A1.1) - tatsächlich ist letztere ein auf kleine Salinitäten beschränkter Spezialfall von Gl. (A2.1) -, nur dass Ks den mittleren Kompressibilitätsmodul bedeutet (secant bulk modulus), welcher definiert ist durch

(A2.2) KS = −vp∆v

(vgl. Gl. 1.15; v = spezifisches Volumen von Wasser) Sowohl ρ(S,T,p=0) als auch Ks(S,T,p) werden als Potenzreihen von Salinität, Temperatur und Druck approximiert: (A2.3) ρ (S,T,p=0) = A + B⋅S + C⋅S3/2 + D⋅S2

(A2.4) Ks(S,T,p) = E + F⋅S + G⋅S3/2 + (H + I⋅S + J⋅S3/2)p + (M + N⋅S)p2 Die Koeffizienten A ... N sind Polynome von maximal fünftem Grad in T der Form

(A2.5) A(T) = λn

n=0

5

∑ ⋅Tn

Die entsprechenden Koeffizienten λi sind in Tab. A2.1 zusammengestellt. Aus all diesen Formeln lassen sich die isotherme Kompressibilität (KT), der thermische Ausdehnungskoeffizient (α) und der Koeffizient der halinen Kontraktion (βs) als Funktion von S, T und p berechnen.

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Physik aquatischer Systeme I Werner Aeschbach-Hertig 1.33 2005/06

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Tab. A2.1: Koeffizienten λn (Gl. A2.5) für die in (A2.3) und (A2.4) definierten Größen A ... N (aus: J.R. Apel, Principles of Ocean Physics, S. 145).

A B C T° +999.842594 +8.24493 ·10-1 -5.72466 ·10-3 T1 +6.793952 ·10-2 -4.0899 ·10-3 +1.0227 ·10-4 T2 -9.095290 ·10-3 +7.6438 ·10-5 -1.6546 ·10-6 T3 +1.001685 ·10-4 -8.2467 ·10-7 T4 -1.120083 ·10-6 +5.3875 ·10-9 T5 +6.536332 ·10-9 D E F

T° +4.8314 ·10-4 +19652.21 +54.6746 T1 +148.4206 -0.603459 T2 -2.327105 +1.09987 ·10-2 T3 +1.360477 ·10-2 -6.1670 ·10-5 T4 -5.155288 ·10-5 G H I

T° +7.944 ·10-2 +3.239908 +2.2838 ·10-3 T1 +1.6483 ·10-2 +1.43713 ·10-3 -1.0981 ·10-5 T2 -5.3009 ·10-4 +1.16092 ·10-4 -1.6078 ·10-6 T3 -5.77905 ·10-7 J M N

T° +1.91075 ·10-4 +8.50935 ·10-5 -9.9348 ·10-7 T1 -6.12293 ·10-6 +2.0816 ·10-8 T2 +5.2787 ·10-8 +9.1697 ·10-10

(Adapted from Fofonoff, N.P., J. Geophys. Res.,1985)